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Vertane Chancen

von Miwa86
Kurzbeschreibung
KurzgeschichteFamilie / P12 / Gen
Rose DeWitt Bukater Ruth DeWitt Bukater
18.07.2022
14.10.2022
5
3.496
7
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14.10.2022 756
 
Fünf Jahre! Fünf weitere Jahre vergingen, in denen Ruth nichts von ihrer Tochter hörte. Natürlich gab es die Zeitungsartikel, in denen über Roses glänzende Karriere als Schauspielerin berichtet wurde oder Berichte und Fotos, die sie bei Aktiväten zeigten, die einer Dame aus der gehobenen Gesellschaft nicht gut zu Gesicht standen. Besonders anstößig fand Ruth das Foto, welches Roses Teilnahme am Walfang zeigte. Wie sich eine DeWitt Bukater zu so etwas Blutigem herablassen konnte, verstand Ruth wirklich nicht. Trotzdem war sie dankbar über diese kleinen Lebenszeichen. Doch von Rose persönlich kam kein Wort. Es schien, als hätte es den Abend, an dem Ruth sie in New York aufgesucht hatte, nie gegeben. Ruth begann allmählich zu glauben, dass sie ihre Chance, wieder Zugang zu ihrer Tochter zu finden, verpasst hatte.

Bis sich an einem trüben Morgen im Spätherbst plötzlich die Tür zu ihrer Schneiderei öffnete. „Einen Augenblick bitte, ich bin sofort bei Ihnen.“ In dem Glauben, es wäre einer ihrer Kundinnen, hatte Ruth noch einen Blick auf die Liste mit den Namen der Damen, die für den heutigen Tag angemeldet waren, geworfen. Dementsprechend überraschte es sie sehr, als sie den Kopf hob und sich Auge in Auge mit Rose wieder fand.
„Guten Tag, Mutter!“ Daran gemessen, wie ihr letztes Aufeinandertreffen geendet hatte, wunderte Ruth sich über den sanften Tonfall, den Rose anschlug. „Hallo Rose.“ Genau wie beim letzten Mal nahm Ruth sich die Zeit, ihre Tochter von Kopf bis Fuß zu mustern. Gut sah sie aus, noch besser als auf den Bildern der Boulevardpresse. Schlichte, aber überraschend geschmackvolle Kleidung, rosige Hautfarbe und ein etwas volleres Gesicht … Ruth konnte sehen, dass Rose endgültig erblüht war. Außerdem schien es, als hätte sie ihren Frieden mit den Ereignissen von 1912 gemacht, denn sie strahlte eine gewisse Ruhe aus. Eine, die sie bei ihrem letzten Wiedersehen noch nicht besessen hatte. Trotzdem, oder vielleicht genau deswegen, stand ihr das ganze Esemble gut zu Gesicht. Nachdem Ruth ihre Musterung beendet hatte, bemerkte sie, dass Rose sie dabei abwartend beobachtet zu haben schien, denn nun ergriff sie das Wort. „Mutter, ich möchte dir Joshua Calvert vorstellen. Meinen Verlobten.“ Erst jetzt bemerkte Ruth den jungen Mann, dessen Anwesenheit ihr bisher gar nicht aufgefallen war. Ich werde alt, dachte sie, während sie gleichzeitig versuchte, sich ihren Schock und ihre Überraschung nicht allzu deutlich anmerken zu lassen. Und obwohl diese Worte sie unvorbereitet trafen, schaffte sie es doch, sich auf ihre guten Manieren zu besinnen. Höflich reichte sie dem jungen Mann die Hand. „Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mister Calvert.“
„Die Freude ist ganz meinerseits, Mrs. DeWitt Bukater.“ Er deutete eine leichte Verbeugung an. Anerkennend nickte Ruth. Wie es schien, wusste Mister Calvert sich angemessen zu verhalten. Was darauf hinwies, dass Rose zumindest wieder ein wenig Vernunft angenommen und sich jemanden gesucht hatte, dessen man sich gesellschaftlich nicht zu schämen brauchte. Jedoch war Ruth gekränkt, weil ihre Tochter sich ohne ihr Wissen oder ihren Beistand, ihren Segen, verlobt hatte. Dies schmerzte beinahe noch mehr als ihre vorangegangene Entfremdung voneinander. Allerdings wusste sie es besser, als Rose in diesem Moment auf diesen Umstand anzusprechen. Damit würde sie nichts erreichen, es wäre nur ein weiterer Streit, eine weitere vertane Chance, den Bruch zwischen ihnen wieder zu heilen. Sie beide hatten schon so viele Möglichkeiten gehabt und hatten es nicht geschafft, sich besser zu verstehen. Diese, sich nun neu auftuende Chance wollte Ruth nicht auch noch ungenutzt verstreichen lassen. Vorsichtig suchte sie Roses Blick. Und stellte fest, dass die jüngere Frau sie abwartend, fast schon ängstlich beobachtete. In diesem Augenblick erkannte die Ältere, dass sie nicht die Einzige war, die Sorge vor einer erneuten Zurückweisung hatte. Und dass dieser Besuch Roses Art war, ihrer Mutter entgegen zu kommen. Tief durchatmend beschloss Ruth, dem Paar eine Chance zu geben. „Wie lange werdet ihr bleiben?“, erkundigte sie sich bei ihnen. „Ich würde es schön finden, wenn ihr mir beim Mittagessen Gesellschaft leisten würdet. Dabei könnten wir uns unterhalten und uns besser kennen lernen.“ Oder sich, wie im Fall von Rose und ihr, neu kennen lernen. Rose und ihr Verlobter wechselten einen Blick. „Wir würden gerne bleiben“, stimmte ihre Tochter zu. Erleichtert atmete Ruth auf. Vielleicht war es doch noch nicht zu spät für sie beide.







Mit diesem, doch halbwegs offenen Ausgang findet die Kurzgeschichte nun auch ihr Ende. Mir bleibt nur noch eines zu sagen: Vielen Dank an alle, die mitgelesen haben und für die Sternchen. Und ein ganz besonderer Dank geht an diejenigen, die sich die Mühe gemacht haben, mir ein paar Worte da zu lassen. Danke schön!^^
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