Augenblick
von Cassiopeia12
Kurzbeschreibung
Als Anja Ben auf einer Party kennenlernt, meint sie, ihn direkt zu durchschauen. Sie hat keine Ahnung, wie sich ihr Leben durch dieses Treffen verändern wird.
GeschichteAllgemein / P16 / Gen
15.09.2022
25.02.2023
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15.09.2022
2.311
Anja hatte eigentlich keine Lust auf Party gehabt. Sie sah ihre beste Freundin Filomena so selten, dass sie gehofft hatte, einen geruhsamen Abend bei ihr Zuhause mit „schnacken“, wie Filomena, eine gebürtige Hamburgerin, es nannte, zu verbringen. Außerdem fiel es Anja, auch wenn sie mit ihren 38 Jahren eigentlich noch relativ jung war, immer schwerer abends noch lange rauszugehen. Meist war sie um 21 Uhr bereits so müde, dass sie nur noch ins Bett wollte.
Aber nun war sie hier und stand, an den Türrahmen der Flügeltür zum ausladenden Wohnzimmer der Villa in Blankenese gelehnt, Champagnerglas in der Hand, da und studierte die Partygäste, während sie ihre beste Freundin irgendwo mit alten Freunden in Erinnerungen schwelgte oder neue Bekanntschaften schloss. Das machte Anja aber nicht allzu viel aus. Sie war inzwischen, nachdem sie bereits ein paar Gläser Champagner und Rotwein intus hatte, relativ gut gelaunt und lässig drauf. Über die Location ließ sich auch wahrlich schlecht beschweren. Wie oft bekam man schon die Chance, eine der Luxusvillen in Blankenese von innen zu erleben?
Die Besucher, hauptsächlich eindeutig gesellschaftliche Elite, teils Durchschnittsbürger, waren größtenteils etwa in ihrem Alter oder etwas jünger, so dass sich unter den verheirateten Paaren, die wahrscheinlich kleine Kinder zu Hause hatten, auch Einzelgänger befanden. Nicht, dass Anja auf Partnersuche gewesen wäre. Nein, nicht nachdem ihr das letzte Mal das Herz gebrochen worden war.
Anja fuhr sich gemählich mit der Hand durch ihre lang gewellten goldbraunen Haare und bemerkte, dass sie beobachtet wurde. Von der Sofaecke aus warf ihr ein Mann, den sie ebenfalls auf Ende 30 schätzte, neugierige Blicke zu. Soweit sie dies im gedimmten Licht erkennen konnte, hatte er dunkelblaue Augen mit Lidern die ihn schläfrig wirken ließen und leicht verwuschelte dunkelbraune Haare, die relativ kurz, aber nicht allzu kurz waren, ähnlich dem Stil wie in viele Männer Mitte bis Ende der 2000er trugen. Ein graumelierter Stoppelbart (Anja fragte sich, aufgrund der Farbunstimmigkeit, ob er sich die Kopfhaare färbte) zierte sein gutaussehendes Gesicht und er trug ein legeres, blau gestreiftes, weißes Kragenhemd, dessen Ärmel er hochgekrempelt hatte, und verwaschene dunkelblaue Jeans mit braunen Wildlederschuhen.
Der Fremde grinste sie verwegen an und winkte ihr nun, da er ihre Aufmerksamkeit hatte, zu, sich zu ihm aufs Sofa zu setzen. Viel Platz war dort nicht, denn neben ihm, an ihn gekuschelt, mit einem Arm um ihn geschlungen, saß bereits eine süße zierliche Rothaarige Ende 20, die neben einem frechen kupferfarbenen Bob mit Pony ein violettes, knielanges rückenfreies Kleid trug. Anja schüttelte als Antwort den Kopf. Das hätte der Playboy wohl gerne: Noch eine Dame neben sich auf dem Sofa. In ihrem Bauch kribbelte es trotzdem.
Nun winkte ihr auch besagte Rothaarige zu, so dass Anja schließlich doch nachgab. Sie wollte sehen, was die Beiden von ihr wollten.
„Hi, ich bin Maike,“ legte die Frau an seiner Seite sofort mit ausgestreckter Hand los, „Und wie heißt du?“
„Anja“, erwiderte diese skeptisch.
„Und ich bin Ben“, stellte sich der Salonlöwe vor und reichte ihr ebenfalls die Hand.
Anja traute ihm und dem aufgeregten Flattern in ihrem Bauch, welches zunahm, je mehr sie ihn ansah, nicht über den Weg, nahm aber vorsichtig seine Hand in ihre, um sie zu schütteln. Sein Griff war bestimmt, aber nicht schmerzhaft und seine Haut erstaunlich weich.
„Du standest so einsam im Türrahmen. Gesell dich doch zu uns, Anja“, bat Ben, wobei das schelmische Grinsen und das Funkeln in seinen Augen nie verschwanden.
Er hatte den Titel ‚Bad Boy‘ quasi auf die Stirn tätowiert. Eigentlich war er absolut nicht der Typ Mann, dessen Aufmerksamkeit Anja auf sich zog, aber für alles gab es bekanntlich ein erstes Mal. Obwohl sie sich allgemein von solchen Gesellen fernhielt, musste Anja zugeben, dass die Art und Weise wie er sie ansah schon irgendwie heiß war. Sie genoss es, sich begehrt zu fühlen und beschloss, bei dem Spiel mitmachen und zu sehen, wozu oder wohin es führte.
„Maike, macht das dir nichts aus, wenn deine Begleitung hier andere Frauen anflirtet?“, fragte Anja direkt.
Maike lachte laut auf und ihre olivgrünen Augen blitzten.
„Neee! Ganz im Gegenteil. Ich bin seine beste Freundin“, grinste sie.
Anja glaubte daran, dass gute Freundschaften zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht entstehen konnten, wunderte sich aber, dass angeblich beste Freunde so aufeinander hingen, dass sie fast schon miteinander kuschelten. Aber jedem das Seine. Vielleicht hatte Maike ja doch irgendwie Interesse an ihrem Kumpel und hatte sich ihm noch nicht offenbart. Anja war inzwischen wahnsinning an der Dynamik des Duos interessiert und entschloss sich daher, sich, trotz anfänglicher Bedenken, zu den Beiden auf die Couch zu setzen.
Hierbei stellte sie sicher, dass ihr ihr ärmelloses „Kleines Rotes“ nicht allzu viel von ihren, leicht von der Sommersonne gebräunten, Oberschenkeln Preis gab, indem die den Saum ihres Kleides dezent herunterzog, und die Beine übereinanderschlug , um den Gästen nicht versehentlich einen Blick auf ihre Unterwäsche zu bieten. Sie ertappte Ben trotzdem dabei, wie er seinen Blick kurz auf ihre Oberbeine gleiten ließ, ihr danach aber sofort wieder in die Augen sah. Manieren hatte er also. Schon schade, dass man es einem Mann hoch anrechnen musste, wenn er eine Fremde nicht mit seinen Augen auszog oder sie unangemessen anfasste.
„Als du da drüben standest, dachte ich zuerst, dass du eventuell eine Scheinriesin bist, aber auch aus der Nähe wirkst du ziemlich groß. Wie groß bist du eigentlich?“, bemerkte Ben.
„1,77m“, sagte Anja knapp. Ihre Größe hatte schon mehrmals zu plumpen Anbaggerversuchen und dummen Witzen seitens des männlichen Geschlechts geführt.
Ben grinste: „Ich bin 1,80m.“
Anja nickte, hatte aber nicht weiter viel dazu zu sagen. Maike erklärte, sie müsse kurz aufs Klo, worauf einige Sekunden lang Schweigen herrschte, während Ben Anja weiterhin anstrahlte und ihr, da sie ihn nun aus der Nähe betrachten und so nah bei sich spüren konnte, warm wurde. Es fiel ihr schwer, ihm nicht auf die attraktiven Lippen zu starren. Wieso musste er auch so verdammt gut aussehen?
Als die Stille ihr zu unangenehm wurde, fragte Anja: „Und was machst du beruflich?“
„Ich bin Webentwickler.“
Anja war verblüfft und anscheinend ließ sich dies von ihrem Gesicht ablesen.
Ben fragte amüsiert: „Du wirkst überrascht. Was hattest du denn erwartet?“
Sie lief rot an. Sie wollte sich nicht die Blöße geben, dass sie voreingenommen gewesen war und Ben so ganz und gar nicht ihrer Klischeevorstellung von jemandem im Bereich IT entsprach. Sie hatte da eher an blasse Typen mit Hornbrille und karierten Hemden gedacht, als an so einen lockeren und gutaussehenden Mann.
„Ich dachte eher an etwas… verwegeneres wie Motorradverkäufer oder Sänger in einer Rockband“, gab sie beschämt lächelnd zu.
Hierauf lachte Ben laut und erwiderte: „Nein, das mit der Band läuft nur nebenbei.“
Ganz so falsch hatte sie also doch nicht gelegen. Dumm, dass sie, wie so viele Frauen, eine Schwäche für Musiker hatte.
Anja wagte eine weitere Vermutung: „Lass mich raten: Du bist der Leadsänger und Gitarrist.“
„Japp“, schmunzelte Ben.
„Und du bist sicher ein Model“, riet er.
War das als Kompliment oder reiner Scherz gemeint? Anja war sich nicht sicher.
„Für normale Modelgrößen bin ich ein paar Größen zu ‚dick‘, zum Übergrößenmodel ein paar Kleidergrößen zu ‚dünn‘. Man kann es als Durchschnittsfrau der Modebranche nicht recht machen.“
Ben nickte.
„Da sagst du was. Einen Durchschnittskörper hast du aber wirklich nicht.“
Anja merkte, wie ihr Gesicht sich schon wieder rötete, was ihr ganz und gar nicht passte. Sie wollte dem Charmeur keine Chance geben, sie um den Finger zu wickeln oder ihm den Eindruck geben, sie wäre schüchtern.
Bevor ihr eine clevere Antwort einfiel, fragte er auch schon: „Was ist das eigentlich für eine Augenfarbe? Sieht wie…“, er rückte näher und blickte ihr tief in die Augen, „…dunkles Haselnussbraun aus.“
Anja lächelte leicht.
„Das könnte heute in der Tat stimmen. Frag mich morgen noch einmal. Meine Augen wechseln je nach Lichtverhältnissen und je nach Stimmung wird das Licht von meiner Iris anders reflektiert und bewirkt eine fast komplett andere Augenfarbe.“
„Mmmh“, brummelte Ben anerkennend. „Um auf deinen Kommentar zurückzukommen: Meine Band spielt morgen Abend im Gelousy. Falls du den Club nicht kennst: Das schreibt man G-e-l-o-u-s-y. Wenn du vorbeikommst, kann ich nach der Show den Stand deiner Augenfarbe inspizieren“, zwinkerte er ihr frech zu.
Aus Prinzip wollte Anja ihm eine Abfuhr geben, aber da sie eh Samstagabend nichts Besseres zu tun hatte und neugierig über Bens Qualitäten als Musiker war, sagte sie zu.
„Und was machst du?“, fragte Ben.
„Ich arbeite als Projektleiterin für den europäischen Teil der Social Media-Abteilung einer internationalen Möbelfirma“, antwortete Anja und fragte sich, ob dies langweilig klang, ärgerte sich dann aber direkt, dass sie sich überhaupt darüber Gedanken machte. Sie mochte ihren Job und es gab keinen Anlass, sich dafür zu schämen. Sie hatte sich ihre Karriere schließlich hart erarbeitet und konnte sich so eine recht schöne Wohnung in einem guten Viertel der Stadt leisten, ohne auf finanzielle Hilfe von einem Partner angewiesen zu sein.
Nun war es an Anja, Fragen zu stellen: „Und was bringt dich hierher? Kennst du den Gastgeber?“
Anja fragte sich still, ob Ben genauso gut betucht war wie die meisten Leute auf der Party, welche wahrscheinlich in der Nähe wohnten und deutlich mehr verdienten als sie.
„Nein, aber Maike kennt ihn und hat mich mit hierher geschleppt. Anscheinend ist er ein ehemaliger Schulfreund und sie wollte nicht allein hierhin.“
Seine Antwort ließ weiterhin die Frage offen, ob Ben ebenfalls wohlhabend war.
Anja nippte an ihrem Drink und erwiderte: „Bei mir sieht’s ähnlich aus. Meine beste Freundin Filomena kennt hier jemanden und hat mich eingeladen mitzukommen. Ich verkehre normalerweise nicht in diesen Kreisen.“
Sie deutete mit der Hand, in welcher sie das Glas hielt, vage kreisförmig auf die Partygäste im Raum.
„Mmmh“, antwortete Ben nichtssagend.
Es folgte ein weiterer stiller Augenblick, in welchem Ben sie nur lächelnd ansah und Anja sein Lächeln erwiderte. Mit jeder verstrichenen Minute fühlte sie sich mehr in seine zu ihm hingezogen, als habe er einen Magneten in der Tasche. Würde sie nicht wissen, dass Bens direkte Art absolut nicht ihr Stil war, hätte man fast meinen können, dass es zwischen ihnen knisterte.
Anja fielen immer mehr Details auf, wie zum Beispiel die Tatsache, dass man an seinem Kinn die Andeutung eines Grübchens sah, worauf sie sonst nicht stand, was bei ihm aber irgendwie verführerisch aussah.
Gerade als Ben seinen Mund öffnete, um etwas zu sagen, meldete sich Filomenas Stimme links von Anja.
„Hey, Anja! Ich würd’ gerne nach Hause fahren. Bist du bereit?“, fragte sie, Jeansjacke lässig über die Schulter hängend.
Anja erhob sich und musste sich eingestehen, dass sie schon irgendwie enttäuscht war, dass ihr Gespräch mit Ben nun ein Ende nehmen musste.
„Klar, ich bin fertig“, sagte sie und drehte sich zu Ben um.
„War nett. Wir sehen uns morgen im Gelousy.“
„Bis Morgen!“, rief ihr Ben, wie zur Erinnerung, hinterher.
Er wollte anscheinend ihre klare Bestätigung haben, dass sie ihn nicht versetzen würde, was Anja sehr überraschte und ihr, zugegebenermaßen, gefiel, da es ein klitzekleines Bisschen Unsicherheit bei Mr. Selbstbewusst andeutete.
Bevor sie den Flur erreichte, fiel Anja etwas ein und sie drehte sich ein letztes Mal um, was einen erwartungsvollen Blick auf Bens Gesicht hervorrief.
„Wie heißt deine Band eigentlich?“, rief sie die Frage in seine Richtung.
„Original Sledge“, grinste er.
Anja tippte sich an die Schläfe und sagte: „Wird gemerkt.“
Sie winkte ihm ein letztes Mal zu und wandte sich dann um. Sobald sie außer Hörweite waren, fragte Filomena mit großen Augen: „Wie hast du denn den Leckerbissen aufgegabelt?“
„Den hab ich wohl deinem Tipp mit dem Kleid zu verdanken“, zwinkerte Anja ihrer Freundin zu, welche ihr vor kurzem beim gemeinsamen Shoppen das Kleidungsstück empfohlen hatte, und machte einen Knicks, bei dem sie den Saum ihres Kleides streckte.
Was sie ihrer Freundin nicht sagte war, dass sie meinte, dass ihre Hormone auch ihre Finger im Spiel hatten, denn jedes Mal wenn ihr ihr Zyklus-App mitteilte, dass der Eisprung anstand, spürte sie allgemein einen Anstieg an Selbstbewusstsein und fand nicht nur Andere, sondern auch sich selbst attraktiver. Selbst ihre sich langsam andeutenden Stirnfältchen oder die nicht mehr ganz so straffen Beine hatten ihr bei Ben auf der Coach nichts ausgemacht.
Vielleicht war Ben ja auch gar nicht so sexy, wie er ihr aktuell im schummrigen Licht vorkam und ihre erhöhte Libido trug die Schuld. Anja seufzte innerlich. 315,000 Jahre Homo Sapiens und trotz all dem Hirn und Fortschritt wurde der Mensch doch weiterhin mehr oder weniger von Hormonen gesteuert.
Filomena zwinkerte zurück: „Du siehst aber auch raffiniert aus. Jetzt sag schon: Wer ist der mysteriöse Unbekannte?“
Anja erzählte ihr das Geschehene auf dem Weg zur Hauptstraße, an welcher sie beide der Uber-Fahrer abholen sollte, und schloss ihre Beschreibung mit den Worten ab: „Der ist mir aber zu sehr der Weiberheld. Er hat mich zum Konzert seiner Band eingeladen und ich gehe nur hin, weil ich eh nichts Besseres zu tun habe.“
Filomena sah ihre beste Freundin fragend an.
„Woher weißt du denn, dass er ein Playboy ist? Hat er dir das so gesagt?“
Anja lenkte ein: „Nein, nicht direkt, aber du hast ihn doch selber gesehen. So selbstbewusst wie er drauflos geflirtet hat, macht er das sicher ständig und erhält selten eine Abfuhr.“
„Oder vielleicht mag er dich auch einfach,“ bemerkte Filomena, „Soll ja vorkommen, dass sich zwei gutaussehende Menschen zueinander hingezogen fühlen.“
Anja schnappte nach Luft.
„Wer sagt denn, dass ich was von ihm will?“, rief sie empört.
Kichernd entgegnete Filomena: „Na, dein Ausdruck, als du neben ihm saßest und ihn förmlich angehimmelt hast, während er dich bestaunt hat.“
Anja öffnete den Mund, schüttelte vehement den Kopf und versuchte, sich zu verteidigen, aber ihr blieb die Spucke weg.
„Wusste ich’s doch“, grinste Filomena triumphierend, „Und da ist auch schon unser Fahrer.“
Anja imitierte noch ein paar weitere Sekunden einen Fisch, bevor sie ihrer Freundin zur Fahrgelegenheit folgte. Fürs Erste musste sie dies wohl auf sich sitzen lassen.
Aber nun war sie hier und stand, an den Türrahmen der Flügeltür zum ausladenden Wohnzimmer der Villa in Blankenese gelehnt, Champagnerglas in der Hand, da und studierte die Partygäste, während sie ihre beste Freundin irgendwo mit alten Freunden in Erinnerungen schwelgte oder neue Bekanntschaften schloss. Das machte Anja aber nicht allzu viel aus. Sie war inzwischen, nachdem sie bereits ein paar Gläser Champagner und Rotwein intus hatte, relativ gut gelaunt und lässig drauf. Über die Location ließ sich auch wahrlich schlecht beschweren. Wie oft bekam man schon die Chance, eine der Luxusvillen in Blankenese von innen zu erleben?
Die Besucher, hauptsächlich eindeutig gesellschaftliche Elite, teils Durchschnittsbürger, waren größtenteils etwa in ihrem Alter oder etwas jünger, so dass sich unter den verheirateten Paaren, die wahrscheinlich kleine Kinder zu Hause hatten, auch Einzelgänger befanden. Nicht, dass Anja auf Partnersuche gewesen wäre. Nein, nicht nachdem ihr das letzte Mal das Herz gebrochen worden war.
Anja fuhr sich gemählich mit der Hand durch ihre lang gewellten goldbraunen Haare und bemerkte, dass sie beobachtet wurde. Von der Sofaecke aus warf ihr ein Mann, den sie ebenfalls auf Ende 30 schätzte, neugierige Blicke zu. Soweit sie dies im gedimmten Licht erkennen konnte, hatte er dunkelblaue Augen mit Lidern die ihn schläfrig wirken ließen und leicht verwuschelte dunkelbraune Haare, die relativ kurz, aber nicht allzu kurz waren, ähnlich dem Stil wie in viele Männer Mitte bis Ende der 2000er trugen. Ein graumelierter Stoppelbart (Anja fragte sich, aufgrund der Farbunstimmigkeit, ob er sich die Kopfhaare färbte) zierte sein gutaussehendes Gesicht und er trug ein legeres, blau gestreiftes, weißes Kragenhemd, dessen Ärmel er hochgekrempelt hatte, und verwaschene dunkelblaue Jeans mit braunen Wildlederschuhen.
Der Fremde grinste sie verwegen an und winkte ihr nun, da er ihre Aufmerksamkeit hatte, zu, sich zu ihm aufs Sofa zu setzen. Viel Platz war dort nicht, denn neben ihm, an ihn gekuschelt, mit einem Arm um ihn geschlungen, saß bereits eine süße zierliche Rothaarige Ende 20, die neben einem frechen kupferfarbenen Bob mit Pony ein violettes, knielanges rückenfreies Kleid trug. Anja schüttelte als Antwort den Kopf. Das hätte der Playboy wohl gerne: Noch eine Dame neben sich auf dem Sofa. In ihrem Bauch kribbelte es trotzdem.
Nun winkte ihr auch besagte Rothaarige zu, so dass Anja schließlich doch nachgab. Sie wollte sehen, was die Beiden von ihr wollten.
„Hi, ich bin Maike,“ legte die Frau an seiner Seite sofort mit ausgestreckter Hand los, „Und wie heißt du?“
„Anja“, erwiderte diese skeptisch.
„Und ich bin Ben“, stellte sich der Salonlöwe vor und reichte ihr ebenfalls die Hand.
Anja traute ihm und dem aufgeregten Flattern in ihrem Bauch, welches zunahm, je mehr sie ihn ansah, nicht über den Weg, nahm aber vorsichtig seine Hand in ihre, um sie zu schütteln. Sein Griff war bestimmt, aber nicht schmerzhaft und seine Haut erstaunlich weich.
„Du standest so einsam im Türrahmen. Gesell dich doch zu uns, Anja“, bat Ben, wobei das schelmische Grinsen und das Funkeln in seinen Augen nie verschwanden.
Er hatte den Titel ‚Bad Boy‘ quasi auf die Stirn tätowiert. Eigentlich war er absolut nicht der Typ Mann, dessen Aufmerksamkeit Anja auf sich zog, aber für alles gab es bekanntlich ein erstes Mal. Obwohl sie sich allgemein von solchen Gesellen fernhielt, musste Anja zugeben, dass die Art und Weise wie er sie ansah schon irgendwie heiß war. Sie genoss es, sich begehrt zu fühlen und beschloss, bei dem Spiel mitmachen und zu sehen, wozu oder wohin es führte.
„Maike, macht das dir nichts aus, wenn deine Begleitung hier andere Frauen anflirtet?“, fragte Anja direkt.
Maike lachte laut auf und ihre olivgrünen Augen blitzten.
„Neee! Ganz im Gegenteil. Ich bin seine beste Freundin“, grinste sie.
Anja glaubte daran, dass gute Freundschaften zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht entstehen konnten, wunderte sich aber, dass angeblich beste Freunde so aufeinander hingen, dass sie fast schon miteinander kuschelten. Aber jedem das Seine. Vielleicht hatte Maike ja doch irgendwie Interesse an ihrem Kumpel und hatte sich ihm noch nicht offenbart. Anja war inzwischen wahnsinning an der Dynamik des Duos interessiert und entschloss sich daher, sich, trotz anfänglicher Bedenken, zu den Beiden auf die Couch zu setzen.
Hierbei stellte sie sicher, dass ihr ihr ärmelloses „Kleines Rotes“ nicht allzu viel von ihren, leicht von der Sommersonne gebräunten, Oberschenkeln Preis gab, indem die den Saum ihres Kleides dezent herunterzog, und die Beine übereinanderschlug , um den Gästen nicht versehentlich einen Blick auf ihre Unterwäsche zu bieten. Sie ertappte Ben trotzdem dabei, wie er seinen Blick kurz auf ihre Oberbeine gleiten ließ, ihr danach aber sofort wieder in die Augen sah. Manieren hatte er also. Schon schade, dass man es einem Mann hoch anrechnen musste, wenn er eine Fremde nicht mit seinen Augen auszog oder sie unangemessen anfasste.
„Als du da drüben standest, dachte ich zuerst, dass du eventuell eine Scheinriesin bist, aber auch aus der Nähe wirkst du ziemlich groß. Wie groß bist du eigentlich?“, bemerkte Ben.
„1,77m“, sagte Anja knapp. Ihre Größe hatte schon mehrmals zu plumpen Anbaggerversuchen und dummen Witzen seitens des männlichen Geschlechts geführt.
Ben grinste: „Ich bin 1,80m.“
Anja nickte, hatte aber nicht weiter viel dazu zu sagen. Maike erklärte, sie müsse kurz aufs Klo, worauf einige Sekunden lang Schweigen herrschte, während Ben Anja weiterhin anstrahlte und ihr, da sie ihn nun aus der Nähe betrachten und so nah bei sich spüren konnte, warm wurde. Es fiel ihr schwer, ihm nicht auf die attraktiven Lippen zu starren. Wieso musste er auch so verdammt gut aussehen?
Als die Stille ihr zu unangenehm wurde, fragte Anja: „Und was machst du beruflich?“
„Ich bin Webentwickler.“
Anja war verblüfft und anscheinend ließ sich dies von ihrem Gesicht ablesen.
Ben fragte amüsiert: „Du wirkst überrascht. Was hattest du denn erwartet?“
Sie lief rot an. Sie wollte sich nicht die Blöße geben, dass sie voreingenommen gewesen war und Ben so ganz und gar nicht ihrer Klischeevorstellung von jemandem im Bereich IT entsprach. Sie hatte da eher an blasse Typen mit Hornbrille und karierten Hemden gedacht, als an so einen lockeren und gutaussehenden Mann.
„Ich dachte eher an etwas… verwegeneres wie Motorradverkäufer oder Sänger in einer Rockband“, gab sie beschämt lächelnd zu.
Hierauf lachte Ben laut und erwiderte: „Nein, das mit der Band läuft nur nebenbei.“
Ganz so falsch hatte sie also doch nicht gelegen. Dumm, dass sie, wie so viele Frauen, eine Schwäche für Musiker hatte.
Anja wagte eine weitere Vermutung: „Lass mich raten: Du bist der Leadsänger und Gitarrist.“
„Japp“, schmunzelte Ben.
„Und du bist sicher ein Model“, riet er.
War das als Kompliment oder reiner Scherz gemeint? Anja war sich nicht sicher.
„Für normale Modelgrößen bin ich ein paar Größen zu ‚dick‘, zum Übergrößenmodel ein paar Kleidergrößen zu ‚dünn‘. Man kann es als Durchschnittsfrau der Modebranche nicht recht machen.“
Ben nickte.
„Da sagst du was. Einen Durchschnittskörper hast du aber wirklich nicht.“
Anja merkte, wie ihr Gesicht sich schon wieder rötete, was ihr ganz und gar nicht passte. Sie wollte dem Charmeur keine Chance geben, sie um den Finger zu wickeln oder ihm den Eindruck geben, sie wäre schüchtern.
Bevor ihr eine clevere Antwort einfiel, fragte er auch schon: „Was ist das eigentlich für eine Augenfarbe? Sieht wie…“, er rückte näher und blickte ihr tief in die Augen, „…dunkles Haselnussbraun aus.“
Anja lächelte leicht.
„Das könnte heute in der Tat stimmen. Frag mich morgen noch einmal. Meine Augen wechseln je nach Lichtverhältnissen und je nach Stimmung wird das Licht von meiner Iris anders reflektiert und bewirkt eine fast komplett andere Augenfarbe.“
„Mmmh“, brummelte Ben anerkennend. „Um auf deinen Kommentar zurückzukommen: Meine Band spielt morgen Abend im Gelousy. Falls du den Club nicht kennst: Das schreibt man G-e-l-o-u-s-y. Wenn du vorbeikommst, kann ich nach der Show den Stand deiner Augenfarbe inspizieren“, zwinkerte er ihr frech zu.
Aus Prinzip wollte Anja ihm eine Abfuhr geben, aber da sie eh Samstagabend nichts Besseres zu tun hatte und neugierig über Bens Qualitäten als Musiker war, sagte sie zu.
„Und was machst du?“, fragte Ben.
„Ich arbeite als Projektleiterin für den europäischen Teil der Social Media-Abteilung einer internationalen Möbelfirma“, antwortete Anja und fragte sich, ob dies langweilig klang, ärgerte sich dann aber direkt, dass sie sich überhaupt darüber Gedanken machte. Sie mochte ihren Job und es gab keinen Anlass, sich dafür zu schämen. Sie hatte sich ihre Karriere schließlich hart erarbeitet und konnte sich so eine recht schöne Wohnung in einem guten Viertel der Stadt leisten, ohne auf finanzielle Hilfe von einem Partner angewiesen zu sein.
Nun war es an Anja, Fragen zu stellen: „Und was bringt dich hierher? Kennst du den Gastgeber?“
Anja fragte sich still, ob Ben genauso gut betucht war wie die meisten Leute auf der Party, welche wahrscheinlich in der Nähe wohnten und deutlich mehr verdienten als sie.
„Nein, aber Maike kennt ihn und hat mich mit hierher geschleppt. Anscheinend ist er ein ehemaliger Schulfreund und sie wollte nicht allein hierhin.“
Seine Antwort ließ weiterhin die Frage offen, ob Ben ebenfalls wohlhabend war.
Anja nippte an ihrem Drink und erwiderte: „Bei mir sieht’s ähnlich aus. Meine beste Freundin Filomena kennt hier jemanden und hat mich eingeladen mitzukommen. Ich verkehre normalerweise nicht in diesen Kreisen.“
Sie deutete mit der Hand, in welcher sie das Glas hielt, vage kreisförmig auf die Partygäste im Raum.
„Mmmh“, antwortete Ben nichtssagend.
Es folgte ein weiterer stiller Augenblick, in welchem Ben sie nur lächelnd ansah und Anja sein Lächeln erwiderte. Mit jeder verstrichenen Minute fühlte sie sich mehr in seine zu ihm hingezogen, als habe er einen Magneten in der Tasche. Würde sie nicht wissen, dass Bens direkte Art absolut nicht ihr Stil war, hätte man fast meinen können, dass es zwischen ihnen knisterte.
Anja fielen immer mehr Details auf, wie zum Beispiel die Tatsache, dass man an seinem Kinn die Andeutung eines Grübchens sah, worauf sie sonst nicht stand, was bei ihm aber irgendwie verführerisch aussah.
Gerade als Ben seinen Mund öffnete, um etwas zu sagen, meldete sich Filomenas Stimme links von Anja.
„Hey, Anja! Ich würd’ gerne nach Hause fahren. Bist du bereit?“, fragte sie, Jeansjacke lässig über die Schulter hängend.
Anja erhob sich und musste sich eingestehen, dass sie schon irgendwie enttäuscht war, dass ihr Gespräch mit Ben nun ein Ende nehmen musste.
„Klar, ich bin fertig“, sagte sie und drehte sich zu Ben um.
„War nett. Wir sehen uns morgen im Gelousy.“
„Bis Morgen!“, rief ihr Ben, wie zur Erinnerung, hinterher.
Er wollte anscheinend ihre klare Bestätigung haben, dass sie ihn nicht versetzen würde, was Anja sehr überraschte und ihr, zugegebenermaßen, gefiel, da es ein klitzekleines Bisschen Unsicherheit bei Mr. Selbstbewusst andeutete.
Bevor sie den Flur erreichte, fiel Anja etwas ein und sie drehte sich ein letztes Mal um, was einen erwartungsvollen Blick auf Bens Gesicht hervorrief.
„Wie heißt deine Band eigentlich?“, rief sie die Frage in seine Richtung.
„Original Sledge“, grinste er.
Anja tippte sich an die Schläfe und sagte: „Wird gemerkt.“
Sie winkte ihm ein letztes Mal zu und wandte sich dann um. Sobald sie außer Hörweite waren, fragte Filomena mit großen Augen: „Wie hast du denn den Leckerbissen aufgegabelt?“
„Den hab ich wohl deinem Tipp mit dem Kleid zu verdanken“, zwinkerte Anja ihrer Freundin zu, welche ihr vor kurzem beim gemeinsamen Shoppen das Kleidungsstück empfohlen hatte, und machte einen Knicks, bei dem sie den Saum ihres Kleides streckte.
Was sie ihrer Freundin nicht sagte war, dass sie meinte, dass ihre Hormone auch ihre Finger im Spiel hatten, denn jedes Mal wenn ihr ihr Zyklus-App mitteilte, dass der Eisprung anstand, spürte sie allgemein einen Anstieg an Selbstbewusstsein und fand nicht nur Andere, sondern auch sich selbst attraktiver. Selbst ihre sich langsam andeutenden Stirnfältchen oder die nicht mehr ganz so straffen Beine hatten ihr bei Ben auf der Coach nichts ausgemacht.
Vielleicht war Ben ja auch gar nicht so sexy, wie er ihr aktuell im schummrigen Licht vorkam und ihre erhöhte Libido trug die Schuld. Anja seufzte innerlich. 315,000 Jahre Homo Sapiens und trotz all dem Hirn und Fortschritt wurde der Mensch doch weiterhin mehr oder weniger von Hormonen gesteuert.
Filomena zwinkerte zurück: „Du siehst aber auch raffiniert aus. Jetzt sag schon: Wer ist der mysteriöse Unbekannte?“
Anja erzählte ihr das Geschehene auf dem Weg zur Hauptstraße, an welcher sie beide der Uber-Fahrer abholen sollte, und schloss ihre Beschreibung mit den Worten ab: „Der ist mir aber zu sehr der Weiberheld. Er hat mich zum Konzert seiner Band eingeladen und ich gehe nur hin, weil ich eh nichts Besseres zu tun habe.“
Filomena sah ihre beste Freundin fragend an.
„Woher weißt du denn, dass er ein Playboy ist? Hat er dir das so gesagt?“
Anja lenkte ein: „Nein, nicht direkt, aber du hast ihn doch selber gesehen. So selbstbewusst wie er drauflos geflirtet hat, macht er das sicher ständig und erhält selten eine Abfuhr.“
„Oder vielleicht mag er dich auch einfach,“ bemerkte Filomena, „Soll ja vorkommen, dass sich zwei gutaussehende Menschen zueinander hingezogen fühlen.“
Anja schnappte nach Luft.
„Wer sagt denn, dass ich was von ihm will?“, rief sie empört.
Kichernd entgegnete Filomena: „Na, dein Ausdruck, als du neben ihm saßest und ihn förmlich angehimmelt hast, während er dich bestaunt hat.“
Anja öffnete den Mund, schüttelte vehement den Kopf und versuchte, sich zu verteidigen, aber ihr blieb die Spucke weg.
„Wusste ich’s doch“, grinste Filomena triumphierend, „Und da ist auch schon unser Fahrer.“
Anja imitierte noch ein paar weitere Sekunden einen Fisch, bevor sie ihrer Freundin zur Fahrgelegenheit folgte. Fürs Erste musste sie dies wohl auf sich sitzen lassen.
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