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Die weiße Witwe

Kurzbeschreibung
GeschichteKrimi, Liebesgeschichte / P12 / Het
18.09.2022
18.03.2023
28
57.287
 
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18.03.2023 2.692
 
Alberts kritischer Gesundheitszustand überschattet die folgenden Tage.
Sein Befinden verschlechtert sich täglich, am Sonntagnachmittag entscheiden sich die Ärzte schließlich zur Intubation.
Konkret bedeutet dies, dass Albert durch einen Tubus – also einen biegsamen Schlauch, der in der Luftröhre steckt – von einer Maschine künstlich beatmet wird. Dadurch soll der gesamte Körper entlastet und unterstützt werden, zum einen, weil der kräftezehrende Prozess des Atmens wegfällt, zum anderen werden die Zellen durch die maschinelle Beatmung wieder besser mit Sauerstoff versorgt. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, den störenden Schleim und das zähe Bronchialsekret in regelmäßigen Abständen gründlich abzusaugen.
Es versteht sich von selbst, dass der Patient während dieser Zeit durch spezielle Medikamente in eine Art Dauerschlaf versetzt wird. Examiniertes Personal übernimmt die komplette Pflege des Kranken, seine Ernährung erfolgt über Infusionen und der Urin wird über einen Blasenkatheter abgeleitet.

Natürlich würde Christoph am liebsten rund um die Uhr am Bett seines Vaters verweilen, doch die Besuchszeiten auf der Intensivstation sind, im Sinne von Personal und Patient, streng geregelt. Pro Tag erhalten nur zwei Personen zwischen 14 und 16 Uhr für höchstens 45 Minuten Einlass.
Unser Tagesablauf ist durch diese Vorgabe fremdbestimmt, zudem gehen für jeden Krankenbesuch mindestens zwei Stunden Zeit drauf für die Fahrt von Husum nach Heide und retour!

Was mich betrifft, verhält sich Christoph äußerst nachsichtig. Da ich aufgrund der Blasenentzündung angeschlagen bin und wegen den Tabletten (oder der Schwangerschaft) unter Dauerübelkeit leide, erlässt er mir vorerst die Besuche. Ich sollte ihm also dankbar sein – und werde doch von Eifersucht geplagt, sobald er nur die Worte „Albert“ oder „mein Vater“ erwähnt! Spürt Christoph denn nicht, dass ich es bin, die seine Gesellschaft und Fürsorge jetzt viel dringender benötigt als dieser kranke Tattergreis?

„Nein Johanna, sei nicht ungerecht! Er hat doch keine Ahnung, dass du sein Kind unterm Herzen trägst“ beantworte ich mir meine Frage selbst. „Christoph geht davon aus, dass du in ein paar Tagen wieder vollständig genesen bist, nicht mehr ständig zur Toilette rennst und auch diesen grässlich riechenden Blasentee nicht mehr trinken musst.“

Am Dienstag bahnt sich bei Albert endlich die Wende zum Besseren an.
Entspannter als die Tage zuvor fasst Christoph am Abend seinen heutigen Klinikbesuch zusammen. „Seit heute früh rechnen die Ärzte nicht mehr mit dem Schlimmsten, sie sind sich jetzt sicher, dass die Behandlung anschlägt. Das Fieber ist zum ersten Mal deutlich gesunken und auch die Blutwerte verbessern sich. Bei der morgigen Visite will der Chefarzt entscheiden, ob und wann sie mit den Vorbereitungen für das Extubieren beginnen.“

„Das sind ja richtig gute Nachrichten!“ sage ich und staune insgeheim darüber, wie schnell sich Christoph das „Medizinersprech“ angeeignet hat. Selbstverständlich ist mir die Bedeutung seiner Worte klar.
Es geht im Großen und Ganzen darum, Graf Albert nach und nach aus dem künstlichen Koma zu erwecken und vom Beatmungsgerät abzutrainieren, bevor der Tubus dann endgültig aus der Luftröhre entfernt wird. Momentan übernimmt die Maschine noch den gesamten Atemvorgang, doch es gibt auch die Möglichkeit einer sogenannten „assistierten Beatmung“. Dabei wird der Patient nur dann vom Gerät unterstützt, wenn die eigene Atemleistung nicht ausreicht.
Den von mir beschriebenen Prozess nennt man „Entwöhnung“, in deren Verlauf werden in regelmäßigen Abständen immer wieder wichtige Parameter wie beispielsweise die Sauerstoffsättigung des Blutes überprüft. Erst wenn diese Werte über einen längeren Zeitraum hinweg im Normbereich liegen, entfernen die Ärzte den Beatmungsschlauch und der Kranke atmet wieder komplett selbständig.

„So ist es, in der Tat. Zum ersten Mal bin ich vorsichtig optimistisch“ lautet Christophs Kommentar.

„Ach übrigens, auch mir geht es wieder gut. Nur so am Rande bemerkt - falls es dich interessiert.“

„Natürlich!“ gibt er empört zurück. „Im Übrigen bist du nicht mehr ganz so blass um dein schönes Näschen“ grinst er und wird dann wieder ernst. „Ach Johanna, ich hoffe so sehr, dass Vater sich ganz, ganz schnell erholt. Für dich und auch für mich!“

„Du meinst wegen unserer Trauung?“

„Ja, so kann man sagen.“

Wenn Männer in Rätseln sprechen, denke ich, doch Christoph fährt fort: „Komme was wolle, Johanna – heute in einer Woche wird geheiratet!“ Er drückt mich ganz fest an sich. „Das ist nicht nur mein sehnlichster Wunsch, sondern auch Vaters Wille“ flüstert er in mein Ohr.

„Ich weiß, mein Schatz, ich weiß. Ach ja, morgen begleite ich dich endlich wieder in die Klinik“ verkünde ich und fühle mich plötzlich mit neuer Energie geladen.


Ab dem nächsten Tag, also dem Mittwoch, bemisst sich die Zeit bis zu unserer Trauung nicht mehr in Wochen, sondern nur noch in Tagen. Mit dem Satz „Nur noch sechs Mal schlafen, Christoph!“ begrüße ich meinen Bräutigam am Frühstückstisch.

„Wahnsinn, oder?“ bestätigt er. „Allerdings habe ich ein Problem …“

„Was ist denn los?“ Schrill durchschneidet meine Stimme die morgenruhige Esszimmeratmosphäre. Seit sich meine Schwangerschaft tatsächlich bestätigte, zeige ich plötzlich Nerven. Ich gehe bei Nichtigkeiten an die Decke und bei Kleinigkeiten befürchte ich stets das Schlimmste.

„Es sind Schuldgefühle, die mich plagen. Ich sollte eigentlich der glücklichste Mann der Welt sein, weil mir die tollste, schönste, klügste und wunderbarste Frau in sechs Tagen tatsächlich das Ja-Wort gibt und meine Frau wird. Trotzdem fällt mir die Freude über dieses Glück unendlich schwer. Es verursacht in mir ein permanent schlechtes Gewissen, zumindest so lange Vater an einer Maschine hängt und um sein Leben kämpft!“

Seltsamerweise kann ich seine Bedenken nachvollziehen.
Eigentlich bin ich ein Mensch, der wenig Empathie und Mitgefühl für andere empfindet, Christoph ausdrücklich ausgenommen. Doch mittlerweile ist mein Bräutigam nicht mehr die Person, um die sich all meine Gedanken drehen, oh nein. Es ist unser Baby, dieses winzige Etwas, dessen Zellen sich unaufhörlich teilen, vermehren, differenzieren und das schließlich, nach neun Monaten, mein Kind sein wird! Auch ich könnte weder Freude empfinden noch Glück genießen, wenn ich wüsste, dass das kleine Wesen um sein Leben kämpft.

Selbstverständlich versuche ich, Christoph Trost zu spenden oder ihm wenigstens gut zuzureden. „Die Schuldgefühle und dein schlechtes Gewissen sind nur allzu menschlich, Schatz. Und trotzdem würde dein Vater diese Gedanken nicht gutheißen, im Gegenteil. Ich bin mir absolut sicher, alles was Albert wollte, wäre dich glücklich zu sehen!“

„Ach Johanna, lieber Liebling“ seufzt er und nimmt meine Hand. „Ich bin so froh, dass es dich gibt und ich bin so glücklich, dich gefunden zu haben. Was bin ich nur für ein dämlicher Zweifler“ ruft er etwas theatralisch aus.

Wieso bezeichnet er sich als Zweifler, frage ich mich.
Doch dann fällt mein Blick auf die handgeschriebene Liste vor mir und die Überlegung verfliegt. „Bevor wir losfahren gibts noch eine Menge zu tun“ verkünde ich. „Diverse Telefonate müssen getätigt werden und dann ist da noch dein Friseurtermin, außerdem wird es höchste Zeit für die Ringe.“

„Meine Frisur ist heute Abend an der Reihe, die Anrufe teilen wir uns und beim Juwelier legen wir einen Zwischenstopp ein, bevor wir nach Heide weiterfahren.“

Ein wohliger Schauer ergreift mich, meine Brustwarzen werden steif und zwischen meinen Beinen spüre ich ein erregendes Kribbeln. Ich liebe es, wenn Christoph so energisch Klartext redet!
Obwohl ich ihn noch nie bei der Arbeit in der Werbeagentur erleben durfte, stelle ich mir sein Auftreten dort ebenso entschieden und eloquent vor wie bei dieser klaren Ansage. Er ist so hammersexy, denke ich, überwältigt von meiner Geilheit und der Intensität meiner Gefühle.

Anscheinend errät Christoph meine Gedanken, denn er stellt die Kaffeetasse ab und schiebt sie samt dem Teller zur Seite. „Lass uns Liebe machen, Johanna“ sagt er mit vor Erregung heiserer Stimme. „Ich mach dich glücklich, weil du mich so glücklich machst!“

Es trifft sich gut, dass Mittwoch ist, sonst müssten wir Rücksicht nehmen auf Stine. Doch heute ist ihr freier Tag und so frönen wir ungehemmt und nicht gerade leise unserer Lust, wir feiern uns und zelebrieren die Liebe.
Nach einem sehr langen Quickie verzehren wir gierig das mittlerweile ausgetrocknete Brot und stürzen den bestenfalls noch lauwarmen Kaffee hinunter. Dann arbeiten wir die Telefonliste konzentriert miteinander ab, schließlich kann ich auch die letzte Rufnummer durchstreichen – geschafft! Erleichtert nehme ich zur Kenntnis, dass inzwischen auch der letzte unserer wenigen Hochzeitsgäste die Teilnahme am Fest bestätigt hat.

Entspannt mache ich mich im Badezimmer frisch und werfe mich dann für den Krankenbesuch in Schale. Seit dem Abklingen der Blasenentzündung fühle ich mich wieder topfit, gestern Morgen habe ich die letzte Antibiotikatablette geschluckt. Nun sehe ich ungeduldig dem Termin bei meiner Gynäkologin entgegen, der übermorgen am Freitag anberaumt ist. Christoph wird nichts davon erfahren, denn ab morgen kehrt er zurück an seinen Arbeitsplatz. Die zusätzlichen Urlaubstage, die ihm sein Chef wegen Alberts schwerer Erkrankung zustand, sind definitiv vorbei.

Immer wieder mache ich mir Gedanken, warum es mir so wichtig ist, meine Schwangerschaft geheim zu halten, aber ich finde keine zufriedenstellende Antwort. Es muss wohl am ehesten ein sechster Sinn, also so etwas wie Bauchgefühl oder Intuition sein, eine Art beständiges „Warte noch mit dem Verkünden der freudigen Nachricht, Johanna“ Signal. Und ich werde meinem Instinkt folgen - wer weiß, vielleicht erschließt sich mir der tiefere Sinn meines Verhaltens ja irgendwann in der Zukunft.

„Gut schaust du aus,“ lobt Christoph mich und mein Outfit „das Kleid steht dir ganz hervorragend!“

Ich bedanke mich artig für das Kompliment, dann beginnt die Fahrt.
Wie geplant macht Christoph vor dem kleinen Juweliergeschäft, in dem wir unsere Eheringe ausgesucht haben, Halt. Schon seit Montag liegen diese zur Abholung und einer vorherigen Anprobe bereit. Die Besitzer des Schmuckgeschäfts, ein sympathisches Ehepaar Anfang 50, begrüßen uns freundlich. „Aber hallo, da seid Ihr ja endlich“ neckt uns der Goldschmied und seine Frau, eigentlich Mode-Designerin, ergänzt: „Wir dachten schon, Ihr habt vielleicht kalte Füße gekriegt“ meint sie mit verschmitztem Lächeln.

„Aber nein, wir sind nach wie vor wild entschlossen und machen Nägel mit Köpfen“ gebe ich gutgelaunt zurück.

„Leider gibt’s momentan kaum Grund zum Lachen“ wirft Christoph ein und schildert dann in Kürze die wenig erfreuliche Gesamtsituation.

Nichtsdestotrotz - es wird Ernst, der Juwelier präsentiert uns die Ringe auf einem mit dunklem Samt ausgekleideten Tablett. „Nur zu, Ihr Lieben, Zeit für die Generalprobe. Bitte steckt sie Euch gegenseitig an“ fordert er uns auf.

Mit zitternden Fingen streifen wir uns die goldenen Reifen über, beide passen sie wie angegossen. Unter den LED-Scheinwerferspots scheinen die in die Schiene meines Ringes eingearbeiteten Diamanten Funken zu sprühen.

„Herrlich“ loben die Ladenbesitzer, ich hauche ein ergriffenes „Wunderschön!“. Christoph ist da wesentlich pragmatischer, er bemerkt nur trocken „Sitzt, passt, wackelt und hat Luft!“

„Das Schöne an diesem Ring ist“ sagt die Frau des Goldschmieds, während sie nach meiner Hand greift und das Schmuckstück betrachtet „er lässt sich mit einem passenden Beisteck-Ring erweitern. Gründe dafür gibt es bekanntlich viele. Ein Geburtstag vielleicht oder die Geburt eines Kindes.“

Meine Augen huschen einen Moment lang hinüber zu Christoph, während der gleichzeitig seinen Kopf in meine Richtung dreht. Unsere Blicke kreuzen sich, einen Augenblick lang nur. Mir wird schlagartig heiß und ich spüre mein Gesicht rot anlaufen.

„Alles zu seiner Zeit“ stellt Christoph nicht unfreundlich, jedoch mit dem Gesichtsausdruck einer steinernen Sphinx fest.

Vorsichtig ziehen wir die Ringe wieder von den Fingern, der Juwelier verpackt sie mit routinierten Handgriffen in einer luxuriösen Box. Christoph zückt die Kreditkarte, damit ist der Kauf besiegelt.
Als kleines Dankeschön erhält er ein Paar Manschettenknöpfe, ich werde mit Ohrsteckern bedacht, die vom Stil her mit meinem Trauring harmonieren. Die drei Etuis werden in einer knallroten Tüte aus Lackpapier verstaut, Christoph nimmt die kleine Tragetasche an sich. Wir verabschieden uns und setzen dann die Fahrt nach Heide fort.

Im Klinikfoyer läuft uns zufällig Dr. Schnippke über den Weg. Allerdings erkenne nicht ich die Ärztin wieder, im Gegenteil, sie erinnert sich an mich! Sie begrüßt mich mit einem freundlichen „Moin Moin“.
Peinlich, aber wahr, auf die Schnell komme ich erst einmal nicht darauf, wo ich die Frau einordnen soll. Mit einem „Wir kennen uns vom Notdienst“ hilft sie meinem Gedächtnis auf die Sprünge.

„Natürlich!“ rufe ich und schlage mir mit der Hand gegen die Stirn. „Ich fürchte, bei mir rieselt schon der Kalk“ ergänze ich schmunzelnd.

„Ach was. Das liegt doch nur daran, dass ich in Zivil- und nicht in Berufskleidung unterwegs bin“ entschärft sie die Situation.

„Vermutlich“ stimme ich zu. Jetzt mustere ich die Medizinerin natürlich genauer.
Auf der Straße würde ich ihr vermutlich wenig Beachtung schenken, denn ihre Kleidung entspricht nicht gerade meinem Geschmack, dennoch steht sie ihr ausgezeichnet. Sie trägt ein lila Latzkleid über einem rosafarbenen T-Shirt, ihre Füße stecken in chinesischen Stoffschuhen aus burgunderrotem Samt. Wie schon erwähnt - absolut nicht mein Stil! Trotzdem passt das Outfit hervorragend zu ihrer fraulichen Figur, den schwarzen Haaren und dem Silberschmuck. Mit den Worten „Das ist übrigens mein Bräutigam“ stelle ich ihr Christoph vor.

Sie wirft ihm einen prüfenden Blick und ebenfalls ein kurzes „Moin Moin“ zu. Mit der Frage „Alles okay bei Ihnen?“ wendet sie sich nun wieder an mich.

„Ich geh schon mal vor, Liebling,“ meldet sich Christoph zu Wort, „wir treffen uns dann bei Albert.“ Nach einem an die Ärztin gerichtetes „Adieu“ schreitet er eilig zu den Aufzügen hinüber.

„Meiner Blase geht es bestens, übermorgen ist der Termin bei meiner Gynäkologin.“

„Hört sich gut an“ entgegnet sie. „Alles Gute für Sie, Frau Bähr.“

„Wow, Sie haben mich nicht nur wiedererkannt, sondern wissen ja sogar noch meinen Namen!“ stelle ich überrascht fest.

Ich mag mich täuschen, eigentlich aber bin ich mir so gut wie sicher, dass mein Gegenüber nun für kurze Zeit errötet.

„Ich hatte schon immer ein gutes Namensgedächtnis“ gibt sie fast entschuldigend zurück und fügt dann noch ein „allerdings haben Sie und Ihre Geschichte bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen.“ Verlegen senkt sie jetzt den Kopf. „Meine besten Wünsche sind mit Ihnen. Und jetzt halte ich Sie nicht länger auf. Leben Sie wohl!“

„Es war schön, Sie noch einmal zu treffen!“ Und das meine ich ganz und gar ehrlich! Ich ergreife zum Abschied ihre Hand und verspreche, sie bei einem meiner nächsten Krankenbesuche bei Albert auf der gynäkologischen Abteilung zu besuchen.

„Ich fürchte, da muss ich Sie enttäuschen, Frau Bähr, heute beginnt mein dreiwöchiger Urlaub.“

„Das ist aber schön, ich freue mich für Sie! Wo soll es denn hingehen?“ frage ich neugierig.

„Noch bin ich völlig planlos. Wahrscheinlich vergrabe ich mich in meiner Bude und versuche, eine schmerzhafte Trennung aufzuarbeiten.“

„Kopf hoch! So was geht vorbei!“ spreche ich ihr Mut zu. „Versuchen Sie einfach mehr zu leben und weniger zu grübeln.“

Mit den Sätzen „Ja, Sie haben recht. Vermutlich sollte ich genau das tun! Machen Sie`s gut, Frau Bähr!“  setzt sie sich in Bewegung und marschiert schnurstracks durch die Drehtür am Haupteingang hinaus ins Freie. Wohngemerkt ohne sich noch einmal umzusehen!

Vor der Intensivstation treffe ich auf Christoph, der noch auf Einlass wartet. „Drinnen gibt es einen Notfall“ informiert er mich kurz und knapp. „Jedoch gottlob nicht Vater“ ergänzt er.

Ich reagiere nicht auf das Gesagte, stattdessen bemerke ich: „Eine wirklich sympathische Person, diese Frau Doktor Schnippke!“

„Das mag schon sein. Aber sie ist ne Lesbe“ knurrt er.

„Ach – das siehst du den Menschen also an der Nasenspitze an?“ frage ich spitz.

„Aber hallo, das ist nicht schwer zu erkennen! Erstens ist sie ganz in frauenbewegtes Lila gekleidet. Zweitens: diese Ohrringe und die Kette mit dem Weiblich-Zeichen, ein ganz klarer Fall“ erklärt er leicht verächtlich.

„Und wenn schon“ gebe ich zurück. „Wissen und Können zählen. Und sie ist eine ganz hervorragende Ärztin!“

Christoph will das Wortgefecht fortsetzen, doch dann geht es plötzlich ganz schnell. Die Türe öffnet sich und wir erhalten Zutritt zu Alberts Box – so nennt man die kleinen Zimmereinheiten auf der Intensivstation.

Ich bin erstaunt, Albert nicht mehr intubiert vorzufinden, er atmet wieder selbständig. Das hatte ich so schnell eigentlich nicht erwartet. Ebenfalls nicht vorherzusehen war der gute Allgemeinzustand, in dem sich der Graf befindet. Sein Verstand klar, die Atmung ruhig und auch der Blick wirkt nicht mehr getrübt, sondern hellwach. Nachdem wir uns ein paar Minuten unterhalten haben, kann man ihm die Anstrengung anmerken, kurz darauf lässt er sich kraftlos aufs Kissen zurücksinken. Zeit also, uns zu verabschieden. Als guter Sohn verspricht Christoph den nächsten Besuch bereits für den morgigen Donnerstag.

Der Rest des Tages vergeht unspektakulär. Zurück in Husum setzt mich Christoph zuhause ab und fährt dann weiter in sein Appartement, wo er einiges für die Agentur nachzuarbeiten und vorzubereiten hat. Dies kommt mir wider Erwarten gelegen, erstens bin ich hundemüde (vermutlich grüßt die Schwangerschaft), zweitens möchte ich noch ein paar Sachen im Internet recherchieren.
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