Wiedersehen macht Freude!
von Leuchtboje85
Kurzbeschreibung
Zwei Jahre sind seit Stockingers Weggang aus Wien nach Salzburg bereits vergangen. Schon lange wollte Moser seinen alten Kollegen und Freund in dessen neuer Heimat besuchen. Dann klingelt eines Tages das Telefon.
OneshotFreundschaft / P12 / Gen
Ernst "Stocki" Stockinger
Rex
Richard "Richie" Moser
15.07.2022
15.07.2022
1
3.410
5
15.07.2022
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Knapp zwei Jahre waren vergangen. Zwei Jahre, seitdem sich die drei Kriminalbeamten zum Abschied in den Armen lagen und versprachen, einander auf jeden Fall so bald wie möglich wiederzusehen. Das Abschiedsfoto von damals zierte seitdem Mosers Schreibtisch im Büro der Wiener Mordkommission. Oft schaute er dieses an und dachte mit Wehmut an die gemeinsam gelösten Fälle. Sie waren schon ein gutes Team, wenngleich oder gerade auch weil jeder von ihnen seine Eigenheiten hatte.
Wie oft hatte Moser sich in den letzten Monaten vorgenommen, seinen alten Freund und Kollegen an seinem neuen Dienstort in Salzburg einmal zu besuchen. Immer kam jedoch irgendetwas dazwischen. Meist war es dienstlicher Natur.
Vor einer Woche klingelte dann plötzlich Mosers Telefon – eine unbekannte Nummer mit Salzburger Vorwahl. Diesmal sollte es klappen. Da war er sich sicher.
Salzburg - Jetzt hatten sie es also tatsächlich geschafft.
Vom so typischen Schnürlregen dieser Stadt war an diesem Tag nichts zu merken. Die Sonne schien unbarmherzig vom strahlend blauen Himmel. Es war ein brütend heißer Augusttag.
Gemeinsam gingen der Kommissar und sein Hund durch die historische Altstadt.
An der Ecke eines beschfarbenen Hauses blieb Rex stehen und schnüffelte interessiert. Einige Meter dahinter folgte ihm Moser in gewohnt entspannt schlenderndem Gang - das dunkle Sakko lässig am linken Zeigefinger über die Schulter hängend. In der anderen Hand trug er eine dunkelblaue Sporttasche, welche ihm, in Anbetracht der vorherrschenden Hitze, heute doch recht schwer vorkam. Er spürte, wie sein Hemd am Rücken klebte und die Schweißperlen an seinem Gesicht herunterliefen. Unter leisem Stöhnen stellte er die Tasche ab und wischte sich mit dem Unterarm über die verschwitzte Stirn. „Rex, warte a mal!“ Er griff in die Tasche, holte eine Wasserflasche heraus und trank die halbe Flasche in einem Zug leer. Ein aufforderndes Bellen, sich gefälligst etwas zu beeilen, war zu hören. „Ich komme ja schon!“, rief Moser seinem Hund zu und hievte die Tasche wieder über seine Schulter.
Überall in der Stadt war das Flair der weltberühmten Festspiele zu spüren. Touristen aus aller Welt waren auf den Straßen und Plätzen Salzburgs unterwegs. Englisch, Russisch, Chinesisch, zwischendurch diverse deutsche Dialekte mischten sich zu einem nicht mehr zu identifizierbarem Kauderwelsch.
Auch wenn Moser aus Wien Großereignisse jeglicher Art nicht fremd waren, so war die Atmosphäre Salzburgs in diesen Tagen doch etwas Besonderes. Er genoss es, sich durch die Innenstadt treiben zu lassen. Rex schien ebenfalls dankbar für die Abwechslung zu sein, die ihm diese neue, für ihn unbekannte Stadt bot. Als Polizeihund hatte er, so jedenfalls seiner Meinung nach, bereits jede Ecke Wiens schon mindestens einmal erschnüffelt. Da kam dieser Ausflug mit seinem Herrchen genau richtig.
Aus einer schmalen, idyllischen Gasse hörte der Kommissar ein für Salzburg typischen Klang. Ein Streicherensemble spielte Mozarts "Kleine Nachtmusik". Er wurde neugierig und folgte der Musik. Unter dem Steingewölbe eines alten Hauses musizierte ein Geigentrio, bestehend aus zwei jungen Männern und einer Frau. Alle drei etwa um die 20 Jahre alt. Wahrscheinlich Studenten, die sich so etwas Geld dazu verdienen, dachte Moser. Er blieb stehen und lauschte andächtig der Musik. Interessiert schaute Rex mit schief gelegtem Kopf dem Musikerensemble zu. Das Stück war zu Ende und die umherstehenden Zuhörer quittierten ihre Begeisterung über das kleine Konzert mit einem beherzten Applaus. Wie, um sein Gefallen ebenfalls zum Ausdruck zu bringen, bellte Rex zweimal zustimmend und wedelte freudig mit der Rute.
Moser kramte in seiner Hosentasche und zum Vorschein kam ein zerknüllter zwanzig Schilling-Schein. Er beugte sich zu Rex hinunter, legte ihm vorsichtig den Geldschein zwischen die Zähne und deutete auf den geöffneten Violinenkasten vor den drei Musikern. Rex tapste zu den jungen Geigern, schaute diese für einen Augenblick an und legte schließlich den Geldschein in den Kasten. Die jungen Künstler beobachteten den spendablen Vierbeiner mit einem freudigen Grinsen und nickten dem Kommissar dankend zu. „Komm Rex, weiter geht‘s.“ Er tätschelte liebevoll den Bauch seines Hundes. „Wir werden schon erwartet.“
Beide gingen weiter durch die ehrwürdige Altstadt. Sie kamen an einen Platz. „Alter Markt“ stand auf einem Straßenschild. Das Zentrum des Platzes bildete ein Mamorbrunnen. Auf einem Sockel in der Mitte des Brunnens stand eine Figur, welche Moser an einen Kämpfer erinnerte. Kinder rannte umher, feixten und bespritzen sich gegenseitig mit Wasser. Von der Hitze erschöpfte Touristen hielten ihre durch die langen Spaziergänge geschundenen Füße in das kühle Nass. Sehnsüchtig schauten der Kommissar und sein Hund dem Treiben zu. Wie gerne würden sie sich jetzt auch eine kleine Abkühlung gönnen. Moser holte den Zettel, auf dem er sich die Adresse notiert hatte, aus seiner Hosentasche. „Alter Markt, Cafe Jedermann“, stand auf dem zerknüllten Stück Papier. Der Kommissar sah sich um und erblickte zu seiner Rechten schließlich das gesuchte Caféhaus.
In freudiger Erwartung und trotzdem auch mit einem Klosgefühl im Hals, betrat Moser das elegant altehrwürdige Caféhaus. Die Innenausstattung erinnerte den Kommissar an die typischen Wiener Caféhäuser, wie das Landmann, nur etwas kleiner und gemütlicher. Die Stühle, überzogen mit dunkelbraunem Leder, waren genau wie der Rest der Einrichtung bereits etwas in die Jahre gekommen. Aber genau das machte auch den besonderen Charme aus, wofür Österreich weltberühmt war.
An den Wänden hingen Fotos, auf denen die Portraits unterschiedlicher Herren zu sehen waren. Die abgebildeten Männer kamen dem Kommissar bekannt vor. Attila Hörbiger und Maximilian Schell, las Moser die Namen unter den Portraitfotos. Wahrscheinlich alles ehemalige Jedermann-Darsteller, dachte er. Seine Mutter hatte damals nicht viel Wert auf kulturelle Bildung gelegt, sodass er mit den Namen nur bedingt etwas anfangen konnte. Auch wenn von einem waschechten Österreicher wahrscheinlich erwartet wurde, die Jedermann-Darsteller der vergangenen 50 Jahre, ohne groß nachzudenken, chronologisch korrekt aufzählen zu können.
Um ehrlich zu sein zog Moser ein frisch gezapftes Bier bei einem gemütlichen Billard - oder Schachabend mit seinem alten Freund Max Koch stets einem Abend in der Oper oder im Theater vor.
Kurz bevor Sonja nach Amerika ging, waren sie beide dann aber doch gemeinsam im Burgtheater gewesen. Als Abschiedsgeschenk hatte Sonja von ihrer Freundin zwei Tickets geschenkt bekommen. „Hamlet“ stand auf dem Spielplan, obwohl so Mosers Meinung, „Die Leiden des jungen Werthers“ an diesem Abend wesentlich passender gewesen wären. Viel hatte er von der Aufführung nicht mitbekommen. Dafür war er gedanklich zu sehr mit der bevorstehenden Trennung auf Zeit von Sonja beschäftigt. Tagelang hatte er fast keinen Bissen herunterbekommen und sich stets ausgemalt, wie es sein würde: der Abschied von ihr am Flughafen, die Nächte ohne sie an seiner Seite, die stundenlange Telefonate, inklusive der Telefonrechnung. Selbst ihre Ermahnungen, er solle doch mal etwas früher aus dem Büro heimkommen, vermisste er schon, noch bevor sie überhaupt weg war. Ach Sonja! Moser seufzte.
Das freudige Fiepen und aufgeregte Peitschen von Rex‘ Rute an seinem Schienenbein, riss den Kommissar aus seinen Gedanken. Der kluge Schäferhund hatte IHN im Getümmel des Caféhauses natürlich bereits erkannt. Ihn - das war Mosers Freund und ehemaliger Kollege Ernst Stockinger. Der Kommissar blickte sich suchend in dem gut besuchten Kaffeehaus um. Es herrschte ein buntes Treiben und Stimmengewirr. An einem Tisch im hinteren Bereich direkt an der rechten Fensterfront erblickte er einen schlanken Mann mit braunem, glattem Haar. Er trug ein weißes Hemd. Sein olivengrünes Sakko hing über der Stuhllehne.
„Servus, Stocki!“ Moser klopfte seinem ehemaligen Kollegen freundschaftlich auf die Schulter und stellte seine Tasche auf den freien Stuhl neben sich ab.
„Richard!“ Stockinger erhob sich von seinem Platz. Beide Männer begrüßten sich mit einer herzlich ausgiebigen Umarmung. Sie sahen sich einen Augenblick schweigend und freudestrahlend an.
Kaum hatten beide Polizisten ihre Begrüßung beendet, sah Rex seine Chance gekommen. Er lief auf Stockinger zu. Überschwänglich legte er seinem ehemaligen Lieblingsopf.. ähh Spielkameraden im Eifer der Wiedersehensfreude die Vorderpfoten auf die Schultern und hatte scheinbar nur ein Ziel – das Gesicht des Kriminalbeamten.
„Rex, ich freue mich ja auch dich wiederzusehen“, ächzte Stockinger sichtlich hilflos angesichts der stürmischen Begrüßung und versuchte sich vergebens von den feuchten Liebesbekundungen des Hundes zu schützen. Dabei verlor er fast das Gleichgewicht und musste aufpassen, dass er nicht versehentlich sein Kaffeegedeck samt Salzburger Nockerl und der Blumenvase vom Tisch riss. Der Kommissar sah dem Treiben mit einem verschmitzten Grinsen zu.
„Richard!!!“ rief Stockinger seinem ehemaligen Chef zu, während er sich, angesichts der Gewichts des Hundes, auf seinen Stuhl zurückfallen ließ, um sich seinem Schicksal zu ergeben. Das Schauspiel blieb auch den anderen anwesenden Gästen im Café nicht verborgen, sodass einige an den Nachbartisch rüber schielten und amüsiert kicherten.
„Aus, Rex! Es reicht“ Moser lachte und zog Rex von Stockinger weg. Der Kriminalbeamte atmete sichtlich erleichtert auf. Er zog sich seine, durch Rex stürmische Begrüßung durcheinander geratene Kleidung zurecht. Dann holte er ein weiß-grau kariertes Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche, um sich sein Gesicht trocken zu wischen.
„Schön, dass ihr da seid“, schnaufte Stockinger sichtlich erschöpft von dem gerade überstandenen Kampf.
Ein in einem weißen Hemd mit Fliege und schwarzer Herrenweste vornehm gekleideter Kellner mit leichtem Bauchansatz kam an den Tisch.
„Grüß Gott, der Herr! Was darf ich ihnen bringen?“
„Einen großen Braunen und ein paar Frankfurter, bitte…“, bat Moser den Ober.
„Sehr gerne!“, sagte dieser in unverkennbarem Dialekt und nickte dem Kommissar reserviert, aber freundlich zu. Trotz des Trubels, der hier zur besten Kaffeezeit herrschte, schien sich dieser Kellner die typische österreichische Gemütlichkeit und innere Ruhe nicht nehmen zu lassen. Ob er wirklich so entspannt war oder nur für die Touristen den typischen Klischee-Österreicher mimte, fragte sich Moser.
Der Kommissar stützte sich mit beiden Unterarmen auf dem Tisch ab und wandte sich Stockinger zu.
„Und, hast du dich mittlerweile hier eingelebt, Stocki?“, fragte er.
„Ja, ganz guat so weit. Is oas etwas g‘mütlicher als in Wien. An eifersüchtigem Ehemann, der den Liebhaber seiner Frau um die Eck‘ bringen will. Ein erschlagener Bauer auf einer Alm, bei dem es um Erbstreitigkeiten geht. Aber die ganz großen G`schichten, organisierte Kriminalität im Drogenmilieu, Russenmafia und so, das hast du hier nicht wirklich. Recht soll es mir sein. Obwohl“, Stockinger wurde nachdenklich „manchmal vermiss ich schoan so a bissl die Abwechslung, die ich in Wien hatte.“
„Ihr großer Brauner und die Frankfurter, bitte schön, der Herr“. Der Kellner stellte die Tasse mit dem dampfenden Kaffee und den Teller mit den beiden Würstchen vor Moser auf den Tisch. Dieser bedankte sich und biss herzhaft ab, bevor er sich wieder Stockinger widmete. Kauend fragte Moser seinen Freund: „Und wie geht es…?“ Der Kommissar unterbrach. Er bemerkte, wie jemand unter dem Tisch unentwegt an seinem Hosenbein zupfte. Ihm war sofort klar, wer der Übeltäter nur sein konnte. Moser schob die weiße Tischdecke beiseite, um zu sehen, was sein vierbeiniger Freund diesmal anstellte. Aber von Rex war weit und breit keine Spur. An seiner linken Hand, die noch auf dem Tisch ruhte, spürte er plötzlich etwas Flauschiges. Er hob seinen Kopf und sah nur noch, wie unter einem genüsslichen Schmatzen ein Wurstzipfel im Maul seines Hundes verschwand.
„Rex!!! Wie oft habe ich dir schon gesagt. Alles, was auf dem Tisch liegt, ist tabu!“, schimpfte Moser sichtlich verärgert.
„Naja, die Wurst lag ja nicht auf dem Tisch, sondern in deiner Hand“, kommentierte Stockinger das Geschehen mit einem Grinsen.
„Das ist die Strafe dafür, dass du deinem Hund immer noch nicht abgewöhnt hast, mich bei jeder Begrüßung von oben bis unten abzulecken.“ Der Kommissar warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, der schließlich in ein Schmunzeln überging.
„Wo waren wir?“ Moser überlegte und nahm das unterbrochene Gespräch wieder auf.
„Ach ja, wie geht es deiner Frau?“
„Na, die Karin hat halt die Zahnarztpraxis ihres Vaters übernommen und arbeitet von morgens bis abends. Wie das ebenso ist als kinderloses Ehepaar. Beide arbeiten unter der Woche und am Wochenende macht man mal eine Wanderung oder eine Fahrradtour“, sagte Stockinger mit einem leicht melancholischen Unterton.
„Vor einem halben Jahr ist die Mutter der Karin dann auch noch ins Heim gekommen, Alzheimer. Das ist dann auch nicht immer so einfach für sie.“ Stockinger blickte gedankenverloren aus dem Fenster. Moser glaubte eine Spur von Traurigkeit in Stockingers Stimme gehört zu haben, als er das Wort kinderlos in den Mund nahm. So kannte er ihn bis dato gar nicht. Mitleid kam in ihm auf. Er beobachtete seinen ehemaligen Kollegen einen Augenblick nachdenklich.
Das Schweigen wurde je durch eine laut fluchende Männerstimme einige Tische weiter unterbrochen.
„Verdammt, das gibt es doch nicht. Wo ist meine Wurstsemmel? Da geht man einmal kurz auf die Toiletten. Nicht mal hier ist man mehr vor dem kriminellen Pack sicher. Das hätte es früher nicht gegeben.“
Gleichzeitig erblickte der Kommissar in den Augenwinkeln etwas braun schwarz Wuscheliges, was ihm mehr als bekannt vorkam. Es war Rex mit einer Wurstsemmel im Maul, die er auffordern vor Stockinger auf den Tisch legte. Erwartungsvoll auf ein ausgiebiges Dankeschön sah der Vierbeiner den peinlich berührten Kriminalbeamten an, der sich hektisch umschaute und nicht wusste, was er mit dem unverhofften Geschenk anstellen sollte.
„Was soll das bitte schön?“, fragte Stockinger leise an Moser gewandt.
„Er freut sich eben, dich wiederzusehen, Stocki.“ Hektisch nahm Stockinger die Wurstsemmel so schnell es ging vom Tisch und winkelte diese heimlich in eine Papierserviette ein um sie dann in der Innentasche seines olivgrünen Sakkos verschwinden lassen. Moser schmunzelte. Er spürte genau, wie unangenehm Stocki diese Situation war und dass er dies nach außen hin nicht verbergen konnte. Er war eindeutig der Alte geblieben und hatte sich seit seinem Weggang aus Wien nicht verändert.
„Und wie sieht es bei dir aus?“, nahm Stockinger das Gespräch wieder auf. „Ist Sonja noch in den USA?“ Sonja! Moser spürte, wie die Erwähnung ihres Namens ihm gefühlt ein Stich ins Herz versetzte.
„Der Kontakt ist mittlerweile leider abgebrochen“, antwortete er knapp, wie zu sich selbst. Er seufzte.
„Ansonsten nichts Neues.“ Moser wechselte schnell das Thema und erzwang sich ein Lächeln „Überstunden, Wochenenddienste. Wir sorgen weiterhin dafür, dass in Wien der Umsatz an Wurstsemmeln konstant hoch bleibt. Stimmt’s Rex?“ Moser schaute zu Rex hinunter, der beim Wort „Wurstsemmel“ sofort sein Herrchen erwartungsvoll anschaute. Als er verstand, dass es sich dabei wohl nur um einen falschen Alarm handelte, legte er seinen Kopf wieder enttäuscht auf den Boden, um weiter vor sich hinzudösen. Das schien hier wohl noch etwas länger zu dauern. Rex schloss die Augen und grummelte leise.
„Der Böck, also dein Nachfolger, hat sich gut bei uns eingelebt. Besonders mit Rex hat er schnell Freundschaft geschlossen“, sagte Moser mit einem verschmitzten Grinsen.
„Das kann ich mir vorstellen“ ergänzte Stockinger misstrauisch und schielte in Richtung Boden, von wo mittlerweile ein leises Schnarchen zu vernehmen war.
„Wo kommt er…wie war sein Name noch gleich? Beck?... denn her?“
„Böck …Der Böck hat vorher in der Abteilung Jugendkriminalität gearbeitet. Ist dann aber durch einen Zufall zu uns gestoßen. Genauer gesagt im Zuge der Ermittlungen zum Todesfall eines jungen Motorsportlers, bei dem er Undercover ermittelt hatte. Stell dir vor, ich musste sogar ein Autorennen gegen ihn fahren, um an eine Zeugenaussage zu kommen.“ Moser schüttelte ungläubig mit dem Kopf und grinste.
„Deine Ermittlungsmethoden waren ja schon immer etwas unkonventioneller“, ergänzte Stockinger trocken.
„Wenn ich da an die G`schicht mit der Psychiatrie denke. Mir wird immer noch anders bei dem Gedanken, dass…“
„Apropos Ermittlungen.“, unterbrach Moser ihn, im Wissen, dass sein ehemaliger Assistent im Begriff war, ihm wieder eine Predigt zu halten. Es wäre nicht das erste Mal gewesen.
Stattdessen griff Moser in die Sporttasche neben sich, holte eine Zeitung sowie einen schwarzen Ordner herausaus und legte beides schwungvoll auf den Tisch. Von der energischen Handbewegung des Kommissars in die Luft gewirbelt, segelte eine rosafarbene Papierserviette wie eine Feder sanft zu Boden. Rex bemerkte dies, nahm die Serviette mit der Schnauze vom Boden auf und legte sie brav wieder zurück auf den Tisch. Moser schmunzelte. Der Kommissar blätterte sich durch die Dokumente
„Darum sind wir ja eigentlich auch hergekommen.“
„Des ist mir schoa klar, dass du wegen der Arbeit da bist.“, sagte Stockinger leicht beleidigt. Der Kommissar grinste ihn an.
„Wegen der Arbeit UND wegen dir, Stocki“. Er wusste, wie man Stockinger noch immer aus der Reserve locken konnte.
Moser nahm die Zeitung und reichte sie seinem Freund über den Tisch.
„Da, schau her. Auch bei uns sind die Zeitungen voll mit der G‘schicht. Das ist wieder ein gefundenes Fressen für die Presse.“ In großen Lettern stand auf der Titelseite: „Giftanschlag im Salzburger Festspielsommer: Don Giovanni Star mit Cyanid getötet – Polizei tappt weiter im Dunkeln“
„Immer derselbe Mist mit denen . Als ob diese Presseleute nur darauf warten, uns bloßzustellen“, fluchte der Kommissar deutlich hörbar und schlug mit der Faust leise auf den Tisch.
„Ist ja gut Richard, beruhige dich. Diesmal betrifft es dich ja nicht.“, versuchte Stockinger seinen ehemaligen Chef zu besänftigen, worauf dieser sich aber nicht einließ.
„Es geht ums Prinzip, Stocki, verstehst du? Ums Prinzip!“
„Ich weiß, was du meinst! Es bringt trotzdem nichts, sich darüber aufzuregen. Das ändert doch eh nichts. Wie auch immer“. Stockinger faltete die Hände ineinander und stütze seine Ellenbogen auf den Tisch auf.
„Die Leute hier sprechen momentan über nichts anderes mehr. Der Landespolizeidirektor will Ermittlungsergebnisse sehen. Wir stehen momentan noch ganz am Anfang. Deshalb habe ich mich auch an Dr. Graf gewandt, weil unser Rechtsmediziner hier bisher noch keine Erfahrungen mit Cyanid Vergiftungen hat. Dr. Graf hatte dann von eurem damaligen Fall berichtet.“
„Ja, das war kurz nachdem du weg warst“, bestätigter der Kommissar jetzt wieder in ruhigem Ton.
„Habt ihr denn schon irgendwelche ersten Anhaltspunkte?“, wollte er wissen. Stockinger lehnte sich zu ihm rüber, wie um zu vermeiden, dass die Besucher an den Nachbartischen etwas mitkriegen könnten.
„Wir gehen aktuell von einer Beziehungstat im Umkreis des Mordopfers aus. Wie wir herausgefunden haben, hatte er parallel mehrere Liebschaften laufen aber auch unter den Künstlern gab es Streitigkeiten. Die Zweitbesetzung soll laut Auskunft eines Regieassistenten nicht sehr gut auf den Herrn Startenor zu sprechen gewesen sein. Aber leider können wir noch niemanden etwas nachweisen. Spuren vom Kaliumcyanid konnten im Müsli des Toten nachgewiesen werden. Man hatte das Opfer tot in seiner Garderobe gefunden. Da hätte praktisch fast jeder Zugang.“
Moser verschränkte nachdenklich die Arme vor der Brust.
„Wir sind bei unserem Fall damals anfangs auch von einer Beziehungstat ausgegangen, bis es dann ein zweites Opfer gab und wir herausgefunden hatten, dass der Getränkehersteller erpresst wird. Ein ehemaliger Mitarbeiter wollte sich rächen. Fast hätte es sogar ein Kind erwischt, wenn der Rex nicht gewesen wäre...“ Der Kommissar schwieg, sah nachdenklich zu seinem Hund hinunter und kraulte ihn liebevoll zwischen den Ohren.
„Ein Kind, ah Wahnsinn.“ Ungläubig schüttelte er mit dem Kopf.
Moser gab Stockinger den Ordner.
„Hier sind die Unterlagen der damaligen Ermittlung. Schaue es dir in Ruhe an. Wir können dann später nochmal telefonieren und in Ruhe über den Fall sprechen.“
„Danke, Richard! Wir greifen aktuell nach jedem Strohhalm, der uns weiterbringen könnte.“ „Apropos.“ Moser holte ein dickes Buch aus seiner Sporttasche und hievte es Stockinger rüber. „Toxikologie der Cyanide“ stand auf dem Buchdeckel
„Mit besten Grüßen vom Leo. 735 Seiten, viel Spaß beim Durcharbeiten“ „Na, Servus. Unsere Rechtsmedizin wird begeistert sein.“
Die alte Standuhr im Café schlug fünf Mal. Stockinger schaute auf seine Armbanduhr - 17 Uhr. Er seufzte. „Wie schnell doch die Zeit vergeht“, stellte er enttäuscht fest um dann mit betroffen und leicht schuldbewusst fortzufahren: „Ich habe der Karin versprochen, sie heute aus der Praxis abzuholen und sie ins Heim zu ihrer Mutter zu begleiten. Deshalb müsste ich…“
„Ist schon ok, Stocki!“, unterbrach Moser ihn. „Wir haben ja alles besprochen und ich glaube der Rex hat jetzt auch genug von der Warterei.“
Der Kellner, den Moser zwischenzeitlich herbei gewunken hatte, kam vorbei und um abzukassieren. Beide Männer standen auf.
„Ach ja, ehe ich es noch vergesse.“ Der Kommissar griff erneut in seine Tasche und holte eine in Klarsichtfolie eingepackte überdimensional große Wurstsemmel heraus.
„Für dich Stocki, mit besten Grüßen von uns allen, dass du uns hier nicht verhungerst. Aber anschließend Zähneputzen nicht vergessen, sonst schimpft deine Frau, ist nämlich aus Marzipan. “
Stockinger klemmte sich das dicke Buch und die Akte unter den linken Arm, in der rechten Hand hielt er die Marzipansemmel.
Dann verließen alle drei gemeinsam das Café. Auf dem Platz vor dem Café herrschte weiterhin ein buntes Treiben. Wo vorher noch spielende Kinder und erschöpfte Wanderer waren, gingen jetzt elegant gekleidete Damen und Herren entlang – auf dem Weg zu den verschiedenen Festspielspielstätten, um die Konzerte und Aufführungen des heutigen Abends zu genießen.
Moser und Stockinger sahen sich zum Abschied schweigend, aber glücklich in die Augen. Dann drückte der Kommissar seinen vollbepackten Freund beherzt an sich.
„Schön wars, dich wieder getroffen zu haben! Bis zum nächsten Mal!“
„Ja, bis hoffentlich bald. Und grüße mir die anderen!“
Beide Polizisten und der Hund gingen wieder getrennte Wege, nicht ahnend, dass dies das letzte Mal war, dass sie sich sehen sollten.
--ENDE--
Wie oft hatte Moser sich in den letzten Monaten vorgenommen, seinen alten Freund und Kollegen an seinem neuen Dienstort in Salzburg einmal zu besuchen. Immer kam jedoch irgendetwas dazwischen. Meist war es dienstlicher Natur.
Vor einer Woche klingelte dann plötzlich Mosers Telefon – eine unbekannte Nummer mit Salzburger Vorwahl. Diesmal sollte es klappen. Da war er sich sicher.
Salzburg - Jetzt hatten sie es also tatsächlich geschafft.
Vom so typischen Schnürlregen dieser Stadt war an diesem Tag nichts zu merken. Die Sonne schien unbarmherzig vom strahlend blauen Himmel. Es war ein brütend heißer Augusttag.
Gemeinsam gingen der Kommissar und sein Hund durch die historische Altstadt.
An der Ecke eines beschfarbenen Hauses blieb Rex stehen und schnüffelte interessiert. Einige Meter dahinter folgte ihm Moser in gewohnt entspannt schlenderndem Gang - das dunkle Sakko lässig am linken Zeigefinger über die Schulter hängend. In der anderen Hand trug er eine dunkelblaue Sporttasche, welche ihm, in Anbetracht der vorherrschenden Hitze, heute doch recht schwer vorkam. Er spürte, wie sein Hemd am Rücken klebte und die Schweißperlen an seinem Gesicht herunterliefen. Unter leisem Stöhnen stellte er die Tasche ab und wischte sich mit dem Unterarm über die verschwitzte Stirn. „Rex, warte a mal!“ Er griff in die Tasche, holte eine Wasserflasche heraus und trank die halbe Flasche in einem Zug leer. Ein aufforderndes Bellen, sich gefälligst etwas zu beeilen, war zu hören. „Ich komme ja schon!“, rief Moser seinem Hund zu und hievte die Tasche wieder über seine Schulter.
Überall in der Stadt war das Flair der weltberühmten Festspiele zu spüren. Touristen aus aller Welt waren auf den Straßen und Plätzen Salzburgs unterwegs. Englisch, Russisch, Chinesisch, zwischendurch diverse deutsche Dialekte mischten sich zu einem nicht mehr zu identifizierbarem Kauderwelsch.
Auch wenn Moser aus Wien Großereignisse jeglicher Art nicht fremd waren, so war die Atmosphäre Salzburgs in diesen Tagen doch etwas Besonderes. Er genoss es, sich durch die Innenstadt treiben zu lassen. Rex schien ebenfalls dankbar für die Abwechslung zu sein, die ihm diese neue, für ihn unbekannte Stadt bot. Als Polizeihund hatte er, so jedenfalls seiner Meinung nach, bereits jede Ecke Wiens schon mindestens einmal erschnüffelt. Da kam dieser Ausflug mit seinem Herrchen genau richtig.
Aus einer schmalen, idyllischen Gasse hörte der Kommissar ein für Salzburg typischen Klang. Ein Streicherensemble spielte Mozarts "Kleine Nachtmusik". Er wurde neugierig und folgte der Musik. Unter dem Steingewölbe eines alten Hauses musizierte ein Geigentrio, bestehend aus zwei jungen Männern und einer Frau. Alle drei etwa um die 20 Jahre alt. Wahrscheinlich Studenten, die sich so etwas Geld dazu verdienen, dachte Moser. Er blieb stehen und lauschte andächtig der Musik. Interessiert schaute Rex mit schief gelegtem Kopf dem Musikerensemble zu. Das Stück war zu Ende und die umherstehenden Zuhörer quittierten ihre Begeisterung über das kleine Konzert mit einem beherzten Applaus. Wie, um sein Gefallen ebenfalls zum Ausdruck zu bringen, bellte Rex zweimal zustimmend und wedelte freudig mit der Rute.
Moser kramte in seiner Hosentasche und zum Vorschein kam ein zerknüllter zwanzig Schilling-Schein. Er beugte sich zu Rex hinunter, legte ihm vorsichtig den Geldschein zwischen die Zähne und deutete auf den geöffneten Violinenkasten vor den drei Musikern. Rex tapste zu den jungen Geigern, schaute diese für einen Augenblick an und legte schließlich den Geldschein in den Kasten. Die jungen Künstler beobachteten den spendablen Vierbeiner mit einem freudigen Grinsen und nickten dem Kommissar dankend zu. „Komm Rex, weiter geht‘s.“ Er tätschelte liebevoll den Bauch seines Hundes. „Wir werden schon erwartet.“
Beide gingen weiter durch die ehrwürdige Altstadt. Sie kamen an einen Platz. „Alter Markt“ stand auf einem Straßenschild. Das Zentrum des Platzes bildete ein Mamorbrunnen. Auf einem Sockel in der Mitte des Brunnens stand eine Figur, welche Moser an einen Kämpfer erinnerte. Kinder rannte umher, feixten und bespritzen sich gegenseitig mit Wasser. Von der Hitze erschöpfte Touristen hielten ihre durch die langen Spaziergänge geschundenen Füße in das kühle Nass. Sehnsüchtig schauten der Kommissar und sein Hund dem Treiben zu. Wie gerne würden sie sich jetzt auch eine kleine Abkühlung gönnen. Moser holte den Zettel, auf dem er sich die Adresse notiert hatte, aus seiner Hosentasche. „Alter Markt, Cafe Jedermann“, stand auf dem zerknüllten Stück Papier. Der Kommissar sah sich um und erblickte zu seiner Rechten schließlich das gesuchte Caféhaus.
In freudiger Erwartung und trotzdem auch mit einem Klosgefühl im Hals, betrat Moser das elegant altehrwürdige Caféhaus. Die Innenausstattung erinnerte den Kommissar an die typischen Wiener Caféhäuser, wie das Landmann, nur etwas kleiner und gemütlicher. Die Stühle, überzogen mit dunkelbraunem Leder, waren genau wie der Rest der Einrichtung bereits etwas in die Jahre gekommen. Aber genau das machte auch den besonderen Charme aus, wofür Österreich weltberühmt war.
An den Wänden hingen Fotos, auf denen die Portraits unterschiedlicher Herren zu sehen waren. Die abgebildeten Männer kamen dem Kommissar bekannt vor. Attila Hörbiger und Maximilian Schell, las Moser die Namen unter den Portraitfotos. Wahrscheinlich alles ehemalige Jedermann-Darsteller, dachte er. Seine Mutter hatte damals nicht viel Wert auf kulturelle Bildung gelegt, sodass er mit den Namen nur bedingt etwas anfangen konnte. Auch wenn von einem waschechten Österreicher wahrscheinlich erwartet wurde, die Jedermann-Darsteller der vergangenen 50 Jahre, ohne groß nachzudenken, chronologisch korrekt aufzählen zu können.
Um ehrlich zu sein zog Moser ein frisch gezapftes Bier bei einem gemütlichen Billard - oder Schachabend mit seinem alten Freund Max Koch stets einem Abend in der Oper oder im Theater vor.
Kurz bevor Sonja nach Amerika ging, waren sie beide dann aber doch gemeinsam im Burgtheater gewesen. Als Abschiedsgeschenk hatte Sonja von ihrer Freundin zwei Tickets geschenkt bekommen. „Hamlet“ stand auf dem Spielplan, obwohl so Mosers Meinung, „Die Leiden des jungen Werthers“ an diesem Abend wesentlich passender gewesen wären. Viel hatte er von der Aufführung nicht mitbekommen. Dafür war er gedanklich zu sehr mit der bevorstehenden Trennung auf Zeit von Sonja beschäftigt. Tagelang hatte er fast keinen Bissen herunterbekommen und sich stets ausgemalt, wie es sein würde: der Abschied von ihr am Flughafen, die Nächte ohne sie an seiner Seite, die stundenlange Telefonate, inklusive der Telefonrechnung. Selbst ihre Ermahnungen, er solle doch mal etwas früher aus dem Büro heimkommen, vermisste er schon, noch bevor sie überhaupt weg war. Ach Sonja! Moser seufzte.
Das freudige Fiepen und aufgeregte Peitschen von Rex‘ Rute an seinem Schienenbein, riss den Kommissar aus seinen Gedanken. Der kluge Schäferhund hatte IHN im Getümmel des Caféhauses natürlich bereits erkannt. Ihn - das war Mosers Freund und ehemaliger Kollege Ernst Stockinger. Der Kommissar blickte sich suchend in dem gut besuchten Kaffeehaus um. Es herrschte ein buntes Treiben und Stimmengewirr. An einem Tisch im hinteren Bereich direkt an der rechten Fensterfront erblickte er einen schlanken Mann mit braunem, glattem Haar. Er trug ein weißes Hemd. Sein olivengrünes Sakko hing über der Stuhllehne.
„Servus, Stocki!“ Moser klopfte seinem ehemaligen Kollegen freundschaftlich auf die Schulter und stellte seine Tasche auf den freien Stuhl neben sich ab.
„Richard!“ Stockinger erhob sich von seinem Platz. Beide Männer begrüßten sich mit einer herzlich ausgiebigen Umarmung. Sie sahen sich einen Augenblick schweigend und freudestrahlend an.
Kaum hatten beide Polizisten ihre Begrüßung beendet, sah Rex seine Chance gekommen. Er lief auf Stockinger zu. Überschwänglich legte er seinem ehemaligen Lieblingsopf.. ähh Spielkameraden im Eifer der Wiedersehensfreude die Vorderpfoten auf die Schultern und hatte scheinbar nur ein Ziel – das Gesicht des Kriminalbeamten.
„Rex, ich freue mich ja auch dich wiederzusehen“, ächzte Stockinger sichtlich hilflos angesichts der stürmischen Begrüßung und versuchte sich vergebens von den feuchten Liebesbekundungen des Hundes zu schützen. Dabei verlor er fast das Gleichgewicht und musste aufpassen, dass er nicht versehentlich sein Kaffeegedeck samt Salzburger Nockerl und der Blumenvase vom Tisch riss. Der Kommissar sah dem Treiben mit einem verschmitzten Grinsen zu.
„Richard!!!“ rief Stockinger seinem ehemaligen Chef zu, während er sich, angesichts der Gewichts des Hundes, auf seinen Stuhl zurückfallen ließ, um sich seinem Schicksal zu ergeben. Das Schauspiel blieb auch den anderen anwesenden Gästen im Café nicht verborgen, sodass einige an den Nachbartisch rüber schielten und amüsiert kicherten.
„Aus, Rex! Es reicht“ Moser lachte und zog Rex von Stockinger weg. Der Kriminalbeamte atmete sichtlich erleichtert auf. Er zog sich seine, durch Rex stürmische Begrüßung durcheinander geratene Kleidung zurecht. Dann holte er ein weiß-grau kariertes Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche, um sich sein Gesicht trocken zu wischen.
„Schön, dass ihr da seid“, schnaufte Stockinger sichtlich erschöpft von dem gerade überstandenen Kampf.
Ein in einem weißen Hemd mit Fliege und schwarzer Herrenweste vornehm gekleideter Kellner mit leichtem Bauchansatz kam an den Tisch.
„Grüß Gott, der Herr! Was darf ich ihnen bringen?“
„Einen großen Braunen und ein paar Frankfurter, bitte…“, bat Moser den Ober.
„Sehr gerne!“, sagte dieser in unverkennbarem Dialekt und nickte dem Kommissar reserviert, aber freundlich zu. Trotz des Trubels, der hier zur besten Kaffeezeit herrschte, schien sich dieser Kellner die typische österreichische Gemütlichkeit und innere Ruhe nicht nehmen zu lassen. Ob er wirklich so entspannt war oder nur für die Touristen den typischen Klischee-Österreicher mimte, fragte sich Moser.
Der Kommissar stützte sich mit beiden Unterarmen auf dem Tisch ab und wandte sich Stockinger zu.
„Und, hast du dich mittlerweile hier eingelebt, Stocki?“, fragte er.
„Ja, ganz guat so weit. Is oas etwas g‘mütlicher als in Wien. An eifersüchtigem Ehemann, der den Liebhaber seiner Frau um die Eck‘ bringen will. Ein erschlagener Bauer auf einer Alm, bei dem es um Erbstreitigkeiten geht. Aber die ganz großen G`schichten, organisierte Kriminalität im Drogenmilieu, Russenmafia und so, das hast du hier nicht wirklich. Recht soll es mir sein. Obwohl“, Stockinger wurde nachdenklich „manchmal vermiss ich schoan so a bissl die Abwechslung, die ich in Wien hatte.“
„Ihr großer Brauner und die Frankfurter, bitte schön, der Herr“. Der Kellner stellte die Tasse mit dem dampfenden Kaffee und den Teller mit den beiden Würstchen vor Moser auf den Tisch. Dieser bedankte sich und biss herzhaft ab, bevor er sich wieder Stockinger widmete. Kauend fragte Moser seinen Freund: „Und wie geht es…?“ Der Kommissar unterbrach. Er bemerkte, wie jemand unter dem Tisch unentwegt an seinem Hosenbein zupfte. Ihm war sofort klar, wer der Übeltäter nur sein konnte. Moser schob die weiße Tischdecke beiseite, um zu sehen, was sein vierbeiniger Freund diesmal anstellte. Aber von Rex war weit und breit keine Spur. An seiner linken Hand, die noch auf dem Tisch ruhte, spürte er plötzlich etwas Flauschiges. Er hob seinen Kopf und sah nur noch, wie unter einem genüsslichen Schmatzen ein Wurstzipfel im Maul seines Hundes verschwand.
„Rex!!! Wie oft habe ich dir schon gesagt. Alles, was auf dem Tisch liegt, ist tabu!“, schimpfte Moser sichtlich verärgert.
„Naja, die Wurst lag ja nicht auf dem Tisch, sondern in deiner Hand“, kommentierte Stockinger das Geschehen mit einem Grinsen.
„Das ist die Strafe dafür, dass du deinem Hund immer noch nicht abgewöhnt hast, mich bei jeder Begrüßung von oben bis unten abzulecken.“ Der Kommissar warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, der schließlich in ein Schmunzeln überging.
„Wo waren wir?“ Moser überlegte und nahm das unterbrochene Gespräch wieder auf.
„Ach ja, wie geht es deiner Frau?“
„Na, die Karin hat halt die Zahnarztpraxis ihres Vaters übernommen und arbeitet von morgens bis abends. Wie das ebenso ist als kinderloses Ehepaar. Beide arbeiten unter der Woche und am Wochenende macht man mal eine Wanderung oder eine Fahrradtour“, sagte Stockinger mit einem leicht melancholischen Unterton.
„Vor einem halben Jahr ist die Mutter der Karin dann auch noch ins Heim gekommen, Alzheimer. Das ist dann auch nicht immer so einfach für sie.“ Stockinger blickte gedankenverloren aus dem Fenster. Moser glaubte eine Spur von Traurigkeit in Stockingers Stimme gehört zu haben, als er das Wort kinderlos in den Mund nahm. So kannte er ihn bis dato gar nicht. Mitleid kam in ihm auf. Er beobachtete seinen ehemaligen Kollegen einen Augenblick nachdenklich.
Das Schweigen wurde je durch eine laut fluchende Männerstimme einige Tische weiter unterbrochen.
„Verdammt, das gibt es doch nicht. Wo ist meine Wurstsemmel? Da geht man einmal kurz auf die Toiletten. Nicht mal hier ist man mehr vor dem kriminellen Pack sicher. Das hätte es früher nicht gegeben.“
Gleichzeitig erblickte der Kommissar in den Augenwinkeln etwas braun schwarz Wuscheliges, was ihm mehr als bekannt vorkam. Es war Rex mit einer Wurstsemmel im Maul, die er auffordern vor Stockinger auf den Tisch legte. Erwartungsvoll auf ein ausgiebiges Dankeschön sah der Vierbeiner den peinlich berührten Kriminalbeamten an, der sich hektisch umschaute und nicht wusste, was er mit dem unverhofften Geschenk anstellen sollte.
„Was soll das bitte schön?“, fragte Stockinger leise an Moser gewandt.
„Er freut sich eben, dich wiederzusehen, Stocki.“ Hektisch nahm Stockinger die Wurstsemmel so schnell es ging vom Tisch und winkelte diese heimlich in eine Papierserviette ein um sie dann in der Innentasche seines olivgrünen Sakkos verschwinden lassen. Moser schmunzelte. Er spürte genau, wie unangenehm Stocki diese Situation war und dass er dies nach außen hin nicht verbergen konnte. Er war eindeutig der Alte geblieben und hatte sich seit seinem Weggang aus Wien nicht verändert.
„Und wie sieht es bei dir aus?“, nahm Stockinger das Gespräch wieder auf. „Ist Sonja noch in den USA?“ Sonja! Moser spürte, wie die Erwähnung ihres Namens ihm gefühlt ein Stich ins Herz versetzte.
„Der Kontakt ist mittlerweile leider abgebrochen“, antwortete er knapp, wie zu sich selbst. Er seufzte.
„Ansonsten nichts Neues.“ Moser wechselte schnell das Thema und erzwang sich ein Lächeln „Überstunden, Wochenenddienste. Wir sorgen weiterhin dafür, dass in Wien der Umsatz an Wurstsemmeln konstant hoch bleibt. Stimmt’s Rex?“ Moser schaute zu Rex hinunter, der beim Wort „Wurstsemmel“ sofort sein Herrchen erwartungsvoll anschaute. Als er verstand, dass es sich dabei wohl nur um einen falschen Alarm handelte, legte er seinen Kopf wieder enttäuscht auf den Boden, um weiter vor sich hinzudösen. Das schien hier wohl noch etwas länger zu dauern. Rex schloss die Augen und grummelte leise.
„Der Böck, also dein Nachfolger, hat sich gut bei uns eingelebt. Besonders mit Rex hat er schnell Freundschaft geschlossen“, sagte Moser mit einem verschmitzten Grinsen.
„Das kann ich mir vorstellen“ ergänzte Stockinger misstrauisch und schielte in Richtung Boden, von wo mittlerweile ein leises Schnarchen zu vernehmen war.
„Wo kommt er…wie war sein Name noch gleich? Beck?... denn her?“
„Böck …Der Böck hat vorher in der Abteilung Jugendkriminalität gearbeitet. Ist dann aber durch einen Zufall zu uns gestoßen. Genauer gesagt im Zuge der Ermittlungen zum Todesfall eines jungen Motorsportlers, bei dem er Undercover ermittelt hatte. Stell dir vor, ich musste sogar ein Autorennen gegen ihn fahren, um an eine Zeugenaussage zu kommen.“ Moser schüttelte ungläubig mit dem Kopf und grinste.
„Deine Ermittlungsmethoden waren ja schon immer etwas unkonventioneller“, ergänzte Stockinger trocken.
„Wenn ich da an die G`schicht mit der Psychiatrie denke. Mir wird immer noch anders bei dem Gedanken, dass…“
„Apropos Ermittlungen.“, unterbrach Moser ihn, im Wissen, dass sein ehemaliger Assistent im Begriff war, ihm wieder eine Predigt zu halten. Es wäre nicht das erste Mal gewesen.
Stattdessen griff Moser in die Sporttasche neben sich, holte eine Zeitung sowie einen schwarzen Ordner herausaus und legte beides schwungvoll auf den Tisch. Von der energischen Handbewegung des Kommissars in die Luft gewirbelt, segelte eine rosafarbene Papierserviette wie eine Feder sanft zu Boden. Rex bemerkte dies, nahm die Serviette mit der Schnauze vom Boden auf und legte sie brav wieder zurück auf den Tisch. Moser schmunzelte. Der Kommissar blätterte sich durch die Dokumente
„Darum sind wir ja eigentlich auch hergekommen.“
„Des ist mir schoa klar, dass du wegen der Arbeit da bist.“, sagte Stockinger leicht beleidigt. Der Kommissar grinste ihn an.
„Wegen der Arbeit UND wegen dir, Stocki“. Er wusste, wie man Stockinger noch immer aus der Reserve locken konnte.
Moser nahm die Zeitung und reichte sie seinem Freund über den Tisch.
„Da, schau her. Auch bei uns sind die Zeitungen voll mit der G‘schicht. Das ist wieder ein gefundenes Fressen für die Presse.“ In großen Lettern stand auf der Titelseite: „Giftanschlag im Salzburger Festspielsommer: Don Giovanni Star mit Cyanid getötet – Polizei tappt weiter im Dunkeln“
„Immer derselbe Mist mit denen . Als ob diese Presseleute nur darauf warten, uns bloßzustellen“, fluchte der Kommissar deutlich hörbar und schlug mit der Faust leise auf den Tisch.
„Ist ja gut Richard, beruhige dich. Diesmal betrifft es dich ja nicht.“, versuchte Stockinger seinen ehemaligen Chef zu besänftigen, worauf dieser sich aber nicht einließ.
„Es geht ums Prinzip, Stocki, verstehst du? Ums Prinzip!“
„Ich weiß, was du meinst! Es bringt trotzdem nichts, sich darüber aufzuregen. Das ändert doch eh nichts. Wie auch immer“. Stockinger faltete die Hände ineinander und stütze seine Ellenbogen auf den Tisch auf.
„Die Leute hier sprechen momentan über nichts anderes mehr. Der Landespolizeidirektor will Ermittlungsergebnisse sehen. Wir stehen momentan noch ganz am Anfang. Deshalb habe ich mich auch an Dr. Graf gewandt, weil unser Rechtsmediziner hier bisher noch keine Erfahrungen mit Cyanid Vergiftungen hat. Dr. Graf hatte dann von eurem damaligen Fall berichtet.“
„Ja, das war kurz nachdem du weg warst“, bestätigter der Kommissar jetzt wieder in ruhigem Ton.
„Habt ihr denn schon irgendwelche ersten Anhaltspunkte?“, wollte er wissen. Stockinger lehnte sich zu ihm rüber, wie um zu vermeiden, dass die Besucher an den Nachbartischen etwas mitkriegen könnten.
„Wir gehen aktuell von einer Beziehungstat im Umkreis des Mordopfers aus. Wie wir herausgefunden haben, hatte er parallel mehrere Liebschaften laufen aber auch unter den Künstlern gab es Streitigkeiten. Die Zweitbesetzung soll laut Auskunft eines Regieassistenten nicht sehr gut auf den Herrn Startenor zu sprechen gewesen sein. Aber leider können wir noch niemanden etwas nachweisen. Spuren vom Kaliumcyanid konnten im Müsli des Toten nachgewiesen werden. Man hatte das Opfer tot in seiner Garderobe gefunden. Da hätte praktisch fast jeder Zugang.“
Moser verschränkte nachdenklich die Arme vor der Brust.
„Wir sind bei unserem Fall damals anfangs auch von einer Beziehungstat ausgegangen, bis es dann ein zweites Opfer gab und wir herausgefunden hatten, dass der Getränkehersteller erpresst wird. Ein ehemaliger Mitarbeiter wollte sich rächen. Fast hätte es sogar ein Kind erwischt, wenn der Rex nicht gewesen wäre...“ Der Kommissar schwieg, sah nachdenklich zu seinem Hund hinunter und kraulte ihn liebevoll zwischen den Ohren.
„Ein Kind, ah Wahnsinn.“ Ungläubig schüttelte er mit dem Kopf.
Moser gab Stockinger den Ordner.
„Hier sind die Unterlagen der damaligen Ermittlung. Schaue es dir in Ruhe an. Wir können dann später nochmal telefonieren und in Ruhe über den Fall sprechen.“
„Danke, Richard! Wir greifen aktuell nach jedem Strohhalm, der uns weiterbringen könnte.“ „Apropos.“ Moser holte ein dickes Buch aus seiner Sporttasche und hievte es Stockinger rüber. „Toxikologie der Cyanide“ stand auf dem Buchdeckel
„Mit besten Grüßen vom Leo. 735 Seiten, viel Spaß beim Durcharbeiten“ „Na, Servus. Unsere Rechtsmedizin wird begeistert sein.“
Die alte Standuhr im Café schlug fünf Mal. Stockinger schaute auf seine Armbanduhr - 17 Uhr. Er seufzte. „Wie schnell doch die Zeit vergeht“, stellte er enttäuscht fest um dann mit betroffen und leicht schuldbewusst fortzufahren: „Ich habe der Karin versprochen, sie heute aus der Praxis abzuholen und sie ins Heim zu ihrer Mutter zu begleiten. Deshalb müsste ich…“
„Ist schon ok, Stocki!“, unterbrach Moser ihn. „Wir haben ja alles besprochen und ich glaube der Rex hat jetzt auch genug von der Warterei.“
Der Kellner, den Moser zwischenzeitlich herbei gewunken hatte, kam vorbei und um abzukassieren. Beide Männer standen auf.
„Ach ja, ehe ich es noch vergesse.“ Der Kommissar griff erneut in seine Tasche und holte eine in Klarsichtfolie eingepackte überdimensional große Wurstsemmel heraus.
„Für dich Stocki, mit besten Grüßen von uns allen, dass du uns hier nicht verhungerst. Aber anschließend Zähneputzen nicht vergessen, sonst schimpft deine Frau, ist nämlich aus Marzipan. “
Stockinger klemmte sich das dicke Buch und die Akte unter den linken Arm, in der rechten Hand hielt er die Marzipansemmel.
Dann verließen alle drei gemeinsam das Café. Auf dem Platz vor dem Café herrschte weiterhin ein buntes Treiben. Wo vorher noch spielende Kinder und erschöpfte Wanderer waren, gingen jetzt elegant gekleidete Damen und Herren entlang – auf dem Weg zu den verschiedenen Festspielspielstätten, um die Konzerte und Aufführungen des heutigen Abends zu genießen.
Moser und Stockinger sahen sich zum Abschied schweigend, aber glücklich in die Augen. Dann drückte der Kommissar seinen vollbepackten Freund beherzt an sich.
„Schön wars, dich wieder getroffen zu haben! Bis zum nächsten Mal!“
„Ja, bis hoffentlich bald. Und grüße mir die anderen!“
Beide Polizisten und der Hund gingen wieder getrennte Wege, nicht ahnend, dass dies das letzte Mal war, dass sie sich sehen sollten.
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