Deine Melodie in mir
von AlwaysKlako
Kurzbeschreibung
Musik war das Einzige, was Klaas jemals machen wollte. Der große Durchbruch jedoch, der schien nach über zehn Jahren im Business weiter entfernt, als jemals zuvor. Dann lernt der Musiker auf einem Event den charismatischen Joko Winterscheidt kennen, der ihn in seinen Bann zieht und der die Erfüllung von Wünschen und Träumen zu versprechen scheint, von denen Klaas gar nicht wusste, dass er sie hegte. [AU]
GeschichteRomance, Liebesgeschichte / P18 / MaleSlash
Joachim "Joko" Winterscheidt
Klaas Heufer-Umlauf
12.06.2022
05.02.2023
35
188.600
75
Alle Kapitel
231 Reviews
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Dieses Kapitel
6 Reviews
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12.06.2022
4.527
Hallo ihr Lieben,
und das herzlichste Willkommen zu meiner neuen Geschichte. Ich bastle schon seit ein paar Wochen hier dran, hatte allerdings immer noch auf den richtigen Moment gewartet, Kapitel 1 zu posten. Aber welcher Moment könnte besser sein als das 13-jährige Jubiläum von Joko und Klaas? Happy Anniversary goes out to our favorite Dullies <3
Mit dieser Fic wage ich das erste Mal den Schritt in die AU-Welt und ich bin ein bisschen nervös, muss ich gestehen. Bisher hatte ich mir das für mich nie vorstellen können, irgendwann mal eine AU zu schreiben, aber die vielen tollen AUs, die ich hier bisher gelesen habe, haben mich irgendwie neugierig gemacht, es selbst einmal zu versuchen. So here we are now.
Ich werde wieder versuchen jeden Sonntag ein neues Kapitel zu posten und es ist genug vorgeschrieben, sodass das funktionieren sollte :)
Das Ganze hier wird eher wieder in die RomCom-Richtung gehen, aber der Vollständigkeit halber trotzdem eine kurze Warnung: es wird Alkohol erwähnt, sowie überwundene Depressionen, es wird vielleicht geflucht werden und Sex wird es auch geben. Nichts davon wird eine große Rolle spielen und nur am Rande erwähnt werden (außer der Sex, der wird nicht nur ein Nebensatz sein), aber wenn du denkst, dass das nichts für dich ist, dann wird diese Geschichte wahrscheinlich auch nichts für dich sein :)
Ansonsten würde ich mich unverhältnismäßig freuen, wenn ihr mit mir auf ein weiteres Abenteuer kommen würdet <3
Last but not least: das fetteste Dankeschön geht jetzt schon an Kismet, die diesem Hirngespinst wieder einmal den Feinschliff gibt, das alles hier lesbar zu machen. <3 <3
Alles Liebe und einen schönes Sonntag!
Eve
P.S.: Joko, Klaas und alle anderen Menschen aus dem engeren oder erweiterten Florida-Kosmos gehören sich selbst, das hier ist alles, mehr denn je, frei erfunden.
Mit einem ruckelnden Knarzen fiel die schwere Eisentür der Bar ins Schloss. Nur ganz dumpf hallte der vibrierende Beat der Musik aus dem Inneren des Gebäudes über den bunt beleuchteten Hinterhof, ehe der Klang wie Rauch im Nachthimmel verpuffte.
Klaas hielt die Luft an und lauschte, ob er alleine war. Erst als er sich von der Verlassenheit des Ortes überzeugt hatte, lehnte er sich mit einem tiefen Seufzen gegen die kühle Hauswand und streckte sein Gesicht in den lauen Frühlingsabend. Eine leichte Brise wehte ihm um die Nase, während er seine Augen schloss und mehrere Male tief ein- und wieder ausatmete. Der sanfte Wind kühlte seine Stirn und Wangen, auf der sich unter dem berauschenden Einfluss von Adrenalin und Endorphinen erneut eine dünne Schweißschicht gebildet hatte, obwohl er sie sich gerade auf der Bühne noch ganz Rockstar-mäßig mit einem weißen Handtuch abgewischt hatte.
Noch vor einem Jahr hätte der Musiker sich in diesem Moment eine Zigarette angezündet. Hätte das Nikotin dafür sorgen lassen, dass es ihn beruhigte und herunterkommen lassen würde von diesem unvergleichbaren High, das er immer nach erfolgreich abgeschlossenen Konzerten verspürte. Der Drang war auch nach wie vor immer noch da; die Gewohnheit zwar abgelegt, aber das Flimmern der Sucht ein konstanter Begleiter in aufwühlenden Momenten, wie diesen. Manchmal fragte er sich, wieso er überhaupt damit aufgehört hatte, wo ihm die „Zigarette danach“ doch immer genau die Art von Ruhe gebracht hatte, die er sonst in seinem Leben manchmal vermisste. Dann jedoch erinnerte er sich meistens daran, wie düster seine Gedanken und sein Leben noch vor einem Jahr gewesen waren, und warum kein Weg daran vorbeigeführt hatte, seinen Gedanken und den Glimmstängeln den Kampf anzusagen.
Klaas seufzte abermals und lehnte dann auch noch seinen Kopf gegen die Wand. Mehrere langgezogene Atemzüge flossen von seinen leicht geöffneten Lippen, und mit ihnen auch langsam die Anspannung des Abends. Eine Anspannung, die er ohnehin immer gar nicht wirklich nachvollziehen konnte, da er es ja liebte, auf der Bühne zu stehen. Musik zu machen. In die euphorischen Augen seiner Fans zu schauen, die grölten und klatschten und tanzten. Er liebte es, zu singen und seiner Gitarre die schönsten Töne zu entlocken, und noch mehr liebte er es, von seinen meist weiblichen Bewunder:innen dafür gefeiert zu werden.
Das war alles, was er jemals gewollt hatte.
Seine Musik.
Seine Gitarre.
Die Bühne.
Seit er zwölf war und sein Vater ihn zu einem Bryan Adams-Konzert mitgenommen hatte, hatte er gewusst, was er wollte.
Nämlich genau das, was er hatte.
Seine Musik. Seine Gitarre. Die Bühne. Und viele loyale Anhängerinnen und Anhänger, die mit ihm durch dick und dünn gingen. Er konnte gut davon leben. Von dem, was er tat. Von seinen jährlichen Touren durch die kleineren Konzertsäle und größeren Bars Deutschlands, und von seinen Fans, die ihm treu überall hin folgten und ihn feierten. Einige kannte er mittlerweile sogar beim Namen, weil sie seit Jahren schon da waren und nicht nur einzelne Konzerte besuchten, sondern teilweise gar mit ihm über mehrere Wochen durch Deutschland reisten. Zum Glück übertraten diese ganz besonders engagierten Fans dabei nur sehr selten jene Grenzen, die Klaas nicht müde wurde, immer wieder zu ziehen, und er wusste es stets zu schätzen, dass dieser respektvolle Umgang miteinander existierte, weil er auch wusste, dass es nicht selbstverständlich war. Auch das wurde er im Gegenzug nicht müde auf all seinen Konzerten zu betonen, denn er wollte alles dafür tun, dass seine Community diese respektvolle und sichere Blase blieb, die sie war. Für die Klaas jeden Tag unendlich dankbar war.
Und trotzdem—
Schreck durchfuhr ihn wie ein Stromschlag, als die knirschende Eisentür neben ihm aufgeschoben wurde. Klaas‘ Augen schnappten auf und sein Kopf fiel zur Seite, wo schon der blonde Schopf seines Tontechnikers Frank Sump auf ihn wartete.
„Wir sind fertig, Boss“, sagte sein treuester Begleiter und warf ihm ein schiefes Lächeln zu.
Mit einem kaum hörbaren Aufstöhnen stieß Klaas sich von der Wand ab und drehte sich anschließend dem jungen Mann zu. „Franky, wie oft hab‘ ich dir schon gesagt, du sollst mich nich‘ ständig Boss nennen?“
„Jeden einzelnen Tag der letzten sieben Jahre?“ Die blauen Augen des Jüngeren funkelten im Licht der Neonröhre, die über ihm hing. „Ungefähr.“
„Und wie lange wollen wir dieses Spiel noch spielen?“, fragte Klaas und machte einen Schritt auf ihn zu.
„Wie lange wird’s noch dauern, bis du aufgibst?“, konterte der andere und schob dabei die Tür noch ein bisschen weiter auf.
„Du weißt doch, dass ich nich‘ gern verlier‘.“ Klaas’ Lippen zuckten verräterisch, aber er versuchte, seinen Ausdruck so ernst zu halten, wie er nur konnte, als er noch einen Schritt auf ihn zuging und nach der Türklinke griff. „Also niemals.“
„Dann kennst du ja meine Antwort, Boss.“ Noch während Frank sprach, machte er den Eingang frei, aber sein schelmischer Blick verharrte weiter auf Klaas.
Von dem bekam er als Antwort nur noch ein theatralisches Stöhnen und ein ebenso theatralisches Kopfschütteln, was bei dem Jüngeren zu einem kurzen, aber herzhaften Glucksen führte, ehe er sich umdrehte und sie beide den Weg durch den dunkelbeleuchteten Gang entlangführte.
Klaas folgte seinem Freund und Kollegen, der schon seit so vielen Jahren dafür sorgte, dass seine Musik hörbar wurde. Er hatte in all den Jahren, in denen er schon auf der Bühne stand, nie einen talentierteren Menschen an den Knöpfen und Reglern der Mischpulte dieser Nation getroffen als ihn und auch ihm war er unendlich dankbar für alles, was er tat, auch, wenn er ihm das viel zu selten sagte.
„War wirklich nochmal ein mega Gig heute zum Abschluss, Klaas“, durchbrach Frank die Stille zwischen den beiden, als sie in einem der Nebenräume angekommen waren, in den die Crew das Equipment gebracht hatte.
Ihre Ausrüstung war an diesem Tag stark dezimiert, wie Klaas feststellte, was hauptsächlich darauf zurückzuführen war, dass sie für das Ende der diesjährigen Tournee einen ganz besonderen, intimen Abend geplant hatten. Nur seine Akustikgitarre, ein Mikrofon und er. In seiner Heimat Berlin. In der Bar, in der vor all den Jahren dieses verrückte Abenteuer angefangen hatte. Damals wie heute gefüllt mit seiner Familie und Freundinnen und Freunden. Und mit den treuesten seiner Fans, die ihm wieder einmal gezeigt hatten, warum er nach wie vor auf der Bühne stand und seine Leidenschaft mit ihnen allen teilte.
Und doch—
„Nein, ehrlich. Kannst echt stolz auf dich sein, mein Freund“, zog ihn die Stimme des anderen zurück in den Raum, bevor er seinen Gedanken hatte zu Ende denken können.
„Danke dir, Franky.“ Klaas nickte ihm mit einem sanften Lächeln zu und ging mit zwei Schritten hinüber zu seiner Gitarre, die noch auf dem Gitarrenständer vor einem Tisch stand. „Aber du weißt ja, ohne dich wär‘ ich nix.“
In just dieser Sekunde öffnete sich die Tür des angrenzenden Badezimmers und der Musiker blickte mit weit aufgerissenen Augen und mit zitterndem Herz zur Seite.
„Hey, das habe ich gehört“, polterte der Neuankömmling und stellte sich mit verschränkten Armen in den Raum.
„Katha, ey!“, presste Klaas hervor und atmete einmal tief durch, um sein Herz wieder zu beruhigen. „Willst du mich umbringen?“
Anstatt etwas zu sagen, starrte die junge Frau ihn nur erwartungsvoll an.
„Ohne dich wäre ich natürlich noch viel weniger als nix, das versteht sich ja wohl von selbst“, sagte er kurz darauf und augenblicklich entspannte sich die Haltung seiner Managerin, die das offiziell eigentlich nicht war, aber am Ende irgendwie doch.
Denn sie managte alles, was Klaas überforderte, und das war außer dem Musizieren zwischenzeitlich so ziemlich alles. Zumindest hatte sich das so entwickelt, nachdem Katha vor mehreren Jahren die Organisation seiner Tourneen übernommen hatte. Mittlerweile kümmerte sie sich eigenständig um das Buchen der Locations und die Planung der kompletten Reisen, und das alles machte sie neben ihrem anderen Teilzeitjob als Bookerin in der Produktionsfirma seines besten Freundes. Trotzdem war sie immer für den Musiker erreichbar, wenn irgendetwas schieflief oder er last minute wieder irgendwelche verrückten Ideen hatte, die nur sie noch auf magische Weise auch in kürzester Zeit umsetzen konnte.
Klaas übertrieb nicht, wenn er sagte, dass er ohne Katha und Frank nichts wäre, weil sie in der Tat maßgeblich dazu beitrugen, dass er das machen konnte, was er machte, und das auf dem Level, auf dem er es tat. Sie würden beide schmerzlich fehlen, wenn sie irgendwann entscheiden würden aufhören zu wollen und Klaas hoffte, dass dieser Tag noch in weiter Ferne lag. Auch, da sie ihm schon lange nicht mehr nur fehlen würden, weil sie sein berufliches Schaffen so gut im Griff hatten, sondern viel mehr noch, weil die beiden zu vertrauten Freunden und sowas wie Familie geworden waren.
„Gerade nochmal die Kurve gekriegt, Klaasibert“, sagte Katha, während sie ihr Handy aus ihrer Hosentasche friemelte und einen prüfenden Blick drauf warf. „Unser Uber kommt in 20 Minuten“, stellte sie nach wenigen Sekunden fest und sah wieder auf zu Klaas und Frank. „Schaffen wir das?“
„Klar“, versicherte der Blonde umgehend und deutete mit seinem Finger auf das Equipment. „Ich hab‘ alles soweit verpackt und bringe es gleich raus.“
„Ich muss auch nur noch mein Baby verstauen. Dann kann’s losgehen.“ Ohne weitere Umschweife griff Klaas anschließend vorsichtig nach seiner Gitarre und hievte sie aus dem Ständer.
„Na, noch nicht ganz“, entgegnete die junge Frau mitten in seiner Bewegung, während sie ihr Handy wieder sicher verstaute. „Du wolltest doch noch ‘ne Story für Instagram aufnehmen?“
Klaas blickte zu ihr, dann auf seine Gitarre und wieder zurück. Er nickte zustimmend, ehe er seine kobaltblaue Yamaha beinahe schon liebevoll in den Gitarrenkoffer platzierte und seinen Finger nochmal über den kleinen Erdball streichen ließ, der auf dem unteren Ende des Korpusses zwischen silbernen Sternen gemalt war. Die sanften Wellen unter seinen Fingerkuppen fühlten sich weich und vertraut an, und ein Gefühl der Wärme verteilte sich in seinem Körper, das alle anderen Emotionen des Abends für den Moment überdeckte.
Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, während er sein eigenes Smartphone aus seiner Hosentasche zog.
„Du hast - wie immer - natürlich vollkommen recht“, sagte er und wedelte dabei einmal mit dem Telefon zwischen ihnen.
„Siehst du. Was würdest du nur ohne mich tun?“ Die Dunkelhaarige zog eine Augenbraue über den Rand ihrer schwarzen Brille.
„Heut biste aber besonders bedürftig nach Bestätigung, oder?“, konterte Klaas mit einem ganz ähnlichen Ausdruck auf seinem Gesicht. Minus der Brille, denn die schlummerte wie immer in den unendlichen Tiefen seines Rucksackes, von wo aus sie nur in äußersten Notfällen befreit wurde. Was die Aufnahme einer kleinen Grußbotschaft für Social Media selbstverständlich ganz und gar nicht war.
Mit drei gezielten Wischern über den Bildschirm seines Handys öffnete er die App und mit einem weiteren Fingerdruck betätigte er auch schon gleich die Kamera. Wo er sonst Ordnung und einen Plan liebte, bevorzugte er es über dieses Medium stets spontan und ungefiltert zu sein.
Und mit ebendieser Spontanität plapperte er auch direkt drauf los. „Hallooo, ihr Mäuse, und Grüße aus der Garderobe“, begann der Brünette überschwänglich und drehte sich dabei langsam einmal im Kreis.
„Es ist vollbracht, und eine weitere Tour geht hiermit zu Ende. Ich wollte die Gelegenheit gerne noch kurz nutzen, um mich bei allen zu bedanken, die heute bei diesem besonderen Abend dabei waren. Und natürlich auch bei all jenen, die in den letzten Wochen und Monaten am Start waren. Es war mir ein Fest.“
Als Klaas sich erneut in Bewegung setzte, fing er mit seiner Kamera nun auch Franky ein.
„Dir war’s doch auch ‘n Fest, oder, Franky?“, fragte Klaas den Tontechniker durch die Linse hindurch.
„Wie immer, mein Freund“, antwortete der andere und winkte in Richtung des Handys, ehe er sich einen der großen Koffer schnappte und durch die Tür verschwand.
„Wortgewandt wie eh und je, unser Franky“, stellte Klaas schmunzelnd fest und widmete seine Aufmerksamkeit wieder ausschließlich seinem Mobiltelefon.
„Für mich geht’s jetzt erstmal in die Sommerpause, wie ihr wisst. Da werd‘ ich mich ‘n bisschen kreativ austoben und hoffentlich ‘n paar neue Songs schreiben. Und es wartet auch noch ‘n anderes spannendes Projekt, von dem ich euch erzählen werde, sobald ich darf.“
Mit dem nächsten Schritt, den er tat, wandte er sich an Katha, die sich wie immer im Hintergrund hielt, aber auch nie etwas dagegen hatte, wenn Klaas sie doch einmal dazu nötigte, ihr Gesicht zu zeigen.
„Und wir zwei werden natürlich in den kommenden Monaten die nächste Tour planen, mit der wir im Herbst wieder on the road sein werden.“
Auf dem Bildschirm konnte der Musiker sehen, wie seine Kollegin abermals die Augenbraue hob, aber ihre Lippen verzogen sich in ein verschmitztes Grinsen.
„Also Katha plant natürlich. Und ich werde mich fügen. So wie das immer bei uns läuft“, stellte Klaas klar.
Die Dunkelhaarige lächelte zufrieden und winkte, ähnlich wie Franky zuvor, in die Kamera. „Ich freu mich schon darauf, ein neues Abenteuer zu planen.“
„Und ich mich erst“, stimmte er zu, und ignorierte dabei geflissentlich das eigentlich nicht zu ignorierende Ziehen in seiner Magengrube, das da erneut kurz aufflackerte. „Weil das jedoch noch ’n bisschen dauern wird, sei an dieser Stelle nochmal erwähnt, dass ich im August aufm BlueLake Festival im Allgäu auftreten werde, und im September dann aufm Starlight Festival in Brandenburg. Tickets gibt’s noch für beide Veranstaltungen, soweit ich informiert bin, und ich würd’ mich freuen, ein paar von euch dort zu sehen.“
Mit laufender Kamera marschierte der Brünette zu dem Tisch, auf dem sein Instrument schlummerte. „Ansonsten nehm‘ ich euch hier natürlich weiterhin mit, und ihr werdet nichts verpassen, versprochen. Nur für heute soll es das jetz‘ erstmal gewesen sein“, sagte Klaas schließlich, und tippte mit seiner freien Hand einmal gegen den Deckel des Gitarrenkoffers, der daraufhin zufiel. „Danke nochmal an euch alle für euren Support. Ihr seid die beste Crew, die man sich wünschen kann.“ Er setzte sich sein glücklichstes Lächeln auf und strahlte in sein Handy. „Alles Liebe, alles Gute. Euer Klaas.“ Dann nickt er und winkte, und ließ schließlich den Aufnahmeknopf los, bevor er mit ein paar letzten, gezielten Fingerbewegungen das Video online stellte.
„Wunderbar“, stieß Katha aus und klatschte ihre Hände zweimal zusammen. „Dann sind wir ja jetzt wirklich fertig.“
„Sind wir“, bestätigte der Ältere, während er sein Handy verschwinden ließ. Im Anschluss verschloss er den Gitarrenkoffer und hob ihn vorsichtig vom Tisch, gerade, als Franky zurück in den Raum kam.
Mit vereinten Kräften schufen sie den Rest des Equipments nach draußen, wo schon das halb-beladene Auto eines Kollegen von Franky auf sie wartete. Die drei waren gerade damit fertig geworden, alles sicher zu verstauen, als ein schwarzer Mercedes in den Innenhof rollte.
„Das ist unser Uber“, erklärte Katha und machte sich auch direkt auf den Weg zu dem Auto.
Franky gab noch letzte Anweisungen an seinen Kollegen, ehe er die Beifahrertür zuwarf. Gemeinsam liefen Klaas und der Blonde ebenfalls zu dem dunklen Gefährt, und keine fünf Minuten später schlängelten sie sich durch die Berliner Nacht, die sie dunkel und doch hell erleuchtet umgab.
Franky und Katha unterhielten sich aufgeregt über die anstehenden Pläne, nun, da sie sich für eine Weile wieder um ihre eigenen Aufgaben kümmern konnten. Nur bruchstückhaft nahm Klaas Fetzen ihrer Erzählungen wahr; sein Körper zu gefangen zwischen der Vorfreude, seine Familie in wenigen Minuten wiederzusehen und dem Drang, ins Bett zu fallen und drei Tage durchzuschlafen. Sein Blick glitt nach draußen, aber mehr als einen schwarz-bunten Strudel konnte er nicht ausmachen, während seine Gedanken wild zwischen den vergangenen Monaten und kommenden Wochen hin und her sprangen.
Da waren Bilder eines ganz ähnlichen Momentes, von vor noch gar nicht allzu langer Zeit, die sich dennoch nach einer Ewigkeit anfühlte, als er vergangenen Oktober ebenfalls des nächtens gen Süden Deutschlands aufgebrochen war, zu seiner ersten Tournee-Station in München. Da waren Bilder eben jenes ersten, aufregenden Konzertes, und Dutzende weitere Bilder von all den darauffolgenden Abenden, die er auf der Bühne und mit seinen Fans verbracht hatte. Bilder von bunten Lichtern und lauter Musik. Von tanzenden Menschen und frenetischem Applaus. Er sah sich selbst auf der Bühne, glücklich und zufrieden und einfach zu eintausend Prozent in seinem Element.
Gleichzeitig waren da auch viele Bilder von Abenden, an denen er alleine an der Bar gesessen und ein Glas Bier getrunken hatte, und Erinnerungen an die vielen einsamen Nächte in kalten Hotelbetten, die er stets am meisten hasste, die aber seinem Verständnis nach dazu gehörten, dieses Leben führen zu dürfen. Und zum Glück waren da auch unendlich viele Bilder voller Euphorie und Glück, von seinem Traum, den er lebte, und von strahlenden Augen und ekstatischen Gesichtern, die jeglichen Anflug von negativen Gedanken im Keim erstickten.
Da waren auch schemenhafte Visionen von anstehenden Besuchen im Aufnahmestudio seines besten Kumpels, wo er schon in Kürze zum dritten Mal einen Animationsfilm würde vertonen dürfen; eine Aufgabe, die er erst vor kurzem für sich entdeckt hatte, und die ihm unglaublich viel Freude bereitete. Und da waren auch Visionen von einem ganz ähnlich aussehenden Tonstudio, wo er später im Jahr hoffentlich neue Musik würde produzieren können. Schon seit Tagen waberten neue Melodien durch seinen Kopf, vermischten sich mit Worten und Emotionen, die er kaum abwarten konnte, zu Papier zu bringen, sobald in den kommenden Tagen und Wochen etwas Ruhe einkehren würde.
Da waren so viele Highlights, auf die er zurückblicken konnte.
So viele Highlights, auf die er sich freute.
Und dennoch—
Mit einem so abrupten Halt, dass es Klaas kurz nach vorne und gegen den schwarzen Gurt drückte, kam der Mercedes vor ihrem Ziel zum Stehen, und die ältere Dame, die sie gefahren hatte, sah den Musiker mit einem weißen Lächeln musternd an.
„Sach’ mal… Du bist doch Klaas, oder?“, fragte sie schließlich nach mehreren Sekunden des Schweigens.
Klaas zuckte innerlich überrascht zusammen. Außerhalb seiner Konzerte kam es sonst nur selten vor, dass ihn jemand erkannte, und die Fahrerin sah auf den ersten Blick auch nicht wie jemand aus, die seine Musik mögen könnte.
Mit einem zögerlichen Nicken bestätigte er die Frage der Frau, bevor er das auch mit Worten tat. „Ja, das bin ich wohl.“
Die dunklen Augen der Dame begannen augenblicklich zu strahlen. „Meine Enkeltochter vergöttert dich. Die spricht seit ‘nem Jahr von nichts anderem.“
Diese Worte brachten auch Klaas zum Strahlen, während er die Frau aufmerksam beobachtete. „Ach, das is’ aber lieb. Wie heißt sie denn?“
„Marie, heißt se. Me’n kleena Engel.“
Ein Lächeln legte sich auf das Gesicht des Musikers. „Dann grüß’ Marie bitte von mir, ja?“
„Dett mach ick“, versprach die Grauhaarige, bevor sie sich kurz auf die Unterlippe biss. „Oder… oder könnt‘ ick vielleicht ‘n Autogramm für sie kriegen?“
„Aber klar, gerne“, antwortete Klaas und zog sich auch sogleich eine seiner letzten, übriggebliebenen Autogrammkarten aus der Innentasche seiner Lederjacke. Mit dem weißen Edding, den er immer dabeihatte, kritzelte er in seiner schönsten Sonntagsschrift zusätzlich zu seiner Signatur noch die Worte „Für Marie“ auf die untere Hälfte des Fotos.
Dankbar nahm die Uber-Fahrerin ihm die Karte ab und nach einer herzlichen Verabschiedung winkte sie den dreien nochmal überschwänglich durch die geschlossene Fensterscheibe zu, ehe sie mit Vollgas um die nächste Ecke verschwand.
Frank und Katha warfen ihm eine Sekunde lang belustigte Blicke zu, und Klaas erwartete schon die neckenden Kommentare, die sie ihm immer um die Ohren warfen, wenn er außerhalb seiner Konzertblase erkannt wurde, meist von jungen Mädels, die ihn mit Herzchenaugen um ein Foto baten. Die Herzchenaugen hatte er dabei in den seltensten Momenten selbst erkannt, aber weder Frank noch Katha ließen sich diese raren Gelegenheiten je entgehen, ihn genau darauf hinzuweisen und damit aufzuziehen, wenn sie es mitbekamen.
An diesem Abend blieb es jedoch lediglich bei belustigten Blicken, und der von Katha verwandelte sich schon kurz darauf gar in so etwas wie Stolz. Ein weiterer Augenblick flog stumm an dem Trio vorbei, ehe sie sich übereinkommend zunickten und sich aufmachten, endlich ihre Familien und Freund:innen in Kullman’s Bar zu treffen.
Das erste, was Klaas sah, als er die Bar betrat, waren eisblaue Augen, die ihm strahlend entgegenfunkelten und die ihm so unglaublich vertraut waren; nicht nur, weil sie ihm jeden Morgen im Spiegel entgegenblickten, sondern viel mehr noch, weil sie zu seiner Mutter gehörten. Ein Lächeln formte sich ungehindert auf seinen Lippen, das zweifelsohne ganz ähnlich dem aussah, das auch seine Mutter trug. In einer entfernten Ecke seines Kopfes registrierte er noch, dass ihre Haare deutlich länger gewachsen waren, in den Monaten, in denen er unterwegs gewesen war, und dass das Grau ihre gemeinsame, brünette Haarfarbe immer weiter verbannte. Dann schlangen sich ihre schlanken Arme auch schon um ihn, und alle anderen Gedanken und Gefühle waren wie weggeblasen.
Plötzlich war da nur noch Wärme und Geborgenheit, in einer so beruhigenden Form, wie er sie eigentlich nur bei seiner Mutter immer fand. Es war ein bisschen wie Nachhause kommen und sich in Sicherheit fühlen, ein Gefühl, das er sonst nur in seinen eigenen vier Wänden fand. Vielleicht verspürte er diese Geborgenheit und Sicherheit auch deshalb immer nur bei seiner Mama so deutlich, weil er es sonst für gewöhnlich vermied, anderen Menschen körperlich zu nahe zu kommen. Er hatte nie wirklich verstanden, warum das so war, warum er in dieser Hinsicht so anders war. Aber der Drang, andere, und vor allem fremde, Menschen zu umarmen oder anzufassen, der existierte in ihm schlichtweg nicht. Einfach, weil er emotionsloser, körperlicher Nähe nichts abgewinnen konnte und ihm diese auch nichts gab.
Anders waren da nur die Umarmungen seiner Mutter. Und die seiner Schwester. Zwei Menschen auf einer sehr überschaubaren Liste an Menschen, bei denen er sein konnte, wie er war, und bei denen er sich fallen lassen konnte, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was sie von ihm dachten, weil er wusste, dass sie ihn zu einhundert Prozent so akzeptierten, wie er war.
Bei dem Gedanken verbreiterte sich Klaas‘ Lächeln noch ein bisschen mehr und er drückte seine Mutter noch ein bisschen fester an sich. Erst nach mehreren Sekunden lösten sie sich wieder voneinander und Beate strahlte ihn immer noch glücklich an.
„Ich bin so stolz auf dich, mein Junge.“ Ihre Stimme war ganz weich und sie drückte seine Schulter noch ein letztes Mal, bevor sie sich gänzlich von ihm zurückzog. „Und Paps wäre auch unglaublich stolz auf dich. Ich hoffe, das weißt du.“
Die Erwähnung seines Vaters zog kurz an seinem Herzen, aber neben vielen anderen Dingen, hatte er in seiner Therapie vor mehr als einem Jahr auch gelernt, mit dem Verlust seines Vaters umzugehen, der sie nur wenige Jahre nach diesem allesverändernden Konzertbesuch von Bryan Adams viel zu früh verlassen hatte. Ein Verlust, der mehr geschmerzt hatte, als Klaas je bereit gewesen war, es zuzugeben. Bis es ihn alles eingeholt hatte. Nun hatte er jedoch seinen Frieden damit geschlossen, und dort, wo es kurz in seinem Herz gezogen hatte, spürte er jetzt einfach nur nie endende Verbundenheit.
„Danke, Mama“, antwortete Klaas und streichelte seinerseits kurz über ihren Oberarm, ehe auch er seine Arme zurück an seine Seiten fallen ließ. „Hab‘ mich wirklich sehr gefreut, dass du’s geschafft hast, heut zu kommen.“
„Nachdem ich dein Gesicht monatelang nur über meinen Handybildschirm gesehen habe, hätte ich das heute um kein Geld der Welt verpasst, das kannste glauben.“ Ihr Lächeln ließ die Grübchen auf ihren Wangen noch etwas tiefer werden. „Manchmal muss der Berg zum Messias kommen, daran habe ich mich ja schon gewöhnt, bei meinen zwei Superstar-Kindern.“
„Ach, Mama“, sagte Klaas, der seine Lippen in ein schiefes Grinsen verzog, während er mit einer Hand abwinkte. „Ich versteh‘ ja, warum du mich als Heilsbringer bezeichnest, aber das wär‘ doch nich‘ nötig gewesen.“
Beate lachte laut auf, was in der Geräuschkulisse der Bar jedoch direkt unterging. „Wie ich sehe, ist dein Ego auf Reisen weiter angewachsen.“
Auch wenn das Lachen kaum zu hören gewesen war, war der Humor mindestens genauso deutlich in ihrem Ausdruck zu erkennen, und das ließ Klaas noch breiter grinsen. „Aber du liebst mich trotzdem.“
Sie schüttelte postwendend den Kopf. „Ich lieb‘ dich deswegen“, korrigierte sie ihn und ihre Blicke hielten einander noch für einen Moment länger fest. „Und jetzt solltest du vermutlich auch deinen anderen Gäst:innen mal hallo sagen. Meine Privilegien als deine Mutter werde ich dann später nochmal geltend machen.“
Dankbarkeit floss wohlig durch seinen Körper, als er sich vorlehnte und seiner Mutter einen kurzen Kuss auf die Wange drückte. „Ich hab‘ dich lieb“, flüsterte er ihr dabei zu und nach einem kurzen Versprechen, dass er sie nachher für einen gemeinsamen Drink finden würde, verschwand Klaas in der Menge, die extra für ihn gekommen war.
Es war weit nach Mitternacht, als Klaas sich nach draußen davonstahl, um kurz zu verschnaufen und frische Luft zu schnappen.
Langsam, aber sicher ließ das Adrenalin des Abends nach, und nur noch der Alkohol seines zweiten Biers hüpfte durch seine Adern und hielt seinen ansonsten müdewerdenden Körper bei Laune.
Durch die wandhohen Fensterscheiben blickte er in das Innere der in goldenes Licht getauchten Bar. Beobachtete zufrieden und dankbar seine Freund:innen, Kolleg:innen und seine Familie, die alle gekommen waren, um nach all den Monaten der Abwesenheit gemeinsam Zeit mit ihm zu verbringen, und um mit ihm auf den Abschluss der zurückliegenden Tour anzustoßen.
Er konnte sich glücklich schätzen, all diese Menschen in seinem Leben zu haben, die ihn unterstützten, teilweise schon sein Leben lang. Und er konnte sich glücklich schätzen, eine Karriere zu haben, die so erfolgreich lief und ihn auf so viele Arten erfüllte.
Klaas konnte sich wirklich glücklich schätzen.
Er sollte sich glücklich schätzen.
Und trotzdem…
Und trotzdem konnte er das Gefühl nicht abschütteln, dass irgendetwas fehlte.
und das herzlichste Willkommen zu meiner neuen Geschichte. Ich bastle schon seit ein paar Wochen hier dran, hatte allerdings immer noch auf den richtigen Moment gewartet, Kapitel 1 zu posten. Aber welcher Moment könnte besser sein als das 13-jährige Jubiläum von Joko und Klaas? Happy Anniversary goes out to our favorite Dullies <3
Mit dieser Fic wage ich das erste Mal den Schritt in die AU-Welt und ich bin ein bisschen nervös, muss ich gestehen. Bisher hatte ich mir das für mich nie vorstellen können, irgendwann mal eine AU zu schreiben, aber die vielen tollen AUs, die ich hier bisher gelesen habe, haben mich irgendwie neugierig gemacht, es selbst einmal zu versuchen. So here we are now.
Ich werde wieder versuchen jeden Sonntag ein neues Kapitel zu posten und es ist genug vorgeschrieben, sodass das funktionieren sollte :)
Das Ganze hier wird eher wieder in die RomCom-Richtung gehen, aber der Vollständigkeit halber trotzdem eine kurze Warnung: es wird Alkohol erwähnt, sowie überwundene Depressionen, es wird vielleicht geflucht werden und Sex wird es auch geben. Nichts davon wird eine große Rolle spielen und nur am Rande erwähnt werden (außer der Sex, der wird nicht nur ein Nebensatz sein), aber wenn du denkst, dass das nichts für dich ist, dann wird diese Geschichte wahrscheinlich auch nichts für dich sein :)
Ansonsten würde ich mich unverhältnismäßig freuen, wenn ihr mit mir auf ein weiteres Abenteuer kommen würdet <3
Last but not least: das fetteste Dankeschön geht jetzt schon an Kismet, die diesem Hirngespinst wieder einmal den Feinschliff gibt, das alles hier lesbar zu machen. <3 <3
Alles Liebe und einen schönes Sonntag!
Eve
P.S.: Joko, Klaas und alle anderen Menschen aus dem engeren oder erweiterten Florida-Kosmos gehören sich selbst, das hier ist alles, mehr denn je, frei erfunden.
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Kapitel 1
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Kapitel 1
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Mit einem ruckelnden Knarzen fiel die schwere Eisentür der Bar ins Schloss. Nur ganz dumpf hallte der vibrierende Beat der Musik aus dem Inneren des Gebäudes über den bunt beleuchteten Hinterhof, ehe der Klang wie Rauch im Nachthimmel verpuffte.
Klaas hielt die Luft an und lauschte, ob er alleine war. Erst als er sich von der Verlassenheit des Ortes überzeugt hatte, lehnte er sich mit einem tiefen Seufzen gegen die kühle Hauswand und streckte sein Gesicht in den lauen Frühlingsabend. Eine leichte Brise wehte ihm um die Nase, während er seine Augen schloss und mehrere Male tief ein- und wieder ausatmete. Der sanfte Wind kühlte seine Stirn und Wangen, auf der sich unter dem berauschenden Einfluss von Adrenalin und Endorphinen erneut eine dünne Schweißschicht gebildet hatte, obwohl er sie sich gerade auf der Bühne noch ganz Rockstar-mäßig mit einem weißen Handtuch abgewischt hatte.
Noch vor einem Jahr hätte der Musiker sich in diesem Moment eine Zigarette angezündet. Hätte das Nikotin dafür sorgen lassen, dass es ihn beruhigte und herunterkommen lassen würde von diesem unvergleichbaren High, das er immer nach erfolgreich abgeschlossenen Konzerten verspürte. Der Drang war auch nach wie vor immer noch da; die Gewohnheit zwar abgelegt, aber das Flimmern der Sucht ein konstanter Begleiter in aufwühlenden Momenten, wie diesen. Manchmal fragte er sich, wieso er überhaupt damit aufgehört hatte, wo ihm die „Zigarette danach“ doch immer genau die Art von Ruhe gebracht hatte, die er sonst in seinem Leben manchmal vermisste. Dann jedoch erinnerte er sich meistens daran, wie düster seine Gedanken und sein Leben noch vor einem Jahr gewesen waren, und warum kein Weg daran vorbeigeführt hatte, seinen Gedanken und den Glimmstängeln den Kampf anzusagen.
Klaas seufzte abermals und lehnte dann auch noch seinen Kopf gegen die Wand. Mehrere langgezogene Atemzüge flossen von seinen leicht geöffneten Lippen, und mit ihnen auch langsam die Anspannung des Abends. Eine Anspannung, die er ohnehin immer gar nicht wirklich nachvollziehen konnte, da er es ja liebte, auf der Bühne zu stehen. Musik zu machen. In die euphorischen Augen seiner Fans zu schauen, die grölten und klatschten und tanzten. Er liebte es, zu singen und seiner Gitarre die schönsten Töne zu entlocken, und noch mehr liebte er es, von seinen meist weiblichen Bewunder:innen dafür gefeiert zu werden.
Das war alles, was er jemals gewollt hatte.
Seine Musik.
Seine Gitarre.
Die Bühne.
Seit er zwölf war und sein Vater ihn zu einem Bryan Adams-Konzert mitgenommen hatte, hatte er gewusst, was er wollte.
Nämlich genau das, was er hatte.
Seine Musik. Seine Gitarre. Die Bühne. Und viele loyale Anhängerinnen und Anhänger, die mit ihm durch dick und dünn gingen. Er konnte gut davon leben. Von dem, was er tat. Von seinen jährlichen Touren durch die kleineren Konzertsäle und größeren Bars Deutschlands, und von seinen Fans, die ihm treu überall hin folgten und ihn feierten. Einige kannte er mittlerweile sogar beim Namen, weil sie seit Jahren schon da waren und nicht nur einzelne Konzerte besuchten, sondern teilweise gar mit ihm über mehrere Wochen durch Deutschland reisten. Zum Glück übertraten diese ganz besonders engagierten Fans dabei nur sehr selten jene Grenzen, die Klaas nicht müde wurde, immer wieder zu ziehen, und er wusste es stets zu schätzen, dass dieser respektvolle Umgang miteinander existierte, weil er auch wusste, dass es nicht selbstverständlich war. Auch das wurde er im Gegenzug nicht müde auf all seinen Konzerten zu betonen, denn er wollte alles dafür tun, dass seine Community diese respektvolle und sichere Blase blieb, die sie war. Für die Klaas jeden Tag unendlich dankbar war.
Und trotzdem—
Schreck durchfuhr ihn wie ein Stromschlag, als die knirschende Eisentür neben ihm aufgeschoben wurde. Klaas‘ Augen schnappten auf und sein Kopf fiel zur Seite, wo schon der blonde Schopf seines Tontechnikers Frank Sump auf ihn wartete.
„Wir sind fertig, Boss“, sagte sein treuester Begleiter und warf ihm ein schiefes Lächeln zu.
Mit einem kaum hörbaren Aufstöhnen stieß Klaas sich von der Wand ab und drehte sich anschließend dem jungen Mann zu. „Franky, wie oft hab‘ ich dir schon gesagt, du sollst mich nich‘ ständig Boss nennen?“
„Jeden einzelnen Tag der letzten sieben Jahre?“ Die blauen Augen des Jüngeren funkelten im Licht der Neonröhre, die über ihm hing. „Ungefähr.“
„Und wie lange wollen wir dieses Spiel noch spielen?“, fragte Klaas und machte einen Schritt auf ihn zu.
„Wie lange wird’s noch dauern, bis du aufgibst?“, konterte der andere und schob dabei die Tür noch ein bisschen weiter auf.
„Du weißt doch, dass ich nich‘ gern verlier‘.“ Klaas’ Lippen zuckten verräterisch, aber er versuchte, seinen Ausdruck so ernst zu halten, wie er nur konnte, als er noch einen Schritt auf ihn zuging und nach der Türklinke griff. „Also niemals.“
„Dann kennst du ja meine Antwort, Boss.“ Noch während Frank sprach, machte er den Eingang frei, aber sein schelmischer Blick verharrte weiter auf Klaas.
Von dem bekam er als Antwort nur noch ein theatralisches Stöhnen und ein ebenso theatralisches Kopfschütteln, was bei dem Jüngeren zu einem kurzen, aber herzhaften Glucksen führte, ehe er sich umdrehte und sie beide den Weg durch den dunkelbeleuchteten Gang entlangführte.
Klaas folgte seinem Freund und Kollegen, der schon seit so vielen Jahren dafür sorgte, dass seine Musik hörbar wurde. Er hatte in all den Jahren, in denen er schon auf der Bühne stand, nie einen talentierteren Menschen an den Knöpfen und Reglern der Mischpulte dieser Nation getroffen als ihn und auch ihm war er unendlich dankbar für alles, was er tat, auch, wenn er ihm das viel zu selten sagte.
„War wirklich nochmal ein mega Gig heute zum Abschluss, Klaas“, durchbrach Frank die Stille zwischen den beiden, als sie in einem der Nebenräume angekommen waren, in den die Crew das Equipment gebracht hatte.
Ihre Ausrüstung war an diesem Tag stark dezimiert, wie Klaas feststellte, was hauptsächlich darauf zurückzuführen war, dass sie für das Ende der diesjährigen Tournee einen ganz besonderen, intimen Abend geplant hatten. Nur seine Akustikgitarre, ein Mikrofon und er. In seiner Heimat Berlin. In der Bar, in der vor all den Jahren dieses verrückte Abenteuer angefangen hatte. Damals wie heute gefüllt mit seiner Familie und Freundinnen und Freunden. Und mit den treuesten seiner Fans, die ihm wieder einmal gezeigt hatten, warum er nach wie vor auf der Bühne stand und seine Leidenschaft mit ihnen allen teilte.
Und doch—
„Nein, ehrlich. Kannst echt stolz auf dich sein, mein Freund“, zog ihn die Stimme des anderen zurück in den Raum, bevor er seinen Gedanken hatte zu Ende denken können.
„Danke dir, Franky.“ Klaas nickte ihm mit einem sanften Lächeln zu und ging mit zwei Schritten hinüber zu seiner Gitarre, die noch auf dem Gitarrenständer vor einem Tisch stand. „Aber du weißt ja, ohne dich wär‘ ich nix.“
In just dieser Sekunde öffnete sich die Tür des angrenzenden Badezimmers und der Musiker blickte mit weit aufgerissenen Augen und mit zitterndem Herz zur Seite.
„Hey, das habe ich gehört“, polterte der Neuankömmling und stellte sich mit verschränkten Armen in den Raum.
„Katha, ey!“, presste Klaas hervor und atmete einmal tief durch, um sein Herz wieder zu beruhigen. „Willst du mich umbringen?“
Anstatt etwas zu sagen, starrte die junge Frau ihn nur erwartungsvoll an.
„Ohne dich wäre ich natürlich noch viel weniger als nix, das versteht sich ja wohl von selbst“, sagte er kurz darauf und augenblicklich entspannte sich die Haltung seiner Managerin, die das offiziell eigentlich nicht war, aber am Ende irgendwie doch.
Denn sie managte alles, was Klaas überforderte, und das war außer dem Musizieren zwischenzeitlich so ziemlich alles. Zumindest hatte sich das so entwickelt, nachdem Katha vor mehreren Jahren die Organisation seiner Tourneen übernommen hatte. Mittlerweile kümmerte sie sich eigenständig um das Buchen der Locations und die Planung der kompletten Reisen, und das alles machte sie neben ihrem anderen Teilzeitjob als Bookerin in der Produktionsfirma seines besten Freundes. Trotzdem war sie immer für den Musiker erreichbar, wenn irgendetwas schieflief oder er last minute wieder irgendwelche verrückten Ideen hatte, die nur sie noch auf magische Weise auch in kürzester Zeit umsetzen konnte.
Klaas übertrieb nicht, wenn er sagte, dass er ohne Katha und Frank nichts wäre, weil sie in der Tat maßgeblich dazu beitrugen, dass er das machen konnte, was er machte, und das auf dem Level, auf dem er es tat. Sie würden beide schmerzlich fehlen, wenn sie irgendwann entscheiden würden aufhören zu wollen und Klaas hoffte, dass dieser Tag noch in weiter Ferne lag. Auch, da sie ihm schon lange nicht mehr nur fehlen würden, weil sie sein berufliches Schaffen so gut im Griff hatten, sondern viel mehr noch, weil die beiden zu vertrauten Freunden und sowas wie Familie geworden waren.
„Gerade nochmal die Kurve gekriegt, Klaasibert“, sagte Katha, während sie ihr Handy aus ihrer Hosentasche friemelte und einen prüfenden Blick drauf warf. „Unser Uber kommt in 20 Minuten“, stellte sie nach wenigen Sekunden fest und sah wieder auf zu Klaas und Frank. „Schaffen wir das?“
„Klar“, versicherte der Blonde umgehend und deutete mit seinem Finger auf das Equipment. „Ich hab‘ alles soweit verpackt und bringe es gleich raus.“
„Ich muss auch nur noch mein Baby verstauen. Dann kann’s losgehen.“ Ohne weitere Umschweife griff Klaas anschließend vorsichtig nach seiner Gitarre und hievte sie aus dem Ständer.
„Na, noch nicht ganz“, entgegnete die junge Frau mitten in seiner Bewegung, während sie ihr Handy wieder sicher verstaute. „Du wolltest doch noch ‘ne Story für Instagram aufnehmen?“
Klaas blickte zu ihr, dann auf seine Gitarre und wieder zurück. Er nickte zustimmend, ehe er seine kobaltblaue Yamaha beinahe schon liebevoll in den Gitarrenkoffer platzierte und seinen Finger nochmal über den kleinen Erdball streichen ließ, der auf dem unteren Ende des Korpusses zwischen silbernen Sternen gemalt war. Die sanften Wellen unter seinen Fingerkuppen fühlten sich weich und vertraut an, und ein Gefühl der Wärme verteilte sich in seinem Körper, das alle anderen Emotionen des Abends für den Moment überdeckte.
Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, während er sein eigenes Smartphone aus seiner Hosentasche zog.
„Du hast - wie immer - natürlich vollkommen recht“, sagte er und wedelte dabei einmal mit dem Telefon zwischen ihnen.
„Siehst du. Was würdest du nur ohne mich tun?“ Die Dunkelhaarige zog eine Augenbraue über den Rand ihrer schwarzen Brille.
„Heut biste aber besonders bedürftig nach Bestätigung, oder?“, konterte Klaas mit einem ganz ähnlichen Ausdruck auf seinem Gesicht. Minus der Brille, denn die schlummerte wie immer in den unendlichen Tiefen seines Rucksackes, von wo aus sie nur in äußersten Notfällen befreit wurde. Was die Aufnahme einer kleinen Grußbotschaft für Social Media selbstverständlich ganz und gar nicht war.
Mit drei gezielten Wischern über den Bildschirm seines Handys öffnete er die App und mit einem weiteren Fingerdruck betätigte er auch schon gleich die Kamera. Wo er sonst Ordnung und einen Plan liebte, bevorzugte er es über dieses Medium stets spontan und ungefiltert zu sein.
Und mit ebendieser Spontanität plapperte er auch direkt drauf los. „Hallooo, ihr Mäuse, und Grüße aus der Garderobe“, begann der Brünette überschwänglich und drehte sich dabei langsam einmal im Kreis.
„Es ist vollbracht, und eine weitere Tour geht hiermit zu Ende. Ich wollte die Gelegenheit gerne noch kurz nutzen, um mich bei allen zu bedanken, die heute bei diesem besonderen Abend dabei waren. Und natürlich auch bei all jenen, die in den letzten Wochen und Monaten am Start waren. Es war mir ein Fest.“
Als Klaas sich erneut in Bewegung setzte, fing er mit seiner Kamera nun auch Franky ein.
„Dir war’s doch auch ‘n Fest, oder, Franky?“, fragte Klaas den Tontechniker durch die Linse hindurch.
„Wie immer, mein Freund“, antwortete der andere und winkte in Richtung des Handys, ehe er sich einen der großen Koffer schnappte und durch die Tür verschwand.
„Wortgewandt wie eh und je, unser Franky“, stellte Klaas schmunzelnd fest und widmete seine Aufmerksamkeit wieder ausschließlich seinem Mobiltelefon.
„Für mich geht’s jetzt erstmal in die Sommerpause, wie ihr wisst. Da werd‘ ich mich ‘n bisschen kreativ austoben und hoffentlich ‘n paar neue Songs schreiben. Und es wartet auch noch ‘n anderes spannendes Projekt, von dem ich euch erzählen werde, sobald ich darf.“
Mit dem nächsten Schritt, den er tat, wandte er sich an Katha, die sich wie immer im Hintergrund hielt, aber auch nie etwas dagegen hatte, wenn Klaas sie doch einmal dazu nötigte, ihr Gesicht zu zeigen.
„Und wir zwei werden natürlich in den kommenden Monaten die nächste Tour planen, mit der wir im Herbst wieder on the road sein werden.“
Auf dem Bildschirm konnte der Musiker sehen, wie seine Kollegin abermals die Augenbraue hob, aber ihre Lippen verzogen sich in ein verschmitztes Grinsen.
„Also Katha plant natürlich. Und ich werde mich fügen. So wie das immer bei uns läuft“, stellte Klaas klar.
Die Dunkelhaarige lächelte zufrieden und winkte, ähnlich wie Franky zuvor, in die Kamera. „Ich freu mich schon darauf, ein neues Abenteuer zu planen.“
„Und ich mich erst“, stimmte er zu, und ignorierte dabei geflissentlich das eigentlich nicht zu ignorierende Ziehen in seiner Magengrube, das da erneut kurz aufflackerte. „Weil das jedoch noch ’n bisschen dauern wird, sei an dieser Stelle nochmal erwähnt, dass ich im August aufm BlueLake Festival im Allgäu auftreten werde, und im September dann aufm Starlight Festival in Brandenburg. Tickets gibt’s noch für beide Veranstaltungen, soweit ich informiert bin, und ich würd’ mich freuen, ein paar von euch dort zu sehen.“
Mit laufender Kamera marschierte der Brünette zu dem Tisch, auf dem sein Instrument schlummerte. „Ansonsten nehm‘ ich euch hier natürlich weiterhin mit, und ihr werdet nichts verpassen, versprochen. Nur für heute soll es das jetz‘ erstmal gewesen sein“, sagte Klaas schließlich, und tippte mit seiner freien Hand einmal gegen den Deckel des Gitarrenkoffers, der daraufhin zufiel. „Danke nochmal an euch alle für euren Support. Ihr seid die beste Crew, die man sich wünschen kann.“ Er setzte sich sein glücklichstes Lächeln auf und strahlte in sein Handy. „Alles Liebe, alles Gute. Euer Klaas.“ Dann nickt er und winkte, und ließ schließlich den Aufnahmeknopf los, bevor er mit ein paar letzten, gezielten Fingerbewegungen das Video online stellte.
„Wunderbar“, stieß Katha aus und klatschte ihre Hände zweimal zusammen. „Dann sind wir ja jetzt wirklich fertig.“
„Sind wir“, bestätigte der Ältere, während er sein Handy verschwinden ließ. Im Anschluss verschloss er den Gitarrenkoffer und hob ihn vorsichtig vom Tisch, gerade, als Franky zurück in den Raum kam.
Mit vereinten Kräften schufen sie den Rest des Equipments nach draußen, wo schon das halb-beladene Auto eines Kollegen von Franky auf sie wartete. Die drei waren gerade damit fertig geworden, alles sicher zu verstauen, als ein schwarzer Mercedes in den Innenhof rollte.
„Das ist unser Uber“, erklärte Katha und machte sich auch direkt auf den Weg zu dem Auto.
Franky gab noch letzte Anweisungen an seinen Kollegen, ehe er die Beifahrertür zuwarf. Gemeinsam liefen Klaas und der Blonde ebenfalls zu dem dunklen Gefährt, und keine fünf Minuten später schlängelten sie sich durch die Berliner Nacht, die sie dunkel und doch hell erleuchtet umgab.
Franky und Katha unterhielten sich aufgeregt über die anstehenden Pläne, nun, da sie sich für eine Weile wieder um ihre eigenen Aufgaben kümmern konnten. Nur bruchstückhaft nahm Klaas Fetzen ihrer Erzählungen wahr; sein Körper zu gefangen zwischen der Vorfreude, seine Familie in wenigen Minuten wiederzusehen und dem Drang, ins Bett zu fallen und drei Tage durchzuschlafen. Sein Blick glitt nach draußen, aber mehr als einen schwarz-bunten Strudel konnte er nicht ausmachen, während seine Gedanken wild zwischen den vergangenen Monaten und kommenden Wochen hin und her sprangen.
Da waren Bilder eines ganz ähnlichen Momentes, von vor noch gar nicht allzu langer Zeit, die sich dennoch nach einer Ewigkeit anfühlte, als er vergangenen Oktober ebenfalls des nächtens gen Süden Deutschlands aufgebrochen war, zu seiner ersten Tournee-Station in München. Da waren Bilder eben jenes ersten, aufregenden Konzertes, und Dutzende weitere Bilder von all den darauffolgenden Abenden, die er auf der Bühne und mit seinen Fans verbracht hatte. Bilder von bunten Lichtern und lauter Musik. Von tanzenden Menschen und frenetischem Applaus. Er sah sich selbst auf der Bühne, glücklich und zufrieden und einfach zu eintausend Prozent in seinem Element.
Gleichzeitig waren da auch viele Bilder von Abenden, an denen er alleine an der Bar gesessen und ein Glas Bier getrunken hatte, und Erinnerungen an die vielen einsamen Nächte in kalten Hotelbetten, die er stets am meisten hasste, die aber seinem Verständnis nach dazu gehörten, dieses Leben führen zu dürfen. Und zum Glück waren da auch unendlich viele Bilder voller Euphorie und Glück, von seinem Traum, den er lebte, und von strahlenden Augen und ekstatischen Gesichtern, die jeglichen Anflug von negativen Gedanken im Keim erstickten.
Da waren auch schemenhafte Visionen von anstehenden Besuchen im Aufnahmestudio seines besten Kumpels, wo er schon in Kürze zum dritten Mal einen Animationsfilm würde vertonen dürfen; eine Aufgabe, die er erst vor kurzem für sich entdeckt hatte, und die ihm unglaublich viel Freude bereitete. Und da waren auch Visionen von einem ganz ähnlich aussehenden Tonstudio, wo er später im Jahr hoffentlich neue Musik würde produzieren können. Schon seit Tagen waberten neue Melodien durch seinen Kopf, vermischten sich mit Worten und Emotionen, die er kaum abwarten konnte, zu Papier zu bringen, sobald in den kommenden Tagen und Wochen etwas Ruhe einkehren würde.
Da waren so viele Highlights, auf die er zurückblicken konnte.
So viele Highlights, auf die er sich freute.
Und dennoch—
Mit einem so abrupten Halt, dass es Klaas kurz nach vorne und gegen den schwarzen Gurt drückte, kam der Mercedes vor ihrem Ziel zum Stehen, und die ältere Dame, die sie gefahren hatte, sah den Musiker mit einem weißen Lächeln musternd an.
„Sach’ mal… Du bist doch Klaas, oder?“, fragte sie schließlich nach mehreren Sekunden des Schweigens.
Klaas zuckte innerlich überrascht zusammen. Außerhalb seiner Konzerte kam es sonst nur selten vor, dass ihn jemand erkannte, und die Fahrerin sah auf den ersten Blick auch nicht wie jemand aus, die seine Musik mögen könnte.
Mit einem zögerlichen Nicken bestätigte er die Frage der Frau, bevor er das auch mit Worten tat. „Ja, das bin ich wohl.“
Die dunklen Augen der Dame begannen augenblicklich zu strahlen. „Meine Enkeltochter vergöttert dich. Die spricht seit ‘nem Jahr von nichts anderem.“
Diese Worte brachten auch Klaas zum Strahlen, während er die Frau aufmerksam beobachtete. „Ach, das is’ aber lieb. Wie heißt sie denn?“
„Marie, heißt se. Me’n kleena Engel.“
Ein Lächeln legte sich auf das Gesicht des Musikers. „Dann grüß’ Marie bitte von mir, ja?“
„Dett mach ick“, versprach die Grauhaarige, bevor sie sich kurz auf die Unterlippe biss. „Oder… oder könnt‘ ick vielleicht ‘n Autogramm für sie kriegen?“
„Aber klar, gerne“, antwortete Klaas und zog sich auch sogleich eine seiner letzten, übriggebliebenen Autogrammkarten aus der Innentasche seiner Lederjacke. Mit dem weißen Edding, den er immer dabeihatte, kritzelte er in seiner schönsten Sonntagsschrift zusätzlich zu seiner Signatur noch die Worte „Für Marie“ auf die untere Hälfte des Fotos.
Dankbar nahm die Uber-Fahrerin ihm die Karte ab und nach einer herzlichen Verabschiedung winkte sie den dreien nochmal überschwänglich durch die geschlossene Fensterscheibe zu, ehe sie mit Vollgas um die nächste Ecke verschwand.
Frank und Katha warfen ihm eine Sekunde lang belustigte Blicke zu, und Klaas erwartete schon die neckenden Kommentare, die sie ihm immer um die Ohren warfen, wenn er außerhalb seiner Konzertblase erkannt wurde, meist von jungen Mädels, die ihn mit Herzchenaugen um ein Foto baten. Die Herzchenaugen hatte er dabei in den seltensten Momenten selbst erkannt, aber weder Frank noch Katha ließen sich diese raren Gelegenheiten je entgehen, ihn genau darauf hinzuweisen und damit aufzuziehen, wenn sie es mitbekamen.
An diesem Abend blieb es jedoch lediglich bei belustigten Blicken, und der von Katha verwandelte sich schon kurz darauf gar in so etwas wie Stolz. Ein weiterer Augenblick flog stumm an dem Trio vorbei, ehe sie sich übereinkommend zunickten und sich aufmachten, endlich ihre Familien und Freund:innen in Kullman’s Bar zu treffen.
Das erste, was Klaas sah, als er die Bar betrat, waren eisblaue Augen, die ihm strahlend entgegenfunkelten und die ihm so unglaublich vertraut waren; nicht nur, weil sie ihm jeden Morgen im Spiegel entgegenblickten, sondern viel mehr noch, weil sie zu seiner Mutter gehörten. Ein Lächeln formte sich ungehindert auf seinen Lippen, das zweifelsohne ganz ähnlich dem aussah, das auch seine Mutter trug. In einer entfernten Ecke seines Kopfes registrierte er noch, dass ihre Haare deutlich länger gewachsen waren, in den Monaten, in denen er unterwegs gewesen war, und dass das Grau ihre gemeinsame, brünette Haarfarbe immer weiter verbannte. Dann schlangen sich ihre schlanken Arme auch schon um ihn, und alle anderen Gedanken und Gefühle waren wie weggeblasen.
Plötzlich war da nur noch Wärme und Geborgenheit, in einer so beruhigenden Form, wie er sie eigentlich nur bei seiner Mutter immer fand. Es war ein bisschen wie Nachhause kommen und sich in Sicherheit fühlen, ein Gefühl, das er sonst nur in seinen eigenen vier Wänden fand. Vielleicht verspürte er diese Geborgenheit und Sicherheit auch deshalb immer nur bei seiner Mama so deutlich, weil er es sonst für gewöhnlich vermied, anderen Menschen körperlich zu nahe zu kommen. Er hatte nie wirklich verstanden, warum das so war, warum er in dieser Hinsicht so anders war. Aber der Drang, andere, und vor allem fremde, Menschen zu umarmen oder anzufassen, der existierte in ihm schlichtweg nicht. Einfach, weil er emotionsloser, körperlicher Nähe nichts abgewinnen konnte und ihm diese auch nichts gab.
Anders waren da nur die Umarmungen seiner Mutter. Und die seiner Schwester. Zwei Menschen auf einer sehr überschaubaren Liste an Menschen, bei denen er sein konnte, wie er war, und bei denen er sich fallen lassen konnte, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was sie von ihm dachten, weil er wusste, dass sie ihn zu einhundert Prozent so akzeptierten, wie er war.
Bei dem Gedanken verbreiterte sich Klaas‘ Lächeln noch ein bisschen mehr und er drückte seine Mutter noch ein bisschen fester an sich. Erst nach mehreren Sekunden lösten sie sich wieder voneinander und Beate strahlte ihn immer noch glücklich an.
„Ich bin so stolz auf dich, mein Junge.“ Ihre Stimme war ganz weich und sie drückte seine Schulter noch ein letztes Mal, bevor sie sich gänzlich von ihm zurückzog. „Und Paps wäre auch unglaublich stolz auf dich. Ich hoffe, das weißt du.“
Die Erwähnung seines Vaters zog kurz an seinem Herzen, aber neben vielen anderen Dingen, hatte er in seiner Therapie vor mehr als einem Jahr auch gelernt, mit dem Verlust seines Vaters umzugehen, der sie nur wenige Jahre nach diesem allesverändernden Konzertbesuch von Bryan Adams viel zu früh verlassen hatte. Ein Verlust, der mehr geschmerzt hatte, als Klaas je bereit gewesen war, es zuzugeben. Bis es ihn alles eingeholt hatte. Nun hatte er jedoch seinen Frieden damit geschlossen, und dort, wo es kurz in seinem Herz gezogen hatte, spürte er jetzt einfach nur nie endende Verbundenheit.
„Danke, Mama“, antwortete Klaas und streichelte seinerseits kurz über ihren Oberarm, ehe auch er seine Arme zurück an seine Seiten fallen ließ. „Hab‘ mich wirklich sehr gefreut, dass du’s geschafft hast, heut zu kommen.“
„Nachdem ich dein Gesicht monatelang nur über meinen Handybildschirm gesehen habe, hätte ich das heute um kein Geld der Welt verpasst, das kannste glauben.“ Ihr Lächeln ließ die Grübchen auf ihren Wangen noch etwas tiefer werden. „Manchmal muss der Berg zum Messias kommen, daran habe ich mich ja schon gewöhnt, bei meinen zwei Superstar-Kindern.“
„Ach, Mama“, sagte Klaas, der seine Lippen in ein schiefes Grinsen verzog, während er mit einer Hand abwinkte. „Ich versteh‘ ja, warum du mich als Heilsbringer bezeichnest, aber das wär‘ doch nich‘ nötig gewesen.“
Beate lachte laut auf, was in der Geräuschkulisse der Bar jedoch direkt unterging. „Wie ich sehe, ist dein Ego auf Reisen weiter angewachsen.“
Auch wenn das Lachen kaum zu hören gewesen war, war der Humor mindestens genauso deutlich in ihrem Ausdruck zu erkennen, und das ließ Klaas noch breiter grinsen. „Aber du liebst mich trotzdem.“
Sie schüttelte postwendend den Kopf. „Ich lieb‘ dich deswegen“, korrigierte sie ihn und ihre Blicke hielten einander noch für einen Moment länger fest. „Und jetzt solltest du vermutlich auch deinen anderen Gäst:innen mal hallo sagen. Meine Privilegien als deine Mutter werde ich dann später nochmal geltend machen.“
Dankbarkeit floss wohlig durch seinen Körper, als er sich vorlehnte und seiner Mutter einen kurzen Kuss auf die Wange drückte. „Ich hab‘ dich lieb“, flüsterte er ihr dabei zu und nach einem kurzen Versprechen, dass er sie nachher für einen gemeinsamen Drink finden würde, verschwand Klaas in der Menge, die extra für ihn gekommen war.
∞
Es war weit nach Mitternacht, als Klaas sich nach draußen davonstahl, um kurz zu verschnaufen und frische Luft zu schnappen.
Langsam, aber sicher ließ das Adrenalin des Abends nach, und nur noch der Alkohol seines zweiten Biers hüpfte durch seine Adern und hielt seinen ansonsten müdewerdenden Körper bei Laune.
Durch die wandhohen Fensterscheiben blickte er in das Innere der in goldenes Licht getauchten Bar. Beobachtete zufrieden und dankbar seine Freund:innen, Kolleg:innen und seine Familie, die alle gekommen waren, um nach all den Monaten der Abwesenheit gemeinsam Zeit mit ihm zu verbringen, und um mit ihm auf den Abschluss der zurückliegenden Tour anzustoßen.
Er konnte sich glücklich schätzen, all diese Menschen in seinem Leben zu haben, die ihn unterstützten, teilweise schon sein Leben lang. Und er konnte sich glücklich schätzen, eine Karriere zu haben, die so erfolgreich lief und ihn auf so viele Arten erfüllte.
Klaas konnte sich wirklich glücklich schätzen.
Er sollte sich glücklich schätzen.
Und trotzdem…
Und trotzdem konnte er das Gefühl nicht abschütteln, dass irgendetwas fehlte.
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