Deine Melodie in mir
von AlwaysKlako
Kurzbeschreibung
Musik war das Einzige, was Klaas jemals machen wollte. Der große Durchbruch jedoch, der schien nach über zehn Jahren im Business weiter entfernt, als jemals zuvor. Dann lernt der Musiker auf einem Event den charismatischen Joko Winterscheidt kennen, der ihn in seinen Bann zieht und der die Erfüllung von Wünschen und Träumen zu versprechen scheint, von denen Klaas gar nicht wusste, dass er sie hegte. [AU]
GeschichteRomance, Liebesgeschichte / P18 / MaleSlash
Joachim "Joko" Winterscheidt
Klaas Heufer-Umlauf
12.06.2022
05.02.2023
35
188.600
75
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
7 Reviews
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25.09.2022
4.417
Ihr Lieben,
eure Reaktionen zum letzten Kapitel haben mich wieder einmal umgehauen, vielen lieben Dank dafür ❤ Es hat mich wirklich unverhältnismäßig glücklich gemacht, dass euch das Kapitel, das mir selbst so am Herzen liegt, abholen konnte.
Und jetzt bin ich gespannt, was ihr zu diesem hier sagt (: Viel Spaß, einen wunderbaren Sonntag und einen ebenso guten Start in die neue Woche!
Passt gut auf euch auf ❤
Und dann war plötzlich alles anders.
Klaas hatte es schon gespürt, als er am Montagmorgen zu Joko ins Auto gestiegen war.
Hatte es gespürt in jeder schweigenden Sekunde auf ihrem Weg nach Hamburg.
Und auch in jedem einzelnen Augenblick seither.
Die Spannung, die seit ihrem Kennenlernen zwischen ihnen geflirrt hatte, war nun durchzogen von einer Unsicherheit, die Klaas nicht gefiel und die ihn überfordert zurückließ.
Denn eigentlich hatte er gedacht, dass er und Joko einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht hatten. Hatte angefangen zu glauben, dass das, was Joko und er da taten, tatsächlich mehr war als freundschaftliches Verhalten. Und hatte gehofft, dass es für sie beide doch so etwas wie Hoffnung gab.
Eine Zukunft.
Weil das, was sie verband, so viel größer war als irgendwelche Hindernisse und Regeln, die zwischen ihnen standen.
Es war in diesem Glauben, in dem er das Wochenende damit verbracht hatte, der Melodie in seinem Herzen zu folgen, die endlich den Mut gehabt hatte, ihr dunkles Versteck zu verlassen. Wie zähflüssiges, warmes Gold war es aus seinen Fingerspitzen geflossen; hatte zuerst Akkorde und später Worte in eine harmonische Form gegossen.
Klaas hatte in den vergangenen mehr als zehn Jahren eine Vielzahl an Liedern geschrieben und komponiert, und einige von ihnen hatten durchaus eine besondere Bedeutung für ihn.
Aber diese Melodie…
Dieser Takt, der nicht seiner war und in dem sein Herz nun trotzdem schlug…
Diese Zeilen, die nie Sinn ergeben hatten, und nun doch in aller Deutlichkeit von seinen Lippen glitten…
Sie alle hatten sich an diesem Wochenende endlich in perfekter Symbiose und Symphonie ineinandergefügt.
Hatten sich so außerordentlich überwältigend angefühlt, weil Klaas es auf wundersame Weise geschafft hatte, einem immateriellen Teil seines Selbst eine Form zu geben und in diese Welt zu befördern. Es geschafft hatte, einen Teil seines Herzens in etwas Greifbares zu verwandeln, das er hören und sehen konnte, und mit jedem teilen würde können, sobald er bereit dazu war.
Er bezweifelte, dass irgendetwas jemals einzigartiger werden konnte als das. Als diese Tatsache. Als dieses Gefühl.
Und Klaas hatte achtundvierzig Stunden lang gehofft und geglaubt. Dass jetzt endlich irgendwie alles anders werden würde. Besser.
Nur, dass alles so ganz anders anders gekommen war.
„Darf ich mitkommen?“
Klaas war mit seinen Händen gerade auf halbem Weg dabei, sich seine Kopfhörer in die Ohren zu schieben, um mit einem motivierenden Beat eine kleine Laufrunde entlang des Hamburger Hafens zu drehen, als ihn die eine Stimme aufhielt, die er nicht erwartet und auf die er doch gehofft hatte.
Der Brünette wandte sich der Quelle der Worte zu und fand Joko durch den Eingang des Hotels zu ihm heraustreten. Sein Blick war von der gleichen Unsicherheit geprägt, die schon die ganze Woche zwischen ihnen herrschte, und die Klaas mit jedem Tag ein bisschen mehr verabscheute.
Es fühlte sich nicht richtig an, dass sie da war. Nicht, wenn er sich selbst so sicher war, was er wollte. Und irgendwie hatte er ja auch naiverweise gedacht, dass es Joko ähnlich ging. Dass da irgendetwas war, zwischen ihnen. Selbst jetzt, als der Blonde sich neben ihn stellte und ihre Arme sich fast berührten, weil eine unsichtbare Kraft sie zueinander zog, wusste Klaas, dass da mehr war.
Er hatte nur absolut keine Ahnung, was er deswegen tun sollte.
„Natürlich“, antwortete er also nur, und ließ seine Ohrstöpsel zu seinem Handy in die Hosentasche gleiten.
Die beiden Männer guckten sich vorsichtig zurückhaltend an; die Unsicherheit des Älteren nun auch auf Klaas übergesprungen.
„Danke“, erwiderte der Blonde und nach einem kurzen Nicken liefen sie schließlich im Gleichschritt los.
Bis hinunter zum Hafen waren es von ihrem Hotel aus etwa zwei Minuten, die sie mit einem lockeren Tempo begannen, um warm zu werden, bevor sie die Geschwindigkeit am Ufer der Elbe etwas erhöhten.
Anders als sonst verbrachten sie schon den Beginn ihres Laufes schweigend, und es war ein weiterer Stein auf diesem Berg an Dingen, die Klaas an diesem neuen, wackeligen Konstrukt, das ihre Beziehung nun war, verabscheute.
Er wollte mit Joko reden.
Und zwar am liebsten darüber, was da am vergangenen Freitag beinahe zwischen ihnen passiert wäre. Er hätte aber auch über das Wetter mit ihm gesprochen, oder über das Frühstück im Hotel. Über irgendwas, Hauptsache, sie würden überhaupt miteinander quatschen.
Am allerliebsten wollte er jedoch trotzdem über den vergangenen Freitag sprechen. Über das, was seither unausgesprochen zwischen ihnen schwebte. Denn auch, wenn es in diesem Moment wie ein Traum erschien, dass sie sich so nahe gewesen waren, war sich Klaas dessen umso bewusster, was an jenem Abend fast geschehen wäre.
Er und Joko, sie hatten sich fast geküsst.
Geküsst.
Und Klaas hatte in jenem Augenblick nichts mehr gewollt als das.
Das hatte er in jener Sekunde gewusst. In jeder Minute des Wochenendes. Und an jedem der vier Tage der neuen Wochen, die bereits ins Land gezogen waren, ohne, dass sie es auch nur im Ansatz erwähnt hatten, auch an denen hatte er es gewusst. Und hatte es sich selbst gegenüber auch nicht ein einziges Mal geleugnet.
Aber was nur sollte er tun? Er hasste es, Dinge unausgesprochen zu lassen, ganz besonders, wenn sie anfingen, Einfluss auf die zwischenmenschlichen Beziehungen zu nehmen. Lieber klärte er Unstimmigkeiten sofort, als lange herumzurätseln, wo das Problem lag. Egal, wie unangenehm es auch sein mochte. Für alles andere hatte er selten die Zeit, und noch viel weniger die Lust.
Und dennoch… wusste er nicht, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Sie hatten sich versprochen, immer ehrlich miteinander zu sein und daran wollte Klaas eigentlich auch festhalten. Allerdings hatten sich das Manager-Joko und Musiker-Klaas versprochen. Galt das auch für Privat-Joko und Privat-Klaas?
Gerade in diesem Moment war er es leid, dass Joko so sehr darauf beharrte, ihre beiden Welten zu trennen. Am Anfang ihrer Beziehung und Zusammenarbeit war es ja vielleicht noch relativ einfach gewesen, das zu tun. In der Zeit, in der sie sich kennengelernt hatten und ihre Zusammenarbeit noch keine konkreten Konturen angenommen hatte.
Mittlerweile wurde es jedoch immer schwerer. Die Musik war so ein großer Teil von dem, wer Klaas war und gerade, seit die Kreativität wieder von ihm Besitz ergriffen hatte, wollte er das mit den Menschen teilen, die ihm wichtig waren. Tat er natürlich auch, auch mit Joko. Nur eben anders, als er es gerne würde.
Und jetzt war da diese Sache zwischen ihnen, die Klaas so gerne ansprechen wollte, um diese Ungewissheit und Spannung irgendwie aus der Welt zu schaffen. Diese Sache, die er ansprechen würde, wenn Joko einfach nur Joko wäre. Aber er war nun eben auch sein Manager, und obwohl sie diese Ebenen strikt trennten, fühlte es sich für Klaas so an, als wäre eine Trennung in diesem Fall nicht mehr möglich.
Denn wie sollte man es trennen, wenn Klaas seine Gefühle offen auf den Tisch legen würde und Joko nicht dasselbe empfand? Es war für Klaas kaum auszumalen, weiter mit Joko zusammenzuarbeiten, wenn der Ältere sich in seiner Gegenwart plötzlich nicht mehr wohlfühlen würde.
Alleine der Gedanke war unerträglich, dass Joko sich in seiner Gegenwart nicht mehr wohlfühlen könnte.
Und selbst wenn er das gleiche empfinden sollte. Wie sollte man privat und beruflich trennen, wenn sie es miteinander versuchen würden, alles miteinander geteilt hätten und es trotzdem schiefgehen würde? Es reichte die Vorstellung, um Klaas‘ Gehirnwindungen in Dutzende Knoten zu verwickeln, die er dort allesamt eigentlich überhaupt nicht haben wollte.
Es war alles so schrecklich kompliziert und gleichermaßen doch so einfach und klar.
Nur wusste Klaas einfach nicht, was zum Teufel er deswegen nun tun sollte.
Alles, was er wusste, war, dass er diese Unsicherheit zwischen ihnen hasste.
Weil sie so überhaupt nicht zu dem Kribbeln passte, das durch ihn waberte, während er neben seinem Partner herlief, mit dem er sonst so viel zu reden hatte, nur an diesem Morgen irgendwie nicht.
„Is‘ alles okay?“, fragte Klaas nach einer Weile trotzdem, weil er es anders nicht mehr aushielt.
„Ja, klar. Hab‘ bisschen unruhig geschlafen, deswegen bin ich heute noch nicht so ganz auf der Höhe“, erklärte der Ältere, und obwohl Klaas zu ihm hinüberschaute, erwiderte der den Blick nicht.
Auch das hasste Klaas. Den Fakt, das Joko seinem Blick in den letzten Tagen so oft ausgewichen war. Und selbst wenn sich ihre Augen einmal getroffen hatten, war da eine sichtbare Mauer in dem warmen Braun gewesen, das deswegen weniger warm gestrahlt hatte.
Es passte nicht zu Joko.
Und es passte nicht zu ihnen.
Und allein das war eigentlich Grund genug, an diesem Zustand etwas zu ändern. Wenn nur die Auswirkungen nicht das Potential hätten, unendlich katastrophal zu werden.
Klaas seufzte tief und verzweifelt in sich hinein.
„Dann hoffe ich, dass das kommende Nacht besser klappt, wenn du wieder in deinem eigenen Bett schlafen kannst.“
Den Gedanken, dass Joko schon in wenigen Stunden nach Berlin aufbrechen und erst am Montagnachmittag nach Hamburg zurückkehren würde, war einer, den Klaas am liebsten ignoriert hätte.
Und doch war es der Gedanke, der nun mit voller Wucht zuschlug.
„Hmm…“, murmelte Joko als Antwort, mit seinem Fokus immer noch in die Ferne gerichtet. „Und du so? Hast du schon Pläne für das freie Wochenende in Hamburg?“
Klaas ließ seine Augen nun über das Wasser gleiten, das sich neben ihnen dunkel entlangschlängelte. „Mia wollte mir ihren Lieblingsspielplatz zeigen. Da werden wir am Sonntag wohl mal hinschauen, nachdem das Wetter ja schön sein soll. Ansonsten is‘ nich‘ viel geplant.“
„Mia hat auch ‘n ganz schönen Narren an dir gefressen, oder? Ist echt süß, wie sie immer an dir hängt, wenn sie die Gelegenheit dazu hat.“
Die Erwähnung des kleinen, rothaarigen Mädchens ließ Klaas zumindest etwas grinsen und ihn auch für eine Sekunde vergessen, dass gerade alles anders war.
„Ja, irgendwie schon“, stimmte Klaas zu. „Ich mag die Kleine aber auch sehr gern. Beruht also vielleicht ‘n bisschen auf Gegenseitigkeit.“
Der Jüngere schaute erneut zu seinem Laufpartner, der den Blick diesmal tatsächlich erwiderte, mit einem so sanften Lächeln, wie nur Joko das konnte.
„Kann ich verstehen“, sagte er und hielt Klaas‘ Augen noch einen Herzschlag lang gefangen, bevor er sich wieder ihrer Laufstrecke widmete.
Klaas‘ Herz trommelte verräterisch, aber gleichzeitig versuchte er, nicht zu viel in diese Aussage hineinzuinterpretieren, während sie gemeinsam weiter über den gepflasterten Weg joggten.
Etwa fünf Kilometer lang folgten sie dem Wasser, bis sie an einem Park-Eingang kehrt machten, und auf derselben Route zurückliefen, auf der sie gekommen waren. Den Großteil des Weges legten sie schweigend zurück; nur ihre Blicke trafen sich immer mal wieder zufällig, wenn Joko in Richtung des Flusses schaute, oder Klaas zu den wenig spektakulären Gebäuden auf der anderen Seite. Und wenn es passierte, dann lächelten sie so verlegen wie Schulkinder, die gerade beim Anschmachten ihres Schwarms erwischt wurden.
In einiger Entfernung konnten sie schon bald wieder die Landungsbrücken erkennen und Klaas fragte sich, ob sie wenigstens ein kleines Laufduell auf die Reihe bekommen würden. Doch Joko machte auch dazu keine Anstalten, lief weiter schweigend neben ihm her, und Klaas traute sich ebenfalls so lange nicht, es vorzuschlagen, bis sie schließlich zurück an ihrem Hotel angekommen waren.
Sie schafften es in absoluter Stille bis in die siebte Etage, auf der ihre beiden Zimmer lagen, und kamen erst vor ihren gegenüberliegenden Türen zum Stehen.
Die Spannung, die zwischen ihnen lag, war aufgeladen mit all den Dingen, über die sie nicht sprachen, und dieser Zustand ging so sehr gegen Klaas‘ Natur, dass er beinahe alle Zweifel über Bord geworfen hätte, wenn nicht Joko in jener Sekunde angefangen hätte, zu reden.
„Abfahrt in einer halben Stunde? Kriegen wir das hin?“, fragte er und kramte dabei mit einer Hand in seiner Laufhose, vermutlich nach seiner Zimmerkarte.
„Ja, sicher.“ Klaas seufzte innerlich und nickte äußerlich, bevor er ebenfalls nach seiner Zutrittskarte suchte.
Joko war als Erster erfolgreich und noch während der Jüngere in seiner Hosentasche kruschelte, spürte er die Hand des Anderen an seinem Oberarm, die sanft zudrückte.
Sofort schnellten seine Augen zu Joko, und ganz kurz glaubte Klaas, dass der Ältere das zu Ende führen würde, was sie am Freitag begonnen hatten. Der Ausdruck auf dessen Gesicht war für diesen einen Augenblick so offen und neugierig, dass er den Jüngeren wirklich hoffen ließ, sie würden die Unsicherheit der vergangenen Tage hinter sich lassen können, weil sie endlich so weit waren.
Doch Joko drückte nur noch einmal sanft mit seiner Hand, sendete eine kleine Schockwelle durch den Arm des Kleineren, ehe er den Kontakt abbrach, und nur ein wehmütiger Ausdruck auf dessen Gesicht zurückblieb.
Und eine prickelnde Leere auf Klaas‘ Oberarm, die den Jüngeren noch eine ganze Weile begleitete.
„Klaasi“, schallte Thomas Schmitts Stimme am Abend durch die Leitung. „Gott sei Dank hast du abgehoben!“
Mit einem Fischbrötchen in der Hand setzte Klaas sich auf eine Bank an den Landungsbrücken, während um ihn herum wildes Treiben herrschte. Das nahm er jedoch kaum wahr, da die Aufregung in Thomas‘ Stimme seine ganze Aufmerksamkeit in Beschlag genommen hatte.
„Natürlich“, erwiderte Klaas und nestelte noch kurz mit den Kopfhörern an seinen Ohren, bevor er das Handy auf seinen Schoß legte. „Ist alles okay? Du klingst aufgebracht.“
„Aufgebracht. Aufgebracht!“ Schmitti schnaubte und atmete dann einmal tief durch. „Ich und aufgebracht! Warum sollte ich aufgebracht sein, wenn mich Katha gerade um ein Date gebeten hat, hm? Gibt überhaupt keinen Grund aufgebracht zu sein, oder?“
„Aber… ist das nicht etwas, worüber wir uns freuen?“, fragte Klaas irritiert, und ließ sich nun doch von einer Gruppe kichernder Mädels ablenken, die in schicken Abendkleidern an ihm vorbeihuschten und wohl auf dem Weg zu den Fähren waren, die sie über die Elbe zu einem der Theatersäle bringen würden.
Genauso schnell wie die jungen Frauen hatte jedoch auch Schmitti seine Aufmerksamkeit wieder eingefangen. „Freuen? Klaas, Alter! Was soll ich denn jetzt machen?“
Der Jüngere musste sich nun selbst ein Kichern verkneifen. „Ey, Schmitt! Du bist 42 Jahre alt! Ich werd‘ dir wohl nich‘ erklären müssen, wie man eine Dame ausführt.“ Klaas schüttelte den Kopf und war froh darüber, dass sein Freund ihn nicht sehen konnte. „Abgesehen davon hat Katha dich gefragt, oder? Also sollteste wohl einfach nur auftauchen.“
„Aber wieso fragt sie mich überhaupt? Das ist doch alles…“ Er sprach nicht weiter und es wurde still am anderen Ende der Leitung.
„Das ist alles was?“, bohrte Klaas nach.
Schmitti brauchte noch einen Moment und atmete dann sehr frustriert klingend aus. „Verrückt.“
„Was genau jetz‘?“ Klaas legte sein Fischbrötchen neben das iPhone auf seinen Oberschenkel. „Dass zwei Menschen sich gut finden? Dass die dann vielleicht auch ‘n bisschen mehr Zeit miteinander verbringen wollen? Dass die sich dann vielleicht ineinander verlieben und noch mehr Zeit miteinander verbringen wollen?“ Irgendetwas zuppelte an seinem Herzen. „Ich wüsste nich‘, was daran verrückt sein sollte.“
Klaas‘ Worte schienen Thomas erneut in ein Schweigen zu stürzen, denn es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder sprach.
„Aber sie ist doch meine Angestellte…“
„Und? Ihr wärt nicht die ersten, denen das passiert.“
„Und wenn’s schiefgeht?“
„Seid ihr erwachsene Menschen, die das geregelt bekommen. Es findet sich immer ‘ne Lösung.” Klaas’ Blick glitt zu den rauschenden Wellen, die er gegen die Kaimauer branden hören konnte. „Außerdem, wer sagt denn, dass es schiefgeht? Vielleicht wird’s das Größte, was du je erlebt hast? Diese eine Sache, die für immer hält? Ist die Wahrscheinlichkeit nich‘ viel größer als die, dass es schiefgehen könnte?“
Schmitti atmete schwer ins Telefon. „Aber—“
„Thomas, du magst sie doch, oder etwa nicht?“
„Doch, natürlich.“
„Dann geh auf ein Date mit ihr. Da wirste schnell rausfinden, ob mehr draus werden kann. Und wenn nicht, no hard feelings. Ganz einfach.“
Wieder wurde es kurz still, aber zumindest der schwere Atem wurde ruhiger und stetiger.
„Wann wurdest du denn bitte zum Date Doctor?“
Klaas setzte gerade dazu an, etwas zu erwidern, als Schmitti nachsetzte. „Hat da vielleicht ein gewisser blonder Schönling was mit zu tun?“
„Thomas“, brummte Klaas ins Telefon, „übertreib’s nich‘. Ich leg‘ sonst auf.“
Dass sein Herz sofort wieder schneller schlug und gleichzeitig schmerzhaft zog, versuchte er beiseitezuschieben, aber Schmitti schien da andere Pläne zu haben.
„Also reden wir immer noch nicht darüber?“
„So is‘ es. Weil es nix zu reden gibt.“
„Aha. Ist das so?“
Klaas überlegte kurz und es zog noch ein bisschen mehr. „Glaub mir. Es gibt absolut gar nichts zu erzählen. Ich…“ Er schluckte den Knödel hinunter. „Wenn’s was gäbe, würd‘ ich’s dir sagen. Ich versprech’s.“
„Du…“ Schmitti pausierte kurz, bevor er weitersprach. „Ich muss dir aber nicht sagen, dass du mit mir reden kannst, oder? Und dass es okay wäre, wenn da was wäre?“
Sein Fokus glitt über das Wasser und das sich darin spiegelnde Funkeln der sinkenden Sonne. Ein Seufzer rollte von seinen Lippen. „Ich weiß“, antworte Klaas. Er wusste beides.
„Bist du so zögerlich, weil Joko ein Mann ist?“, bohrte der Ältere nach, aber der Tonfall in seiner Stimme wurde dabei schon deutlich vorsichtiger.
„Schmitti…“, seufzte Klaas nur, weil er nicht wusste, was er sonst dazu sagen sollte.
Thomas‘ Stimme wurde noch etwas sanfter, als er sprach. „Ich meine ja nur… auch das wäre okay, weißt du?“
Erneut jagte Klaas ungewollt ein Seufzen durch die Leitung. „Das ist es nicht… es ist… einfach nur kompliziert. Und ich wünschte, es gäbe was, was ich dir erzählen könnte. Aber gerade tut’s das nich‘.“
„Okay“, lenkte Schmitti schließlich ein, und wollte offenbar nicht weiter nachhaken. „Ich bin da, wenn du mich brauchst, ja?“
„Danke, Schmitti.“ Ein kleines, dankbares Lächeln schlich sich auf Klaas‘ Lippen. „Vielleicht ja bald.“
„Ich würde mich freuen“, erwiderte Schmitti.
Ich mich auch, Thomas. Ich mich auch.
„Aber um mich ging’s doch hier gar nicht“, sagte der Jüngere stattdessen, und legte dabei wieder etwas mehr Euphorie in seine Stimme. „Erzähl mir, wie das mit Katha passiert is‘.“
Klaas schnappte sich sein Abendessen und biss schließlich, nach einem letzten, geräuschlosen Seufzen, genüsslich in das Brötchen, ehe er gebannt lauschte, als Thomas das Glück aus allen Poren schoss.
„Danke, dass du dir jetz‘ am Sonntag auch noch die Zeit für mich nimmst.“
Klaas ließ sich auf das Sofa in Marks Tonstudio fallen und schaute hoch zu seinem Kumpel, der ihn im Gegenzug noch für einen Augenblick neugierig musterte, bevor er sich ebenfalls setzte.
„Nachdem du meine kleine Prinzessin heute so glücklich gemacht hast, wie könnte ich da nein sagen?“ Mark guckte ihn fröhlich an. „Und selbst wenn dem nicht so gewesen wäre, würde ich mir für dich immer die Zeit nehmen. Dafür hat man doch Freunde.“
Der Nachmittag auf dem Spielplatz mit Mia war in der Tat eine sehr schöne Abwechslung und eine noch bessere Ablenkung gewesen. Das kleine Mädchen hatte ein zartes, warmes Gefühl in ihm zurückgelassen, das ihn auch jetzt noch glücklicher grinsen ließ als alles andere in den vergangenen Tagen.
„Ich hatte aber auch wirklich ‘ne gute Zeit mit Mia. Hat Spaß gemacht“, bestätigte er. „Und alles andere weiß ich sehr zu schätzen.“
Der ältere Musiker nickte zufrieden und schlug dabei ein ausgestrecktes Bein über das andere. „Also dann, schieß los. Was gibt’s?“
Anstatt sofort etwas zu sagen, griff Klaas nach seiner Gitarrentasche und zog sein kleines Notizbuch daraus hervor. „Ich hab‘ noch ‘n vierten Song geschrieben“, verkündete er anschließend, und legte das Buch auf seinen Schoß.
„Einen v…“, setzte Mark an, um wohl die Worte seines Freundes zu wiederholen, besann sich dann jedoch eines Besseren. „Wo kommt der denn plötzlich her?“
„Er schlummert schon seit ‘ner Woche hier drin“, erklärte Klaas und klopfte auf das Büchlein. „Hab’s bisher nur nich‘ erwähnt. Weil ich mir auch ehrlich gesagt noch nich‘ ganz sicher bin, was ich damit anstellen möchte.“
Das schien Marks Neugier zu schüren, und eine Augenbraue hob sich leicht. „Inwiefern?“
Der Jüngere zuckte mit seiner Schulter. „Naja… ich weiß nich‘, ob der auch mit auf’s Album soll oder nicht“, erwiderte er. „Das ist ‘n sehr persönlicher Song, weißt du?” Sein Blick fiel kurz auf das schwarze Buch auf seinem Schoß, und erst dann zurück zu seinem Freund.
„Eigentlich schreib‘ ich ja keine Songs für einen Menschen“, fuhr Klaas fort, während er seine Notizen etwas fester umklammerte. „Aber das is‘ so einer geworden. Und ich weiß nicht, was ich damit machen soll.“
Ein verständnisvolles Nicken rollte ihm entgegen. „Alles klar, verstehe“, sagte Mark. „Magst du es mir vielleicht vorspielen und wir überlegen dann gemeinsam?“
„Ich hatte gehofft, dass du das sagst“, entgegnete der Kleinere dankbar.
Mit wenigen Handgriffen befreite der Brünette seine Yamaha und platzierte sie sich auf seinen Beinen. Danach öffnete er das Notizbuch, obwohl er gleichzeitig auch wusste, dass er es eigentlich gar nicht brauchen würde.
Er atmete nochmal tief durch, schloss die Augen, und schon im nächsten Moment floss die Melodie aus ihm heraus.
Sie fühlte sich immer noch genauso überwältigend an, wie vor einer Woche, als er sie das erste Mal endlich hatte spielen können. Klaas brauchte seine Notizen auch tatsächlich nicht, da die Akkorde wie von alleine über seine Finger sprangen; die Töne und die Worte so tief in ihm eingebrannt, dass sie bereits jetzt ein unwiderruflicher Teil von ihm waren.
Klaas spielte und sang, und übergab sich selbst dem Lied, auf eine Weise, wie er das nur sehr selten bei Musik je getan hatte. Er brauchte Kontrolle. Immer und zu jeder Zeit. Und dennoch konnte er sie hier, ohne es zu hinterfragen, aufgeben. Bei diesem Song, der so sehr ein Teil von ihm war, dass alleine sein Instinkt ausreichte, um die Zeilen und Töne in perfekter Harmonie verschmelzen zu lassen.
Sein Herzschlag gab den Takt vor, der nicht seiner war und doch immer mehr zu seinem wurde. Und er legte deutlich an Tempo zu, bevor die Musik zu guter Letzt verhallte und Klaas‘ Blick den seines Freundes fand.
„Alter…“, sagte Mark nach mehreren Momenten des Schweigens. „Das war…“ Sein Mund war leicht geöffnet, als er Klaas abermals neugierig musterte. „Was war das?“
Der Braunhaarige fing angesichts des Erstaunens auf Marks Gesicht an zu grinsen, während sein Herz immer noch aufgeregt gegen seinen Brustkorb pumperte.
„Hoffentlich was Brauchbares?“
Der Ältere lachte laut auf. „Was Brauchbares sagt er…“ Nochmals lachte er amüsiert. „Junge, das war vielleicht das Schönste, was ich jemals von dir gehört habe!“, platzte es aus ihm heraus. „Und wie du so völlig eins geworden bist mit dem Lied. Du bist richtig mitgegangen“, sagte er weiter voller Begeisterung. „Ich hab‘ dir jedes einzelne Wort und jede Emotion dahinter zu eintausend Prozent abgekauft. Das war wirklich abgefahren!“
Klaas grinste immer noch, und immer noch hüpfte sein Herz wild durch seine Brust. „Danke, Mark“, begann er und legte währenddessen die Gitarre wieder neben sich. „Der Song fühlt sich beim Spielen auch wirklich ganz besonders an.“
„Und das merkt man zu jeder Sekunde, ganz ohne Frage“, erwiderte der Hamburger, entwirrte indessen seine Beine und setzte sich anschließend aufrecht hin. Seine Aufmerksamkeit ruhte auf Klaas, und der konnte dabei zusehen, wie der Ausdruck auf dessen Gesicht nachdenklicher wurde. Wissender.
Sein Freund musterte ihn mehrere Herzschläge lang, ehe er seine Worte gefunden zu haben schien. „Soll ich eins und eins zusammenzählen, wovon das Lied handelt?“
Etwas perplex weiteten sich Klaas‘ Augen, und der Muskel in seiner Brust legte nochmal deutlich an Spannung zu. Die wohl überflüssige Frage kratzte in seinem Hals, und er räusperte sich, bevor er sie über die Lippen brachte. „Was meinst du?“
„Naja, also...“ Mark schien noch kurz zu überlegen, wie er es ausformulieren sollte, aber in Klaas‘ Bauch begann es bereits verräterisch zu flattern. „Schon als Joko und du zum ersten Mal hier wart, hatte ich irgendwie so ‘ne Eingebung. Und die ging auch jetzt in der vergangenen Woche nie komplett weg, obwohl die Stimmung zwischen euch irgendwie anders ist.” Er legte seinen Kopf leicht schräg, beobachtete Klaas aber weiterhin. „Ihr klebt förmlich aneinander. Und bei jedem anderen Menschen könnte man das relativieren, aber du hasst so viel Nähe für gewöhnlich.“
Das Flattern um Klaas‘ Magen herum nahm zu, und irgendwie war er schockiert, wie offensichtlich er und Joko wohl gewesen waren, und dann wiederum sollte er es wohl auch nicht sein. Denn immerhin saß ihm hier ein guter Freund gegenüber, der ihn nicht erst seit gestern kannte.
„Und jetzt mit diesem Lied… der Text… wie gesagt, ich zähle da nur eins und eins zusammen.“
Für noch einige Momente wusste der Brünette beim besten Willen nicht, was er dazu sagen sollte. Er hatte schon nicht gewusst, wie er das Schmitti alles hätte erklären sollen, aber hier wusste er es noch viel weniger. Auch bei Mark lag es selbstverständlich nicht daran, dass er ihm nicht vertraute, sondern einzig und allein daran, dass er sich nicht im Stande dazu fühlte, mit irgendjemandem darüber zu sprechen, solange er selbst nicht wusste, wie es nun weitergehen sollte. Und was das alles gerade zu bedeuten hatte.
Klaas atmete tief, aber geräuschlos, ein und wieder aus.
Vielleicht sollte er es einfach tun.
Vielleicht sollte er sich doch einfach trauen und mit Joko reden. Was sollte schon passieren?
Noch waren sie am Anfang von allem. Noch konnte nicht so viel kaputtgehen, wenn sie die Luft zwischen sich einmal reinigen und klären würden, wo sie beim jeweils anderen standen.
Das sollte doch machbar sein?
Ja, das sollte machbar sein.
Immerhin konnte der derzeitige Zustand ja auch kein Dauerzustand sein. Das würde ihn noch viel mehr fertig machen als jeder mögliche Ausgang eines klärenden Gesprächs.
Klaas seufzte zum wiederholten Male in sich hinein, aber die Ausläufer davon purzelten ihm auch über die Lippen. „Ich… will da eigentlich noch nich‘ so drüber reden, solange da noch alles irgendwie so… ungewiss ist… is‘ das okay?“
Marks Gesichtszüge wurden weicher, als sich sichtbares Verständnis in ihm breit machte. „Aber klar“, versicherte ihm sein Freund. „Aber dann bleibt wohl die Frage… was willst du mit dem Song anstellen?“
Mit einem gedankenverlorenen Nicken glitt Klaas‘ Fokus auf das Notizbuch, das immer noch offen vor ihm auf dem Tisch lag. „Ich glaube, erstmal würd’ ich ihn einfach nur gerne aufnehmen. Hilfst du mir dabei?“
Ohne eine verbale Antwort erhob sich Mark aus seinem Sessel und holte sich mit einem motivierten Grinsen seine Gitarre.
Wenige Stunden später saß Klaas auf einer Cajón inmitten eines Wirrwarrs aus Notenseiten und Instrumenten und klopfte mit seinen Händen auf dem Holzinstrument diesen Takt, der nie seiner gewesen war.
Diesen Takt, der seiner war.
Und der trotzdem nicht erhört wurde.
eure Reaktionen zum letzten Kapitel haben mich wieder einmal umgehauen, vielen lieben Dank dafür ❤ Es hat mich wirklich unverhältnismäßig glücklich gemacht, dass euch das Kapitel, das mir selbst so am Herzen liegt, abholen konnte.
Und jetzt bin ich gespannt, was ihr zu diesem hier sagt (: Viel Spaß, einen wunderbaren Sonntag und einen ebenso guten Start in die neue Woche!
Passt gut auf euch auf ❤
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Kapitel 16
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Kapitel 16
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Und dann war plötzlich alles anders.
Klaas hatte es schon gespürt, als er am Montagmorgen zu Joko ins Auto gestiegen war.
Hatte es gespürt in jeder schweigenden Sekunde auf ihrem Weg nach Hamburg.
Und auch in jedem einzelnen Augenblick seither.
Die Spannung, die seit ihrem Kennenlernen zwischen ihnen geflirrt hatte, war nun durchzogen von einer Unsicherheit, die Klaas nicht gefiel und die ihn überfordert zurückließ.
Denn eigentlich hatte er gedacht, dass er und Joko einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht hatten. Hatte angefangen zu glauben, dass das, was Joko und er da taten, tatsächlich mehr war als freundschaftliches Verhalten. Und hatte gehofft, dass es für sie beide doch so etwas wie Hoffnung gab.
Eine Zukunft.
Weil das, was sie verband, so viel größer war als irgendwelche Hindernisse und Regeln, die zwischen ihnen standen.
Es war in diesem Glauben, in dem er das Wochenende damit verbracht hatte, der Melodie in seinem Herzen zu folgen, die endlich den Mut gehabt hatte, ihr dunkles Versteck zu verlassen. Wie zähflüssiges, warmes Gold war es aus seinen Fingerspitzen geflossen; hatte zuerst Akkorde und später Worte in eine harmonische Form gegossen.
Klaas hatte in den vergangenen mehr als zehn Jahren eine Vielzahl an Liedern geschrieben und komponiert, und einige von ihnen hatten durchaus eine besondere Bedeutung für ihn.
Aber diese Melodie…
Dieser Takt, der nicht seiner war und in dem sein Herz nun trotzdem schlug…
Diese Zeilen, die nie Sinn ergeben hatten, und nun doch in aller Deutlichkeit von seinen Lippen glitten…
Sie alle hatten sich an diesem Wochenende endlich in perfekter Symbiose und Symphonie ineinandergefügt.
Hatten sich so außerordentlich überwältigend angefühlt, weil Klaas es auf wundersame Weise geschafft hatte, einem immateriellen Teil seines Selbst eine Form zu geben und in diese Welt zu befördern. Es geschafft hatte, einen Teil seines Herzens in etwas Greifbares zu verwandeln, das er hören und sehen konnte, und mit jedem teilen würde können, sobald er bereit dazu war.
Er bezweifelte, dass irgendetwas jemals einzigartiger werden konnte als das. Als diese Tatsache. Als dieses Gefühl.
Und Klaas hatte achtundvierzig Stunden lang gehofft und geglaubt. Dass jetzt endlich irgendwie alles anders werden würde. Besser.
Nur, dass alles so ganz anders anders gekommen war.
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„Darf ich mitkommen?“
Klaas war mit seinen Händen gerade auf halbem Weg dabei, sich seine Kopfhörer in die Ohren zu schieben, um mit einem motivierenden Beat eine kleine Laufrunde entlang des Hamburger Hafens zu drehen, als ihn die eine Stimme aufhielt, die er nicht erwartet und auf die er doch gehofft hatte.
Der Brünette wandte sich der Quelle der Worte zu und fand Joko durch den Eingang des Hotels zu ihm heraustreten. Sein Blick war von der gleichen Unsicherheit geprägt, die schon die ganze Woche zwischen ihnen herrschte, und die Klaas mit jedem Tag ein bisschen mehr verabscheute.
Es fühlte sich nicht richtig an, dass sie da war. Nicht, wenn er sich selbst so sicher war, was er wollte. Und irgendwie hatte er ja auch naiverweise gedacht, dass es Joko ähnlich ging. Dass da irgendetwas war, zwischen ihnen. Selbst jetzt, als der Blonde sich neben ihn stellte und ihre Arme sich fast berührten, weil eine unsichtbare Kraft sie zueinander zog, wusste Klaas, dass da mehr war.
Er hatte nur absolut keine Ahnung, was er deswegen tun sollte.
„Natürlich“, antwortete er also nur, und ließ seine Ohrstöpsel zu seinem Handy in die Hosentasche gleiten.
Die beiden Männer guckten sich vorsichtig zurückhaltend an; die Unsicherheit des Älteren nun auch auf Klaas übergesprungen.
„Danke“, erwiderte der Blonde und nach einem kurzen Nicken liefen sie schließlich im Gleichschritt los.
Bis hinunter zum Hafen waren es von ihrem Hotel aus etwa zwei Minuten, die sie mit einem lockeren Tempo begannen, um warm zu werden, bevor sie die Geschwindigkeit am Ufer der Elbe etwas erhöhten.
Anders als sonst verbrachten sie schon den Beginn ihres Laufes schweigend, und es war ein weiterer Stein auf diesem Berg an Dingen, die Klaas an diesem neuen, wackeligen Konstrukt, das ihre Beziehung nun war, verabscheute.
Er wollte mit Joko reden.
Und zwar am liebsten darüber, was da am vergangenen Freitag beinahe zwischen ihnen passiert wäre. Er hätte aber auch über das Wetter mit ihm gesprochen, oder über das Frühstück im Hotel. Über irgendwas, Hauptsache, sie würden überhaupt miteinander quatschen.
Am allerliebsten wollte er jedoch trotzdem über den vergangenen Freitag sprechen. Über das, was seither unausgesprochen zwischen ihnen schwebte. Denn auch, wenn es in diesem Moment wie ein Traum erschien, dass sie sich so nahe gewesen waren, war sich Klaas dessen umso bewusster, was an jenem Abend fast geschehen wäre.
Er und Joko, sie hatten sich fast geküsst.
Geküsst.
Und Klaas hatte in jenem Augenblick nichts mehr gewollt als das.
Das hatte er in jener Sekunde gewusst. In jeder Minute des Wochenendes. Und an jedem der vier Tage der neuen Wochen, die bereits ins Land gezogen waren, ohne, dass sie es auch nur im Ansatz erwähnt hatten, auch an denen hatte er es gewusst. Und hatte es sich selbst gegenüber auch nicht ein einziges Mal geleugnet.
Aber was nur sollte er tun? Er hasste es, Dinge unausgesprochen zu lassen, ganz besonders, wenn sie anfingen, Einfluss auf die zwischenmenschlichen Beziehungen zu nehmen. Lieber klärte er Unstimmigkeiten sofort, als lange herumzurätseln, wo das Problem lag. Egal, wie unangenehm es auch sein mochte. Für alles andere hatte er selten die Zeit, und noch viel weniger die Lust.
Und dennoch… wusste er nicht, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Sie hatten sich versprochen, immer ehrlich miteinander zu sein und daran wollte Klaas eigentlich auch festhalten. Allerdings hatten sich das Manager-Joko und Musiker-Klaas versprochen. Galt das auch für Privat-Joko und Privat-Klaas?
Gerade in diesem Moment war er es leid, dass Joko so sehr darauf beharrte, ihre beiden Welten zu trennen. Am Anfang ihrer Beziehung und Zusammenarbeit war es ja vielleicht noch relativ einfach gewesen, das zu tun. In der Zeit, in der sie sich kennengelernt hatten und ihre Zusammenarbeit noch keine konkreten Konturen angenommen hatte.
Mittlerweile wurde es jedoch immer schwerer. Die Musik war so ein großer Teil von dem, wer Klaas war und gerade, seit die Kreativität wieder von ihm Besitz ergriffen hatte, wollte er das mit den Menschen teilen, die ihm wichtig waren. Tat er natürlich auch, auch mit Joko. Nur eben anders, als er es gerne würde.
Und jetzt war da diese Sache zwischen ihnen, die Klaas so gerne ansprechen wollte, um diese Ungewissheit und Spannung irgendwie aus der Welt zu schaffen. Diese Sache, die er ansprechen würde, wenn Joko einfach nur Joko wäre. Aber er war nun eben auch sein Manager, und obwohl sie diese Ebenen strikt trennten, fühlte es sich für Klaas so an, als wäre eine Trennung in diesem Fall nicht mehr möglich.
Denn wie sollte man es trennen, wenn Klaas seine Gefühle offen auf den Tisch legen würde und Joko nicht dasselbe empfand? Es war für Klaas kaum auszumalen, weiter mit Joko zusammenzuarbeiten, wenn der Ältere sich in seiner Gegenwart plötzlich nicht mehr wohlfühlen würde.
Alleine der Gedanke war unerträglich, dass Joko sich in seiner Gegenwart nicht mehr wohlfühlen könnte.
Und selbst wenn er das gleiche empfinden sollte. Wie sollte man privat und beruflich trennen, wenn sie es miteinander versuchen würden, alles miteinander geteilt hätten und es trotzdem schiefgehen würde? Es reichte die Vorstellung, um Klaas‘ Gehirnwindungen in Dutzende Knoten zu verwickeln, die er dort allesamt eigentlich überhaupt nicht haben wollte.
Es war alles so schrecklich kompliziert und gleichermaßen doch so einfach und klar.
Nur wusste Klaas einfach nicht, was zum Teufel er deswegen nun tun sollte.
Alles, was er wusste, war, dass er diese Unsicherheit zwischen ihnen hasste.
Weil sie so überhaupt nicht zu dem Kribbeln passte, das durch ihn waberte, während er neben seinem Partner herlief, mit dem er sonst so viel zu reden hatte, nur an diesem Morgen irgendwie nicht.
„Is‘ alles okay?“, fragte Klaas nach einer Weile trotzdem, weil er es anders nicht mehr aushielt.
„Ja, klar. Hab‘ bisschen unruhig geschlafen, deswegen bin ich heute noch nicht so ganz auf der Höhe“, erklärte der Ältere, und obwohl Klaas zu ihm hinüberschaute, erwiderte der den Blick nicht.
Auch das hasste Klaas. Den Fakt, das Joko seinem Blick in den letzten Tagen so oft ausgewichen war. Und selbst wenn sich ihre Augen einmal getroffen hatten, war da eine sichtbare Mauer in dem warmen Braun gewesen, das deswegen weniger warm gestrahlt hatte.
Es passte nicht zu Joko.
Und es passte nicht zu ihnen.
Und allein das war eigentlich Grund genug, an diesem Zustand etwas zu ändern. Wenn nur die Auswirkungen nicht das Potential hätten, unendlich katastrophal zu werden.
Klaas seufzte tief und verzweifelt in sich hinein.
„Dann hoffe ich, dass das kommende Nacht besser klappt, wenn du wieder in deinem eigenen Bett schlafen kannst.“
Den Gedanken, dass Joko schon in wenigen Stunden nach Berlin aufbrechen und erst am Montagnachmittag nach Hamburg zurückkehren würde, war einer, den Klaas am liebsten ignoriert hätte.
Und doch war es der Gedanke, der nun mit voller Wucht zuschlug.
„Hmm…“, murmelte Joko als Antwort, mit seinem Fokus immer noch in die Ferne gerichtet. „Und du so? Hast du schon Pläne für das freie Wochenende in Hamburg?“
Klaas ließ seine Augen nun über das Wasser gleiten, das sich neben ihnen dunkel entlangschlängelte. „Mia wollte mir ihren Lieblingsspielplatz zeigen. Da werden wir am Sonntag wohl mal hinschauen, nachdem das Wetter ja schön sein soll. Ansonsten is‘ nich‘ viel geplant.“
„Mia hat auch ‘n ganz schönen Narren an dir gefressen, oder? Ist echt süß, wie sie immer an dir hängt, wenn sie die Gelegenheit dazu hat.“
Die Erwähnung des kleinen, rothaarigen Mädchens ließ Klaas zumindest etwas grinsen und ihn auch für eine Sekunde vergessen, dass gerade alles anders war.
„Ja, irgendwie schon“, stimmte Klaas zu. „Ich mag die Kleine aber auch sehr gern. Beruht also vielleicht ‘n bisschen auf Gegenseitigkeit.“
Der Jüngere schaute erneut zu seinem Laufpartner, der den Blick diesmal tatsächlich erwiderte, mit einem so sanften Lächeln, wie nur Joko das konnte.
„Kann ich verstehen“, sagte er und hielt Klaas‘ Augen noch einen Herzschlag lang gefangen, bevor er sich wieder ihrer Laufstrecke widmete.
Klaas‘ Herz trommelte verräterisch, aber gleichzeitig versuchte er, nicht zu viel in diese Aussage hineinzuinterpretieren, während sie gemeinsam weiter über den gepflasterten Weg joggten.
Etwa fünf Kilometer lang folgten sie dem Wasser, bis sie an einem Park-Eingang kehrt machten, und auf derselben Route zurückliefen, auf der sie gekommen waren. Den Großteil des Weges legten sie schweigend zurück; nur ihre Blicke trafen sich immer mal wieder zufällig, wenn Joko in Richtung des Flusses schaute, oder Klaas zu den wenig spektakulären Gebäuden auf der anderen Seite. Und wenn es passierte, dann lächelten sie so verlegen wie Schulkinder, die gerade beim Anschmachten ihres Schwarms erwischt wurden.
In einiger Entfernung konnten sie schon bald wieder die Landungsbrücken erkennen und Klaas fragte sich, ob sie wenigstens ein kleines Laufduell auf die Reihe bekommen würden. Doch Joko machte auch dazu keine Anstalten, lief weiter schweigend neben ihm her, und Klaas traute sich ebenfalls so lange nicht, es vorzuschlagen, bis sie schließlich zurück an ihrem Hotel angekommen waren.
Sie schafften es in absoluter Stille bis in die siebte Etage, auf der ihre beiden Zimmer lagen, und kamen erst vor ihren gegenüberliegenden Türen zum Stehen.
Die Spannung, die zwischen ihnen lag, war aufgeladen mit all den Dingen, über die sie nicht sprachen, und dieser Zustand ging so sehr gegen Klaas‘ Natur, dass er beinahe alle Zweifel über Bord geworfen hätte, wenn nicht Joko in jener Sekunde angefangen hätte, zu reden.
„Abfahrt in einer halben Stunde? Kriegen wir das hin?“, fragte er und kramte dabei mit einer Hand in seiner Laufhose, vermutlich nach seiner Zimmerkarte.
„Ja, sicher.“ Klaas seufzte innerlich und nickte äußerlich, bevor er ebenfalls nach seiner Zutrittskarte suchte.
Joko war als Erster erfolgreich und noch während der Jüngere in seiner Hosentasche kruschelte, spürte er die Hand des Anderen an seinem Oberarm, die sanft zudrückte.
Sofort schnellten seine Augen zu Joko, und ganz kurz glaubte Klaas, dass der Ältere das zu Ende führen würde, was sie am Freitag begonnen hatten. Der Ausdruck auf dessen Gesicht war für diesen einen Augenblick so offen und neugierig, dass er den Jüngeren wirklich hoffen ließ, sie würden die Unsicherheit der vergangenen Tage hinter sich lassen können, weil sie endlich so weit waren.
Doch Joko drückte nur noch einmal sanft mit seiner Hand, sendete eine kleine Schockwelle durch den Arm des Kleineren, ehe er den Kontakt abbrach, und nur ein wehmütiger Ausdruck auf dessen Gesicht zurückblieb.
Und eine prickelnde Leere auf Klaas‘ Oberarm, die den Jüngeren noch eine ganze Weile begleitete.
∞
„Klaasi“, schallte Thomas Schmitts Stimme am Abend durch die Leitung. „Gott sei Dank hast du abgehoben!“
Mit einem Fischbrötchen in der Hand setzte Klaas sich auf eine Bank an den Landungsbrücken, während um ihn herum wildes Treiben herrschte. Das nahm er jedoch kaum wahr, da die Aufregung in Thomas‘ Stimme seine ganze Aufmerksamkeit in Beschlag genommen hatte.
„Natürlich“, erwiderte Klaas und nestelte noch kurz mit den Kopfhörern an seinen Ohren, bevor er das Handy auf seinen Schoß legte. „Ist alles okay? Du klingst aufgebracht.“
„Aufgebracht. Aufgebracht!“ Schmitti schnaubte und atmete dann einmal tief durch. „Ich und aufgebracht! Warum sollte ich aufgebracht sein, wenn mich Katha gerade um ein Date gebeten hat, hm? Gibt überhaupt keinen Grund aufgebracht zu sein, oder?“
„Aber… ist das nicht etwas, worüber wir uns freuen?“, fragte Klaas irritiert, und ließ sich nun doch von einer Gruppe kichernder Mädels ablenken, die in schicken Abendkleidern an ihm vorbeihuschten und wohl auf dem Weg zu den Fähren waren, die sie über die Elbe zu einem der Theatersäle bringen würden.
Genauso schnell wie die jungen Frauen hatte jedoch auch Schmitti seine Aufmerksamkeit wieder eingefangen. „Freuen? Klaas, Alter! Was soll ich denn jetzt machen?“
Der Jüngere musste sich nun selbst ein Kichern verkneifen. „Ey, Schmitt! Du bist 42 Jahre alt! Ich werd‘ dir wohl nich‘ erklären müssen, wie man eine Dame ausführt.“ Klaas schüttelte den Kopf und war froh darüber, dass sein Freund ihn nicht sehen konnte. „Abgesehen davon hat Katha dich gefragt, oder? Also sollteste wohl einfach nur auftauchen.“
„Aber wieso fragt sie mich überhaupt? Das ist doch alles…“ Er sprach nicht weiter und es wurde still am anderen Ende der Leitung.
„Das ist alles was?“, bohrte Klaas nach.
Schmitti brauchte noch einen Moment und atmete dann sehr frustriert klingend aus. „Verrückt.“
„Was genau jetz‘?“ Klaas legte sein Fischbrötchen neben das iPhone auf seinen Oberschenkel. „Dass zwei Menschen sich gut finden? Dass die dann vielleicht auch ‘n bisschen mehr Zeit miteinander verbringen wollen? Dass die sich dann vielleicht ineinander verlieben und noch mehr Zeit miteinander verbringen wollen?“ Irgendetwas zuppelte an seinem Herzen. „Ich wüsste nich‘, was daran verrückt sein sollte.“
Klaas‘ Worte schienen Thomas erneut in ein Schweigen zu stürzen, denn es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder sprach.
„Aber sie ist doch meine Angestellte…“
„Und? Ihr wärt nicht die ersten, denen das passiert.“
„Und wenn’s schiefgeht?“
„Seid ihr erwachsene Menschen, die das geregelt bekommen. Es findet sich immer ‘ne Lösung.” Klaas’ Blick glitt zu den rauschenden Wellen, die er gegen die Kaimauer branden hören konnte. „Außerdem, wer sagt denn, dass es schiefgeht? Vielleicht wird’s das Größte, was du je erlebt hast? Diese eine Sache, die für immer hält? Ist die Wahrscheinlichkeit nich‘ viel größer als die, dass es schiefgehen könnte?“
Schmitti atmete schwer ins Telefon. „Aber—“
„Thomas, du magst sie doch, oder etwa nicht?“
„Doch, natürlich.“
„Dann geh auf ein Date mit ihr. Da wirste schnell rausfinden, ob mehr draus werden kann. Und wenn nicht, no hard feelings. Ganz einfach.“
Wieder wurde es kurz still, aber zumindest der schwere Atem wurde ruhiger und stetiger.
„Wann wurdest du denn bitte zum Date Doctor?“
Klaas setzte gerade dazu an, etwas zu erwidern, als Schmitti nachsetzte. „Hat da vielleicht ein gewisser blonder Schönling was mit zu tun?“
„Thomas“, brummte Klaas ins Telefon, „übertreib’s nich‘. Ich leg‘ sonst auf.“
Dass sein Herz sofort wieder schneller schlug und gleichzeitig schmerzhaft zog, versuchte er beiseitezuschieben, aber Schmitti schien da andere Pläne zu haben.
„Also reden wir immer noch nicht darüber?“
„So is‘ es. Weil es nix zu reden gibt.“
„Aha. Ist das so?“
Klaas überlegte kurz und es zog noch ein bisschen mehr. „Glaub mir. Es gibt absolut gar nichts zu erzählen. Ich…“ Er schluckte den Knödel hinunter. „Wenn’s was gäbe, würd‘ ich’s dir sagen. Ich versprech’s.“
„Du…“ Schmitti pausierte kurz, bevor er weitersprach. „Ich muss dir aber nicht sagen, dass du mit mir reden kannst, oder? Und dass es okay wäre, wenn da was wäre?“
Sein Fokus glitt über das Wasser und das sich darin spiegelnde Funkeln der sinkenden Sonne. Ein Seufzer rollte von seinen Lippen. „Ich weiß“, antworte Klaas. Er wusste beides.
„Bist du so zögerlich, weil Joko ein Mann ist?“, bohrte der Ältere nach, aber der Tonfall in seiner Stimme wurde dabei schon deutlich vorsichtiger.
„Schmitti…“, seufzte Klaas nur, weil er nicht wusste, was er sonst dazu sagen sollte.
Thomas‘ Stimme wurde noch etwas sanfter, als er sprach. „Ich meine ja nur… auch das wäre okay, weißt du?“
Erneut jagte Klaas ungewollt ein Seufzen durch die Leitung. „Das ist es nicht… es ist… einfach nur kompliziert. Und ich wünschte, es gäbe was, was ich dir erzählen könnte. Aber gerade tut’s das nich‘.“
„Okay“, lenkte Schmitti schließlich ein, und wollte offenbar nicht weiter nachhaken. „Ich bin da, wenn du mich brauchst, ja?“
„Danke, Schmitti.“ Ein kleines, dankbares Lächeln schlich sich auf Klaas‘ Lippen. „Vielleicht ja bald.“
„Ich würde mich freuen“, erwiderte Schmitti.
Ich mich auch, Thomas. Ich mich auch.
„Aber um mich ging’s doch hier gar nicht“, sagte der Jüngere stattdessen, und legte dabei wieder etwas mehr Euphorie in seine Stimme. „Erzähl mir, wie das mit Katha passiert is‘.“
Klaas schnappte sich sein Abendessen und biss schließlich, nach einem letzten, geräuschlosen Seufzen, genüsslich in das Brötchen, ehe er gebannt lauschte, als Thomas das Glück aus allen Poren schoss.
∞
„Danke, dass du dir jetz‘ am Sonntag auch noch die Zeit für mich nimmst.“
Klaas ließ sich auf das Sofa in Marks Tonstudio fallen und schaute hoch zu seinem Kumpel, der ihn im Gegenzug noch für einen Augenblick neugierig musterte, bevor er sich ebenfalls setzte.
„Nachdem du meine kleine Prinzessin heute so glücklich gemacht hast, wie könnte ich da nein sagen?“ Mark guckte ihn fröhlich an. „Und selbst wenn dem nicht so gewesen wäre, würde ich mir für dich immer die Zeit nehmen. Dafür hat man doch Freunde.“
Der Nachmittag auf dem Spielplatz mit Mia war in der Tat eine sehr schöne Abwechslung und eine noch bessere Ablenkung gewesen. Das kleine Mädchen hatte ein zartes, warmes Gefühl in ihm zurückgelassen, das ihn auch jetzt noch glücklicher grinsen ließ als alles andere in den vergangenen Tagen.
„Ich hatte aber auch wirklich ‘ne gute Zeit mit Mia. Hat Spaß gemacht“, bestätigte er. „Und alles andere weiß ich sehr zu schätzen.“
Der ältere Musiker nickte zufrieden und schlug dabei ein ausgestrecktes Bein über das andere. „Also dann, schieß los. Was gibt’s?“
Anstatt sofort etwas zu sagen, griff Klaas nach seiner Gitarrentasche und zog sein kleines Notizbuch daraus hervor. „Ich hab‘ noch ‘n vierten Song geschrieben“, verkündete er anschließend, und legte das Buch auf seinen Schoß.
„Einen v…“, setzte Mark an, um wohl die Worte seines Freundes zu wiederholen, besann sich dann jedoch eines Besseren. „Wo kommt der denn plötzlich her?“
„Er schlummert schon seit ‘ner Woche hier drin“, erklärte Klaas und klopfte auf das Büchlein. „Hab’s bisher nur nich‘ erwähnt. Weil ich mir auch ehrlich gesagt noch nich‘ ganz sicher bin, was ich damit anstellen möchte.“
Das schien Marks Neugier zu schüren, und eine Augenbraue hob sich leicht. „Inwiefern?“
Der Jüngere zuckte mit seiner Schulter. „Naja… ich weiß nich‘, ob der auch mit auf’s Album soll oder nicht“, erwiderte er. „Das ist ‘n sehr persönlicher Song, weißt du?” Sein Blick fiel kurz auf das schwarze Buch auf seinem Schoß, und erst dann zurück zu seinem Freund.
„Eigentlich schreib‘ ich ja keine Songs für einen Menschen“, fuhr Klaas fort, während er seine Notizen etwas fester umklammerte. „Aber das is‘ so einer geworden. Und ich weiß nicht, was ich damit machen soll.“
Ein verständnisvolles Nicken rollte ihm entgegen. „Alles klar, verstehe“, sagte Mark. „Magst du es mir vielleicht vorspielen und wir überlegen dann gemeinsam?“
„Ich hatte gehofft, dass du das sagst“, entgegnete der Kleinere dankbar.
Mit wenigen Handgriffen befreite der Brünette seine Yamaha und platzierte sie sich auf seinen Beinen. Danach öffnete er das Notizbuch, obwohl er gleichzeitig auch wusste, dass er es eigentlich gar nicht brauchen würde.
Er atmete nochmal tief durch, schloss die Augen, und schon im nächsten Moment floss die Melodie aus ihm heraus.
Sie fühlte sich immer noch genauso überwältigend an, wie vor einer Woche, als er sie das erste Mal endlich hatte spielen können. Klaas brauchte seine Notizen auch tatsächlich nicht, da die Akkorde wie von alleine über seine Finger sprangen; die Töne und die Worte so tief in ihm eingebrannt, dass sie bereits jetzt ein unwiderruflicher Teil von ihm waren.
Klaas spielte und sang, und übergab sich selbst dem Lied, auf eine Weise, wie er das nur sehr selten bei Musik je getan hatte. Er brauchte Kontrolle. Immer und zu jeder Zeit. Und dennoch konnte er sie hier, ohne es zu hinterfragen, aufgeben. Bei diesem Song, der so sehr ein Teil von ihm war, dass alleine sein Instinkt ausreichte, um die Zeilen und Töne in perfekter Harmonie verschmelzen zu lassen.
Sein Herzschlag gab den Takt vor, der nicht seiner war und doch immer mehr zu seinem wurde. Und er legte deutlich an Tempo zu, bevor die Musik zu guter Letzt verhallte und Klaas‘ Blick den seines Freundes fand.
„Alter…“, sagte Mark nach mehreren Momenten des Schweigens. „Das war…“ Sein Mund war leicht geöffnet, als er Klaas abermals neugierig musterte. „Was war das?“
Der Braunhaarige fing angesichts des Erstaunens auf Marks Gesicht an zu grinsen, während sein Herz immer noch aufgeregt gegen seinen Brustkorb pumperte.
„Hoffentlich was Brauchbares?“
Der Ältere lachte laut auf. „Was Brauchbares sagt er…“ Nochmals lachte er amüsiert. „Junge, das war vielleicht das Schönste, was ich jemals von dir gehört habe!“, platzte es aus ihm heraus. „Und wie du so völlig eins geworden bist mit dem Lied. Du bist richtig mitgegangen“, sagte er weiter voller Begeisterung. „Ich hab‘ dir jedes einzelne Wort und jede Emotion dahinter zu eintausend Prozent abgekauft. Das war wirklich abgefahren!“
Klaas grinste immer noch, und immer noch hüpfte sein Herz wild durch seine Brust. „Danke, Mark“, begann er und legte währenddessen die Gitarre wieder neben sich. „Der Song fühlt sich beim Spielen auch wirklich ganz besonders an.“
„Und das merkt man zu jeder Sekunde, ganz ohne Frage“, erwiderte der Hamburger, entwirrte indessen seine Beine und setzte sich anschließend aufrecht hin. Seine Aufmerksamkeit ruhte auf Klaas, und der konnte dabei zusehen, wie der Ausdruck auf dessen Gesicht nachdenklicher wurde. Wissender.
Sein Freund musterte ihn mehrere Herzschläge lang, ehe er seine Worte gefunden zu haben schien. „Soll ich eins und eins zusammenzählen, wovon das Lied handelt?“
Etwas perplex weiteten sich Klaas‘ Augen, und der Muskel in seiner Brust legte nochmal deutlich an Spannung zu. Die wohl überflüssige Frage kratzte in seinem Hals, und er räusperte sich, bevor er sie über die Lippen brachte. „Was meinst du?“
„Naja, also...“ Mark schien noch kurz zu überlegen, wie er es ausformulieren sollte, aber in Klaas‘ Bauch begann es bereits verräterisch zu flattern. „Schon als Joko und du zum ersten Mal hier wart, hatte ich irgendwie so ‘ne Eingebung. Und die ging auch jetzt in der vergangenen Woche nie komplett weg, obwohl die Stimmung zwischen euch irgendwie anders ist.” Er legte seinen Kopf leicht schräg, beobachtete Klaas aber weiterhin. „Ihr klebt förmlich aneinander. Und bei jedem anderen Menschen könnte man das relativieren, aber du hasst so viel Nähe für gewöhnlich.“
Das Flattern um Klaas‘ Magen herum nahm zu, und irgendwie war er schockiert, wie offensichtlich er und Joko wohl gewesen waren, und dann wiederum sollte er es wohl auch nicht sein. Denn immerhin saß ihm hier ein guter Freund gegenüber, der ihn nicht erst seit gestern kannte.
„Und jetzt mit diesem Lied… der Text… wie gesagt, ich zähle da nur eins und eins zusammen.“
Für noch einige Momente wusste der Brünette beim besten Willen nicht, was er dazu sagen sollte. Er hatte schon nicht gewusst, wie er das Schmitti alles hätte erklären sollen, aber hier wusste er es noch viel weniger. Auch bei Mark lag es selbstverständlich nicht daran, dass er ihm nicht vertraute, sondern einzig und allein daran, dass er sich nicht im Stande dazu fühlte, mit irgendjemandem darüber zu sprechen, solange er selbst nicht wusste, wie es nun weitergehen sollte. Und was das alles gerade zu bedeuten hatte.
Klaas atmete tief, aber geräuschlos, ein und wieder aus.
Vielleicht sollte er es einfach tun.
Vielleicht sollte er sich doch einfach trauen und mit Joko reden. Was sollte schon passieren?
Noch waren sie am Anfang von allem. Noch konnte nicht so viel kaputtgehen, wenn sie die Luft zwischen sich einmal reinigen und klären würden, wo sie beim jeweils anderen standen.
Das sollte doch machbar sein?
Ja, das sollte machbar sein.
Immerhin konnte der derzeitige Zustand ja auch kein Dauerzustand sein. Das würde ihn noch viel mehr fertig machen als jeder mögliche Ausgang eines klärenden Gesprächs.
Klaas seufzte zum wiederholten Male in sich hinein, aber die Ausläufer davon purzelten ihm auch über die Lippen. „Ich… will da eigentlich noch nich‘ so drüber reden, solange da noch alles irgendwie so… ungewiss ist… is‘ das okay?“
Marks Gesichtszüge wurden weicher, als sich sichtbares Verständnis in ihm breit machte. „Aber klar“, versicherte ihm sein Freund. „Aber dann bleibt wohl die Frage… was willst du mit dem Song anstellen?“
Mit einem gedankenverlorenen Nicken glitt Klaas‘ Fokus auf das Notizbuch, das immer noch offen vor ihm auf dem Tisch lag. „Ich glaube, erstmal würd’ ich ihn einfach nur gerne aufnehmen. Hilfst du mir dabei?“
Ohne eine verbale Antwort erhob sich Mark aus seinem Sessel und holte sich mit einem motivierten Grinsen seine Gitarre.
Wenige Stunden später saß Klaas auf einer Cajón inmitten eines Wirrwarrs aus Notenseiten und Instrumenten und klopfte mit seinen Händen auf dem Holzinstrument diesen Takt, der nie seiner gewesen war.
Diesen Takt, der seiner war.
Und der trotzdem nicht erhört wurde.
∞∞∞