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Deine Melodie in mir

Kurzbeschreibung
GeschichteRomance, Liebesgeschichte / P18 / MaleSlash
Joachim "Joko" Winterscheidt Klaas Heufer-Umlauf
12.06.2022
05.02.2023
35
188.600
75
Alle Kapitel
231 Reviews
Dieses Kapitel
6 Reviews
 
18.09.2022 6.944
 
Ihr Lieben,

tausend Dank für eure lieben Worte zum letzten Kapitel ❤ Ihr seid alle so wunderbar und ich kann euch nicht genug danken! Auch nicht für die Sternchen und Herzchen, die hier immer noch dazu kommen ❤

Das nächste Kapitel hält irgendwie einen besonderen Platz in meinem Herzen und ich hoffe sehr, dass es euch gefällt :) Ganz viel Spaß damit, einen schönen Sonntag und guten Start in die Woche!

Passt gut auf euch auf ❤



***
Kapitel 15
***


Als Klaas am Mittwochabend in die Florida spazierte, war sein Notizbuch gefüllt mit drei neuen Songs und seine Brust mit unendlich viel Stolz.

Nachdem am Sonntag unter Jokos Nähe und Wärme auf magische Weise endlich ein paar dieser Knoten geplatzt waren, die seinen Kopf und seine Kreativität teilweise blockiert hatten, war die Musik durch die Nacht hindurch und an den darauffolgenden Tagen nur so aus ihm herausgesprudelt. Er hatte es zwar bedauerlicherweise nicht geschafft, diese eine Melodie aus sich herauszukitzeln, die er eigentlich am allermeisten vertonen wollte, aber da anstelle dieser dafür drei andere Stücke dabei herausgekommen waren, wollte er sich trotzdem nicht beschweren.

Er hielt das schwarze Lederbuch fest umklammert, als er mit dem Aufzug ein ums andere Stockwerk emporstieg und anschließend damit jenen Gang entlanglief, an dessen Ende Schmittis Büro lag.

Schon von weitem hallte ihm ausgelassenes Gelächter entgegen, das durch den Spalt in der Bürotür drang, und es verriet Klaas im Bruchteil einer Sekunde, dass die beiden Menschen, mit denen er verabredet war, sich offenbar bereits gemeinsam in dem Raum aufhielten. Und auch, dass sie wieder einmal eine Menge Spaß miteinander zu haben schienen. Wahrscheinlich schauten sie gerade wieder „Katzenvideos“, vermutete Klaas, der die fadenscheinige Antwort von neulich noch nicht vergessen hatte. Er hatte seinen Freund darauf jedoch auch kein weiteres Mal mehr angesprochen, da er im Gegenzug nicht dazu bereit gewesen wäre, sich potenziellen Fragen seines Kumpels zu stellen, auf die er keine Antworten gehabt hätte.

Klaas hielt kurz inne.

Keine Antworten gehabt hatte, korrigierte er sich schließlich selbst.

Doch selbst jetzt, wo ihm nun irgendwie vieles klarer war, war er noch nicht dazu bereit, das mit irgendjemandem, außer sich selbst, zu teilen. Nicht, weil er Angst davor hatte, sondern vielmehr, weil er noch etwas Zeit brauchen würde, um selbst ein bisschen besser damit klarzukommen. Mit der Intensität seiner Gefühle. Aber vor allem damit, was diese Gefühle für seine Zukunft bedeuten könnten und würden.

Vorerst stand jedoch eine ganz andere Sache auf dem Plan.

Und dafür klopfte Klaas wenige Augenblicke später an die Tür, die sich unter dem geräuschvollen Aufprall noch ein paar Zentimeter weiter aufschob. Auf der anderen Seite der Barriere wurde es schlagartig ruhig und Klaas musste sich ein Lachen verkneifen, ehe er nach Thomas‘ „Herein“ der Aufforderung folgte.

Wie erwartet, saßen Schmitti und Katha schon zusammen in dem Raum; die eine auf dem Sofa und der Andere auf seinem Lieblingssessel, der näher als sonst an der Couch stand.

„Klaasibert!“, stieß die Braunhaarige aus und sprang von ihrem Sitz auf, um Klaas gebührend begrüßen zu können.

Schmitti tat es ihr gleich, und klopfte ihm in der Umarmung zwei Mal kräftig auf den Rücken, bevor er sich von ihm löste.

„Danke, dass ihr heut so spontan Zeit habt“, sagte Klaas, als er sich seine Gitarre vom Rücken und sich selbst dann neben Katha auf das Ledersofa gleiten ließ.

„Wenn du rufst, sind wir immer da“, antwortete Schmitti, und irgendwie schaffte er es, dass es gleichermaßen ironisch wie aufrichtig klang.

„Das weiß ich sehr zu schätzen.“ Der Brünette legte sein Büchlein, in dem er seit Jahren all seine Song-Ideen notierte, auf den Tisch.

„Und wir wissen es sehr zu schätzen, dass wir immer noch die Ersten sind, denen du deine neue Musik zeigen willst. Obwohl du jetzt einen fancy Manager hast, der bestimmt noch viel besser Input gegeben kann“, sagte Katha und grinste stolz.

„Klar, das wird sich auch nicht ändern.“ Klaas nickte den beiden zu. „Eure Meinung ist mir sehr wichtig. Ist sie immer schon gewesen.“

„Dann freuen wir uns natürlich drauf, sie wie immer mit dir zu teilen.“ Schmitti deutete auf die Gitarrentasche. „Und nu‘ lass hören.“

Klaas zögerte nicht lange und befreite seine Yamaha aus der schwarzen Umhüllung, bevor er sie sich auf den Schoß legte. Danach blätterte er in seinem Notizbuch, bis er bei „Color My Life“ angekommen war.

Es war das erste Lied, welches ihn direkt noch Sonntagnacht überfallen hatte und das erste, das er innerhalb kürzester Zeit zu Papier gebracht hatte; insbesondere verglichen mit all den zähen und fruchtlosen Versuchen in den Wochen zuvor. Er hatte es sofort geliebt, und nachdem er sich am Montag noch in dem Rausch der Euphorie verloren hatte, dass er es endlich fertiggebracht hatte, etwas Neues zu komponieren, waren „Oktaven“ und „Kein Spiel“ an diesem und dem vergangenen Tag wie von selbst aus seiner Feder gefallen.

Alle ruhten sie nun in Klaas‘ schlauem Notizbuch und füllten nacheinander schon wenig später auch das Büro seines besten Freundes.

Während Klaas damit begann, die Songs zu singen und zu spielen, stellte er freudig fest, dass sich jeder einzelne davon auch an diesem Tag noch gut anfühlte. Sich nach ihm anfühlte. Und jeder von ihnen auch Bestand hatte vor seinem kleinen, aber feinen Publikum.

Katha und Schmitti lauschten gebannt dem ersten, dem zweiten und dann auch noch dem dritten Lied, die der Musiker alle mit völliger Hingabe zum Besten gab und erst, als die letzten Töne und Zeilen verklungen waren, wagte er es, seinen Freund und seine Freundin wieder richtig in die Augen zu schauen.

In Kathas stand uneingeschränkte Begeisterung, die konnte Klaas sehen, noch bevor sie ein erstes Wort gesagt hatte. Schmitti war deutlich zurückhaltender im Vergleich, aber das lag auch schlichtweg daran, dass Thomas eben Thomas war. Trotzdem waren seine Mundwinkel in einem zufriedenen Grinsen gefangen und er stimmte einen kurzen Applaus an, während Klaas sein Instrument auf den freien Platz neben sich legte.

„Alter, wie gut!“, eröffnete der Produzent die Feedback-Runde, die in solchen Momenten immer folgte.

„Wirklich richtig gut“, stimmte auch die Frau im Raum zu. „Es klingt so komplett neu und anders, als das, was du bisher gemacht hast, und trotzdem ist es einfach so einzigartig du. Ich lieb’s, wie sich die lauten Töne und dein sanfter Gesang so harmonisch ausbalancieren. Ich glaube, ich hab‘ das noch nie so gehört. Wahnsinn.“ Die Welle der Begeisterung, die ihm entgegenrollte, war so aufrichtig, wie nur Katha es sein konnte, und als sie gegen den Musiker brandete und ihn umhüllte, lösten sich augenblicklich alle Unsicherheiten, die er trotzdem in sich getragen hatte, ganz egal, wie sehr er selbst seine Songs gemocht hatte.

„Es ist wirklich Wahnsinn, Klaasi! Vor allem sind auch einfach alle drei so unfassbar gut! Ich könnte mich nicht entscheiden, welches mir am besten gefällt“, sagte Schmitti, und auch in seiner Stimme lag hörbare Begeisterung. „Zum Glück muss ich das auch nicht.“

„Ja stimmt, das musste nich‘“, antwortete Klaas mit einem Lachen und dankte den beiden für ihr aufrichtiges Feedback.

Von dem die Anwesenden anschließend auch noch einiges mehr parat hatten. Sie sprachen ausführlich über jedes der Lieder; über Zeilen, die ihnen besonders gefallen hatten, und Akkorde, die sich schon beim ersten Hören direkt eingeprägt hatten. Sie sprachen über die Inspiration, die Klaas gar nicht richtig in Worte hatte fassen können oder wollen, und über die verschiedenen Interpretationen der Texte, die teilweise bei den dreien durchaus etwas unterschiedlich, sich im Kern aber trotzdem ähnlich, waren.

Irgendwann hatte Schmitti ihnen kalte Getränke besorgt, und sie waren weitergezogen auf die Dachterrasse des Gebäudes, die sie, wie alle anderen ansässigen Firmen, nutzen durften. Dort quatschten sie weiter über die Songs und Klaas‘ Pläne, bis sich das Gespräch von ganz alleine auch in andere Richtungen entwickelte, während der Abend langsam voranschritt.

Es war eine kurze Gesprächspause, irgendwann zwischen Cola Nummer eins und Cola Nummer zwei, die Klaas schließlich nutzte, um sich kurz zu entschuldigen. „Ich bin gleich zurück, ja? Ich würd‘ Joko kurz die Songs schicken, damit er mir auch noch seine Einschätzung geben kann, bevor sie Mark für den Feinschliff bekommt.“

Schmitti legte eine Hand über sein Herz und verzog gespielt-schmerzvoll sein Gesicht. „So schnell geht’s. Schon sind wir wieder nur noch die zweite Geige.“

Katha nickte Schmitti zu, während Klaas sich aus dem Rattansessel erhob. „Ja, so schnell geht’s. Gut, dass wir wenigstens uns haben, was?“

Mit einem tonlosen Schnauben schaute der Musiker die beiden an. „Ich denke auch, dass ihr ganz wunderbar für fünf Minuten ohne mich klarkommt.“

Schmitti warf Klaas einen funkelnden Blick zu. „Grüß‘ deinen Freund lieb von uns, ja?“

Klaas schüttelte empört den Kopf, bevor er sich ohne ein weiteres Wort umdrehte und sich von den beiden entfernte. Allerdings kam er nur zwei oder drei Meter weit, bis er von Thomas aufgehalten wurde.

„Ach, und Klaas?“

Der Jüngere wandte sich mit erwartungsvollem Blick dem Dunkelhaarigen zu.

„Hast du Joko schon gefragt, ob er am Freitag zum Sommerfest kommen will?“

Sein Herz hüpfte direkt einmal aufgeregt gegen sein Brustbein, ehe es an seinem normalen Platz stetig schnell weiterschlug.

„Noch nich‘, nein.“

„Dann solltest du das vielleicht mal tun, oder?“

Der Brünette versuchte, jegliche körperliche Reaktion im Zaum zu halten und ließ sich dann von seinen Füßen zur anderen Ecke der Dachterrasse tragen, wo er hoffte, etwas Privatsphäre zu finden. Schon auf dem Weg dorthin hatte er sich das Handy aus seiner Hosentasche gezogen und der Chat mit Joko war auch schon geöffnet, als er sich gegen die Brüstung lehnte und mit leicht kribbeligen Fingern eine Nachricht eintippte.


hi joko, die muse hat mich endlich
geküsst. was hältste von den songs?

20:21 Uhr

** Color My Life **
20:22 Uhr

** Oktaven **
20:23 Uhr

** Kein Spiel **
20:24 Uhr



Die grauen Häkchen wurden blau, noch während das letzte Lied gesendet wurde. Sobald auch das durch war, atmete Klaas einmal tief durch, und spürte, wie sich das Kribbeln von seinen Fingerspitzen bis in sein Herz verteilte, als er auf das Hörer-Symbol drückte und Joko anrief.

So schnell, wie der Blonde online gekommen war, so schnell nahm er nun auch den Anruf entgegen.

„Klaas, was für eine Überraschung“, begrüßte der Andere ihn.

„Hoffentlich keine böse“, erwiderte Klaas und ließ seinen Blick in die Ferne schweifen, wo sich die Sonne zu seiner Linken gerade dem Horizont näherte.

„Never“, bekam der Jüngere postwendend als Antwort. „Ich war gerade dabei, deine Nachricht zu verarbeiten.“

„Ich will dich auch gar nich‘ lange aufhalten“, sagte der Brünette, während er mit seinen Fingern unruhig gegen seinen Oberschenkel tippelte. „Ich bin grad bei Schmitti und Katha und die beiden haben mir aufgetragen, dich zu fragen, ob du Lust hättest, diesen Freitag zum Florida-Sommerfest zu kommen?“

Für einen Herzschlag lang herrschte Stille am Telefon.

„Ist das nicht nur für die Angestellten?“

„Grundsätzlich schon. Aber Schmitti meinte, dass du und ich wohl irgendwie zum erweiterten Inventar gehören, oder so.“

Oder so“, wiederholte Joko und sendete ein Lachen durch die Leitung. „Wär’s für dich denn okay, wenn ich käme?“

„Ja sicher.“ Die Antwort purzelte schneller von Klaas‘ Lippen, als sein Kopf sie zu Ende hatte formulieren können. „Ich würd‘ mich freuen.“

„Hmm“, brummte der Blonde nachdenklich in das Telefon. Mehrere Sekunden tickten vorbei, und jede einzelne davon machte Klaas nervöser, und bereitete ihn auf eine potenzielle Enttäuschung vor.

Die am Ende glücklicherweise doch nicht kam.

„Na gut, nachdem du mich so euphorisch eingeladen hast, kann ich ja schlecht nein sagen.“

Jokos Worte beförderten ein peinlich berührtes Glucksen aus Klaas‘ Rachen in die Welt.

„Ehrlich, ich würde mich wirklich freuen“, beteuerte der Jüngere, und legte diesmal etwas mehr Nachdruck in seine Stimme.

„Alles gut, Klausi, ich hab‘ ja schon ja gesagt“, erwiderte Joko, erneut mit einem tiefen Lachen.

„Okay. Gut.“ Der Braunhaarige konnte spüren, wie die innere Anspannung etwas nachließ und vertrieben wurde von der Vorfreude, Joko in zwei Tagen wiederzusehen.

Bisher hatten sie es nur am Vortag zu einer kleinen Laufrunde geschafft, weil die Woche von Joko ansonsten voll war mit Geschäftsterminen, und die von Klaas so kurz vor ihrem Trip nach Hamburg geblockt für kreatives Arbeiten, sodass sie nicht einmal geschäftliche Termine vereinbart hatten.

„Ach und…”, begann Klaas, nachdem ihm eine weitere Sache siedend heiß eingefallen war. „Das Motto ist übrigens Caribbean Nights“, erklärte er und ein spitzbübisches Grinsen schlich auf seine Lippen. „Vielleicht findeste ja irgendwo ‘n Flamingo, den du für dein Outfit rupfen kannst.“

Joko schwieg für einen Augenblick, bevor sein lautes, befreites Lachen durch die Leitung hallte und direkt durch Klaas hindurch vibrierte.

„Lass ma‘, den Flamingo will ich dir nicht wegnehmen. Pink steht dir viel besser als mir, das hast du doch schon bewiesen.“

Das ließ auch Klaas glucksen. „Darüber kann man sicher streiten“, sagte er. „Aber dann bin ich umso mehr gespannt, was du dir einfallen lässt.“

„Lass dich überraschen. Ich hab‘ da direkt ein paar Ideen.“

„Da hab‘ ich absolut keinen Zweifel dran“, konstatierte Klaas kopfschüttelnd, obwohl ihm eigentlich immer noch vielmehr nach dümmlichem Grinsen zumute war.

Die beiden sprachen noch mehrere Minuten über die Details der Party und noch ein oder zwei Minuten länger über den Tag des jeweils anderen, ehe sie sich voneinander verabschiedeten, und Klaas mit einem Lächeln, das er nicht zurückzudrängen vermochte, zu Schmitti und Katha zurückkehrte.

Er war noch gar nicht ganz um das Mauerwerk des Treppenhauses, das den Blick auf den Loungebereich freigeben würde, herum, als er seine zwei Freunde erneut herzhaft miteinander lachen hörte. Das Geräusch ließ ihn prompt innehalten und doch noch für einige Augenblicke außerhalb ihres Sichtfeldes ausharren, um ihnen noch einen kleinen Moment zu geben.

Und als er schließlich doch wieder zu ihnen stieß, konnte er nicht einmal mehr sagen, was nun das breitere Grinsen in ihm auslöste.



Was ebenfalls ein breites Grinsen auslöste – ein noch größeres, als das die Euphorie Jokos zu seinen neuen Liedern in den vergangenen zwei Tagen vermocht hatte – war Joko, der am Freitag um 17:30 Uhr mit Sally vor seiner Haustür parkte.

Die beiden Männer hatten am Vorabend noch vereinbart, sich bei Klaas zu treffen und gemeinsam zur Florida zu laufen, und Klaas war in diesem Moment mehr als dankbar dafür, weil er so wenigstens die Gelegenheit hatte, sich und seine Nerven in den Griff zu kriegen und den Anblick von Joko zu verarbeiten, ohne, dass ihm irgendjemand anderes dabei zuschaute als der Blonde. Und der kannte ihn hoffentlich trotz allem noch nicht gut genug, um ihn durchschauen zu können, so hoffte Klaas, während Joko seinen Helm im Sitz des Rollers verstaute, und er ungeniert für ein paar Sekunden seinen Blick über ihn gleiten ließ.

Der Größere hatte sich für blaue Badeshorts entschieden, auf der in unterschiedlichen Blautönen Palmenblätter und große, weiße Blumen abgedruckt waren, die Klaas nicht näher zu benennen vermochte. Darüber trug er ein weißes Hemd, dessen lange Ärmel er sich hochkrempelte, während er die wenigen Schritte auf Klaas zumachte. Die großzügig geöffnete Knopfleiste gab mehr Blick auf die Brust des Älteren frei, als Klaas‘ Hirn – und sein restlicher Körper – das für hilfreich erachteten, aber er konnte im ersten Augenblick nicht viel länger darüber nachdenken, weil er sich schon im nächsten in einer Umarmung von Joko wiederfand.

Der sonnige Juni-Abend war auch so schon warm genug gewesen, doch in Jokos Armen befiel Klaas noch eine ganz andere Hitze, die ihm zu Kopf zu steigen schien, denn sein einziger Gedanke war es, die störenden Hemden wegzuwerfen und mit dem Anderen irgendwohin zu verschwinden, wo sie ihre Ruhe haben würden.

Dieser Sekunden-Tagtraum endete jedoch abrupt mit der Umarmung, die anders als ihre Verabschiedungen, nicht einmal einen Bruchteil davon anzudauern schien. Zum großen Bedauern von Klaas. Aber ebenso zur großen Erleichterung.

„Gut siehst du aus“, sagte Joko, nachdem er sich von Klaas zurückgezogen hatte und er ließ, weniger heimlich als der Jüngere, seinen Blick einmal würdigend über ihn streifen.

Klaas selbst hatte sich für ein ganz ähnliches Outfit entschieden, nur dass seine Badeshorts und sein Hemd schwarz waren, und der einzige Farbklecks der beigefarbene Strohhut war, den er sich aufgesetzt hatte. Unter dem Blick des Älteren schwappte eine erneute Welle der Hitze über Klaas, der er versuchte, zu entkommen, indem er unruhig auf seinen Fußballen vor und zurück wippte.

Jokos Augen fanden schnell ihren Weg zurück zu jenen seines Gegenübers und nachdem er sich einmal durch seine verstrubbelten Haare gefahren war, griff er mit seiner Hand an seine Brust, aus dessen Tasche er eine Zigarre hervorzauberte, die der Braunhaarige bis dahin noch gar nicht bemerkt hatte. Eine weitere lugte aus der Brusttasche noch hervor, während Joko nochmal einen Schritt auf ihn zukam und ihm eine der beiden in seine eigene steckte.

„Jetzt ist es perfekt“, sagte Joko und grinste verschmitzt, während er kurz mit seiner Hand über Klaas‘ Brust und die Zigarre streichelte. „Echte Kubanische“, erklärte er dabei stolz. „Hab‘ ich vor ein paar Jahren aus ‘nem Kuba-Urlaub mitgebracht, aber nie geraucht.“

Der Kleinere sah ihn erst etwas überrascht an, musste dann aber doch lachen. „Warum haste sie denn dann gekauft?“

Als Antwort zog er sich seine eigene Zigarre aus dem Hemd und ließ einmal seine Nase darüber gleiten. „Weil ich’s geil finde, wie die riechen. Auch, wenn der Duft mittlerweile etwas nachlässt.“

Anschließend schob er sie zurück an ihren vorhergesehenen Platz, tippte mit seiner Hand liebevoll dagegen und das spitzbübische Grinsen, das folgte, schaffte es fast, Klaas Jokos nächste Frage überhören zu lassen.

„Wollen wir?“



Kubanische Klänge hallten aus einer Vielzahl von Boxen, die überall auf der Dachterrasse verteilt waren und das karibische Feeling abrundeten, das schon durch die Palmen, die strohverkleidete Bar sowie die unzähligen bunten Blumen, die entlang der Balustraden angebracht und auch gefühlt sonst überall hin vergossen waren, ausgestrahlt wurde. Zwischen den Sitzgelegenheiten standen vereinzelt immer wieder überlebensgroße Flamingos, die schon bei ihrer Ankunft für Belustigung auf Seiten Jokos geführt hatten, der sich köstlich darüber amüsiert hatte, dass sie viel größer seien als normal.

Seither waren etwa drei Stunden vergangen, und noch zu keiner Minute waren Joko und Klaas länger voneinander getrennt gewesen, als es eine einzige Toilettenpause vor noch nicht allzu langer Zeit eingefordert hatte. Joko war nach diversen Terminen in der Florida längst kein Fremder mehr in der Firma, dennoch bot sich für viele Angestellte erst heute so richtig die Gelegenheit, sich mit dem Blonden zu unterhalten und sie nutzten diese auch ausgiebig aus. Immer mal wieder hatte Klaas versucht, sich aus den Grüppchen zu lösen, damit sie sich ungestört unterhalten würden können, und ein bisschen auch, um zumindest mal kurz durchatmen und seinen Körper beruhigen zu können, der sich immer mehr an die Nähe seines Partners gewöhnte, und trotzdem gleichzeitig immer mehr wollte. Doch jeder Versuch, sich davonzustehlen, wurde von Joko im Keim erstickt, der ihn just in diesen Sekunden jedes Mal aufs Neue in die Gespräche miteinbezog, nach seiner Meinung fragte oder von Anekdoten erzählte, die einen Bezug zu ihm hatten.

Es war fast schon ein wenig verrückt, wie viele dieser kleinen Geschichten sich seit ihrem Kennenlernen schon angesammelt hatten und wie sie den Eindruck vermittelten, dass sie sich schon ewig kannten und ein ganzes Leben miteinander verbracht hatten. Mehrmals fragte Klaas sich, während er Jokos Erzählungen lauschte, ob nur er diesen Eindruck bekam, oder ob das auch auf andere vielleicht ähnlich wirken würde.

Insbesondere bei ihrem derzeitigen Gespräch grübelte Klaas darüber nach, seit vor wenigen Minuten Thomas Schmitt zu ihnen hinzugestoßen war. Davor hatten sich Joko und Klaas ganz entspannt alleine mit Katha unterhalten, die die beiden in Beschlag genommen hatte, kurz nachdem Rauli mit seiner Urlaubs-Erzählung fertig gewesen und Richtung Buffet verschwunden war. Dabei war das Gespräch mit der Dunkelhaarigen gerade erst so richtig ins Rollen gekommen, als Schmitti wie aus dem Nichts aufgetaucht war und sich ebenso nah neben die Braunhaarige gestellt hatte, wie Joko schon den ganzen Abend an Klaas‘ Seite angedockt war. Klaas hätte am liebsten darüber gelacht, wie sein Kumpel sich mit breiten Schultern aufgetürmt hatte, wenn dessen wissender Blick dem Jüngeren nicht sofort den Wind aus den Segeln genommen hätte, und es auch immer noch tat, wann immer Joko und Klaas sich einen Augenblick länger anschauten, als nötig.

„Weißte noch diese kleine Pizzeria, wo wir vor zwei oder drei Wochen waren? Das Pepe’s?“, sagte der Blonde und Klaas konnte dessen Augen kurz auf sich spüren. „Da waren Klaas und ich uns einig, dass es dort die besten Pizzen diesseits der Alpen gibt. Ist ‘n ganz kleiner Laden mit nur sechs Tischen oder so, aber ich schwöre, ihr werdet keine bessere Pizza finden.“ Wieder sah er zu ihm, und die rechte Seite seines Gesichtes begann zu kribbeln. „Nicht wahr, Klausi?“

Der Spitzname, den nur er verwendete und verwenden durfte, setzte ein paar der Schmetterlinge in seinem Magen frei, die er eigentlich halbwegs erfolgreich gefangen hielt, die nun aber doch wild gegen ihre Fesseln flatterten.

Auch auf seiner anderen Gesichtshälfte begann es nun ebenfalls zu prickeln, als er zusätzlich zu Jokos Blick auch noch Kathas und Schmittis spüren konnte.

„Äh. Ja. Ja, das war wirklich ‘ne fantastische Pizza”, schusterte Klaas kurzerhand seine Antwort zusammen, in der Hoffnung, die erwartungsvollen Blicke damit irgendwie abwenden zu können.

Anstatt auf das Gesagte von Klaas zu reagieren, legte Thomas seinen Kopf leicht schief und betrachtete seinen Freund neugierig. „Klausi?“

Joko neben ihm gluckste, und stupste seinen Oberarm gegen Klaas‘, weil er wohl irgendwie auch ohne Erklärung begriffen hatte, dass der Name hier nicht alltäglich war. Wahrscheinlich setzte er auch deshalb direkt zu einer Erklärung an. „Nach einer unglücklichen Niederlage beim Joggen, hat mir Klaas hier einen äußerst zweifelhaften Spitznamen verpasst. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen.“

Schmittis Blick wurde neugieriger und Klaas konnte schon sehen, was er dachte, bevor er es aussprach. Seine Aufmerksamkeit wanderte zu der Frau an seiner Seite und der Brünette wusste, dass es gleich richtig unangenehm werden konnte.

„Kannst du dich noch daran erinnern, als ich ihn vor ein paar Jahren mal aus Versehen so genannt habe?“ Thomas‘ Aufmerksamkeit wanderte zu der Frau an seiner Seite, die leise kicherte und überschwänglich nickte.

„Oh ja! Ich dachte, er kündigt dir die Freundschaft!“

Der Kleinere schnaubte entrüstet. „Nu‘ übertreibt mal nich‘!“

Allerdings schien weder Schmitti noch Katha beeindruckt von seinem Einwand zu sein, denn sie verharrten weiter in ihrer kleinen Blase.

„Nicht wahr? Ich musste mich mit einer Monatsration Toffifee entschuldigen! Hat mich ein Vermögen gekostet. Fast hätte ich unter der Oberbaumbrücke schlafen müssen.“

„Aber sonst geht’s gut, ja?“, warf Klaas ein, wurde jedoch abermals ignoriert.

„Er war wirklich übertrieben hart mit dir. Mit Klaas als Freund braucht man wahrlich keine Feinde“, erwiderte Katha an Thomas gerichtet, und Klaas fragte sich, ob sie überhaupt noch mitbekamen, dass zwei weitere Parteien am Gespräch teilnahmen.

„Ja, wirklich übertrieben hart“, bestätigte Schmitti kopfschüttelnd.

„Ey, wisst ihr was?“, begann der Brünette und kippte sich die letzten Schlucke seines alkoholfreien Cocktails den Rachen hinunter. „Ich hol‘ mir mal Nachschub. Dann könnt ihr Joko ungestört eure übertriebenen Märchengeschichten erzählen.“ Er rollte zur Unterstreichung noch gespielt theatralisch mit den Augen, ehe er sich diesmal auch nicht von Jokos Blicken oder Worten abhalten ließ und schnurstracks mit großen Schritten Richtung Bar davonlief.



Während Klaas sich abseits des größten Party-Pulkes gegen die Balustrade lehnte und gen Horizont blickte, fragte er sich zum millionsten Mal in seinem Leben, wie viel farbenfroher und beeindruckender der Sonnenuntergang wohl für Leute aussehen musste, die nicht wie er unter einer Rot-Grün-Sehschwäche litten. Er konnte nur erahnen, wie viel kräftiger die grau-gelbfarbenen Schattierungen sein mochten, denen in seiner Wahrnehmung jegliche Sättigung entzogen war.

Dabei konnte er sich glücklich schätzen, dass er die Farben wenigstens noch in irgendeiner Form wahrnehmen konnte und nicht gänzlich farbenblind war; und das, was ihm an Sehkraft fehlte, wog sein Kopf meistens mit Vorstellungskraft wieder auf.


I never see red, cause I don’t know how to
But I still see the color of hearts when I look at you
Orange turns to grey in my rearview mirror
And yet with you, I see everything much clearer



Die Zeilen, die erst vor kurzem eine Melodie bekommen hatten, waberten durch seinen Kopf, als er der Sonne beim Sinken zuschaute, obgleich seine Konzentration immer weiter in die Ferne rückte, bis sie schließlich nicht mal mehr als das bezeichnet werden konnte. Auch die kubanischen Klänge verschwanden immer mehr aus seiner Wahrnehmung, während er tiefe Atemzüge nahm und die momentane Ruhe genoss, die er hier in der anderen Ecke der Dachterrasse fand.


Color my life with the shades I don’t see
Make me feel less blind with the emotions I feel



Wie so oft kam jedoch mit der Ruhe der Raum für die Gedanken, von denen Klaas eigentlich gehofft hatte, dass er sie mit etwas Abstand zu Joko irgendwie ein wenig einfangen würde können.

Jene Gedanken, die sich ihm nur allzu leicht vorstellen ließen, wie es wäre, mit Joko zusammen hier auf dieser Party zu sein. Wie es wäre, Jokos Hand zu halten oder dessen Arm um ihn herum zu spüren. Wie es wäre, ihm einen Kuss zu stehlen, einfach weil er es konnte, und um so allen zu zeigen, dass er zu ihm gehörte.

Es war erschreckend einfach, sich das alles vorzustellen, weil Joko so war, wie er war. Weil er nicht von Klaas‘ Seite wich, außer in diesem Augenblick, und weil seine Aufmerksamkeit stets bei ihm war, selbst wenn er seinen Gesprächspartner:innen augenscheinlich einhundert Prozent davon gab.


Color my life so that the world won‘t go dark
Only you know how to start that fire
How to ignite that spark



„Hier steckst du.“

Jokos Stimme kam überraschend, und dann irgendwie doch so überhaupt nicht. Klaas hatte sich insgeheim schon gefragt, wie lange es dauern würde, und ob es nicht vielleicht er selbst sein würde, den es zuerst zurück an die Seite des Blonden ziehen würde.

Tatsächlich wäre das nicht einmal abwegig gewesen, und doch standen sie nun hier und Klaas drehte sich zu ihm, mit einem Lächeln im Gesicht.

„Haste mich etwa vermisst?“, fragte Klaas, im völligen Besitz seiner Sinne und dem Wissen, dass eine solch kokette Frage vielleicht nicht unbedingt der hilfreichste Weg war, um sich bedeckt zu halten.

„Immer. Das weißte doch.“ Da war dieses spitzbübische Grinsen auf Jokos Lippen, das trotzdem irgendwie nicht so ganz über die Aufrichtigkeit in seinen Augen hinwegtäuschte, die Klaas sich einbildete, dort zu sehen.

„Gut so. Richtige Antwort“, gab der Jüngere zurück und drehte sich dann wieder in die andere Richtung, um der Sonne weiter bei ihrem Sinkflug zuschauen zu können.

In seinem Rücken konnte er Jokos Badeshorts rascheln hören, nur um schon im nächsten Augenblick seine Körperwärme zu spüren, als er sich viel zu nah neben Klaas an die Brüstung stellte.

„Du, Klaas?“

„Hmm?“

„Ich wusste nicht, dass du es so hasst, wenn man dich Klausi nennt… sonst hätt‘ ich das nie gemacht“, sagte der Blonde in Klaas‘ Richtung. „Ich werd’s natürlich auch in Zukunft unterlassen. Tut mir echt leid.“

Klaas sah zu ihm und fand tiefes Bedauern auf dessen Gesicht, das er nicht aushalten konnte.

„Ist schon okay, Joko“, antwortete der Kleinere sofort. „Ich hab’s als Kind und Jugendlicher gehasst, weil’s da immer gesagt wurde, um mich zu verarschen.“ Er hielt kurz inne, und überlegte, wie viel er noch sagen sollte. Doch sein Kopf übernahm die Führung und ließ kein Schweigen oder Herumdrucksen zu. „Aber wenn du mich so nennst, is’ es okay.“

Goldenes Braun funkelte ihm entgegen, und Klaas sendete ein Stoßgebet gen Himmel, obwohl er nicht daran glaubte, dass es jemand hören würde – dafür, dass er nur Rottöne kaum erkennen konnte, ihm aber wenigstens nicht die Fähigkeit geraubt wurde, die warme Farbe in den Augen des Anderen zu sehen.

„Wieso?“

„Weil’s anders klingt, wenn du es sagst.“

Jokos Blick wurde eindringlicher und nach einem kurzen Schweigen fragte er: „Anders, wie?“

Ihm fielen sofort eintausend Adjektive ein, die er als Antwort hätte sagen können, aber das eine, das am unpassend passendsten war, hüpfte von seiner Zungenspitze, bevor er es sich hatte ausreden können.

Liebevoller.“

Die Mundwinkel des Älteren schoben sich etwas höher, während er Klaas mit einer ähnlichen Emotion anguckte, die er ihm gerade unterstellt hatte.

„Ich mein’s auch so. Immer. Selbst wenn wir uns dabei mal ‘n bisschen ärgern.“

Klaas nickte verständnisvoll und drehte sein halb-volles Glas Virgin Caipirinha. „Weiß ich“, sagte er und stützte sich mit seinen Armen auf dem Geländer ab. „Deswegen ist’s auch okay, wenn du Spitznamen verwendest.“ Und mit etwas mehr Schalk in der Stimme setzte er nach: „Außerdem bin ich nich‘ bereit dazu, Winti aufzugeben.“

Ein erheitertes Glucksen schüttelte den Blonden, der sich nun ebenfalls über die Balustrade lehnte, und durch den Strohhalm seines länglichen, fast leeren Glases einen großen Schluck farbenfroher Flüssigkeit in sich aufnahm.

„Na, dann sind wir uns ja zum Glück einig“, sagte er abschließend, und Klaas stimmte ihm noch mit einem Nicken zu.

Sie schwiegen für einige Momente, während die Sonne nun schon fast den Horizont küsste. Diesmal nahm Klaas seine Umgebung wieder viel deutlicher wahr; die Musik, die melodisch durch die Party-Gesellschaft schwebte und das Geschnatter, das aus allen Ecken drang. Hauptsächlich aber nahm er Joko wahr, dessen Wärme ihn sofort wieder einhüllte, und dessen markanter Duft seinen Kopf so leicht werden ließ.

„Darf ich dich was fragen?“, murmelte der Andere irgendwann in ihr Schweigen.

Ihre Blicke fanden sich wie immer von selbst. „Klar. Darfste.“

„Was läuft da eigentlich zwischen Schmitti und Katha?“

Klaas musste leise kichern, als die Frage durch den Nebel bei ihm ankam. Er drehte sich erneut um, um seinen Fokus auf die Feier-Gesellschaft zu lenken. Es dauerte auch gar nicht lang, da entdeckte er die beiden erwähnten Personen, die mittlerweile zu zweit an einem der Stehtische standen, zwei frisch aufgefüllte Gläser mit Cocktails zwischen ihnen.

Ein Lächeln formte sich bei dem Anblick auf Klaas‘ Gesicht. „Ich glaube, die finden sich ziemlich gut. Sie trauen sich nur irgendwie noch nich‘ so recht, das auch zuzugeben.“

Joko wurde kurz still und drehte sich dann ebenfalls, um sich wie Klaas gegen die Brüstung zu lehnen. Sein Blick fand die anderen beiden zweifelsohne ebenso, denn noch für einen weiteren Augenblick sagte er kein Wort.

„Schade eigentlich. Die zwei wären wirklich ein süßes Pärchen, findest du nicht?“

Zwei, drei weitere Schmetterlinge gesellten sich zu den entflohenen, die in Klaas‘ Bauch seit einer Weile ihr Unwesen trieben.

„Doch, auf jeden Fall“, stimmte der Brünette zu. „’n bisschen wie Feuer und Wasser vielleicht, aber das hat ja auch manchmal seinen Reiz.“

„Da haste recht“, antwortete Joko und klang nun fast etwas nachdenklich. „Aber sie werden’s schon noch begreifen. Diese Art von Chemie explodiert immer irgendwann.“

„Das kann man jedenfalls nur hoffen, ja.“ Er schaute kurz zu dem Größeren, der immer noch auf Schmitti und Katha fixiert war, und dann genauso schnell zu seinem Glas, das er anschließend mit einem großen Schluck leerte.

Sein Partner bewegte sich noch für einen Moment keinen Zentimeter, ehe er sich aus seiner gedankenverlorenen Starre löste und lächelnd zu Klaas guckte.

Da war ein intensives Glitzern in dessen Augen, das den Jüngere mühelos gefangen nahm, wie es das so oft tat. Gleichzeitig schien es diesmal jedoch auch ganz anders zu sein. Die Anziehung stärker. Und der Bann unwiderstehlicher. Begünstigt durch das sich auflösende Bedürfnis in Klaas, dem ganzen überhaupt erst widerstehen zu wollen.

Es wäre so einfach gewesen, sich in diesem Moment darin zu verlieren. In dem Glitzern und Funkeln und der innerlichen Aufgabe, die Klaas deutlicher spürte als jemals zuvor.

Und er hätte es zugelassen. Wenn dieses ganz besondere Glitzern nicht so schnell wieder verschwunden wäre, wie es gekommen zu sein schien. Joko wandte seinen Blick kurz ab, fokussierte sich dann kurz auf sein Getränk, und zog so lange kräftig an dem Strohhalm, bis nur noch geräuschvoll Luft eingezogen wurde.

Erst danach schaute er wieder zu Klaas, und zurück war das schelmische Grinsen, das den Blonden so jung und befreit erscheinen ließ, und das Klaas gleichermaßen in Beschlag nahm, wie alles andere, was er tat und sagte.

„Holen wir uns noch was?“, fragte er dann und hob seinen leeren Trinkbecher, bevor er sich von dem Geländer abstieß.

Klaas nickte nur, und folgte dem Größeren, wie der Magnet, der er war.



„Vielen Dank, dass du mich mitgenommen hast. Das war wirklich ein zauberhafter Abend“, sagte Joko mehrere alkoholfreie Drinks und Stunden später, als sie gerade vor Klaas‘ Wohnblock angekommen waren. „Die Florida weiß wirklich, wie man Feste feiert.“

„Oh ja. Dafür sind sie berüchtigt“, stimmte der Jüngere zu. „Und ich kann das aus jahrelanger Erfahrung auch nur bestätigen.“

Joko schmunzelte leicht. „Da hab‘ ich ja offenbar einiges verpasst in den letzten Jahren.“

„Ach, naja… Hauptsache du bist jetzt dabei, oder?“ Er schaute den Anderen mit einem sanften Lächeln an.

„Stimmt. Und dafür bin ich auch sehr dankbar.“ Joko drehte sich etwas, um noch frontaler vor Klaas zu stehen, und der konnte nun ohne Halsverdrehen zu dem Blonden hochschauen. „In all den Momenten, in denen ich nicht dabei sein kann, musst du mir aber unbedingt erzählen, wie es mit Katha und Schmitti weitergeht, ja?“

Das angesprochene Paar hatte auch den Rest des Abends immer vertrauter miteinander gewirkt, und immer wieder hatten sich Klaas und Joko wissende Blicke zugeworfen, wenn sich die beiden wieder einmal flüchtig berührt oder zu laut miteinander gegiggelt hatten, und die beiden es zufällig mitbekommen hatten oder bei ihnen gewesen waren. Klaas war natürlich reflektiert genug zu wissen, dass er und Joko vermutlich ein ganz ähnliches Bild abgegeben haben mussten, und nur der Gedanke daran, ließ seine Wangen ein bisschen wärmer glühen.

„Na klar, ich werd‘ dein ganz persönlicher Spion sein“, versprach Klaas und wippte mehrmals auf seinen Füßen vor und zurück.

„Gut. Dann freu‘ ich mich schon auf deinen ersten Lagebericht.“ In seinen Augen schimmerte das warme Licht der Laterne über ihnen, und seine ganz eigene mit dazu. „Die spannendsten Liebesgeschichten schreibt einfach immer noch das Leben.“

Der Brünette guckte den Älteren musternd an. „Ja, wem sagste das…“

Anstatt noch etwas zu sagen, lächelte Joko dem Kleineren zu, und wieder lag diese unausgesprochene Frage in dessen Augen, die Klaas ihm mit einem Nicken beantwortete.

Beinahe gleichzeitig machten sie einen halben Schritt aufeinander zu, und fügten sich ineinander wie zwei Puzzleteile, die genau dafür erschaffen worden waren. Schon nach nur wenigen Umarmungen hatte jedes ihrer Körperteile seinen Platz gefunden; von Klaas‘ Armen, die sich eng um Jokos Taille schlangen und seinem Kinn, das gegen dessen Schulter ruhte, bis hin zu Jokos Wange, die sich sanft an seine Schläfe schmiegte oder seine Hand, die viel zu behutsam in seinem Nacken lag.

Insbesondere dort, wo Jokos Haut auf die von Klaas traf, wo dessen Fingerspitzen langsam über den Ansatz seiner Haare glitten, schien der Ältere jedes Mal aufs Neue ein Feuer zu entzünden, dem Klaas sich nicht zur Wehr setzen konnte. Es sprang von einer Zelle zur nächsten, ließ seine Nerven flimmern und seine Haut prickeln.

Jokos Daumen streifte zärtlich über die empfindliche Stelle hinter seinem Ohr, und obwohl das Streicheln kaum mehr war als der Hauch einer Berührung, konnte Klaas sie überall spüren. Konnte die Gänsehaut fühlen, die sich unter Jokos Daumenkuppe bildete und sich von dort über seinen gesamten Körper verteilte. Ihm entkam ein zufriedenes Seufzen, während sich sein Kopf der Zärtlichkeit wie von selbst entgegenstreckte, und der Größere hielt kurz in der Bewegung inne, ehe Klaas wahrnahm, wie dessen Nase über seinen Haarschopf strich und der Daumen hinter seinem Ohr das sanfte Streicheln wiederholte, nur mit etwas mehr Druck als zuvor.

Wie nur hatte Klaas jemals glauben können, dass Umarmungen keinen gesteigerten Wert hatten? Dass er wunderbar in einer Welt leben könnte, in der sie nicht existierten? Wie hatte er das jemals glauben können, wenn es für ihn in dieser Sekunde nichts Besseres gab, als so von Joko berührt zu werden?

Es schien völlig absurd und tief in sich drin verspürte er den Drang, hysterisch darüber zu lachen. Stattdessen floss jedoch nur ein weiteres behagliches Seufzen von seinen Lippen, von dem er wusste, dass der Andere es sicher hören würde, aber ausnahmsweise war ihm das in dieser Sekunde einfach nur egal.

Joko hingegen atmete noch mehrere Male beständig ein und wieder aus, ließ seinen Daumen die Bewegung wiederholen, bevor sich seine Hand noch etwas höher entlang des Nackens seines Freundes schob. Ein kleines Feuerwerk zündete in Klaas‘ Magen ob der sanften Zärtlichkeit, und sie scheuchte die Schmetterlinge auf, die immer schwerer zu bändigen waren.

Der Blonde drückte mit seiner Hand kaum merklich zu, aber da jede Faser von Klaas‘ Dasein auf Joko fokussiert war, spürte er es trotzdem überdeutlich. Das Heben und Senken des Oberkörpers von Joko wurde langsamer und langsamer, bis es schließlich gänzlich aufhörte. Noch einmal drückte er sanft zu und zog dann langsam seinen Kopf zurück.

Der Jüngere wollte protestieren; war noch nicht bereit dazu, sich von Joko zu lösen oder zu verabschieden, aber der Halt um seinen Körper lockerte sich auch nicht, selbst als Joko sich ein klein wenig von ihm weg lehnte.

Neugierig und mit rasendem Herz tat der Braunhaarige es ihm gleich, und ihre Augen fanden sich, verbanden sich so widerstandslos miteinander, als wären auch diese beiden Paare genau dafür geschaffen.

Die Welt um sie herum kam zu einem krachenden Halt und alle Geräusche und Formen verschmolzen zu einer undefinierbaren Wolke, in der sich ein Sturm zusammenzubrauen schien. Klaas konnte es schon sehen, das helle Aufblitzen im Blick des Anderen, und konnte spüren, wie die Härchen auf seinen Armen elektrisch geladen tanzten.

Gänzlich in Jokos Energie gefangen, konnte sich Klaas gar nicht anders bewegen als auf die Quelle hinzu. Er war wie hypnotisiert. Überall begann es zu flattern und zu kribbeln, und der kleine Raum, der ihre Gesichter trennte, tat es auch; war von Energie geladen, und zog sie einander an mit einer Kraft, die so viel größer war als sie es je sein würden.

Nur noch wenige Zentimeter trennten ihre Nasenspitzen, und der Brünette konnte sich nicht daran erinnern, jemals so aufgeregt gewesen zu sein wie in dieser Sekunde. Nicht vor seinem ersten Konzert oder seinem ersten Interview. Und auch nicht vor einem anderen ersten Kuss. Einem anderen ersten Date. Einem anderen ersten Irgendwas.

Er konnte sich auch nicht daran erinnern, jemals etwas so sehr gewollt zu haben, wie diesen Kuss.

Diesen Mann.

Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und darüber hinaus, würde ihm sicher gleich aus den Augen springen, und schlug doch stetig und kräftig von dort aus, wo es gerade saß.

Sandte Leben und Rhythmus durch ihn.

Spielte einen Takt.

Der nicht seiner war und doch so mühelos zu seinem wurde.

Die Melodie in seinem Kopf wurde laut und er hätte mit ihr am liebsten den Raum gefüllt, der zwischen ihnen noch übriggeblieben war. Vielmehr noch wollte er ihn jedoch mit Joko füllen, der sich ihm immer weiter näherte und damit seinen Puls immer weiter in die Höhe schießen ließ.

Das Crescendo in seinem Herzen wuchs, vibrierte durch ihn und spielte den kitschigen Soundtrack, den ein Moment wie dieser verdient hatte.

Es war alles perfekt.

Es wäre alles perfekt gewesen.

Wenn nicht in der nächsten Sekunde grelle Lichter auf sie zugerast gekommen wären, begleitet von lautstarkem Geschrei.

Aus dem Weg!“

Macht mal Platz da!“

Instinktiv verfestigte Klaas seinen Griff um Jokos Hüfte und manövrierte die beiden mit einem großen Schritt in Richtung Hauswand.

Zwei junge Kerle auf E-Scootern schossen an ihnen vorbei und jagten den Gehsteig hinab. Sie lachten hämisch als sie sich davonmachten, und Klaas schickte ihnen ein „sach ma’ geht’s noch?“ hinterher, das sie vermutlich gar nicht mehr hörten.

Joko hielt ihn immer noch fest, aber als sich ihre Blicke abermals fanden, konnte der Jüngere sofort erkennen, dass ihr Moment mit den zwei Jungs in die Nacht verschwunden war.

Der Blonde lächelte bedauernd und ließ seine Hand von Klaas‘ Nacken auf dessen Schulter gleiten, bevor er seine Stirn noch für einen Augenblick gegen die des Kleineren lehnte.

Klaas schloss seine Augen, während das Bedauern schwerfällig wie Blei durch seine eigenen Blutbahnen kroch.

Sie verfielen in einen tranceähnlichen Zustand, der ganz anders war als der zuvor. Weniger geladen, aber dennoch voller Wärme und Geborgenheit, während sie die Nähe genossen und sich schweigend auf den herannahenden Abschied vorbereiteten.

Es war Joko, der als erstes seine Stimme wiederfand.

„Du machst es mir wirklich nicht einfach, Klaas Heufer-Umlauf“, seufzte er in die Entfernung zwischen ihren Mündern.

Klaas konnte die Worte auf seinem Gesicht fühlen, und hätte ihnen gerne etwas erwidert, hätte sie gerne überhaupt erst einmal besser begriffen, und vermochte es doch nicht, eine passende Antwort zu finden, die Sinn ergab.

Stattdessen lösten sie sich schon kurz darauf endgültig voneinander und die Leere, die blieb, war für Klaas kaum auszuhalten.

Er beobachtete Joko, wie er sich den Nierengurt umlegte und den Helm auf den Kopf setzte, sog jede Bewegung des Anderen in sich auf, um diesen Moment mit all seinen Facetten zu konservieren.

Sie verabschiedeten sich voneinander und Klaas fragte sich, ob sich seine Stimme so sehnsuchtsvoll anhörte, wie er sich einbildete, dass die von Joko klang. Bevor er jedoch den Gedanken weiter verfolgen konnte, versprach der Ältere ihm, sich zu melden, sobald er daheim war und erweckte anschließend Sally viel zu früh zum Leben.

Ein letztes Winken.

Ein letzter Blick.

Und schon sah der Brünette nur noch das rote Rücklicht des Rollers, der Joko von ihm davontrug.

Klaas‘ Lippen kribbelten mit der Hoffnung und der Erwartung, die nicht erfüllt wurden, als er Joko wie immer hinterher schaute, bis er und sein gelber Roller aus seinem Blickfeld verschwunden waren.

Nur eine Sache blieb.

Die Melodie.

Und sie war ohrenbetäubender als in all den Wochen zuvor.

Sie jagte Klaas schließlich die Treppen nach oben zu seiner Wohnung. Ließ ihn zwei Schritte auf einmal nehmen und wenig später den Schlüssel auf die Kommode werfen, nachdem die Tür mit einem lauten Klack hinter ihm ins Schloss gefallen war.

Zum wiederholten Male in dieser Woche brannte bis in die frühen Morgenstunden helles Licht im Musikzimmer von Klaas.

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