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Die geheimnisvollen Geräusche

von Nenaisu
Kurzbeschreibung
SammlungFreundschaft, Schmerz/Trost / P16 / MaleSlash
Kriminalhauptkommissar Adam Schürk Kriminalhauptkommissar Leo Hölzer
01.05.2022
03.04.2023
12
33.306
5
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1 Review
Dieses Kapitel
noch keine Reviews
 
 
01.05.2022 1.795
 
Hallo!

Ich hätte zugegebenermaßen nie gedacht, dass ich mal den Tatort gucken würde, geschweige denn, auch noch Fanfics dazu schreiben würde, aber es ist passiert...
Das hier ist eine One-Shot-Sammlung zu dem Projekt Das geheimnisvolle Geräusch

btw. das sollte meine Jubiläums-Fic werden, am 21.4.22 bin ich 10 Jahre auf ff.de angemeldet, die Zeit vergeht... ich hab aber erst am 25. wieder dran gedacht und da dachte ich mir, jetzt ist es auch egal...

LG


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1. Der Schuss einer Waffe


Ein Schuss zerriss die Stille des Waldes, dicht gefolgt von einem zweiten.

Fassungslos sah Leo dabei zu, wie Lausch umfiel wie ein gefällter Baum. Er selbst hatte ihn gerade erschossen. Einfach ein Leben beendet.

Nein, nicht einfach. Er hatte sich diese Entscheidung nicht einfach gemacht, auch wenn er wusste, dass es einem als Polizist passieren konnte, dass man jemanden erschießen musste. Dass man dazu gezwungen war. Er hatte das gewusst, als er sich für diesen Beruf entschieden hatte, er hatte das gewusst, als er seine Ausbildung angefangen hatte, er hatte das gewusst, als er sich beim LKA beworben hatte. Alle diese Stationen hatten es wahrscheinlicher gemacht, dass er irgendwann einen Menschen würde erschießen müssen.

Trotz seiner Hemmungen, trotz seiner Vergangenheit, trotz seiner Blockaden.

Im Schießtraining hatte das Zielen und das Abdrücken immer wunderbar geklappt, doch die Realität war eine andere. Die Realität atmete, die Realität hatte einen Herzschlag. Aber diese Realität hatte auch ein Opfer unter sich, diese Realität hatte ein Messer in der Hand, diese Realität war kurz davor gewesen, jemand anderen zu töten.

Dennoch. Es war ganz anders, als er es in der Ausbildung gelernt hatte.
Bisher hatte er sich ganz gut durchschlagen können, ohne einen Menschen erschießen zu müssen. Bisher, das war der ganz normale Wahnsinn eines Streifendienstpolizisten gewesen: Unfallaufnahme, größtenteils mit Blechschäden, manchmal mit Verletzten, seltener mit Toten. Das Herumschlagen müssen mit Betrunkenen, Drogenjunkies und die Auseinandersetzung mit häuslicher Gewalt. Das einzige, was er erschossen hatte, war verunfalltes Wild gewesen, für das der Schuss der Gnadenschuss gewesen war. Eine Erlösung, keine Qual.
Dennoch unterschied sich auch diese Realität von der Übungsrealität.

Irgendwann hatte er Fortbildungen absolviert, die ihn befähigen sollten, zum LKA zu wechseln. Teamleiter war er nur geworden, weil das Team komplett neu zusammengestellt wurde und er eine Fortbildung mehr als die anderen absolviert hatte.

Dann passierte die Sache.

In der Theorie war es einfach: Waffe ziehen, zielen, abdrücken.
In der Realität: Waffe ziehen, zielen, den eigenen Atem zählen, den eigenen Herzschlag spüren, das Heben und Senken der Burst des Gegners sehen, den Herzschlag in der Ader an der Stirn des Gegenübers wahrnehmen.

Leo konnte es nicht tun.

Schlagartig wurde er fünfzehn Jahre in die Vergangenheit geschleudert.
Adams Vater am Boden, reglos, Blut, das sich um seinen Kopf ausbreitete. Er konnte nicht das Gefühl vergessen, als er dachte, Adams Vater getötet zu haben. Die Kälte, die in seine Eingeweide kroch und seine Hände, die noch immer den Spaten hielten, zum Zittern brachte. Die in seine Lunge kroch und ihn kaum atmen ließ, die sein Herz zerquetschte, so dass er Angst hatte, es würde gleich einfrieren.
Adam, der am Boden hockte, die Arme noch abwehrend über dem Kopf erhoben, ihn fassungslos anstarrend. Adam, dessen Blick langsam zu dem Häufchen Mensch hinüberzuckte, das gerade noch sein Vater gewesen war, den Gürtel noch immer in der Hand. Adam, der aufgesprungen war, als er begriff, dass keine weiteren Schläge folgen würden. Adam, der Leo in seine Arme zog. „Er ist nicht tot,“ flüsterte er heißer, immer wieder, wie in Mantra. "Er ist nicht tot."
Dann sah Leo es auch. Das Heben und Senken der Burst, das Pulsieren der Ader an der Schläfe.

Erst der Schuss seines Gegners hatte ihn aus seiner Erinnerung gerissen, doch er wusste bis heute nicht, wieso er noch nicht einmal dann zurückgeschossen hatte. Sein Partner hatte den Gegner bewegungsunfähig geschossen; er selbst hatte sich eingeredet, dass der andere nicht ein weiteres Mal geschossen hätte. Das hatte er sich so lange eingeredet, bis er es selbst glaubte, bis er es selbst dem Typen von der Disziplinarstelle hatte weißmachen können.

Als er nicht auf Weißer hatte schießen können, hatte er gewusst, dass er ein Problem hatte. Doch jetzt hatte er geschossen.
„Es tut mir leid, Leo.“ Adams Stimme drang kaum durch das Rauschen seines eigenen Blutes in seinen Ohren. „Es tut mir leid.“ Doch als Adam seine Hand auf Leos Schulter legen wollte, wich er aus und wandte sich ab. Er konnte das jetzt nicht… er wollte das jetzt nicht…

Doch dann hörte er Schürks Worte zu seinen Kolleginnen, klar und scharf, als wären sie direkt an ihn gerichtet. Er drehte sich um und sah das überlegene Lächeln auf Schürks Gesicht. Adams Erzählung nach ahnte sein Vater, dass etwas an der Geschichte, die sie damals der Polizei aufgetischt hatten, nicht stimmte, aber erinnerte er sich auch? Was würde er Pia und Esther erzählen?

Leo bemerkte, dass es ihm im Moment egal war. Er wollte einfach nicht mehr die Leiche von Lausch dort liegen sehen. Den Körper des Mannes, den er gerade erschossen hatte.

Er wandte sich endgültig ab und ging davon.

Als er Schritte hiner sich hörte, wusste er sofort, dass es Adam war, der ihm folgte. "Wie geht es dir?"
Leo lachte hohl. "Ich habe gerade einen Menschen getötet, wie soll es mir schon gehen?"
"Beschissen, nehme ich an," entgegnete Adam.
Leo schnaubte. "Das trifft es genau."
Adam packte ihn so unerwartet am Arm und zog ihn mit sich, so dass er nur hinter ihm herstolpern konnte. Erst, als Adam ihn in eine feste Umarmung zog, wurde ihm bewusst, dass er ihn hinter einen Felsen gezogen hatte. Aus dem Blickfeld der anderen. Und er konnte von hier aus nicht mehr die Leiche sehen.
Zuerst versteifte er sich, doch dann wurde ihm bewusst, dass das genau das war, was er jetzt brauchte. Wie damals.

Leo legte seine Stirn auf Adams Schulter ab und versuchte, seinen rasenden Herzschlag zu beruhigen. Er atmete bewusst langsam, sog gierig Adams Duft durch die Nase ein und stieß die Luft wieder durch den Mund aus. Nach und nach beruhigte er sich. Es wurde einfacher, da die Bilder vor seinem geistigen Auge nicht mehr dominierten.
Lausch. Adams Vater. Die Garage. Der Wald.

"Wolltest du wirklich, dass er deinen Vater tötet?" durchbrach er schließlich leise das Schweigen. Er bemerkte, dass Adam sich bewegte, behielt aber die Position seinerseits bei.
"Hast du nicht auch kurz daran gedacht? Es hätte alle Probleme gelöst," erwiderte Adam schlicht und auch Leo musste zugeben: für den Bruchteil einer Sekunde hatte er das ebenfalls gedacht. Wenn Schürk senior tot wäre, würde nie ans Licht kommen, was damals vor fünfzehn Jahren passiert war. Was Leo getan hatte. Es würde jetzt nicht die Möglichkeit bestehen, dass Schürk gerade dabei war, Pia und Esther alles zu erzählen, zumindest so weit, wie er sich erinnnern konte.

Und auch Adam hätte nie wieder unter seinem herrischen Vater leiden müssen, denn dass Schürk auch wusste, wie er seinen jetzt erwachsenen Sohn demütigen konnte, hatte die Tatsache bewiesen, dass er den Oberschenkelknochen, den Huiblot eigentlich Adam hatte übergeben wollen, unterschlagen hatte.
Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn Leo der Sache einfach ihren Lauf gelassen hätte.
Aber es wäre falsch gewesen.

"Ich wollte nicht, dass Lausch ihn umbringt," durchschnitt Adams Stimme Leos Überlegungen. "Ich wollte wissen, ob er Lausch noch etwas nützliches entlocken kann, so von Psychopath zu Psychopath. Zu den alten Fällen vielleicht, oder ein Geständnis sogar. Aber ich hätte dich nicht darum bitten sollen, zu warten. Hättest du früher geschossen, hätte es vielleicht gereicht, ihn niederzuschießen anstatt ihn zu erschießen."
Leo hob die Augenbrauen. "Glaubst du wirklich, das hätte ihn gestoppt?"
"Vermutlich nicht," stimmte Adam zu. "Doch du bräuchtest dir jetzt keine Vorwürfe zu machen."
"Es war notwendig und es war richtig. Ich muss damit klar kommen," erklärte Leo daraufhin nur.

Als nun Schritte erklangen, die sich ihnen näherten, trennten sie sich hastig voneinander. Leo zog seine Kleidung zurecht, klopfte sich imaginäre Fussel ab und nutzte diese Zeit, um sich so weit zu sammeln, wenistens nach Außen hin den Anschein von Professionaliät zu wahren.
Es war Pia, die schließlich an sie herantrat. "Er hat ausführlich über seine Entführung berichtet, auch darüber, dass er bereits vor fünfzehn Jahren einen Zusammenstoß mit Lausch hatte."
Sie fasste im Detail zusammen, was Schürk ihnen gesagt hatte, doch es war alles relevant für den Fall.
"Hat er sonst noch was gesagt?" wollte Leo nach ihrem Bericht ungeduldig wissen. Es war ihm schwergefallen, Pia ausreden zu lassen und nicht schon vorher zu versuchen, sie darüber zu befragen, ob Schürk etwas zu dem Fall in der Garage damals gesagt hatte.

Pia blinzelte irritiert. "Hätte er sonst noch etwas sagen sollen?"
Sie schwiegen sich kurz betreten an, bevor Adam für Leo in die Presche sprang.
"Ja, er könnte zum Beispiel erzählt haben, weshalb er den Oberschenkeknochen, den Huiblot mir gebracht hat, hat verschwinden lassen," erklärte er in aggressivem Tonfall.
Pia schaute noch einmal in ihre Notizen. "Darüber ist mir nichts bekannt."
Adam zischte durch die zusammengepressten Zähne und kickte wütend einen Stein davon. Nicht einmal jetzt konnte sein Alter es lassen, ihn bloßzustellen.
"Ich werde ihn danach fragen," beschloss Pia und ging wieder davon.

Schweigend sahen Leo und Adam einander an, bevor Adam das Wort ergriff. "Ich fahre dich nach Hause."
"Ich muss noch den Bericht schreiben," lehnte Leo ab, auch wenn er einfach nur noch müde war.
"Den schreibe ich," widersprach Adam. "Morgen. Du bist jetzt eh ein paar Tage freigestellt, bis dein Schuss untersucht ist."
Leo fuhr sich erschöpft übers Gesicht. Er kannte die Regeln ja selbst. Sobald ein Polizist einen Menschen mit seiner Dienstwaffe getötet hatte, gab es eine interne Ermittlung, bei der geprüft werden musste, ob der Schuss gerechtfertigt abgegeben worden war, selbst wenn es so offensichtlich so gewesen war, wie in seinem Fall. Zumindest war es für ihn offensichtlich gewesen.
Er hoffte nur, dass Adam keine Probleme bekam, weil er ihn aufgehalten hatte. Doch die Begründung die Adam ihm gerade geliefert hatte, erschien ihm plausibel.

Nachdem er Esther seine Waffe für die interne Untersuchung übergegeben hatte, ließ Leo sich widerspruchslos von Adam auf den Beifahrersitz ihres Dienstwagens bugsieren. Er starrte aus dem Fenster. Ihm wollten die Bilder nicht aus dem Kopf, wie er Lausch erschossen hatte. Wie dieser leblos umgekippt war. Das süffisante Lächeln von Schürk, die gnadenlose Überlegenheit in dessen Blick.

Bis Adam ihm seine Hand auf den Oberschenkel legte. Leo griff danach und umklammerte sie so fest, als wäre sie sein Rettunganker.

Und in gewisser Weise war das auch so.
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