Waffenbrüder 23. Kriegszeit - Feldlazarett
von Ann Morgan
Kurzbeschreibung
Das Feldlazarett - in einem Krieg des 17. Jahrhunderts ein vielleicht grauenhafterer Ort als das Schlachtfeld selbst... ---- Die Story kann ohne Kenntnisse der anderen Waffenbrüder-Geschichten gelesen werden, gehört aber zur Reihe. Deshalb auch das Slash-Rating, das man dieses Mal aber auch als tiefe Freundschaft lesen könnte
KurzgeschichteFamilie, Schmerz/Trost / P16 / MaleSlash
Athos
D'Artagnan
Porthos
03.06.2022
03.06.2022
1
1.913
7
03.06.2022
1.913
Hallo meine lieben Leser,
der heutige OS ist fast so alt wie der von letzter Woche. Und genau wie bei „Bestrafung“ habe ich letztlich davon abgesehen, ihn zu „glätten“, damit er besser zu den bisherigen Waffenbrüder-Geschichten passt. Ich möchte den ursprünglichen Charakter nicht verändern.
Und ähnlich wie letzte Woche geht es nicht sanft und beschaulich zu – wir sind nun mal im Krieg. Deshalb stelle ich ein paar Toffifee neben Erdbeer-Eisbechern bereit und wünsche spannende Minuten.
Ann
Waffenbrüder 23 - Kriegszeit
Feldlazarett
Glühender Schmerz umnebelte seinen Verstand. Er schaffte es nicht, die Augen zu öffnen. Zugleich hatte er das verwirrende Gefühl, zu schweben... Der ohrenbetäubende Lärm der Schlacht fiel hinter ihm zurück, und er begrüßte beinahe die gnädige Schwärze, die den Nebel ersetzte und ihn verschlang...
Doch nicht für allzu lange...
Hektische, angespannte Betriebsamkeit, der Gestank nach Blut und Dreck und Tod...
„Wohin, Mann?“ Eine harsche Stimme, die zutiefst vertraut klang.
„Hierher... Los, macht Platz!“ Eine zweite Stimme, nicht weniger harsch, aber unbekannt.
„Porthos - vorsichtig!“ Wieder die vertraute Stimme, diesmal voll tiefer Besorgnis.
Er spürte, wie starke Arme ihn auf einer harten Unterlage ablegten, und so behutsam das auch geschah, konnte d’Artagnan doch ein raues Aufstöhnen nicht unterdrücken, als sein Bein in Berührung mit dem Brett unter ihm kam. Sofort waren da zwei Hände um sein Gesicht, strichen ihm über die Wangen und durch das Haar, während die geliebte Stimme eindringlich murmelte: „Alles gut, d’Artagnan! Es wird alles gut!“
Er wollte so gerne antworten, doch...
Eine brutale Berührung an seinem Bein, und er schrie unwillkürlich auf.
„Verdammt, was machst du da!“ Eine dritte Stimme, fast so vertraut wie die erste, voller Wut, aber d’Artagnan hatte nicht die Kraft, den Kopf zu heben und nach dem Sprecher zu sehen.
„Meine Arbeit, Soldat!“, fauchte die fremde Stimme zur Antwort, doch die Hand arbeitete nun tatsächlich vorsichtiger, als sein Hosenbein aufgeschnitten wurde, um an die grausame Wunde zu gelangen, in der noch immer die abgebrochene Spitze einer spanischen Lanze steckte.
Niemand wagt es, sich einem wütenden Porthos zu widersetzen, schoss es ihm durch den Kopf, und er hätte gelächelt, wäre der Schmerz nicht erneut aufgeflammt und hätte ihn alle Kraft gekostet, um einen erneuten Aufschrei zu unterdrücken.
„Es muss ab“, erklärte da mit einem Mal der Fremde in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
„Was?“, hakte Porthos fassungslos nach.
„Ich muss es amputieren, sonst überlebt er keine...“
Mit einem Schlag lichtete sich jeder Nebel in d’Artagnans Gehirn. Er fuhr, von purem Adrenalin getrieben, auf der Liege empor und rief voll entsetzter Entschlossenheit: „Nein! Niemals!“
Athos erschrak, als urplötzlich Leben in den schwerverletzten Freund kam, fasste ihn aber sofort um die Schultern, während er sich zugleich scharf an den Feldscher wandte: „Ihr werdet nicht amputieren!“
Doch der Wundarzt zeigte kein Erbarmen. Ungeduldig erklärte er: „Geht mir aus dem Weg. Ich sage: Das Bein muss ab, sonst stirbt er an Wundbrand.“
„Ich sterbe lieber, als ein Krüppel zu sein!“, stieß d’Artagnan in tödlichem Ernst hervor, klammerte sich an Athos und flehte: „Lass es nicht zu!
Ihre Blicke kreuzten sich, verfingen sich ineinander, und die pure Verzweiflung in den Augen des jungen Gascogners ließ Athos schließlich resignieren. Sollte d’Artagnan wegen dieser Entscheidung sterben, würde Athos ihm folgen. In einem Krieg gab es viele Möglichkeiten den Tod zu finden. Doch genauso gut wusste er, dass d’Artagnan eine Verkrüppelung nicht überleben würde. Allein der Gedanke, den verwegenen, jungen, lebenshungrigen Mann auf Krücken... Ein kurzer Blickwechsel mit Porthos, und er versuchte, die Trauer und Furcht aus seinen Augen zu verbannen, als er d’Artagnan wieder ansah, sanft lächelte und knapp nickte, bevor er sich zwischen den Feldscher und d’Artagnans Bein stellte.
„Ich sagte: Ihr amputiert nicht!“ Seine Stimme war gefährlich leise, doch der Arzt, überzeugt, das Richtige zu tun, fuhr ihn bereits mit der Knochensäge in der Hand an: „Wer seid Ihr, mir zu befehlen?“
„Der Hauptmann der Königlichen Musketiere“, antwortete Porthos an Stelle seines Freundes kalt, zog zugleich seine Pistole, richtete sie auf den Feldscher und fügte hinzu: „Tut besser, was er Euch sagt!“
„Schon gut!“, knurrte der Wundarzt, schmiss die Säge zurück auf den Bestecktisch und erwiderte trotzig: „Wie Ihr wollt! Ich entferne die Lanzenspitze, nähe und verbinde die Wunde. Und spätestens übermorgen könnt Ihr Euren teuren Freund begraben!“
Zutiefst erleichtert und erschöpft zugleich ließ d’Artagnan den Oberkörper zurück auf die harte Unterlage sinken.
Der Feldscher griff unterdessen nach einer Zange und einem Wundspreizer und wollte sich gerade an die Arbeit machen, die Lanzenspitze zu entfernen, als Porthos ihn scharf anwies: „Halt! Nicht so!“
Nicht nur der Arzt, auch Athos sah den Freund verwundert an, so dass dieser eindringlich erklärte: „Aramis hat stets die Hände mit Alkohol gereinigt, bevor er unsere Wunden versorgt hat.“
Beide starrten auf die blutbesudelten Hände des Wundarztes, der an diesem harten Tag schon zahllose blutende, verdreckte, todgeweihte Männer berührt hatte. Athos überlegte nicht lange, nickte dann heftig und fügte hinzu: „Und er hat die Werkzeuge sowie Nadel und Faden in kochend heißes Wasser getaucht. Er lernte das von Lemay. Ich war selbst dabei, als der Arzt Tréville das Leben rettete. Der Hauptmann bekam keinen Wundbrand.“
„Was redet Ihr, Mann!“, fuhr der Feldscher auf.
„Ich habe noch eine kleine Flasche portugiesischen Rums in meiner Satteltasche!“, erklärte Porthos ohne ihn zu beachten, drückte Athos für alle Fälle seine Pistole in die Hand und rannte los.
Eine Hand auf d‘Artagnans Schulter, mit der anderen den Wundarzt in Schach haltend murmelte er einmal mehr: „Es wird alles gut, d’Artagnan. Porthos und ich sorgen dafür.“ Die einzige Antwort war die Hand des Jüngeren, die sich auf seine legte und schwach drückte.
„Ich habe noch mehr zu tun“, knurrte der Wundarzt und lenkte Athos von seinem Freund ab. Einschüchtern ließ der Mann sich zumindest nicht, musste er widerstrebend anerkennen. „Lasst Euch eine Schüssel kochendes Wasser bringen“, verlangte er laut.
Er bekam seinen Willen.
Und zusammen mit der Wasserschüssel kam Porthos in das Lazarett-Zelt hinein gerannt und brachte die Flasche.
Mit Argusaugen beobachteten sie, wie der Feldscher zunächst seine Hände mit dem Alkohol abwusch, wobei er etwas von „sinnloser Verschwendung“ vor sich hin brummte, und anschließend sein Operationsbesteck sowie Nadel und Faden in das heiße Wasser fallen ließ.
„Gut, dann los!“, gab Athos schließlich seine Zustimmung.
„Soll ich ihn schlafen legen?“, bot Porthos an und schaute dabei fragend zu Athos, doch d’Artagnan antwortete selbst: „Nein - ich muss wach bleiben!“ Dass seine Stimme dabei zitterte, schnitt den beiden älteren Musketieren ins Herz. Keiner von ihnen ließ es sich anmerken.
„Haltet ihn gut fest“, verlangte der Wundarzt, der sich endlich mit seinem Schicksal abgefunden hatte. Athos legte die Pistole beiseite und hielt d’Artagnans Oberkörper, während Porthos das verletzte Bein mit beiden Händen packte und stabilisierte. Und der Arzt begann sein schauriges Werk.
Eine Weile verbiss sich d’Artagnan jeden Schmerzenslaut, und selbst als die Lanzenspitze mit grausamer Langsamkeit endlich aus dem Fleisch seines Oberschenkels glitt stöhnte er lediglich tief in der Kehle. Doch als der Feldscher nach Porthos‘ Anweisung die Wunde mit dem restlichen Alkohol reinigte, schrie er laut auf - und endlich umfing ihn eine gnädige Ohnmacht.
„Mon dieu! Das wurde auch Zeit“, erklärte Porthos erleichtert, der während der gesamten Prozedur nicht weniger als d’Artagnan selbst die Zähne zusammengebissen hatte.
Athos schwieg, lockerte nur seinen Griff um die Schultern des Jüngeren, strich ihm sanft die schweißnassen Haare aus dem viel zu bleichen Gesicht und sah dann zu, wie der Feldscher mit offensichtlich geübten Griffen die Wunde ordentlich vernähte.
„Fertig!“, verkündete er schließlich grimmig und sah Athos und Porthos vorwurfsvoll an. „Dieses Leben geht auf Euer Konto!“, erklärte er düster, wandte sich dann ab und rief zwei der herumeilenden Helfer herbei. „Bringt ihn hinüber in das Lazarett-Zelt.“
„Das wird nicht nötig sein“, unterbrach Athos ihn mit kalter Ruhe. „Wir nehmen ihn mit, sobald er wieder zu sich kommt!“ Porthos fragenden Blick ignorierte er.
„Wie Ihr wollt“, erwiderte der Feldscher und murmelte noch: „Darauf kommt es nun auch nicht mehr an!“ Damit ging er nun endgültig und wandte sich dem nächsten Patienten zu.
Kaum war er außer Sicht, fragte Porthos leise: „Wir nehmen ihn mit?“
„Ich lasse ihn auf keinen Fall hier“, erwiderte Athos mit entschlossener Ruhe und setzte grimmig hinzu: „Am Ende führt der Kerl doch noch eine Amputation durch...“
Porthos nickte verstehend, als sie eine schwache, ungewohnt raue Stimme hörten, die mit verzweifelter Dringlichkeit zu wissen verlangte: „Ist mein Bein noch da?“
Sofort war Athos bei ihm, suchte dessen Blick und versicherte beruhigend: „Natürlich! Und so bleibt es auch!“
Die abgrundtiefe Erleichterung in den Augen des Jüngeren ließ ihn sacht lächeln.
„Danke“, murmelte d’Artagnan zutiefst erschöpft. „Euch beiden...“ Damit schloss er die Augen, doch Athos berührte ihn sanft an der Wange und bat: „Du musst noch etwas wach bleiben, d’Artagnan. Kannst du das für mich tun?“
Mit einem Seufzen schlug d’Artagnan die Augen wieder auf und sah seinen Gefährten und Hauptmann fragend an.
„Wir bringen dich hier weg“ erklärte Athos ihm. „Zurück ins Lager... Kannst du reiten?“
„Wenn ich muss...“, erwiderte der Jüngere entschlossen. Die Aussicht, von diesem grauenhaften Ort weg zu kommen, gab ihm Kraft.
„Porthos trägt dich zu den Pferden“, erklärte Athos, und dass d’Artagnan nicht ein Wort des Protestes darüber verlor, sagte alles über seinen Zustand aus.
So verließen sie unbeachtet das Erstversorgungs-Zelt. Nach dem grausamen Gefecht gab es hier so viele Verwundete, dass man einem weniger nicht nachtrauerte.
Ein Stück entfernt fanden sie ihre Pferde, nach der Schlacht und dem langen Tag ähnlich erschöpft und derangiert wie ihre Herren und trotzdem bereit, sie noch ein Stück länger zu tragen.
Athos stieg auf Minou, die gegen ihre sonstige Gewohnheit geduldig still stand, als Porthos ihm d’Artagnan reichte. Der Gascogner selbst konnte kaum mithelfen, doch schließlich saß er sicher vor Athos im Sattel.
Die frische Nachtluft vertrieb den entsetzlichen Blutgeruch aus seiner Nase und klärte seinen Verstand, das Pochen in seinem Bein war schmerzhaft, aber durch den fachmännisch angelegten Verband zu ertragen, und in seinem Rücken spürte er die vertraute, Sicherheit versprechende Wärme seines Freundes, der ihn nun mit dem linken Arm fest umfing, während er mit der Rechten die Stute lenkte.
Porthos flankierte sie, La Belle am Zügel führend, und so ritten sie langsam in die Nacht hinaus, zurück zu ihrem derzeitigen Quartier - weg von diesem Ort des Grauens. Und geborgen in der verlässlichen Umarmung seines Gefährten, begleitet und bewacht von ihrem getreuen Waffenbruder wusste d’Artagnan mit einem Mal, dass Athos sein Versprechen würde einlösen können:
Es wird alles gut...
Tatsächlich starben in sehr vielen historischen Kriegen weit mehr Soldaten an Krankheiten und Wundbrand als direkt auf dem Schlachtfeld… Und das Feldlazarett muss nach einer Schlacht ein Ort wie aus der Hölle gewesen sein.
Natürlich hat niemand von Euch ernsthaft damit gerechnet, dass d’Artagnan versehrt oder gar getötet wird. Aber weder er noch seine Brüder sind sich dessen sicher, und ich habe hiermit versucht, mich in ihre Lage zu versetzen.
Auch dieser OS ist für mich seit beinahe von Anfang an Head-Canon und hat somit spätere Geschichten ein klein wenig beeinflusst. Und - hatte ich nicht versprochen, dass Aramis irgendwie doch immer bei ihnen sein wird ;-)?
Wie immer freue ich mich über jede Rückmeldung.
Nächste Woche starte ich mit einer Kriegsgeschichte, die vier oder fünf Kapitel haben wird und uns somit bis zur Sommerpause beschäftigt. Bis dahin wünsche ich Euch nun erst einmal ein erholsames verlängertes Wochenende – möglichst mit wenig Unwettern – und eine ruhige Woche!
Ann
der heutige OS ist fast so alt wie der von letzter Woche. Und genau wie bei „Bestrafung“ habe ich letztlich davon abgesehen, ihn zu „glätten“, damit er besser zu den bisherigen Waffenbrüder-Geschichten passt. Ich möchte den ursprünglichen Charakter nicht verändern.
Und ähnlich wie letzte Woche geht es nicht sanft und beschaulich zu – wir sind nun mal im Krieg. Deshalb stelle ich ein paar Toffifee neben Erdbeer-Eisbechern bereit und wünsche spannende Minuten.
Ann
Waffenbrüder 23 - Kriegszeit
16.10.2019
Feldlazarett
Glühender Schmerz umnebelte seinen Verstand. Er schaffte es nicht, die Augen zu öffnen. Zugleich hatte er das verwirrende Gefühl, zu schweben... Der ohrenbetäubende Lärm der Schlacht fiel hinter ihm zurück, und er begrüßte beinahe die gnädige Schwärze, die den Nebel ersetzte und ihn verschlang...
Doch nicht für allzu lange...
Hektische, angespannte Betriebsamkeit, der Gestank nach Blut und Dreck und Tod...
„Wohin, Mann?“ Eine harsche Stimme, die zutiefst vertraut klang.
„Hierher... Los, macht Platz!“ Eine zweite Stimme, nicht weniger harsch, aber unbekannt.
„Porthos - vorsichtig!“ Wieder die vertraute Stimme, diesmal voll tiefer Besorgnis.
Er spürte, wie starke Arme ihn auf einer harten Unterlage ablegten, und so behutsam das auch geschah, konnte d’Artagnan doch ein raues Aufstöhnen nicht unterdrücken, als sein Bein in Berührung mit dem Brett unter ihm kam. Sofort waren da zwei Hände um sein Gesicht, strichen ihm über die Wangen und durch das Haar, während die geliebte Stimme eindringlich murmelte: „Alles gut, d’Artagnan! Es wird alles gut!“
Er wollte so gerne antworten, doch...
Eine brutale Berührung an seinem Bein, und er schrie unwillkürlich auf.
„Verdammt, was machst du da!“ Eine dritte Stimme, fast so vertraut wie die erste, voller Wut, aber d’Artagnan hatte nicht die Kraft, den Kopf zu heben und nach dem Sprecher zu sehen.
„Meine Arbeit, Soldat!“, fauchte die fremde Stimme zur Antwort, doch die Hand arbeitete nun tatsächlich vorsichtiger, als sein Hosenbein aufgeschnitten wurde, um an die grausame Wunde zu gelangen, in der noch immer die abgebrochene Spitze einer spanischen Lanze steckte.
Niemand wagt es, sich einem wütenden Porthos zu widersetzen, schoss es ihm durch den Kopf, und er hätte gelächelt, wäre der Schmerz nicht erneut aufgeflammt und hätte ihn alle Kraft gekostet, um einen erneuten Aufschrei zu unterdrücken.
„Es muss ab“, erklärte da mit einem Mal der Fremde in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
„Was?“, hakte Porthos fassungslos nach.
„Ich muss es amputieren, sonst überlebt er keine...“
Mit einem Schlag lichtete sich jeder Nebel in d’Artagnans Gehirn. Er fuhr, von purem Adrenalin getrieben, auf der Liege empor und rief voll entsetzter Entschlossenheit: „Nein! Niemals!“
Athos erschrak, als urplötzlich Leben in den schwerverletzten Freund kam, fasste ihn aber sofort um die Schultern, während er sich zugleich scharf an den Feldscher wandte: „Ihr werdet nicht amputieren!“
Doch der Wundarzt zeigte kein Erbarmen. Ungeduldig erklärte er: „Geht mir aus dem Weg. Ich sage: Das Bein muss ab, sonst stirbt er an Wundbrand.“
„Ich sterbe lieber, als ein Krüppel zu sein!“, stieß d’Artagnan in tödlichem Ernst hervor, klammerte sich an Athos und flehte: „Lass es nicht zu!
Ihre Blicke kreuzten sich, verfingen sich ineinander, und die pure Verzweiflung in den Augen des jungen Gascogners ließ Athos schließlich resignieren. Sollte d’Artagnan wegen dieser Entscheidung sterben, würde Athos ihm folgen. In einem Krieg gab es viele Möglichkeiten den Tod zu finden. Doch genauso gut wusste er, dass d’Artagnan eine Verkrüppelung nicht überleben würde. Allein der Gedanke, den verwegenen, jungen, lebenshungrigen Mann auf Krücken... Ein kurzer Blickwechsel mit Porthos, und er versuchte, die Trauer und Furcht aus seinen Augen zu verbannen, als er d’Artagnan wieder ansah, sanft lächelte und knapp nickte, bevor er sich zwischen den Feldscher und d’Artagnans Bein stellte.
„Ich sagte: Ihr amputiert nicht!“ Seine Stimme war gefährlich leise, doch der Arzt, überzeugt, das Richtige zu tun, fuhr ihn bereits mit der Knochensäge in der Hand an: „Wer seid Ihr, mir zu befehlen?“
„Der Hauptmann der Königlichen Musketiere“, antwortete Porthos an Stelle seines Freundes kalt, zog zugleich seine Pistole, richtete sie auf den Feldscher und fügte hinzu: „Tut besser, was er Euch sagt!“
„Schon gut!“, knurrte der Wundarzt, schmiss die Säge zurück auf den Bestecktisch und erwiderte trotzig: „Wie Ihr wollt! Ich entferne die Lanzenspitze, nähe und verbinde die Wunde. Und spätestens übermorgen könnt Ihr Euren teuren Freund begraben!“
Zutiefst erleichtert und erschöpft zugleich ließ d’Artagnan den Oberkörper zurück auf die harte Unterlage sinken.
Der Feldscher griff unterdessen nach einer Zange und einem Wundspreizer und wollte sich gerade an die Arbeit machen, die Lanzenspitze zu entfernen, als Porthos ihn scharf anwies: „Halt! Nicht so!“
Nicht nur der Arzt, auch Athos sah den Freund verwundert an, so dass dieser eindringlich erklärte: „Aramis hat stets die Hände mit Alkohol gereinigt, bevor er unsere Wunden versorgt hat.“
Beide starrten auf die blutbesudelten Hände des Wundarztes, der an diesem harten Tag schon zahllose blutende, verdreckte, todgeweihte Männer berührt hatte. Athos überlegte nicht lange, nickte dann heftig und fügte hinzu: „Und er hat die Werkzeuge sowie Nadel und Faden in kochend heißes Wasser getaucht. Er lernte das von Lemay. Ich war selbst dabei, als der Arzt Tréville das Leben rettete. Der Hauptmann bekam keinen Wundbrand.“
„Was redet Ihr, Mann!“, fuhr der Feldscher auf.
„Ich habe noch eine kleine Flasche portugiesischen Rums in meiner Satteltasche!“, erklärte Porthos ohne ihn zu beachten, drückte Athos für alle Fälle seine Pistole in die Hand und rannte los.
Eine Hand auf d‘Artagnans Schulter, mit der anderen den Wundarzt in Schach haltend murmelte er einmal mehr: „Es wird alles gut, d’Artagnan. Porthos und ich sorgen dafür.“ Die einzige Antwort war die Hand des Jüngeren, die sich auf seine legte und schwach drückte.
„Ich habe noch mehr zu tun“, knurrte der Wundarzt und lenkte Athos von seinem Freund ab. Einschüchtern ließ der Mann sich zumindest nicht, musste er widerstrebend anerkennen. „Lasst Euch eine Schüssel kochendes Wasser bringen“, verlangte er laut.
Er bekam seinen Willen.
Und zusammen mit der Wasserschüssel kam Porthos in das Lazarett-Zelt hinein gerannt und brachte die Flasche.
Mit Argusaugen beobachteten sie, wie der Feldscher zunächst seine Hände mit dem Alkohol abwusch, wobei er etwas von „sinnloser Verschwendung“ vor sich hin brummte, und anschließend sein Operationsbesteck sowie Nadel und Faden in das heiße Wasser fallen ließ.
„Gut, dann los!“, gab Athos schließlich seine Zustimmung.
„Soll ich ihn schlafen legen?“, bot Porthos an und schaute dabei fragend zu Athos, doch d’Artagnan antwortete selbst: „Nein - ich muss wach bleiben!“ Dass seine Stimme dabei zitterte, schnitt den beiden älteren Musketieren ins Herz. Keiner von ihnen ließ es sich anmerken.
„Haltet ihn gut fest“, verlangte der Wundarzt, der sich endlich mit seinem Schicksal abgefunden hatte. Athos legte die Pistole beiseite und hielt d’Artagnans Oberkörper, während Porthos das verletzte Bein mit beiden Händen packte und stabilisierte. Und der Arzt begann sein schauriges Werk.
Eine Weile verbiss sich d’Artagnan jeden Schmerzenslaut, und selbst als die Lanzenspitze mit grausamer Langsamkeit endlich aus dem Fleisch seines Oberschenkels glitt stöhnte er lediglich tief in der Kehle. Doch als der Feldscher nach Porthos‘ Anweisung die Wunde mit dem restlichen Alkohol reinigte, schrie er laut auf - und endlich umfing ihn eine gnädige Ohnmacht.
„Mon dieu! Das wurde auch Zeit“, erklärte Porthos erleichtert, der während der gesamten Prozedur nicht weniger als d’Artagnan selbst die Zähne zusammengebissen hatte.
Athos schwieg, lockerte nur seinen Griff um die Schultern des Jüngeren, strich ihm sanft die schweißnassen Haare aus dem viel zu bleichen Gesicht und sah dann zu, wie der Feldscher mit offensichtlich geübten Griffen die Wunde ordentlich vernähte.
„Fertig!“, verkündete er schließlich grimmig und sah Athos und Porthos vorwurfsvoll an. „Dieses Leben geht auf Euer Konto!“, erklärte er düster, wandte sich dann ab und rief zwei der herumeilenden Helfer herbei. „Bringt ihn hinüber in das Lazarett-Zelt.“
„Das wird nicht nötig sein“, unterbrach Athos ihn mit kalter Ruhe. „Wir nehmen ihn mit, sobald er wieder zu sich kommt!“ Porthos fragenden Blick ignorierte er.
„Wie Ihr wollt“, erwiderte der Feldscher und murmelte noch: „Darauf kommt es nun auch nicht mehr an!“ Damit ging er nun endgültig und wandte sich dem nächsten Patienten zu.
Kaum war er außer Sicht, fragte Porthos leise: „Wir nehmen ihn mit?“
„Ich lasse ihn auf keinen Fall hier“, erwiderte Athos mit entschlossener Ruhe und setzte grimmig hinzu: „Am Ende führt der Kerl doch noch eine Amputation durch...“
Porthos nickte verstehend, als sie eine schwache, ungewohnt raue Stimme hörten, die mit verzweifelter Dringlichkeit zu wissen verlangte: „Ist mein Bein noch da?“
Sofort war Athos bei ihm, suchte dessen Blick und versicherte beruhigend: „Natürlich! Und so bleibt es auch!“
Die abgrundtiefe Erleichterung in den Augen des Jüngeren ließ ihn sacht lächeln.
„Danke“, murmelte d’Artagnan zutiefst erschöpft. „Euch beiden...“ Damit schloss er die Augen, doch Athos berührte ihn sanft an der Wange und bat: „Du musst noch etwas wach bleiben, d’Artagnan. Kannst du das für mich tun?“
Mit einem Seufzen schlug d’Artagnan die Augen wieder auf und sah seinen Gefährten und Hauptmann fragend an.
„Wir bringen dich hier weg“ erklärte Athos ihm. „Zurück ins Lager... Kannst du reiten?“
„Wenn ich muss...“, erwiderte der Jüngere entschlossen. Die Aussicht, von diesem grauenhaften Ort weg zu kommen, gab ihm Kraft.
„Porthos trägt dich zu den Pferden“, erklärte Athos, und dass d’Artagnan nicht ein Wort des Protestes darüber verlor, sagte alles über seinen Zustand aus.
So verließen sie unbeachtet das Erstversorgungs-Zelt. Nach dem grausamen Gefecht gab es hier so viele Verwundete, dass man einem weniger nicht nachtrauerte.
Ein Stück entfernt fanden sie ihre Pferde, nach der Schlacht und dem langen Tag ähnlich erschöpft und derangiert wie ihre Herren und trotzdem bereit, sie noch ein Stück länger zu tragen.
Athos stieg auf Minou, die gegen ihre sonstige Gewohnheit geduldig still stand, als Porthos ihm d’Artagnan reichte. Der Gascogner selbst konnte kaum mithelfen, doch schließlich saß er sicher vor Athos im Sattel.
Die frische Nachtluft vertrieb den entsetzlichen Blutgeruch aus seiner Nase und klärte seinen Verstand, das Pochen in seinem Bein war schmerzhaft, aber durch den fachmännisch angelegten Verband zu ertragen, und in seinem Rücken spürte er die vertraute, Sicherheit versprechende Wärme seines Freundes, der ihn nun mit dem linken Arm fest umfing, während er mit der Rechten die Stute lenkte.
Porthos flankierte sie, La Belle am Zügel führend, und so ritten sie langsam in die Nacht hinaus, zurück zu ihrem derzeitigen Quartier - weg von diesem Ort des Grauens. Und geborgen in der verlässlichen Umarmung seines Gefährten, begleitet und bewacht von ihrem getreuen Waffenbruder wusste d’Artagnan mit einem Mal, dass Athos sein Versprechen würde einlösen können:
Es wird alles gut...
Tatsächlich starben in sehr vielen historischen Kriegen weit mehr Soldaten an Krankheiten und Wundbrand als direkt auf dem Schlachtfeld… Und das Feldlazarett muss nach einer Schlacht ein Ort wie aus der Hölle gewesen sein.
Natürlich hat niemand von Euch ernsthaft damit gerechnet, dass d’Artagnan versehrt oder gar getötet wird. Aber weder er noch seine Brüder sind sich dessen sicher, und ich habe hiermit versucht, mich in ihre Lage zu versetzen.
Auch dieser OS ist für mich seit beinahe von Anfang an Head-Canon und hat somit spätere Geschichten ein klein wenig beeinflusst. Und - hatte ich nicht versprochen, dass Aramis irgendwie doch immer bei ihnen sein wird ;-)?
Wie immer freue ich mich über jede Rückmeldung.
Nächste Woche starte ich mit einer Kriegsgeschichte, die vier oder fünf Kapitel haben wird und uns somit bis zur Sommerpause beschäftigt. Bis dahin wünsche ich Euch nun erst einmal ein erholsames verlängertes Wochenende – möglichst mit wenig Unwettern – und eine ruhige Woche!
Ann