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Deine Melodie in mir

Kurzbeschreibung
GeschichteRomance, Liebesgeschichte / P18 / MaleSlash
Joachim "Joko" Winterscheidt Klaas Heufer-Umlauf
12.06.2022
05.02.2023
35
188.600
75
Alle Kapitel
231 Reviews
Dieses Kapitel
10 Reviews
 
02.10.2022 4.697
 
Hallo ihr Lieben,

the plot thickens. Tut mir leid für das unangekündigten Bremsmanöver im letzten Kapitel, aber ein gewisser Herr Winterscheidt hat mich leider dazu genötigt. Ich freue mich unendlich, dass ihr es ihm (und mir) nicht übelgenommen habt, und bin euch so, so dankbar für euer Feedback ❤️

Um nicht noch mehr an Fahrt zu verlieren, geht’s direkt weiter! Viel Spaß mit dem Kapitel :)

Habt alle einen schönen Sonntag und einen guten Start in die neue Woche! Und passt gut auf euch auf ❤️

P.S.: Ein klitzekleiner Hinweis noch für alle die, die es interessiert und es vielleicht noch nicht wussten: ich habe vor ein paar Wochen dann irgendwie auch den Sprung zu Tumblr geschafft und poste da für die Kapitel immer kleine Teaser-Bilder. Falls ihr das sehen wollt, gerne hier entlang :)


***
Kapitel 17
***


Klaas hielt diese ungewisse Spannung und Zurückhaltung in der neuen Woche noch genau dreieinhalb Tage aus, bevor er an die Grenzen des Erträglichen stieß.

Es hätte nur noch ein letzter Tropfen Öl gefehlt – dieser eine Tropfen zu viel – ehe das Fass explodiert wäre, und es hätte sicher nur noch ein weiterer unsicherer Blick, oder eine zu schnell abgebrochene, flüchtige Berührung gebraucht, bevor Klaas sich Joko geschnappt und ihn angeschrien oder geküsst oder beides getan hätte.

Und dann war auch er wirklich so kurz davor.

An jenem ganz besonders sommerlichen Donnerstagnachmittag, am Ende einer mehr als verkrampften Raucherpause, in der Joko und Klaas allein im Studio zurückgeblieben waren und sich angeschwiegen hatten, war er so kurz davor. Der Ältere war in dem Raum immer und immer wieder auf- und abgelaufen, schien nicht nur Hummeln, sondern gar Hornissen im Hintern zu haben, während er immer wieder kurz nachdenklich an den Fenstern stehen blieb, um nach draußen zu schauen.

Und Klaas sah zu. Ließ sich von dessen Rastlosigkeit nervös machen und war tatsächlich so kurz davor von seinem Sitzplatz aufzustehen, ihn an den Armen zu packen und ihm die Unruhe auszutreiben – für ein wie hatte er sich noch nicht entschieden – als Joko in letzter Sekunde auf ihn zukam und mit einem verunsicherten Lächeln auf den Lippen vor ihm stehen blieb.

„Klausi?“

Die Tatsache allein, dass der Blonde ihn in diesem von Arbeit geprägten Umfeld mit diesem Namen ansprach, wäre beinahe genug gewesen, um Klaas endgültig über diese letzte Grenze zu katapultieren, wenn es nicht genau diese Tatsache gewesen wäre, die seine Neugier freigelassen und ihm Einhalt geboten hatte.

„Ja?“, fragte er deshalb nur, mit seinen Händen ineinander verschlungen und zwischen seinen Oberschenkeln vergraben.

„Gehst du…“, begann der Größere, hielt aber dann doch kurz inne, bevor er zu einem neuen Versuch ansetzte. „Also… hast du vielleicht Lust, heute Abend mit mir essen zu gehen?“

Klaas zögerte nur für einen sehr kurzen Augenblick; und das auch mehr aus Überraschung, und nicht etwa, weil er nicht wusste, was er sagen sollte.

Mit zur Seite geneigtem Kopf warf er Joko einen fragenden Blick zu. „Reden wir dann endlich darüber, was in den letzten Tagen hier los war?“ Er deutete unmissverständlich zwischen ihren beiden Körpern hin und her, und obwohl dem Brünetten das Herz gerade schon wieder fast aus der Brust sprang, bereute er die offensive Frage nicht.

Joko zögerte im Gegenzug ebenfalls für einen Moment, aber seine Antwort und seine Stimme waren dann trotzdem beständig. „Ja… wahrscheinlich sollten wir das tun.“

Der Jüngere nickte, obwohl das anschwellende Kribbeln in seiner Brust es ihm schwer machte, seinen Körper zu kontrollieren. „Okay… dann lass uns gerne Essen gehen, ja“, stimmte Klaas zu, und stellte anschließend erleichtert fest, dass die Anspannung etwas von Joko abzulassen schien, ähnlich, wie sie es damit einhergehend auch von seinem eigenen Körper tat.

Die Verunsicherung wich ein wenig aus Jokos Gesicht, als er erleichtert aufatmete, und sich dann neben Klaas auf das Sofa fallen ließ. Er wirkte immer noch ernster als sonst, aber das Lächeln, das seine Mundwinkel zierte, vertrieb zumindest die Unsicherheit immer mehr.

„Das hätten wir schon viel früher machen sollen“, sagte der Ältere nach einem kurzen Moment der Stille. „Tut mir leid, dass ich—“

„Aaand we are back!“, verkündete Erik, und stieß etwas zu enthusiastisch die angelehnte Tür zum Tonstudio auf.

Vor Schreck sprang Klaas fast von seinem Platz, und das Poltern seines Herzens hatte ausnahmsweise einmal nichts mit dem Mann zu tun, der neben ihm saß, und ihn mit einer Vergnügtheit anschaute, die er in den vergangenen zwei Wochen dort nicht entdeckt hatte.

Hätte das Herz des Jüngeren noch schneller schlagen können, hätte es das wahrscheinlich getan. Aber so sorgte das Funkeln in Jokos Augen zumindest dafür, das Pochen in seiner Brust nicht weniger werden zu lassen, selbst als der Schreck nachließ, und sich auch der Rest der Band wieder einfand, um mit ihrer letzten Aufgabe des Tages fortzufahren.

„Ich würde vorschlagen, wir machen nochmal die Keyboard-Spur, damit wir da ‘nen Haken dran machen können, in Ordnung?”, schlug Mark vor, der an dem einen Ende des Raumes direkt wieder an seinem Mischpult Platz genommen hatte.

Wie schon in den vergangenen zwei Wochen widersprach niemand den Vorschlägen des Hamburgers, der sehr genau wusste, was er tat. Klaas war ihm nie dankbarer gewesen für die Führung, die er übernommen hatte, die Klaas jedoch trotzdem zu jeder Zeit den Raum ließ, eigene Ideen einzubringen – die Mark gleichermaßen auch aktiv einforderte.

Klaas liebte den kreativen Prozess, und er liebte es, wie gut sie alle miteinander harmonierten, und wie sehr sich auch die Band ins Zeug legte, für Musik, die im Grunde genommen nicht die ihre war. Doch das schien niemanden zu kümmern, weil sie alle am gleichen Strang zogen und alle das gleiche Ziel hatten. Das hatte mit dem ersten Song, den sie aufgenommen hatten, angefangen, und war jetzt bei Lied Nummer zehn nur noch deutlicher spürbar geworden.

„Also dann“, rief Mark durch den Raum und ließ damit ausnahmslos alle schlagartig verstummen. „Color My Life die Siebte“, gab er das Startsignal und Marios Finger tanzten sogleich über die weißen und schwarzen Tasten.

Wie bei jedem Durchgang, bei dem Klaas nicht selbst beteiligt war, sang er die Zeilen für sich im Kopf mit; weil er nicht anders konnte, aber auch, weil er so am ehesten bemerkte, wenn sich ein Ton nicht richtig anfühlte.

Dennoch fiel es dem Musiker diesmal etwas schwerer als sonst, sich zu konzentrieren, da Joko nach beinahe zwei Wochen endlich wieder nahe genug bei ihm saß, um seine Wärme spüren zu können.



Die Sonne bewegte sich in ihrem goldenen Kleid langsam, aber sicher Richtung Horizont, als Joko und Klaas durch die Eingangstür von Marks Haus ins Freie traten.

Mit einem Haken an „Color My Life“ standen nun noch drei Lieder auf der Liste, die sie bis zum Ende der kommenden Woche finalisieren wollten, und Klaas wäre stolz auf ihre Fortschritte gewesen, wenn nicht das Bewusstsein, endlich mit Joko sprechen zu können, alles andere vorübergehend nichtig gemacht hätte. Es war eine andere Nervosität, die nun durch ihn pulsierte, da er tief in seinem Innersten schon spüren konnte, dass am Ende dieses Abends alles anders sein würde.

Besser, hoffte Klaas mehr als alles andere, und stellte sich dennoch gleichzeitig auch darauf ein, dass das Gegenteil der Fall sein könnte.

Mit Jokos Wagen fuhren sie zurück in die Innenstadt und dort am Hafen entlang in Richtung Fischmarkt, nachdem sie auf der Fahrt mehrere Minuten lang über mögliche Restaurants gesprochen hatten und schließlich bei Henssler Henssler gelandet waren. Joko hatte direkt aus dem Auto heraus dort angerufen und für 20:30 Uhr einen Tisch ergattert, und schon wenig später parkten sie mit Blick auf das Wasser und noch einigen übrigen Minuten.

Die Sonne glitzerte auf der dunklen Elbe, und Klaas hätte gerne mehr Hirnkapazitäten zur Verfügung gehabt, diesen Ausblick in all seiner Pracht genießen zu können. Doch Joko war zu nah und zu warm, und sein Duft war überall, und das war alles, worauf der Braunhaarige sich konzentrieren konnte, während Joko den Motor abstellte, und sich mit einem leisen Ausatmen gegen die Sitzlehne gleiten ließ.

Die Bewegung sendete eine weitere Welle des Joko-Geruchs in Klaas‘ Richtung und machte es ihm noch ein bisschen schwerer, den Fokus irgendwo anders hinzulenken als auf den blonden Mann.

Für einen Moment saßen sie in völliger Stille und obgleich so viel Unausgesprochenes zwischen ihnen lag, fühlte es sich nach all den Tagen des Zweifels zumindest in diesem Augenblick nicht mehr ganz so erdrückend an.

Klaas‘ Kopf kippte leicht in Jokos Richtung, weil der Anblick für ihn ohnehin viel bedeutender war, und er fand den Älteren, wie er nachdenklich, aber doch mit einem kleinen Lächeln über das Wasser starrte.

Sein Herz hüpfte in seiner Brust und zum abermillionsten Mal wurde ihm klar, wie schön der Andere war. Nicht nur optisch – seine weichen Haare, die leuchtenden Augen und der geschwungene Mund – sondern auch das, was er ausstrahlte, mit jeder Faser seines Daseins.

Joko war anders.

Besonders.

Pur, auf eine Art und Weise, wie Klaas das bisher nur selten begegnet war, und der Ältere hatte es geschafft, sich das zu bewahren, selbst nach allem, was er in seiner Vergangenheit gesehen und erlebt hatte.

Joko war… echt.

Und das, was Klaas fühlte, war es auch.

Der Gedanke ließ seine Haut kribbeln.

Sein Herz für einen Augenblick anhalten.

Und dann mindestens dreimal so schnell weiterschlagen, während seine Hand wie von selbst über seinen Oberschenkel glitt, bis seine Finger an sein Handy stießen. Ohne darüber nachzudenken oder es nochmal zu hinterfragen, hüpfte Jokos Name auch schon über seine Lippen.

Der Blonde eiste seinen Blick vom Wasser los und traf neugierig auf den von Klaas.

„Bevor…“, sagte der Jüngere und begann dabei, an seiner Hosentasche zu friemeln. „Darf ich dir noch was zeigen, bevor wir da gleich reingehen?“

Die Neugier auf Jokos Gesicht wuchs und seine Augen fielen für einen Moment auf das Handy, das der Kleinere soeben erfolgreich befreit hatte.

„Natürlich“, erwiderte Joko und deutete mit seiner Hand an, dass er fortfahren sollte.

Klaas griff nach dem USB-Kabel, das aus der Mittelkonsole ragte und mit dem riesigen Bordcomputer verbunden war, dem er mit einem Knopfdruck kurz darauf Leben einhauchte. Seine Handgriffe waren bestimmt und zielgerichtet, und das, obwohl er innerlich vor Aufregung zitterte.

Es dauerte einen Moment, bis Klaas‘ Handy von Jokos Auto erkannt wurde. Sobald das kleine Ping jedoch ertönt war, öffnete der Brünette die entsprechende App, in der seine Musik gespeichert war, und schaute erst dann zu Joko, als ihn nur noch ein letzter Knopfdruck von „Echt“ trennte.

Der Größere hatte seine ganze Aufmerksamkeit auf Klaas gerichtet, der Mühe hatte, das Zittern unter der Eindringlichkeit seines Blickes weiterhin in sich einzusperren.

„Ich hab‘ noch ‘n viertes Lied geschrieben“, verkündete der Jüngere, nachdem er nochmal durchgeatmet hatte.

Er konnte sehen, dass Joko sichtlich überrascht war; wie seine Augen etwas größer wurden und wie er den Gurt löste, um sich dem Kleineren noch weiter zudrehen zu können.

„Wann hattest du denn dafür noch Zeit?“, fragte er, und auch in seiner etwas höheren Stimmlage konnte man hören, dass er damit nicht gerechnet hatte.

Vor zwei Wochen.

Nach dem Sommerfest.

An dem Abend, an dem wir uns fast geküsst hätten.

Eine Vielzahl von ehrlichen Antworten rollte durch Klaas‘ Kopf.

Jede einzelne davon hätte er sagen können; von den unverfänglichen bis hin zu jenen, von denen es kein Zurück geben würde.

Aber sie wollten ehrlich miteinander sein, hatten sie gesagt. Sie wollten darüber sprechen, und Klaas wollte das am allermeisten. Deswegen entschloss er sich, seinen ganzen Mut zusammenzusammeln. Er entgurtete sich ebenfalls mit seiner freien Hand und tat es Joko gleich, indem er sich in seinem Sitz drehte.

Ihre Augen verbanden sich noch etwas tiefer miteinander; so, wie das schon so oft mit ihnen passiert war, und so, wie Klaas das auch immer nur mit dem Anderen jemals hatte zulassen können.

„Vor zwei Wochen.“ Eine letzte Prise Mut lugte hinter seinem Herzen hervor und Klaas schnappte sie sich sofort. „In der Nacht, in der wir uns… fast geküsst hätten.“

Der Jüngere hielt kurz die Luft an.

Und atmete dann geräuschvoll wieder aus.

Da war sie also nun.

Die Wahrheit. Die Antwort auf Jokos Frage. Und die Offenbarung, die er mit noch niemandem geteilt hatte. Die er ohnehin nur mit Joko teilen wollte.

Sie hätten sich fast geküsst.

Und Klaas hatte das wirklich, wirklich gewollt.

So sehr, wie er es nun nicht mehr verschweigen oder gar leugnen wollte.

„Klaas…“ Sein Name klang wie ein zittriges Seufzen, aber der Ausdruck in Jokos Augen war stark und beständig.

„Hör’s dir einfach nur an, okay?“

Mehr wollte oder konnte Joko wohl nicht sagen, denn er nickte nur und lehnte anschließend seinen Kopf seitlich gegen die Kopfstütze, während sein Fokus weiter ungeteilt auf Klaas ruhte. Der lenkte seine nur ganz kurz auf das iPhone in seinen Händen, um das richtige Lied zu erwischen und drückte dann auch ohne weitere Umschweife darauf.

Die ersten Töne der Melodie erklangen, als sich ihre Augen wieder fanden.


Die Nacht war dunkel
Nur am Himmel glitzerten Sterne
Der Kopf voller Wünsche
Unerfüllt und in weiter Ferne

Im ersten Licht des Tages
Waren sie immer noch da
Flirrend wie eine Fata Morgana
Unbegreiflich, aber klar



Die Melodie und Klaas‘ Stimme füllten den Wagen bis in die letzte Ecke, und kurz fühlte es sich seltsam an für Klaas, sich beim Singen zuzuhören. Viel lieber hätte er den Song gerne selbst vorgetragen; hätte sich am liebsten seine Gitarre geschnappt, um Joko das ganze live und in Farbe erleben zu lassen. Aber so unmöglich, wie das in dieser Umgebung war, so unmöglich wäre es für Klaas gewesen, nur noch eine Minute länger darauf zu warten, dem Anderen das Lied zu zeigen.

Die Melodie und den Text, die schon so lange ein Teil von ihm gewesen waren und nun mit aller Macht nach draußen drängten.


Wann lohnt es sich zu kämpfen?
Wann sollte man es lassen?
Will man es wagen?
Oder wagen, es zu verpassen?

Das Größte, das Wahrste
Das Beste und das Klarste
Diese eine Sache im Herzen,
Die man niemals vergisst
Weil sie echt ist
Weil sie echt ist



Das Gefühl der Unbehaglichkeit sich selbst zu hören, löste sich jedoch ohnehin sekundenschnell auf, weil das goldene Braun, das ihm entgegenblickte, immer intensiver wurde. Immer einnehmender. So sehr, dass alles andere in Vergessenheit geriet, was nichts mit diesem Moment zu tun hatte, den Klaas mit Joko teilte.

Das Lied pulsierte zwischen ihnen, befeuerte die Energie, die immer da war, und der sie sich so lange so erfolgreich hatten widersetzen können, wo das jetzt beinahe unmöglich schien. Sie ließ die Härchen auf Klaas‘ Armen schwingen, und jede Zelle tief in ihm drin auch, und alles zog ihn in diese eine Richtung, die die einzig richtige war.


Plötzlich sind aufregende Träume
Nicht mehr nur ein Teil der Nacht
Haben mit Krawall und Remmidemmi
Die buntesten Farben in ein eintöniges Leben gebracht

Aus ungewissem Warten und Hoffen
Wird auf einmal überwältigend Realität
Um das allergrößte Glück zu finden,
Ist es niemals zu spät



Joko schwieg. Sagte kein Wort zu dem, was er hörte. Aber das Gold im Braun schien zu schmelzen und die Emotionen, die er nicht aussprach, waren alle da in seinen Augen. Beruhigten die Unsicherheit, die Klaas verspürte, und versetzten ihn in eine ganz andere Aufregung, die er kaum gebändigt bekam.

Die sein Herz schneller schlagen ließ. Seine Hände zucken ließ, die nach Joko greifen wollten. Nach diesem Mann, der ihn ansah, als könne die Welt in diesem Moment enden und als könne er nicht mehr Gleichgültigkeit darüber empfinden, weil in diesem Moment alles lag, was er zum Leben brauchte.

Und Klaas konnte es verstehen. Obwohl er selten so gefühlsduselig wurde, konnte er es verstehen, weil er genau dasselbe empfand.


Wann lohnt es sich zu kämpfen?
Wann sollte man es lassen?
Will man es wagen?
Oder wagen, es zu verpassen?

Das Größte, das Wahrste
Das Beste und das Klarste
Diese eine Sache im Herzen,
Die man niemals vergisst
Weil sie echt ist
Weil sie echt ist



Der kraftvolle Refrain echote durch Jokos Wagen und der Takt vibrierte durch Klaas. Der Takt, der nie seiner gewesen war und der mit Blick auf Joko doch zu seinem wurde. Sich in ihm verankerte. Und schließlich doch seiner war.

Er konnte ihn ganz deutlich spüren. Ganz tief. Ganz intensiv. Mehr als jemals zuvor. Und obwohl alles andere in ihm aufhörte, zu arbeiten, als Joko nach seiner Hand griff und ihre Finger miteinander verband, blieb der Takt. Schlug kräftig und stetig. In seiner Brust.

Und mit Joko, an dieser Stelle, an der sie sich berührten.


Nur durch dich ergibt endlich alles Sinn
Ich bin, wer ich sein will
Und will sein, wer ich bin
Nur mit dir hat nicht einmal der Himmel Grenzen
Und wenn da doch welche wären,
Würden wir jede einzelne sprengen



Der Blonde hatte es in den vergangenen Wochen oft geschafft, Klaas um seine Fassung zu bringen und sein Herz schneller schlagen zu lassen. Er hatte es lange nicht verstanden und dann noch ein bisschen länger ignoriert, aber selbst nachdem er es akzeptiert hatte, hatte es sich noch nie so angefühlt wie in diesem Moment.

Es war nie so überwältigend gewesen.

Nie so völlig einnehmend.

Überhaupt war es noch nie so gewesen. Mit niemandem. Und Klaas hatte auch nie daran geglaubt, dass es jemals so sein würde. Hatte geglaubt, dass es bescheuerte, ausgedachte Konzepte aus Büchern und Filmen waren, die einem kulturell vorgelebt wurden, um die Grauen der Welt etwas erträglicher zu machen.

Und doch saß er hier, mit Joko, der seine Hand hielt, und er fühlte sich wie sechzehn, überhaupt erst zum ersten Mal verliebt, mit Schmetterlingen im Bauch, deren aufgeregte Flügelschläge in diesem ganz besonderen Takt sein Innerstes streichelten.


Wann lohnt es sich zu kämpfen?
Wann sollte man es lassen?
Will man es wagen?
Oder wagen, es zu verpassen?

Das Größte, das Wahrste
Das Beste und das Klarste
Diese eine Sache im Herzen,
Die man niemals vergisst
Weil sie echt ist
Weil sie echt ist



Joko schwieg beharrlich und tat es doch nicht. In seinen Augen brannte mittlerweile ein neues Feuer, das der Ältere bisher scheinbar vor ihm verbergen hatte können, und das Klaas ergriff und das er nie wieder loslassen wollte.

In dieser einen Sekunde. In diesen Minuten, in denen sie dort saßen, schien zum ersten Mal in seinem Leben plötzlich alles möglich zu sein. Schien er alles haben zu können. Alles zu wollen. Von den großen Bühnen, die strahlten und leuchteten und die nach wie vor sein Traum waren, und die zugleich doch nicht einmal annähernd die Anziehung auf ihn ausstrahlten, wie der Drang Joko zu küssen. Ihm nahe zu sein. Von ihm gehalten zu werden, wie nur er das vermochte. Die Ruhe mit ihm zu genießen.

In diesem Augenblick.

Und allen anderen, die hoffentlich folgen würden.


Wann lohnt es sich zu kämpfen?
Wann sollte man es lassen?
Will man es wagen?
Oder wagen, es zu verpassen?

Das Größte, das Wahrste
Das Beste und das Klarste
Diese eine Sache im Herzen,
Die man niemals vergisst
Weil sie echt ist
Weil sie echt ist



Langsam, aber stetig wurde die Melodie leiser. Nicht in Klaas. Aber in den Lautsprechern des Autos, in denen sie schließlich gänzlich verklang.

Die Energie jedoch, diese Magie, die die realistische Seite von Klaas nicht so nennen wollte, obwohl es nur das sein konnte, die blieb. Wurde festgehalten, in dem Raum, der zwischen ihnen lag; der zu klein war, um all das in sich zu wahren, was in ihm passierte, und der doch zu groß war, dafür, wie nahe Klaas dem Anderen in diesem Moment sein wollte.

„Klausi…“, flüsterte der auch schon im nächsten Augenblick, seine Stimme so weich, wie der Ausdruck auf seinem Gesicht. Er drückte Klaas‘ Hand ganz vorsichtig, und hielt sie gleichzeitig ganz fest. So, als wolle er den Jüngeren davon abhalten, ihm zu entkommen, obwohl es das Letzte war, was Klaas jemals in den Sinn hätte kommen können.

„Das…“, begann Joko erneut, aber wieder blieb es nur bei diesem einen Wort. Zumindest für einen Moment. „Was… was war das?“

Klaas musste lachen, aber es war ein rauer, heiserer Ton, der im starken Kontrast stand zu seiner melodischen Stimme, die gerade noch durch das Auto geflogen war. Trotzdem waren die Emotionen hinter beiden Tönen die gleichen.

„Ich glaube, man nennt es ein Lied“, antwortete Klaas, ebenso flüsternd, obgleich der Humor in seiner Stimme für deutlich mehr Volumen sorgte.

Die Antwort des Brünetten ließ Joko nun ebenfalls glucksen, und in die Flammen in dessen Augen mischte sich ein amüsiertes Funkeln.

„Ach, verrückt. Wäre ich fast nicht drauf gekommen“, entgegnete Joko und schüttelte leicht den Kopf, ehe er wieder etwas besonnener wurde.

Er hielt immer noch Klaas‘ Hand, und sein Daumen fing an, kleine Kreise auf Klaas‘ Haut zu zeichnen, die postwendend eine Gänsehaut über seinen Körper schickten und den Jüngeren kurz die Augen schließen ließ.

Als er sie wieder öffnete, waren Jokos immer noch bei ihm.

„Aber was hat es zu bedeuten?“, fragte der Blonde und fast wollte Klaas noch einmal lachen, weil die Frage so absurd war. Dennoch verkniff er es sich, weil Jokos Blick wieder von dieser Unsicherheit gezeichnet war, die Klaas dort eigentlich nicht sehen wollte.

„Ich dachte eigentlich… dass das offensichtlich wäre“, antwortete Klaas, und sein Herz begann wieder etwas mehr Blut zu pumpen, als sich der Humor aus dem Moment verkrümelte und die ganze Tragweite der Wahrheit sich entfaltete.

Joko zögerte und der Braunhaarige konnte fühlen, wie dessen Hände immer heißer wurden. „Irgendwie schon… aber ich kann es nicht so recht glauben…“, begann er und sein Brustkorb hob und senkte sich schwerfällig. „Ich meine… du… also… ich dachte immer, du magst Frauen? Und nicht Männer… auf diese Art…“

Der Jüngere nickte und ließ sein iPhone dabei auf die Mittelkonsole gleiten, ehe er die nun freigewordene Hand auf ihre schon verbundenen legte.

„Ich schein‘ dich auf diese Art zu mögen… sehr sogar. Reicht das?“, fragte Klaas, der sich nun seinerseits ein wenig unsicher fühlte.

Er konnte nicht umhin, daran zu denken, wie Momente dieser Art in seiner Vergangenheit immer anders verlaufen waren. Er war mit seinen Ex-Freundinnen ausgegangen, man hatte sich kennengelernt oder war gar schon miteinander befreundet und irgendwann wurden aus Dates einfach mehr, ohne, dass man groß darüber sprach. Überhaupt war das Sprechen über Gefühle nie so sein großes Ding gewesen, weshalb er immer froh gewesen war, dass die Dinge einfach ihren Lauf genommen hatten.

Mit Joko war natürlich alles anders.

Vielleicht ein bisschen komplizierter und komplexer, als es das sein sollte.

Dennoch würde Klaas es für kein Geld der Welt eintauschen, hier mit ihm zu sitzen. Seine Wärme zu fühlen. Sein sanftes Lächeln zu sehen. Das goldene Braun auf sich zu spüren, unverrückbar und intensiv.

Klaas wollte darin eintauchen, weil es so einladend und berauschend war; und vielleicht hätte er es auch getan, wenn ihn die Stimme des Anderen nicht davon abgehalten hätte.

Wenn die Stimme des Anderen ihn nicht komplett in seinen Sitz gedrückt und es ihm unmöglich gemacht hätte, sich zu bewegen.

„Du hast keine Ahnung, wie sehr ich dich gerade küssen möchte“, sagte er, und da war ein solcher Nachdruck in seiner Stimme, dass es Klaas heiß durch den Körper jagte.

Auf eine Weise heiß, wie er es schon sehr, sehr lange Zeit nicht mehr verspürt hatte, und die das Kribbeln auf seiner Haut und darunter eine ganz neue Intensität annehmen ließ.

„Warum tust du’s dann nich‘?“

Das Braun in Jokos Augen verdunkelte sich um mehrere Nuancen.

„Weil ich dich küssen will, Klaas“, antwortete er, sein Tonfall tief und schwer, und der Jüngere fragte sich kurz, ob Jokos Stimme irgendeine Zauberkraft besaß, von der er noch nichts gewusst hatte. „Richtig küssen. Ich will dich in den Arm nehmen. Und dich berühren können.“

Jedes einzelne Wort sendete eine weitere Woge der Gänsehaut über seinen Rücken, und Klaas hatte vielleicht nur eine vage Vorstellung davon, wie sehr Joko ihn küssen wollte, aber er hatte eine sehr, sehr gute Vorstellung davon, wie unbedingt er Joko küssen wollte; umso mehr noch nach dessen Worten, die Dinge in ihm anrichteten, die ihn in deren Ausmaß komplett aus der Bahn warfen.

„Warum sind wir noch hier?“, fragte der Kleinere schließlich, weil es ihm die einzig logische Frage zu sein schien.

„Was ist mit unserem Tisch?“

„Essen wird überbewertet.“ Klaas‘ Kopf kippte leicht zur Seite und gegen die Kopfstütze seines Sitzes. „Und so hungrig bin ich gar nich‘, wenn ich darüber nachdenke.“

Joko schien die Luft angehalten zu haben, denn die floss ihm jetzt mit einem lauten Atemzug von den Lippen. Das goldene Braun verdunkelte sich weiter, während er Klaas immer noch durchbohrend musterte.

„Du machst es mir wirklich so überhaupt gar nicht einfach“, seufzte Joko, aber im Vergleich zu den anderen beiden Malen war die Aussage weniger schwermütig, sondern voll der Zuneigung, die Klaas auch in dessen Augen entdeckte.

Wenn auch nur noch für einen Moment.

Im nächsten löste Joko den Blickkontakt, und eine seiner Hände aus dem Griff von Klaas. Mit leicht verdrehter Schulter drückte er den Knopf, um sein Auto zu starten und legte mit noch etwas mehr Akrobatik den Rückwärtsgang ein, all das, um nur nicht die Hand von Klaas loslassen zu müssen, die er während der stillen und trotzdem so geladenen, zehnminütigen Fahrt zum Hotel mehrmals drückte, aber niemals locker ließ.

Das tat er nur, als sie vom Parkplatz zum Hotel und durch die Lobby liefen, doch sobald die Türen des Aufzugs geschlossen waren, verwob Joko seine Finger abermals mit denen von Klaas, und der neuerliche Körperkontakt und die Funken, die dadurch auf ihn übersprangen, kosteten den Braunhaarigen sämtliche Kraft, die er besaß, sich davon abzuhalten, den Anderen nicht sofort an Ort und Stelle zu küssen. Nicht diesem Drang nachzugeben, ihm nahe sein zu wollen. Und noch ein Stückchen näher.

Er wagte es nicht einmal, den Blonden anzuschauen, aus Angst, sich dann vielleicht gar nicht mehr zusammennehmen zu können, und so beobachtete er lieber das LED-Display mit der Etagen-Anzeige; feuerte es an, sich schneller zu bewegen und mahnte es gleichzeitig zu jeder Sekunde, es ja nicht zu wagen, auch nur ein einziges Mal anzuhalten.

Welche höhere Macht da draußen auch immer zugehört haben mochte, sie tat Klaas den Gefallen, um den er so sehr gebeten hatte, und auf ihrem Stockwerk angekommen, lenkte Joko sie schon wenig später den Gang hinab zu ihren Zimmern.

Erst dort blieben sie stehen und auch erst dort wagte es Klaas, seinem Freund wieder in die Augen zu sehen. In die warmen braunen Augen, die immer noch dunkler waren und immer noch funkelten, und die schon an einem normalen Tag die Kraft besaßen, Klaas um den Verstand zu bringen, und es an diesem Abend umso mehr taten.

„Willst du—“, begann Joko in der gleichen Sekunde, in der Klaas zu „Wo woll—“ ansetzte.

Der Jüngere deutete ihm mit seiner freien Hand an, zu sprechen.

„Wollen wir zu mir?“

Klaas nickte, während sein Puls überdeutlich in seinem Hals pochte. „Is‘ sicher besser. Bei mir ist schon vor zwei Wochen mein Koffer explodiert.“

Joko kicherte und fischte indessen mit seinen Fingern in seiner Hosentasche, aus der er kurz darauf die graue Zimmerkarte zog.

Die Türe öffnete sich mit einem leisen Klick.

Ehe sie sich mit einem deutlich lauteren hinter Joko und Klaas schloss, nachdem sie den Raum betreten hatten.

Und obwohl Klaas jede Intention hatte, sich zusammenzureißen und die Kontrolle zu wahren, war Jokos Hand auf seinem Rücken, der ihn in sein Zimmer führen wollte, schließlich doch genug, um irgendeine letzte Sicherung in seinem Kopf gänzlich durchbrennen zu lassen.

Schon im nächsten Augenblick drehte er sich rasch um seine eigene Achse, und Klaas konnte spüren, wie es nun sein eigener Blick war, der sich zweifelsohne verdunkelt hatte, als er den Anderen fragend und wollend anschaute.

Im Bruchteil einer Sekunde verwandelte sich der Ausdruck auf Jokos Gesicht von verwundert über neugierig bis hin zu wissend, und er fragte nichts und sagte nichts, sondern gab ihm nur die stille Erlaubnis, dass es okay war.

Mit einem forschen Schritt trat der Braunhaarige auf ihn zu, und die Vorwärtsbewegung ließ ihn gegen Joko sinken und sie beide mit einem Rumpeln gegen die Tür.

Warme, weiche Lippen schmiegten sich an seine und der kleine Seufzer, der Joko entkam, raubte dem Jüngeren zu guter Letzt auch noch den Rest seines Verstandes.

Zum dritten Mal, seit Klaas diesen unglaublichen Mann getroffen hatte, blieb seine Welt für einen ganzen, langen, atemberaubenden Augenblick lang stehen.

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