Das ist mein Leben
Kurzbeschreibung
Der erste Schritt auf einem neuen Pfad ist der schwerste. - Zeitrahmen: Diese Geschichte spielt nach der Folge "Der Hinterhalt (The Greatest Enemy)".
GeschichteDrama / P16 / Div
Guy of Gisburne
Robin of Loxley / Robert of Huntingdon
14.04.2022
14.04.2022
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2.760
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14.04.2022
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Später würde der Ritter sich daran erinnern, dass der Tag nach Hoods Tod nicht das erste Mal war, dass er einen Schritt auf dem schimmernden Pfad tat, aber als er auf dem Hügel stand, wusste er davon nichts. Dies war aber auch nicht sonderlich verwunderlich, wusste er doch in diesem Moment noch nicht einmal, aus welchem Grund er überhaupt an diesen Ort gekommen war. Er wusste nicht, aus welchem Grund er die Mühe eines Rittes auf sich genommen hatte, gab es doch hier nichts zu sehen. Weil er all das nicht wusste, konnte er auch nicht sagen, was er sich davon versprochen hatte, sich hierher zu schleppen. Er er auf die Felsen, wo der Gesetzlose seinen letzten Atemzug getan haben sollte und zweifelte in dem Moment daran, dass sich hier tatsächlich das abgespielt hatte, was der Sheriff ihm erzählt hatte, denn hier war nichts zu sehen. Und während er sich den Kopf darüber zerbrach, ob de Rainault ihn nicht doch angelogen hatte – so unwahrscheinlich das auch sein mochte - hielt er sich seinen verletzten Arm, in dem der Schmerz pulsierte, obwohl der Pfeil entfernt worden war. Aber die Verletzung hatte ihn nicht davon abgehalten, auf sein Pferd zu steigen, denn er hatte sein ganzes Leben lang mit Schmerz gelebt. Dieser war ihm immer ein treuer Begleiter und hatte ihn noch nie gestört.
„Komm zu mir, mein Ritter!“
Er hob den Kopf, als die Stimme ertönte und da lag der Pfad vor ihm, schimmernd und verlockend, auf den er bereits einen Fuß gestellt hatte. Dort stand aber auch der König, wunderschön, dunkel und wild anzusehen, und blickte ihm mit seinen leuchtenden grünen Augen bis tief in die Seele.
„Komm zu mir“, lockte er ihn ein weiteres Mal, aber der Ritter schüttelte den Kopf.
Der König seufzte und das klang, als wenn der Sturm durch den Wald raste, aber das machte dem Ritter keine Angst. So schrecklich der andere ihm auch erschien, so fürchtete er ihn doch nicht.
„Ich sehe, du bist noch nicht so weit“, stellte der Dunkle dann fest, aber er hielt den Blick weiterhin auf den Ritter gerichtet. „Aber du wirst zu mir kommen, das steht jetzt schon fest.“
„Ich habe mein Leben hier!“, erwiderte er und wunderte sich gleichzeitig, ob er sich nicht selbst etwas vormachte, denn das Leben, das er führte, war ihm noch nie sonderlich erstrebenswert vorgekommen. Aber die Worte waren gesprochen und er konnte sie nicht zurücknehmen.
Der König lächelte und dann trat er ganz nahe an den Ritter heran und ließ ihn die Wärme der Sommersonne spüren, die ihn wie einen Umhang einhüllte und schützte. Dann legte er ihn auch noch die Hand auf die Wunde und da war dem Ritter, als wenn der gesamte Schmerz aus ihm herausgezogen wurde.
„Geh zurück, mein Ritter, aber lass deinen Schmerz und dein Fieber hier, ansonsten werden wir keine Gelegenheit haben, uns wiederzusehen. Hast du erst die letzte Schwelle überschritten, kann auch ich dich nicht mehr erreichen.“
Der Ritter hatte keine Erinnerung daran, wie er nach Nottingham zurückgekommen war, aber er wusste durchaus, dass ihn das Fieber seiner entzündeten Wunde nur kurz streifte und so konnte er seine Pflichten als Steward des Sheriffs bald wieder aufnehmen. Er vergaß aber den schimmernden Pfad und die Bitte des wilden, wunderschönen Königs, nicht wissend, dass er diese Frage jedes Jahr an Samhain beantworten musste, wenn die Barriere zwischen den Welten durchlässig wurde. Seine Antwort war aber immer die gleiche: „Ich habe mein Leben hier!“ Und der König seufzte und ließ ihn jedes Mal gehen.
*********************************************
In den kommenden Jahren suchte der Ritter den Sinn seines Daseins vor allem in Kämpfen, in die er sich ohne Rücksicht auf sein Leben stürzte, aber den Menschen in seiner Umgebung schien es, als ob ihn eine unsichtbare Macht schützen würde. Diejenigen, die den weißen Christus anbeteten, schrieben diesem diese Rettungen des Ritters zu, aber es gab durchaus auch jene, die sich noch daran erinnerten, dass die Menschen früher mehr Kontakt mit dem wilden König gehabt hatte. Aber niemand bekam jemals etwas davon mit, wenn der Ritter einen Fuß auf den schimmernden Pfad setzte.
Als er in einer dreckigen Schenke in Lichfield durch die offene Luke stürzte und bewegungsunfähig auf dem Kellerboden lag, da bat ihn der wilde König erneut: „Komm zu mir, mein Ritter!“
Aber der Ritter weigerte sich auch dieses Mal und der König seufzte, legte ihm seine Hand auf die Schulter, um seine Wärme durch ihn hindurchströmen zu lassen und danach erhob sich der Ritter und humpelte hinaus, um sich auf den Rückweg nach Nottingham zu machen und sich dort wieder dem Spott des Sheriffs auszusetzten.
Der Ritter klammerte sich mit aller Macht an dieses erbärmliche Leben, suchte verzweifelt nach der Erfüllung seiner Sehnsüchte und stürzte sich immer wieder in schlecht durchdachte Abenteuer, die ihm nichts als Schmerz, Leid, Spott und Erniedrigung einbrachten. Und doch weigerte er sich störrisch, der Bitte seines dunklen Königs nachzukommen, denn er war sich gewiss, dass er dessen Aufmerksamkeit nicht verdiente. Er überzeugte sich selbst davon, dass sein Leben hier war und deshalb konnte er nie mehr als einen Fuß auf den schimmernden Pfad setzen, den er auch immer sofort wieder zurückzog. Jeden anderen hätte der König schon längst aufgegeben oder an seine Seite gezwungen, denn so schön er auch war, so unbarmherzig war er auch, aber wenn sein Ritter sich ein weiteres Mal weigerte, dann seufzte er nur, legte ihm die Hand auf, um ihn davor zu bewahren, die letzte Schwelle zu überschreiten und schloss das Portal bis zur nächsten Begegnung. Und sein Ritter gab ihm unzählige Male die Gelegenheit zu solchen Begegnungen, denn dies war seine Art. Aber der wilde König wusste, er werde die Frage eines Tages anders beantworten und so verlor er nie die Geduld mit seinem Ritter, obwohl dieser sie über Gebühr strapazierte.
***************************************
Robin Hood war sich immer des Moments bewusst, wenn ein Traum in eine Vision überging und so hatte er auch jetzt keine Zweifel daran, zu sehen, was sich tatsächlich ereignete. Dies machte allerdings sein Herz sehr schwer, denn er musste erkennen, dass er seinem Bruder nicht mehr helfen konnte.
Selten hatte er eine Vision in einer derartigen Klarheit erlebt, wie diese hier. Ihm war es, als stände er tatsächlich in der dunklen Zelle, die sich tief unter der Burg Winchester befand. Er spürte die feuchte Kälte, die aus dem harten Boden aufstieg, auf dem der nackte geschundene Körper des Gefangenen lag. Wenn Robin nicht genau gewusst hätte, wen er hier vor sich sah, dann hätte er ihn nicht erkannt, denn der Folterknecht des Königs hatte nicht viel von dem übriggelassen, was den Ritter ausgemacht hatte. Der Gesetzlose kniete neben dem Mann nieder, den nicht nur die Kälte, sondern auch der Schmerz der zahllosen Wunden zittern ließ und der Gestank des Eiters, des Blutes und der übrigen Körperflüssigkeiten überwältigte ihn fast, aber er nahm sich zusammen, denn er wollte sich davon nicht abschrecken lassen. Ihm war durchaus bewusst, dass sein Bruder nicht mehr viel Zeit auf dieser Welt hatte. Wenn ihm seine Verletzungen nicht in dieser Nacht den Tod brachten, so würde der König diesem Leben am nächsten Tag ein Ende setzen.
„Verzeih mir, dass ich dich nicht retten konnte“, bat er den Bewusstlosen und er war in seinen Worten völlig aufrichtig. Nachdem er den Leichnam seines Vaters nach Huntingdon gebracht hatte und dort von ihm Abschied nahm, musste er nach seiner Rückkehr nach Sherwood feststellen, dass er zu spät kam, um seinen ungeliebten Bruder vor seinem Schicksal zu bewahren. Der König hatte ihn bereits in die Finger bekommen und nach Winchester bringen lassen. Es hieß, er habe ihn auch schon befragt und was Robin jetzt sah, ließ ihn erkennen, dass dies der Wahrheit entsprach.
Sein Bruder hatte viele Dinge getan, für die er sicherlich den Tod verdient hatte, aber trotzdem konnte Robin seine Tränen nicht zurückhalten. Was der andere hatte erleiden müssen, wünschte der Anführer der Gesetzlosen niemandem, nicht einmal seinem ärgsten Feind. Und jetzt musste er sich eingestehen, dass dies niemals der Ritter gewesen war. Er war immer nur die Hand, die die Waffe schwang, auch wenn er das selbst nie so gesehen hatte.
Plötzlich erfüllte der Robin so vertraute Geruch des Waldes die Zelle und verdrängte den Gestank des Verlieses. Erstaunt blickte er auf und dann sah er ihn vor sich, den schimmernden Pfad, der ihn unwiderstehlich anzog. Bevor er sich dessen überhaupt bewusst werden konnte, hatte er sich schon in Bewegung gesetzt und auf einmal schwebte er über dem leuchtenden Band, das die Dunkelheit dieses Waldes durchschnitt, der so wild und undurchdringlich erschien. Robin meinte, nur einmal geblinkt zu haben, da blickte er schon auf denjenigen, der die Wilde Jagd anführte und sofort fürchtete er sich vor seiner schrecklichen Schönheit, während er sich gleichzeitig an seinem wilden Temperament erfreute. Als der andere seinen Blick auf ihn richtete, kam sich Robin völlig entblößt vor.
„Willkommen, Bruder des Waldes!“ Die Stimme des anderen war wie der Sturm, der die Bäume im Wald fällte und wie der Fluss, der alles mitriss, was sich ihm in den Weg stellte. „Deine Zeit ist zwar noch nicht gekommen, aber heute darfst du als Beobachter hier sein, damit dein Herz in der Zukunft nicht so schwer ist.“ Dann richtete der Dunkle seinen Blick auf den schimmernden Pfad und Robin folgte ihm darin. Zu seinem großen Erstaunen konnte er die Zelle am Beginn des langen Pfades ohne Probleme mit allen Details erkennen und daher entging ihm nicht, dass dieser grässliche Raum nun angefüllt war mit lebendigem Grün, als wäre dort von einem Moment auf den anderen ein Wald gewachsen. Was er nicht mehr sehen konnte, war der Körper, der dort auf dem Boden gelegen hatte, denn der so fürchterlich Entstellte stand nun mit einem Fuß auf dem schimmernden Pfad und dann setzte er sich langsam in Bewegung. Robin beobachtete dies voller Verblüffung, denn es überstieg seine Vorstellungskraft, wie der Ritter dies zustande brachte. Der Gesetzlose glaubte seinen Augen nicht zu trauen, aber der Geschundene näherte sich tatsächlich, ungeachtet der Tatsache, dass er eigentlich nicht dazu in der Lage sein sollte, sich zu erheben.
Aber Robins Erstaunen sollte noch größer werden, denn je näher der Ritter kam, desto mehr von seinen Wunden verschwanden und darüber hinaus erweckte er auch den Anschein, immer jünger zu werden. Und als Robins Bruder dann endlich vor dem Herrn dieser unirdischen Gefilde stand, da war er jünger, als Robin ihn jemals zu Gesicht bekommen hatte. Ohne Zweifel befand er sich nun in der Blüte seiner Jugend.
„Komm zu mir, mein Ritter.“ Diesmal war die Stimme so sanft wie das Säuseln des Frühlingswindes und so fröhlich wie das Gluckern eines schmalen Wasserlaufs im schattigen Wald.
Der Ritter ging vor dem dunklen König auf die Knie und beugte sein Haupt. Sein schimmerndes goldenes Haar war viel länger, als Robin es jemals an ihm gesehen hatte und fiel ihm nach vorne über das Gesicht, verhüllte seine Gestalt wie ein kostbares Gewand.
„Hier bin ich, mein König“, antwortete er ebenso sanft.
Der König, so schrecklich und so wunderschön in seiner ganzen Glorie anzusehen, sein langes dunkles Haar geschmückt mit Blüten und knospenden Zweigen, sein Haupt gekrönt von einem majestätischen Geweih, in seinen waldgrünen Augen ein Leuchten, das die gesamte Umgebung erhellte, legte seinem Ritter einen Finger unter das Kinn und hob es an.
„Du musst niemals den Blick vor mir senken, mein Ritter“, ermahnte er ihn, aber in seiner Stimme schienen tausende von kleinen Glöckchen mitzuschwingen und Robin spürte, wie seine Traurigkeit dahinschmolz wie Schnee in der Frühlingssonne.
„Und du musst niemals vor mir knien, Geliebter“, fuhr die andersweltliche Gestalt fort, „es war dir bereits vor langer Zeit bestimmt, an meiner Seite zu stehen.“ Und dann lachte der dunkle König auf und Robin spürte die unbändige Freude, die von ihm ausging. Der Anführer der Gesetzlosen stellte auch fest, dass er nicht der einzige hier war, den dieses Lachen berührte, denn der gesamte Hofstaat des Königs, egal ob groß oder klein, sanft oder wild, auf zwei Beinen oder vier Pfoten unterwegs, in Haut oder Fell oder Federn gehüllt, wurde davon ergriffen.
„Aber du hast dich lange geziert und ich hatte schon begonnen, daran zu zweifeln, dass du dein Schicksal jemals annehmen wirst.“ Erneut lachte der König, während sein Ritter sich erhob.
Robin konnte nun erkennen, dass der Ritter unter dem goldenen Umhang seines Haars in eine schimmernde weiße Rüstung gehüllt war, an seiner Seite ein langes Schwert, dessen Leuchten nicht von der silbern-glänzenden Scheide eingedämmt werden konnte. Dieses Leuchten konnte allerdings nicht mit dem mithalten, das von seinem jungen, edlen Gesicht ausging und als er den Blick seiner Augen – die die Farbe des Sommerhimmels hatten - auf Robin richtete, stellte dieser fest, dass der Ritter das Leben und die Liebe verkörperte, obwohl sich der Gesetzlose das zuvor niemals hätte vorstellen können. Ihm wurde bewusst, dass er noch nie etwas derartig Großartiges gesehen hatte und er war glücklich, dies miterleben zu dürfen, denn es machte ihm auf unmissverständliche Weise klar, was ihn in seinem Leben noch erwarten sollte, nämlich die Liebe seiner Gemahlin und die seiner Kinder.
„Deine Zeit hier ist noch nicht gekommen, Bruder“, teilte der Ritter ihm mit und diese Worte machten Robin zur gleichen Zeit sehr traurig, aber auch sehr glücklich, verstand er doch, dass er noch ein langes Leben vor sich hatte, aber auch, dass er eines Tages hierhin zurückkehren durfte. Und er wusste, dass der Ritter und sein König dann immer noch so jung, so schön und so wild sein würden wie in diesem Moment. Er wusste, sie würden niemals altern und immer glücklich miteinander sein.
„Aber wenn du das Bedürfnis dazu hast, dann darfst du an Samhain mit uns reiten“, gab ihm der dunkle König die Erlaubnis und Robins Herz machte einen gewaltigen Sprung. „Aber nun musst du uns wieder verlassen, Bruder des Waldes.“
„Gräme dich nicht, Bruder. Dies hier war vorherbestimmt. Das ist mein Leben!“ Robin stellte fest, dass Guys Worte ihn tatsächlich trösteten und dann befand er sich auf einmal wieder in einem gewöhnlichen Traum. Aber er durfte sich immer daran erinnern, was er in dieser Nacht miterlebte und er war dankbar.
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Die königlichen Soldaten und die Wachen im Verlies unter der Burg Winchester erzählten die Geschichte nur flüsternd weiter und sie schafften es tatsächlich, dass sie niemals die Ohren des Königs erreichte oder die von irgendjemandem, der dem Herrscher darüber informieren könnte, was tatsächlich geschehen war. Aber wahrscheinlich hätte der König sowieso niemals geglaubt, was die Männer vorfanden, als sie am Morgen die Zelle öffneten, in der der letzten Ritter der Apokalypse litt. Der gesamte Raum war mit Blumen, Gras, Sträuchern und Bäumen angefüllt und niemand konnte daran zweifeln, dass in der Nacht ein Wald dort gewachsen war, denn der Geruch der unzähligen Blüten breitete sich im gesamten Kerker aus. Und obwohl dieser auf so unnatürliche Weise entstandene Wald so dicht und undurchdringlich erschien, hatte keiner der Männer, der in ihn hineinblickte, auch nur den geringsten Zweifel daran, dass der Gefangene verschwunden war.
Die Wachen wussten, dass der König ihnen niemals glauben würde. Er würde sie beschuldigen, dem Mann zur Flucht verholfen zu haben, den er an diesem Tag öffentlich hinrichten lassen wollte und sie mussten sich schnell etwas einfallen lassen, um nicht an seine Stelle zu treten. So verschlossen sie die Zelle wieder – und warfen den Schlüssel weg – und dann suchten sie sich unter den anderen Gefangenen einen, den niemand vermissen würden, schafften ihn in eine ähnliche Zelle und sorgten dafür, dass selbst seine Mutter ihn nicht mehr wiedererkennen würde.
Und weil der König nicht wirklich wusste, welcher seiner Gefangenen sich in welcher Zelle befand, fiel ihm nichts auf, als er den Gefangenen holen ließ und er erfuhr niemals, das er den Falschen hatte hängen lassen, denn der Ärmste, der die Stelle des verschwundenen Ritters eingenommen hatte, war nicht mehr in der Verfassung, sich über seine Behandlung zu beschweren.
Aber die Männer wussten Bescheid und so erzählten sie diese Geschichte flüsternd weiter und als diese die Ohren von Robin Hood erreichte, da lächelte er, denn er kannte noch viel mehr von der Wahrheit als die Wachen im Verlies und er wusste, was sie gesehen hatten. Als der Earl das nächste Mal während Samhain ein Teil der Wilden Jagd wurde, da gab er die Worte an seinen Bruder und dessen König weiter, was die beiden zum Lachen brachte. In dem Moment war der Earl froh, nicht als gewöhnlicher Sterblicher vor ihnen zu stehen – so wie selbst ein König vor ihnen stehen würde – denn ihre Gesichter waren schrecklich anzusehen.
„Komm zu mir, mein Ritter!“
Er hob den Kopf, als die Stimme ertönte und da lag der Pfad vor ihm, schimmernd und verlockend, auf den er bereits einen Fuß gestellt hatte. Dort stand aber auch der König, wunderschön, dunkel und wild anzusehen, und blickte ihm mit seinen leuchtenden grünen Augen bis tief in die Seele.
„Komm zu mir“, lockte er ihn ein weiteres Mal, aber der Ritter schüttelte den Kopf.
Der König seufzte und das klang, als wenn der Sturm durch den Wald raste, aber das machte dem Ritter keine Angst. So schrecklich der andere ihm auch erschien, so fürchtete er ihn doch nicht.
„Ich sehe, du bist noch nicht so weit“, stellte der Dunkle dann fest, aber er hielt den Blick weiterhin auf den Ritter gerichtet. „Aber du wirst zu mir kommen, das steht jetzt schon fest.“
„Ich habe mein Leben hier!“, erwiderte er und wunderte sich gleichzeitig, ob er sich nicht selbst etwas vormachte, denn das Leben, das er führte, war ihm noch nie sonderlich erstrebenswert vorgekommen. Aber die Worte waren gesprochen und er konnte sie nicht zurücknehmen.
Der König lächelte und dann trat er ganz nahe an den Ritter heran und ließ ihn die Wärme der Sommersonne spüren, die ihn wie einen Umhang einhüllte und schützte. Dann legte er ihn auch noch die Hand auf die Wunde und da war dem Ritter, als wenn der gesamte Schmerz aus ihm herausgezogen wurde.
„Geh zurück, mein Ritter, aber lass deinen Schmerz und dein Fieber hier, ansonsten werden wir keine Gelegenheit haben, uns wiederzusehen. Hast du erst die letzte Schwelle überschritten, kann auch ich dich nicht mehr erreichen.“
Der Ritter hatte keine Erinnerung daran, wie er nach Nottingham zurückgekommen war, aber er wusste durchaus, dass ihn das Fieber seiner entzündeten Wunde nur kurz streifte und so konnte er seine Pflichten als Steward des Sheriffs bald wieder aufnehmen. Er vergaß aber den schimmernden Pfad und die Bitte des wilden, wunderschönen Königs, nicht wissend, dass er diese Frage jedes Jahr an Samhain beantworten musste, wenn die Barriere zwischen den Welten durchlässig wurde. Seine Antwort war aber immer die gleiche: „Ich habe mein Leben hier!“ Und der König seufzte und ließ ihn jedes Mal gehen.
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In den kommenden Jahren suchte der Ritter den Sinn seines Daseins vor allem in Kämpfen, in die er sich ohne Rücksicht auf sein Leben stürzte, aber den Menschen in seiner Umgebung schien es, als ob ihn eine unsichtbare Macht schützen würde. Diejenigen, die den weißen Christus anbeteten, schrieben diesem diese Rettungen des Ritters zu, aber es gab durchaus auch jene, die sich noch daran erinnerten, dass die Menschen früher mehr Kontakt mit dem wilden König gehabt hatte. Aber niemand bekam jemals etwas davon mit, wenn der Ritter einen Fuß auf den schimmernden Pfad setzte.
Als er in einer dreckigen Schenke in Lichfield durch die offene Luke stürzte und bewegungsunfähig auf dem Kellerboden lag, da bat ihn der wilde König erneut: „Komm zu mir, mein Ritter!“
Aber der Ritter weigerte sich auch dieses Mal und der König seufzte, legte ihm seine Hand auf die Schulter, um seine Wärme durch ihn hindurchströmen zu lassen und danach erhob sich der Ritter und humpelte hinaus, um sich auf den Rückweg nach Nottingham zu machen und sich dort wieder dem Spott des Sheriffs auszusetzten.
Der Ritter klammerte sich mit aller Macht an dieses erbärmliche Leben, suchte verzweifelt nach der Erfüllung seiner Sehnsüchte und stürzte sich immer wieder in schlecht durchdachte Abenteuer, die ihm nichts als Schmerz, Leid, Spott und Erniedrigung einbrachten. Und doch weigerte er sich störrisch, der Bitte seines dunklen Königs nachzukommen, denn er war sich gewiss, dass er dessen Aufmerksamkeit nicht verdiente. Er überzeugte sich selbst davon, dass sein Leben hier war und deshalb konnte er nie mehr als einen Fuß auf den schimmernden Pfad setzen, den er auch immer sofort wieder zurückzog. Jeden anderen hätte der König schon längst aufgegeben oder an seine Seite gezwungen, denn so schön er auch war, so unbarmherzig war er auch, aber wenn sein Ritter sich ein weiteres Mal weigerte, dann seufzte er nur, legte ihm die Hand auf, um ihn davor zu bewahren, die letzte Schwelle zu überschreiten und schloss das Portal bis zur nächsten Begegnung. Und sein Ritter gab ihm unzählige Male die Gelegenheit zu solchen Begegnungen, denn dies war seine Art. Aber der wilde König wusste, er werde die Frage eines Tages anders beantworten und so verlor er nie die Geduld mit seinem Ritter, obwohl dieser sie über Gebühr strapazierte.
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Robin Hood war sich immer des Moments bewusst, wenn ein Traum in eine Vision überging und so hatte er auch jetzt keine Zweifel daran, zu sehen, was sich tatsächlich ereignete. Dies machte allerdings sein Herz sehr schwer, denn er musste erkennen, dass er seinem Bruder nicht mehr helfen konnte.
Selten hatte er eine Vision in einer derartigen Klarheit erlebt, wie diese hier. Ihm war es, als stände er tatsächlich in der dunklen Zelle, die sich tief unter der Burg Winchester befand. Er spürte die feuchte Kälte, die aus dem harten Boden aufstieg, auf dem der nackte geschundene Körper des Gefangenen lag. Wenn Robin nicht genau gewusst hätte, wen er hier vor sich sah, dann hätte er ihn nicht erkannt, denn der Folterknecht des Königs hatte nicht viel von dem übriggelassen, was den Ritter ausgemacht hatte. Der Gesetzlose kniete neben dem Mann nieder, den nicht nur die Kälte, sondern auch der Schmerz der zahllosen Wunden zittern ließ und der Gestank des Eiters, des Blutes und der übrigen Körperflüssigkeiten überwältigte ihn fast, aber er nahm sich zusammen, denn er wollte sich davon nicht abschrecken lassen. Ihm war durchaus bewusst, dass sein Bruder nicht mehr viel Zeit auf dieser Welt hatte. Wenn ihm seine Verletzungen nicht in dieser Nacht den Tod brachten, so würde der König diesem Leben am nächsten Tag ein Ende setzen.
„Verzeih mir, dass ich dich nicht retten konnte“, bat er den Bewusstlosen und er war in seinen Worten völlig aufrichtig. Nachdem er den Leichnam seines Vaters nach Huntingdon gebracht hatte und dort von ihm Abschied nahm, musste er nach seiner Rückkehr nach Sherwood feststellen, dass er zu spät kam, um seinen ungeliebten Bruder vor seinem Schicksal zu bewahren. Der König hatte ihn bereits in die Finger bekommen und nach Winchester bringen lassen. Es hieß, er habe ihn auch schon befragt und was Robin jetzt sah, ließ ihn erkennen, dass dies der Wahrheit entsprach.
Sein Bruder hatte viele Dinge getan, für die er sicherlich den Tod verdient hatte, aber trotzdem konnte Robin seine Tränen nicht zurückhalten. Was der andere hatte erleiden müssen, wünschte der Anführer der Gesetzlosen niemandem, nicht einmal seinem ärgsten Feind. Und jetzt musste er sich eingestehen, dass dies niemals der Ritter gewesen war. Er war immer nur die Hand, die die Waffe schwang, auch wenn er das selbst nie so gesehen hatte.
Plötzlich erfüllte der Robin so vertraute Geruch des Waldes die Zelle und verdrängte den Gestank des Verlieses. Erstaunt blickte er auf und dann sah er ihn vor sich, den schimmernden Pfad, der ihn unwiderstehlich anzog. Bevor er sich dessen überhaupt bewusst werden konnte, hatte er sich schon in Bewegung gesetzt und auf einmal schwebte er über dem leuchtenden Band, das die Dunkelheit dieses Waldes durchschnitt, der so wild und undurchdringlich erschien. Robin meinte, nur einmal geblinkt zu haben, da blickte er schon auf denjenigen, der die Wilde Jagd anführte und sofort fürchtete er sich vor seiner schrecklichen Schönheit, während er sich gleichzeitig an seinem wilden Temperament erfreute. Als der andere seinen Blick auf ihn richtete, kam sich Robin völlig entblößt vor.
„Willkommen, Bruder des Waldes!“ Die Stimme des anderen war wie der Sturm, der die Bäume im Wald fällte und wie der Fluss, der alles mitriss, was sich ihm in den Weg stellte. „Deine Zeit ist zwar noch nicht gekommen, aber heute darfst du als Beobachter hier sein, damit dein Herz in der Zukunft nicht so schwer ist.“ Dann richtete der Dunkle seinen Blick auf den schimmernden Pfad und Robin folgte ihm darin. Zu seinem großen Erstaunen konnte er die Zelle am Beginn des langen Pfades ohne Probleme mit allen Details erkennen und daher entging ihm nicht, dass dieser grässliche Raum nun angefüllt war mit lebendigem Grün, als wäre dort von einem Moment auf den anderen ein Wald gewachsen. Was er nicht mehr sehen konnte, war der Körper, der dort auf dem Boden gelegen hatte, denn der so fürchterlich Entstellte stand nun mit einem Fuß auf dem schimmernden Pfad und dann setzte er sich langsam in Bewegung. Robin beobachtete dies voller Verblüffung, denn es überstieg seine Vorstellungskraft, wie der Ritter dies zustande brachte. Der Gesetzlose glaubte seinen Augen nicht zu trauen, aber der Geschundene näherte sich tatsächlich, ungeachtet der Tatsache, dass er eigentlich nicht dazu in der Lage sein sollte, sich zu erheben.
Aber Robins Erstaunen sollte noch größer werden, denn je näher der Ritter kam, desto mehr von seinen Wunden verschwanden und darüber hinaus erweckte er auch den Anschein, immer jünger zu werden. Und als Robins Bruder dann endlich vor dem Herrn dieser unirdischen Gefilde stand, da war er jünger, als Robin ihn jemals zu Gesicht bekommen hatte. Ohne Zweifel befand er sich nun in der Blüte seiner Jugend.
„Komm zu mir, mein Ritter.“ Diesmal war die Stimme so sanft wie das Säuseln des Frühlingswindes und so fröhlich wie das Gluckern eines schmalen Wasserlaufs im schattigen Wald.
Der Ritter ging vor dem dunklen König auf die Knie und beugte sein Haupt. Sein schimmerndes goldenes Haar war viel länger, als Robin es jemals an ihm gesehen hatte und fiel ihm nach vorne über das Gesicht, verhüllte seine Gestalt wie ein kostbares Gewand.
„Hier bin ich, mein König“, antwortete er ebenso sanft.
Der König, so schrecklich und so wunderschön in seiner ganzen Glorie anzusehen, sein langes dunkles Haar geschmückt mit Blüten und knospenden Zweigen, sein Haupt gekrönt von einem majestätischen Geweih, in seinen waldgrünen Augen ein Leuchten, das die gesamte Umgebung erhellte, legte seinem Ritter einen Finger unter das Kinn und hob es an.
„Du musst niemals den Blick vor mir senken, mein Ritter“, ermahnte er ihn, aber in seiner Stimme schienen tausende von kleinen Glöckchen mitzuschwingen und Robin spürte, wie seine Traurigkeit dahinschmolz wie Schnee in der Frühlingssonne.
„Und du musst niemals vor mir knien, Geliebter“, fuhr die andersweltliche Gestalt fort, „es war dir bereits vor langer Zeit bestimmt, an meiner Seite zu stehen.“ Und dann lachte der dunkle König auf und Robin spürte die unbändige Freude, die von ihm ausging. Der Anführer der Gesetzlosen stellte auch fest, dass er nicht der einzige hier war, den dieses Lachen berührte, denn der gesamte Hofstaat des Königs, egal ob groß oder klein, sanft oder wild, auf zwei Beinen oder vier Pfoten unterwegs, in Haut oder Fell oder Federn gehüllt, wurde davon ergriffen.
„Aber du hast dich lange geziert und ich hatte schon begonnen, daran zu zweifeln, dass du dein Schicksal jemals annehmen wirst.“ Erneut lachte der König, während sein Ritter sich erhob.
Robin konnte nun erkennen, dass der Ritter unter dem goldenen Umhang seines Haars in eine schimmernde weiße Rüstung gehüllt war, an seiner Seite ein langes Schwert, dessen Leuchten nicht von der silbern-glänzenden Scheide eingedämmt werden konnte. Dieses Leuchten konnte allerdings nicht mit dem mithalten, das von seinem jungen, edlen Gesicht ausging und als er den Blick seiner Augen – die die Farbe des Sommerhimmels hatten - auf Robin richtete, stellte dieser fest, dass der Ritter das Leben und die Liebe verkörperte, obwohl sich der Gesetzlose das zuvor niemals hätte vorstellen können. Ihm wurde bewusst, dass er noch nie etwas derartig Großartiges gesehen hatte und er war glücklich, dies miterleben zu dürfen, denn es machte ihm auf unmissverständliche Weise klar, was ihn in seinem Leben noch erwarten sollte, nämlich die Liebe seiner Gemahlin und die seiner Kinder.
„Deine Zeit hier ist noch nicht gekommen, Bruder“, teilte der Ritter ihm mit und diese Worte machten Robin zur gleichen Zeit sehr traurig, aber auch sehr glücklich, verstand er doch, dass er noch ein langes Leben vor sich hatte, aber auch, dass er eines Tages hierhin zurückkehren durfte. Und er wusste, dass der Ritter und sein König dann immer noch so jung, so schön und so wild sein würden wie in diesem Moment. Er wusste, sie würden niemals altern und immer glücklich miteinander sein.
„Aber wenn du das Bedürfnis dazu hast, dann darfst du an Samhain mit uns reiten“, gab ihm der dunkle König die Erlaubnis und Robins Herz machte einen gewaltigen Sprung. „Aber nun musst du uns wieder verlassen, Bruder des Waldes.“
„Gräme dich nicht, Bruder. Dies hier war vorherbestimmt. Das ist mein Leben!“ Robin stellte fest, dass Guys Worte ihn tatsächlich trösteten und dann befand er sich auf einmal wieder in einem gewöhnlichen Traum. Aber er durfte sich immer daran erinnern, was er in dieser Nacht miterlebte und er war dankbar.
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Die königlichen Soldaten und die Wachen im Verlies unter der Burg Winchester erzählten die Geschichte nur flüsternd weiter und sie schafften es tatsächlich, dass sie niemals die Ohren des Königs erreichte oder die von irgendjemandem, der dem Herrscher darüber informieren könnte, was tatsächlich geschehen war. Aber wahrscheinlich hätte der König sowieso niemals geglaubt, was die Männer vorfanden, als sie am Morgen die Zelle öffneten, in der der letzten Ritter der Apokalypse litt. Der gesamte Raum war mit Blumen, Gras, Sträuchern und Bäumen angefüllt und niemand konnte daran zweifeln, dass in der Nacht ein Wald dort gewachsen war, denn der Geruch der unzähligen Blüten breitete sich im gesamten Kerker aus. Und obwohl dieser auf so unnatürliche Weise entstandene Wald so dicht und undurchdringlich erschien, hatte keiner der Männer, der in ihn hineinblickte, auch nur den geringsten Zweifel daran, dass der Gefangene verschwunden war.
Die Wachen wussten, dass der König ihnen niemals glauben würde. Er würde sie beschuldigen, dem Mann zur Flucht verholfen zu haben, den er an diesem Tag öffentlich hinrichten lassen wollte und sie mussten sich schnell etwas einfallen lassen, um nicht an seine Stelle zu treten. So verschlossen sie die Zelle wieder – und warfen den Schlüssel weg – und dann suchten sie sich unter den anderen Gefangenen einen, den niemand vermissen würden, schafften ihn in eine ähnliche Zelle und sorgten dafür, dass selbst seine Mutter ihn nicht mehr wiedererkennen würde.
Und weil der König nicht wirklich wusste, welcher seiner Gefangenen sich in welcher Zelle befand, fiel ihm nichts auf, als er den Gefangenen holen ließ und er erfuhr niemals, das er den Falschen hatte hängen lassen, denn der Ärmste, der die Stelle des verschwundenen Ritters eingenommen hatte, war nicht mehr in der Verfassung, sich über seine Behandlung zu beschweren.
Aber die Männer wussten Bescheid und so erzählten sie diese Geschichte flüsternd weiter und als diese die Ohren von Robin Hood erreichte, da lächelte er, denn er kannte noch viel mehr von der Wahrheit als die Wachen im Verlies und er wusste, was sie gesehen hatten. Als der Earl das nächste Mal während Samhain ein Teil der Wilden Jagd wurde, da gab er die Worte an seinen Bruder und dessen König weiter, was die beiden zum Lachen brachte. In dem Moment war der Earl froh, nicht als gewöhnlicher Sterblicher vor ihnen zu stehen – so wie selbst ein König vor ihnen stehen würde – denn ihre Gesichter waren schrecklich anzusehen.