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Vertane Chancen

von Miwa86
Kurzbeschreibung
KurzgeschichteFamilie / P12 / Gen
Rose DeWitt Bukater Ruth DeWitt Bukater
18.07.2022
14.10.2022
5
3.496
7
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
2 Reviews
 
14.09.2022 923
 
Schließlich endete es damit, dass sich die beiden Frauen am Tisch eines kleinen Lokals in der Nähe des Hafens gegenüber saßen. Entgegen Roses Beteuerung, dies sei ein gutes Etablissement mit angenehmer Atmosphäre sei, fühlte Ruth sich schrecklich unwohl. Es war nicht die Art von Restaurant, welches sie ausgewählt hätte, sie fand es ziemlich herunter gekommen, doch Rose hatte darauf bestanden. Um keinen unnötigen Streit zu provozieren, schwieg Ruth jedoch und wartete darauf, dass ihre Tochter das Wort ergriff.
Diesen Gefallen schien Rose ihr jedoch nicht erweisen zu wollen. Ganz im Gegenteil, sie schien darauf zu warten, dass ihre Mutter zuerst redete. Schließlich, bevor das Schweigen zwischen ihnen zu drückend wurde, gab Ruth nach. „Gut schaust Du aus“, begann sie leise. „Du scheinst zurecht zu kommen.“
„Ich habe gelernt, mit wenig auszukommen und trotzdem zufrieden zu sein“, Rose hob den Blick und sah ihr direkt in die Augen. „Ich weiß nicht, ob Du dasselbe von dir behaupten kannst.“ Ruth zuckte leicht zusammen. Ohne es zu wissen, hatte Rose mit ihren Worten einen wunden Punkt getroffen.Ihre Schneiderei brachte ihr zwar genug Verdienst ein, sodass auch sie zurecht kam, doch dass sie zufrieden war, konnte Ruth nicht von sich behaupten. Sie verdrängte es nur so gut es eben ging. „Vielleicht würde es mir besser gehen, wenn ich gewusst hätte, dass meine Tochter noch am Leben wäre“, gab sie zurück. „Warum hast Du dich nicht gemeldet?“ Kaum hatten die Worte ihren Mund verlassen, wünschte Ruth, es wäre ihr gelungen, den Vorwurf aus ihnen heraus zu halten. Denn bereits im nächsten Augenblick verfinsterte sich Roses Blick. „Warum ich mich nicht gemeldet habe?“ Der ungläubige Tonfall überraschte Ruth. Vor allem, als dieser in der nächsten Sekunde in Spott umschlug. „Fällt dir wirklich kein Grund ein, warum ich dich nicht wissen lassen wollte, dass ich überlebt habe?“ Rose verzog das Gesicht. Tiefer Schmerz und unbändiger Zorn fochten einen Kampf darin. „Du hast mich herausgeputzt wie eine Puppe, hast mich den Junggesellen Phiadelphias vorgeführt, als wäre ich ein Schmuckstück, in der Hoffnung, dass mich jemand `erwirbt´.“ Sie spie das Wort förmlich aus. „Ich war für dich ein Mittel zum Zweck. Wie es mir dabei ging, war dir gleichgültig. Cal war deine Wahl, nicht meine. Damit Du finanzielle Sicherheit hast.“ Diese Anschuldigungen verschlugen Ruth für einen Moment die Sprache. „Eine Zeitlang schienst Du einer Ehe mit Caldeon nicht abgeneigt zu sein“, brachte sie schließlich hervor. Roses Blick wurde, wenn möglich, noch finsterer. An diesen Punkt schien sie nicht gerne erinnert zu werden. „Damals wusste ich auch nicht, was Liebe ist“, erwiderte sie, nachdem sie einen Schluck des Getränks vor ihr zu sich genommen hatte. „Erst, als ich Jack traf, erkannte ich, was dieses Gefühl ist. Und was es bedeutet.“ Jack. Natürlich. Ruth hatte damit gerechnet, dass dieser Name im Laufe des Gesprächs fallen würde. Sie hatte nur nicht damit gerechnet, dass es so schnell sein würde. Ein leises Seufzen entwich ihr. „Jack“, sprach sie den Namen des Mannes aus, dem sie insgeheim die Schuld an dem Zerwürfnis zwischen ihr und ihrer Tochter gab. „Ist er … wurde er ebenfalls gerettet?“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, erkannte sie die Antwort. Denn nun zeigte sich eine kaum verhüllte Trauer im Gesicht ihrer Tochter. „Nein.“ Rose wandte den Blick ab. Ruth wartete darauf, dass sie fort fuhr, ihr vielleicht erklärte, wie der junge Mann gestorben war, doch Rose sah nur aus dem Fenster. Ob sie wirklich etwas sah, oder nur ihren Erinnerungen nachsann, vermochte Ruth nicht zu sagen. Jedoch erkannte sie deutlich, dass Rose kein weiteres Wort über Jacks Schicksal verlieren würde. Es dauerte einen Moment, bis sie ihre nächsten Worte fand.
„Das tut mir leid.“ Gerne hätte Ruth nach den Händen ihrer Tochter gegriffen oder sie umarmt, doch sie wusste nicht, wie Rose auf diese Geste des Trostes reagieren würde. Und ob sie selbst eine erneute Zurückweisung verkraften würde. „Es tut mir leid“, wiederholte sie daher, „aufrichtig leid!“
„Hör auf!“ Jäh wandte Rose sich ihr wieder zu. „Erspare mir dein falsches Mitleid. Du konntest ihn doch ohnehin nicht leiden.“
„Das ist kein `falsches´ Mitleid!“ Eisige Ruhe durchströmte Ruth. Mit diesen Sätzen hatte Rose eine Grenze überschritten, Ruth war nicht gewillt, dies einfach hinzunehmen. „Es tut mir aufrichtig leid, was Du durchmachen musstest. Dass Du diesen Verlust erleiden musstest, unabhängig davon, wie meine Meinung zu diesem jungen Mann war. Und ich bedauere es, dass Du alleine mit deiner Trauer zurecht kommen musstest.“ Sie erhob sich. Dieses Wiedersehen verlief ganz und gar nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Daher hielt sie es für das Beste, dieses Treffen zu beenden, ehe eine von ihnen etwas zu der anderen sagte, dass wirklich verletztend und dann schwer zu verzeihen war. „Hier!“ Mit diesem Wort reichte sie Rose einen kleinen Zettel, den sie zuvor aus der Tasche ihres Mantels gezogen hatte. „Dies ist meine Adresse und die Anschrift des kleinen Geschäftes, welches ich führe.“ Ihre Miene wurde weicher, als Ruth ihrer Tochter in die Augen sah. „Wenn Du deinen Zorn auf mich überwunden hast und reden möchtest, findest Du mich dort.“ Auch wenn Roses Vorwürfe sie schwer getroffen hatten, sie war noch immer ihre Tochter. Deswegen würde sie ihr verzeihen. Und auf den Moment warten, an dem Rose erkennen würde, dass das Leben, welches sie nun führte, nicht das Richtige für sie war. Selbst wenn es einige Jahre dauern würde, irgendwann würde dieser Augenblick kommen. Da war Ruth sich sicher. „Bis dahin … Lebewohl!“ Ruth verließ das Lokal.



Jetzt seid ihr gefragt. Möchtet ihr noch einen aufklärenden Epilog? Oder lieber ein offenes Ende? Meinungen werden erbeten. ^^
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