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L'histoire d'un elfe, c'est...

Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Freundschaft / P16 / MaleSlash
Anthony Goldstein Harry Potter Hermine Granger Luna Lovegood OC (Own Character) Remus "Moony" Lupin
29.07.2022
27.03.2023
30
257.011
26
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Dieses Kapitel
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30.07.2022 7.562
 
Blinzelnd und mit einem flauen Gefühl im Magen sah sich Harry um, wo er sich befand. Und kurzerhand schlug er sich mit der flachen Hand ins Gesicht und zog diese langsam nach unten, um sich anschließend selbst zu fragen, warum er um Mitternacht, in der tiefsten Dunkelheit und zu einer Zeit, zu der meisten Menschen schlafen würden, ernsthaft versuchte sang und klanglos von den Dursleys zu verschwinden.

„Es kann nur… es muss besser werden.“, murmelte Harry zu sich selbst und sah sich unsicher um. Er wusste, dass er nicht mehr umkehren konnte, er hatte keinen dieser Portschlüssel, der ihn zurückbringen würde. Der Mond stand zu seinem Glück hell am Himmel und  beleuchtete sanft die Wiesen, die er um sich herum erkennen konnte. Er schloss darauf, dass er weder in einer Stadt noch in einem Dorf angekommen sein musste, denn um ihn herum konnte er zunächst nur Wiesen und schemenhaft Bäume erkennen, die sich in weiterer Entfernung zu einem naheliegenden Wald zusammenschlossen. Der Wind ließ die Blätter rauschen und vereinzelte Schreie von Eulen und Waldkäuze durchbrachen die Stille der Nacht. Mehrere Meter vor ihm erkannte er ein Gebäude – zumindest ging er von einem Gebäude aus, denn Licht schien aus ein paar Fenstern heraus. Harry runzelte die Stirn, denn ein gewöhnliches Haus war das Gebäude vor ihm nicht. Es erinnerte ihn an einen großen Turm, wie er ihn in der Schule schon einmal auf einem Schachbrett gesehen hatte, umwachsen von einem größeren Baum, auf dessen Blättern sich das Licht des Mondes spiegelte.

Die zwei Briefe und das Bild seiner Eltern fest in der Hand und mit pochendem Herzen lief er auf das Haus zu, stets darauf bedacht, nicht in irgendwelche Löcher zu treten oder über Steine zu stolpern, denn seine Schuhe, sowie alles andere, was er besaß, hatte er unter seinem Bett vergessen. Er lief durch ein kleines Tor bei einer nicht allzu hohen Steinmauer und als Harry an der Treppe zur Haustür ankam, stockte ihm der Atem. Im Mondlicht sah er den Baum, der das Haus umwuchs und die Haustür überragte –die Früchte an dem Baum schienen nicht nach unten zu hängen, sondern nach oben zu schweben. Er wollte den Baum berühren, als er ein Schild daran erkennen konnte, auf dem stand „Von den Lenkpflaumen fernhalten“.

Seltsam, dachte sich Harry und schüttelte den Kopf. Er blickte zur Haustür und sah ein Schild mit dem Namen „Lovegood“, in einem leuchtenden Blau auf einem Stück Holz geschrieben, und atmete erleichtert auf. Damit hatte der Junge zunächst die Gewissheit, dass er nicht irgendwo im Nirgendwo gelandet war, sondern zumindest ein Teil dessen, was in dem Brief seiner Mutter stand, wahr gewesen sein musste.

Es war Harry ziemlich unangenehm, jemanden nach Mitternacht zu stören, doch die hellen Fenster im Erdgeschoss deuteten wohl drauf hin, dass noch jemand wach war. Harry räusperte sich kurz, versuchte seine Haare ein wenig zurecht zu machen, um einen halbwegs akzeptablen ersten Eindruck zu hinterlassen und klopfte dreimal kräftig mit dem Türklopfer an die Tür.

Harrys Nervosität erreichte kurz ihren Höhepunkt, als er hinter der Tür Schritte hörte und die Tür langsam mit einem kleinen Knarren geöffnet wurde. Er schluckte kurz, als ihm ein großer Mann mit langen hellblonden Haaren in seltsamer grüner und brauner Kleidung die Tür öffnete. Der Fremde schaute zu Harry herunter und ein leichtes Lächeln legte sich auf seine Lippen.

„Guten Abend, Harry Potter.“, sagte er freundlich, wenn auch etwas mysteriös untermalt.

„Gu…Guten Abend, Sir.“, erwiderte Harry nervös und streckte dem Mann hastig den Brief, der an ihn adressiert war, entgegen. Der Blonde nahm Harry den Brief ab und machte einen Schritt zur Seite. „Komm doch rein.“, entgegnete er Harry und machte eine einladende Bewegung. Beim Vorbeigehen fiel Harry auf, dass der Mann einen dünnen Stock in der Hand hielt.

Harry wartete, bis die Tür wieder verschlossen war und folgte dem Mann in den großen runden Raum, wo er ihm einen Stuhl am Tisch anbot. Harry setzte sich und schaute sich vorsichtig um. Er war fasziniert von den bunten Wänden, die mit allerlei phantastischen Tieren und Wesen bemalt waren, von den seltsamen Artefakten, die in den Regalen standen und dem großen Schreibtisch, der überladen war mit Pergamentbögen, Federn, Stiften und Pinseln. Die Dursleys würden bei dieser Unordnung das Weite suchen, dachte sich Harry und schmunzelte. In der Luft lag ein Duft, den Harry nur als eine Mischung aus Kräutern, Farbe und Tinte wahrnehmen konnte. Er war begeistert.

„Ich bin Xenophilius Lovegood. Ich habe dich schon erwartet.“

Von diesen Worten wurde Harry aus seinen Beobachtungen herausgerissen und richtete seine Aufmerksamkeit auf den blonden Mann. Im Licht der Wohnung fiel Harry auf, dass dieser im Gesicht einen ebenso blonden stoppeligen Bart trug und ihn aus freundlichen, wenn auch etwas mysteriösen, graublauen Augen ansah. Mr. Lovegood hatte, so empfand es der Jüngere, einen sehr verträumten Gesichtsausdruck. Harry lächelte leicht. „Guten Abend Mr. Lovegood, ich bin Harry. Ehm…“, begann Harry noch einmal, doch wurde er von diesem unterbrochen.

„Du kannst mich Xenophilius nennen, für die Formalitäten ist heute Abend kein Raum. Ich glaube, du hast wahrscheinlich viele Fragen, doch würde ich zuerst gerne den Brief lesen, den du mir mitgebracht hast. Hast du Hunger? Möchtest du etwas trinken?“

Harry nickte langsam, den Blick auf die Tischplatte gerichtet. „Ja bitte.“, flüsterte er und sah zu Mr. Lovegood hoch. Dieser schwang den Stab in seiner Hand, woraufhin eine Tasse und ein Teekessel angeflogen kamen. Harry riss die Augen auf, die Kinnlade fiel ihm runter und er klammerte sich an der Tischkante fest.

„Was…“, entwich ihm, als er beobachtete, wie der Teekessel die Tasse befüllte, diese sich langsam vor ihm niederlies und von der Seite des Raumes, an dem die Küchenzeilen sich entlangreihten, die Schränke aufflogen und ein Teller, Messer, Brot, Butter, Käse und ein Apfel zu ihm geflogen kamen, sich vor ihm ordentlich ablegten. Harry lenkte seinen Blick zu Mr.Lovegood, der das Schauspiel amüsiert beobachtete und merkte, wie Harry den Stab in seiner Hand skeptisch betrachtete.

„Eh..“, begann Harry und deutete auf den Holzstab.

„Das ist ein Zauberstab. Bedien‘ dich, es ist genug da und du siehst hungrig aus.“, entgegnete der Blonde und öffnete den Brief. Harry trank einen Schluck Tee und war überrascht von dem fremden Geschmack – er hatte noch nie so einen Tee getrunken. Er wusste nicht, ob er ihn mochte oder nicht, aber es war auf jeden Fall eine Wohltat für seinen trocknen Hals. Er nahm sich Brot, Butter und Käse, begann zu essen und beobachtete den Mann beim Lesen des Briefes. Harry wusste nicht, wie er die Situation einschätzen sollte, denn beim Lesen des Briefes, der mindestens so lang wie sein eigener war, konnte der Junge im Gesicht des Älteren ein Bilderbuch von Gefühlsregungen ablesen. Von Neugier, über Trauer, bis hin zu einem kurzen Moment der Freude, Verwunderung und am Ende einem neutralen, nachdenklichen Seufzen. Er legte den Brief auf den Tisch und kratzte sich nachdenklich am Kinn.

„Harry.“, begann Mr. Lovegood nach einer kurzen Zeit des Gedankensortierens. „Ich kann mir vorstellen, dass du gerade ziemlich viele Fragen hast und die ganze Situation etwas verwirrend sein muss für dich. Was hältst du davon, wenn du dich erstmal oben im Gästezimmer ins Bett legst und wir morgen früh, nach einem erholsamen Schlaf ein paar der Fragen klären, die ich dir beantworten kann?“

Harry nickte dem Mann zu und lächelte leicht. „Gerne. Vielen Dank für das Essen, Sir. Ich kann mit den Fragen warten, bis Sie bereit sind und Zeit haben, ich möchte keine Umstände machen.“

„Ach Harry.“, seufzte Mr. Lovegood leise, während seine Hand über den Brief glitt. „Du machst keine Umstände. Zeit haben wir genug, es gibt so viele Rätsel im Leben; man kann nie früh genug anfangen, sie lösen zu wollen, oder?“ Harry sah dem Mann in die graublauen Augen und konnte einen Anflug von Trauer sehen.

„Ich denke schon.“, antwortete Harry. „Meine… Mutter hat in ihrem Brief von Ihrer Frau Pandora geschrieben. Ist sie – ist sie auch hier?“ Der Blick des Älteren wurde ein wenig weicher und ein schmerzvoller Ausdruck flog über dessen Gesicht, bevor er den Kopf leicht schüttelte.

„Nein. Sie ist vor etwa anderthalb Jahren bei einem Unfall gestorben. Ich lebe allein hier mit meiner Tochter Luna, sie ist ein Jahr jünger als du. Morgen wirst du sie kennenlernen, aber jetzt ist es doch Zeit fürs Bett. Hast du irgendwelche Dinge bei dir?“

„Nein, Sir. Ich besitze nichts.“, antwortete Harry leise.

„Das ist in Ordnung. Komm, ich zeige dir das Badezimmer, dann kannst du dich fürs Bett fertig machen.“ Mit diesen Worten stand Mr. Lovegood auf, vergewisserte sich, dass Harry sein Essen aufgegessen hatte und räumte mit einem Schwung seines Zauberstabes auf. Harry sah begeistert zu, wie das Geschirr und das Essen durch die Luft schwebte, sich von allein in die Schränke und das Waschbecken sortierte und folgte ihm eine eiserne Wendeltreppe in der Mitte des Hauses hoch. Er reichte Harry eine neue Zahnbürste und griff aus einem nahestehenden Schrank ein lockeres Nachthemd und eine Schlafhose. Er sah sich Harry noch einmal kurz an und schwang seinen Zauberstab, um es auf die passende Größe zu schrumpfen. Er reichte Harry die Kleidung, samt einem Waschlappen und Seife. Harry schaute zu Mr. Lovegood und wollte ihn etwas fragen, stockte jedoch, als er sah, dass der Blonde ein wenig abwesend in die Luft schaute, als würde er einen Gedanken fangen wollen, ihn aber nicht greifen können. Er schüttelte kurz darauf den Kopf und sah Harry mit einem Lächeln an.

„Ich hoffe, dass es dir nichts ausmacht, diese Klamotten heute Nacht anzuziehen. Wenn du dich umgezogen hast, gib mir deine alte Kleidung, ich werde es heute Nacht noch waschen, dass du morgen frisch in den Tag starten kannst.“, sprach er und schloss die Badezimmertür hinter sich, nachdem Harry sich noch einmal kurz bedankt hatte.

Harry nickte und lächelte leicht. So viel Freundlichkeit in weniger als einer Stunde, in der der Mann ihn kennengelernt hatte. Harry zog sich aus und begann sich an dem großen Waschbecken zu waschen. Er wusch sich gründlich, dankbar für das kühle Wasser, mit dem er den Schweiß und den Dreck aus dem Garten vom Mittag abwaschen konnte und griff sich das Handtuch, um sich abzutrocknen. Dabei fiel sein Blick zum ersten Mal in den Spiegel und er zog die Augenbrauen hoch.

Von der Tatsache abgesehen, dass seine Ohren fast wie die der Elfen aus den Märchenbüchern aussahen, hatte sich seine Optik wirklich nicht verändert. Seine Wangenknochen waren eventuell ein bisschen markanter, aber so richtig konnte er es nicht wirklich einschätzen, denn es könnte auch daran liegen, dass er einfach zu dünn war. Das war auch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, wie oft er ohne Abendessen ins Bett gehen musste. Sein Körper sah weitestgehend unverändert aus, die helle Haut ließ die Spuren der Zeit bei den Dursleys jedoch deutlich hervorstechen.

Harry war nicht wirklich der Meinung, dass er besonders aussah, wenn er sich an die Gespräche seiner Schulkameraden erinnerte, er empfand sich als durchschnittlich und unauffällig. Worauf er jedoch stolz war, das waren seine Augen. Er kannte niemand mit solchen großen, grünen Augen und das war für ihn etwas Besonderes. Die Tatsache, dass er keine Brille mehr brauchte, das verwunderte ihn sehr – aber er freute sich innerlich riesig darüber. Der Schwarzhaarige putzte sich die Zähne und schlüpfte in die frischen Klamotten. Er wickelte seine alte Kleidung zusammen und verließ das Badezimmer. Mr. Lovegood stand im Flur und schaute zum Fenster raus. Als er Harry hörte, drehte er sich um und schwang seinen Zauberstab erneut, woraufhin Harrys Kleidung in die Küche herunterschwebte. Wie die Kleidung bei einem Zauberer gewaschen werden würden, das war für Harry ein Rätsel und die Neugierde war groß, doch das er würde auch noch am nächsten Tag noch herausfinden können, schließlich wollte er auch nicht unhöflich sein.

Mr. Lovegood führte Harry zwei Türen weiter und ließ ihn in das kleine, von einer Kerze erhellte Zimmer eintreten. Harry setzte sich auf das Bett und ihn unsicher an. „Danke, ich... ich bin wirklich dankbar für Ihre Gastfreundschaft!“, brachte er dem Älteren entgegen, woraufhin dieser lächelte und den Kopf schüttelte. „Nicht der Rede wert. Gute Nacht, Harry Potter. Und herzlichen Glückwünsch zum Geburtstag, auf dass das neue Jahr dir viele Neuanfänge ermöglichen wird.“

Er schloss die Tür und Harry und legte sich ins Bett. Im Vergleich zu seiner alten Matratze fühle sich dieses Bett an wie eine weiche Wolke, die ihn umhüllte und ein langes Gähnern entlockte. Harry löschte das Kerzenlicht und schloss die Augen. Die anfänglichen Gedanken, die in seinem Kopf zu kreisen begannen, wurden von dem ihn rasch einholenden Schlaf unterbrochen und Harry glitt in einen traumlosen Schlaf.

Am nächsten Morgen wurde Harry von einem Klopfen an der Fensterscheibe geweckt. Verschlafen rieb er sich die Augen und sah zum Fenster rüber, auf dessen Fensterbank eine Schleiereule saß, die mehrfach an die Scheibe klopfte. Harry runzelte die Stirn und kratzte sich am Kopf. Was wollte eine Eule am helllichten Tag von ihm? Eulen waren doch eigentlich nachtaktiv, dachte er sich. Er stand auf und öffnete das Fenster, woraufhin die Eule ins Zimmer flog und sich auf den Rahmen am Fußende des Bettes niederließ und ihm ihren Fuß entgegenhielt, an dem ein Brief befestigt war. Harry zog verwundert die Augenbrauen hoch und ging langsam auf die Eule zu, um den Brief zu entfernen. Vorsichtig streichelte er die Eule am Kopf, woraufhin diese ihm sanft am Finger knabberte und wieder losflog. Harry drehte den Brief in seinen Händen und sah, dass der Brief an ihn adressiert war.

Er brach das Wachssiegel auf und zog einen ordentlich gefalteten Brief heraus, öffnete diesen und beim Lesen fiel ihm die Kinnlade runter.


Sehr geehrter Mr. Potter,

wir freuen uns herzlich Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Sie an der Hogwarts Schule für Hexerei und Zauberei aufgenommen wurden. Beiliegend finden Sie eine Liste aller benötigten Bücher und Utensilien.

Das Schuljahr beginnt am 01. September. Wir erwarten Ihre Eule bis spätestens zum 31. Juli.

Mit freundlichen Grüßen,

Minerva McGonagall

Stellvertretende Direktorin



Harry sah ungläubig auf den Brief, las sich die Liste aller benötigten Dinge durch und entdeckt eine Fahrkarte für den Hogwarts Express, welcher vom Gleis 9 ¾ am Bahnhof Kings Cross in London abfahren würde.

Aufgeregt drehte sich Harry um und nahm den Brief mit runter ins Erdgeschoss. Als er die Tür öffnete, sah er ein Mädchen mit hüftlangem, aschblondem Haar in einem leuchtenden gelben Kleid an ihm vorbeihüpfen. Sie drehte sich um und lächelte ihn strahlend an.

„Hallo Harry Potter. Ich bin Luna. Herzlichen Glückwünsch zum Geburtstag!“, sprach sie ihn mit einem Lächeln an. „Ich würde dich ja umarmen, aber ich weiß nicht, ob du das komisch findest. Wir kennen uns ja gar nicht.“

Sie drehte sich um und lief die Treppe runter. Harry folgte ihr und sah, dass die Küche und der Wohnbereich aufgeräumter waren, als bei seiner Ankunft. Als er unten ankam, vernahm er einen süßen Duft und sah, dass Luna an der Arbeitsplatte auf einem kleinen Hocker am Arbeiten war. Ihr Vater stand neben ihr und begrüßte Harry. Luna drehte sich um und präsentierte ihm einen großen Schokoladenkuchen mit elf brennenden Kerzen. Auf dem Kuchen waren kleine Blüten verteilt und Früchte, die Harry noch nie gesehen hatte.

„Herzlichen Glückwunsch.“, kam es im Chor von den Beiden und Harry stand wie festgefroren an der Treppe, noch eine Hand am Treppengeländer.

„Danke! Ist der… für mich?“, fragte Harry ungläubig.

„Natürlich.“, antwortete Luna und stellte den Kuchen auf den Esstisch.

„Ich hab‘ noch nie einen Kuchen bekommen.“, flüsterte Harry mit glasigen Augen und wischte sich kurz mit dem Handrücken eine aufkommende Träne weg.

„Dann haben wir umso mehr Gründe zum Feiern. Komm, setz dich.“, wies Mr. Lovegood ihn an und führte ihn zum Tisch. Harry begann zu strahlen und schloss genüsslich die Augen, als er den ersten Bissen des Kuchens probierte. Die Schokolade war herrlich und die unbekannten Früchte, die ihn teilweise an kleines Wurzelgemüse erinnerten, waren wunderbar süß. Kuchen zu seinem Geburtstag – extra für ihn, von fremden Menschen, die ihn eigentlich gar nicht kannten und dann auch noch zum Frühstück! Das musste ein Traum sein. Harry piekste sich unauffällig mit der Gabel in die Hand in die Hand, aber es war wohl kein Traum.

„Danke, ich bin… ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

„Manchmal muss man nichts sagen.“, entgegnete Mr. Lovegood.

„Es freut mich, dass dir der Kuchen schmeckt. Die Früchte sind aus unserem Garten – das sind die Lieblingsfrüchte der Gnome, die auch dort wohnen.“, sagte Luna mit ihrer glockenhellen Stimme, während sie auf die kleinen roten Früchte zeigte, die wie Miniaturkarroten aussahen und Harry musste lächeln. Das Mädchen hatte noch nicht viel mit ihm gesprochen, aber er dachte, dass sie sehr interessant sein musste. Er hatte noch niemanden in seinem Alter kennengelernt, der mit ihm über seltsame Dinge wie Gnome sprach, als wäre es das Normalste der Welt. Seine Aufregung ebbte hat und er konnte sich ein wenig entspannen – es schien, als wäre alles normal.

„Sir, heute Morgen ist ein Brief von… Hogwarts für mich gekommen. Was hat es damit auf sich?“, fragte Harry und zeigte ihm den Brief.

„Dieser Brief bedeutet, dass du ab dem 1. September deine schulische Ausbildung zum Zauberer beginnen kannst. Ich werde für dich nach dem Essen gleich eine Eule mit der Bestätigung losschicken. Alles Weitere klären wir dann.“ Harry nickte und aß seinen Kuchen, nahm sich noch ein weiteres Stück und trank eine Tasse Tee. Als Lunas Vater fertig war, ging er zu seinem Schreibtisch und schrieb, zu Harrys Verwundern mit Feder und Tinte, einen Brief, ließ Harry ebenfalls unterschreiben und ging zur Tür, um seine Eule zu rufen. Diese kam sogleich angeflogen und setzte sich auf dessen Schulter, sodass er dieser den Brief anbinden konnte. Nachdem sie weggeflogen war, setzte er sich wieder an den Tisch und sah Harry aufmerksam an.

„Ich bin also wirklich ein Zauberer?“

„Ein ganz besonderer noch dazu. Möglicherweise sind Dinge passiert, für die du keine Erklärung hast, Unfälle, Vorfälle, seltsame Ereignisse.“, begann der er und Harry nickte. „Wir nennen das unkontrollierte magische Ausbrüche, die in deinem Alter, bis man in eine Zaubererschule geht, ganz normal sind. Harry, es gibt vieles, was ich dir heute im Laufe des Morgens erklären müsste, aber wir können zunächst nur das Grundlegendste besprechen, damit du ein wenig mehr verstehst, was gerade alles passiert.“ Harry nickte und sah Mr. Lovegood aufmerksam an.

„Deine Mutter, Lily, war eine enge Freundin von Pandora, meiner Frau und Lunas Mutter. In ihrem Brief, den du mir gestern gegeben hast, gab sie ihr, und damit auch mir, im Falle des Todes deiner Eltern, den Auftrag, dich auf dem ersten Schritt in unserer Welt zu unterstützen. Sie schrieb, dass du mit höchster Wahrscheinlichkeit bei ihrer vermeintlichen Schwester in der Muggelwelt aufgewachsen bist, richtig?“, begann der Ältere.

„Muggel?“

„Nichtmagische Menschen.“

„Ja, ich bin bei den Dursleys aufgewachsen.“

„Okay. Und diese haben dir verheimlicht, wer und was du bist?“

Der Junge schaute auf seinen Teller und schob ein Stück Kuchen hin und her. „Ja, sie haben mir nie erzählt, dass ich ein Zauberer bin.“, sagte Harry leise. „Sie mochten nichts, was nicht normal ist. Sie sagten immer, Magie sei Unfug und nicht normal.“

Mr. Lovegood seufzte und schüttelte den Kopf, ehe er fortfuhr: „Deine Eltern waren bewundernswerte Menschen – mutig, intelligent und talentiert. Sie waren wenige der wirklich ehrlichen und aufrichtigen Menschen, Pandora hat sehr viel von deiner Mutter gehalten.“

„Sir,… meine Verwandten haben immer gesagt, dass meine Eltern bei einem Autounfall gestorben sind. Stimmt das?“, fragte Harry.

„Ich weiß zwar nicht, was ein Auto ist, aber nein. Deine Eltern hatten keinen Unfall, sie…“, begann der Ältere und stockte. „Harry, du musst wissen, dass es vor einigen Jahren einen dunklen Zauberer gab, dessen Namen sich die meisten nicht ansatzweise getraut haben auszusprechen.“

„Wie hieß er?“

„Voldemort.“, antwortete Mr. Lovegood leise und räusperte sich fuhr leise fort. „Und er hat… deine Eltern auf dem Gewissen. Falls er jemals so etwas wie ein Gewissen hatte.“

Harry sah Lunas Vater mit entsetztem Blick an und wandte den Blick ab, um aus dem Fenster zu schauen. Die Dursleys hatten ihn jahrelang hinters Licht geführt und verletzt, auf Basis einer einzigen großen Lüge. Er schwieg und schaute den Mann an, schaute kurz zu Luna, die ihn mit einem nicht deutbaren Blick anstarrte und blickte erneut zu ihrem Vater zurück.

„In der Nacht von Halloween, 1981, wurden deine Eltern in ihrem Haus angegriffen. Du-Weißt-Schon-Wer wollte auch dich umbringen, doch es ging schief und irgendwie musste er sich dabei selbst umgebracht haben. Dieser Fluch hat dir die Narbe auf der Stirn verpasst, die berühmte blitzförmige Narbe, die jedes Kind in unserer Welt kennt. In der magischen Welt bist du eine Berühmtheit. Keiner weiß, wie du, mit knapp anderthalb Jahren, es schaffen konntest, einen der größten dunklen Zauberer zu Fall zu bringen. Jedes Kind kennt deinen Namen, Harry.“

Dieser wusste nicht, wie er mit diesen Informationen umgehen sollte. Sein ganzes Leben war er „nur“ Harry, der „Junge“ oder der „Freak“ und hier saß nun ein Mann vor ihm, der ihm ernsthaft und sachlich erklärte, dass er wohl etwas Besonderes, eine Berühmtheit sei. Die Informationen, die Harry in sich aufgenommen hatte, arbeiteten in ihm, doch konnte er seine Gefühle nicht wirklich einordnen. Er entschloss sich, die Informationen zu akzeptieren und abzuwarten, was ihn in der kommenden Zeit noch erwarten würde – er hatte ja keine wirklich andere Wahl.

„Danke, dass Sie so ehrlich zu mir sind. Immerhin weiß ich jetzt, dass meine Eltern keine Versager waren.“, kam es nach einer Weile leise von Harry.

„Die Wahrheit schmerzt manchmal, aber die Wunden der Wahrheit verheilen sauberer ohne den Eiter der Lügen.“, entgegnete Mr. Lovegood ruhig und deutete Harry an, noch ein Stück Kuchen zu essen. Dieser legte sich noch ein kleines Stück nach, denn trotz des beklemmenden Gesprächs gerade, hatte er nach wie vor Geburtstag und wenn die zwei Menschen hier im Raum ihm die Möglichkeit gaben, diesen zu feiern, dann würde er das noch annehmen – wer weiß, wie lang dieser Traum noch anhalten würde.

Anschließend räumten alle ihr Geschirr auf und Luna nahm Harry an der Hand und lief mit ihm raus in den Garten. Harry machte sich keine Gedanken um seine Schuhe, denn häufig war er barfuß unterwegs, was im Vergleich zu unpassenden Schuhen weitaus bequemer war, und Luna schien auch auf Schuhe zu verzichten.

„Ich mag deine Ohren.“, brachte sie ihm beiläufig entgegen, als sie ihm den großen Garten zeigte. Da Harry in der Regel nur Komplimente von Mrs. Figg bekam, wurde er ein bisschen rot um die Nase und murmelte ein kleines „Dankeschön“ und nahm den Ausblick in sich auf – Wiesen, bis zum Horizont, ein plätschernder Bach, an dem sie entlang liefen und der ein oder andere Hase, der über die Wiesen hoppelte. Gemeinsam schlenderten sie die Wiesen entlang, liefen zwischendurch im Bach durch das Wasser und hin und wieder zeigte Luna ihm die ein oder andere besondere Pflanze. Bei manchen erwähnten Tieren hob er lediglich die Augenbrauen, da er sich nicht sicher war, ob Luna nicht das ein oder andere Wesen erfunden hatte. Vor allem bei den „Schlibbrigen Summlingern“ hatte Harry das Gefühl, dass sie ihn entweder veräppelte oder der einzige Mensch war, der an diese Wesen glaubte.

Der naheliegende Wald hob sich hoch empor und Luna führte Harry an eine Lichtung, die in den Wald hineinführte. Harry genoss es, die Zeit mit Luna zu verbringen. Sie redete nicht allzu viel, sie schien es zu spüren, dass Harry viele Gedanken im Kopf sortieren musste und sich nach dem intensiven Gespräch nicht so gerne unterhalten wollte. Der Ausflug sorgte trotzdem dafür, dass ein Lächeln in seinem Gesicht lag, er hatte selten so viel Spaß gehabt, sich so frei in angenehmer Gesellschaft bewegen zu können, ohne kritische Blicke in seinem Nacken zu spüren, ohne Angst zu haben, dass er für die Unfälle, die wohl für Menschen wie ihn ganz normal sind, bestraft werden würde.

„Es ist schön, mit jemandem spielen zu können. Es ist fast, als hätte man einen Freund.“, sprach Luna mit ihrer glockenhellen Stimme und drehte sich lächelnd zu Harry um.

„Ich… ich ..eh. Ja. Ich weiß, was du meinst.“, antwortete Harry und schlenderte neben Luna her. Seine Füße waren kühl, der Waldboden war moosig und fühlte sich wunderbar weich an seinen Fußsohlen an.

„Freunde zu haben ist eine schöne Sache.“

„Das stimmt, ja.“, murmelte Harry und blieb verwirrt stehen. „Luna, schau mal. Zwischen den Steinen ist etwas eingeklemmt, das bewegt sich.“

„Wo?“, fragte sie und sah sich um, bis sie einen kleinen Haufen Sandsteine sah, auf den Harry zeigte. Harry war derweil schon zu besagtem Steinhaufen unterwegs und kniete sich nieder. Zunächst hatte Harry von weitem gedacht, dass es sich um eine seltsame Heuschrecke handelte, aber je näher er dem Steinhaufen kam, desto verwirrter war er. Zwischen zwei Steinen war etwas eingeklemmt, das aussah wie ein grüner Zweig mit ein paar Verzweigungen, einem Blattpaar an der Spitze und… Augen? Das, was vor ihm lag, dieses seltsame Wesen wirkte geschwächt, die kleinen dunkelbraunen Augen sahen glasig aus und die Blätter hingen schlaff zur Seite.

„Was ist denn das?“, fragte er und hob den Stein hoch und legte das Wesen vorsichtig auf seine Hand. Es war nicht sehr groß, in etwa so lang wie seine gesamte Hand bis zu den Fingerspitzen, vielleicht zwanzig Zentimeter, wenn überhaupt. Luna stand hinter ihm und lachte entzückt.

„Das ist ein Bowtruckle. Sie leben in magischen Bäumen und passen auf sie auf. Er braucht wohl ein wenig Hilfe.“, sagte sie und lief weg. Harry stand verwirrt da, mit einem geschwächten Bowtruckle auf der Hand und keinem blassen Schimmer, was er tun sollte. Er nahm ein Blatt vom Boden, auf dem sich ein wenig noch ein paar Wassertropfen vom Morgentau gesammelt hatte und tropfte es an den Mund des kleinen Wesens, welches die Wassertropfen eifrig trank.

„Luna?“, rief Harry in den Wald hinein, als diese nach ein paar Minuten noch nicht zurückgekommen war. Er setzte sich hin und streichelte den Bowtruckle vorsichtig. „Ich hoffe, es geht dir bald besser. Du bist das erste magische Wesen, das ich in meinem Leben getroffen habe… ich hab keine Ahnung, was ich tun muss… Aber du musst nur noch ein bisschen durchhalten.“, flüsterte er dem kleinen Wesen zu und streichelte es sanft weiter.

„Hier, gib ihm das.“, sprach Luna unerwartet aus dem Nichts, als sie hinter ihm stand und ihn erschreckte. Harry gab zuerst einen kurzen Schrecklaut von sich, sah jedoch dann auf ihre ausgestreckte Hand. Darin lagen ein paar kleine helle Kügelchen.

„Was ist das?“

„Das sind Feeneier. Bowtruckles lieben Feeneier.“, sagte sie und hob Harry die Hand hin. Dieser nahm eines der Feeneier und hob es dem Bowtruckle an den Mund, woraufhin dieser sichtlich erfreut war und das Ei schnell in den Mund schob. Er gab ihm ein paar weitere Feeneier, bis der Bowtruckle satt war und sich langsam aufrichtete und ein paar kleine Geräusche von sich gab. Harry streichelte ihn noch einmal und sah zu Luna hoch, die ihn weiterhin mit ihrem verträumten Blick anlächelte. „Eigentlich sind sie sehr schüchterne kleine Wesen.“

Harry spürte, wie sich der Bowtruckle seine Finger mit den kleinen Zweigen, die wie Finger wirkten, griff und ihn aufmerksam ansah. Harry lächelte, ein Gefühl von Stolz und Freude entfachte sich in seiner Brust – das erste magische Geschöpf, das er kennenlernen durfte und es war nicht im Desaster geendet. Harry streichelte ihn noch einmal und setzte ihn wieder an die Eiche, von der er möglicherweise heruntergefallen war. Er verabschiedete sich und lief mit Luna den Waldweg entlang

Schweigend liefen sie nebeneinander her, genossen den kühlen Wind, der die Blätter an den Bäumen tanzen ließ und das stille Plätschern des naheliegenden Baches. Harry sah sich neugierig in dem Wald um und dachte über den Bowtruckle nach. Das war offensichtlich ein magisches Wesen, aber in diesem Wald mussten doch auch – so wie Mr. Lovegood sie nannte – Muggel spazieren gehen.

„Luna? Bowtruckles sind magisch, oder?“, fragte er nach einer Weile.

„Ja, das sind sie.“

„Und die Muggel? Hier müssen doch auch manchmal Muggel spazieren?“

„Fast niemand betritt diesen Wald, Harry. Und die Muggel werden sie nicht sehen.“

„Wieso sehen sie sie nicht?“

„Weil sie es nicht wollen, schätze ich.“, antwortete sie nachdenklich und blieb stehen. „Einhörner sehen sie ja auch nicht. Sie glauben, dass sie existieren, oder sie glauben es nicht. Aber sehen können sie sie meisten nicht.“

„Einhörner?“

„Ja, Einhörner. Davon hast du doch schonmal gehört, oder?“

„Es gibt Einhörner wirklich?“, fragte Harry erstaunt und Luna nickte.

„Ja, aber sie sind sehr scheu.“, antwortete sie und lächelte. „Aber wunderschön.“

„Hast du etwa schon einmal eins gesehen?“

„Ja, aber in diesem Wald habe ich noch keine gesehen.“

„Vielleicht sehe ich auch mal ein Einhorn.“, meinte Harry nachdenklich und zuckte mit den Schultern.

„Mein Vater meinte, dass es eine große Herde in dem Wald von Hogwarts gibt.“, antwortete Luna und sah nachdenklich in die Baumkronen, deren Lücken das Sonnenlicht vereinzelt auf den Waldboden fallen ließ. „Dort wirst du bestimmt eins sehen.“

Lange liefen sie die schmalen Pfade des Waldes entlang und Harry hatte jegliches Zeitgefühl verloren, bis Luna ihm nur ein rätselhaftes Lächeln andeutete, als sie geradeaus auf einen dunklen Pfad deutete, den sie eine Weile entlangliefen, bis es wieder heller wurde. Sie standen an einer großen Lichtung und sah Harry staunend zu einem großen Kreis aus hochkant aufgestellten Steinen der Mitte der Lichtung. Er lief zu den Steinen hin und sah sie sich genauer an. Er konnte zwölf Steine zählen und einige der Steine waren weitaus größer als er, überragten seinen Kopf um ein ganzes Stück und waren an einigen Stellen mit Moosen und Efeu überwachsen. Allerlei Blumen blühten, die er nicht kannte und verströmten einen leichten Duft. Harry lief zur Mitte des Kreises und hatte das Gefühl, als würde die Zeit still stehen – die Geräusche des Waldes ebbten ab, das Vogelgezwitscher verstummte und es lag etwas in der Luft, das sich Harry nicht erklären konnte. Es war, als würde die Luft von etwas erfüllt werden, das er nicht benennen konnte, aber es kribbelte ihm im Nacken, kitzelte die Spitzen seiner Ohren. Er sich sah im Kreis herum um und ließ den Blick über die Steine wandern. Er lief zu einem der Steine hin und sah ihn sich genauer an. Als er ein paar der Efeuranken zur Seite schob, erkannte er eingemeißelte Zeichen und fuhr sie mit seinem Finger nach. Ein sanftes Kribbeln durchfuhr seine Finger, durchfuhr seinen Arm und breitete sich in seinem Körper bis zu seinen Haarspritzen aus. Er atmete überrascht ein und zog seine Hand wieder zurück. Das Gefühl, das sich in ihm ausbreitet hatte, ebbte nicht ab, es war, als würde es bis in sein Innerstes vordringen und dort wie ein Balsam über die Risse legen und die leeren Stellen auffüllen, die er abends so unzählige Male fühlte, wenn die große Traurigkeit ihn eingeholt hatte. Einen kurzen Moment später hatte er das Gefühl wieder im Hier und Jetzt zu sein, das Zwitschern der Vögel durchdrang die Luft, das Klopfen der Spechte hallte im Wald wider und das Rauschen des Windes ließ die Blätter in den Kronen des Waldes weitertanzen. Langsam atmete Harry ein und aus, sah auf seine Hände, blickte auf den Stein, blickte wieder zu seinen Händen und schloss sie zu einer lockeren Faust, nur um sie wieder zu öffnen und festzustellen, dass sich optisch nichts verändert hatte – lediglich das schöne Gefühl war geblieben.

Er drehte sich zu Luna um, die außerhalb des Kreises stand und ihn aus ihren großen Augen beinahe starrend ansah. Nach wenigen Augenblicke lächelte sie und trat ebenfalls in den Steinkreis herein.

„Du hast es auch gespürt.“

„Ja,… Was… was ist das hier?“, fragte Harry.

„Ein Steinkreis. Das waren heilige Plätze von den Druiden.“

„Und diese Schriftzeichen?“

„Das sind Runen. Das ist wie… eine alte Schrift. Nur dass Runen auch gleichzeitig Zeichen sind, mit denen Magie praktiziert wurde.“

„Es ist schön hier. Und… ruhig.“, meinte Harry und setzte sich auf den Boden.

„Ich habe diesen Platz hier vor ein paar Monaten gefunden. Wenn ich traurig bin, komme ich hier her.“, sagte Luna und wurde zum Ende hin ein wenig leiser. Harry nickte und spielte mit einem kleinen Stein in seiner Hand, rollte ihn zwischen den Fingern und ließ ihn von einer Hand in die andere rollen.

„Es tut mir leid für dich. Die Sache…“, sprach er nach einer Weile und sah zu Luna herüber.

„Du kannst es ruhig aussprechen, Harry.“, meinte Luna und lächelte leicht. „Meine Mutter war eine tolle Frau. Und eine intelligente Hexe, sie hat mir so viel erzählt und gezeigt… Aber sie hat auch viel experimentiert und eines ihrer Experimente ist schief gelaufen und der Zauber ging nach hinten los. Es war nicht schön.“, sprach sie und seufzte.

„Meine Mutter hat in ihrem Brief auch geschrieben, dass Pandora eine tolle Frau war und ihre beste Freundin. Aber sie haben die Freundschaft geheim gehalten.“

„Ja, meine Mutter hat manchmal von Lily Potter erzählt, aber nicht viel.“

„Weißt du, warum sie ihre Freundschaft geheim gehalten haben?“, fragte Harry, doch Luna schüttelte den Kopf.

„Du kannst meinen Vater nachher fragen.“, schlug sie vor und blickte an Harry vorbei. Sie lächelte, stand auf und lief an Harry vorbei. Harry sah ihr stirnrunzelnd nach und sah ihr zu, wie sie an einer Hecke herumzupfte. Sie drehte sich nach einer Weile wieder zu ihm um und lief mit ihren Händen, die sie wie eine Schale hielt, voller Beeren wieder zu ihm.

„Himbeeren.“, meinte Luna und hielt Harry die Hand hin. „Probier mal.“

„Danke.“, sagte Harry und hielt die Hand auf. Sie ließ ihm die Hälfte der Himbeeren in die Hand rollen und setzte sich neben ihn. Harry probierte die erste Himbeere und schloss genüsslich die Augen. Es schmeckte herrlich – ein wenig süß, ein wenig säuerlich. Harry genoss jede einzelne Himbeere, als wäre sie die erste und letzte, die er essen würde. Tatsächlich konnte sich Harry nicht an das letzte Mal erinnern, als er Himbeeren gegessen hatte. Mrs. Figg hatte ihm als kleines Kind mal welche gegeben, daran konnte er sich noch wage erinnern, aber bei den Dursleys hatte er solche teuren Früchte nicht bekommen. Petunia überließ ihm häufig die Äpfel und Birnen, die keiner mehr wollte, weil sie schon schrumpelig waren oder braune Stellen gehabt hatten, manchmal konnte er sich auch die Frischen nehmen, wenn keiner hinsah, aber die teureren Früchte, die waren ihm verwehrt geblieben – nicht, dass er danach gefragt hätte, denn das war nicht nötig gewesen. Dudley aß in der Regel kein Obst; ab dem Zeitpunkt, wo dieser jedoch herausgefunden hatte, dass Harry es gerne aß, hatte er es auch gegessen. Nicht, weil es ihm sonderlich schmeckte, sondern aus dem einfachen Grund, dass Harry es nicht bekam. Er hatte irgendwann nur noch mit den Schultern gezuckt; immerhin hatte Dudley sich ab dem Zeitpunkt auch mal etwas Gesundes zugeführt. Er war sich zwischendurch sicher gewesen, wenn Dudley geblutet hätte, wären in seinen Adern bestimmt Zuckersirup geflossen.

Gemeinsam saßen sie noch eine Weile im Steinkreis, bis sie merkten, wie es im Wald langsam kühler wurde und die Sonnenstrahlen den Waldboden nicht mehr erreichten. Sie machten sich auf den Weg zurück, Harry blickte noch einmal zu dem Steinkreis und lief anschließend Luna hinterher, die schon weitergelaufen war. Schweigend liefen sie den Pfad zurück durch den Wald und Harry hatte das Gefühl, dass mit jedem Schritt, den sie sich von der Lichtung entfernten, der Wald hinter ihm dunkler wurde.

Sie folgten dem sich durch den Wald schlängelnden Weg, bis sie wieder das Rauschen des Baches hörten, was Harry ein wenig beruhigte, denn das würde bedeuteten, dass sie sich nicht verlaufen hatten. Nach einer Weile merkte er, wie etwas an seinem Hosenbein zupfte, woraufhin er an sich hinabblickte und sah, dass der Bowtruckle ihnen wohl gefolgt sein musste und sich nun an sein Hosenbein geklammert hatte. Er gab ein paar lautere Geräusche von sich, die Harry noch bei keinem Tier gehört hatte, das ihm je begegnet war. Er war fasziniert. Harry blieb stehen und das kleine Wesen kletterte an ihm empor und setzte sich auf seine Schulter, die kleinen Zweige, die wohl ein Arm des Wesens waren, in seinen Haaren vergraben, um sich festzuhalten. Harry lachte. Und er freute sich, dass er vielleicht sogar einen neuen Freund gefunden hatte. Luna sah ihn mit einem durchdringenden Blick an und lächelte leicht. Gemeinsam machte er sich mit Luna weiter auf den Weg zurück zu ihrem Zuhause, denn anhand der Sonne konnten sie sehen, dass es sehr bald Zeit für das Abendessen war. Harry war erstaunt, wie die Stunden verflogen waren und wie viel Spaß er in dieser Zeit gehabt hatte.

„Meinst du, dein Vater erlaubt es, dass ich den Bowtruckle mitbringe?“, fragte Harry vorsichtig.

„Natürlich. Mein Vater ist immer begeistert von magischen Wesen, vor allem von den Schrumpfhörnigen Schnarchkacklern.“, erwiderte sie.

„Okay.“, entgegnete Harry und balancierte auf einem umgefallenen Baumstamm entlang. „Weiß eigentlich jemand von diesem Steinkreis?“

„Das weiß ich nicht. Mein Vater kennt ihn nicht.“, entgegnete Luna.

„Warum kennt er ihn nicht?“

„Ich habe ihn ihm nicht gezeigt. Mein Gefühl hat mir gesagt, dass ich es keinem zeigen sollte. Bis heute.“

„Was ist anders heute?“

„Du bist da.“

„Hm.“

„Es war auch die richtige Entscheidung.“

„Warum?“

„Du hast es auch gespürt.“, meinte sie kurzangebunden und sah zu Harry. Dieser nickte wortlos und folgte ihr die letzte Abzweigung des kleinen Waldweges, der sie wieder zum Rande des Waldes führte. Luna faszinierte ihn. Er konnte nur nicht erklären, warum. Harry hatte das Gefühl, dass Luna mehr wusste, als sie preisgab. Oder aber sie wusste es nicht und war einfach so, wie sie war. Oder sie war seltsam. Vielleicht war es aber auch gar nicht wichtig, was oder warum sie so war, wie sie war. Viel dankbarer war er schlichtweg dafür, dass sie ihm das Gefühl gab, normal zu sein und kein Freak.

„Danke für den Tag.“, sagte Harry nach einer ganzen Weile, als sie über die Wiesen zurück in den Garten der Lovegoods liefen.

„Es war schön.“, entgegnete Luna und lief ins Haus, um ihren Vater zu rufen. Dieser hatte bereits den Tisch gedeckt, schickte die Zwei zum Händewaschen und gemeinsam begannen sie zu essen.

„Hattet ihr einen schönen Tag?“, fragte Lunas Vater, nachdem sie gegessen und den Tisch abgeräumt hatten.

„Ja, Sir.“, antwortete Harry und nickte bestätigend mit dem Kopf.

„Ihr wart nicht zu tief im Wald, oder?“

„Wir waren immer auf dem richtigen Weg.“, antwortete Luna und sah ihrem Vater lächelnd entgegen.

„Das ist gut. Harry, es gäbe noch ein zwei Dinge, die ich dir gerne erzählen würde.“, meinte Mr. Lovegood, als er alles in den Schränken verräumt hatte.

„Gerne.“, antwortete Harry und setzte sich wieder an den Tisch. Luna hatte sich unterdessen an den Schreibtisch gesetzt und zeichnete mit einer Feder ein wenig auf einem Pergament herum. Mr. Lovegood setzte einen Wasserkessel auf das Feuer und ließ drei Tassen auf den Tisch schweben.

„Deine Mutter Lily hat dir in ihrem Brief geschrieben, wie ich dir gestern Abend schon in Ansätzen erklärt habe, dass wir mit dir die ersten Schritte klären sollen, wenn du unsere Welt kennenlernst.“, begann der Blonde und Harry nickte. Er legte holte den Brief aus der Schublade seines Schreibtisches und legte ihn vor sich auf den Tisch, während seine Augen erneut über die geschriebenen Zeilen glitt.

„Nun…“, fuhr er fort. „Es ist so, dass meine Frau Pandora ebenfalls Elfenblut in ihrer Linie hatte, sie hatte ebenfalls die spitzen Elfenohren wie du, doch sie hat sie häufig mit ihren Haaren oder einem Zauber verdeckt, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie hatte ein großes Talent dafür, mit ihrer bezaubernden Art die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“ Mr. Lovegoods Blick driftete für einen Moment ab und er blickte in die Luft, schüttelte jedoch kurz darauf leicht den Kopf und sah wieder zu Harry. „Es gibt, nach unserem Wissen, nur drei Familien hier in Großbritannien, bei denen offensichtlich Elfenblut vorhanden ist, neben den Blutslinien von Lily und Pandora lediglich noch bei einer irischen Familie, die sich aber bedeckt hält. Deswegen wissen wir auch noch nicht, wie es sich bei Luna zeigen wird. Nächstes Jahr werden wir es wissen. Man munkelt, dass bei den Longbottoms ebenfalls Elfenblut in die Linie kam, aber wenn, dann ist es bereits sehr… verdünnt, wenn man so sagen kann. Aber es wirkt mit, ob man es äußerlich sieht oder nicht – es wird Merkmale geben, die darauf schließen können. Wie dem auch sei.  Lily und Pandora verband eine besondere Freundschaft, die sich beide nicht so recht erklären konnten, bis Pandora eines Tages spürte, dass sich bei Lily etwas… Unterdrücktes regen wollte, aber nicht herauskommen konnte.“

„Wie… meinen Sie das?“, fragte Harry vorsichtig.

„Du musst wissen, dass Pandora Dinge gesehen hat, die viele nicht sehen konnten. Und sie hat Dinge gespürt, die viele nicht gespürt haben, sie war wirklich… außergewöhnlich. Sie hat mir oft erzählt, dass sie das Gefühl hatte, dass bei Lily etwas nicht stimmte, stell es dir vor wie ein Korken in der Flasche. Es war… verstopft. In ihrem Magiefluss war, trotz ihres herausragenden Talents, etwas verstopft. Pandora konnte aber nicht erkennen, was es war, was sie jedoch sehen konnte war, dass sich für Lily sehr dunkle Zeiten offenbarten… sie nannte es die ‚Stürmischen Wolken die das Licht in Lilys Leben verdecken werden‘. Sie hat deiner Mutter ihre Sorgen offenbart und ihr auch mitgeteilt, dass Vertraute zu Verrätern werden und verdächtigte Verräter die einzige Hilfe sein werden. Die dunklen Wolken würden sich verdichten, doch alte Wolken würden sich auch im Regen reinwaschen. Um was es sich dabei genau handelte, das weiß ich nicht, da meine Frau kein klares Bild oder Namen erkennen konnte. Lily nahm Pandora Worte ernst und wollte daraufhin ihre Testamente überarbeiten, hat dies jedoch ohne das Wissen deines Vaters gemacht, da er Pandora nicht glauben konnte – schließlich waren seine Freunde von ihren Visionen potentiell betroffen. Nicht, dass er Pandora nicht mochte, er konnte… ihre Gaben nicht ganz sehen.“

„Und dann?“, fragte Harry vorsichtig nach.

„Pandora hat mir erzählt, dass Lily zu Gringotts gegangen ist und dort Ungereimtheiten aufgedeckt wurden, die so weit geklärt werden konnten, dass am Ende die Erkenntnis im Raum stand, dass Lily Potter keine geborene Evans war, sondern von einer Familie abstammte, in deren Linie ebenfalls Elfenblut floss. Sie hatte ihre Testamente geändert, da sie als Mutter das Recht hatte, über den Verbleib des Kindes zu entscheiden und … jetzt bist du hier. Sie schrieb in ihrem Brief, dass du zuerst zu uns kommen solltest, wenn der Tag kommen sollte, da sie nicht wusste, ob zu diesem Zeitpunkt die Person, die dein Pate sein würde, noch lebte oder zugänglich war – mehr hatte sie nicht offenbart. Pandora bot ihr an, dass wir dich im Notfall komplett aufnehmen würden, doch Luna war bereits unterwegs und Lily wollte ihr keine zusätzliche Belastung zumuten… Sie war eine sehr bedachte und herzliche Frau, deine Mutter.“, sprach er weiter und sah Harry mit einem weichen, wenn auch durchdringenden Blick an. „Wir wissen nicht, was kommt, aber für den Fall, sei dir gewiss, dass du hier in diesem Haus willkommen bist, Harry.“

„Das sind… viele Informationen, Sir. Aber danke für Ihre Gastfreundschaft.“, antwortete Harry und knetete seine Hände. „Warum wusste niemand, dass Ihre Frau und meine Mutter befreundet waren?“

„Lily wusste, dass sie und James während des Krieges im Visier von ihm waren, weshalb sie sich auch versteckten und die Freundschaft weiterhin geheim hielten, sodass sie kein Augenmerk auf uns richtete, um uns und Lunas Zukunft zu schützen. Sie haben ihre Freundschaft auch erst nach Hogwarts so richtig aufgebaut, da Pandora zwei Jahrgänge über deinen Eltern war und Hogwarts bereits verlassen hatte, als deine Eltern im sechsten Jahr waren. Von daher wusste von vorne herein keiner von der Freundschaft.“, entgegnete Mr. Lovegood und drehte seine Teetasse zwischen den Händen.

„Das ist wirklich viel zum drüber nachdenken.“, meinte Harry nach einer Weile und trank seine Tasse Tee leer. „Danke für die Informationen.“

„Leider kann ich dir nicht mehr Informationen geben… Das war alles, was ich von Pandora wusste. Lilys Tod hat sie schwer getroffen, sie hat sehr lange getrauert.“

„Es ist… schön zu wissen, dass Ihre Frau so eine gute Freundin war.“, sprach Harry und zögerte. „Ist… Ist es okay, wenn ich ins Bett gehe?“

„Absolut. Ruh‘ dich aus. Gute Nacht, Harry.“, meinte Mr. Lovegood und räumte die Teetassen auf.

„Gute Nacht, Harry.“, rief Luna hinterher, als Harry nach einem „Gute Nacht.“, die Treppen zum Badezimmer hochstieg. Er wusch sich gründlich, putzte seine Zähne und zog sich die bereitgelegte Schlafkleidung an. Er öffnete eines der Fenster, schlüpfte unter die Bettdecke und setzte den Bowtruckle auf sein Kissen. Der Bowtruckle sah ihn aus seinen kleinen, schwarzen Augen neugierig an und legte sich nach einer Weile in eine Falte auf dem Kissen hinein.

Gedanken flogen in Harrys Kopf hin und her, drehten sich im Kreis, überschlugen sich mehrfach – und es fügte sich kein stimmiges Bild zusammen. Auf der einen Seite ergab alles Sinn – er hatte einen Paten, der möglicherweise nicht wusste, dass er Pate war, sonst hätte er ihn möglicherweise ja schon zu sich geholt und er hätte theoretisch auch zu den Lovegoods gehen können, die seine Mutter jedoch nicht mit mehr Verantwortung belasten wollte, wenn sie eben selbst ihr erstes Kind erwarteten. Auch wenn seine Mutter in ihren Entscheidungen für alle das Beste wollte, so kam er sich dennoch wieder ein wenig wie Ballast vor, der irgendwie untergebracht werden musste, ohne andere zu belasten oder in die Bredouille zu bringen. Harry seufzte leise. Konnten manche Dinge nicht einfach… einfacher sein? Es würde sich noch alles klären – dessen war er sich sicher. Er hatte so lange warten können, dann würde er es jetzt auch noch aushalten, bis sich dieses Geheimnis, oder zumindest diese Unklarheit, lösen würde.
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