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Quiet in Loud Places

von papirossy
Kurzbeschreibung
GeschichteRomance, Freundschaft / P18 / MaleSlash
Guy-Manuel de Homem-Christo Thomas Bangalter
12.06.2022
18.03.2023
17
43.266
 
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12.06.2022 1.546
 
Prolog



Guy fühlt, wie die Musik tief und bassig in seinem Bauch vibriert, und tippt mit den Daumen entspannt zum Beat aufs Lenkrad.

„Was ist das?“

Black Beatles.“

„Hm.“

Da auf der Anzeige steht, was gerade läuft, weiß Guy, dass das nicht die richtige Antwort war und fragt nach. Nüchtern.

„Was?“

„Nichts. Ist nur nicht so mein Fall.“

Er macht die Musik ganz aus und sie sind alleine mit dem leise schnurrenden Motor und ihren lauten Gedanken.

Thomas starrt auf die dunkle Straße, die mystisch vor ihnen liegt und hinter dem Pegel der Scheinwerfer zu verschwinden scheint. Äste greifen nach ihnen wie dünne knorrige Arme und peitschen über die Windschutzscheibe.

„Bringst du mich jetzt in deine Bat-Höhle?“, fragt Thomas und muss wahrscheinlich an den Film mit Michael Keaton denken. Sie haben ihn damals zusammen gesehen. Sie haben eine Menge Filme zusammen gesehen.

Guy verzieht den Mund. Ihm ist nicht so nach Scherzen zumute.

Er hatte nur sein Handy im Studio vergessen und jetzt hat er gleich ein ganzes Ehedrama am Hals. Ein Ehedrama, das nicht mal seins ist. Aus dem Augenwinkel sieht er die ganze Zeit seine langen Beine unruhig wackeln. Fühlt sich ein bisschen so an, als würde er einen Ex mit zu sich nach Hause nehmen. Und in gewisser Weise stimmt das ja auch.

Nachdem er den schlafenden Thomas auf dem Studio-Sofa gesehen hatte, konnte er ihn ja unmöglich da liegen lassen, auch wenn er es gerne gewollt hätte. Wie ein Transformer lag er in sich zusammengefaltet auf dem unbequemen Zweisitzer und sah aus wie ein Freund in Not.

„Na los komm!“ So sanft wie es die momentane etwas abgekühlte Stimmung zwischen ihnen erlaubte, hat er ihn wach gerüttelt. Desorientierter Blick. „Mein Sofa ist gemütlicher“, sagte Guy einen Ton sanfter.

Er muss nicht fragen, um zu wissen, was los ist. Stress zu Hause. Hat er selber durch. Und er kennt seinen Freund lang genug, um die Zeichen zu erkennen: Gereiztheit, Verbissenheit vor dem Mischpult, garstige Kommentare, glasige Augen, die minutenlang ins Nichts starren, manchmal eine Aura wie aus Stein.

Wahrscheinlich war das auch der Grund für die schlechte Stimmung neulich, die Guy nachts um eins aus dem Studio getrieben hat mit dem Wunsch alles hinzuschmeißen.

Guy nimmt diesen Wunsch nicht besonders ernst. Er hat schon öfter Lust gehabt alles hinzuschmeißen.

Grillen zirpen laut und schrill und durcheinander, als sie jetzt aus dem Auto steigen. Auch das plötzliche Geräusch von zuschlagenden Wagentüren, verschreckt sie nicht. Es duftet nach Pinien und Erde. Das schrille Aufheulen der Zentralverriegelung zerreißt kurz die ländliche Stille und lässt sie einsam in ihren Herzen zurück. Kies knirscht unter ihren Schritten, als sie im Pegel der Außenbeleuchtung zum Haus schlurfen. Ein moderner zweigeschossiger Bau mit Flachdach im Stile der Case Study Häuser in Los Angeles, in denen sie früher sehr viel Zeit verbracht haben. Nur ohne Pool. Der Pool ist der See, den es irgendwo geben muss. Das verrät zumindest die Angelausrüstung, über die man stolpert, wenn man zur Tür reinkommt.

Das Geräusch von Hundepfoten auf glatten Fliesen. Eine Bulldogge, die sich träge zur Tür schleppt, um sie zu begrüßen. Pflichtbewusst, wie ein kleines Kind, wenn Besuch kommt. Mit einem Gesicht wie ein zerknautschtes Sofakissen sieht sie Thomas an. Schweres schnaufen. Sie sieht aus, wie Thomas sich fühlt.

„Setz dich, wenn du magst.“

Eine tonlose Anweisung. Guy verschwindet durch eine Tür. Licht geht an, Gläser klimpern.

Thomas läuft ehrfürchtig durch das schummerige Wohnzimmer und lässt sich auf das 70er-Jahre-Sofa sinken. Ein L-förmiges Designerstück auf dünnen Beinen und mit wuchtigen Polstern. Lädt nicht gerade zum Schlafen ein. Fasziniert streicht er über das knautschige weiße Leder.

„Gio Ponti?“

„Hm.“

Guy kommt mit einer entkorkten Flasche Pinot dazu und lässt ihn in die mitgebrachten Kelche fließen.

„Ich mag dein Haus.“

Ein paar unerwartete Schätze – der Eames-Sessel, die Anlage, das Holzregal mit der Plattensammlung, die Fender samt Verstärker, Pedals und Kabelsalat – hauchen der cleanen, Einrichtung Leben ein. Unter dem Flatscreen-Fernseher ruht eine Play Station im Stand-By-Modus. Thomas nimmt die Hülle, die auf dem Sofatisch liegt. Detroit Become Human.

„Ist das gut?“, erkundigt er sich, obwohl er nicht so der Zocker ist. FIFA ist schon das höchste der Gefühle. Aber für alles, was über Jump and Run oder ein schnelles Match hinausgeht, hat Thomas keine Geduld.

„Ja. Schon.“

Guy erspart ihm die Einzelheiten und trinkt von seinem Wein.

Und dann starren sie wieder lange in die Stille. Guy hört Thomas‘ schweren Atem neben sich und dann spricht er endlich aus, was seit einer ganzen Weile fühlbar zwischen ihnen steht. Seine Stimme kaum lauter als ein Gedanke. Als würde die Wucht der Worte sie sonst erschlagen wie ein Ziegelstein.

„Glaubst du, uns will überhaupt noch jemand hören?“

Guy nippt an seinem Glas.

„Weiß nicht.“

„Die Leute wollen doch nur noch Billie Eilish und Dua Lipa und so hören. Black Beatles! Ich habe das Gefühl, gar keinen Beitrag mehr zu leisten.“

Guy reibt sich die Augen, Thomas hängt eine Weile seinen trüben Gedanken nach, bevor er einen besonders schmerzhaften aus seinem Sammelsurium an düsteren Gedanken fischt.

„Irgendwo habe ich gelesen, wir wären überbewertet.“

Er nimmt seine 70er-Jahre-Brille ab und reibt sich die Augen. Er ist müde. Und das nicht nur, weil es spät ist.

„Wo hast du das gelesen?“

„Auf Twitter.“

„Pfffff…“

Guy lacht zynisch. Inzwischen hängt er auf dem Sofa wie eine hingeworfene Decke und tätschelt die Rückenlehne hinter Thomas‘ gekrümmten Schultern. Diese Stille. Früher war überall, wo sie zusammenhingen, Musik oder Filme flimmerten über den Fernseher. Und jetzt sind da nur ihre nagenden Gedanken. Wie Langoliers.

„Schon komisch.“

„Was?“

„Du in diesem Haus. Mitten im Wald.“

„Wieso ist das komisch?“

„Weiß nicht. Es ist gar nicht so lang her, da hast du jedem SMS geschrieben und gefragt, wo die nächste Party steigt. Warst fünfmal die Woche aus, hast in irgendwelchen Clubs rumgelungert. Und jetzt--“

„Ich habe immer noch meine Wohnung in Montmartre.“

Thomas glotzt ihn an. Versucht seinen Freund zu lesen, aber es ist schwer. Wie ein in Wein getränktes Notizbuch. Verschwommene Tinte. Das Geschriebene vertraut, aber nicht entzifferbar.

„Dahin gehe ich, wenn meine Gedanken hier zu laut werden.“

„Und wann kommst du her?“

Guy zuckt trotzig mit den Schultern.

„Wenn mir Paris zu laut wird.

„Verstehe.“

Guy, dem es hier plötzlich auch zu ungemütlich zu werden scheint, klopft auf Thomas‘ Oberschenkel und stützt sich beim Aufstehen darauf ab. Schwindelig von einer längst vergessenen Sehnsucht, die ihn Flashback-artig heimsucht, als er seine Muskeln unter dem rauen Jeansstoff spürt, wankt er einen Moment auf der Stelle.

„Ich werd mal schlafen.“

Die Worte werden nur geknurrt und gegrummelt. So als hätte er zu viel Wein getrunken. Aber das Glas ist noch nicht mal leer. Er ist schon beinahe im Bad, als Thomas ruft.

„Hast du vielleicht eine Decke oder so?“

Thomas gafft ihn durch das Halbdunkel des Zimmers an.

Eine schemenhafte Gestalt, die ihn an jemanden erinnert, den er mal kannte, taucht im Türrahmen auf. Er schaltet das Licht aus und tapst unbeholfen durch das dunkle Schlafzimmer.

Guy liegt nervös in seinem Bett, als schlaksige, haarige Beine zu ihm unter die Decke kriechen. Ein Schwall von Mann und herbem Männerparfum. Ein tiefer Atemzug. Ein wohliges Seufzen neben ihm. Dann Stille. Sie beide Seite an Seite. Atem an Atem. Seine Stimme, die Guy durch seine Matratze vibrieren spüren kann, fühlt sich an wie eine intime Berührung.

„Fast so wie früher.“

„Fast“, sagt Guy heiserer als er will. Er fühlt sich wieder wie der unglücklich verliebte Teenager, der er nie wieder sein wollte.

Aber hier liegt nun mal Thomas. Und er riecht wie Thomas und er klingt wie Thomas und es ist schwer sich nicht wieder wie sechzehn zu fühlen.

„Waren wir jemals zusammen?“

Thomas hat die Eigenschaft viel nachzudenken und die Gabe diese Gedanken auch in Worte fassen zu können. Manchmal viel zu viele Worte. Manchmal Worte, die man lieber für sich behalten sollte.

„Weiß nicht.“

Guy hat diese Gabe nicht.

„Waren wir jemals nicht zusammen?“, fragt Thomas dann nach weiterem Nachdenken, wie eine Putzkraft, die beim Aufräumen noch Müll unter dem Sofa findet. Man merkt, dass Thomas in irgendeiner Sinneskrise steckt. Solche Fragen stellt man nicht einfach so. Solche Fragen stellt man, wenn man anfängt über sein Leben nachzudenken.

Guy kann ihm keine Antwort darauf geben. Er weiß auch gar nicht, ob Thomas eine Antwort darauf braucht, oder ob er einfach Kalenderspruch-artig vor sich hin sinnieren will.

„Lass uns mal schlafen“, schlägt Guy vor, dabei ist er hellwach.

„Ok.“

Das Rascheln von Bettwäsche. Schwerer, geräuschvoller Atem. Guy fällt höchstens mal in einen Dämmerschlaf, wacht aber immer wieder benommen auf. Irgendwann wuseln sie sich benommen im Halbschlaf ineinander und als Guy das nächste Mal aufwacht, hat Thomas den Arm um ihn gelegt und hält diese in die Decke gewickelte Guy-Wulst mit dem klopfenden Herzen, als würden sie jede Nacht so daliegen.

„Das hab ich vermisst.“

Seine Stimme fühlt sich intim an auf seiner Haut. Guy mag es, wie sein Bart ihn im Nacken kratzt und sein warmer Atem ihn streift.

Er horcht in sich hinein. Alles ist ruhig. Zu ruhig. Wie im Auge eines Orkans. Er findet keine schlaue Antwort, also sagt er einfach das, was sein stumpfsinniges Herz ihm sagt.

„Ich auch.“





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Playlist: https://open.spotify.com/playlist/0bVe0vxyKcI9GTLDUxHoLN?si=LLsYNAfpSAGbjjuqP-O4Ig&utm_source=copy-link
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