Deine Melodie in mir
von AlwaysKlako
Kurzbeschreibung
Musik war das Einzige, was Klaas jemals machen wollte. Der große Durchbruch jedoch, der schien nach über zehn Jahren im Business weiter entfernt, als jemals zuvor. Dann lernt der Musiker auf einem Event den charismatischen Joko Winterscheidt kennen, der ihn in seinen Bann zieht und der die Erfüllung von Wünschen und Träumen zu versprechen scheint, von denen Klaas gar nicht wusste, dass er sie hegte. [AU]
GeschichteRomance, Liebesgeschichte / P18 / MaleSlash
Joachim "Joko" Winterscheidt
Klaas Heufer-Umlauf
12.06.2022
05.02.2023
35
188.600
75
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
5 Reviews
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04.09.2022
6.027
Ihr Lieben,
ich halte mich kurz, weil ich zu sehr auf einer JK Wolke schwebe. Nächsten Sonntag bin ich vielleicht wieder etwas klarer im Kopf :D
Vielen lieben Dank für euer liebes Feedback, ganz egal in welcher Form es mich erreicht <3 Und ganz viel Spaß mit dem neuen Kapitel!
Habt einen schönen Sonntag und passt gut auf euch auf ❤️
Das Bedürfnis nach Ablenkung scheuchte Klaas am nächsten Morgen überpünktlich aus seiner Wohnung. Er hatte noch etwas mehr als eine Dreiviertelstunde Zeit, ehe er sich mit Joko und Katha bei der Florida treffen würde, und er konnte sich bereits jetzt die unqualifizierten Kommentare des ein oder anderen Menschen dort ausmalen, die ihm zweifelsohne um die Ohren fliegen würden, wenn er gleich vor der ausgemachten Uhrzeit auftauchte.
Zuhause herumzusitzen und zu viel Zeit dafür zu haben, über den anstehenden Abend nachzugrübeln, das hatte Klaas allerdings noch viel weniger lukrativ erschienen als sich etwaige dumme Sprüche anhören zu müssen, und so stand er nur wenige Minuten später – etwa zwanzig Minuten zu früh – vor den großen Glastüren, die ins Innere der Firma führten. Mit der unterdrückten Aufregung, die er bewusst unbewusst mit sich herumtrug, stieß er die beiden Türflügel voller Energie auf und wurde im Eingangsbereich wie immer ohne weitere Probleme durchgewunken.
Im Aufzug nach oben scrollte der Musiker zum wiederholten Male schon an diesem Tag durch die Kommentare des gestrigen Beitrages. Mehrere Hundert hatten sich dort mittlerweile angesammelt, die er am Vorabend, trotz Schmittis Anwesenheit, und auch an diesem Morgen bestmöglich beantwortet hatte. Der überwiegende Teil seiner Fans hatte glücklicherweise äußerst positiv reagiert und freute sich mit ihm auf dieses neue Kapitel. Aber natürlich hatte es auch die üblichen Trolle gegeben, die in allem immer nur das Schlechte sahen, und die ihn kurz vor dem Einschlafen am allermeisten beschäftigt hatten.
Heute Morgen hatte die Welt jedoch schon wieder ganz anders ausgehen und er nutzte nun noch die letzten Augenblicke, um die neuhinzugekommenen Kommentare mit einem Herzchen zu versehen.
Sobald sich die Aufzugstür geöffnet und er den langen Gang betreten hatte, sprang dem Braunhaarigen diese ganz besondere Energie der Firma entgegen. Bereits auf die Entfernung konnte er erkennen, dass in dem Konferenz-Glaskasten reges Treiben herrschte, und aus dem ersten Büro, das zu seiner Rechten lag, drangen gut gelaunte und euphorische Stimmen, während er daran vorbeilief und erfolglos versuchte, einen Blick durch den kleinen Türspalt zu erhaschen.
Anschließend schwenkte seine Aufmerksamkeit dann jedoch auch schon direkt auf eines der Büros, das noch etwas weiter den Gang hinab lag und in dem er hoffte, Katha vor ihrem gemeinsamen Termin noch zu erwischen. Mit allem, was in seinem Leben gerade vor sich ging, hatte Klaas das Gefühl, sich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr ungestört mit seiner Freundin unterhalten zu haben, was er sehr bedauerte und an diesem Vormittag gerne noch ändern wollte. Selbst, wenn es nur für ein paar Minuten wäre. Dafür hatte er auf dem Weg zur Florida sogar extra noch einen kurzen Zwischenstopp bei ihrem Lieblingscafé eingelegt, und während er nun die letzten Schritte auf ihr Büro zulief, zog er schon die kleine, pinke Box aus seinem Rucksack, die er von dort mitgebracht hatte.
Mit dem Karton in der Hand, klopfte Klaas an Kathas Zimmertür und wartete sodann geduldig auf ihr übliches, enthusiastisches „Hereinspaziert“.
Doch es kam auch nach mehreren Augenblicken nicht; und auch dann nicht, als Klaas es noch ein zweites Mal probiert hatte. Stattdessen hörte er ein anderes, äußerst euphorisches und nicht weniger vertrautes Geräusch. Von derselben Person, nur aus anderer Quelle.
Klaas‘ Füße trugen ihn schnurstracks den Flur hinunter, bis sich dieser nach links abzweigte und die Stimme immer lauter wurde. Und noch ein bisschen lauter, als sich eine zweite dazugesellte, die Klaas ebenfalls unter tausend anderen erkannt hätte. Nur, dass sie sich gleichzeitig so fremd anhörte, dass er zumindest für eine Sekunde daran zweifelte, ob er sich sicher sein konnte.
Die Gewissheit bekam der Brünette, als er leise um die Ecke lugte, und in der Kaffeeküche Katha und Schmitti vorfand, die miteinander vor dem Kaffeevollautomaten kicherten.
Thomas Schmitt. Kicherte.
Klaas blinzelte zweimal, aber die Szenerie veränderte sich nicht.
Beide standen sie mit dem Rücken zu Klaas und Katha schien dem Geschäftsführer auf ihrem Handy irgendetwas zu zeigen, was Klaas nicht erkennen konnte. Es musste jedoch sehr lustig sein, denn noch einmal giggelte Schmitti aus tiefster Seele, ehe er seine Hand vorsichtig auf Kathas Rücken legte, um sie sanft ein Stück zur Seite zu schieben und nach einer Tasse auf der höchsten Ablage des Hängeschrankes zu greifen.
Katha beobachtete ihn, konnte ihren Blick kaum abwenden, und der Produzent schien dabei so spannend zu sein, dass sie trotz des zur Seite gedrehten Kopfes nicht wahrnahm, dass sie nicht länger alleine waren. Ihr Gesichtsausdruck wurde noch etwas sanfter, als er ihr die Tasse in die Hand drückte.
Der Musiker beobachtete seine beiden Freunde noch für einen kurzen Augenblick, ehe er mit sich selbst übereinkam, dass das, was er hier tat, schon nahe an der Grenze des schlechten Benehmens lag. Speziell diesen beiden Menschen wollte er das jedoch nicht antun.
Thomas hatte gerade ein weiteres leeres Trinkgefäß unter die Düsen des Automaten gestellt, als Klaas sich einmal direkt in den Türrahmen schob und sich unüberhörbar räusperte.
„Hier steckt ihr beiden!“
Wie vom Blitz getroffen machten beide einen Schritt zur Seite und Klaas musste sehr mit sich kämpfen, nicht laut loszulachen.
„Klaas? Was machst du denn schon hier?“, fragte Schmitti und seine Augen huschten dabei kurz zu der Uhr, die über dem Kühlschrank hing.
Katha tat es ihm gleich, bevor sie mit einem müden Grinsen zurück zu Klaas schaute. „Joko Winterscheidt erzieht unseren Klaasibert wohl noch zur Pünktlichkeit, wie es scheint.“
Die Worte ließen Schmittis Augenbrauen interessiert hochsausen, und Klaas‘ Puls gleich mit dazu. „Ach, ist das so?“, fragte Thomas, der seinen Freund nicht aus den Augen ließ.
„Jep. Die beiden Male, wo wir uns gemeinsam getroffen haben, war er immer mindestens fünf Minuten eher da“, bestätigte die Brünette, ebenfalls mit ihrem Fokus fest auf Klaas.
„Ist ja äußerst interessant.“ Thomas richtete sich auf und kratzte sich übertrieben nachdenklich über sein bärtiges Kinn.
Gespielt empört beobachtete der Jüngere den Austausch zwischen den beiden; war zwar einerseits noch gefangen von seinem nervös zuckenden Herzen, während er andererseits kaum fassen konnte, wie offensichtlich die beiden sich hier gegen ihn verschworen hatten.
„Ich ess‘ den Donut hier gleich selber“, murrte Klaas, da seine Schlagfertigkeit wohl noch einen Moment brauchte an diesem Vormittag und ihm nichts Besseres einfiel.
Zumindest bei Katha schien es aber auch den gewünschten Effekt zu haben, denn ihre Augen wurden groß. „Oh! Brammibal’s?“
„Sieht so aus, ne?“ Klaas drehte die Box in seiner Hand. „Aber wenn ihr euch jetzt hier weiter gegen mich zusammenrottet, dann bleibt der mir.“
Schmitti schien seine vorübergehende Fähigkeit zu kichern mittlerweile wieder abgelegt zu haben, denn der brummte nun nur: „Was kümmert mich das? Wenn du mir nicht mal einen mitbringst?“
Klaas legte seinen Kopf leicht schief und schaute seinen Freund herausfordernd an. „Und Katha hier gönnste ihren Donut nich‘?“
Für einen Moment kehrte Stille in den kleinen Raum ein, während Schmitti abwechselnd zwischen Klaas und Katha hin und her blickte, bis er schließlich einbrach. „Doch, natürlich.“
Der Kleinere nickte zufrieden, ehe er die wenigen Schritte auf Katha zulief und ihr die pinke Schachtel in die Hand drückte. „Bienenstich. Dein Liebling.“
„Danke dir, das ist echt lieb.“ Sie nahm die Box mit einem breiten Grinsen entgegen. „Aber womit hab‘ ich das verdient?“
„Is’ nur ‘ne kleine Aufmerksamkeit. Weil du mir so ‘ne große Hilfe bist“, erklärte Klaas und zuppelte sich beiläufig den Rucksack auf seinen Schultern zurecht, während Katha sich nochmals bei ihm bedankte.
Eigentlich hatte Klaas ja noch ein paar Minuten mit der Brünetten quatschen wollen, aber nach den jüngsten Ereignissen des Morgens, brannte es Klaas nun doch noch viel mehr unter den Fingern, stattdessen mit seinem besten Freund zu reden.
An den wandte er sich deshalb als nächstes. „Hast du vielleicht noch ‘n paar Minuten, bevor ich mit Katha und Joko loslege?“
„Na, sicher doch. Für dich immer“, entgegnete Thomas und streckte sich kurz, um den Knopf an der Kaffeemaschine zu betätigen.
„Ich komm‘ dann anschließend gleich zu dir, ja?“, sagte Klaas in Kathas Richtung, und nachdem die Kaffeemaschine verstummt war, führte Thomas ihn in sein Büro am anderen Ende des Flurs.
Mit einem trägen „Uff“ warf sich der Geschäftsführer in den Ledersessel hinter seinem Schreibtisch, sein Blick erwartungsvoll an seinen Freund geheftet, der auf halber Strecke zwischen Schreibtisch und der geschlossenen Türe zum Stehen gekommen war.
Der Gesichtsausdruck des Jüngeren war ähnlich abwartend, aber nachdem Schmitti nichts sagen zu wollen schien, fiel der Braunhaarige direkt mit der Tür ins Haus. Bei Thomas konnte er das auch machen, da sie sich glücklicherweise lange genug kannten, um nicht auf irgendwelche Befindlichkeiten Rücksicht nehmen zu müssen.
„Wann erzählst du mir jetzt eigentlich endlich mal, was zwischen Katha und dir abgeht?“
Auf Schmittis Gesicht legte sich ein Schleier der Ungläubigkeit, obgleich ihn seine Augen trotzdem verrieten, noch bevor er die nächsten Worte aussprach. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Klaas.“
„Komm schon, Thomas. Veräppeln kann ich mich selber“, sagte Klaas und machte noch einen Schritt auf ihn zu. „Ich hab‘ dich gerade kichernd mit ihr in der Küche gesehen. Kichernd, Thomas. Du kicherst nie. Das meiste, wozu du dich in schwachen Momenten durchringen kannst, ist ein herzhaftes ha ha.“
Mit völliger Sachlichkeit und Ruhe in seinem Blick und seiner Stimme, antwortete der Ältere: „Du übertreibst mal wieder maßlos.“
„Na dann erklär‘ mir doch einfach, was da gerade passiert, dann hab‘ ich auch keinen Grund, zu übertreiben.“
Schmitti war immer noch die Ruhe selbst, auch wenn seine Augen minimal unter dem Anflug eines Lächelns zuckten. Jemand anderes hätte es vielleicht nicht einmal bemerkt, aber Klaas kannte ihn besser. Klaas kannte ihn zu gut.
„Du bist ganz schön neugierig. Hat dir das schon mal jemand gesagt?“
„Du lenkst ab.“
Bevor der Angesprochene sich zu einer Antwort hinreißen ließ, gönnte er sich genüsslich einen Schluck seines Cappuccinos. „Da passiert gar nichts, Klaas. Sie ist einfach nur eine Kollegin, die mir grade ein witziges Video von einer Katze gezeigt hat, die in eine Badewanne gefallen ist. Das ist alles.“
Eines von Klaas‘ Augen verengte sich zu einem prüfenden Schlitz. „Ja, sicher doch. Und die Art, wie du sie dabei angestrahlt hast, hat absolut nichts zu bedeuten. Oder die Art, wie sie dich angestrahlt hat, als du die Tasse ausm Regal geholt hast? Als hättest du ihr gerade die Sterne vom Himmel gepflückt, oder so.“
Die stoische Ruhe des Dunkelhaarigen schien unkaputtbar zu sein, während er sich lässig in seinem Stuhl zurückfallen ließ. „Wo wir dann gerade dabei sind. Willst du mir nicht mal erzählen, was zwischen Joko und dir so abgeht? Hast du nicht heute sogar ein Date mit ihm?“
Das erschrockene Ziehen in Klaas‘ Brust kam so plötzlich, dass er sich kurz fragte, ob er wohl einen Herzanfall hatte, und die physische Reaktion auf Schmittis Frage darauf würde schieben können. Nachdem der erste Überraschungsmoment jedoch vorüberzog und das Ziehen nachließ, konnte Klaas den medizinischen Notfall ausschließen, und er musste sich wohl oder übel der Tatsache stellen, dass alles, was in den letzten Wochen in ihm und um ihn herum vor sich gegangen war, vielleicht nicht so unauffällig gewesen war, wie er das vermutet hatte.
Seine bis zu diesem Zeitpunkt flackernde Angriffslust implodierte, und er ging unterbewusst den einen Schritt rückwärts, den er eben noch auf Thomas zugemacht hatte. „Sach ma! Spinnst du jetz‘?“
„Ja, was? Du gehst doch heute mit ihm Abendessen, oder etwa nicht?“
Klaas verschränkte die Arme vor seiner Brust und betete, dass er damit sein polterndes Herz würde zurückhalten können. Und überhaupt, was war eigentlich in Thomas gefahren? Erst gestern hatten sie den ganzen Abend zusammen verbracht, und der Ältere hatte weder dort, noch zuvor, zu keiner Sekunde auch nur jemals den Anschein gemacht, als hätte er ernsthaft irgendwelche Gedanken in diese Richtung gehabt. Sicher, er hatte den ein oder anderen zweideutigen Kommentar rausgehauen, aber das war stets im Spaß gewesen und nichts, was Klaas auch nur im Ansatz ernst genommen hatte. Wieso hätte er das auch tun sollen, wo er doch selbst die längste Zeit nicht begriffen hatte, was passierte?
Nein, falsch.
Wo er doch immer noch nicht gänzlich begriff, was eigentlich los war?
Die Überforderung hatte den Braunhaarigen so sehr im Griff, dass er erstmal direkt in den Verteidigungsmodus überging, weil er sich ad hoc nicht anders zu helfen wusste.
„Ja und? Vielleicht ist das ein geschäftliches Abendessen?“
„Ich bitte dich, Klaas“, konterte Schmitti sofort. „Nachdem ihr jetzt dann stundenlang beruflich zusammenklebt? Ganz bestimmt ist das abends dann nur geschäftlich.“
Klaas‘ Herz schlug so laut, dass er ernsthaft Sorge hatte, dass Thomas es hören würde und ihm damit mehr verraten würde, als Klaas in diesem Moment bereit war, zu teilen. Denn was gab es auch schon zu teilen? Er wusste ja selbst nicht, was das mit Joko war. Ob das ein Date war. Ob er überhaupt wollte, dass es ein Date war. Alleine der Gedanke war nach wie vor zu absurd. Obwohl er seit dem Vorabend zweifelsfrei da war, und sich hartnäckig festhielt an seinem Herzen und seinem Verstand. Es wäre so einfach, es einfach zu akzeptieren, wenn es nicht gleichzeitig die Macht hätte, alles zu verändern. Alles zu zerstören, was sie in den letzten Wochen so erfolgreich ins Rollen gebracht hatten. Wäre es das jemals wert, das zu riskieren?
Er spürte, wie sich sein Kopf zu schütteln begann, aber er unterband es, so schnell er nur konnte. Um dem Älteren erst gar keine Chance zu geben, nachzubohren, schob Klaas direkt seine Antwort an Thomas hinterher; auch wenn sie im Grunde gar keine richtige war. „Das tut doch hier gar nichts zur Sache jetz‘.“
Doch Schmitti schien noch lange nicht am Ende zu sein. „Klaas, du hast dem Mann deine Gitarre anvertraut. Du vertraust niemandem deine Gitarre an“, redete er unbeirrt weiter, seine Augen funkelnd; so, als wäre er auf der Suche nach einem Schatz und kurz davor, ihn zu finden.
Der Braunhaarige schüttelte abermals den Kopf, diesmal bewusst und in einer verteidigenden Geste. „Das war im Rahmen eins Fotoshootings. Ich hatte ja wohl kaum eine Wahl.“
„Stimmt. Weil du dich ja nie zur Wehr setzt, wenn dir was gegen den Strich geht.“
Die beiden Freunde sahen sich für einen Augenblick schweigend an; Schmitti immer noch besonnen, während Klaas‘ Herz immer noch viel zu laut hämmerte.
Trotzdem lag in dem herausfordernden Schweigen, ebenso wie in den Worten zuvor, auf beiden Seiten keine Schärfe. Mehr als alles andere wollten sie auf ihre ganz eigene und spezielle Art wohl deutlich machen, dass es okay war und sie sich einander anvertrauen konnten. Nachgewiesenermaßen waren sie jedoch beide noch nie die größten Helden gewesen, wenn es darum ging, über diese Art von Themen zu sprechen, weshalb sie wohl auch an diesem Vormittag mal wieder an der Ehrlichkeit scheiterten.
Klaas entwirrte seine Arme und schüttelte mit einem heiseren Lachen die unnötige Anspannung von seinem Körper ab, und damit auch ein bisschen das Chaos, das in seinem Kopf gewütet hatte. „Wann wurde aus meinem Verhör von dir, dein Verhör von mir?“
Das Lächeln, das zuvor nur angedeutet war, breitete sich nun etwas deutlicher auf Schmittis Lippen aus. „Als du mir unterstellt hast, dass zwischen Katha und mir irgendwas läuft.“
„Schmitti, das war keine Unterstellung, das ist ein Fakt.“
„Ach ja, ist es d—“
Der Dunkelhaarige wurde mitten im Satz von einem Klopfen an der Tür unterbrochen, durch die Katha schon im nächsten Moment ihren Kopf steckte.
„Klaas, Joko ist da“, ließ sie es den Kleineren wissen und die Erwähnung des Namens reichte aus, um dieses vermaledeite Kribbeln in Windeseile in Klaas‘ gesamtem Körper zu verteilen.
Er warf Katha ein kleines Lächeln zu, während er nickte. „Danke dir fürs Bescheid geben. Ich komm‘ direkt mit.“
Danach wandte er sich nochmal seinem Freund zu, dessen Aufmerksamkeit jedoch wenig überraschend nicht mehr auf ihm lag, sondern auf Katha, die immer noch halb in der Tür stand. Er trug ein dümmliches Grinsen im Gesicht und Klaas konnte ein Lachen nur schwer unterbinden.
„Genau das meine ich“, sagte er stattdessen und deutete mit dem Zeigefinger auf ihn.
Anschließend machte er auf dem Absatz kehrt und signalisierte Katha, den Weg zu führen.
Er war schon zur Tür raus, als ihm ein „Und genau das meine ich“ hinterher hallte.
Das taten die Worte auch noch viele Stunden später, nach einem vorzüglichen Abendessen in einem afghanischen Restaurant, von dem Klaas noch nie gehört hatte, und nach anregenden Gesprächen, die von privaterer Natur nicht hätten sein können.
Für eine ganze Weile hatte Klaas es auch tatsächlich geschafft, den Moment zu genießen. Das Essen und die Atmosphäre. Und allen voran natürlich die Zeit mit Joko. Er genoss ihre Konversationen, die nie langweilig zu werden schienen, und all das tat er, ohne es zu hinterfragen oder es zu Tode zu zerdenken.
Das gelang ihm gut.
Bis es das nicht mehr tat.
Weil die Blicke wieder einmal tiefer wurden.
Und die zufälligen Berührungen irgendwann zu lange anhielten.
Und weil er viel zu gerne mit Joko zusammen war und eigentlich nicht wollte, dass das jemals endete.
Wie in diesem Moment, in dem sie in der Dämmerung an der beleuchteten Spree entlang spazierten, und Klaas seinen Blick nicht von Joko abwenden konnte, während der ihm die äußerst herzzerreißende Liebesgeschichte seiner Oma Elsa näherbrachte, die in der Nachkriegszeit den Sohn eines britischen Soldaten kennen- und lieben gelernt hatte.
Klaas genoss es, dem Älteren zuzuhören; lernte dabei nicht nur dessen Familie besser kennen, sondern selbstverständlich auch ihn. Mehr und mehr bemerkte Klaas, wie der andere sprach; bemerkte die Gesten und die Ausdrücke, und die Art, wie er seine Hände dazu nutzte, das Gesprochene noch eindringlicher zu transportieren. Bemerkte, wie dessen Blick manchmal für nur Bruchteile von Sekunden entrückte, während er nachdachte, ohne dabei je komplett den Fokus auf seine Gesprächspartner:innen zu verlieren, oder wie er mit seiner Hand durch seine blonden Haare fuhr, wenn ihm etwas unangenehm war.
Je mehr Zeit Klaas mit Joko verbrachte, desto mehr konnte er all das schon antizipieren; die Blicke und die Gesten und auch seine Reaktionen. Und trotzdem überraschte der Andere ihn auch an diesem Abend immer noch mit neuen Seiten, die Klaas an dessen Lippen kleben ließen. Der einzige Grund, warum er überhaupt nur immer mal wieder kurz weg sah, war jener, dass er nicht wie ein kompletter Creep wirken wollte.
Es war in einem solchen Augenblick, in dem er seinen Fokus kurz von Joko weggelenkt hatte, um durchzuatmen, als er Jokos Hand plötzlich auf seinem Rücken spürte. Ein Stromschlag jagte durch seine Zellen und intensivierte das Kribbeln, das ohnehin schon kaum mehr nicht an jeder Stelle seines Körpers zu sitzen schien. Klaas’ Herz trommelte laut in seinen Ohren und noch bevor seine Aufmerksamkeit zu dem Blonden zurückschnellen konnte, fühlte er auch schon, wie der leichten Druck mit seiner Hand ausübte, um sie beide auf einen abzweigenden Weg zu lenken.
Joko erzählte munter weiter, als würde sich seine Welt gerade nicht auf den Kopf stellen, während Klaas die Sekunden zählte, in denen Jokos Hand noch verweilte, obwohl sie schon auf dem Weg angekommen waren und diesen entlang schritten.
Drei… vier… fünf…
Klaas‘ Herz lief zwei Meter vor ihnen her, während sein Kopf ihn nach all den Wochen der Rationalisierung zu guter Letzt doch in eine einzige, und vor allem sehr eindeutige, Richtung zu drängen schien.
Vielleicht war es an der Zeit.
Sieben… acht… neun…
Vielleicht war es doch endlich an der Zeit.
Elf… zwölf… dreiz—
Der Brünette vermisste den Verlust des Körperkontaktes augenblicklich. Hasste die Leere und verabscheute die Kälte, mehr als er geglaubt hätte, dass er Körperkontakt vermissen konnte.
Ja. Vielleicht war es an der Zeit.
Wenn Klaas es schon Thomas gegenüber nicht hatte zugeben können, so war es vielleicht doch endlich an der Zeit, es zumindest sich selbst einzugestehen.
Zu akzeptieren, was sein rationales Denkvermögen längst begriffen und doch so erfolgreich vor ihm hatte verbergen können.
Vielleicht war es an der Zeit, das Kribbeln, das ihn jedes Mal befiel, und auch in diesem Moment Herz und Bauch aufgeregt flattern ließ, als das hinzunehmen, was es war.
Vielleicht war es nach über zwei Monaten in der Tat an der Zeit, die Wahrheit endlich anzuerkennen, auch wenn sie ihm immer noch eine Heidenangst einjagte, und er immer noch nicht ganz verstand, wie das passieren konnte.
Klaas‘ Blick schweifte zu Joko.
In das Kribbeln mischte sich eine wohlige Wärme, als er den Mann an seiner Seite erneut beobachtete. Ihm zusah, wie er wahrscheinlich immer noch die Geschichte seiner Oma erzählte; und Klaas hörte die Worte, aber konnte ihren Inhalt nicht verarbeiten, weil er zu verloren war in allem, was Joko ausstrahlte, und allem, was ihn selbst das fühlen ließ.
Und verloren in der Empfindung, wie gut sich das alles anfühlte.
Wie gut es sich trotz der Angst anfühlte, hier mit Joko zu sein.
Joko, den er mochte. Den er wirklich sehr, sehr gerne mochte.
Und das war auch nicht mal der überwältigendste Gedanke, von all jenen, die sich gerade in seinem Kopf tummelten wie eine wildgewordene Horde Tiere.
Der überwältigendste war der, dass er nicht wollte, dass das hier einfach nur ein Abendessen und ein Spaziergang war. Er wusste auch irgendwie, dass es das ohnehin nicht war, weil es sich zuvor und in diesem Moment viel zu eindeutig nach mehr anfühlte.
Nein, mehr als das – Klaas wollte, dass das ein Date war.
So viele Zweifel und Unsicherheiten er vor diesem Abend bei diesem Gedanken gehabt hatte, und ihn deshalb lieber in den Untiefen seines Bewusstseins verstaut hatte, so klar und wenig angsteinflößend war er in dieser Sekunde.
Er wollte, dass das ein Date war.
Aber durfte er das auch hoffen?
Noch immer sah er die pure Überzeugung auf Jokos Gesicht, als er ihm vor all den Wochen mitgeteilt hatte, dass er sich nie wieder auf Menschen einlassen würde, mit denen er zusammenarbeitete. Trotzdem war Klaas aber auch die leichte Unsicherheit nicht entgangen, die der Ältere gleichermaßen ausgestrahlt hatte, als er die Worte gesagt hatte.
Doch was dachte Joko dann, was sie hier taten? Traf er sich mit seinen anderen Freundinnen und Freunden auch in dieser Häufigkeit? In dieser Intensität?
Wie sollte Klaas Antworten darauf finden?
Wäre es besser, keine zu haben? Für den Anfang? Vielleicht würde sich sein Kopf ja doch noch dazu entscheiden, dass das alles nicht echt war. Dass er Joko doch nicht mochte. Zumindest nicht auf die Art, die er gerade zu akzeptieren begann. Allerdings erschien ihm die Möglichkeit, Joko irgendwann nicht mehr so zu mögen, gerade in diesem Moment noch absurder, als die Tatsache, dass es so war.
Er mochte Joko. Und vielleicht würde—
Es war erneut Jokos Hand, die das Karussell stoppte, und die ganze Welt mit dazu.
„In welche Sphäre bist du mir denn gerade entkommen?“
Die Hitze des Anderen schien sich an Klaas‘ Schulter durch sein Hemd zu brennen, und das war genug, um ihn aus ebendiesen Sphären zurück in die Gegenwart zu katapultieren.
Eine Gegenwart, in der Joko ihn halb besorgt, halb amüsiert anschaute, und sein Herz damit noch ein bisschen höherschlagen ließ.
„Ich weiß ja, dass Omi Elsa vielleicht nicht so spannend ist… aber ich wollte dich damit nicht einschläfern“, sagte er weiter, klang dabei aber weder enttäuscht noch wütend, sondern hauptsächlich eigentlich belustigt.
„Ich… sorry, Joko. Das war unhöflich von mir. Tut mir leid“, erwiderte Klaas und versuchte dann irgendwie, seinen Kopf geordnet zu bekommen. „Deine Geschichten sind alles andere als einschläfernd, glaub‘ mir.“
Joko schmunzelte leicht und nickte ihm zu, während er die Hand von seiner Schulter nahm. „Magst du erzählen, wohin du gerade abgetaucht bist?”
Sofort kribbelte es in seiner Magengegend wieder auf so eindeutige Art und Weise, dass Klaas gar nicht verstehen konnte, wie er es so lange nicht als das hatte akzeptieren können, was es war, wo es nun so offensichtlich war. Er wollte fast über seine eigene Dummheit – oder Sturheit oder was auch immer es gewesen war – lachen, aber das hätte zweifelsohne zu noch mehr Fragen seitens Joko geführt, auf die Klaas unmöglich Antworten finden würde.
Daher zuckte er nur einseitig mit der Schulter und blickte an Joko vorbei durch den immer dunkler werdenden Park, in dem sie fast alleine waren. „Ich hab‘ nur gerade festgestellt, wie entspannend solche Abendspaziergänge sein können und mich kurz an dieser Tatsache erfreut.“
Der Blonde äugte ihn noch für einen Moment mit prüfender Miene, bevor sein Blick schelmisch zu funkeln begann, wie Klaas feststellte, als seine Aufmerksamkeit zu ihm zurückkehrte. „Liegt bestimmt an meiner beruhigenden Aura“, sagte er mit überzeugter Selbstverständlichkeit, die nach einem lauten Herzschlag ein leises Glucksen aus Klaas trieb.
„Ja genau, das muss es sein. Is‘ die einzig logische Erklärung“, erwiderte der Jüngere, und konnte gegen das Grinsen nicht ankämpfen, das sich einen Weg auf sein Gesicht bahnte.
„Na, etwa nicht?“, fragte Joko andächtig.
„Doch klar, natürlich! Ich würde dir doch nie widersprechen!“, beteuerte der Kleinere.
Das Glitzern in den Augen seines Gegenübers veränderte sich. „Nie nie?“
Schon nach kurzem Überlegen fand der Braunhaarige eine Antwort für Joko. „Das würdest du doch gar nich’ wollen“, sagte er bestimmt, weil er den Blonden mittlerweile eben doch auch ein wenig kannte. „Reicht es nich‘, wenn ich dir in diesem Punkt nicht widerspreche?“
Nachdenklich schob der Größere seine Lippen übereinander, während er kurz nach den passenden Worten suchte. Klaas konnte den Moment auch sehen, als er sie gefunden hatte, denn seine schelmischen Gesichtszüge wurden mit einem Mal deutlich sanfter.
„Doch, eigentlich schon“, stimmte Joko zu, und tippte mit seiner Schulter einmal gegen die von Klaas.
„Na siehste“, erwiderte der Braunhaarige, bevor er den Blickkontakt unterbrach, um sich nach mehreren Minuten des Verlorenseins in Joko zumindest einmal kurz zu orientieren.
„Soll ich die Geschichte von meiner Omi noch zu Ende erzählen?“, durchbrach Joko nach ein paar Metern des Schweigens die Stille.
„Na klar, unbedingt“, animierte Klaas seinen Freund, und schenkte ihm diesmal seine ungeteilte Aufmerksamkeit, während aus der kribbelnden Blase in seinem Bauch immer mehr Schmetterlinge entkamen.
Der Kirchturm irgendeiner Kirche, die Klaas weder kannte, noch interessierte und die nicht einmal sichtbar war, hatte erst vor wenigen Minuten Mitternacht geschlagen, als der Brünette und der Blonde vor Klaas‘ Wohngebäude zum Stehen kamen.
Aus dem „kurzen Beinevertreten nach dem Abendessen“ wurde, ehe sie sich versahen, ein fast zweistündiger Spaziergang vom Potsdamer Platz, über die westliche Ecke des Tiergartens bis nach Kreuzberg. Dass es sich allerdings trotzdem nach nur einem sehr, sehr kurzen Beinevertreten angefühlt hatte, erklärte sich der Jüngere hauptsächlich damit, dass sich das Raum-Zeit-Kontinuum unter dem Gewicht seiner Erkenntnisse gekrümmt haben musste und die Zeit deshalb doppelt so schnell vergangen war. Wie sonst hätte ein kompletter Abend einfach vorbeiziehen können?
Das Gewicht seiner Erkenntnisse lastete immer noch auf ihm, aber während er Joko nun gegenüberstand und ihn anschaute, fühlte er sich trotz seiner Unsicherheiten und Ängste seltsamerweise leicht und befreit.
Zumindest optisch wirkte auch der Blonde so, mit seinem sanften Lächeln, den funkelnden Augen und den leicht verwuschelten Haaren, durch die sich der Ältere während ihrer gemeinsamen Zeit mehrmals mit seinen Händen gefahren war.
Klaas‘ Augen blieben noch für einen Moment an seinem wilden Haarschopf hängen, bevor er erneut dessen Blick einfing und ihm ein kleines Lächeln zuwarf. Er wusste nicht so recht, was er sagen sollte, und der Blonde schien damit zufrieden zu sein, ihn einfach nur anzugucken.
Die Ruhe zwischen ihnen und um sie herum war nicht unangenehm, und je länger sie anhielt, desto mehr fühlte es sich an, als wären die beiden komplett allein auf der Welt. Es legte sich eine ungewohnte Spannung über sie, die Klaas eine leichte Gänsehaut über den Rücken jagte. Die Härchen an seinen Armen drückten gegen den Stoff seines Hemdes, und er war irgendwie froh, dass Ärmel sie bedeckten, und sein kleines Geheimnis so gewahrt werden konnte.
Um sich selbst davon abzulenken, und auch ein bisschen, weil er die Ruhe und das Kribbeln irgendwann nicht länger aushalten konnte, war er es, der ihre Stille schließlich wieder etwas lauter werden ließ.
„Danke, dass du den ganzen Weg bis hierher mitgekommen bist. Das wär‘ wirklich nich‘ nötig gewesen.“
„Weiß ich doch. Aber ich hätt’s auch nicht gemacht, wenn ich nicht gewollt hätte“, erwiderte der Blonde mit einem versichernden Lächeln.
Die Aufmerksamkeit des Anderen ruhte unverrückbar auf Klaas, und der begann unauffällig mit seinen Händen gegen seine Oberschenkel zu klopfen, um irgendwie der Energie Herr zu werden, die durch ihn vibrierte.
„Das nächste Mal laufe ich dann auch gerne mit dir bis nach Charlottenburg“, sagte der Brünette, und versuchte damit, auch seine Gedanken auf Trab zu halten.
Joko hielt kurz inne und fuhr sich wieder einmal geistesabwesend durch seine Haare. Schon kurz darauf wurde sein Lächeln zu einem breiteren Grinsen. „Heißt das, wir machen sowas mal wieder?“
Fast wäre die Nachfrage, was genau Joko mit „sowas“ meinte, über Klaas‘ Lippen gehüpft, doch sein Kopf hatte seine Stimmbänder fest im Griff und hielt die Frage erfolgreich zurück.
Zumindest diesen einen Abend wollte Klaas noch genießen. Zumindest diesen einen Abend wollte er sein Leben noch nicht in völliges Chaos stürzen. Nur diesen einen Abend wollte er so tun, als würde das hier alles Sinn ergeben und als würde alles gut werden.
Alles andere konnte bis morgen warten.
Jokos Augen waren offen und neugierig, und auf seiner Stirn bildeten sich kleine Wellen, während er auf eine Antwort von Klaas wartete, auf eine Frage, die der Jüngere beinahe vergessen hätte.
Er räusperte sich kurz, nicht, weil sein Hals besonders trocken war, aber weil sich dort all seine Gedanken und Emotionen zu einem Ballen vereint zu haben schienen, den er nicht hinunterschlucken konnte. „Ja, sicher. Warum nicht?“, sagte er in einem Tonfall, als wäre es das Klarste auf der Welt. „Spricht aus meiner Sicht nichts dagegen. Aus deiner etwa?“
Für seine Antwort braucht der Blonde nicht einmal den Bruchteil der Bedenkzeit des Jüngeren. „Absolut gar nichts.“
In Klaas‘ Brustkorb begann es noch ein bisschen aufgeregter zu poltern, als Jokos Eindringlichkeit durch ihn pulsierte.
Stille umgab sie erneut.
Und trotzdem hallte es laut und klar im Kopf des Brünetten.
Dieser Takt.
Und die Melodie.
So viel lauter und greifbarer als jemals zu vor.
Wie eine Decke breitete sie sich in ihm aus. Die Melodie, die jedes seiner Atome tanzen ließ. Die Musik, die so neu, und gleichzeitig doch so vertraut war. Als wäre sie schon immer da gewesen, ein Teil von ihm, nur um sich nun in all ihrer Schönheit zu entfalten.
Mit Tönen, die Klaas noch nie gehört hatte, und die er doch nie mehr ziehen lassen wollte.
Sie war so laut, diese Melodie, dass Klaas kurz glaubte, Joko würde sie hören können.
Wollte, dass er sie hörte, weil sie so unglaublich schön war.
Klaas‘ Herz schlug in diesem Takt, der nicht seiner war, und dem er sich doch immer leichter und schneller anzupassen vermochte.
Er hätte auf der Stelle lossingen können, verspürte den Drang es zu tun fast überwältigend stark, und war doch verwoben in diesem Moment mit Joko, der alle anderen Gehirnwindungen verknotete, die nicht mit ihm und dieser Melodie verbunden waren.
Irgendwann war es Jokos weiche Stimme, die sich klangvoll mit der Melodie in Klaas‘ Kopf vereinte, obwohl er die Worte sogleich auch am liebsten ignoriert hätte.
„Also ich… ich sollte dann mal… mein Wecker geht in viel zu wenigen Stunden“, erklärte der Blonde mit einem entschuldigenden Blick.
„Na klar… is‘ ja auch schon echt spät jetzt“, entgegnete Klaas und verlagerte nach einer gefühlten Ewigkeit des Stillstandes sein Gewicht auf das andere Bein. „Soll ich dir ‘n Taxi rufen?“
„Ne, du. Alles gut. Ich nehm‘ mir da vorne an der Kreuzung ‘n E-Roller. Damit geht’s am schnellsten“, winkte Joko den Vorschlag des Braunhaarigen ab.
Auch der Größere bewegt sich nun zum ersten Mal und kam in der Bewegung noch ein paar Zentimeter auf Klaas zu. Seine leuchtenden Augen lagen abermals ruhig und eindringlich auf ihm und machten es dem Jüngeren schwer, normal weiteratmen zu können. Ganz besonders, als Joko erneut zu sprechen begann.
„Darf ich…“, sagte er, presste die Lippen dann aber nochmal zusammen, ehe er einen zweiten Anlauf startete. „Darf ich dich in den Arm nehmen?“
Das Bedürfnis genau das zu tun, schob für einen Augenblick alles andere beiseite, und statt etwas zu sagen, nickte Klaas einfach nur. Vielleicht war es ohnehin besser, für den Moment nicht auf seine Stimmbänder zu vertrauen, da sie, genauso wie jeder andere Muskel, gerade innerlich zu vibrieren schienen.
Joko zögerte nicht lange, schloss mit einem halben Schritt die Lücke, die sie trennte, und schlang seine langen Arme um den Körper des Kleineren.
Klaas hielt inne.
Hörte das Rauschen in seinen Ohren.
Spürte die Wärme, die ihn umgab.
Und dann dauerte es keinen weiteren Herzschlag lang, bis Klaas nach achtunddreißig langen Jahren endlich den Hype um Umarmungen begriff. Es dauerte keinen Herzschlag lang, bis sich Jokos Wärme in ihn verirrte und bis sich seine Geborgenheit um ihn legte wie ein schützender Kokon. Es dauerte keinen Herzschlag lang, bis Klaas Jokos Wange an seiner Schläfe spürte, und keinen Herzschlag lang, bis Klaas auch seine Arme um Joko legte und sich gegen ihn sinken ließ. Es dauerte auch danach keinen Herzschlag lang, bis Joko ihn noch ein bisschen fester hielt, und nur einen weiteren, bis Klaas Jokos Hand in seinem Nacken fühlte.
Erneut jagte ihm dieser Mann eine Gänsehaut über den Rücken, und sein Kopf war Chaos und absolute Ruhe zugleich. Mehrere Male atmete Klaas tief ein und wieder aus, sog diesen markanten Duft in sich auf, den er schon zu gut kannte und viel zu sehr mochte. Ließ sich von ihm und von Joko und allem, was dieser ausstrahlte, einhüllen und einlullen.
Alles um sie herum wurde still; selbst der Straßenlärm, der sie bis vor kurzem noch auf ihrem Weg begleitet hatte. Der Musiker hörte nur noch das Pochen in seinen Ohren und den ruhigen Atem seines Freundes, der tief und gleichmäßig über die Seite seines Kopf streichelte. Wieder. Und immer wieder. Bis sich Klaas beinahe einbilden konnte, dass es nicht dessen Atemzüge, sondern seine Hand war, die ihn berührte.
Vielleicht war die Welt stehen geblieben.
Vielleicht drehte sie sich auch in doppelter Geschwindigkeit weiter.
Klaas vermochte es nicht zu sagen.
Doch in beiden Fällen endete die Umarmung zu schnell. Und der Kleinere stellte mit Erschrecken fest, dass es nicht einmal er gewesen war, der den Körperkontakt beendet hatte. Stellte auch mit Erschrecken fest, dass da zu keiner Sekunde das Bedürfnis gewesen war, sich zurückzuziehen oder davonzulaufen, und es war eine weitere welterschütternde Erkenntnis auf einem Berg von welterschütternden Erkenntnissen an diesem Tag.
Wenn überhaupt möglich, war Jokos Lächeln noch ein wenig weicher, als er seinen Kopf leicht zurückzog, seine Arme aber noch auf Klaas‘ Schultern ruhen ließ.
„Vielen Dank für den schönen Abend, Klausi“, sagte er, obgleich die Lautstärke eher einem Flüstern gleichkam.
„Danke dir für die Einladung. Und den ganzen Rest“, antwortete Klaas und seine Stimme war vielleicht auch etwas belegter als sonst. Er war sich nicht ganz sicher, da sein Blut immer noch zu sehr durch seine Ohren rauschte.
Joko streichelte mit beiden Händen noch für einen kurzen Moment über Klaas‘ Oberarme und brachte den Jüngeren damit fast zum Erzittern, ehe er seine Arme zurück an seine Seiten fallen ließ.
„Wir hören uns morgen, ja?“, fragte Joko und machte dabei schon einen Schritt von Klaas weg.
„Ja, machen wir. Aber schreibste mir bitte auch noch, wenn du Zuhause angekommen bist?“
„Natürlich“, antwortete Joko mit einer zusätzlichen Prise Wärme in seinen dunklen Augen.
Sie nickten sich beide abschließend zu und Klaas schaute Joko mit trommelndem Herzen hinterher, bis dieser um die nächste Straßenecke verschwunden war.
bin zuhause. lieben dank nochmal
für alles. sweet dreams.
0:51 Uhr
Erleichtert und todmüde legte der Braunhaarige sein Handy beiseite und ließ sich erschöpft in sein flaches, aber flauschiges Kissen sinken.
Noch für einen Augenblick schaute er gedankenverloren an die weiße Decke über ihm, und seine Gedanken kreisten um das wohlige Gefühl, das Jokos Arme in ihm ausgelöst hatten.
Schon wenig später waren es genau diese Empfindungen, die Wärme und die Geborgenheit, die Klaas mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen schließlich in einen tiefen und geruhsamen Schlaf fallen ließ, in dem nur Joko und er existierten.
Und keine vermaledeiten No-Dating-Regeln.
ich halte mich kurz, weil ich zu sehr auf einer JK Wolke schwebe. Nächsten Sonntag bin ich vielleicht wieder etwas klarer im Kopf :D
Vielen lieben Dank für euer liebes Feedback, ganz egal in welcher Form es mich erreicht <3 Und ganz viel Spaß mit dem neuen Kapitel!
Habt einen schönen Sonntag und passt gut auf euch auf ❤️
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Kapitel 13
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Kapitel 13
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Das Bedürfnis nach Ablenkung scheuchte Klaas am nächsten Morgen überpünktlich aus seiner Wohnung. Er hatte noch etwas mehr als eine Dreiviertelstunde Zeit, ehe er sich mit Joko und Katha bei der Florida treffen würde, und er konnte sich bereits jetzt die unqualifizierten Kommentare des ein oder anderen Menschen dort ausmalen, die ihm zweifelsohne um die Ohren fliegen würden, wenn er gleich vor der ausgemachten Uhrzeit auftauchte.
Zuhause herumzusitzen und zu viel Zeit dafür zu haben, über den anstehenden Abend nachzugrübeln, das hatte Klaas allerdings noch viel weniger lukrativ erschienen als sich etwaige dumme Sprüche anhören zu müssen, und so stand er nur wenige Minuten später – etwa zwanzig Minuten zu früh – vor den großen Glastüren, die ins Innere der Firma führten. Mit der unterdrückten Aufregung, die er bewusst unbewusst mit sich herumtrug, stieß er die beiden Türflügel voller Energie auf und wurde im Eingangsbereich wie immer ohne weitere Probleme durchgewunken.
Im Aufzug nach oben scrollte der Musiker zum wiederholten Male schon an diesem Tag durch die Kommentare des gestrigen Beitrages. Mehrere Hundert hatten sich dort mittlerweile angesammelt, die er am Vorabend, trotz Schmittis Anwesenheit, und auch an diesem Morgen bestmöglich beantwortet hatte. Der überwiegende Teil seiner Fans hatte glücklicherweise äußerst positiv reagiert und freute sich mit ihm auf dieses neue Kapitel. Aber natürlich hatte es auch die üblichen Trolle gegeben, die in allem immer nur das Schlechte sahen, und die ihn kurz vor dem Einschlafen am allermeisten beschäftigt hatten.
Heute Morgen hatte die Welt jedoch schon wieder ganz anders ausgehen und er nutzte nun noch die letzten Augenblicke, um die neuhinzugekommenen Kommentare mit einem Herzchen zu versehen.
Sobald sich die Aufzugstür geöffnet und er den langen Gang betreten hatte, sprang dem Braunhaarigen diese ganz besondere Energie der Firma entgegen. Bereits auf die Entfernung konnte er erkennen, dass in dem Konferenz-Glaskasten reges Treiben herrschte, und aus dem ersten Büro, das zu seiner Rechten lag, drangen gut gelaunte und euphorische Stimmen, während er daran vorbeilief und erfolglos versuchte, einen Blick durch den kleinen Türspalt zu erhaschen.
Anschließend schwenkte seine Aufmerksamkeit dann jedoch auch schon direkt auf eines der Büros, das noch etwas weiter den Gang hinab lag und in dem er hoffte, Katha vor ihrem gemeinsamen Termin noch zu erwischen. Mit allem, was in seinem Leben gerade vor sich ging, hatte Klaas das Gefühl, sich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr ungestört mit seiner Freundin unterhalten zu haben, was er sehr bedauerte und an diesem Vormittag gerne noch ändern wollte. Selbst, wenn es nur für ein paar Minuten wäre. Dafür hatte er auf dem Weg zur Florida sogar extra noch einen kurzen Zwischenstopp bei ihrem Lieblingscafé eingelegt, und während er nun die letzten Schritte auf ihr Büro zulief, zog er schon die kleine, pinke Box aus seinem Rucksack, die er von dort mitgebracht hatte.
Mit dem Karton in der Hand, klopfte Klaas an Kathas Zimmertür und wartete sodann geduldig auf ihr übliches, enthusiastisches „Hereinspaziert“.
Doch es kam auch nach mehreren Augenblicken nicht; und auch dann nicht, als Klaas es noch ein zweites Mal probiert hatte. Stattdessen hörte er ein anderes, äußerst euphorisches und nicht weniger vertrautes Geräusch. Von derselben Person, nur aus anderer Quelle.
Klaas‘ Füße trugen ihn schnurstracks den Flur hinunter, bis sich dieser nach links abzweigte und die Stimme immer lauter wurde. Und noch ein bisschen lauter, als sich eine zweite dazugesellte, die Klaas ebenfalls unter tausend anderen erkannt hätte. Nur, dass sie sich gleichzeitig so fremd anhörte, dass er zumindest für eine Sekunde daran zweifelte, ob er sich sicher sein konnte.
Die Gewissheit bekam der Brünette, als er leise um die Ecke lugte, und in der Kaffeeküche Katha und Schmitti vorfand, die miteinander vor dem Kaffeevollautomaten kicherten.
Thomas Schmitt. Kicherte.
Klaas blinzelte zweimal, aber die Szenerie veränderte sich nicht.
Beide standen sie mit dem Rücken zu Klaas und Katha schien dem Geschäftsführer auf ihrem Handy irgendetwas zu zeigen, was Klaas nicht erkennen konnte. Es musste jedoch sehr lustig sein, denn noch einmal giggelte Schmitti aus tiefster Seele, ehe er seine Hand vorsichtig auf Kathas Rücken legte, um sie sanft ein Stück zur Seite zu schieben und nach einer Tasse auf der höchsten Ablage des Hängeschrankes zu greifen.
Katha beobachtete ihn, konnte ihren Blick kaum abwenden, und der Produzent schien dabei so spannend zu sein, dass sie trotz des zur Seite gedrehten Kopfes nicht wahrnahm, dass sie nicht länger alleine waren. Ihr Gesichtsausdruck wurde noch etwas sanfter, als er ihr die Tasse in die Hand drückte.
Der Musiker beobachtete seine beiden Freunde noch für einen kurzen Augenblick, ehe er mit sich selbst übereinkam, dass das, was er hier tat, schon nahe an der Grenze des schlechten Benehmens lag. Speziell diesen beiden Menschen wollte er das jedoch nicht antun.
Thomas hatte gerade ein weiteres leeres Trinkgefäß unter die Düsen des Automaten gestellt, als Klaas sich einmal direkt in den Türrahmen schob und sich unüberhörbar räusperte.
„Hier steckt ihr beiden!“
Wie vom Blitz getroffen machten beide einen Schritt zur Seite und Klaas musste sehr mit sich kämpfen, nicht laut loszulachen.
„Klaas? Was machst du denn schon hier?“, fragte Schmitti und seine Augen huschten dabei kurz zu der Uhr, die über dem Kühlschrank hing.
Katha tat es ihm gleich, bevor sie mit einem müden Grinsen zurück zu Klaas schaute. „Joko Winterscheidt erzieht unseren Klaasibert wohl noch zur Pünktlichkeit, wie es scheint.“
Die Worte ließen Schmittis Augenbrauen interessiert hochsausen, und Klaas‘ Puls gleich mit dazu. „Ach, ist das so?“, fragte Thomas, der seinen Freund nicht aus den Augen ließ.
„Jep. Die beiden Male, wo wir uns gemeinsam getroffen haben, war er immer mindestens fünf Minuten eher da“, bestätigte die Brünette, ebenfalls mit ihrem Fokus fest auf Klaas.
„Ist ja äußerst interessant.“ Thomas richtete sich auf und kratzte sich übertrieben nachdenklich über sein bärtiges Kinn.
Gespielt empört beobachtete der Jüngere den Austausch zwischen den beiden; war zwar einerseits noch gefangen von seinem nervös zuckenden Herzen, während er andererseits kaum fassen konnte, wie offensichtlich die beiden sich hier gegen ihn verschworen hatten.
„Ich ess‘ den Donut hier gleich selber“, murrte Klaas, da seine Schlagfertigkeit wohl noch einen Moment brauchte an diesem Vormittag und ihm nichts Besseres einfiel.
Zumindest bei Katha schien es aber auch den gewünschten Effekt zu haben, denn ihre Augen wurden groß. „Oh! Brammibal’s?“
„Sieht so aus, ne?“ Klaas drehte die Box in seiner Hand. „Aber wenn ihr euch jetzt hier weiter gegen mich zusammenrottet, dann bleibt der mir.“
Schmitti schien seine vorübergehende Fähigkeit zu kichern mittlerweile wieder abgelegt zu haben, denn der brummte nun nur: „Was kümmert mich das? Wenn du mir nicht mal einen mitbringst?“
Klaas legte seinen Kopf leicht schief und schaute seinen Freund herausfordernd an. „Und Katha hier gönnste ihren Donut nich‘?“
Für einen Moment kehrte Stille in den kleinen Raum ein, während Schmitti abwechselnd zwischen Klaas und Katha hin und her blickte, bis er schließlich einbrach. „Doch, natürlich.“
Der Kleinere nickte zufrieden, ehe er die wenigen Schritte auf Katha zulief und ihr die pinke Schachtel in die Hand drückte. „Bienenstich. Dein Liebling.“
„Danke dir, das ist echt lieb.“ Sie nahm die Box mit einem breiten Grinsen entgegen. „Aber womit hab‘ ich das verdient?“
„Is’ nur ‘ne kleine Aufmerksamkeit. Weil du mir so ‘ne große Hilfe bist“, erklärte Klaas und zuppelte sich beiläufig den Rucksack auf seinen Schultern zurecht, während Katha sich nochmals bei ihm bedankte.
Eigentlich hatte Klaas ja noch ein paar Minuten mit der Brünetten quatschen wollen, aber nach den jüngsten Ereignissen des Morgens, brannte es Klaas nun doch noch viel mehr unter den Fingern, stattdessen mit seinem besten Freund zu reden.
An den wandte er sich deshalb als nächstes. „Hast du vielleicht noch ‘n paar Minuten, bevor ich mit Katha und Joko loslege?“
„Na, sicher doch. Für dich immer“, entgegnete Thomas und streckte sich kurz, um den Knopf an der Kaffeemaschine zu betätigen.
„Ich komm‘ dann anschließend gleich zu dir, ja?“, sagte Klaas in Kathas Richtung, und nachdem die Kaffeemaschine verstummt war, führte Thomas ihn in sein Büro am anderen Ende des Flurs.
Mit einem trägen „Uff“ warf sich der Geschäftsführer in den Ledersessel hinter seinem Schreibtisch, sein Blick erwartungsvoll an seinen Freund geheftet, der auf halber Strecke zwischen Schreibtisch und der geschlossenen Türe zum Stehen gekommen war.
Der Gesichtsausdruck des Jüngeren war ähnlich abwartend, aber nachdem Schmitti nichts sagen zu wollen schien, fiel der Braunhaarige direkt mit der Tür ins Haus. Bei Thomas konnte er das auch machen, da sie sich glücklicherweise lange genug kannten, um nicht auf irgendwelche Befindlichkeiten Rücksicht nehmen zu müssen.
„Wann erzählst du mir jetzt eigentlich endlich mal, was zwischen Katha und dir abgeht?“
Auf Schmittis Gesicht legte sich ein Schleier der Ungläubigkeit, obgleich ihn seine Augen trotzdem verrieten, noch bevor er die nächsten Worte aussprach. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Klaas.“
„Komm schon, Thomas. Veräppeln kann ich mich selber“, sagte Klaas und machte noch einen Schritt auf ihn zu. „Ich hab‘ dich gerade kichernd mit ihr in der Küche gesehen. Kichernd, Thomas. Du kicherst nie. Das meiste, wozu du dich in schwachen Momenten durchringen kannst, ist ein herzhaftes ha ha.“
Mit völliger Sachlichkeit und Ruhe in seinem Blick und seiner Stimme, antwortete der Ältere: „Du übertreibst mal wieder maßlos.“
„Na dann erklär‘ mir doch einfach, was da gerade passiert, dann hab‘ ich auch keinen Grund, zu übertreiben.“
Schmitti war immer noch die Ruhe selbst, auch wenn seine Augen minimal unter dem Anflug eines Lächelns zuckten. Jemand anderes hätte es vielleicht nicht einmal bemerkt, aber Klaas kannte ihn besser. Klaas kannte ihn zu gut.
„Du bist ganz schön neugierig. Hat dir das schon mal jemand gesagt?“
„Du lenkst ab.“
Bevor der Angesprochene sich zu einer Antwort hinreißen ließ, gönnte er sich genüsslich einen Schluck seines Cappuccinos. „Da passiert gar nichts, Klaas. Sie ist einfach nur eine Kollegin, die mir grade ein witziges Video von einer Katze gezeigt hat, die in eine Badewanne gefallen ist. Das ist alles.“
Eines von Klaas‘ Augen verengte sich zu einem prüfenden Schlitz. „Ja, sicher doch. Und die Art, wie du sie dabei angestrahlt hast, hat absolut nichts zu bedeuten. Oder die Art, wie sie dich angestrahlt hat, als du die Tasse ausm Regal geholt hast? Als hättest du ihr gerade die Sterne vom Himmel gepflückt, oder so.“
Die stoische Ruhe des Dunkelhaarigen schien unkaputtbar zu sein, während er sich lässig in seinem Stuhl zurückfallen ließ. „Wo wir dann gerade dabei sind. Willst du mir nicht mal erzählen, was zwischen Joko und dir so abgeht? Hast du nicht heute sogar ein Date mit ihm?“
Das erschrockene Ziehen in Klaas‘ Brust kam so plötzlich, dass er sich kurz fragte, ob er wohl einen Herzanfall hatte, und die physische Reaktion auf Schmittis Frage darauf würde schieben können. Nachdem der erste Überraschungsmoment jedoch vorüberzog und das Ziehen nachließ, konnte Klaas den medizinischen Notfall ausschließen, und er musste sich wohl oder übel der Tatsache stellen, dass alles, was in den letzten Wochen in ihm und um ihn herum vor sich gegangen war, vielleicht nicht so unauffällig gewesen war, wie er das vermutet hatte.
Seine bis zu diesem Zeitpunkt flackernde Angriffslust implodierte, und er ging unterbewusst den einen Schritt rückwärts, den er eben noch auf Thomas zugemacht hatte. „Sach ma! Spinnst du jetz‘?“
„Ja, was? Du gehst doch heute mit ihm Abendessen, oder etwa nicht?“
Klaas verschränkte die Arme vor seiner Brust und betete, dass er damit sein polterndes Herz würde zurückhalten können. Und überhaupt, was war eigentlich in Thomas gefahren? Erst gestern hatten sie den ganzen Abend zusammen verbracht, und der Ältere hatte weder dort, noch zuvor, zu keiner Sekunde auch nur jemals den Anschein gemacht, als hätte er ernsthaft irgendwelche Gedanken in diese Richtung gehabt. Sicher, er hatte den ein oder anderen zweideutigen Kommentar rausgehauen, aber das war stets im Spaß gewesen und nichts, was Klaas auch nur im Ansatz ernst genommen hatte. Wieso hätte er das auch tun sollen, wo er doch selbst die längste Zeit nicht begriffen hatte, was passierte?
Nein, falsch.
Wo er doch immer noch nicht gänzlich begriff, was eigentlich los war?
Die Überforderung hatte den Braunhaarigen so sehr im Griff, dass er erstmal direkt in den Verteidigungsmodus überging, weil er sich ad hoc nicht anders zu helfen wusste.
„Ja und? Vielleicht ist das ein geschäftliches Abendessen?“
„Ich bitte dich, Klaas“, konterte Schmitti sofort. „Nachdem ihr jetzt dann stundenlang beruflich zusammenklebt? Ganz bestimmt ist das abends dann nur geschäftlich.“
Klaas‘ Herz schlug so laut, dass er ernsthaft Sorge hatte, dass Thomas es hören würde und ihm damit mehr verraten würde, als Klaas in diesem Moment bereit war, zu teilen. Denn was gab es auch schon zu teilen? Er wusste ja selbst nicht, was das mit Joko war. Ob das ein Date war. Ob er überhaupt wollte, dass es ein Date war. Alleine der Gedanke war nach wie vor zu absurd. Obwohl er seit dem Vorabend zweifelsfrei da war, und sich hartnäckig festhielt an seinem Herzen und seinem Verstand. Es wäre so einfach, es einfach zu akzeptieren, wenn es nicht gleichzeitig die Macht hätte, alles zu verändern. Alles zu zerstören, was sie in den letzten Wochen so erfolgreich ins Rollen gebracht hatten. Wäre es das jemals wert, das zu riskieren?
Er spürte, wie sich sein Kopf zu schütteln begann, aber er unterband es, so schnell er nur konnte. Um dem Älteren erst gar keine Chance zu geben, nachzubohren, schob Klaas direkt seine Antwort an Thomas hinterher; auch wenn sie im Grunde gar keine richtige war. „Das tut doch hier gar nichts zur Sache jetz‘.“
Doch Schmitti schien noch lange nicht am Ende zu sein. „Klaas, du hast dem Mann deine Gitarre anvertraut. Du vertraust niemandem deine Gitarre an“, redete er unbeirrt weiter, seine Augen funkelnd; so, als wäre er auf der Suche nach einem Schatz und kurz davor, ihn zu finden.
Der Braunhaarige schüttelte abermals den Kopf, diesmal bewusst und in einer verteidigenden Geste. „Das war im Rahmen eins Fotoshootings. Ich hatte ja wohl kaum eine Wahl.“
„Stimmt. Weil du dich ja nie zur Wehr setzt, wenn dir was gegen den Strich geht.“
Die beiden Freunde sahen sich für einen Augenblick schweigend an; Schmitti immer noch besonnen, während Klaas‘ Herz immer noch viel zu laut hämmerte.
Trotzdem lag in dem herausfordernden Schweigen, ebenso wie in den Worten zuvor, auf beiden Seiten keine Schärfe. Mehr als alles andere wollten sie auf ihre ganz eigene und spezielle Art wohl deutlich machen, dass es okay war und sie sich einander anvertrauen konnten. Nachgewiesenermaßen waren sie jedoch beide noch nie die größten Helden gewesen, wenn es darum ging, über diese Art von Themen zu sprechen, weshalb sie wohl auch an diesem Vormittag mal wieder an der Ehrlichkeit scheiterten.
Klaas entwirrte seine Arme und schüttelte mit einem heiseren Lachen die unnötige Anspannung von seinem Körper ab, und damit auch ein bisschen das Chaos, das in seinem Kopf gewütet hatte. „Wann wurde aus meinem Verhör von dir, dein Verhör von mir?“
Das Lächeln, das zuvor nur angedeutet war, breitete sich nun etwas deutlicher auf Schmittis Lippen aus. „Als du mir unterstellt hast, dass zwischen Katha und mir irgendwas läuft.“
„Schmitti, das war keine Unterstellung, das ist ein Fakt.“
„Ach ja, ist es d—“
Der Dunkelhaarige wurde mitten im Satz von einem Klopfen an der Tür unterbrochen, durch die Katha schon im nächsten Moment ihren Kopf steckte.
„Klaas, Joko ist da“, ließ sie es den Kleineren wissen und die Erwähnung des Namens reichte aus, um dieses vermaledeite Kribbeln in Windeseile in Klaas‘ gesamtem Körper zu verteilen.
Er warf Katha ein kleines Lächeln zu, während er nickte. „Danke dir fürs Bescheid geben. Ich komm‘ direkt mit.“
Danach wandte er sich nochmal seinem Freund zu, dessen Aufmerksamkeit jedoch wenig überraschend nicht mehr auf ihm lag, sondern auf Katha, die immer noch halb in der Tür stand. Er trug ein dümmliches Grinsen im Gesicht und Klaas konnte ein Lachen nur schwer unterbinden.
„Genau das meine ich“, sagte er stattdessen und deutete mit dem Zeigefinger auf ihn.
Anschließend machte er auf dem Absatz kehrt und signalisierte Katha, den Weg zu führen.
Er war schon zur Tür raus, als ihm ein „Und genau das meine ich“ hinterher hallte.
∞
Das taten die Worte auch noch viele Stunden später, nach einem vorzüglichen Abendessen in einem afghanischen Restaurant, von dem Klaas noch nie gehört hatte, und nach anregenden Gesprächen, die von privaterer Natur nicht hätten sein können.
Für eine ganze Weile hatte Klaas es auch tatsächlich geschafft, den Moment zu genießen. Das Essen und die Atmosphäre. Und allen voran natürlich die Zeit mit Joko. Er genoss ihre Konversationen, die nie langweilig zu werden schienen, und all das tat er, ohne es zu hinterfragen oder es zu Tode zu zerdenken.
Das gelang ihm gut.
Bis es das nicht mehr tat.
Weil die Blicke wieder einmal tiefer wurden.
Und die zufälligen Berührungen irgendwann zu lange anhielten.
Und weil er viel zu gerne mit Joko zusammen war und eigentlich nicht wollte, dass das jemals endete.
Wie in diesem Moment, in dem sie in der Dämmerung an der beleuchteten Spree entlang spazierten, und Klaas seinen Blick nicht von Joko abwenden konnte, während der ihm die äußerst herzzerreißende Liebesgeschichte seiner Oma Elsa näherbrachte, die in der Nachkriegszeit den Sohn eines britischen Soldaten kennen- und lieben gelernt hatte.
Klaas genoss es, dem Älteren zuzuhören; lernte dabei nicht nur dessen Familie besser kennen, sondern selbstverständlich auch ihn. Mehr und mehr bemerkte Klaas, wie der andere sprach; bemerkte die Gesten und die Ausdrücke, und die Art, wie er seine Hände dazu nutzte, das Gesprochene noch eindringlicher zu transportieren. Bemerkte, wie dessen Blick manchmal für nur Bruchteile von Sekunden entrückte, während er nachdachte, ohne dabei je komplett den Fokus auf seine Gesprächspartner:innen zu verlieren, oder wie er mit seiner Hand durch seine blonden Haare fuhr, wenn ihm etwas unangenehm war.
Je mehr Zeit Klaas mit Joko verbrachte, desto mehr konnte er all das schon antizipieren; die Blicke und die Gesten und auch seine Reaktionen. Und trotzdem überraschte der Andere ihn auch an diesem Abend immer noch mit neuen Seiten, die Klaas an dessen Lippen kleben ließen. Der einzige Grund, warum er überhaupt nur immer mal wieder kurz weg sah, war jener, dass er nicht wie ein kompletter Creep wirken wollte.
Es war in einem solchen Augenblick, in dem er seinen Fokus kurz von Joko weggelenkt hatte, um durchzuatmen, als er Jokos Hand plötzlich auf seinem Rücken spürte. Ein Stromschlag jagte durch seine Zellen und intensivierte das Kribbeln, das ohnehin schon kaum mehr nicht an jeder Stelle seines Körpers zu sitzen schien. Klaas’ Herz trommelte laut in seinen Ohren und noch bevor seine Aufmerksamkeit zu dem Blonden zurückschnellen konnte, fühlte er auch schon, wie der leichten Druck mit seiner Hand ausübte, um sie beide auf einen abzweigenden Weg zu lenken.
Joko erzählte munter weiter, als würde sich seine Welt gerade nicht auf den Kopf stellen, während Klaas die Sekunden zählte, in denen Jokos Hand noch verweilte, obwohl sie schon auf dem Weg angekommen waren und diesen entlang schritten.
Drei… vier… fünf…
Klaas‘ Herz lief zwei Meter vor ihnen her, während sein Kopf ihn nach all den Wochen der Rationalisierung zu guter Letzt doch in eine einzige, und vor allem sehr eindeutige, Richtung zu drängen schien.
Vielleicht war es an der Zeit.
Sieben… acht… neun…
Vielleicht war es doch endlich an der Zeit.
Elf… zwölf… dreiz—
Der Brünette vermisste den Verlust des Körperkontaktes augenblicklich. Hasste die Leere und verabscheute die Kälte, mehr als er geglaubt hätte, dass er Körperkontakt vermissen konnte.
Ja. Vielleicht war es an der Zeit.
Wenn Klaas es schon Thomas gegenüber nicht hatte zugeben können, so war es vielleicht doch endlich an der Zeit, es zumindest sich selbst einzugestehen.
Zu akzeptieren, was sein rationales Denkvermögen längst begriffen und doch so erfolgreich vor ihm hatte verbergen können.
Vielleicht war es an der Zeit, das Kribbeln, das ihn jedes Mal befiel, und auch in diesem Moment Herz und Bauch aufgeregt flattern ließ, als das hinzunehmen, was es war.
Vielleicht war es nach über zwei Monaten in der Tat an der Zeit, die Wahrheit endlich anzuerkennen, auch wenn sie ihm immer noch eine Heidenangst einjagte, und er immer noch nicht ganz verstand, wie das passieren konnte.
Klaas‘ Blick schweifte zu Joko.
In das Kribbeln mischte sich eine wohlige Wärme, als er den Mann an seiner Seite erneut beobachtete. Ihm zusah, wie er wahrscheinlich immer noch die Geschichte seiner Oma erzählte; und Klaas hörte die Worte, aber konnte ihren Inhalt nicht verarbeiten, weil er zu verloren war in allem, was Joko ausstrahlte, und allem, was ihn selbst das fühlen ließ.
Und verloren in der Empfindung, wie gut sich das alles anfühlte.
Wie gut es sich trotz der Angst anfühlte, hier mit Joko zu sein.
Joko, den er mochte. Den er wirklich sehr, sehr gerne mochte.
Und das war auch nicht mal der überwältigendste Gedanke, von all jenen, die sich gerade in seinem Kopf tummelten wie eine wildgewordene Horde Tiere.
Der überwältigendste war der, dass er nicht wollte, dass das hier einfach nur ein Abendessen und ein Spaziergang war. Er wusste auch irgendwie, dass es das ohnehin nicht war, weil es sich zuvor und in diesem Moment viel zu eindeutig nach mehr anfühlte.
Nein, mehr als das – Klaas wollte, dass das ein Date war.
So viele Zweifel und Unsicherheiten er vor diesem Abend bei diesem Gedanken gehabt hatte, und ihn deshalb lieber in den Untiefen seines Bewusstseins verstaut hatte, so klar und wenig angsteinflößend war er in dieser Sekunde.
Er wollte, dass das ein Date war.
Aber durfte er das auch hoffen?
Noch immer sah er die pure Überzeugung auf Jokos Gesicht, als er ihm vor all den Wochen mitgeteilt hatte, dass er sich nie wieder auf Menschen einlassen würde, mit denen er zusammenarbeitete. Trotzdem war Klaas aber auch die leichte Unsicherheit nicht entgangen, die der Ältere gleichermaßen ausgestrahlt hatte, als er die Worte gesagt hatte.
Doch was dachte Joko dann, was sie hier taten? Traf er sich mit seinen anderen Freundinnen und Freunden auch in dieser Häufigkeit? In dieser Intensität?
Wie sollte Klaas Antworten darauf finden?
Wäre es besser, keine zu haben? Für den Anfang? Vielleicht würde sich sein Kopf ja doch noch dazu entscheiden, dass das alles nicht echt war. Dass er Joko doch nicht mochte. Zumindest nicht auf die Art, die er gerade zu akzeptieren begann. Allerdings erschien ihm die Möglichkeit, Joko irgendwann nicht mehr so zu mögen, gerade in diesem Moment noch absurder, als die Tatsache, dass es so war.
Er mochte Joko. Und vielleicht würde—
Es war erneut Jokos Hand, die das Karussell stoppte, und die ganze Welt mit dazu.
„In welche Sphäre bist du mir denn gerade entkommen?“
Die Hitze des Anderen schien sich an Klaas‘ Schulter durch sein Hemd zu brennen, und das war genug, um ihn aus ebendiesen Sphären zurück in die Gegenwart zu katapultieren.
Eine Gegenwart, in der Joko ihn halb besorgt, halb amüsiert anschaute, und sein Herz damit noch ein bisschen höherschlagen ließ.
„Ich weiß ja, dass Omi Elsa vielleicht nicht so spannend ist… aber ich wollte dich damit nicht einschläfern“, sagte er weiter, klang dabei aber weder enttäuscht noch wütend, sondern hauptsächlich eigentlich belustigt.
„Ich… sorry, Joko. Das war unhöflich von mir. Tut mir leid“, erwiderte Klaas und versuchte dann irgendwie, seinen Kopf geordnet zu bekommen. „Deine Geschichten sind alles andere als einschläfernd, glaub‘ mir.“
Joko schmunzelte leicht und nickte ihm zu, während er die Hand von seiner Schulter nahm. „Magst du erzählen, wohin du gerade abgetaucht bist?”
Sofort kribbelte es in seiner Magengegend wieder auf so eindeutige Art und Weise, dass Klaas gar nicht verstehen konnte, wie er es so lange nicht als das hatte akzeptieren können, was es war, wo es nun so offensichtlich war. Er wollte fast über seine eigene Dummheit – oder Sturheit oder was auch immer es gewesen war – lachen, aber das hätte zweifelsohne zu noch mehr Fragen seitens Joko geführt, auf die Klaas unmöglich Antworten finden würde.
Daher zuckte er nur einseitig mit der Schulter und blickte an Joko vorbei durch den immer dunkler werdenden Park, in dem sie fast alleine waren. „Ich hab‘ nur gerade festgestellt, wie entspannend solche Abendspaziergänge sein können und mich kurz an dieser Tatsache erfreut.“
Der Blonde äugte ihn noch für einen Moment mit prüfender Miene, bevor sein Blick schelmisch zu funkeln begann, wie Klaas feststellte, als seine Aufmerksamkeit zu ihm zurückkehrte. „Liegt bestimmt an meiner beruhigenden Aura“, sagte er mit überzeugter Selbstverständlichkeit, die nach einem lauten Herzschlag ein leises Glucksen aus Klaas trieb.
„Ja genau, das muss es sein. Is‘ die einzig logische Erklärung“, erwiderte der Jüngere, und konnte gegen das Grinsen nicht ankämpfen, das sich einen Weg auf sein Gesicht bahnte.
„Na, etwa nicht?“, fragte Joko andächtig.
„Doch klar, natürlich! Ich würde dir doch nie widersprechen!“, beteuerte der Kleinere.
Das Glitzern in den Augen seines Gegenübers veränderte sich. „Nie nie?“
Schon nach kurzem Überlegen fand der Braunhaarige eine Antwort für Joko. „Das würdest du doch gar nich’ wollen“, sagte er bestimmt, weil er den Blonden mittlerweile eben doch auch ein wenig kannte. „Reicht es nich‘, wenn ich dir in diesem Punkt nicht widerspreche?“
Nachdenklich schob der Größere seine Lippen übereinander, während er kurz nach den passenden Worten suchte. Klaas konnte den Moment auch sehen, als er sie gefunden hatte, denn seine schelmischen Gesichtszüge wurden mit einem Mal deutlich sanfter.
„Doch, eigentlich schon“, stimmte Joko zu, und tippte mit seiner Schulter einmal gegen die von Klaas.
„Na siehste“, erwiderte der Braunhaarige, bevor er den Blickkontakt unterbrach, um sich nach mehreren Minuten des Verlorenseins in Joko zumindest einmal kurz zu orientieren.
„Soll ich die Geschichte von meiner Omi noch zu Ende erzählen?“, durchbrach Joko nach ein paar Metern des Schweigens die Stille.
„Na klar, unbedingt“, animierte Klaas seinen Freund, und schenkte ihm diesmal seine ungeteilte Aufmerksamkeit, während aus der kribbelnden Blase in seinem Bauch immer mehr Schmetterlinge entkamen.
∞
Der Kirchturm irgendeiner Kirche, die Klaas weder kannte, noch interessierte und die nicht einmal sichtbar war, hatte erst vor wenigen Minuten Mitternacht geschlagen, als der Brünette und der Blonde vor Klaas‘ Wohngebäude zum Stehen kamen.
Aus dem „kurzen Beinevertreten nach dem Abendessen“ wurde, ehe sie sich versahen, ein fast zweistündiger Spaziergang vom Potsdamer Platz, über die westliche Ecke des Tiergartens bis nach Kreuzberg. Dass es sich allerdings trotzdem nach nur einem sehr, sehr kurzen Beinevertreten angefühlt hatte, erklärte sich der Jüngere hauptsächlich damit, dass sich das Raum-Zeit-Kontinuum unter dem Gewicht seiner Erkenntnisse gekrümmt haben musste und die Zeit deshalb doppelt so schnell vergangen war. Wie sonst hätte ein kompletter Abend einfach vorbeiziehen können?
Das Gewicht seiner Erkenntnisse lastete immer noch auf ihm, aber während er Joko nun gegenüberstand und ihn anschaute, fühlte er sich trotz seiner Unsicherheiten und Ängste seltsamerweise leicht und befreit.
Zumindest optisch wirkte auch der Blonde so, mit seinem sanften Lächeln, den funkelnden Augen und den leicht verwuschelten Haaren, durch die sich der Ältere während ihrer gemeinsamen Zeit mehrmals mit seinen Händen gefahren war.
Klaas‘ Augen blieben noch für einen Moment an seinem wilden Haarschopf hängen, bevor er erneut dessen Blick einfing und ihm ein kleines Lächeln zuwarf. Er wusste nicht so recht, was er sagen sollte, und der Blonde schien damit zufrieden zu sein, ihn einfach nur anzugucken.
Die Ruhe zwischen ihnen und um sie herum war nicht unangenehm, und je länger sie anhielt, desto mehr fühlte es sich an, als wären die beiden komplett allein auf der Welt. Es legte sich eine ungewohnte Spannung über sie, die Klaas eine leichte Gänsehaut über den Rücken jagte. Die Härchen an seinen Armen drückten gegen den Stoff seines Hemdes, und er war irgendwie froh, dass Ärmel sie bedeckten, und sein kleines Geheimnis so gewahrt werden konnte.
Um sich selbst davon abzulenken, und auch ein bisschen, weil er die Ruhe und das Kribbeln irgendwann nicht länger aushalten konnte, war er es, der ihre Stille schließlich wieder etwas lauter werden ließ.
„Danke, dass du den ganzen Weg bis hierher mitgekommen bist. Das wär‘ wirklich nich‘ nötig gewesen.“
„Weiß ich doch. Aber ich hätt’s auch nicht gemacht, wenn ich nicht gewollt hätte“, erwiderte der Blonde mit einem versichernden Lächeln.
Die Aufmerksamkeit des Anderen ruhte unverrückbar auf Klaas, und der begann unauffällig mit seinen Händen gegen seine Oberschenkel zu klopfen, um irgendwie der Energie Herr zu werden, die durch ihn vibrierte.
„Das nächste Mal laufe ich dann auch gerne mit dir bis nach Charlottenburg“, sagte der Brünette, und versuchte damit, auch seine Gedanken auf Trab zu halten.
Joko hielt kurz inne und fuhr sich wieder einmal geistesabwesend durch seine Haare. Schon kurz darauf wurde sein Lächeln zu einem breiteren Grinsen. „Heißt das, wir machen sowas mal wieder?“
Fast wäre die Nachfrage, was genau Joko mit „sowas“ meinte, über Klaas‘ Lippen gehüpft, doch sein Kopf hatte seine Stimmbänder fest im Griff und hielt die Frage erfolgreich zurück.
Zumindest diesen einen Abend wollte Klaas noch genießen. Zumindest diesen einen Abend wollte er sein Leben noch nicht in völliges Chaos stürzen. Nur diesen einen Abend wollte er so tun, als würde das hier alles Sinn ergeben und als würde alles gut werden.
Alles andere konnte bis morgen warten.
Jokos Augen waren offen und neugierig, und auf seiner Stirn bildeten sich kleine Wellen, während er auf eine Antwort von Klaas wartete, auf eine Frage, die der Jüngere beinahe vergessen hätte.
Er räusperte sich kurz, nicht, weil sein Hals besonders trocken war, aber weil sich dort all seine Gedanken und Emotionen zu einem Ballen vereint zu haben schienen, den er nicht hinunterschlucken konnte. „Ja, sicher. Warum nicht?“, sagte er in einem Tonfall, als wäre es das Klarste auf der Welt. „Spricht aus meiner Sicht nichts dagegen. Aus deiner etwa?“
Für seine Antwort braucht der Blonde nicht einmal den Bruchteil der Bedenkzeit des Jüngeren. „Absolut gar nichts.“
In Klaas‘ Brustkorb begann es noch ein bisschen aufgeregter zu poltern, als Jokos Eindringlichkeit durch ihn pulsierte.
Stille umgab sie erneut.
Und trotzdem hallte es laut und klar im Kopf des Brünetten.
Dieser Takt.
Und die Melodie.
So viel lauter und greifbarer als jemals zu vor.
Wie eine Decke breitete sie sich in ihm aus. Die Melodie, die jedes seiner Atome tanzen ließ. Die Musik, die so neu, und gleichzeitig doch so vertraut war. Als wäre sie schon immer da gewesen, ein Teil von ihm, nur um sich nun in all ihrer Schönheit zu entfalten.
Mit Tönen, die Klaas noch nie gehört hatte, und die er doch nie mehr ziehen lassen wollte.
Sie war so laut, diese Melodie, dass Klaas kurz glaubte, Joko würde sie hören können.
Wollte, dass er sie hörte, weil sie so unglaublich schön war.
Klaas‘ Herz schlug in diesem Takt, der nicht seiner war, und dem er sich doch immer leichter und schneller anzupassen vermochte.
Er hätte auf der Stelle lossingen können, verspürte den Drang es zu tun fast überwältigend stark, und war doch verwoben in diesem Moment mit Joko, der alle anderen Gehirnwindungen verknotete, die nicht mit ihm und dieser Melodie verbunden waren.
Irgendwann war es Jokos weiche Stimme, die sich klangvoll mit der Melodie in Klaas‘ Kopf vereinte, obwohl er die Worte sogleich auch am liebsten ignoriert hätte.
„Also ich… ich sollte dann mal… mein Wecker geht in viel zu wenigen Stunden“, erklärte der Blonde mit einem entschuldigenden Blick.
„Na klar… is‘ ja auch schon echt spät jetzt“, entgegnete Klaas und verlagerte nach einer gefühlten Ewigkeit des Stillstandes sein Gewicht auf das andere Bein. „Soll ich dir ‘n Taxi rufen?“
„Ne, du. Alles gut. Ich nehm‘ mir da vorne an der Kreuzung ‘n E-Roller. Damit geht’s am schnellsten“, winkte Joko den Vorschlag des Braunhaarigen ab.
Auch der Größere bewegt sich nun zum ersten Mal und kam in der Bewegung noch ein paar Zentimeter auf Klaas zu. Seine leuchtenden Augen lagen abermals ruhig und eindringlich auf ihm und machten es dem Jüngeren schwer, normal weiteratmen zu können. Ganz besonders, als Joko erneut zu sprechen begann.
„Darf ich…“, sagte er, presste die Lippen dann aber nochmal zusammen, ehe er einen zweiten Anlauf startete. „Darf ich dich in den Arm nehmen?“
Das Bedürfnis genau das zu tun, schob für einen Augenblick alles andere beiseite, und statt etwas zu sagen, nickte Klaas einfach nur. Vielleicht war es ohnehin besser, für den Moment nicht auf seine Stimmbänder zu vertrauen, da sie, genauso wie jeder andere Muskel, gerade innerlich zu vibrieren schienen.
Joko zögerte nicht lange, schloss mit einem halben Schritt die Lücke, die sie trennte, und schlang seine langen Arme um den Körper des Kleineren.
Klaas hielt inne.
Hörte das Rauschen in seinen Ohren.
Spürte die Wärme, die ihn umgab.
Und dann dauerte es keinen weiteren Herzschlag lang, bis Klaas nach achtunddreißig langen Jahren endlich den Hype um Umarmungen begriff. Es dauerte keinen Herzschlag lang, bis sich Jokos Wärme in ihn verirrte und bis sich seine Geborgenheit um ihn legte wie ein schützender Kokon. Es dauerte keinen Herzschlag lang, bis Klaas Jokos Wange an seiner Schläfe spürte, und keinen Herzschlag lang, bis Klaas auch seine Arme um Joko legte und sich gegen ihn sinken ließ. Es dauerte auch danach keinen Herzschlag lang, bis Joko ihn noch ein bisschen fester hielt, und nur einen weiteren, bis Klaas Jokos Hand in seinem Nacken fühlte.
Erneut jagte ihm dieser Mann eine Gänsehaut über den Rücken, und sein Kopf war Chaos und absolute Ruhe zugleich. Mehrere Male atmete Klaas tief ein und wieder aus, sog diesen markanten Duft in sich auf, den er schon zu gut kannte und viel zu sehr mochte. Ließ sich von ihm und von Joko und allem, was dieser ausstrahlte, einhüllen und einlullen.
Alles um sie herum wurde still; selbst der Straßenlärm, der sie bis vor kurzem noch auf ihrem Weg begleitet hatte. Der Musiker hörte nur noch das Pochen in seinen Ohren und den ruhigen Atem seines Freundes, der tief und gleichmäßig über die Seite seines Kopf streichelte. Wieder. Und immer wieder. Bis sich Klaas beinahe einbilden konnte, dass es nicht dessen Atemzüge, sondern seine Hand war, die ihn berührte.
Vielleicht war die Welt stehen geblieben.
Vielleicht drehte sie sich auch in doppelter Geschwindigkeit weiter.
Klaas vermochte es nicht zu sagen.
Doch in beiden Fällen endete die Umarmung zu schnell. Und der Kleinere stellte mit Erschrecken fest, dass es nicht einmal er gewesen war, der den Körperkontakt beendet hatte. Stellte auch mit Erschrecken fest, dass da zu keiner Sekunde das Bedürfnis gewesen war, sich zurückzuziehen oder davonzulaufen, und es war eine weitere welterschütternde Erkenntnis auf einem Berg von welterschütternden Erkenntnissen an diesem Tag.
Wenn überhaupt möglich, war Jokos Lächeln noch ein wenig weicher, als er seinen Kopf leicht zurückzog, seine Arme aber noch auf Klaas‘ Schultern ruhen ließ.
„Vielen Dank für den schönen Abend, Klausi“, sagte er, obgleich die Lautstärke eher einem Flüstern gleichkam.
„Danke dir für die Einladung. Und den ganzen Rest“, antwortete Klaas und seine Stimme war vielleicht auch etwas belegter als sonst. Er war sich nicht ganz sicher, da sein Blut immer noch zu sehr durch seine Ohren rauschte.
Joko streichelte mit beiden Händen noch für einen kurzen Moment über Klaas‘ Oberarme und brachte den Jüngeren damit fast zum Erzittern, ehe er seine Arme zurück an seine Seiten fallen ließ.
„Wir hören uns morgen, ja?“, fragte Joko und machte dabei schon einen Schritt von Klaas weg.
„Ja, machen wir. Aber schreibste mir bitte auch noch, wenn du Zuhause angekommen bist?“
„Natürlich“, antwortete Joko mit einer zusätzlichen Prise Wärme in seinen dunklen Augen.
Sie nickten sich beide abschließend zu und Klaas schaute Joko mit trommelndem Herzen hinterher, bis dieser um die nächste Straßenecke verschwunden war.
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bin zuhause. lieben dank nochmal
für alles. sweet dreams.
0:51 Uhr
ich danke dir :) schlaf gut, joko
0:53 Uhr
0:53 Uhr
Erleichtert und todmüde legte der Braunhaarige sein Handy beiseite und ließ sich erschöpft in sein flaches, aber flauschiges Kissen sinken.
Noch für einen Augenblick schaute er gedankenverloren an die weiße Decke über ihm, und seine Gedanken kreisten um das wohlige Gefühl, das Jokos Arme in ihm ausgelöst hatten.
Schon wenig später waren es genau diese Empfindungen, die Wärme und die Geborgenheit, die Klaas mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen schließlich in einen tiefen und geruhsamen Schlaf fallen ließ, in dem nur Joko und er existierten.
Und keine vermaledeiten No-Dating-Regeln.
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