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the sea hates a coward

von eigengrau
Kurzbeschreibung
MitmachgeschichteAbenteuer, Freundschaft / P16 / Gen
OC (Own Character)
07.09.2022
23.03.2023
11
45.621
8
Alle Kapitel
27 Reviews
Dieses Kapitel
1 Review
 
22.12.2022 4.379
 
chapter o7.


Unzählige schwarze Straßen, so dunkel, dass sie aus der Entfernung kaum zu erkennen waren, schlängelten sich die Berge hinauf, sodass Emory bereits nach wenigen hundert Metern so oft abgebogen war, dass er den Hafen selbst dann nicht mehr sehen konnte, wenn er einen gehetzten Blick über die Schulter warf.
Das letzte, was er gesehen hatte, ehe er seine Kameraden aus den Augen verloren hatte, war, wie Moxley und Nobunaga abgeführt wurden.

Emorys Kopf dröhnte. Obwohl er zu jeder anderen Zeit absolut beeindruckt von der traditionellen Architektur gewesen wäre, die den Schatten der hohen Felsen zu entspringen schien, schenkte er selbst dem schönsten Gebäude, an welchem er vorbeilief, keine Aufmerksamkeit.
Emory war nicht auf der Suche nach einem Wohnhaus, einer Schneidere oder einem Restaurant. Er war auf der Suche nach jemandem, der ihm dabei helfen könnte, dafür zu sorgen, dass seine Reise nicht bereits auf dieser Insel endete. Ihm dabei half, Nobu und Moxley zu befreien.

In Gedanken ging Emory durch, was für eine Person er wohl für seinen wahnwitzigen Plan, in ein Gefängnis einzubrechen, gewinnen könnte. Er schluckte schwer, als ihm bewusstwurde, dass er niemanden kannte, der ihn dabei unterstützen würde.
Blieb nur zu hoffen, dass die Menschen, die auf Ka no Kuni lebten, anders waren als die, die Emory in seinem Leben bisher kennengelernt hatte.

Emorys Lunge brannte, als er hinter einem etwa zweieinhalb Meter hohen Felsblock, gerade breit genug, als dass er sich daran anlehnen oder – im Notfall – dahinter verstecken konnte, zum Stehen kam.
Kleine Sternchen glitzerten vor seinem inneren Auge und Emory musste sich mit einer Hand an dem Fels abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Der Stein war ungewöhnlich warm.

Emory nahm einen tiefen Atemzug. Einen weiteren.
Langsam fühlte er sich im Stande, den Kopf wieder zu heben. Und traute seinen Augen nicht.
Dort, weit oben, direkt an der Stelle, an der der Weg erneut eine scharfe Kurve nahm, um sich weiter in die Berge zu schlängeln, stand sie. Die Bar.

Eilig kämpfte Emory sich auf die Beine. Auch, wenn seine Knie noch immer zitterten, hinderte ihn dies nicht daran, einen hastigen Schritt vor den anderen zu setzen.
Oben, auf der einzigen geraden Fläche, erhob sich die Rusty Lantern. Rote Farbe blätterte von den schweren Säulen ab, die den dunklen Eingang einrahmten.
Ebenso wie die restlichen Häuser in dieser Gegend, schien auch die Bar nur an der Frontseite über Fenster zu verfügen. Obwohl das Gebäude längst nicht mehr in altem Glanz erstrahlte, so kam Emory doch nicht umhin, die meisterhafte Architektur für einen Moment wertzuschätzen.
Ein tief überhängendes, geschwungenes Dach, welches ebenso schwarz war, wie die Felsen, die das Haus einrahmten, thronte wie eine Krone über den lehmverputzten Außenwänden, deren triste Seiten von rot leuchtenden Holzbalken durchzogen waren.

Schwer atmend kam Emory vor der Bar zum Stehen. Die Steigung war auf den letzten Metern deutlich heftiger geworden und ein Mal wäre er beinahe auf einigen Kieselsteinen ausgerutscht und den halben Weg wieder hinuntergekullert.
Das erste Mal seit Ewigkeiten traute er sich, wieder einen Blick über die Schulter zu werfen. Etwas, tief in seinem Inneren, rechnete noch immer damit, dass die Soldaten sich lediglich einen Scherz mit ihm erlaubt hatten und ihn, gleich einem panischen Reh, auf der Flucht schießen wollten. Als besondere Herausforderung und Beweis ihrer Treffsicherheit.
Das Bild, welches sich nun vor Emory erstreckte, ließ all diese Gedanken verstummen.
Er war bereits so hoch, dass es ihm gelang, über die Felsen, die das Innere der Insel vor neugierigen Blicken schützten, zu schauen.
Wie in weiter Ferne lag das Meer, ruhiger als noch vor einigen Stunden, zu seinen Füßen. Weiße Möwen tanzten zwischen den Wolken und zogen seine Aufmerksamkeit nur dann auf sich, wenn sie aus ihrem himmlischen Bett abtauchten und wie viel zu schnelle Schneeflocken vor dem ewig schwarzen Hintergrund ins Meer segelten.

Es fiel Emory unfassbar schwer, sich von diesem Anblick loszureißen. Er sah, wie die Mantis sich sanft im Takt der Wellen wiegte und auch, wenn sie das Schiff erst vor kurzer Zeit übernommen hatten, so fühlte Emory sich doch auf eigenartige Art mit ihm verbunden.
Hoffentlich würde er Nobu und Moxley retten können. Bevor die Soldaten ihnen auch das Schiff abnahmen.

Erfasst von einem plötzlichen Gefühl der Eile, drehte Emory sich um die eigene Achse und stürmte regelrecht auf die Eingangstür der Bar zu.
Noch ehe er die Hand heben konnte, um die Tür zur Seite zu schieben, konfrontierte ein kleines Brett, welches daran genagelt war, seine schlimmste Befürchtung.
Die Rusty Lantern hatte geschlossen.

☠️


Emory hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wie er weiter verfahren sollte. Alles, was er aus Nobunagas Erzählungen mitgenommen hatte, war, dass diese Insel von Armut und Hunger gezeichnet war, Fremde und selbst die eigenen Nachbarn hasste und er den Großteil der Bevölkerung in einer der Bars treffen würde.
Er schluckte. Vielleicht nur nicht um elf Uhr vormittags.

Der leisen Hoffnung erlegen, dass die Rusty Lantern vielleicht nicht die einzige Kneipe war, die auf dieser Insel aus dem Boden geschossen war, als der Alkoholkonsum der Bevölkerung ins Unermessliche gestiegen war, entschied Emory, sich noch weiter in das Inselinnere zu wagen. Vielleicht würde er ja jemanden treffen, den er fragen konnte.

Mit schnellen Schritten – aber längst nicht mehr so gehetzt, wie zuvor – machte Emory sich auf den Weg, die kleine Einkaufsstraße, die hinter der Rusty Lantern begann, entlangzulaufen.
Ihm war, als könne er argwöhnische Blicke in seinem Rücken spüren, das Klappern von Fensterläden hören, die hektisch zugezogen wurden. Doch ganz gleich, wie häufig Emory sich umdrehte, er sah keine Menschenseele.
Emory lief immer weiter. So lange, dass seine Waden und seine Lunge um die Wette brannten. Die dünne Höhenluft und die ständige Steigung brachten ihn schon jetzt an seine Grenzen.

Als Emory in einiger Entfernung einige fliegende Marktstände erkennen konnte, hätte er beinahe gejubelt. Ganz gleich, wie sehr sich die Menschen vor einem Fremden wie ihm fürchteten, ihre Ware würden sie wohl nicht unbeaufsichtigt stehen lassen.

Emory behielt Recht. Zumindest teilweise.
Während einige Standbetreiber, überwiegend ältere Frauen und kleine Kinder, sich augenblicklich in die Schatten der schwarzen Felsen verzogen und ihn mit hasserfüllten Blicken straften, verharrte eine junge Frau an ihrem Stand.
Ihre zarten Finger, die sich um ihre kleine Umhängetasche geschlossen hatten, zitterten, während sie unablässig zwischen Emory und ihrer spärlichen Gemüseauslage hin- und hersah.

In der Hoffnung, dadurch weniger bedrohlich zu wirken, setzte Emory ein sanftes Lächeln auf.

»Hey… entschuldige…hey. Sag, gibt es hier noch eine andere Bar, außer der da hinten? Ich…-«
»Ein Säufer

Verachtung lag in der Stimme der jungen Frau, die ihre Feststellung so laut ausgesprochen hatte, dass auch die anderen Standbetreiber sie vernommen hatten und sich nun, augenblicklich weniger verunsichert, aus den Schatten schälten.

»Schick ihn weg, Li Mei!«
»Genau, mach, dass er wegkommt!«
»Fremde wie er haben hier nichts verloren!«

Die junge Frau hatte für das Geschrei ihrer Kollegen nicht mehr als ein kurzes Augenrollen übrig. Dann konfrontierte sie Emory erneut mit einem Blick, der ihm augenblicklich zu verstehen gab, dass sie, trotz der fehlenden Begeisterung über die Ausrufe ihrer Mitmenschen, keineswegs anderer Meinung war.

»Gesindel wie du brauchen wir hier nicht.«

Emory verkniff es sich, ihre Sprache zu korrigieren. Sie schien nicht begeistert von ihm, hatte jedoch auch noch keine Fackel oder Mistgabel gezückt. Darauf, sie durch eine grammatikalische Korrektur gegen sich aufzubringen, konnte er getrost verzichten.

»Die Rusty Lantern ist die einzige Bar im Ort. Sie öffnet, wenn die Sonne das Meer verbrennt. Du kannst ja warten. Mit den restlichen Idioten. Und jetzt scher dich vom Teufel, wenn du nichts kaufen willst!«

Emory schluckte schwer.
Er hatte seine Antwort, auch, wenn er darauf, von Li Mei und den anderen Bewohnern als Gesindel abgetan zu werden, hätte verzichten können.
Noch im Gehen wanderte sein Blick gen Himmel. Noch eineinhalb Stunden.

☠️


Emory war überrascht, wie verdammt voll die Rusty Lantern schon jetzt, keine halbe Stunde nach dem Öffnen der schweren Tore, bereits war. Nobus Erwähnung, dass die Bewohner ihre Sorgen in Alkohol ertränkten, war noch eine Untertreibung gewesen. Selbst während der Frühlingsstürme war die Schwanhilde nie so gut besucht gewesen.
Er stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte einen Hals etwas, um einen freien Platz im fahlen Licht der Papierlampenschirme zu erkennen. Wie zu erwarten, wurde er nicht fündig.

Bevor Emory den nächsten Gedanken fassen konnte, wurde er unsanft zur Seite geschoben. Er wollte gerade zu einer Entschuldigung ansetzen, dass er den Eingangsbereich blockierte, da war der Mann schon in der Masse an Gästen verschwunden.
Unbeabsichtigt entglitt ihm ein leises Seufzen. Das konnte ja heiter werden.

Emory hatte sich dafür entschieden sich zur Theke durchkämpfen zu wollen und anschließend etwas Alkoholisches zu bestellen. Er würde es nicht trinken. Gott bewahre. Der Alkohol sollte nur als Requisite dienen. Aber Emory hatte die winzige Hoffnung, dass er vielleicht einen anderen, weniger panischen, Gedankengang einschlagen könnte, wenn er ein bisschen so wie Moxley dachte. Oder Nobu. Definitiv Nobu.
Allein bei der Vorstellung, was sich den lieben langen Tag in Moxley Oberstübchen abspielte, lief es ihm eiskalt den Rücken runter. Nein. So genau wollte Emory das gar nicht wissen.
Er schüttelte den Kopf, um den Gedanken loszuwerden.

Emory hatte in seiner Kindheit in Mademoiselle Lemaire Waisenhaus gelernt, sich klein zu machen und sich in den letzten Winkeln zu verkriechen, wenn die anderen Kinder ihn mal wieder ärgerten oder die Dame des Hauses ihn angeschrien und er sich zum Heulen unter sein Bett verkrochen hatte. Dennoch stellte dieses Labyrinth aus menschlichen Körpern ein größeres Problem dar, als ihm lieb war. Nicht zuletzt wegen seiner eigenen Körpergröße, schließlich war Emory in den letzten Jahren deutlich gewachsen.
Wäre er noch ein Kind hätte er bestimmt weniger Schwierigkeiten damit, sich einfach durch die Beine der Gäste zu wuseln und unter Tische hindurchzukriechen.

Für einen Moment war Emory fast schon erleichtert, dass die Leute hier drinnen ihn nicht einmal annähernd so skeptisch musterten, wie die Bewohner draußen auf den Straßen. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend dachte er an eine ältere Dame zurück, die ihn nicht nur angestarrt hatte, als wäre er vom Teufel besessen, sondern extra sie Straßenseite gewechselt hatte, als er nähergekommen war.
Diese Art des Argwohns löste eine andere Art von Unwohlsein in Emory aus als die mitleidigen Blicke, mit denen er sonst gestraft wurde. Was jedoch noch schwerer wog war die Tatsache, dass er auf Ka no Kuni schnell hatte feststellen müssen, dass es nun an ihm war, seine Augen voller Bedauern über die ausgemergelten Kinder und die ausgezerrten Alten am Straßenrand schweifen hatte lassen. Blicke, die früher meist an ihm hängengeblieben waren.

Zwar konnte Emory regelrecht spüren, wie ihm einige Augenpaare folgten, doch der Großteil der Menschen, die in die Rusty Lantern gekommen waren, war damit beschäftigt Sake-Schalen zu kippen oder auf dem Boden ihres Bierglases nach dem Sinn ihres verpfuschten Lebens zu suchen.
Er war verwundert, dass es in dem dichten Gedränge noch zu keiner Schlägerei gekommen war, doch die Bewohner von Ka No Kuni schienen schon so viel Gewalt und Leid gesehen zu haben, dass sie wohl einfach nur vergessen wollten.

Für Emorys Geschmack streife er beim Manövrieren viel zu viele fremde Körper und musste mehr als einmal den unberechenbar geschwungenen Extremeitäten von Betrunkenen ausweichen. Sein Oberteil war dennoch bereits nach wenigen Minuten von Bier-Spritzern und Sake-Tropfen benetzt.
Die hängende Luft war so stickig, dass Emory sich dabei ertappte, wie er für einige Sekunden gar nicht atmete. Bei seinem darauffolgende, viel zu hektischen Schnappen nach Luft, drehte es ihm beinahe den Magen um.

Emorys Augen huschten zwischen den Leuten hin und her, immer auf der Suche nach einem Schlupfwinkel, durch den er sich hindurchwinden konnte.
Hinter einem tätowieren Glatzkopf konnte Emory endlich den Bartresen erkennen. Im selben Moment wurde ihm klar, dass er sich auf direkten Kollisionskurs mit der Kellnerin befand, die sich den Weg durch die trinkende Meute um einiges geschickter bahnte, als er.
Emorys Kopf fuhr herum, in der Hoffnung, dass sich zwischen den Leuten irgendwo eine freie Stelle auftun würde, in die er sich quetschen konnte. Vergebens. Wenn er nicht sich nicht unfreiwillig auf jemandes Schoß setzten oder sich quer über einen Tisch legen wollte, musste er sich eben klein machen.

Die kleine Kellnerin schenkte ihm einen leicht genervten Blick, als sie ihre grazile Gestalt leicht seitlich drehte und ihr vollbeladenes Tablett nur Millimeter über seinen blonden Haarschopf hinweghob.
Die Getränkebestellung wackelte gefährlich und Emory duckte sich instinktiv. Er konnte deutlich sehen, wie sich sein angespanntes Gesicht in ihren orangen Augen spiegelte. Ihre Nasenspitzen berühren sich fast und Emory schoss augenblicklich die Röte ins Gesicht, als er merkte, dass es ihre Brust war, die die seine streifte.
Emory erstarrte augenblicklich in seiner Bewegung, doch noch ehe er eine Entschuldigung stammeln konnte, war das Barmädchen auch schon wieder von der Menge verschluckt worden.

Ungelenk stolperte Emory nach hinten, als sich ein Ellbogen in seine Seite bohrte. Er wich gerade noch einem leeren Bierkrug aus, dessen Besitzer lautstark und mit einer gefährlich ausladenden Geste nach einer neuen Bestellung schrie, und klammerte sich an eine Stuhllehne, um nicht vollkommen die Balance zu verlieren.
Emory befand sich zwischen zwei Stühlen und wollte schon erleichtert ausatmen, als er plötzlich eine kurze Rückenlehne ins Kreuz bekam, als ein Bargast seinen Stuhl zurückschob, um sich zu erheben.

Wenn der Platz da gewesen wäre, wäre Emory bäuchlings hingefallen und sein Gesicht hätte Bekanntschaft mit den versifften Holzdielen gemacht. Aber die Menschenmasse federte Emorys Sturz mehr oder weniger ab, indem sie ihn herumschubste. Er knallte gegen jemanden und krallte sich blindlings in das Nächstgreifbare. Emory vollführte beinahe eine etwas schmerzhafte Grätsche, verhinderte aber so, dass er ein weiteres Mal das Gleichgewicht verlor. Schmerzen zeichneten sich in seinem Gesicht ab, doch er gab keinen Ton von sich. Von irgendwo hörte er ein belustigtes Schnauben.

Emory braucht ein paar Sekunden, um festzustellen, dass er etwas in der Hand hielt. Einen Gegenstand, der sich bei näherer Betrachtung als Mantel herausstellte. Ein teurer Mantel, zumindest fühlte er sich teuer an, sofern jemand wie Emory das beurteilen konnte.
Der Blondschopf blickte sich panisch nach dem Besitzer um, bis er merkte, dass er von zwei Augenpaaren angestarrt wurde.

Das erste war das eines jungen Mannes. Der Künstler in Emory kam nicht umhin, die Farbe seiner Augen mit den Fliederblüten auf Madeow zu vergleichen. Er müsste mehrere Lilatöne mit Weiß mischen, um genau diesen Farbton zu bekommen.
In einem anderen Leben hätte Emory ihn gefragt, ob er ihn malen könnte. Er schluckte. In diesem Leben war er jedoch ein feiger Loser.

Obwohl er mit seinem Stuhl gefährlich weit nach hinten kippte, schaffte der Kerl es, trotz des zusätzlichen Gewichts der jungen Frau auf seinem Schoß, nicht umzufallen. Unter anderen Umständen wäre Emory fast beeindruckt gewesen.

Seine langen Finger gruben sich etwas fester in die Hüfte seiner Partnerin, als diese sich leicht zurücklehnte. Ihre Arme schlangen sich um seinen Hals und ihre Finger verfingen sich in seinen langen Haaren. Doch sie bekam noch immer nicht die gewünschte Aufmerksamkeit.
Ein gewisses Amüsement blitzte in violetten Iriden auf.

Ein entrüstets Seufzen ihrerseits führte endlich dazu, dass Emory sich vom Anblick der fliederfarbenen Augen losriss. Stattdessen wanderte Emorys Augenmerk zum Gesicht der jungen Frau. Ihre schmalen Brauen waren irritiert zusammengefahren, während ihre Mund mit dem verwischten roten Lippenstift unfreundlich verzogen war. Einige Strähnen hatten sich aus ihren Zwillingsdutts gelöst und umrahmten lose ihr Gesicht. Um ihre Nase hatte sich ein leichter Rotschimmer gelegt.
Oh. OH!
Ein weiteres Mal flammte die Röte auf Emorys Wangen auf, als ihm klar wurde, dass die beiden gerade bei etwas gestört hatte.

»Ähm äh.«, fing Emory zu stottern an und verschluckte sich bei nahe an seinen eigenen Worten. Ein gequältes Japsen und er schaffte es fast einen geraden Satz zu formulieren: »‘tschuldigung! Ich wollte nicht! Ich…du hast nur… also-.«

Der junge Mann blinzelte ihn abwartend an, während seine Begleitung Emory offensichtlich am liebsten angeschnauzt hätte, damit er endlich wieder von dannen zog.

»H-hier! Dein Mantel!«

Emory warf ihm das Kleidungsstück fast schon entgegen, welches der junge Mann lässig mit einer Hand auffing. Etwas in seinem Blick schien sich verändert zu haben, aber Emory hatte keine Zeit darüber nachzudenken, er wollte einfach nur so schnell wie möglich aus dieser peinlichen Situation entfliehen.
Er war drauf und dran, einen Sprint hinzulegen, bis ihm wieder klar wurde, dass ihn der Platzmangel in der Bar erst in diese demütigende Lage versetzt hatte. So blieb Emory nichts weiter übrig, als vorsichtig einen Fuß vor den anderen zu setzten und seine brennenden Wangen mit den Händen zu bedecken.
Bei jedem Schritt, der ihn von dem Pärchen trennte, hoffte er, dass der Kerl ihn nicht ansprach und Emory nur halb so idiotisch wirkte, wie er sich fühlte.

Gott.
Das Universum.

Irgendwas war Emory wenigstens so gnädig gestimmt gewesen, dass er einen frei gewordenen Barhocker am Tresen ergattern konnte. Der ebenfalls frei gewordene Hocker neben ihm blieb leer, vermutlich, da die Gäste trotz allem weiterhin versuchten, ihn zu meiden.
Emory starrte in sein Bier, dessen Schaumkrone sich schon vor einer ganzen Weile verabschiedetet hatte. Das Barmädchen hatte ihn zuerst gar nicht bedienen wollen, weil er nicht annähernd volljährig wirkte. Emory war sich zwar sicher, dass er ein paar Jahre älter war als sie selbst, aber er war niemand der gerne diskutierte.
Schlussendlich hatte er dann jedoch erbärmlich genug gewirkt, um sein Bier doch noch zu bekommen. Er wusste zwar noch nicht so recht, wie er es bezahlen sollte, aber das war gerade noch nicht wichtig. Erstmal ein Problem nach dem anderen.
Das peinliche Szenario von vorhin hatte ihn wenigstens für ein paar Minuten von seinem Moxley-und-Nobu-retten-Debakel abgelenkt, aber jetzt musste er sich zwangsläufig wieder damit beschäftigen.

»Schlechter Tag?«
»Ja…ich-«

Emory hielt im Satz inne, als er erkannte, dass der Mantel-Typ von vorhin ihn angesprochen hatte. Er rutschte unruhig auf seinem Barhocker hin und her, während er gemustert wurde.
Emory konnte einen roten Abdruck auf der Wange seines Gegenübers erkennen. Offensichtlich hatte ihm seine Begleiterin eine Ohrfeige verpasste.
Aufgeschreckte schickte Emory Stoßgebete zum Himmel und hoffte inständig, dass das nicht seine Schuld war und der Kerl nicht hier war um ihm deswegen eine reinzuhauen.

Auf das Schlimmste gefasst kniff Emory die Augen zusammen. Nur um sie ein paar Sekunden später wieder zu öffnen, als nichts passierte.
Der Lilahaarige hatte sich auf den freien Platz neben ihm gesetzt. Einen Ellbogen am Tresen angewinkelt und den Kopf auf seine Hand gestützt, grinste er Emory an.

»Ich hoffe das war nicht wegen mir.«, sprudelte es aus Emory heraus in der Hoffnung, dass er andere dann Leine ziehen oder zumindest aufhören würde ihn so anzuschauen. Ein kurzer Ausdruck der Verwirrung husche über das feine Gesicht des Fremden.

»Oh das?« Einer seiner langen Finger deuteten auf seine pochende Wange. »Nein, das war eher eine…Verkettung unvorhersehbarer Ereignisse.«

Er klopfte Emory auf den Rücken und lachte. Dafür, dass er gerade eine Abfuhr kassiert hatte, war der Kerl viel zu gut drauf. Vielleicht war er es auch nur gewohnt? Jedoch wirkte er auf den ersten Blick nicht wie jemand, der Probleme damit hatte, eine Frau anzusprechen.
Er ein großer, gutaussehender Kerl – sofern Emory das beurteilen konnte – und Emory war… nun ja, Emory. Ihm wurde schon beim Gedanken an eine Konversation mulmig in der Magengegend, sodass er es gar nicht erst versuchte.
Emory wollte seinen Kopf gegen den Tresen schlagen. Er hatte keine Zeit sich jetzt über sein nicht vorhandenes Liebesleben Sorgen zu machen.

Anders als Emory hatte seine neue Bekanntschaft kein Problem damit, einen Drink zu bekommen.
Aus den Augenwinkeln beobachtete Emory, wie der Typ seinen Absinth mit Wasser verdünnte, dem beigelegten Zuckerwürfel und Löffel keine Beachtung schenkte und das Getränk mit dem Finger umrührte.
Die dunkelgrüne Flüssigkeit schwappte etwas über, als er den Finger herausnahm und stattdessen den Rand seines Glases entlangfuhr, während er ein Gespräch mit dem Barmädchen angefangen hatte.
Seinem Aussehen nach zu urteilen, schien er nicht von dieser Insel zu stammen. Er war ein Fremder genau wie Emory. Trotzdem schien er keine Schwierigkeiten auf Ka No Kuni zu haben. Ob es nun an seiner hübschen Visage, seinem Auftreten oder etwas ganz anderem lang konnte Emory nicht sagen.

Lautstark schluckte der Blonde den Kloß in seinem Hals hinunter.
Sollte er es einfach wagen? Was hatte er schon zu verlieren?

»Hey, sag mal…«

☠️


»Nochmal zum Mitschreiben« Ira – zumindest hatte der Kerl sich so vorgestellt – kam Emory unnötig nahe, sein warmer Atem streife sein Ohr und Emory unterdrückte den Impuls zurückzuzucken. »Ich soll dir dabei helfen deine Kameraden aus dem Knast zu holen?«

Emory nickte langsam, wohl wissend, dass man niemanden um so etwas bat. Schon gar keinen Fremden.
Der bittere Kräutergeruch des Absinthes stieg in Emorys Nase.

Ira legte den Kopf leicht schief, was dazu führte, dass einige seiner lila Haarsträhnen in Emorys Gesicht fielen. Emorys Finger zucken, doch er wagte es nicht, die Haare wegzustreichen.
»Hm. Das klingt ziemlich…«

Dumm?
Waghalsig?
Selbstmörderisch?
Im Vorhinein zum Scheitern verurteilt?


»…langweilig.«, beendete Ira seinen Satz und brachte wieder etwas Abstand zwischen sich und Emory, der seine verspannte Körperhaltung dennoch nicht lockerte.

Ein gequältes Lächeln zuckte über Emorys Mundwinkel. Langweilig? Wen hatte er sich da nur angelacht?
Vielleicht konnte er noch schnell eine Ausrede erfinden und das Weite suchen. Doch noch bevor Emory zum Sprechen ansetzten konnte, hatte Ira bereits wieder das Wort ergriffen.

»Naja.«, er tippte mit seinem Zeigerfinger nachdenklich gegen seine Unterlippe, »So wie ich das sehe gibt es dabei nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir haben Erfolg oder wir gehen gemeinsam drauf.«

Die Finger seiner anderen Hand trommelten auf dem Tresen, während seine Augen Emory eindringlich musterten.

»Korrigiere. Drei Möglichkeiten: Du gehst dabei allein drauf.« Sein Lächeln wurde etwas breiter und entblößte dabei eine Reihe spitzer Zähne. »Nichts für ungut. Aber ich glaube nicht, dass ich sterbe. Zumindest hab‘ ich echt keinen Bock auf so eine verdammt unspektakuläre Weise abzutreten…«

Emory machte sich eine mentale Notiz, dass er es sich abgewöhnen sollte, mit fremden Leuten Konversationen in Bars zu beginnen. Er schluckte schwer. Nobu hatte Recht gehabt. Scheinbar hatte er wirklich ein fragwürdiges Talent, seltsame Gestalten anzulocken.

»… aber da du es bist, will ich mal nicht so sein. Wir zwei müssen in unserer Situation schließlich lernen Kompromisse einzugehen, nicht wahr?«

Sein Zwinkern ließ Emory etwas mulmig in der Magengegend werden. Er verstand zwar nicht so recht, was Ira damit meinte, er hoffte jedoch inständig, dass das alles nicht in einer verheerenden Katastrophe enden würde.

»Äh. Klar.«, kam es zurückhaltend über Emorys Lippen.

Ein überrascher Gesichtsausdruck husche über Iras Züge, als wäre ihm gerade etwas eingefallen. Gerade als seine unruhigen Finger damit beschäftig waren seine Haarsträhnen zu einem seitlichen Zopf zu flechten, ließ ihn das Klingeln der Teleschnecke an seinem Handgelenk ihn innehalten.

»Oh. Die Arbeit ruft.«

Das erste Mal an diesen Abend schien Ira nicht sonderlich begeistert zu sein.
Ira kam elegant auf die Beine, eine Hand immer noch in seinen Haaren, während die andere nach seiner Geldbörse kramten. Er legte ein Bündel Scheine auf den Tresen und Emory war sich sicher, dass es mindestens dreimal so viel war, wie er eigentlich zu bezahlen hatte.
Er warf Emory einen Seitenblick zu und ignorierte das eindringliche »Bölle Bölle« der bläulich gefärbten Mini-Teleschnecke weiter. Ohne die geringste Eile klopfte er Emory auf die Schulter und steckte ihm einige weite Berry-Scheine zu.

»Keine Sorge, ich lass dich schon nicht hängen. Warte einfach hier. Das dauert nicht lange.« Die Hand auf seiner Schulter wanderte zu Emorys glühender Wange und tätschelte diese kurz. »Mach dir einfach einen netten Abend.«

Emorys Versand versuchte zu verarbeiten was gerade passierte. Ein Teil von ihm war erleichtert darüber, dass er jemanden gefunden hatte, der ihm helfen wollte. Der andere Teil kam nicht umhin besorgt zu sein.

»Ach weißt du was; mach dir ein paar Freunde, lade die ganze Bar ein. Scheiß egal, geht auf mich.«
Statt Emory ein weiters Bündel Scheine zu geben, befand sich gleich eine ganze Brieftasche in seinen verschwitzen Händen. Mit ziemlicher Sicherheit hatte er noch nie so viel Geld gesehen.

»Warte.«, rutschte es Emory heraus und er betete, dass seine Stimme nicht so verzweifelt klang, wie sie sich in seinen eigenen Ohren anhörte.

Als er den Blick hob war Ira bereits verschwunden. Sein Mund fühlte sich unglaublich trocken an und Emory musste sich zwingen, einen Schluck von seinem schalen Bier zu nehmen.
Auch hier hatte Nobu Recht behalten, wie auch immer es möglich war, dass warmes Bier noch viel widerlicher schmecken konnte als ohnehin schon.

Seine Finger gruben sich fester in den Geldbeutel.
Wenigsten konnte er sich sicher sein, dass Ira wieder auftauchen würde, wenn Emory sein ganzes Geld hatte. Oder?
Trotzdem. Aus irgendeinem Grund ließ Emory das ungute Gefühl nicht los, dass er ein wichtiges Detail übersehen hatte.



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nachwort



Hey ihr Lieben,

ich muss ehrlich sagen, dass ich selbst positiv überrascht davon bin, wie gut der Rhythmus aktuell passt. Es macht unfassbar Spaß, mit den Charakteren zu schreiben und vor allem auch mit den zukünftigen Crewmitgliedern und Verbündeten zu planen. Am liebsten würde ich sie euch alle sofort vorstellen!

Bis ihr alle Auserwählten kennenlernt, dauert es zwar noch ein bisschen, mit diesem Kapitel sind wir einer krassen Crew jedoch schon einen großen Schritt nähergekommen!

Wie immer freue ich mich sehr über eure Meinung und eure Spekulationen und möchte mich nochmal bei euch allen dafür bedanken, dass ihr Teil dieser Geschichte seid! Ganz besonderer Dank gilt in dieser Woche Grauschwinge, Liya Phelis und Noah Inuzuka!

Ich möchte nochmal betonen, dass ich die Reviews nicht vergessen habe und mich unfassbar darüber freue, mittlerweile sind es jedoch so viele, die auf eine Antwort warten, dass ich gerne einen der freien Tage nach Weihnachten dafür nutzen möchte, um allen zu antworten und nicht wieder nur stückchenhaft voranzukommen.

Dadurch, dass Weihnachten vor der Tür steht und auch das neue Jahr nicht mehr lange auf sich warten lässt, möchte ich die Gelegenheit nutzen, und allen, die das Fest feiern, ein schönes Fest wünschen. An diejenigen, die sich dem Brauch nicht geneigt fühlen, einfach ein paar schöne freie Tage!

Ein kleines Geschenk habe ich euch mit diesem Kapitel hoffentlich machen können. Ich habe außerdem die beiden Website-Seiten mit den größten Englisch-Anteilen übersetzt. Die eine Seite ist sowohl in ihrer alten, als auch in ihrer übersetzten Form erst seit heute für euch auswählbar, vielleicht sucht ihr ja mal danach.
Bei Fragen zur Übersetzung, Anmerkungen oder Weihnachtsgrüßen, meldet euch gerne. Ich freue mich über alles sehr!

Wir sehen uns hoffentlich alle im neuen Jahr!


Liebe Grüße

eigengrau ❤️
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