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Autumn Sky

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Romance / P18 / Het
15.04.2022
04.06.2022
18
49.097
9
Alle Kapitel
15 Reviews
Dieses Kapitel
noch keine Reviews
 
 
17.04.2022 3.074
 
Liebe Leserschaft,

nach dem grausamen Gespräch Colins mit seinen Freunden bezüglich Penelope und nach dem was ich in Buch 4 las, wollte ich ein wenig mehr Drama für meinen eigenen Headcanon hinzufügen. Wer die Bücher kennt, weiß, dass Colin ein viel zu leichtes Spiel hat, Penelope zu erobern. Irgendwie wollte ich ihm das nicht gönnen. Er soll ein wenig zappeln.
Ich hoffe, ich kann euch daran teilhaben lassen, denn obwohl ich mich vorher schlau gemacht habe ob Fanfictions zu der Serie/den Büchern erlaubt sind (habe bisher kein Nein dazu gefunden), ist mir aufgefallen, dass bis jetzt noch nichts dazu gepostet wurde. Falls wie im Falle Outlander Fanfictions nicht erlaubt sind, eben kurz kontaktieren. Dann nehme ich alles wieder runter.
Ansonsten, für den Fall, dass ich weiterposten darf, viel Vergnügen.


London, 1815

Vor den kleinen Fenstern der Kutsche zog London gemächlich an ihnen vorüber. Mit großen Augen betrachtete Mary Cavendish das geschäftige, bunte Leben, das sich ihr momentan nur ausschnittsweise präsentierte. Für eine Frau, die den Großteil ihres Lebens auf dem elterlichen Landsitz verbracht hatte, war der Anblick dieser großen Stadt wahrlich etwas Besonderes.
„Ist es nicht aufregend?“, flüsterte sie, an niemand Bestimmtes gerichtet. Ihr Bruder hatte ihr Wispern dennoch vernommen.
„Von dem wahren Leben dort draußen werden wir wenig mitbekommen. Großtante Cecily wird uns außerhalb der feinen Gesellschaft wohl kaum einen Schritt tun lassen.“, brummte er und klang dabei ganz so, als würde er schon jetzt ein wenig gesteigertes Interesse daran hegen, in den Londoner Bon Ton eingeführt zu werden. Nun, in Richards Fall traf das auch eindeutig zu. Er hatte schon vor langer Zeit verkündet, dass ihm nicht der Sinn danach stand sich jemals zu vermählen. Vater hatte seine Entscheidung toleriert, wohl weil sein ältester Sohn Alfred die Linie bereits fortgeführt und so die familiären Pflichten erfüllt hatte. Für Vater genügte es, wenn wenigstens eins seiner männlichen Nachkommen Cavendish Hall übernahm. In Marys Fall hingegen hatte er nichts zu sagen. Dort gab Mutter den Ton an und da diese Mary die besten Möglichkeiten bezüglich einer Heirat verschaffen wollte, waren sie nun hier. Allerdings ohne besagte Drahtzieherin, denn die war kurz vor der Reise erkrankt und hütete seither das Bett. Richard hatte zwar klammheimlich gehofft, dass dieser Umstand Mutter dazu bewegen würde, Marys Debüt noch ein wenig hinauszuzögern, doch diese hatte seine Hoffnungen recht schnell zu Staub zerfallen lassen, indem sie kurzerhand Großtante Cecily und ihm die Aufgabe übertragen hatte, für ein erfolgreiches Debüt zu sorgen. Nun würde er sich zusammen mit der launischen alten Dame darum kümmern müssen, jeden Anwärter genaustens zu überprüfen, bis er Mutter seine Auswahl zukommen lassen konnte, damit diese zusammen mit Vater die endgültige Entscheidung traf.

Richard stieß einen Seufzer aus und betrachtete seine Schwester aus dem Augenwinkel. Er fürchtete sich vor dem, was sie erwartete. Wenn man den Kolumnen dieser Lady Whistledown Glauben schenkte, war der ton eine verdammte Schlangengrube.
Er kniff sich in den Nasenrücken. Cecily schickte ihnen einmal in der Woche alle bisher veröffentlichten Ausgaben und mit jeder neuen Lektüre war die Abneigung in ihm gegen diese öffentliche Zurschaustellung, ja Vermarktung von Herren und jungen Damen nur noch mehr gestiegen.
Er wusste, er stand mit seiner Meinung wohl komplett alleine da, aber er hasste es, seine Schwester präsentieren zu müssen, als wäre sie eine prämierte Milchkuh. Das hatte Mary nicht verdient. Mary hatte weitaus mehr verdient, als bloß Ehefrau zu sein.
Leider war seine Schwester, so klug sie auch sonst war, offensichtlich angetan von der Idee teure Kleider zu tragen und ihre Tanzkarte mit den Namen irgendwelcher Laffen zu füllen. Genauso wie sie auch angetan war von der Idee, sich zu vermählen.
Er hätte sie gerne geschüttelt, ihr gesagt, dass hinter dem schönen Schein meist ein tristes Leben wartete, in dem sie nicht würde aufblühen können. Doch dann hätte er sich vor Mutter verantworten müssen und was Marys Zukunft betraf verstand die gute Frau keinen Spaß. Sicher, er konnte sie verstehen. Welche Mutter wollte ihre Töchter nicht gut versorgt wissen? Aber warum gab es keine verdammten anderen Wege?
Wieder einmal fiel ihm auf, wie radikal seine Ansichten geworden waren. Er würde aufpassen müssen, wenn er mit möglichen Heiratskandidaten konversierte. Der männliche Teil des ton wollte sicherlich nichts von seinen aufrührerischen Gedanken wissen. Wenn er Marys Debüt nicht zu einem Albtraum werden lassen wollte, würde er den Mund halten müssen sobald gewisse Themen aufkamen. So sehr es ihm auch widerstrebte: Er war es Mutter und seiner Schwester schuldig.

Die Kutsche hielt und ein Blick aus dem Fenster bestätigte ihm, dass sie ihren Zielort, Großtante Cecilys Stadthaus in Mayfair, erreicht hatten. Äußerlich hatte es sich seit ihrem letzten Besuch nicht verändert. Innerlich wahrscheinlich auch nicht, so wie er die alte Dame kannte. Vielleicht hatte in den letzten zehn Jahren der ein oder andere neue Diener hier seine Arbeit begonnen, aber im Großen und Ganzen würde sich nichts verändert haben.
Die Tür der Kutsche öffnete sich, Richard stieg aus und reichte seiner Schwester die Hand, um sie hinaus auf den Gehsteig zu geleiten.
Das vorfreudige Leuchten in ihren Augen gefiel ihm ganz und gar nicht, aber er schluckte den bissigen Kommentar, der ihm auf der Zunge lag herunter. Er hinterließ einen faden Geschmack in seinem Mund.
Natürlich hatte Cecily den gesamten Hausstand in Reih und Glied Spalier stehen lassen, noch bevor sie die Eingangshalle betreten hatten. Als wären sie äußerst wichtige Gäste und nicht bloß Verwandte.
„Wie schön, dass ihr endlich hier seid!“ Es klang als wäre das Gegenteil der Fall. Aber bei Cecily klang selbst ein Lob wie eine Beleidigung.
Die alte Dame kam auf sie zu, schwer auf ihren Stock gestützt. Sie hatte ihn schon vor zehn Jahren gebraucht, aber mittlerweile erschien sie Richard noch schwerfälliger und unsicherer. Kein Wunder also, dass Mutter darauf bestanden hatte, ihn gleich mitzuschicken. Sollte Mary auf einem der Bälle der Saison in irgend einer kompromittierenden Situation erwischt werden, wäre Cecily wohl eher die Letzte, die Zeuge einer solchen Szene werden würde.
Richard wusste, was jungen Frauen blühte, wenn die Verwandtschaft sie nicht stillschweigend aus solchen Situationen zu befreien vermochte. Der ton war gnadenlos, wenn es um die vermeintlich befleckte Ehre einer Unverheirateten ging. Er würde lieber sterben, als zuzulassen, dass Mary den erzwungenen Bund der Ehe mit einem Mann einging, der sich ihre Verwundbarkeit dreist zu Nutzen gemacht hatte.
„Ich hoffe doch, die Reise war angenehm? Ich empfinde es ja als Zumutung so weit reisen zu müssen.“, sprach Cecily weiter, nachdem sie Nichte und Neffe begrüßt hatte.
In ihrem Alter war das nicht weiter verwunderlich, aber es hieß, dass Cecily schon in jungen Jahren eine starke Abneigung gegen Kutschfahrten entwickelt hatte. Angeblich wurde ihr auf längeren Strecken immer übel.

„Sie war ein wenig holprig, aber ansonsten können wir nicht klagen. Nicht wahr, Richard?“
Er nickte bloß. Was hätte er auch großartig hinzufügen sollen? Reiseberichte über Kutschfahrten waren nun nicht wirklich der Stoff aus dem unterhaltsame Geschichten gewebt werden konnten.
„Hmpf.“, machte Cecily. Dann packte sie Marys Arm mit erstaunlicher Härte und zog die junge Frau in Richtung der Treppe, die ins erste Stockwerk führte.
„Komm, Kind. Wir gehen nach oben. Ich werde dir dein Zimmer zeigen und dann werden wir uns über den weiteren Verlauf deines Aufenthaltes hier besprechen. Watkins, sei so gut und führe meinen Neffen zu seinen Räumlichkeiten.“
Der angesprochene Bedienstete, der mittlerweile fast so alt wie Großtante Cecily sein musste, schritt auf ihn zu und bedeutete ihm, zu folgen. Richard stieg die Treppe hinauf und ließ sich vor eine Tür am Ende des Korridors führen. Watkins öffnete die Tür und ließ ihn eintreten. Es war das selbe Zimmer, das er auch schon vor zehn Jahren bewohnt hatte. Die Innenausstattung atmete immer noch den Charme des letzten Jahrhunderts und Richard verzog das Gesicht ob der weiß grundierten Tapete die mit ihrem bunten Muster aus Blumen-und Vögelmotiven völlig überladen wirkte. Richard wandte sich mit typischer gute Miene zu bösem Spiel an den Bediensteten seiner Großtante, der abwartend und mit steifer, dienstbeflissener Haltung in der Nähe der Türe stand.
„Danke, Watkins. Ich werde mich frisch machen. Sie können gehen.“
Kaum hatte Watkins die Tür mit einem gekrächzten Wie Sie wünschen, Sir hinter sich zugezogen, ließ Richard sich wenig galant auf den Stuhl vor dem Schreibtisch fallen und atmete geräuschvoll tief ein und aus. Solange die Fahrt angedauert hatte, hatte er sich einreden können, dass der Moment der Wahrheit erst noch vor ihm lag. Doch jetzt, im Haus seiner Großtante, musste er sich der Tatsache stellen, dass die nächsten Wochen ein Albtraum sondergleichen werden würden. Ihm blieb nur zu hoffen, dass er seine Sache gut machte.
*

Zur selben Zeit saß Miss Penelope Featherington vor ihrem eigenen Schreibtisch und gab sich ähnlich wenig erbaulichen Gedanken hin. Ein gutes Jahr war vergangen, seit Eloise ihr die Freundschaft gekündigt hatte. Trotz zahlreicher Entschuldigungsbriefe hatte sich Eloise nicht erweichen lassen und strafte Penelope weiterhin mit der kalten Schulter ab. Violet Bridgerton hatte zwar versucht, aus beiden Mädchen den Grund für diese plötzliche Eiszeit herauszubekommen, doch weder Penelope noch Eloise hatten den wahren Grund verraten. Penelope nahm an, dass sie dankbar sein musste, dass Eloise ihr Geheimnis wahrte, trotz allem Schaden, den Lady Whistledown angerichtet hatte. Aber das änderte nichts daran, dass sie sich verzweifelt nach der einzigen Person sehnte, die je wirklich für sie dagewesen war. Und dann war da noch Colin. So sehr sie auch versuchte, seine Worte zu vergessen. Sie kamen ihr tagtäglich in den Sinn. Verfolgten sie in ihren Träumen und hatten sie mehrmals in ein schluchzendes Häufchen Elend verwandelt.
Sind Sie verrückt? Etwas so absurdes fiele mir im Traum nicht ein. Niemals würde ich Penelope Featherington den Hof machen.
Drei Sätze. Nur drei Sätze und doch hatten sie die Kraft gehabt ihr Herz in Stücke zu reißen. Es wäre einfacher gewesen, wenn sie Colin ob seiner furchtbar grausamen Worte zu hassen gelernt hätte.

Aber dem war nicht so. Sie liebte ihn immer noch und genau dieser Umstand machte diese Sätze zu ihrer persönlichen Hölle, zwang sie dazu, sie immer und immer wieder zu hören und zu hinterfragen ob er je irgend ein Wort, das er an sie richtete, tatsächlich ernst gemeint hatte.
Du bist eine Freundin. Eine, über die man anscheinend garstig lästern konnte.
Du bist etwas Besonderes für mich. Ja, besonders dumm.
Ich werde dich stets schützen, Penelope. Nur nicht vor seinem eigenen Spott über sie.
Etwas Feuchtes tropfte auf die Tischplatte und Penelope erkannte niedergeschlagen, dass ihr schon wieder die Tränen gekommen waren.
Ärgerlich wischte sie sich mit dem Handrücken über die Augen und schniefte. Sie konnte nicht mal mehr Reißaus vor ihren Gedanken in Lady Whistledown nehmen. Seit Eloise sie überführt hatte, hatte sie keine weitere Kolumne mehr veröffentlicht.
Der ton hatte mit gemischten Gefühlen auf das Ausbleiben der Ausgaben reagiert, aber in allem waren sich alle einig: Ohne das Klatschblatt war das Leben der feinen Gesellschaft um einiges öder geworden.
Penelope kümmerte es nicht. Zwar war ein Teil von ihr nach wie vor stolz auf das, was sie geschafft hatte, doch jener Teil, der ihr schlechtes Gewissen war, blickte mit Verachtung auf ihr Werk. Es hatte ihre Insel der Geborgenheit zerstört. Ihr jene Person genommen, die mehr Familie für sie gewesen war, als ihre eigene.

Apropos Familie. Die neue Saison würde in kurzer Zeit beginnen und bis jetzt hatte Portia Featherington noch keinen Schritt zur Modistin gewagt. Penelope konnte nur hoffen, dass ihre finanzielle Situation auch weiterhin so prekär war, dass es ihrer Mutter nicht gelingen würde ein weiteres grässlich gelbes Kleid für sie anfertigen zu lassen. Sollten sie doch alle in den Kleidern der letzten Saison erscheinen. Der Name Featherington war ohnehin nicht mehr viel wert, seit Cousin Jack auf dem Ball der Featheringtons das Weite gesucht und zahlreiche Investoren in seine Minen um ihr Geld geprellt hatte. Im Endeffekt konnte ihre Mutter froh sein, wenn sie dieses Jahr überhaupt zu einem Ball eingeladen wurden. Penelope schloss die Augen. Die Vorstellung keine Einladungen zu erhalten gefiel ihr beinahe. So würde sie weder Eloise noch Colin begegnen müssen. Bei beiden wusste sie nicht mehr, wie sie sich in ihrer Gegenwart noch verhalten sollte, ohne in Tränen auszubrechen. Ja, es wäre wirklich ein Segen, wenn der ton die Featheringtons ausschloss.
Auch wenn ihre Aussichten auf eine Heirat dann noch schlechter wurden. Penelope stieß ein verächtliches Lachen aus. Es hatte ohnehin nie eine Aussicht für sie gegeben. Was machte es da für einen Unterschied ob man in der Ecke irgend eines Ballraumes stand und übersehen wurde oder in seinem Zimmer blieb und die Langeweile ertrug?

*
Richard strich gedankenverloren ein verirrtes Blütenblatt von seinem Hemdsärmel während er die letzten Tage Revue passieren ließ. Die Saison war offiziell eröffnet worden und obwohl Mary die Aufmerksamkeit der Königin nicht für sich hatte gewinnen können, konnte man dennoch nicht behaupten, dass sie niemandem aufgefallen war. Im Gegenteil. Ihre Tanzkarte hatte sich gut gefüllt und in den darauf folgenden Tagen hatten einige Herren ihr ihre Aufwartung gemacht. Unter seinen und den strengen Blicken seiner Großtante. Zu Richards grenzenloser Erleichterung hatte Mary noch keinen vorschnellen Entschluss gefasst, den sie später vielleicht bereut hätte. Seine Schwester nahm sich Zeit und das war gut. Auch wenn das bedeutete, dass sie womöglich bis zum Abschluss der Saison bei Großtante Cecily residieren mussten.
Er hob den Kopf, entschlossen sich aufs Hier und Jetzt zu konzentrieren, auch wenn er gerade nicht Anstandsdame spielen musste.
Cecily, seine Schwester und er hatten das gute Wetter für einen Parkspaziergang genutzt und waren gerade auf dem Rückweg. Eine laue Brise wehte und der Wind trug den Duft der Blumen an seine Nase. Abgesehen vom obligatorischen Grüßen der entgegenkommenden Mitglieder des ton sowie kurzer, banaler Unterhaltungen empfand er den Nachmittag als äußerst angenehm.

Er ließ den Blick über die gepflegten Wiesenstücke und Blumenrabatte schweifen. Der Wind hatte aufgefrischt und ein paar Blätter hatten sich von den Bäumen gelöst und trudelten nun durch die Luft. Etwas traf gegen seinen Schuh und seine Augen richteten sich auf den Grund zu seinen Füßen. Ein Damenhut. Rasch beugte er sich hinab, um die Kopfbedeckung aufzuheben. Dann hielt er Ausschau nach der Dame, die ihr Accessoir sicherlich schon vermisste. Tatsächlich bewegte sich eine junge Frau mit peinlich berührtem Gesichtsausdruck auf sie zu, verfolgt von einer älteren Dame. Letztere rief der Jüngeren etwas hinterher, doch aus der Entfernung erreichten ihre Worte seine Ohren nicht. Gemessen an ihrer Gestik und dem was man von ihrer Mimik erkennen konnte, vermutete er jedoch, dass die Ältere nichts Nettes geäußert hatte.
Die junge Frau kam näher. Einige rote Strähnen hatten sich aus ihrer Frisur gelöst und der Wind zerrte an ihnen, ließ sie tanzen, dass es aussah als stünde ihr Kopf in Flammen.
„Oh weh, die Arme. Wer hat sie denn in dieses Kleid gesteckt?“
Richard, der wenig Interesse für Mode aufbringen konnte, riss den Blick ob des Ausrufs seiner Schwester von den faszinierend roten Haaren los und ließ ihn für einen kurzen Moment über den Rest des Erscheinungsbildes der sich nähernden Dame gleiten.
Tatsächlich steckte die junge Frau in einem grässlich gelben Kleid, das sie aussehen ließ wie eine Buttercremetorte.
Er wusste nicht warum, aber das Mitleid, das er in diesem Moment empfand war aufrichtig.
Endlich kam die Dame vor ihnen zum Stehen.
„Es tut mir schrecklich leid! Ich wollte Ihnen keine Umstände bereiten.“, stammelte sie und senkte den Kopf, ganz so als erwarte sie Schelte für etwas, das sie bestimmt nicht absichtlich hatte geschehen lassen.
Richard runzelte die Stirn. War das nicht etwas zu viel der Entschuldigung? Dann setzte er zu einer Antwort an.
„Das muss es Ihnen nicht. Der Wind ist stärker geworden. Ich schätze, Sie werden nicht die einzige Frau sein, deren Hut heute verlustig geht, Miss…“
„P-Penelope. Penelope Featherington. Vielen Dank, Mister...“, erwiderte die Dame außer Atem und hob nun doch ihr Haupt.
Für einen Moment konnte er nicht anders als ihre blauen Augen zu betrachten, dann besann er sich darauf, dass Starren äußert unhöflich war und das ohnehin schon scheue Auftreten seines Gegenübers wohl bloß verstärkt hätte.
„Cavendish. Richard Cavendish. Wenn ich vorstellen dürfte: Meine Schwester Mary Cavendish und unsere Großtante Lady Neville.“, sagte er und schenkte dem armen Ding ein freundliches Lächeln. Er reichte ihr den Hut, den sie sofort an sich nahm und prompt nervös in ihren Fingern zu drehen begann.
Es war in diesem Moment, da ihre ältere Verfolgerin zu ihnen aufschloss.
Sie schien bereits im Begriff gewesen zu sein, die Jüngere zu tadeln, als ihr gewahr wurde, wen sie vor sich hatte.
„Lady Neville. Welch eine Freude, Sie zu sehen.“, wandte sie sich mit ungelenker Gestik und aufgesetztem Lächeln an Großtante Cecily.
„Misses Featherington. Wie ich sehe, haben Sie sich gut von Ihrem letzten Skandal erholt.“, bemerkte Cecily eisig. Richard verzog den Mund und verfolgte mit wachsendem Unbehagen wie die ohnehin schon schüchterne Penelope unter den Augen seiner Großtante noch weiter in sich zusammenschrumpfte.
Ihrer Mutter, zumindest nahm er an, dass es sich bei der Älteren um diese handelte, gefror das Lächeln, doch ihr Tonfall blieb übertrieben freundlich.
„Nun, hätten wir gewusst, welch Hochstapler wir in unserem Hause beherbergen mussten…“, sie schweifte ab und legte den Kopf schief mit einer Miene, die wohl Mitleid hätte generieren sollen.
Seine Großtante hob jedoch nur die Brauen.
Misses Featherington schien zu verstehen, dass sie die Gunst der betagten Dame wohl nicht würde gewinnen können, also begann sie, sich höflich zu verabschieden.
Ihre Tochter und sie hatten erst ein paar Schritte getan, als ihre Stimme erneut an sein Ohr drang.
„Herrgott! Hättest du denn nicht aufpassen können? Ich hätte mir diese Peinlichkeit vor Lady Neville gerne erspart!“

Richard schüttelte den Kopf. Kein Wunder, dass Penelope Featherington ihm nicht gerade durch ihren Mut aufgefallen war. Wenn das die Art und Weise war, wie ihre Mutter sonst mit ihr umsprang, überraschte ihn ihr verhuschtes Auftreten überhaupt nicht.
Er blickte ihnen nach, ließ den Blick einige Momente länger auf Penelope Featheringtons rotem Haar verweilen, bevor er sich wieder in Bewegung setzte.
Doch seine Gedanken blieben bei ihr. Er konnte sich vorstellen, dass sie im ton einen äußerst schwierigen Stand hatte. Sie entsprach nicht dem Schönheitsbild, dem die jungen Damen der feinen Gesellschaft nacheiferten und wenn es stimmte, was Großtante Cecily gesagt hatten, nämlich, dass die Familie vor Kurzem noch in einen Skandal verwickelt gewesen war, dann wollte er nicht in ihrer Haut stecken.
Es erschien ihm nicht im Mindesten gerecht, aber er wusste leider auch wie der ton sein konnte. Jemanden wie Penelope ignorierte man entweder oder machte ihn zum Zielobjekt von Spott und Hohn. Richard konnte nur ahnen, wie viel Penelope von beidem schon hatte ertragen müssen.
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