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L'histoire d'un elfe, c'est...

Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Freundschaft / P16 / MaleSlash
Anthony Goldstein Harry Potter Hermine Granger Luna Lovegood OC (Own Character) Remus "Moony" Lupin
29.07.2022
21.09.2023
36
318.520
31
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29.07.2022 5.523
 
Disclaimer: Diese FanFiktion dient lediglich zur Unterhaltung und wird von meiner Seite aus nicht monetarisiert. Die Rechte aller bekannten Charaktere, Orte und Handlungen obliegen JKR.


~oOo~



Es war ein ruhiger Nachmittag an einem sonnigen Dienstag in Little Whinging, Surrey, die Sonne stand hoch am Himmel und ein leichter Wind war das Einzige, was die Hitze erträglicher machte. Im Garten des Privet Drive 4 saß ein zehnjähriger Junge mit schwarzen unbändigen Haaren, blasser Haut und grünen Augen, die von einer krummen Brille verdeckt waren, und jätete in der prallen Sonne das Unkraut zwischen den Rosenbeeten. Die feinen Hände zupften vorsichtig die kleinen Pflanzen zwischen den dornigen Ästen heraus, vereinzelte Kratzer und Stiche der Dornen hoben sich deutlich von der blassen Haut ab. Der Junge wischte sich den Schweiß von der Stirn, was zur Folge hatte, dass die Erde an seinen Händen sich über sein Gesicht verteilte. Er seufzte, kratzte sich hinter den Ohren und schüttelte den Kopf, während er sich weiter seiner Arbeit widmete, wohlwissend, dass sich langsam ein Sonnenbrand im Nacken ankündigte.

Harry Potter hatte früh seine Eltern verloren und lebte im Haus der Dursleys, seine Tante und sein Onkel hatten ihn aufgenommen, als er gerade mal ein Jahr alt war. Wie er seine Eltern verloren hatte, konnte er nicht genau sagen, da er seiner Tante, die stets darauf beharrte, dass seine Eltern alkoholabhängige Versager waren und bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, nicht glauben konnte. Oder wollte. Laut ihr sei er deshalb sei er eines Abends an Halloween vor ihrer Haustür abgelegt worden. Das war der Anfang und gleichzeitig das Ende seiner Geschichte – denn es ereignete sich nicht viel in seinem Leben, was er gerne erzählen würde.

Harry war ein weitestgehend unscheinbarer Junge, das optisch Auffälligste an ihm war eine blitzförmige Narbe auf der Stirn und die strahlenden grünen Augen. Er fiel auch nicht durch sein Verhalten auf – wenn man davon absah, dass um den Jungen herum manchmal Dinge passierten, für die er keine Erklärung hatte. Er fragte sich oft, warum ihm Dinge passierten, die anderen Kindern nicht passierten – vor allem, weil das Ergebnis immer die gleichen Folgen mit sich brachte: Ärger. Es war nicht von Belangen, was genau passierte; es war egal, ob nach einem misslungenen Haarschnitt durch seine Tante Petunia seine Haare nach einer Nacht wieder aussahen, wie am Tag zuvor, oder ob er nach einer Hetzjagd, angeführt von seinem Cousin Dudley und dessen Freunden, auf dem Schulhof während der Pause plötzlich auf dem Schuldach landete. Es war auch egal, ob es etwas Schönes passierte, wie die plötzliche Blütenpracht der Rosen und Petunien seiner Tante im Vorgarten, nachdem Harry diese gepflegt und versorgt hatte. Man könnte sich vorstellen, oder Harry würde es sich zumindest wünschen, dass nur durch die Pflege und die Liebe, die Harry den Pflanzen entgegenbrachte, eine solches Blütenmeer ein wenig Dankbarkeit oder positive Anerkennung bei seinen Verwandten zur Folge haben könnte. Die Bewunderung seitens der Nachbarn hatte jedoch lediglich zur Folge, dass Petunia auf deren eifrige Nachfragen nur auf spezielle und teure Dünger aus dem Ausland verwies und Harry ohne Abendessen in seinem Schrank unter der Treppe zum Zimmerarrest verdonnert wurde – sofern man diesen kleinen Schrank Zimmer nennen konnte. Manchmal fragte er sich, was er anderen Menschen getan hatte, dass er so behandelt wurde. Manchmal fragte er sich, ob er vielleicht in einem früheren Leben ein böser Mensch war, der jetzt deswegen schlecht behandelt wurde und entsprechend bestraft werden musste. Dudley war kein liebes Kind, aber er wurde doch auch von seinen Eltern geliebt, ja stets in den Himmel gehoben. Zumindest sinnbildlich, denn für sein Alter war der durch die Eltern verwöhnte Junge doch recht dick, wie Harry fand, und konnte nicht hochgehoben werden.

Seine Verwandten machten es ihm immer und immer wieder deutlich, dass das, was Harry passierte, jegliche Missgeschicke und Unfälle, nicht normal war. Er war nicht normal. Und die Dursleys verabscheuten alles, was nicht normal war, weshalb sie ihm vorwarfen, all dies zu provozieren, aus Undankbarkeit und Aufmüpfigkeit. Alles, was nicht einem normalen, geregelten und von der Gesellschaft anerkannten Ablauf und Erscheinen, ja allein einem normalen Sein an sich selbst, entsprach, war verabscheuenswürdig und wurde abgelehnt. Das hatte eben auch zur Folge, dass Harry als abnormal, als Freak, als missratene Willkür der Natur abgelehnt wurde – und das wurde ihm tagtäglich vor Augen geführt. Harry hörte selten seinen richtigen Namen; als „Junge“ wurde er stets von seiner Tante Petunia angesprochen, „Freak“ war das Standartwort seines Onkels Vernon und ein breites Repertoire an Schimpfworten waren die Ansprachen durch seinen gleichaltrigen Cousins Dudley.

Harry stand kurz auf, um sich zu strecken, denn seine Knie und sein Rücken begannen durch die krumme Arbeitshaltung zu schmerzen. Die Sonne kitzelte seinen bereits geröteten Nacken, der leichte Wind hatte sich gelegt, die Luft stand still. Fröhliches Lachen von kleinen Kindern drang an seine Ohren, ein freudiges Quietschen gefolgt von einem warmen Lachen eines Mannes. Er drehte sich um und blickte über den Zaun zu den Nachbarn, die mit ihren Kindern im Garten spielten, gemeinsam lachten und Eis aßen. Die Mutter der Kinder sah zu Harry herüber und winkte ihm freundlich. Er seufzte mit einem müden lächeln und winkte kurz zurück. Er hätte auch gerne ein Eis. Vielleicht hätte er aber noch viel lieber jemanden, der ihn auch einmal in den Arm nimmt, dachte sich Harry, als er sah, wie die Nachbarsfrau ihre zwei Kinder in den Arm nahm, während der Ehemann das dritte Kind auf dem Arm mit seinem Eis fütterte.

Aber es würde ihm auch durchaus jemand genügen, mit dem er spielen könnte, der mit ihm lachte und mit ihm Abenteuer erlebte. Genau so wie die Kinder es in der Schule nach dem Wochenende immer erzählten, wenn sie von ihren Erlebnissen mit ihren Familien berichteten. Harry hatte irgendwann angefangen nur noch die Schultern zu zucken und zu erzählen, wie er im Garten gespielt hat. Zu Beginn erschien ihm das weitestgehend sicher, doch er merkte bald, dass seine Lehrerin ihm bei seinen Erzählungen stets fragende und kritische Blicke zuwarf. Er wollte nicht, dass sie mehr wusste. Denn Harry wusste, dass selbst wenn er seiner Lehrerin etwas erzählen würde, dann würde nicht viel passieren; außer, dass er wieder Ärger bekam. Einmal hatte er seine Lehrerin angesprochen, dass er Schmerzen in der Schulter hatte, nachdem Dudley ihn zuhause die Treppe runtergestoßen hatte, woraufhin diese Kontakt mit seinen Verwandten aufgenommen hatte. Als Spielunfall hatten sie es deklariert, welcher vom Arzt bereits untersucht wurde. Und die Lehrer glaubten es, denn Dudley war stets gut gekleidet, war offensichtlich ‚gut‘ genährt und die regelmäßige Mitarbeit von Petunia bei Veranstaltungen und Festivitäten durch den Elternbeirat ließen die Dursleys stets im besten Licht erscheinen. Die perfekte kleine Familie. Eine treue, fleißige Hausfrau und der erfolgreiche Gatte mit einem durchschnittlichen Kind. Niemand stellte Fragen und manchmal hatte Harry das Gefühl, dass sie auch gar keine Fragen stellen wollten. Doch er beschwerte sich nicht. Er hatte ja auch niemanden, dem er etwas erzählen könnte. Seine Unfälle, die seltsamen Vorkommnisse und die Tatsache, dass Dudley mit seinen rüpelhaften Freunden dafür sorgte, dass die anderen Kinder Abstand zu Harry hielten, all das hatte zur Folge, dass er selbst noch nie wirklich Freunde gehabt hatte.

Und so lebte der Junge vor sich hin, hatte sich mit der Gesellschaft der Blumen und Bäume im Garten, auf den Wiesen und im Wald angefreundet, hatte sich mit ihnen vertraut gemacht und gab sich mit deren Kameradschaft zufrieden. Er erkannte für sich, dass diese Gesellschaft schön war. Sie war unkompliziert, er musste nicht viel reden und sie verletzten ihn in erster Linie nicht, wenn er sich nicht komplett doof anstellte oder eben wie beim Unkrautjäten die Hände zwischen den Rosendornen manövrieren musste. Warum er überhaupt das Unkraut in den Rosenbeeten so penibel jäten sollte, war ihm ein Rätsel, denn den größten Teil davon sah man überhaupt nicht.

Doch diesen Fakt konnte er nicht diskutieren, Tante Petunia würde seine Arbeit am Ende kontrollieren und wenn etwas nicht passen würde, würde Onkel Vernon ihn wieder an den Haaren in seinen Schrank ziehen oder so grob am Arm packen, dass dieser wieder ganz blau werden würde. Doch eines war sich der Junge sicher – er würde nicht aufgeben. Diesen Gefallen, diese Bestätigung seiner ‚Andersartigkeit‘ und seiner damit verbundenen Niederlage gegenüber seinen Verwandten, das würde er ihnen nicht gönnen. Harry hatte vielleicht aus einer erwachseneren Sicht das Konzept von Stolz und Durchhaltevermögen noch nicht ganz begriffen und von einem gesunden Selbstbewusstsein war er noch weit entfernt, aber der Junge wusste, dass aufgeben für ihn keine Option war. Er war vielleicht nicht sonderlich mutig, aber er war stark, das wusste er. Körperlich war er Dudley und seinen Mitschülern unterlegen, aber sein Herz war groß und sein Verstand messerscharf – dessen war er sich sicher. Und dieser Gedanke gab ihm die Kraft, das durchzustehen, was er seinen persönlichen Alptraum nannte.

Manchmal, wenn er abends im Bett lag und seine Gedanken sich im Kreis drehten, über die endlosen Möglich und Versuche ein „Wieso?“, „Weshalb?“ und ein „Warum?“ zu erklären, merkte er, wie sich eine unsichtbare, schwere Decke über ihn legte und er sich ganz klein und im Dunkeln ganz einsam fühlte. Er konnte es nicht wirklich beschreiben, doch in seinen Worten hatte er dieses Gefühl die große Traurigkeit genannt. Aber immer dann, wenn er das Gefühl hatte, dass die Traurigkeit vielleicht größer würde, hatte er auch das Gefühl, dass etwas in seiner Brust warm wurde – eine Vorstellung, dass es besser werden würde. Die Vorstellung von Freude, Spaß und Heiterkeit. Es fühlte sich an, wie ein Licht, welches sich in ihm ausbreitete und die große Traurigkeit verdrängte.

Harry seufzte noch einmal, atmete tief ein und aus und drehte sich um, um an den Rosenbeeten weiterzuarbeiten, als er Dudleys fieses Lachen hörte, während dieser sich ihm näherte. Doch Harry erkannte, dass zur Abwechslung nicht er das Objekt der Drangsale seines Cousins sein würde, es schien, als würde er etwas Kleinem hinterherrennen. Harry schlich sich zwischen den Hecken umher und konnte auf dem, laut Vernon zur Perfektion, frisch gemähten Rasen erkennen, dass Dudley einer kleinen Schlange hinterherrannte.

„Komm her, du hässliches Biest!“, rief der Junge der Schlange hinterher, der er dicht auf dem Fersen war. Harry sah, dass es eine kleine Ringelnatter war, die sich wohl in den Garten der Dursleys verirrt hatte. Sie musste sich verirrt haben, denn kein wildes Tier kam freiwillig in den Garten der Dursleys, wenn es sich nicht einem sicheren Tod durch Pestizide, Fallen oder Dudley entgegentreten wollte. Und Harry war sich sicher, dass die Ringelnatter aus dem Garten von Mrs. Figg, der lieben, aber manchmal seltsamen, älteren Dame aus dem Nachbarhaus, stammen musste. Diese hatte einen etwas wilderen Hintergarten mit höherem Rasen, mehr Büschen und einem kleinen Teich, was häufig kleinere Amphibien und Schlangen anlockte. Da Harry regelmäßig Zeit bei Mrs. Figg verbrachte, wenn die Dursleys wie so oft ihre Familienausflüge unternahmen, konnte er stets in ihrem Garten beobachten, welche Tiere und Pflanzen sich dort ansammelten. Vorausgesetzt, sie versteckten sich nicht vor den unzähligen Katzen, die bei Mrs. Figg lebten. Aber die Frau war nett, wie Harry fand. Sie erzählte ihm viele abenteuerliche Geschichten, von Drachen und Kobolden, von wilden Tieren und mutigen Helden. Und er bekam bei ihr immer etwas zu essen, ohne Angst zu haben, dass Dudley ihm das Essen wegnehmen würde. Bei den Dursleys war das nicht so. Selten durfte er mit an den Tisch dazusitzen, meist wartete er, bis alle fertig waren mit dem Essen und aß dann die Reste, die im Topf noch für ihn übrig gelassen wurden.

Harry reckte den Hals hoch und riss die Augen auf, als Dudley mit seinem Fuß nach der Schlange trat, gewillt dieser den letzten Lebensfunken auszumerzen. Mit einem dreckigen Lachen zog er den Fuß hoch und stampfte ihn mit voller Gewalt runter, als Harry aus der Hecke heraussprang und mit ausgestreckter Hand „Nein!“ rief.

Wie in Zeitlupe sah Harry, wie Dudleys Bewegung einfror, sich eine Eisschicht über dessen Bein zog und gänzlich in eine dicke Schicht aus Eis einhüllte, was zur Folge hatte, dass er zur Seite einknickte und umfiel. Harry sah die Ringelnatter auf ihn zukommen. Sie richtete sich leicht auf und sah ihn mit ihren Augen an, der goldbraune Ring um die Pupille leuchtend, die Schuppen im Sonnenlicht schimmernd.

Dankesssehr.“, hisste die Schlange und Harry riss die Augen auf.

„Gerne doch.“, antwortete er und lächelte schwach. Die Ringelnatter senkte den Kopf, Harry hatte beinahe das Gefühl, die Schlange würde sich vor ihm respektvoll verneigen, drehte sich um und schlängelte in Richtung des Gartens von Mrs. Figg.

Von dem kurzen Zwischenfall mit der Schlange abgelenkt bekam Harry nicht mit, wie Dudley auf dem Boden lag und schrie, während er mit den Händen auf sein eingefrorenes Bein einschlug, ein verzweifelte Versuch, das Eis wegzuhauen. Harry schmunzelte, obgleich ihm bewusst war, dass das, was folgen würde, das Schmunzeln von seinem Gesicht verschwinden lassen würde, wie Regen es mit dem Staub auf den Straßen tat. Petunia und Vernon sahen das Schauspiel aus dem Küchenfenster, alarmiert durch Dudleys Geschrei und eilten in den Garten, Petunia mit einem panischen Gesichtsausdruck und Vernon mit einem puterroten Kopf, der jeden Moment zu platzen drohte – Harry dachte kurz daran, was wohl passieren würde, wenn jemand mit einer Nadel an Vernons Wange ein wenig Druck ausüben würde. Doch, bevor sich Harry umdrehen konnte, stand er schon vor seinem Onkel, welcher ihn an den Haaren packte und ins Haus zog.

Ungeachtet der schmerzfüllten Geräusche, die Harry entwichen, zog sein Onkel ihn in den Hausflur und begann ihn anzuschreien. Der Wortschwall schien kaum mehr aufzuhören, er schrie ihn unentwegt an, Speicheltröpfchen flogen in Harrys Richtung, der Junge versuchte auszuweichen, doch Vernon hielt ihn nach wie vor fest gepackt.  Mit einem letzten „Freak!“, einer Drohung, ihn auf die Straße zu setzen und der Ankündigung eines Abends ohne Abendessen schmiss er Harry regelrecht in den Schrank unter der Treppe, wobei dieser sich am Türrahmen den Kopf stieß und mit seiner Schulter an das Regalbrett knallte, dessen Kante sich schmerzhaft in sein Schulterblatt bohrte. Er schloss schmerzerfüllt die Augen und jaulte auf, während der sich auf seiner Matratze zusammenrollte, die Hände auf die Schulter und seinem Kopf gedrückt, in der Hoffnung, die Schmerzen wegdrücken zu können. Harry hörte, wie die Tür zum Schrank unter der Treppe zugeknallt wurde.

„Wag‘ es dich nicht, nur einen einzigen Laut von dir zu geben!“, spie Vernon ihm durch die Luftschlitze in der Tür entgegen, schloss die Tür mit dem Riegel von außen ab und nahm es sich nicht, noch einmal kräftig auf die Tür zu schlagen.



Harry lag mit Schmerzen in der Schulter, einem trockenen Hals und einem grummelnden Magen in seinem Bett, das Pochen in seinem Kopf hatte abgenommen, doch seine Schulter schmerzte nach wie vor. Er war jedoch froh, dass sie mit größter Wahrscheinlichkeit nur geprellt war, er konnte jedoch ohne Spiegel nichts Genaueres feststellen. Er seufzte. Wie lange er schon hier lag, wusste er nicht – oder er konnte es nicht einschätzen, denn sein Zeitgefühl war weitestgehend verloren gegangen zwischen den Schmerzen in der Schulter und dem sich anbahnenden Hunger.

Es war wieder passiert, ohne dass er jemandem etwas Schlechtes wollte. Harry wollte Dudley nicht verletzten, er hatte doch nicht einmal geplant, dass sein Bein plötzlich einfrieren würde. Er wusste ja nicht einmal, wie das überhaupt funktionieren sollte. Aber genau das waren die Momente, in denen er den Dursleys wohl oder übel bewies, dass er möglicherweise doch ein Freak war, auch wenn er ihnen nicht zustimmen wollte. Ein paar wenige heiße Tränen bahnten sich ihren Weg über seine Wangen, die stete Erkenntnis, dass sie ihn nie lieben würden, brannte wie Feuer. Der Schwarzhaarige wischte sich mit dem schäbigen Saum seines dünnen, abgetragenen Hemdes die Tränen aus dem Gesicht und legte sich hin. Und dann war da noch die Sache mit der Schlange…

Nach einigen Minuten kam der Punkt, an dem ihn die Müdigkeit zu überrennen drohte. Von den Geräuschen der Bewohner des Hauses konnte Harry in etwa ableiten, dass es wohl schon spät sein musste, denn seine Verwandten waren schon seit geraumer Zeit hoch ins Schlafzimmer gegangen. Die Ruhe im Haus ermöglichte jedoch Harry nicht die Ruhe in seinem Gedankenwirrwarr zu finden. Sein Herz schlug ruhig und gleichmäßig, doch seine Gedanken schienen wie Funken wild durcheinanderzufliegen.

Er richtete sich leicht auf und zischte schmerzerfüllt auf, als er auf die kleine Uhr auf einem der Regalbretter blickte. Die Uhr zeigte ihm 23:57 Uhr an und Harry gähnte. So viel konnte er noch erkennen, seine Brille musste er im Garten nach Vernons Ausraster wohl irgendwie verloren haben. Er lag also seit mindestens sechs Stunden hier, denn die Dursleys aßen immer um sieben Uhr abends und er war definitiv vor dem Abendessen in seinen Schrank gesperrt worden. In wenigen Minuten hätte er Geburtstag und er würde elf Jahre alt werden. Er hatte einmal gelesen, dass elf eine Glückszahl sei – die Zahl des Neubeginns. Er lächelte schwach in die Dunkelheit hinein. Was würde wohl groß anderes an seinem elften Geburtstag passieren? Er durfte seinen Geburtstag noch nie feiern. Die Dursleys verdeutlichten ihm jedes Jahr erneut, dass er es nicht wert war, dass sie sich großartig für ihn interessieren würden. Geschenke. Das kannte der Junge nicht, er hatte auch noch nie einen Kuchen zum Geburtstag bekommen. Manchmal hatte Mrs. Figg ihm heimlich zum Geburtstag ein paar Kekse zugesteckt, wenn Petunia es nicht mitbekommen hatte, aber das war es auch schon gewesen.

Die Dursleys vermieden es generell auch nur irgendeinen Aufwand für ihn zu betreiben, bei ganz basalen Dingen wie Kleidung angefangen. Harry trug die abgetragenen Klamotten seines Cousins, alt und ausgeleiert, fleckig oder halbherzig geflickt. Neue Spielsachen hatte er auch noch nie bekommen – sein Lieblingsteddy hatte keine Augen mehr, ein Arm fehlte und das Bein war kurz davor aufzuplatzen, seine kleinen Spielfiguren hatten teilweise keine Köpfe mehr oder waren derartig verformt, als hätte Dudley sie zerbissen. Harry war sich sicher, dass Dudley auf den Figuren rumgekaut hatte, denn Dudley hatte immer Hunger. Harry blickte zur Uhr. Nur noch wenige Augenblicke.

Er hörte von der naheliegenden Kirche die Glockenschläge und zählte sie mit. „Alles Gute zum Geburtstag, Harry.“, wisperte der Schwarzhaarige zu sich selbst und schloss die Augen. Beim Ausklingen des zwölften Glockenschlags stockte ihm der Atem, ein Kribbeln durchfuhr seinen gesamten Körper, das Gefühl einer sich stetig ausbreitenden Wärme in seinem Brustkorb wallte ihn ihm auf und er hatte das Gefühl, dass die Temperatur in seinem Körper anstieg. Diese innere Hitze machte Harry unruhig und er merkte nicht, dass seine Haut ein wenig in der Dunkelheit schimmerte, denn der plötzliche Schmerz in seinem Kopf, das Brennen in den Augen und ein Pfeifen in den Ohren überwältigten ihn, sodass er verkrampft die Augen schloss und versuchte gleichmäßig durchzuatmen, ohne laute Geräusche von sich zu geben.

Was passierte hier gerade mit ihm? Harry rief in Gedanken nach Hilfe, doch so schnell wie die Schmerzen gekommen waren, so abrupt verschwanden sie auch wieder. Und zu seiner Überraschung waren auch die Schmerzen in seiner Schulter nicht mehr ganz so stark. Harry öffnete die Augen und richtete sich langsam auf und schluckte, als er sah, dass über ihm eine helle Lichtkugel schwebte, deren Licht sanft pulsierte. Der Puls des Jungen begann zu steigen. Er hatte Angst, dass ihm wieder etwas Unerklärliches passierte , seine Verwandten aufwachen und ihn erneut bestrafen würden. Die Strafe für das Stören des heiligen Schlafes seiner Verwandten hatte er einmal erlebt, als er sie aus Versehen geweckt hatte, weil er wegen einer Krankheit sich lauthals übergeben musste. Das wollte er nicht noch einmal in Kauf nehmen.

„Ich will keinen Ärger mehr bekommen.“, flüsterte er verzweifelt, während er die Lichtkugel ansah. Er konnte sich nicht erklären, was gerade in seinem Schrank passierte, doch so unsicher wie er war, so neugierig war er auch. Harry streckte seinen Finger aus und berührte die Lichtkugel. Sie war warm, pulsierte sanft und ein Gefühl von innerer Ruhe machte sich in ihm breit. Als er seine Hand auf die Kugel legte, weitete sich diese aus und begann sich zu verändern, das Licht strahlte intensiver und Harry sah durch die zusammengekniffenen Augen, dass sich die Lichtkugel veränderte und die Form eines großen Briefumschlages annahm. Dieser hörte auf zu leuchten und fiel auf Harrys Schoß. Das Leuchten des Briefes ließ zwar nach, doch im Dunkeln erkannte er, dass etwas Rotes auf dem Papier flimmerte. Harry zog an der Schnur, die die Glühbirne über seinem Kopfende des Bettes an einem der Treppenbretter zum Leuchten brachte und kratzte sich am Kopf.

Harry wog den dicken Briefumschlag zwischen seinen Händen, Unsicherheit kroch in seinen Armen entlang und ließ seine Finger zittern. Der Briefumschlag sah alt aus, das Pergament war leicht vergilbt und das blutrote Wachssiegel schien, als würde es von innen heraus glühen. Er legte zaghaft den seinen Finger auf das Siegel, um es zu öffnen, und ein kurzer Impuls, wie ein kleiner Stromschlag, durchfuhr seine Fingerspitze. Das Siegel verlor sein Glimmen und brach sauber auf. Vorsichtig öffnete Harry den Briefumschlag und zog zwei weitere verschlossene Briefe hervor. Einer der Briefe war an ihn andressiert, der zweite Brief trug die Initialen P. u. X. L.

Harry runzelte die Stirn, Unsicherheit breitete sich in ihm aus. Er berührte das zweite Wachssiegel auf dem Brief, welches an ihn adressiert war, welches ähnlich dem ersten aufhörte zu glimmen und aufbrach. Er entfaltete den darin enthaltenen Brief und wurde blass, als neben dem Brief ein Bild auf seinen Schoß fiel – er erstarrte. Das Bild war keine normale Photographie, denn die Menschen auf dem Bild bewegten sich! Harry kniff mehrfach die Augen auf und zu, um sich zu vergewissern, dass er nicht anfangen würde zu halluzinieren. Aber er irrte sich nicht. Auf dem Bild war ein Paar mit einem kleinen Baby zu sehen, welches auf dem Schoß einer Frau mit wallendem, dunkelrotem Haar und grünen Augen saß. Die Augen der Frau erinnerten Harry an seine eigenen Augen und er runzelte die Stirn. Harry betrachtete neugierig das Bild genauer. Der dunkelhaarige Mann legte seinen Arm um die Schulter der Frau und beide lächelten sowohl das Baby als auch ihn an. Er schluckte. Die Menschen auf dem Bild waren ihm fremd, aber gleichzeitig hatte er das Gefühl, dass es keine Fremden waren. Er biss sich auf die Lippen und kratzte sich mit zittrigen Fingern am Kopf. Er fand, dass die Frau sehr hübsch war und ein liebevolles Lächeln im Gesicht trug, der Mann neben ihr sah ebenfalls sehr freundlich aus und machte einen starken Eindruck. Harry kaute auf seiner Unterlippe, während er das Bild wie hypnotisiert anschaute. Das Bild wirkte so lebendig, fast als würde sich eine kurze Dauerschleife auf dem Bild abspielen. Wer war das?

Harry legte nach einer Weile das Bild zur Seite, nahm den Brief wieder in die Hand, die zu zittern begannen, als er die in sauberer, fein geschwungener Handschrift geschriebenen Worte zu lesen begann.



Mein geliebter Harry,

Während ich diese Zeilen schreibe, liegst du hier neben mir und schläfst seelenruhig, erfüllst wie jeden Tag aufs Neue mein Herz mit Freude. Es sind dunkle Zeiten angebrochen und ich habe das Gefühl, dass etwas auf uns zukommt, was wir nicht mehr halten können, weshalb ich dir diese Zeilen schreibefür den Fall der Fälle. Wenn dich dieser Brief an deinem elften Geburtstag erreicht, bedeutet das, dass dein Vater James und ich nicht mehr leben. Es gibt viele Dinge in diesem Leben, vor dem wir dich beschützen wollten, doch es werden sich wohl Dinge ereignet haben, die dies nicht mehr in der Form ermöglichen, wie wir es uns gewünscht haben. Oh, mein Kind, ich hoffe du weißt, wie sehr wir dich lieben!

Wenn du diesen Brief in den Händen hältst, wird es wohl ebenfalls bedeuten, dass du bei Petunia und ihrem Ehemann lebst. Es wurden ursprünglich andere Sicherheitsvorkehrungen für dich getroffen, doch ich nehme an, dass nicht alles nach Plan gelaufen ist. Es gibt jemanden, der im Falle unseres Ablebens als dein Pate unseren Platz vertreten sollte, doch das Leben ist leider nicht immer so einfach zu durchschauen und der Versuch, es zu lenken ist eine noch größere Herausforderung. Ich wünschte mir in diesem Falle eine andere Kindheit für dich, als sie es sich unter Umständen für dich ergeben hat, denn ich weiß, dass Petunias Ehemann alles verabscheut, was nicht einem geregelten, ja gar ‚normalen‘ Leben entspricht. Sie war in dieser Hinsicht auch noch nie einfach und höchst wahrscheinlich wird sie sich dem gleichen Wahn ergeben haben. – In diesem Fall ist es nun meine Aufgabe, dir zu erklären, welches Leben dich erwarten wird, wenn du bereit dazu bist.. Es wird dir aufgefallen sein, dass du möglicherweise Dinge kannst, die andere Kinder nicht können; dass dir Dinge passieren, die anderen Kindern nicht passieren und du keine Erklärung dafür hast, warum es so ist.

Die Erklärung mag für dich so absurd, wie auch aufregend klingen. Du bist ein Zauberer, Harry, so wie dein Vater und ich es waren. Eine genaue Erklärung kann ich dir in Kürze hier leider nicht geben.

Es ist wichtig, dass du weißt, dass Petunia und ich keine leiblichen Schwestern waren – ich bin keine geborene Evans; meine Vorfahren, wie ich vor kurzer Zeit herausgefunden habe, waren keine Muggel, also nichtmagische Menschen. Es gibt, wie in der nichtmagischen Welt in der du gerade lebst, Menschen mit dunklen Herzen, gefangen in ihren Schatten, die dafür sorgten, dass ich von meinen Eltern entführt wurde und ein Teil meiner Fähigkeiten zunächst unterdrückt wurde. Sie brachten mich zu Petunias Familie und veränderten die Erinnerungen aller Beteiligten. Das Warum konnte ich bis heute nicht herausfinden, habe ich diese Informationen selbst erst vor kurzer Zeit herausgefunden, weil ich gemerkt habe, dass etwas nicht stimmte und es in meiner Familiengeschichte zu viele Ungereimtheiten gab. Ich musste mich auf die Suche machen und habe mehrere Gedächtniszauber entfernen müssen, um an die Wahrheit zu gelangen. Meine Eltern, deine Großeltern, waren Eloanne und Celyn Greenwood und stammen aus alten Familien, doch die Ahnenreihe meiner Mutter trug wohl das Blut von Elfen in sich. Ich kann mir vorstellen, dass es für dich unglaublich klingen mag, denn mir ging es genauso – ich kannte nur die Geschichten der alten Völker und plötzlich wird einem nach einundzwanzig Jahren offenbart, dass man dieses Blut in sich trägt. Und damit auch du, Harry, was aber nicht bedeutet, dass du kein Mensch bist – verstehe es als eine Art geistiges Erbe, das sich dir offenbart. Spannend, dass es gerade der elfte Geburtstag ist, nicht?

An deinem Geburtstag wirst du in deinem Körper eventuell eine Veränderung bemerkt haben, er wird sich möglicherweise anders anfühlen – doch hab keine Angst mein Kind. –

Harry seufzte. Auch wenn er mit dem Inhalt des Briefes überfordert war und sein Gehirn auf Hochtouren arbeitete, um die Informationen des Briefes aufzunehmen, so dämpfte die Tatsache, wieder anders zu sein als andere, seine Stimmung ein wenig.

– Erschrecke dich nicht, wenn du in den Spiegel schaust, du wirst noch immer das Kind sehen, welches dich gestern im Spiegel angeschaut hat, doch könnten sich einige optische Kleinigkeiten verändert haben, was aber genau passiert, das weiß ich nicht, da ich es selbst nie erfahren habe.

An dieser Stelle realisierte Harry, dass er vor lauter Nervosität gar keine Brille auf der Nase hatte und den Brief problemlos lesen konnte. Er fuhr sich nachdenklich mit der Hand übers Gesicht und kratzte sich an den Ohren. Er schluckte hart und schloss die Augen. Er klopfte sich kurz ein paarmal an die Stirn und auf die Wangen, um sich möglicherweise aus einem seltsamen Traum zu wecken. Seine Ohren waren nicht mehr rund, sondern liefen etwas spitzer zu. Was passierte hier mit ihm? Er atmete tief ein und aus und nahm den Brief wieder in die Hand.

Mein geliebtes Kind, ich hoffe, dass du die Jahre bei Petunia weitestgehend schadenfrei überstehen konntest und Gnade denen, die dein Wohl missachteten. Ich hatte die Befürchtung, dass du dort auf Dauer nicht sicher sein wirst, weshalb ich für dich eine Möglichkeit vorbereitet habe, dein Leben neu beginnen zu können für einen ersten Schritt in einer Welt, in der du sein kannst, wer du bist und du das, was du bist, auch leben kannst.

Ich kann dir in diesem Brief leider nicht in Kürze die Geheimnisse der magischen Welt offenbaren, das müssen, so sehr ich es bedaure, andere für uns übernehmen. Ich hätte mir für dich ein Leben mit uns gewünscht, doch es ist wohl anders gekommen, als erwartet. Auch kann ich dir nicht alle Möglichkeiten offenbaren, die ich versucht habe, in die Wege zu leiten, um dich möglicherweise auch etwas später als erhofft aus einer eventuellen misslichen Lage herauszuholen – du würdest manche Dinge noch nicht verstehen können und viele Dinge sind komplizierter, als sie es auf den ersten Blick scheinen.

Am Ende dieses Briefes hängt eine kleine Kupfermünze, in einem kleinen Tuch eingewickelt. Berühre diese Kupfermünze erst, wenn du den Brief fertig gelesen hast. Diese Münze ist ein sogenannter Portschlüssel, es ist eine magische Art zu reisen – das Ziel dieses Portschlüssels wird das Haus der Familie Lovegood sein. Pandora Lovegood ist eine meiner engsten Vertrauten, wenn auch im Geheimen; sie ist eine ganz liebevolle Seele, ich habe ihr immer vertraut. Sie und ihr Mann sind zwei besondere Menschen, mit einem besonderen Platz in meinem Herzen. Beide haben sich bereit erklärt, dich für den Anfang in ihre Obhut zu nehmen, bis alles Weitere geregelt werden konnte. Wenn du diesen Portschlüssel aktivierst, werden sich neue Türen für dich öffnen.

Wie du bereits gesehen hast, ist ein weiterer Brief im Umschlag enthalten – gib diesen bitte den Lovegoods, sie wissen Bescheid.

Habe Vertrauen, mein Kind! Dein Vater und ich wünschen dir nur das Beste und eine sichere Zukunft, denn wenn dieser Brief jetzt in deinen Händen liegt, konnten wir dich nur bis zu einem gewissen Punkt begleiten. Vergiss nicht, in deinem Herzen werden wir immer für dich da sein und dich lieben.

Wenn du bereit bist, berühre die Kupfermünze. Sei mutig, mein Kind! Wenn du das Licht suchst, wirst du es finden. Wenn du nach der Dunkelheit suchst, wird es alles sein, was du jemals sehen wirst. Halte den Blick stets dem Licht zugewandt, denn auch in den dunkelsten Momenten wird immer ein Licht geboren werden.



In ewiger Liebe,

deine Mutter Lily und dein Vater James.

Godrics Hollow, 23.10.1981



Tränen rollten über Harrys Wangen, seine Schultern zuckten und seine Lippen bebten – ein leises Schluchzen entwich seinen Lippen. Er vergrub das Gesicht in seinen Händen, überwältigt von Gefühlen und Gedanken, die in seinem Kopf umherflogen. Ob seine Reaktionen von Trauer oder Freude geleitet wurden, konnte er nicht sagen, die Eindrücke aus dem Brief, ganz zu schweigen von der Art und Weise, wie der Brief ihn erreichte, waren enorm. Seine Eltern hatten ihn geliebt. Diese Worte allein reichten aus, um seine Tränen weiterfallen zu lassen, ist es doch das erste Mal in seinem Leben gewesen, dass er diese Worte, diese Zuneigung, entgegengebracht bekommen hatte.

Die Tatsache, dass seine Mutter ihm in diesem Brief eine Erklärung für sein Anderssein gab, sei sie so unglaublich wie auch unter Umständen unmöglich, löste in ihm eine gewisse Erleichterung aus – er war kein Freak, er war kein ungewolltes Kind, kein Unfall, wie Vernon ihn immer nannte und er war nicht all die bösartigen Dinge, die ihm von Dudley, seinen Freunden und seinen, offenbar gar nicht echten, Verwandten an den Kopf geworfen wurde.

Er hatte die Möglichkeit, ein neues Leben anzufangen, obgleich er auch nicht wusste, was ihn erwarten wird. War der Brief nur ein weiterer Scherz des Lebens, ihn zu bestrafen? Aber es konnte nicht sein – das Bild dieser glücklich aussehenden Familie, das Leuchten des Briefes und die Erklärungen, die seine Mutter geschrieben haben – es musste echt sein, es konnte, nein es durfte, kein Scherz sein. Er wollte raus aus seinem Alptraum, raus aus diesem Haus, weg von den Menschen, die ihm täglich zeigten, dass sie ihn nicht wollten. Mit zitternden Fingern öffnete er den Knoten an dem weißen Stofftuch und sah die darin liegende kleine Kupfermünze an.

Er sah sich in seinem Schrank unter der Treppe um. Er hatte hier nichts, was ihm lieb und teuer war. Er besaß nichts, was er mitnehmen wollte. Angst machte sich in ihm breit, Unsicherheit und Zweifel, ob er nicht wirklich auf einen Scherz hereingefallen war. Er schwenkte den Blick von links nach rechts, suchte in den Ecken der Treppe, ob nicht doch eine Kamera versteckt in einer Spalte zwischen den Kistchen und Holzbrettern an der Treppe klemmte und die Tür mit lachenden Gesichtern aufgerissen wurde, wie in einer der Fernsehsendungen die Dudley immer nach der Schule anschauen durfte, in der Menschen vor laufender Kamera hereingelegt und ausgelacht wurden.

Harry atmete tief ein, atmete zitternd aus und wischte sich die Tränen vom Gesicht. Er hatte nichts zu verlieren, es musste ihm egal sein, was kommt. Doch dieser kleine Hoffnungsschimmer, dieses kleine Gefühl von Freude in seinem Bauch, diese Sehnsucht, nach einem schöneren Leben halfen ihm, sich zu sammeln.

Er legte den Brief auf seinen Schoß, nahm das Bild und den verschlossenen Brief für die Lovegoods – wer auch immer das sein sollte – in eine Hand und sah auf die Kupfermünze herab. Er atmete tief ein und aus, sein Herz pochte so stark, dass er das Gefühl hatte, sein Brustkorb drohte zu zerspringen.

„Ich bin bereit.“, flüsterte er, legte den Finger auf die Münze und schloss die Augen, als alles um ihn herum begann sich im Kreis zu drehen.
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