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Tempus Gratiae

Kurzbeschreibung
KurzgeschichteAbenteuer, Liebesgeschichte / P16 / Het
Hermine Granger OC (Own Character) Severus Snape
11.05.2022
23.05.2022
4
25.348
151
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50 Reviews
Dieses Kapitel
21 Reviews
 
 
23.05.2022 5.284
 
Und da sind wir schon beim letzten Kapitel. ^^
Ich danke euch für die Reviews und Empfehlungen und wünsche euch viel Spaß beim Lesen! :)

- - -

 Es gab etwas, das diese Zeit, dieses Haus, dieses Schlafzimmer im Obergeschoss, grundlegend von seinen Räumen in Hogwarts' Kerkern unterschied: Er wachte durch Vogelgezwitscher auf und nicht durch seinen Weckzauber. Er war jedoch unschlüssig, ob das besser war.

 Severus stöhnte leise und rollte sich auf den Rücken. Blinzelnd sah er sich um und stellte fest, dass er nicht in der kleinen Kammer lag, die Granger ihm zur Verfügung gestellt hatte. Von da aus dauerte es noch etwa drei Sekunden, bis ihm der letzte Abend und die darauffolgende Nacht wieder einfielen.

 Merlin …

 Er zog die Augenbrauen hoch und schielte zur anderen Seite des Bettes. Aber die war verlassen. Severus schnaubte. Was hatte er auch erwartet? Sie hatte die Nacht mit ihm verbracht, mehr konnte man kaum von ihr erwarten.

 Er warf die Decke beiseite und stand auf. Die kühle Luft des frühen Morgens bereitete ihm eine Gänsehaut und er zog sich rasch an. Auf einer Kommode stand eine Schale mit frischem Wasser, mit dem er sich – kalt wie es war – das Gesicht wusch. Die restliche Körperpflege erledigte er wie bereits am Tag zuvor mit einem Zauber.

 Als er nach unten kam, fand er das Haus dort ebenso verlassen wie das Bett neben ihm. Aber es stand eine Tasse Kaffee auf dem Tisch, offenbar mit einem Stasiszauber belegt, denn er war immer noch warm, als Severus daran nippte.

 Mit der Tasse in der Hand ging er nach draußen und sah sich um. Granger … Nun, vielleicht war es unter den gegebenen Umständen angemessen, jetzt ihren Vornamen zu nutzen. Jedenfalls saß sie auf derselben Bank, auf der er gestern Morgen gesessen hatte, das Gesicht der Sonne zugewandt und die Augen geschlossen. Unwillkürlich fiel sein Blick auf ihre Lippen und er erinnerte sich daran, wie sie sich unter seinen angefühlt hatten. Wie ihre Haare gerochen hatten, als er ihren Nacken geküsst hatte. Und wie kräftig ihre Beine gewesen waren, als …

 „Guten Morgen“, unterbrach sie seine Gedanken und lächelte. „Hast du gut geschlafen?“

 Er nickte knapp. „Du?“

 Sie wog den Kopf. „Bis Heli mich gerufen hat, habe ich gut geschlafen, ja.“

 „Sie hat dich gerufen?“, wiederholte er, denn davon hatte er nichts mitbekommen.

 Hermine hob ihre Hand, bis der silberne Ring im Sonnenlicht glitzerte. „Wir haben so unsere Methoden …“

 „Verstehe“, murmelte er. Dann gab er sich einen Ruck und setzte sich neben sie. „Was ist passiert? Steht die nächste Hexenverbrennung an?“

 Sie lächelte flüchtig. „Nein. Bei einer Frau im Dorf hatten die Wehen eingesetzt.“

 Severus sah sich mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihr um. „Du hast heute bereits ein Kind zur Welt gebracht?“

 Sie lachte leise. „Nicht ich, nein, aber ich habe dabei geholfen.“

 Er schnaubte leise und trank von seinem Kaffee. Mit gerunzelter Stirn sah er in den Wald, beobachtete ein Eichhörnchen, das in Spiralen einen Baumstamm hinauflief, und spürte Ruhe in sich sickern, wie er sie schon seit Jahren nicht mehr gespürt hatte. Er setzte ihr ein Ende, indem er fragte: „Was war das letzte Nacht? Gehörte das mit zu deinem Plan, mich hier aufzupäppeln, damit ich drüben tun kann, was von mir erwartet wird?“

 „Mein Plan?“, lachte sie, aber es klang anders als eben. „Du hast dich gestern doch dafür entschieden.“

 „Nachdem du dich mir angeboten hast.“

 „Ja, angeboten. Gezwungen habe ich dich zu nichts und ich wäre dir sehr verbunden, wenn du es jetzt nicht so drehen würdest, als hätte ich mich im Sinne des Krieges prostituiert.“

 Er verzog das Gesicht unter diesem Wort, das sich anfühlte wie eine verbale Ohrfeige. „Entschuldige“, murmelte er.

 Hermine nickte, verschränkte aber die Arme vor der Brust. „Was letzte Nacht passiert ist, gehörte zu keinem Plan. Im Gegenteil. Ich bin mir heute nicht mehr sicher, ob es die richtige Entscheidung gewesen ist.“

 „Das dachte ich mir“, entgegnete er mit dunkler Stimme und strich mit dem Daumen über den Rand seiner Tasse. Der Nachgeschmack des Kaffees war plötzlich bitter auf seiner Zunge.

 „Ja, das glaube ich dir sogar. Aber meine Gründe, die letzte Nacht anzuzweifeln, sind nicht die, die du im Sinn hast.“

 Er sah sie an. „Sondern?“

 Sie schluckte schwer, ihr Blick schwankte zwischen seinen Augen und seinen Lippen, so als würde sie darüber nachdenken, ihn wieder zu küssen anstatt seine Frage zu beantworten. „Ich muss dich zurückkehren lassen und die letzte Nacht macht das nicht einfacher …“

 Severus runzelte die Stirn und musterte sie kritisch. „Es kann dir nicht schwerfallen, mich gehenzulassen. Die letzte Nacht war kaum mehr als ein Überschwang an Emotionen, geboren aus dem Moment.“

 Sie presste die Lippen aufeinander und wandte den Blick ab. „Für dich vielleicht“, murmelte sie.

 „Hermine, wir …“

 „Spar es dir“, unterbrach sie ihn. „Ich bin dir ein paar Antworten schuldig und ich denke, jetzt ist der richtige Moment gekommen, um sie dir zu geben.“ Ohne auf seine Antwort zu warten, stand sie auf und ging ins Haus.

 Severus holte tief Luft und atmete dann ebenso tief wieder aus. Er hätte sich niemals auf die letzte Nacht einlassen sollen …

- - -

 Als er ihr ins Haus folgte, saß sie am Küchentisch und vor ihr auf der Tischplatte lagen drei Dinge: Eine Phiole mit einem grasgrünen Trank, eine Rolle Pergament und ein Stück Holz, auf dem zwei Ringe steckten.

 Severus musterte die Sachen konsterniert. „Falls das ein Liebestrank, ein Ehegelöbnis und die passenden Ringe sein sollen, kann ich dir versprechen, dass das nichts sein wird, für das ich mich entscheide.“

 Sie sah ausdruckslos zu ihm auf. „Mach dich nicht lächerlich.“

 Severus schürzte die Lippen, setzte sich dann aber zu ihr. „Sagst du mir von allein, was es damit auf sich hat, oder muss ich erst fragen?“

 „Ersteres“, beschied sie. „Während meines sechsten Schuljahres bist du für eine Woche verschwunden. Niemand wusste, wo du warst, auch wenn keiner das zugeben wollte. Man hat dir nach deiner Rückkehr nichts angemerkt. Zumindest nicht, wenn du es nicht wolltest.“

 „Als ob ich das jemals wollen würde …“, murmelte Severus.

 „Oh, das hast du. Mir gegenüber. Zweimal.“

 Er spürte, wie seine Augen eine Nuance größer wurden, sagte jedoch nichts.

 „Ich habe lange gedacht, ich hätte mir das nur eingebildet, aber ich konnte auch nicht aufhören, darüber nachzudenken. Wie du selbst gesagt hast: Du zeigst niemals jemandem etwas von dir. Und wenn doch, dann bedeutet es etwas. Ich konnte mir nur nie erklären, warum du es ausgerechnet mir gezeigt hast. Warum du … mich hergelockt hast.“

 „Dich hergelockt?“, wiederholte er ungläubig.

 Sie atmete scharf aus, lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe noch während meiner Schulzeit versucht herauszufinden, was in dieser einen Woche passiert ist. Wie gesagt, ich konnte das nicht loslassen, nicht mal nachdem …“ Sie brach ab und trotzdem wusste Severus, was sie hatte sagen wollen: Nicht mal nachdem du gestorben warst. Er machte sich keine Illusionen darüber, wie der Krieg für ihn enden würde. Hermine fuhr fort: „Aber es konnte mir niemand bei diesem Rätsel helfen, also habe ich es aufgegeben. Mehrere Jahre lang habe ich nicht darüber nachgedacht. Bis ich eine Eule bekam, die mir dein Notizbuch gebracht hat. Du musst es zeitverzögert geschickt haben. Und an meine Adresse in London.“

 Severus blinzelte und schüttelte kaum merklich den Kopf. Warum hätte er so etwas tun sollen? Warum sein Notizbuch? Warum zeitverzögert? Dennoch bedeutete er ihr fortzufahren.

 „Bei dem Datum deines Verschwindens stand nur 'Doll, Brora' und ich habe angefangen zu recherchieren. In Doll fand ich den Zeitriss. Es gibt dort nur ein Bed & Breakfast und die Frau, die es führt, gab mir einen Stapel Bücher, den du dort einige Jahre zuvor für mich hinterlegt hattest. Darin fand ich alles, was ich über Zeitrisse wissen musste. Was das ist, wie er entsteht, wie ich ihn analysieren kann … Und was nicht in den Büchern stand, habe ich selbst herausgefunden.“ Sie wischte sich ihre Haare hinter die Ohren. „Wie dem auch sei: Du wolltest, dass ich herkomme. Damit ich hier bin, wenn du herkommst.“

 Als sie verstummte, holte Severus tief Luft und fuhr sich mit der Hand über den Mund. War es wirklich möglich, dass er diese Dinge tun würde? Oder getan hatte … Merlin, er hasste Zeitmagie. Was sie ihm erzählte, lag in ihrer Vergangenheit und seiner Zukunft. Und trotzdem lag es nicht in seiner Hand, ob die Dinge wieder so geschehen würden. Nicht wirklich. Es gab nur eine Zeitlinie; dass sie jetzt hier saßen, bewies, dass er genau das tun würde, was Hermine ihm erzählte, denn andernfalls wäre sie nicht hier. Hinter seiner Stirn begann es zu pochen. „Das ist absurd“, murmelte er und rieb sich die Schläfen.

 „Das ist die einzige logische Erklärung.“

 „Ist es das?“, schnarrte er. „Jeder hätte mit Vielsafttrank meine Gestalt annehmen und diese Dinge tun können.“

 „Trotzdem bist du hier und niemand anderes.“

 Dem konnte er nicht widersprechen. „Also bist du die ganze Zeit über hier gewesen, weil du auf mich gewartet hast?“

 Sie sah ihm in die Augen und nickte. „Es ist über zwei Jahre her, dass die Eule mit deinem Notizbuch bei mir angekommen ist. Seitdem bin ich die meiste Zeit hier.“

 Er sah sie fassungslos an. Dann stand er auf und ging zum Fenster, weil er es nicht länger ertragen konnte, sie anzusehen.

 „Was ich gestern gesagt habe, meinte ich ernst, Severus. Ich vermisse nichts. Ich gehe regelmäßig durch den Riss und besuche meine Freunde und meine Familie, aber …“

 „Wie?“, unterbrach er sie, ehe sie weiterreden konnte. und wandte sich zu ihr um. „Wie kannst du in beiden Zeiten gleichzeitig leben, ohne dass es im Chaos endet?“ Soweit er wusste, war es unmöglich zu steuern, in welcher Zeit man aus dem Riss kam. Er warf einen irgendwann in dem Zeitraum, während dem er existierte, heraus, weswegen Hermine nach ihm hindurchgehen und vor ihm in der Vergangenheit hatte ankommen können. Und weswegen die ganze Zeit über, die er nun schon hier war, das kalte Prickeln in seinem Nacken saß; die Angst, dass er ein paar Jahre zu spät zurückkehren könnte und nicht da sein würde, wenn er es sein musste.

 „Ich habe einen Weg gefunden, zu berechnen, wann man durch den Riss gehen muss, um einigermaßen die richtige Zeit zu treffen. Der Riss ist kein Chaos, er folgt einem System.“

 Severus zuckte mit den Augenbrauen. „Tut er das?“ Was nur halb so abfällig klang, wie er es hatte sagen wollen, denn das war faszinierend und ein Teil von ihm wollte mehr darüber wissen.

 Doch Hermine gab diesem Teil nicht, was er wollte: „Allerdings. Nun, wie ich sagte, ich bin regelmäßig drüben, aber mein Leben findet hier statt. Und ich habe ein gutes Leben. Ich bewirke etwas. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele Leben mein Wissen über magische Medizin hier bereits gerettet hat. Ich bereue nicht, dass ich geblieben bin.“

 „Ach nein?“, fragte er scharf. „Dafür redest du es dir gerade verdammt schön.“

 Sie sah ihn an. „Ich rede es dir schön, weil auch das etwas ist, das ich ernst meinte: Ich kenne dich. Ich habe mit allen geredet, die mir etwas über dich sagen konnten. Ich habe dein Notizbuch studiert und deine Art zu denken. Ich habe …“ Wieder brach sie ab und dieses Mal wusste er nicht, wie ihr Satz hätte weitergehen sollen. „Ich kenne dich. So gut wie jemand außer dir selbst dich eben kennen kann. Und was ich gestern Abend getan habe, hatte nichts mit einem Überschwang von Emotionen zu tun.“ Sie wandte schnell den Blick ab und klappte den Mund so abrupt zu, als hätte sie es augenblicklich bereut, den letzten Satz ausgesprochen zu haben.

 Severus schloss die Augen, griff sich an die Nasenwurzel. Merlin … Da saß sie, Hermine Granger, schlauste Hexe ihres Jahrgangs, und hatte ihr Leben aufgegeben. Für ihn. Damit sie da sein konnte, wenn er mit seiner Aufgabe haderte. Fünfhundert Jahre in der Vergangenheit. „Du hättest das nicht tun sollen“, murmelte er.

 „Wie hätte ich nicht? Du hast mich doch darum gebeten.“

 Er schluckte schwer und war froh, dass er noch nicht gefrühstückt hatte.

 „Und davon abgesehen hattest du auch nicht ganz unrecht.“

 Er zog die Augenbrauen hoch. „Womit?“

 „Ich genieße es schon, das Beste aus zwei Zeiten mitzunehmen.“ Sie lächelte schief. „Wer kann schon von sich behaupten, mit jemandem befreundet zu sein, der es in die Geschichtsbücher geschafft hat?“

 „Du bist mit Harry Potter befreundet, reicht das nicht?“, fragte er ölig.

 „Das trifft auf einige aus meinem Jahrgang zu, es ist nicht so außergewöhnlich … Aber Wendeline die Ulkige?“

 Er rieb sich kopfschüttelnd über die Augen. Schließlich konzentrierte er sich wieder auf die Gegenstände, die sie auf den Tisch gelegt hatte. „Nun, wofür ist das alles?“

 Sie schürzte die Lippen. „Das alles ist für das Einzige, was ich dir erzählen kann von dem, was auf dich zukommen wird.“

 Er runzelte die Stirn und kehrte zum Tisch zurück, setzte sich. „Warum kannst du mir nicht mehr erzählen?“

 „Weil es alles durcheinanderbringen würde. Ich habe das durchgerechnet, alle Variablen. Als ich herkam und begriff, wie alles zusammenpasste und welche Rolle ich hier spielen würde, habe ich mich gefragt, wie viel ich dir über den Krieg erzählen werde. Ob alles so gekommen ist, wie es passiert ist, weil ich dir erzählt habe, was passieren würde. Also habe ich alles arithmantisch durchgerechnet. Aber ich kann dir nur diesen einen Teil erzählen, ohne dass … alles schiefgeht.“

 „Welchen Teil?“

 Sie hob den Blick. „Das Ende.“

 Severus nickte langsam. Das Ende also. „Ich höre.“

 Sie holte tief Luft. „Der Trank ist ein modifiziertes Gegengift und auf dem Pergament ist ein Spruch, der den Stoffwechsel deines Körper ausreichend herabsetzt, um eine Chance zu haben.“

 „Eine Chance wofür?“

 „Eine Chance, Naginis Biss zu überleben.“ Sie sah ihn nicht an, während sie es sagte.

 Severus schloss kurz seine Augen. Diese verdammte Schlange! „Sie wird mich töten“, murmelte er.

 „Nein, das wird sie nicht. Wir dachten, sie hätte es getan, aber …“

 „Aber was?“

 Sie schluckte. „Ich war dabei, als du von ihr angegriffen wurdest. Ich habe gesehen, wie du gestorben bist, nachdem du …“ Wieder brach sie ab und schnaubte genervt. „Merlin, das ist schwieriger, als ich dachte.“

 „Da sagst du was“, kommentierte er trocken.

 Sie fuhr sich durch die Haare. „Jedenfalls warst du nicht mehr da, als man dich holen wollte.“

 „Woher holen?“

 „Aus der Heulenden Hütte.“

 Severus stöhnte. Im Ernst? Die verdammte Hütte? Nach all den Jahren würde er dort doch noch durch den Angriff eines blutrünstigen Monsters sterben?

 Hermine überging seine Reaktion. „Professor McGonagall hat mir am Tag danach erzählt, dass du nicht mehr dort gewesen bist, als man dich holen wollte. Sie vermutete, dass du den verbliebenen Todesser zum Opfer gefallen bist, aber ich weiß es besser. Du warst nicht mehr dort, weil du überlebt hast. Weil es mir in den Jahren, die ich hier gewesen bin, gelungen ist, dieses Gegengift zu brauen.“

 „Du sagtest, es sei modifiziert?“ Es gab bereits ein Gegengift für Naginis Gift; nachdem Arthur von ihr gebissen worden war, hatte das St.-Mungos eines hergestellt.

 „Ja. Es ist eine Kombination aus dem Gegengift und einem starken Blutbildenden Trank. Wenn du den Zauber sprichst, bevor du in die Heulende Hütte gehst, wird dein Körper das Gift langsam genug absorbieren, damit du es nehmen kannst, sobald du wieder alleine bist. Wenn du es willst.“

 Sie sprach die letzten Worte sehr leise und als er den Blick hob, sah er sie schlucken. „Habe ich denn überhaupt eine Wahl?“, fragte er leise. Immerhin war seine Leiche verschwunden und im Gegensatz zu Minerva glaubte er nicht, dass etwaige überlebende Todesser ihre Freiheit riskieren würden, um sich mit seiner Leiche zu befassen. Also hatte … würde er sich anscheinend dafür entscheiden zu überleben.

 Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich habe dich nicht mehr gesehen, seitdem wir dich in der Heulenden Hütte zurückgelassen haben. Vielleicht hast du überlebt. Vielleicht ist auch irgendetwas anderes mit dir passiert. Es sind einige Stunden vergangen, bevor jemand dazu kam, nach dir zu sehen. Ich weiß einiges, aber das …“ Sie schüttelte den Kopf und in ihren Augen lag etwas, für das Severus keine Worte fand.

 Schließlich schob sie die Ringe in seine Richtung. „Wenn du es überlebst … Falls du überleben willst … Falls du … zurückkommen willst … Dann brauchst du einen davon. Das sind Anker. Wenn du einen davon trägst und ich den anderen, wirst du am richtigen Punkt in der Zeit wieder aus dem Riss kommen. Ich bezweifle, dass du in der Nacht dazu in der Lage sein wirst, den richtigen Zeitpunkt zu berechnen, um durch den Riss zu gehen, deswegen so.“

 Severus sah sie entgeistert an und einige Sekunden lang herrschte Stille zwischen ihnen. „Du willst, dass ich hierher zurückkehre?“, fragte er dann.

 „Ja“, nickte sie. „Sofern du es möchtest.“ Sie lächelte flüchtig. „Ich nehme an, dass unsere Zeit dir nicht sehr wohlgesonnen sein wird, wenn herauskommt, dass du überlebt hast. Natürlich kannst du … auch irgendwo anders hingehen, es ist deine Entscheidung, nach all den Jahren ist es das endlich.“ Sie schluckte. „Aber du kannst auch … hierher zurückkommen. Diese Zeit ist nicht unbedingt das Paradies auf Erden, aber …“ Sie zuckte mit den Schultern. „Man kann sich daran gewöhnen. Und unser Jahrhundert liegt nur einen Zeitriss weit entfernt. Ich habe das Ding wirklich ziemlich gut verstanden, du könntest also genauso wie Wendeline und ich hin und her gehen, wenn du das möchtest. Und wenn … du diese Zeit nicht mit mir teilen willst, dann … würde ich dir das Haus überlassen und endgültig zurückkehren.“ Sie senkte den Blick.

 „Meine Güte, Hermine“, murmelte er und wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht. „Findest du nicht, du planst ein bisschen weit voraus?“

 „Ja, vielleicht“, gab sie zu. „Ich habe viel Zeit gehabt, um zu planen und nachzudenken. Und ich kann mir annähernd vorstellen, wie verrückt das alles für dich ist. Aber ich möchte, dass du weißt, dass du ein Ziel haben kannst. Dass es etwas nach dem Krieg für dich geben kann. Wenn du es haben möchtest.“

 „Und wenn ich das nicht möchte?“

 „Dann werde ich es merken“, sagte sie und hob das Kinn ein Stück an.

 Severus schnaubte. „Ich kann darüber jetzt nicht nachdenken.“

 „Das musst du nicht. Es liegt noch ein Stück Weg vor dir. Ich denke, du wirst genug Zeit finden, um dir über das, was hier passiert ist, Gedanken zu machen.“

 Die Art, wie sie es sagte, ließ ihm eine Gänsehaut über den Rücken laufen.

- - -

 Severus kehrte am nächsten Morgen in seine Zeit zurück, nachdem er den vorherigen Tag dazu genutzt hatte, um auf der Bank vor dem Haus zu sitzen, durch den Wald zu streifen und sich daran zu erinnern, was leben bedeutete – auch wenn er das noch nicht haben konnte. Am Abend war Hermine zu ihm gekommen und hatte gesagt, dass er am nächsten Morgen zurückkehren musste. „Es ist der richtige Zeitpunkt, ich habe das …“

 „… berechnet, ich weiß“, hatte er sie unterbrochen und fragte sich trotzdem, wie viele arithmantische Kalkulationen sie durchgeführt hatte, seitdem er sie offenbar hierher gelotst hatte.

 Das war etwas, mit dem er sich nach wie vor nicht anfreunden konnte: Der Gedanke, dass er sie darum bitten würde, für ihn hierher zu kommen. Dass es ihm so wichtig sein würde, dass sie hier auf ihn wartete, dass er dafür quasi ihr Leben opfern würde.

 „Ich hätte es nicht tun müssen“, sagte sie, nachdem sie ihm entlockt hatte, worüber er nachdachte. „Ich hätte auch einfach wieder zurückkehren und keinen Blick zurückwerfen können.“

 „Warum hast du nicht?“

 „Weil es nicht nur um dich geht, Severus. Der Ausgang des Krieges hing davon ab, dass du tun konntest, was Professor Dumbledore von dir verlangt hat. Wenn du überzeugt bist, dass du es auch ohne unsere Begegnung hier geschafft hättest, dann versuch den Lauf der Zeit zu ändern und locke mich nicht wieder hierher. Aber wenn du auch nur den leisesten Zweifel daran hast, dann flehe ich dich an: Tu es. Denn das ist es wert.“

 Er war noch immer zu keinem Schluss gekommen, als sie sich am nächsten Morgen auf den Weg zum Zeitriss machten. Doch den Trank nahm er mit, ebenso wie den Zauberspruch, den sie für ihn entwickelt hatte, und einen Zettel mit ihrer Londoner Adresse und den Titeln der Bücher, die er für sie in Doll hinterlegt hatte. Hinterlegen würde. Was auch immer. Und schließlich nahm er auch den größeren der beiden Ringe von dem Stück Holz, auf das Hermine sie gesteckt hatte.

 Sie lächelte flüchtig, bevor sie ihren aufsetzte und eine Phiole einsteckte. Aufpäppeltrank, er erkannte ihn mit einem Blick. Erst da begriff Severus, was sie gemeint hatte, als sie gesagt hatte, die Ringe würde ihn am richtigen Punkt in der Zeit wieder aus dem Riss treten lassen, wenn sie sie beide trugen: Für sie würde es nicht einmal eine Minute dauern, bis er wieder aus dem Riss treten würde. Wenn er es denn tat.

 „Pass auf dich auf, Severus“, sagte sie, als er ging.

 Es klang ihm noch in den Ohren, als er einen Blick zurück auf die schimmernde Oberfläche des Zeitrisses warf. Er verließ die Kirche und trat in den strömenden Regen. Die Luft war warm, stickig und schwül. Er schlug seinen Umhang hoch, bevor er an die Grenze des Schlosses apparierte. Und konnte nicht fassen, wie falsch es sich schon nach nur drei Tagen in einer anderen Welt anfühlte, wieder hier zu sein. Wie sehr ihn der Anblick des Schlosses niederdrückte. Wie sehr er sich wünschte, er wäre wieder bei ihr.

 Diese eine Nacht war in der Tat ein Fehler gewesen.

 Albus erwartete keine Erklärung für sein Verschwinden. „Gibt es etwas, das ich wissen muss?“, fragte er nur.

 „Nein.“

 „Hat es unseren Bemühungen geschadet?“

 „Nein.“

 „Planst du, das zu wiederholen?“

 Severus zögerte eine Sekunde. „Nein“, sagte er aber doch. Er wusste, dass er kein zweites Mal hierher zurückkehren könnte, um zu tun, was getan werden musste. Er würde nicht nochmal durch den Riss gehen.

 Sein Entschluss geriet jedoch bereits am Tag darauf ins Schwanken, als Albus ihm erzählte, was nötig sein würde, um den Dunklen Lord umzubringen. Harry Potter musste sterben? Alles, wofür er die ganze Zeit gearbeitet hatte, sollte umsonst gewesen sein?

 Er war wieder nach Doll appariert und hatte den verdammten Zeitriss angeschrien, so als könnte Hermine ihn auf der anderen Seite hören. Warum sie ihm nichts davon gesagt hatte. Wie sie ihn so hatte ins Messer laufen lassen können. Er hatte Harry Potter sogar erwähnt und sie hatte nichts gesagt!

 Beinahe hätte er den verdammten Ring in den Zeitriss geworfen. Aber er tat es doch nicht. Steckte ihn wieder ein, kaufte sich eine Flasche Whisky und kehrte nach Hogwarts zurück, um sich für einen einzigen Abend so volllaufen zu lassen, wie er es sich verdient hatte. Den Teufel würde er tun und zu Granger zurückkehren! Wenn er den verdammten Krieg überlebte, wenn er sich dafür entschied, ihn zu überleben, würde er den Teufel tun und zu ihr zurückkehren, nachdem sie ihn so hatte auflaufen lassen. Er warf den Ring in eine Schublade seines Nachtschranks und knallt sie laut zu.

 Hermine … Miss Granger dann in ihrer ungefähr zehn Jahre jüngeren Form wiederzusehen, brachte ihn trotzdem mehr aus der Fassung, als er bereit war zuzugeben. Sie betrat den Klassenraum als letzte für diese erste Unterrichtsstunde, zu der er zurückgekehrt war (noch immer leicht verkatert, der Ausnüchterungstrank hatte auch schon mal besser gewirkt), und er konnte kaum den Blick von ihr abwenden. Von ihrem runden Gesicht, den buschigen Haaren, ihren Lippen. Erst als sie ihm in die Augen sah, schaffte er es, wegzusehen. Dieses Mal schaffte er es. Sie war nicht die, nach der er … Severus schluckte. „Wollen Sie in der Tür Wurzeln schlagen, Miss Granger?“, schnarrte er und sie schüttelte den Kopf, beeilte sich, in den Klassenraum zu kommen. Aber je öfter sein Blick sie streifte, desto weniger konnte er es leugnen: Er sehnte sich nach ihr. Nach der älteren Hermine, die in einer Zeit vor fünfhundert Jahren auf ihn gewartet hatte, nur weil er sie darum gebeten hatte. Die ihm die Pause und die Perspektive gegeben hatte, die er brauchte.

 Und etwas von ihr fand er auch in dieser jüngeren Version. An dem Abend, an dem er sie nach der Sperrstunde außerhalb des Gemeinschaftsraumes aufgriff. Zweifellos hatte sie es darauf angelegt. Zweifellos war die Neugier auf das, was mit ihm passiert war in dieser einen Woche, in der er verschwunden gewesen war, bereits in ihr aufgekeimt. Dass er sie vor dem Unterricht angestarrt hatte, hatte es nicht besser gemacht. Und dass er diese Neugier weiter aufblühen lassen wollte, begriff er erst, als er sich selbst sagen hörte: „Pass auf dich auf, Hermine.“

 Weil dies der Abend war, an dem er Dumbledore würde umbringen müssen, und er bei Hermines Anblick spürte, wie sehr er etwas brauchte, zu dem er zurückkehren konnte.

- - -

 Er hatte sie über ein Jahr nicht mehr gesehen, als er sich in die Kirche schleppte und auf einer Bank zusammensackte. Beinahe hatte er schon vergessen, wie sie aussah. Wie ihre Stimme klang und wie ihre Lippen sich auf seinen angefühlt hatten.

 Und gleichzeitig war sie sein Fixstern gewesen. So viel war passiert im vergangenen Jahr, so viel, das ihn mehr Kraft gekostet hatte, als er zu besitzen geglaubt hatte. Aber egal, was um ihn herum in Flammen aufgegangen war, sie war da gewesen, der Beweis dafür, dass sie den Krieg gewinnen würden. Nur fünfhundert Jahre weit weg.

 Er hatte den Ring wieder aus der Schublade gefischt, kaum dass er als Schulleiter nach Hogwarts zurückgekehrt war und seine Räume in den Kerkern gegen das Büro im zweiten Stock hatte tauschen müssen. Hatte ihn seitdem immer getragen, verborgen von einem Illusionszauber, und ihn am Finger gedreht, wann immer er sich hatte erinnern müssen, wofür er jeden Morgen aufstand, anstatt sich das Leben zu nehmen und die magische Welt in Flammen aufgehen zu lassen.

 Und immer, wenn er sich hatte erinnern müssen, dass sie diesen Krieg überlebt hatte. Als er sie zurückgelassen hatte, um zu tun, was getan werden musste, hatte er nicht geahnt, wie viel Angst er die ganze Zeit um sie haben würde. Wie oft er sich fragen würde, ob sie wirklich richtig gerechnet hatte, ob sie ihm nicht doch mehr hätte erzählen müssen, ob er nicht doch mehr hätte eingreifen und helfen müssen. Und gleichzeitig war er froh, dass er nichts von dem gewusst hatte, was sie in diesem Jahr erleben würde. Sich ins Ministerium schleichen, um Dolores Umbridge einen Horkrux zu stehlen? Von Bellatrix Lestrange gefoltert werden und nur gerade so eben dank der Hilfe eines Hauselfen mit dem Leben davonzukommen? In Gringotts eindringen, um in das Verlies von eben jener Bellatrix Lestrange einzubrechen und hinterher auf einem Drachen zu entkommen? Er hätte sofort alle drei Gebäude – das Ministerium, Malfoy Manor und Gringotts – in Brand gesteckt, um das zu verhindern.

 Nein, es war besser, dass er nichts davon gewusst hatte. Dass er nur gewusst hatte, dass sie es irgendwie schaffen würden.

 Rückblickend hätte Severus nicht mehr sagen können, wann er beschlossen hatte, doch zu ihr zurückzukehren. Sein Notizbuch und die Bücher zum Thema Zeitrisse hatte er bereits in den letzten Sommerferien auf den Weg gebracht und deponiert; er konnte nicht mit letzter Gewissheit sagen, ob er Dumbledore hätte umbringen können, wenn er nicht diese paar Tage mit Hermine in der Vergangenheit gehabt hätte. Aber dass er zurückkehren würde … Er wusste wirklich nicht, wann er das entschieden hatte. Wann er ihr verziehen hatte, dass sie ihm nichts von Potters Tod erzählt hatte.

 War der Junge jetzt schon tot? War der Krieg schon vorbei? Hatte es jemanden gegeben, der den Dunklen Lord umgebracht hatte? Er war nicht geblieben, um das herauszufinden. Hermine hatte nicht gesagt, dass er das tun müsste. Sie hatten alle geglaubt, er wäre tot, es hatte nichts mehr zu tun gegeben für ihn, außer nach all den Jahren ausnahmsweise mal an sich zu denken.

 Und das hatte er getan. Er hatte den Zauber gesprochen, als der Dunkle Lord ihn in die Heulende Hütte bestellt hatte. Hatte darauf vertraut, dass Potter wirklich da sein würde, damit er ihm noch mitteilen konnte, was er wissen musste. Und er hatte noch einen letzten Blick auf diese Hermine geworfen, hatte sich davon überzeugt, dass sie tatsächlich all das überlebt hatte, was ihr passiert war, bevor er die Augen geschlossen und darauf gewartet hatte, dass er alleine war.

 Vielleicht war er auch kurz ohnmächtig geworden, so genau konnte er sich nicht erinnern. Aber Hermines Trank wirkte so gut, wie sie es ihm versprochen hatte. Die Wunden an seinem Hals bluteten kaum, weil sein Herz gerade nur ungefähr zwanzig Mal in der Minute schlug. Er hatte sie bandagiert und die blutbildende Komponente des Gegengifts hatte gereicht, damit er hierher hatte apparieren können.

 Nun hob er den müden Blick und blinzelte, bis er den schimmernden Riss klar erkennen konnte. Der Weg dorthin – es waren vielleicht zehn Meter – kam ihm unendlich vor. Nach ein paar Minuten allerdings schnaubte er abfällig. Nach allem, was er im letzten Jahr getan hatte, würde er doch wohl diese läppischen zehn Meter schaffen, um fünfhundert Jahre in die Vergangenheit zu reisen. Um zurückzukehren an den Punkt, an dem er sich vor über einem Jahr von der Frau verabschiedet hatte, bei der er sich noch nicht sicher war, ob er sie küssen oder erwürgen würde, wenn er wieder vor ihr stand.

 Also stemmte er sich auf seine zitternden Beine und stolperte durch das Kirchenschiff. Stützte sich auf den Bänken rechts und links von ihm ab, bis er die letzten Schritte alleine bewältigen musste.

 Und er schaffte es.

 Während er sich im Zeitriss befand, spürte er, wie der Ring an seinem Finger seine Macht entfaltete. Der Riss wollte ihn in die eine Richtung schleudern, der Ring zog ihn in eine gänzlich andere. Es war wie die Reise mit einem Portschlüssel, nur brutaler.

 Schließlich fiel er mit dem Gesicht ins Laub. Stöhnte. Und blieb einfach liegen. Nach allem, was er in dieser Nacht durchgestanden hatte, war er jetzt am Ende seiner Kräfte angekommen.

 Doch sie war da und drehten ihn auf den Rücken, bettete seinen Kopf in ihrem Schoß und flößten ihm den Trank ein, den sie damals mitgenommen hatte, während sie sagte: „Du bist zurückgekommen. Du bist hier. Und du lebst. Merlin sei Dank, du lebst …“

 In seinem Geist kam jedoch nur Aufpäppeltrank an und der gab ihm genug Kraft, um die Augen zu öffnen, gerade als Hermine mit der Zunge schnalzte. „Ich hätte noch Diptam mitbringen müssen. Und mehr Blutbildenden Trank. Wie konnte ich das nur …“

 Er griff nach ihrer Hand. „Halt den Mund“, krächzte er; die verfluchte Schlange hatte möglicherweise auch seine Stimmbänder erwischt.

 Sie zog die Nase hoch. „Okay …“ Wischte sich Tränen von den Wangen und sah ihm in die Augen, genau das, was er gerade brauchte und wollte. Sie, ihr Gesicht, das Zwitschern der Vögel, das Rauschen von Wind in den Bäumen und die Gewissheit, dass er niemals wieder in einen Krieg würde zurückkehren müssen. Dass er bleiben durfte. Dieses Mal für immer.

ENDE

Vielen Dank fürs Lesen und falls euch die Geschichte gefallen hat, lasst doch einen Kommentar und/oder eine Empfehlung da. :)
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