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Deine Melodie in mir

Kurzbeschreibung
GeschichteRomance, Liebesgeschichte / P18 / MaleSlash
Joachim "Joko" Winterscheidt Klaas Heufer-Umlauf
12.06.2022
05.02.2023
35
188.600
75
Alle Kapitel
231 Reviews
Dieses Kapitel
6 Reviews
 
11.09.2022 5.725
 
Hallo ihr Lieben,

seid ihr alle gut durch die Woche gekommen? Hier war es ja tatsächlich ein wenig turbulent mit den JKvsP7 Aufzeichnungen und mein Kopf ist auch noch nicht ganz wieder auf der Höhe, aber das wird sicher werden. Irgendwann. :D

Anyway. Ich danke euch allen für eure lieben Worte zum letzten Kapitel und auch dafür, dass ihr die Geschichte so fleißig aufruft, und ihr eure Herzchen und Sternchen gebt. Es bedeutet mir weiterhin die Welt ❤

Und damit soll es auch direkt weitergehen mit Kapitel 14. Viel Spaß damit!

Habt einen schönen Sonntag und einen guten Start in die neue Woche, und vor allem: passt gut auf euch auf  ❤


***
Kapitel 14
***


Hallo ihr Mäuse! Ich hoffe, euch da draußen geht’s gut, so kurz vor dem Wochenende? Ich hab‘ hier gerade n paar Minuten Pause und wollte die Gelegenheit nutzen, um mich kurz bei euch zu melden. Und wenn ihr schon mal hier seid, kann ich euch auch gleich noch die Aussicht zeigen, die ich heute Nachmittag genießen darf.

Mit dem Daumen auf dem Aufnahmeknopf, drehte sich Klaas einmal im Halbkreis, um seine Fans an dem grandiosen Ausblick teilhaben zu lassen, den man von der Dachterrasse des JWD Headquarters aus hatte.

Wahnsinn, oder?“, fragte er mit einem Grinsen in die Kamera seines iPhones.

Aber nicht nur das. Ich wollte die kurze Pause auch fix dazu nutzen, euch nochmal für euer Feedback zu meiner Ankündigung vom Dienstag zu danken. Ich hab‘ eure Freude ebenso sehr wahrgenommen, wie die Sorge der beziehungsweise des ein oder anderen. Aber ich hoffe, ihr gebt dem Ganzen trotzdem eine Chance.“

Klaas setzte sich zurück auf einen der Stühle, der unter der aufgespannten Markise stand.

In zwei Wochen geht’s ab ins Studio, um meinen Lieblingssongs nochmals einen neuen Anstrich zu verpassen. Und ich freu mich echt jetzt schon am meisten darauf, die Ergebnisse mit euch zu teilen. Selbstverständlich werde ich euch hier auch mitnehmen, und vielleicht gibt’s ja dann auch schon direkt ein paar Kostproben für euch. Es lohnt sich also, den Kanal im Auge zu behalten.“

Der Musiker zwinkerte einmal in die Kamera und schickte ein verschmitztes Grinsen hinterher, ehe er seine Kaffeetasse, die er zuvor schon auf den kleinen Tisch neben seinem Stuhl gestellt hatte, vor die Linse hielt.

Ich werde jetz‘ hier noch meinen Kaffee austrinken, und dann geht’s auch schon weiter mit der Arbeit. Habt alle ein tolles Wochenende und genießt die Sonne. Küsschen! Alles Liebe, alles Gute. Euer Klaas.“

Zum Abschluss packte er noch einige GIFs und Emojis auf die Stories, bevor er sie mit ein paar letzten Knopfdrücken bei Instagram online stellte. Danach ließ er seinen Blick noch einmal über das neue Profilbild und seine neue Biografie schweifen, die sie erst vor einer Stunde aktualisiert hatten. Vorhergegangen war eine längere Session mit Maria, in der sie und Klaas seine älteren Beiträge durchforstet hatten, um einige der privateren Bilder zu archivieren, auf ihrer Mission, aus seinem Social Media-Auftritt hauptsächlich eine Anlaufstelle zu Klaas und seiner Musik zu machen.

Joko hatte sie dabei immer wieder auch alleine gelassen, da sein Handy mehr als einmal mit Interview-Anfragen geklingelt hatte. Das hatte im Grunde bereits am Mittwochmorgen schon begonnen, so wie sie es auch erwartet hatten, und Joko gab sein Bestes, die neugierigen Journalist:innen noch neugieriger zu machen. Er versprach ihnen allen, dass etwas Fantastisches auf sie zukommen würde, und bat sie im gleichen Atemzug noch um Geduld und Verständnis, dass sie erste Interviews erst in ein paar Wochen geben würden.

Viele hatten das akzeptiert. Andere waren hartnäckiger und kontaktierten entweder Klaas direkt, oder aber versuchten es immer wieder auch über Joko, und Klaas machte sich einen Spaß daraus, Joko damit aufzuziehen, dass der Manager derzeit ohnehin der interessantere Faktor in ihrer Gleichung war. Das war für Klaas auch völlig in Ordnung so, weil er wusste, dass seine Musik hoffentlich noch früh genug in den Mittelpunkt rücken würde.

Bis es so weit war, vertraute er zu einhundert Prozent darauf, dass Joko wusste, was er tat, und während der nun also einen weiteren Journalisten verarztete, gönnte Klaas sich einen Kaffee und eine kurze Auszeit.

Doch wie immer, wenn sich diese Momente der Ruhe einstellten, und wenn er Zeit hatte, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen, wurden sie dennoch von diesem einen Magneten angezogen, der stärker schien, als jede andere physikalische Kraft.

Joko.

Klaas‘ Kopf konnte sehr ausdauernd sein, wenn es darum ging, etwas kaputt zu denken oder eine Situation aus tausend Gesichtspunkten zu betrachten, bis er sie so weit relativiert hatte, dass kein Funken Unerklärliches mehr übrigblieb.

Und trotzdem ging in Bezug auf Joko gar nichts kaputt. Noch führte selbst die rationalste Sichtweise, die er nur heraufbeschwören konnte, dazu, dass die Erkenntnis von vor zwei Tagen eine andere wurde.

Er mochte Joko immer noch.

Auf eine so viel andere und intensivere Art und Weise, wie er vielleicht noch nie einen anderen Menschen zuvor gemocht hatte. Selbst Nora, seine letzte Beziehung; die Frau, mit der er sich alles hatte vorstellen können, von der Hochzeit bis zu Kindern und dem Hund, wenn es hätte sein müssen, hatte er nicht so sehr gemocht wie Joko.

Noch hatte er sich so sehr nach ihrer Nähe gesehnt, wie er das bei dem Blonden tat. Das wirklich Schockierendste war jedoch, dass er sich nicht länger nur nach einer emotionalen Nähe sehnte, wie er das eigentlich kannte, sondern auch nach einer körperlichen, die ihm beinahe fremd war.

Und doch fühlte sich dieses Bedürfnis so an, als wäre es das Logischste auf der Welt.

Sein ganzer Körper begann zu kribbeln, wenn er an die Umarmung dachte, an die sanftmütige Kraft, die Joko ausstrahlte, und an die Geborgenheit, die ihn in Form von dessen Arme umhüllt hatte.

Die Umarmung hatte zu einhundert Prozent jene Neugier gestillt, die ihn sich hatte fragen lassen, wie es wohl wäre, von Joko gehalten zu werden.

Und hatte gleichzeitig eine ganz andere, neue Neugier geweckt. Eine, die nach wie vor schwer zu begreifen war für Klaas, der achtunddreißig Jahre lang gedacht hatte, zu wissen, was er wollte, und die er doch nicht länger leugnen konnte.

Er mochte Joko.

Er wollte Joko.

Daran bestand mittlerweile kein Zweifel mehr.

Dann war er eben ein Mann. Was machte das schon für einen Unterschied. War er nicht allen voran einfach nur ein Mensch? Waren sie nicht alle einfach nur Menschen?

Doch trotz aller Akzeptanz der Tatsachen, die sich immer tiefer in Klaas manifestierten, blieb ein Problem weiterhin bestehen. Jenes Problem, das jegliche Euphorie und das Freilassen der Schmetterlinge zunichtemachte, wenn er daran dachte, dass Joko sich auf niemanden einließ, mit dem er zusammenarbeitete.

Klaas seufzte, erhob sich von seinem Sitz und ging zur Balustrade.

Ob diese Regel auch für ihn gelten würde? War sie wirklich in Stein gemeißelt? Oder würde Joko sie für ihn brechen?

Und vor allem: würde er sie überhaupt brechen wollen? Oder waren ihre privaten Treffen am Ende eben doch nur das? Private Treffen zwischen zwei Menschen, die sich gerne hatten und nur etwas Zeit miteinander verbrachten?

Meistens endeten Klaas‘ Gedankenstrudel genau an diesem Punkt, weil er nie eine befriedigende Antwort auf die vielen Fragen fand, die seinen Kopf so oft außer Betrieb setzten.

Auch an diesem Nachmittag kam er nicht besonders weit, was jedoch diesmal unter anderem auch damit zusammenhing, dass eine tiefe Stimme wie aus dem Nichts einen Schreck durch seinen Körper zucken ließ.

„Hat dich Joko rausgeworfen?“

Blitzartig drehte sich Klaas um seine eigene Achse und fand Jakob in der Tür stehen, die hinaus auf die Terrasse führte. Er hielt eine Flasche Wasser in der Hand, während er ihm einen neugierigen, aber freundlichen Blick zuwarf.

„Oder bist du freiwillig geflüchtet?“

Sein Herz beruhigte sich zum Glück schnell wieder, und mit der Gegenwart des Anderen schienen sich wenigstens jegliche private Gedanken in Bezug auf Joko unter den unzähligen Steinen und in den dunklen Löchern seiner Seele zu verstecken.

„Wenn dann wohl eher letzteres. Ich glaub‘, die BILD wollte nochmal ihr Glück versuchen wegen eines exklusiven Interviews oder so. Da hab‘ ich mir gedacht, stör‘ ich Joko mal lieber nich‘“, erklärte der Braunhaarige und lehnte sich nun lässig gegen die Brüstung.

„Die können echt ganz schön penetrant sein. Und natürlich soll dann auch immer alles exklusiv sein“, erwiderte Jakob mit einem Tonfall, der nur allzu deutlich machte, was er von diesem speziellen Blatt hielt. „Wer liest dieses Schundblatt eigentlich heutzutage noch?“

„Leider viel zu viele“, antwortete Klaas mit einem ungläubigen Kopfschütteln, weil er wohl eine ganz ähnliche Meinung zu der sensationshaschenden Zeitung hatte, wie der Blonde.

„Leider wahr.“ Jakob lachte humorlos, während er zu Klaas auf die Terrasse hinaustrat. „Aber ansonsten scheint es ja ganz gut zu laufen bei euch, oder? Ich hab‘ Joko jedenfalls schon lange nicht mehr so strahlen gesehen, wie in den letzten Wochen.“

Ein kleines Grinsen kroch auf Klaas‘ Gesicht, und wie von selbst begann sein Herz ein paar Takte schneller zu schlagen. „Wie jetz‘, es gibt einen Joko, der nicht twenty-four seven strahlt?“

„Schwer zu glauben, oder?“ antwortete Jakob und lachte kurz. „Joko ist schon eine Frohnatur und das ist auch nie gespielt oder so“, sagte er dann, während er noch ein bisschen näher kam. „Aber wenn man ihn länger und besser kennt… dann kann man in kurzen, schwachen Momenten schon immer sehen, dass da vieles begraben liegt, worüber er nie wirklich spricht.“

Der Größere kam neben Klaas an der Balustrade zum Stehen und ließ seinen Blick über die Stadt schweifen. Diese Melancholie hab‘ ich jetzt allerdings schon länger nicht mehr bei ihm entdeckt“, sagte Jakob schließlich und fokussierte den Brünetten. „Scheint ihm also sehr gut zu tun, was ihr da macht.“

Klaas’ Herz hüpfte noch ein bisschen aufgeregter, während er gleichzeitig versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr er sich insgeheim über Jakobs Worte freute. Oder was diese Worte in ihm auslösten.

„Das ist wirklich schön zu hören“, antwortete der Braunhaarige mit beständiger Stimme. „Mir macht’s auch sehr viel Spaß. Und ich hoffe, das bleibt auch noch ‘ne Weile so.“

„Das würde ich mir auch sehr für euch beide wünschen.“ Jakob drehte sich nun ebenfalls mit dem Rücken zur Brüstung und lehnte sich dagegen, in der Sekunde, in der Klaas in seinem Augenwinkel eine weitere Bewegung in der Küche wahrnahm.

Der blonde Kopf, der diesmal in der Tür zur Terrasse erschien, ließ ebenfalls einen Schauer durch seinen Körper jagen, jedoch einen, der eine ganz andere Wirkung auf den Brünetten hatte, als der Schreck, den Jakob zuvor ausgelöst hatte.

Ihre Augen verbanden sich.

Und Joko strahlte.

Ja. Klaas hoffte wirklich, dass das noch sehr, sehr lange so bleiben würde.



Für den Sonntag hatte sich Klaas felsenfest vorgenommen, endlich damit zu beginnen, sein Notizbuch mit so etwas wie einem Song zu füllen. Bei all den Fortschritten, die er er gerade mit Joko im Bezug auf seine Karriere machte, fehlte weiterhin eine ganz elementare Sache für einen potenziellen Erfolg dieser ganzen Unternehmung: neue Musik.

Nach wie vor fiel es dem Brünetten schwer, das zu Papier zu bekommen, was schon seit Wochen und Monaten unter der Oberfläche brodelte. Es war alles da, in seinem Kopf – die Töne und die Worte – und trotzdem war da eine Blockade, die sich nur sehr langsam zu lösen schien.

Am allerschwersten fiel es ihm, diese eine Melodie zu greifen. Die eine, die unentwegt durch seinen Kopf geisterte. Sie war so laut und noch viel deutlicher als alle anderen; war so schön und klangvoll und gänzlich anders, als alle anderen Melodien jemals zuvor. Und dennoch bekam er sie nicht auf Papier. So, wie sich auch seine Finger vehement dagegen wehrten, die Saiten der Gitarre zu zupfen, die Klaas auf seinem Schoß platziert hatte.

Immerhin schaffte Klaas es an diesem Sonntag wenigstens, vereinzelte Sätze zu notieren. Schlagworte, von denen er sich erhoffte, dass mit der richtigen Inspiration irgendwann auch ganze Verse daraus entspringen würden. Er schrieb verhältnismäßig viel, strich dafür aber auch umso mehr wieder, und nach einem weiteren mehr oder weniger erfolglosem Anlauf nach einer kurzen Mittagspause, ließ Klaas seine blaue Yamaha frustriert auf das Sofa neben sich sinken.

Anschließend lehnte er sich zurück und starrte kurz an die Decke, bevor er sich sein Handy schnappte, um seinen Kopf mit ein wenig Daddelei zu entspannen.

Schon mit dem ersten Blick auf das Display stellte sich jedoch ein ganz anderer Effekt als Entspannung ein, als er die Nachrichten von Joko sah, die er vor zehn Minuten gesendet hatte.


hi du, ich weiß, eigentlich ists
nicht dein ding, aber ich hab
gerade von einem bekannten
zwei karten fürs hertha gladbach
spiel heute abgestaubt. hast
du lust mitzukommen?

12:32 Uhr

sind auch karten für ne vip lounge.
gibt also kostenloses essen und
trinken. und meine unbezahlbar
schillernde gesellschaft.

12:34 Uhr


Nicht mal für eine Sekunde musste Klaas überlegen, obwohl er Fußball eigentlich wirklich nicht ausstehen konnte. Es hatte ihm noch nie besonders spannend erschienen, zweiundzwanzig Männern oder Frauen dabei zuzusehen, wie sie einem Ball hinterherjagten und es im worst case neunzig Minuten nicht ein einziges Mal schafften, das runde Ding ins Ziel zu knallen.

Die Tatsache, dass genau dieser Sport, der nicht langweiliger für ihn sein konnte, jedoch auch Zeit mit Joko bedeutete, war am Ende alles, was Klaas brauchte, um sich davon zu überzeugen, dass ein Stadionbesuch vielleicht nicht das Schlimmste auf der Welt war.


hertha gladbach… geht etwa die
eishockey saison schon wieder los?

12:41 Uhr


Der Witz war zugegebenermaßen ziemlich unoriginell, aber irgendwie bildete Klaas sich ein, dass er nicht zu schnell zustimmen sollte, um keinen falschen Eindruck zu vermitteln. Oder den richtigen Eindruck zu vermitteln. Wie auch immer man es interpretieren wollte.


witzig, klaas :) sehr sehr witzig.
würdest du zu eishockey denn
eher ja sagen?

12:42 Uhr

vielleicht. wollte immer schon
mal zu den eisbären. aber hast
glück. ich sag auch zu fußball ja.
du hattest mich mit kostenlosem
essen und trinken eigentlich schon.

12:43 Uhr


und nicht mit meiner schillernden
und unbezahlbaren gesellschaft? ;)

12:43 Uhr


Dass Joko der einzige Grund war, warum er überhaupt zusagte, konnte er dem Blonden natürlich kaum sagen, deswegen brauchte Klaas zwischen dem ganzen Gekribbel auch einen kurzen Augenblick für seine Antwort.


naja, die ist schon auch ganz okay ;)
12:46 Uhr


du weißt einfach, wie man ein ego
streichelt. das mag ich so an dir :p
schaffst du‘s bis halb fertig zu sein?
dann hol ich dich ab.

12:47 Uhr

bist du verrückt? kreuzberg ist
doch ein kompletter umweg für
dich. lass uns am stadion treffen.

12:48 Uhr


keine widerrede. ich bin um
halb zwei bei dir. ich freu mich :)

12:48 Uhr


Auch wenn es absolut bescheuert war, dass Joko erst zehn Kilometer in die eine Richtung fuhr, um dann zwanzig Kilometer in die entgegengesetzte Richtung zu fahren, entschloss sich Klaas, ihm tatsächlich keine Widerrede mehr zu leisten, weil der Größere sich ohnehin nicht davon abbringen lassen würde, so wie Klaas ihn kannte. Deswegen schickte er ihm nur noch ein kurzes „ok“, bevor er sein Handy neben die Gitarre auf die Couch plumpsen ließ, und voller kribbelnder Energie erst in sein Schlafzimmer und dann in sein Bad lief, um sich für das nächste Date mit Joko fertig zu machen.



Pünktlich um zwei Minuten vor halb zwei stand Klaas auf dem Gehsteig vor seiner Wohnung und wartete auf Joko. Er streifte sich nochmal das marineblaue Polo-Shirt glatt, das er aus den Untiefen seines Schrankes gefischt hatte, um unter den ganzen Trikotträgern im Stadion vielleicht nicht ganz so unangenehm aufzufallen, wenn er schon sonst nicht viel Ahnung davon hatte, was dort passierte.

Sein Blick glitt immer wieder die Straße auf und ab, in Erwartung, den grünen Mercedes von Joko zu erspähen.

Was er jedoch stattdessen zwei Minuten später an dessen Stelle entdeckte, war etwas gänzlich anderes.

Klaas traute seinen Augen kaum und musste mehrmals gegen die Sonne anblinzeln, als vor ihm ein knallgelber Roller zum Stehen kam und Joko ihn durch das geöffnete Visier seines Helmes breit angrinste.

„Hier ist Ihr Taxi für den heutigen Nachmittag“, begrüßte der Blonde ihn und drehte den Motor ab.

„Das is‘ ja mal ‘ne Überraschung“, stellte Klaas fest und äugte das Fahrzeug prüfend, ehe Joko seine volle Aufmerksamkeit bekam. „Ich wusste gar nich’, dass du ‘n Roller hast.“

Der Ältere schaute ihn mit großen Augen an. „What? Ich hab' dir noch nie von Sally erzählt?“

Klaas‘ Augen wurden ebenfalls größer. „Wer ist Sally?“

„Na, meine alte Dame hier“, entgegnete Joko und streichelte einmal liebevoll über den Lenker der gelben Vespa, bevor er von ihr herunterrutschte und sie auf ihrem Ständer aufbockte.

„Du hast deinem Roller einen Namen gegeben?“, fragte Klaas überrascht, obwohl er es vermutlich eigentlich nicht sein sollte.

„Ja, aber auch nur, weil es nicht irgendein Roller ist. Und sie sieht doch wohl auch aus wie eine Sally, oder etwa nicht?“

Der selbstverständliche Ausdruck in Jokos Augen kitzelte ein amüsiertes Glucksen aus Klaas, der dabei gleichzeitig nur den Kopf schütteln konnte. „Natürlich. Absolut“, stimmte er schließlich zu. „Und wie genau sieht eine Sally aus?“

Joko überlegte kurz. „Naja… so eben“, sagte er und deutete auf das gelbe Gefährt, was Klaas nur erneut zum Lachen brachte.

Erst nachdem sich der Jüngere wieder beruhigt hatte, legte sich ein Schmunzeln auf Jokos Lippen, ehe er fragte: „Ist es denn okay, wenn wir damit fahren? Ansonsten lass‘ ich sie stehen und wir nehmen ein Taxi.“

„Quatsch. Wir können schon mit Sally fahren“, antwortete Klaas sofort. „Wenn du mir versprichst, dass du uns lebend zum Olympiastadion bringen kannst.“

„Aber natürlich. Vertrau mir.“ Das Leuchten in seinen Augen war trotz all des Spaßes aufrichtig, und natürlich konnte Klaas gar nicht anders, als genau das zu tun.

Der Blonde nickte ihm glücklich zu und machte sich dann daran, aus dem Sitz des Rollers noch einen zweiten Helm herauszuzaubern.

„Der ist neu. Du musst dir also keine Sorgen machen, dass du dir irgendwie den Schweiß oder die Läuse von irgendwelchen Fremden einfängst.“ Der Größere hielt ihm den weißen Helm entgegen. „Ich hoffe, er passt.“

Ohne lange zu zögern, und nach nur einem kurzen, eitlen Gedanken an seine frisch gestylten Haare, schob er sich den Schutz auf seinen Kopf und stellte schnell fest, dass er in der Tat passte. Der Blonde freute sich noch viel mehr darüber, was Klaas aus nächster, aufregender Nähe beobachten konnte, als er ihm dabei half, die Sicherung des Helmes an Klaas‘ Kinn zu schließen.

Die Finger an seinem Hals waren warm und weich, und der Jüngere konnte nur hoffen und beten, dass Joko die Hitze nicht spüren würde, die Klaas aus allen Poren zu schießen schien. Zumindest fühlte es sich genau so an, während Joko bemüht vorsichtig war, ihm nicht wehzutun.

Nachdem sie es endlich geschafft hatten, setzte Joko sich zurück auf seine gelbe Sally und reichte Klaas dann eine Hand, um ihm auf den Sitz hinter sich zu helfen.

Klaas‘ Erfahrungen mit Rollern ließen sich an einer Hand abzählen, da er ohne Zweifel mehr Team Auto war, in den Fällen, in denen er einen fahrbaren Untersatz brauchte. Trotzdem brannte sich diese Erfahrung schneller in sein Gedächtnis ein, als Joko sein Fahrzeug antrieb, während er sie durch den Verkehr dieses Berliner Sonntages lenkte.

Zuerst noch hielt sich der Brünette nur sehr zaghaft mit den Händen an Jokos Taille fest, weil er Joko nicht ungefragt auf die Pelle rücken wollte und etwas Abstand zu dem Anderen seinem Kopf sicher auch nicht schaden würde. Jedoch drehte Joko sich schon an der ersten Ampel, an der sie anhalten mussten, in Klaas‘ Richtung und rief ihm zu: „Du kannst dich ruhig ordentlich festhalten. Ich geh‘ nicht kaputt.“

Klaas wollte noch kurz widersprechen, blies dann jedoch alle Gegenargumente in den Wind – weil warum nicht – und rutschte die wenigen Zentimeter auf den Größeren zu, um anschließend seine Arme um Joko zu schlingen und seine Hände auf dessen Bauch zu verschränken.

Trotz des Rauschens und Kribbelns, weil er Joko nach Mittwoch wieder so nahe sein durfte, pulsierte ein Gedanke ganz besonders durch ihn, während er sich mit seinem Oberkörper langsam und vorsichtig an Jokos Rücken anschmiegte.

Sie passten perfekt aneinander.

Diese Erkenntnis war schon bei ihrer ersten Umarmung überraschend groß und deutlich gewesen, und auch jetzt, in dieser Position, verband sich jedes Atom seines Körpers mit dem vorherbestimmten Molekül am Rücken des Anderen. Die Verbindung setzte eine überwältigende Energie frei, die Wärme zwischen ihren beiden Körpern entstehen ließ und die den Jüngeren völlig vereinnahmte. Sie floss in ihn und durch ihn; Jokos Wärme, die irgendwie ihre war, und die ihn auf wundersame Weise leicht und befreit fühlen ließ.

Während Joko seine ganze Aufmerksamkeit auf den Verkehr lenkte, gestattete Klaas es sich, jegliche Kontrolle abzugeben und sich einfach nur auf den Moment zu konzentrieren. Auf den Körper, den er festhielt. Die Kraft und die Weichheit. Die Wärme und den Schutz. Und auf den gleichmäßigen Atem, der Jokos Oberkörper heben und senken ließ; dessen stetige Monotonie eine so beruhigende Wirkung auf Klaas hatte, dass er spüren konnte, wie sich in ihm Knoten und Verspannungen lösten, mehr, als es eine Massage vielleicht jemals vermocht hätte.

Für einen Moment schloss er die Augen, nahm tiefe und gleichmäßige Atemzüge, die sich mit jeder Sekunde mehr dem Rhythmus von Joko anpassten.

Und mit dem Rhythmus kam der Takt.

Und die Melodie.  

Die durch ihn vibrierte und gegen Joko brandete, wo sie eigentlich hinwollte und aus dem sie gleichermaßen zu kommen schien.

Und Klaas ließ sie gewähren. Ließ sie fließen. Durch ihn und mit ihm und um sie herum.

An einem dieser Tage würde er sie einfangen. Da würde es kein Entkommen mehr geben, weil Klaas wusste, tief in sich spürte, dass sie gehört werden wollte.

Gehört werden musste.

Und bis dahin würde er sie genießen. Für sich. Dieses Geheimnis, das geduldig darauf wartete, gelüftet zu werden, um diese Welt, seine Welt, ein bisschen reicher zu machen.



„Das runde Ding muss in das eckige, ne?“, fragte Klaas seinen Freund, nachdem er sich unter dem Dach des Stadions in einen der bequemen Sitze hatte sinken lassen, und sein Blick kurz zu den beiden Mannschaften geschweift war, die sich auf dem grünen Rasen aufwärmten und einspielten.

Jokos Lachen dröhnte trotz der lautstarken Unterhaltungen in der Loge und der noch viel lauteren Fangesänge auf den Tribünen zu Klaas durch und verleitete ihn selbst zu einem amüsierten Glucksen, obwohl er kaum fassen konnte, dass der Blonde überhaupt erst über seinen schlechten Witz gelacht hatte.

„Wir hätten doch lieber zu einem Eishockey-Match gehen sollen, wa?“

Der Größere reichte ihm lachend einen Becher, der mit Spezi gefüllt war und nachdem er sich ebenfalls gesetzt hatte, hielt ihm Klaas im Gegenzug den Teller mit den Schnittchen entgegen, den sie am Buffet im VIP-Bereich vollgeladen hatten.

Ein strahlendes Grinsen begegnete Klaas, während Joko mit einer Hand nach einem Käse-Baguette griff und mit der anderen nochmals seinen Gladbach-Schal zurecht zog, den er von Zuhause mitgebracht hatte.

Für eine Weile aßen sie in Stille, während das Stadion sich immer mehr mit Leben und Lärm füllte, und es an allen Ecken und Enden etwas zu bestaunen gab.

„Hast du selber auch mal gespielt?“, fragte Klaas nach ein paar Minuten und deutete Richtung Spielfeld.

Jokos Hand mit dem Käse-Stückchen hielt auf halber Strecke zu seinem Mund inne und senkte sich dann wieder auf seinen Schoß, ehe er nickte. „Ja. Ziemlich lang sogar. Hab‘ erst damit aufgehört, als ich nach Berlin gezogen bin“, erklärte er. „Wollte mir zwar hier auch immer einen Verein suchen, aber irgendwie kam dann immer was dazwischen.“

Klaas nickte verständnisvoll. „Warst du gut?“

„Ich war nicht schlecht“, erwiderte der Ältere und hob dabei kurz seine linke Schulter. „Aber auch nicht gut genug, um es ernsthaft zu betreiben. Es war lange Zeit einfach nur ein sehr ambitioniertes Hobby“, hängte er noch an. „Und du? Bist also eher der Eishockey-Typ?“

Klaas kicherte sofort, überlegte dabei aber, wie ehrlich er wirklich sein sollte. Noch bevor er sich jedoch seine Antwort zurechtgelegt hatte, schüttelte er bereits seinen Kopf. „Ne, eigentlich gar nicht. Wollte dich nur ‘n bisschen ärgern“, sagte er schließlich, mit einem spitzbübischen Grinsen, das er bis an seinen Augen spüren konnte. Anstatt Joko die Gelegenheit zu geben, auf das Gesagte zu reagieren, schob er direkt noch hinterher: „Hegst du denn für Eissport auch noch eine gesteigerte Leidenschaft?“

Joko schüttelte sofort vehement den Kopf. „Überhaupt nicht. Das ist mir alles zu brutal“, sagte er, immer noch mit der gleichen schüttelnden Geste. „Außerdem hat mich vor ein paar Jahren mal so ‘n wildgewordenes Kind beim Schlittschuhlaufen umgefahren. Bin mit dem Kopf direkt aufm Eis gelandet – Gehirnerschütterung. Musste eine Nacht im Krankenhaus bleiben. Seither mache ich um jede Eisbahn einen großen Bogen.“

Obwohl ihm die Bilder eines Jokos mit Verband um den Kopf und in einem Krankenhausbett kurz Unbehagen bereiteten, konnte Klaas sich eines neckenden Kommentars dennoch nicht verwehren. „Sicher, dass es ein wildgewordenes Kind und nicht dein eigenes Bein war, über das du gefallen bist?“

Ein schockiertes Einatmen füllte für eine Sekunde die Luft, und Klaas konnte es auch deutlich hören, obwohl der Lärm im Stadion immer noch ohrenbetäubend war.

„Sach ma! Wirst du jetzt frech?“

„Na was? Willst du’s etwa bestreiten, Herr Ich-breche-mir-beim-Treppensteigen-das-Bein?“

Bei aller Schlagfertigkeit, die Joko sonst an den Tag legte, schien ihm darauf allerdings keine smarte Antwort einzufallen, denn statt etwas zu sagen, boxte er seinem Freund nur gegen die Schulter.

Die Berührung war jedoch so sanft, dass sie Klaas anstelle von Schmerzen nur einen wohligen Schauer durch den Körper trieb, die ihn hätte erzittern lassen, wenn er sich nicht besser unter Kontrolle gehabt hätte.

Die beiden Männer sahen sich nach dem überraschenden Körperkontakt für einen Augenblick etwas besonnener und neugieriger an als es die Situation vielleicht notwendig gemacht hätte, aber schon in der nächsten Sekunde begann Klaas mit zittrigem Herzen zu schnauben und Joko herzhaft zu lachen.



Es war dunkel, als Joko Klaas nach einem ereignisreichen Nachmittag und Abend zurück auf dem Bürgersteig absetzte.

Natürlich hatte das Nachmittagsspiel nicht bis in den späten Abend hinein gedauert, aber nachdem Jokos Gladbacher mit zwei zu eins gegen Berlin gewonnen hatten, hatte sich der Blonde seine Begleitung geschnappt und ihn zurück in die Innenstadt entführt, weil er seinen Sieg unmöglich unter all den Hertha-Fans hatte feiern können oder wollen.

So waren sie irgendwann zurück in der Innenstadt gelandet. Zuerst bei einem Italiener, und anschließend in diversen Bars, mit diversen Getränken und unendlich vielen Worten, die sie austauschten und die auch kein Ende zu nehmen schienen. Und selbst wenn sie es doch mal taten, auf ihren Wegen von einer Location zur nächsten, waren es angenehme Pausen gewesen; war es eine wohlige Stille, die sich zwischen sie gelegt hatte und für die Klaas eine Art von Wertschätzung lernte, die er bisher nicht gekannt hatte.

Joko schien ihm vieles beizubringen, dachte der Braunhaarige, als er den Größeren dabei beobachtete, wie dieser den Ersatzhelm in Sally verstaute und sich dann den eigenen Helm vom Kopf zog, bevor er sich wieder Klaas zuwandte.

Seine Haare standen ihm in alle Richtungen davon und anders als all die anderen Male an diesem Tag, bemühte er sich jetzt auch nicht mehr, sie zu bändigen. Das wiederum hatte jedoch zur Folge, dass es in Klaas‘ Fingern zu prickeln begann, mit dem starken Bedürfnis, dem Anderen durch die Haare zu fahren und das Chaos zu beseitigen, das der Helm angerichtet hatte.

Zumindest war das sein erster Gedanke. Viel mehr noch wollte er dieser neuesten Neugier nachgehen, die herausfinden wollte, ob Jokos Haare wirklich so weich waren, wie sie immer aussahen. Der Blonde musste irgendein Zaubermittel verwenden, das seine Haare für gewöhnlich an Ort und Stelle hielt, während sie gleichzeitig so samtig und einladend aussahen; selbst nach einem Tag, an dem er mehrmals diesen engen Helm auf- und wieder abgesetzt hatte. Nur jetzt, zu guter Letzt, war da ein wirres Durcheinander, das viel zu anziehend auf ihn wirkte und das Klaas ganz und gar nicht als fair empfand.

Der Braunhaarige konnte spüren, wie ihm die Wärme ins Gesicht stieg und er räusperte sich, als ob das in irgendeiner Form Abhilfe schaffen würde.

Der Ältere grinste immer noch über beide Ohren, wie so ziemlich den ganzen Nachmittag schon, und obwohl Klaas genügend Zeit gehabt hatte, sich an diesen Anblick zu gewöhnen – und es in gewisser Weise tagsüber auch getan hatte – fing ihn das Strahlen des Anderen nun umso mehr ein.

Im seinem Blick funkelte eine ganze Armada an Emotionen, die Klaas nicht ganz fassen konnte, dafür aber die unausgesprochene Frage, die immer wieder hindurchblitzte und die das leichte Zucken in dessen Oberkörper zusätzlich unterstrich.

Der Jüngere gab ihm noch einen Moment, fragte sich, ob er sich noch trauen würde oder nicht, versuchte, ihm stumm zu signalisieren, dass es okay war, und doch passierte nichts. Während gleichzeitig doch so viel zu passieren schien.

Sie lächelten sich schweigend an, und die Welt um sie herum wurde ein bisschen stiller.

„Ja, du darfst mich in den Arm nehmen“, sagte Klaas schließlich, und versuchte mit einem kratzigen Lachen, die Spannung zu lockern, die irgendwie von ihnen Besitz ergriffen hatte.

„Woher…“, begann Joko, sprach aber nicht zu Ende.  

„’n bisschen kenn‘ ich dich ja jetz‘ doch schon.“ Der Brünette schaute ihn mit einem kleinen Grinsen und gewölbter Augenbraue an, und bewegte sich minimal dabei, als er sein Gewicht etwas verlagerte.

Der Ältere wurde etwas ernster, seine Augen eindringlicher. „Aber ist das wirklich okay? Ich will dich mit meiner Kuschelbedürftigkeit nicht überfordern…“

„Ist schon okay, Winti“, versicherte Klaas ihm. „Du bist offiziell in den exklusiven Club der Menschen aufgenommen, von denen Umarmungen nich‘ so verkehrt sind.“

Die Ernsthaftigkeit auf Jokos Gesicht verflog mit der lauen Brise, die sanft über den Gehsteig schwebte, und wurde abgelöst von dem Strahlen, das Klaas schon kannte, nur, dass es nun noch herzlicher war.

„Darf ich mir darauf jetzt endlich mal was einbild—“

Klaas grätschte dazwischen, bevor Joko seine Frage zu Ende formulieren konnte. „Joko, mach einfach, bevor ich’s mir anders überlege“, sagte er mit einem erneuten, etwas kratzigen Lachen. Musste er ihm ja schließlich nicht verraten, dass er sich nicht anders überlegen würde, weil sein Körper schon viel zu sehr mit Antizipation flimmerte.

Joko ließ sich dann auch nicht zweimal bitten, machte den einen, letzten Schritt auf Klaas zu und der spürte schon in der nächsten Sekunde, wie ihn Jokos Wärme und Geruch umschlossen. Er hielt kurz die Luft an, während er sich an dieses außerordentliche Gefühl gewöhnte, und atmete dann einmal geräuschvoll aus, bevor er sich gegen Joko sinken ließ.

Dessen Wärme kroch nun ungehindert in ihn hinein und seine Augen schlossen sich von selbst, als er sich ihr hingab und es einfach nur genoss. Die Nähe genoss, die Joko so bereitwillig gab, und die Ruhe, die sie brachte, und tief in ihm drin verankerte.

Er konnte spüren, wie sich weitere Knoten und Anspannungen lösten, besonders mentale, von denen Klaas nicht gewusst hatte, dass sie da waren, bis sie verschwunden waren. Mit jeder weiteren Sekunde, die Joko ihn festhielt und seine Sanftheit mit ihm teilte, begann es in ihm zu fließen. Die Gedanken und Empfindungen, die zum ersten Mal überhaupt so gänzlich befreit zu sein schienen und alles mitrissen, was sich ihnen in den Weg stellte. Es war aufregend und belebend, und es ließ ihn seine Arme noch etwas fester um die Quellen allen Ursprungs verschließen.

Klaas konnte fühlen, wie der Blonde seine Nase in Klaas‘ Haare drückte, und konnte hören, wie er anschließend mehrere Male tief ein- und wieder ausatmete. Die Geste ließ sein Herz übermäßig kräftig in seinem Brustkorb schlagen, und er konnte nur hoffen, dass der Andere es nicht spürte, und gleichzeitig war es ihm auch unendlich egal, wenn er es doch täte.

Der Größere nahm noch mehrere tiefe Atemzüge und dann konnte Klaas auch schon den Moment ausmachen, in dem Joko sich dazu bereit machte, ihre Verbindung zu lockern. Dem Brünetten blieb nicht mehr viel Zeit, und er nutzte ein letztes Mal die Gelegenheit, all diese Empfindungen in sich aufzunehmen und an ihnen festzuhalten; sie in diesen Fluss zu werfen, der immer noch in ihm tobte.

Und dann war es auch schon vorbei.

Joko lockerte seinen Halt, ließ seine Arme aber erneut noch lose auf Klaas‘ Schultern liegen, als sie einander anschauten.

„Danke, dass du trotz deiner Fussballabneigung mitgekommen bist“, sagte Joko und füllte damit die Stille des Abends.

„Danke, dass du mich mitgenommen hast“, antwortete Klaas, und setzte dann mit einem schelmischen Grinsen nach: „Das kostenlose Essen und Trinken war’s wirklich wert.“

Die Augen des Älteren weiteten sich, ehe sich eine Augenbraue fast vorwurfsvoll erhob. Er musste gar nicht mehr sagen, weil Klaas genau wusste, was der Andere dachte.

„Und deine schillernde und unbezahlbare Gesellschaft natürlich auch.“

„Na immerhin komme ich an Stelle drei nach kostenlosem Essen und Trinken. Das ist ja ein Anfang“, stellte Joko fest und ließ zu guter Letzt von Klaas ab.

„Dann haste wenigstens ‘n bisschen Ansporn, dich auf der Liste noch nach oben zu arbeiten“, erwiderte Klaas trocken und so, als würde er es ernst meinen.

Ein selbstgefälliges, einseitiges Grinsen zierte Jokos Lippen. „Challenge accepted“, sagte er voller Überzeugung, bevor er zurück an Sallys Seite kehrte. Er griff nach seinem schwarzen Helm, den er sich auch sogleich auf den Kopf steckte und dem Jüngeren so unmissverständlich klar machte, dass ihre gemeinsame Zeit vorerst abgelaufen war.

„Fahr bitte vorsichtig, ja? Und gib Bescheid, wenn du Zuhause angekommen bist.“

Joko nickte sofort und setzte sich dann auf seinen gelben Roller. Das Visier war noch nach oben gedreht und der Blonde warf ihm ein sanftes Lächeln zu, das ein ähnliches Grinsen auch in dem Jüngeren hervorrief.

Ihre Blicke hafteten noch für zwei, drei Herzschläge aneinander, bis der Ausdruck in Jokos Augen nachdenklicher wurde und ihm ein leises Seufzen von den Lippen floss.

„Du machst es mir wirklich nicht einfach“, sagte der Ältere schließlich, leiser jetzt, fast schon zu sich selbst. Trotzdem konnte Klaas es laut und deutlich hören.

Ehe er allerdings fragen konnte, was Joko damit meinte, klappte der sich das Visier über sein Gesicht, erweckte Sally zum Leben und fuhr noch mit einer letzten winkenden Bewegung schnurstracks davon.

Klaas sah ihm abermals hinterher, bis er an der Kreuzung aus seinem Blickfeld verschwand, und selbst dann ließ ihn die Verwirrung noch einen kurzen Moment verweilen, ehe ihn das Kribbeln die Treppen zu seiner Wohnung hinauftrieb.

Anstatt dort jedoch Richtung Badezimmer oder Schlafzimmer aufzubrechen, trugen ihn seine Füße zurück in sein Musikzimmer, wo bis in die frühen Morgenstunden das Lichte brannte.

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