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And Cut

Kurzbeschreibung
GeschichteFreundschaft, Liebesgeschichte / P16 / MaleSlash
17.06.2022
18.09.2023
19
44.916
9
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16 Reviews
Dieses Kapitel
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18.09.2023 2.146
 
Erstmal kurz nochmal: Schande über mein Haupt. Ich habe total unterschätzt, wie schwierig es ist soziales Leben, Studium und Schreiben unter einen Hut zu bekommen. Wahrscheinlich ließt (fairerweise) niemand mehr diese Geschichte. Aber ich habe sie in den letzten Wochen trotzdem beendet und will die letzten Kapitel noch hochladen. Auch um für mich eine Art von closure zu finden. Und ich hatte wenigstens das learning, dass Geschichten in Zukunft erst veröffentlicht werden, wenn ich sie fertig habe. Nochmal ein rießen Sorry an alle.

Achso und mal wieder ne kleine Triggerwarnung, ich hoffe wirklich, dass niemand mehr so reagiert heutzutage.

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Hannah sah mich einfach nur an. Ihre blauen Augen waren offen und warm. Man konnte ihr immer noch ansehen, wie erleichtert sie war, dass ich hier war. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Vielleicht hätte ich ihr wenigstens ein/zwei Lebenszeichen schicken sollen. Doch ich hatte nicht gekonnt. Ich hatte mich bei niemandem meiner Kontakte in Berlin melden können. „Ich habs meinen Eltern gesagt“, brachte ich schließlich heraus. Hannahs Augen wurden groß. „Du hast..?“, fragte sie. „Ja, ich hab mich vor meinen Eltern geoutet“, sagte ich. Sie sah mich fragend an. „Und wie ist es gelaufen?“, fragte sie vorsichtig. „Schlecht.“ Meine Gedanken wanderten zurück an den Morgen, nachdem ich bei meinen Eltern angekommen war. Wir hatten gemeinsam gefrühstückt. Meine Mutter war Hausfrau und mein Vater seit kurzem in Rente. Zwischen Fragen nach der Marmelade und ob ich denn einfach so spontan Urlaub nehmen könne, war es aus mir herausgeplatzt.  Frei nach dem Motto: ‚Ich hätte gerne mal die Kirschmarmelade. Auf Arbeit ist etwas vorgefallen und ich solle mir ein wenig Ruhe gönnen. Achso, und ich bin schwul.‘ Den geschockten Blick meiner Mutter würde ich wohl nie vergessen können. Um ehrlich zu sein spielte er mittlerweile auch eine relativ große Rolle in meinen Albträumen. Ich träumte von Chris und mir und im Hintergrund stand meine Mutter und hatte diesen geschockt, abfälligen Blick. Mein Vater hatte es irgendwie geschafft noch schlimmer zu reagieren. Er hatte mich zuerst gefragt, ob das ein schlechter Witz sei. Dann meinte er, ob ich mir wirklich sicher sei. Dann hatte er mir versichert, dass ich einfach noch nicht die richtige Frau kennengelernt hatte. Am Ende hatte er geschrien. Und noch weiter am Ende… „Sie haben mich rausgeworfen“, fasste ich die Ereignisse mehr schlecht als recht zusammen. Hannah machte große Augen: „Wie?“ Ich zuckte mit den Schultern und zitierte meinen Vater: „Du brauchst nicht wiederkommen, solang du solche Dinge denkst.“ Ich drehte gerade den Deckel von meiner Weinflasche, als sich zwei Arme um mich schlangen. Hannah umarmte mich so stürmisch, dass ich das Gleichgewicht verlor und wir gemeinsam hintenüberfielen. Doch Hannah schien das nicht zu stören. Sie bleib einfach auf mir liegen und schloss ihre Arme nur noch fester um mich. Die Wärme und die plötzliche Zuneigung überfielen mich. Ich war in Gedanken so sehr zurück in die Situation bei meinen Eltern gereist, dass ich nicht auf diese Nähe vorbereitet war. Nach einiger Zeit erwiderte ich die Umarmung und erst in diesem Moment wurde mir klar, wie sehr ich sie vermisst hatte. Ihr Lachen, das strahlen ihrer Augen, alles an ihr. Das klang nach einer laschen Liebeserklärung, aber ich liebte sie ja auch. Nicht auf die gleiche Weise, wie ich Chris liebte oder irgendwann einmal Fabi geliebt hatte. Trotzdem war das Gefühl in Bezug auf Hannah nicht weniger stark. Ich klammerte mich an ihr fest und sog wie ein Ertrinkender jedes bisschen Liebe in mich auf. Nach einiger Zeit löste ich langsam meine Hände aus ihrem Pulli. Sie erkannte das Zeichen und ließ von mir ab. Etwas umständlicher als es wahrscheinlich hätte sein müssen, lösten wir uns voneinander und grinsten uns dabei kurz zu. Als wir einander gegenübersaßen, wurden wir jedoch beide wieder ernst. „Wie sehr hast du dir die Worte zu Herzen genommen?“, fragte sie vorsichtig nach. Sie kennt mich einfach zu gut. Ich nahm einen Schluck aus meiner Weinflasche. „Im ersten Moment dachte ich, ich würde gut damit klarkommen. Ich habe mir eingeredet, dass sie mich eine Stunde, nachdem ich vor meiner eigenen Kindheitshaustür stand, anrufen würden und mir sagen würden, dass sie einfach ein wenig Zeit zum Verdauen gebraucht hätten“, murmelte ich dann. Hannah trank ebenfalls einen großen Schluck. Auch sie schien sich mental auf die Auswirkungen meines spontanen Heimatbesuchs einstellen zu müssen. „Haben sie aber nicht?“, fragte sie dann einfühlsam. „Haben sie nicht“, bestätigte ich. Kurz herrschte Ruhe. „Ich habe zwei Nächte in einem angeranzten Hotel geschlafen und mich mit meinen alten Freunden getroffen. Die haben zum Glück besser reagiert. Bei Mario durfte ich dann die restlichen zwei Nächte in seiner Einliegerwohnung bleiben, die er als Gästezimmer in seinem Haus unten drin hat“, versuchte ich sie sachlich weiter auf den neusten Stand zu bringen. „Du hast dich nach dem Treffen mit deinen Eltern noch getraut dich vor deinen alten Freunden zu outen?“, fragte Hannah fast schon ungläubig nach. Ich nickte. „Wow. Zum Glück haben sie dich aufgenommen“, sagte Hannah sanft. „Ich hätte glaub ich aber eher in dem schimmelnden Hotelzimmer bleiben sollen. Mario lebt exakt das Leben, dass meine Eltern sich erträumt haben. Kleines Häuschen in der Nähe der Familie mit Frau und zwei Kindern“, am liebsten würde ich mich wieder verkriechen in meiner Wohnung. Einfach ein neues Leben anfangen und nie wieder darüber nachdenken, dass ich mal in Berlin für eine Fernsehproduktionsfirma gearbeitet hatte. Einfach alle Brücken abreisen in der Hoffnung, dass ich so auch alles Schlechte aus meiner Vergangenheit vergessen würde. All das hier kostete mich so viel Energie. Auch wenn Hannah mir so viel zurückgab, aber ich war einfach nur müde. Müde von allem. „Also quasi genau das Leben, das man in den 50ern auf Werbeplakate gedruckt hätte?“, versuchte Hannah mich zum Weitererzählen zu bewegen. Ich nickte: „Er hat mir immer wieder versichert, dass alles gut werden würde und wie beeindruckend er es fand, dass ich meinen Weg ging, so egal, welche gesellschaftlichen Standards es gäbe.“ Ich sah, wie Hannah missbilligend die Augenbrauen zusammenzog. „Er hat das lieb gemeint, aber einfach scheiße ausgedrückt. Auf diesen Dörfern ist größtenteils wirklich noch 1950. Vor einem Jahr ist eine Familie mit einer Transfrau in das Haus neben Nils – nem anderen Schulfreund – gezogen. Und das war erstmal ein Gesprächsthema“, nahm ich Mario in Schutz. Er war ein sehr lieber Kerl, der mir in einer Notsituation Obdach gewährt hatte, wie hätte ich da sauer auf ihn sein sollen? Auch wenn ich rational gesehen natürlich wusste, dass ich ihn grundlos in Schutz nahm. Wo man herkam, bestimmte nicht, wer man war. Und nur, weil manche Dinge in Dörfern noch etwas altmodisch waren, sollte man sie nicht akzeptieren, nur weil es schon immer so gewesen war. „Ich komme aus nem ähnlichen Dorf. Das ist trotzdem keine Entschuldigung. Spätestens ab dem Internet kann man sich über alles aufklären“, Hannah verschränkte die Arme vor der Brust. Manchmal vergaß ich kurzzeitig, dass wir aus einer ähnlichen Gegend kamen und ähnlich sozialisiert aufgewachsen waren. Wir passten da beide nicht rein. Wahrscheinlich ergab es wirklich Sinn, dass es uns in immer größere Städte gezogen hatte. Trotzdem musste ich nochmal tief ein und ausatmen, um die Geschichte dann endlich zu beenden. „Als ich wieder hier war, hab ich es nicht geschafft in meine Wohnung und quasi mein Leben zurückzukehren. Also hab ich mir ein Zimmer in einem besseren Hotel genommen und war bei meinem Hausarzt. Er hat mir aus Kulanz nochmal eine Krankmeldung geschrieben… und… Er hat mich auch an einen befreundeten Psychologen überwiesen. Ich schätze das war schon ein wenig überfällig“, schloss ich meine Erzählung. Hannah nickte lediglich, trank einen weiteren Schluck Wein und griff nach meiner Hand. „Ich hatte heute meine zweite Sitzung und der ist fast aus seinem Ledersessel gefallen, als ich erzählt habe, dass ich euch alle seit einer gefühlten Ewigkeit ignoriere“, gab ich dann zu. „Und er hat dich dann als Hausaufgabe hierhergeschickt?“, fragte Hannah nach. „Ja und nein. Er meinte ich sollte mir Gedanken darüber machen, bei wem ich als erstes wieder mit Kontakt ansetzen sollte und wenn ich mich bereit fühlte, solle ich da anfangen. Und das bist du gewesen“, erklärte ich ihr. Hannah sah mich gerührt an. „Ich habe keine Familie mehr und die erste Person, die mir danach in den Sinn gekommen ist, bist du“, das entsprach der Wahrheit. Ich liebte Chris (über alles) und er war immer für mich da gewesen. Mal schauen, wie es jetzt aussieht. Aber Hannah war meine beste Freundin. Sie war die Person, die ich anrufen würde, wenn ich jemanden ermordet hätte und Hilfe bräuchte, um die Leiche über den Wohnzimmerboden zu schleifen. Sie war immer da und ich konnte mir vieles vorstellen (sogar vielleicht ein Leben ohne Chris- bei dem ich es wahrscheinlich mittlerweile so oder so verkackt hatte), aber Hannah nicht mehr in meinem Leben zu haben… Nein, das ging nicht. Hannah war auf eine Weise meine Seelenverwandte, diejenige, die mich nie in ihrem Leben für irgendetwas verurteilen würde, die egal was ich anstellen würde immer hinter mir stehen würde. Hannah war eine Konstante in meinem Leben, die ich nie wieder hergeben konnte. Hannah gab mir einen schnellen Kuss auf die Wange. „Du weißt aber schon, dass die Aussage, dass du keine Familie mehr hast, so nicht stimmt?“, fragte sie mich dann. „Ähm, ich weiß ja nicht, wo du zwischenzeitlich falsch abgebogen bist, aber meine Familie hat mir gesagt, dass ich mich, solange ich nicht hetero bin, nicht mehr blicken lassen brauche“, erwiderte ich. Hannah nahm meine Hände in ihre: „Und was ist mit deiner anderen Familie?“ „Also Chris und ich sind jetzt noch nicht so weit, um einander als Lebenspartner eintragen zu lassen. Und Deutschland ist offensichtlich noch nicht so weit, dass ich Chris heiraten dürfte. Was auch zu früh wäre“, druckste ich herum. Gott, wie war ich denn von ‚ich habe keinen Kontakt zu meiner Familie‘  zu ‚ich habe mich seit Ewigkeiten nicht bei Chris gemeldet, wie der Arsch, der ich bin‘ zu ‚ich will Chris heiraten‘ gekommen. Bin ich jetzt komplett
wahnsinnig?!
„Daniel“, Hannahs Stimme war noch immer weich und der Fakt, dass sie ‚Daniel‘ zu mir sagte, machte mich nervös. „Du weißt, dass eine Heirat euch nicht zu Familie macht? Genauso, wie Blut Menschen nicht zu Familie macht. Liebe und Zuneigung machen Menschen zu Familie. Du bist Teil meiner Familie, du bist Teil Bastis Familie, du bist Teil Schmittis Familie“, setzte sie dann hinterher. Ich wurde von einer Welle der Zuneigung überflutet und schloss sie einfach wieder in die Arme. „Du bist viel zu süß für diese Welt! Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde“, murmelte ich in ihre Haare. Ich spürte, wie sie kicherte. „Ha ha“, sagte sie trocken. Als wir uns wieder lösten, grinsten wir uns beide breit an. „Das klärt trotzdem nicht, was ich zum Beispiel an Weihnachten mache“, widersprach ich ihr dann trotzdem. „Hä? Du hast alle Möglichkeiten für Weihnachten. Du kannst mit zu mir und Thomas. Ich bin froh, wenn ich nicht allein bei Schmitts auftauchen muss“, grinste sie mich an: „Oder du könntest mal Basti fragen, was der macht. Oder wer weiß, vielleicht verbringst du Weihnachten auch einfach mit deinem festen Freund?“ „Wenn der überhaupt noch mein Freund ist“, murmelte ich düster. „Ruf ihn einfach mal an, dann würde er nämlich auch aufhören mich mit seinen Nachrichten zu bombardieren“, sprach mir Hannah Mut zu. „Irgendwann wird das Maß auch bei ihm voll sein und er wird mir nicht mehr verzeihen“, gab ich zu bedenken. „Willst du das denn?“, fragte Hannah. „Keine Ahnung. In den dunklen Stunden denke ich mir immer, dass man mich nicht lieben könne und wie es einfacher wäre einfach alle von mir zu stoßen“, gab ich zu. „Und an Chris willst du jetzt austesten, wann bei ihm dieser Punkt erreicht ist?“, hackte Hannah weiter nach. Ich fühlte mich fast, als wäre ich zurück bei meinem Therapeuten. „Irgendwann wird er ja kommen“, zuckte ich mit den Schultern. „Bei manchen kommt der Punkt nicht“, gab Hannah zu bedenken. „Ja, aber ist das gesund?“, zweifelte ich ihre Aussage an. „Kommt drauf an. Wenn man immer wieder zumacht, lohnt es sich zu kämpfen und nicht zu gehen, so wie Thomas damals bei mir. Wenn man den anderen absichtlich durch Worte und Taten verletzt – so wie Fabi – dann lohnt es sich nicht“, antwortete sie mir. Stellte sich nur die Frage, wer ich in der Situation zwischen Chris und mir war. Seufzend lehnte ich mich ein wenig zurück und betrachtete die fast komplett geweißelte Wand. Hannah tat es mir gleich. Gedankenverloren nahmen wir beide noch einen Schluck Wein. Irgendwie war für mich die Stimmung immer noch ein wenig angespannt. Vielleicht auch einfach aufgrund der Tatsache, dass zwischen Chris und mir noch immer nichts geklärt war. Hannah war auch in Gedanken versunken. „Hat der echt so nen klischeemäßigen Ledersessel?!“, unterbrach sie dann die Stille. Kurz sahen wir uns an und ich brauchte einen Moment, bis ich verstand, worauf sie anspielte. Dann brauchen wir beide in Lachen aus.
 
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