Finde ihn, bevor er dich findet
von Grusha
Kurzbeschreibung
Samantha war nie abergläubisch gewesen. Egal ob es sich dabei um böse Dämonen, schwarze Katzen oder paranomale Phänomene handelt. Sie hat all diesen Dingen keine große Beachtung geschenkt. Schwere Schicksalsschläge haben ihren Glauben vor langer Zeit vernichtet. Ihr ganzes Leben ist von Leere und Einsamkeit geprägt. Doch als sie zufällig ein Gespräch belauscht, wird sie von ihrer Neugierde übermannt. Es hält sich eisern das Gerücht, dass in dem Wald ein Monstrum ist. Natürlich will sie beweisen, dass nichts daran wahr ist, weshalb sie dem Gerücht auf den Grund geht. Doch schon bald muss Samantha feststellen, dass manches besser im Verborgenen bleiben sollte. Menschen verschwinden. Furchtbar entstellte Leichen tauchen auf. Schreckliche Dinge gehen vor sich. Es gibt nur noch eine Sache, die du tun kannst. Bete, dass „Er“ dich niemals finden wird... (Triggerwarnung: Nichts für zarte Seelen und Kinder)
GeschichteHorror, Übernatürlich / P18 / Gen
OC (Own Character)
09.04.2022
15.07.2023
12
26.162
3
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11.04.2022
2.222
Endlos lang ist die Straße, die es zu befahren gilt. Samantha hat den Kopf an die Scheibe gelehnt und sieht gelangweilt zum Fenster hinaus. Sie fragt sich gerade wirklich, warum sie sich zu diesem blöden Wochenendtrip hat überreden lassen. Immerhin hat sie überhaupt keine Lust darauf. Eigentlich sollte die 18-Jährige in diesem Alter selbst über ihr Leben bestimmen können, doch ihre nervige Stiefmutter hat solange an ihr herumgebohrt, bis sie schließlich schwer stöhnend nachgegeben hat. So gut es nur menschenmöglich geht, versucht sie den Lärm und das Geschnatter ihrer ehemaligen Klassenkameraden zu ignorieren. „Komm schon, das wird bestimmt lustig“, hat ihre Stiefmutter zu ihr gesagt. Ja...und wie lustig das wird. Dieser ständige Krach ist doch nicht auszuhalten. Samantha stöhnt einmal überaus genervt. Vielleicht sollte sie sich mit dem nächsten Bus einfach klang heimlich aus dem Staub machen und von hier verschwinden. Alles ist besser, außer diese verdammten Nervensägen von Freundinnen ertragen zu müssen. Wenn man diese jungen Mädchen überhaupt als Freundinnen bezeichnen kann. Samantha bezeichnet sie eher als Klotz am Bein oder unnötiges Anhängsel. Wenn man genau darüber nachdenkt, dann ist sie schon immer eine Einzelgängerin gewesen, was nicht unbedingt an ihrer rotbraunen Haarfarbe liegt. Seit ihre richtige Mutter vor zehn Jahren gestorben ist wurde sie sehr ruhig und in sich gekehrt. Viele frühere Interessen sind verloren gegangen und ihr Vater hat es nicht einmal für nötig gehalten sie zu einem Kinderpsychologen zu schicken.
Endlich – das langersehnte Schild wo die Jugendherberge anzeigt. Bald kann sie endlich diesem Höllenloch entkommen und wieder ihren eigenen Gedanken nachhängen. „Hast du schon von diesem Vorfall mit dem Polizisten gehört?“
„Nein, was ist denn passiert?“
„Vor etwa einer Woche ist eine Frau ermordet worden und der Polizist hat am Tatort ermittelt. Einen Tag später ist er selbst tot aufgefunden worden und soll schrecklich entstellt gewesen sein.“
„Was, ist das dein Ernst? Das ist ja furchtbar. Glaubst du da draußen läuft ein Verrückter herum?“ Samantha weiß nicht, wieso sie sich ausgerechnet auf dieses Gespräch konzentriert hat. Vielleicht weil es von allem am meisten herausgestochen ist. „Oder es ist ein böser Dämon gewesen, der die Seelen seiner Opfer aussaugt und deren Körper bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt“, mischt sich nun ein Junge ein, der die beiden Mädchen einfach nur erschrecken will. Das scheint ihm auch sehr gut gelungen zu sein, denn die beiden fangen an zu schreien. Auf diese Aussage kann Samantha nur den Kopf schütteln. Natürlich...ein böser Dämon...so ein Blödsinn. Es gibt keine übernatürlichen Wesen, die Menschen angreifen und ihnen die Seele aussaugen. Selbst als sie noch ein Kind war, hat man sie nicht einmal dazu bringen können an die Zahnfee zu glauben. Sie war schon immer introvertiert gewesen und hat nur an das geglaubt, was sie sehen oder anfassen kann.
Eine halbe Stunde später hat der Bus endlich seinen Zielort erreicht. Die Jugendherberge scheint kein besonders spannender Ort zu sein. Sie ist ein schlichtes Zeltlager, das umgeben von Wald in einem Felsenkessel liegt. Lediglich ein kleiner Kiosk erinnert an eine bestehende Zivilisation, in dem man Knabbereien und Zeitschriften kaufen kann. Der erste Schritt besteht darin das eigene Zelt erst einmal aufzubauen. Darin ist Samantha sehr geübt und hat es innerhalb von fünf Minuten erledigt. Immerhin hat ihr Vater sie oft genug gezwungen mit ihm campen zu gehen. „Sam, kannst du mir bitte helfen? Ich bin echt nicht gut darin.“ Es hat einen Moment gedauert bis sie begriffen hat, dass sie soeben von Laura angesprochen und um Hilfe gebeten wurde. „Äh...meinst du etwa mich?“
„Na wen denn sonst? Du bist hier schließlich die Einzige, die schon ein fertiges Zelt stehen hat.“ Samantha kennt Laura nicht besonders gut, trotzdem ist sie immer nett zu ihr gewesen. Also überwindet sie ihre Abneigung einfach und tut ihr den Gefallen, ihr beim Zeltaufbau zu helfen. „Danke, du bist eine wahre Lebensretterin.“ Die beiden Betreuungspersonen haben ebenfalls alle Hände damit voll zu tun den anderen zu helfen. „Also, ich habe mich schon die ganze Zeit auf unser Klassentreffen gefreut. So ein Ausflug macht Spaß, findest du nicht auch?“ Samantha verkneift es sich mit den Augen zu rollen. Wenn sie genauer darüber nachdenkt, dann hat Laura schon immer gerne geredet. Vielleicht sollte man sie besser in Schnatterinchen umbenennen. „Ja...echt großartig...“, sagt sie abwesend und muss den Sarkasmus dahinter verbergen.
Bevor diese nervtötende Plapperliese ihr noch weiter auf den Geist geht, macht sie sich aus dem Staub, um sich den Kiosk einmal anzusehen. Besonders groß ist der kleine Laden wirklich nicht. Neben den kleinen Snacks und den verschiedenen Zeitschriften, bietet er auch noch frisches Obst und alkoholische Getränke an. Ein kleiner Jägermeister für heute Abend kann nicht schaden. Auch wenn es gegen die Regeln ist, wird sich Samantha davon nicht aufhalten lassen. Und da der Kioskbesitzer ihr natürlich nicht glaubt, bekommt sie den Alkohol erst nach vorzeigen ihres Ausweises ausgehändigt. Trotzdem will sie sich weiterhin noch ein bisschen umschauen, als plötzlich eine ganz bestimmte Zeitung von vor ein paar Tagen ihre Aufmerksamkeit erregt. 'Polizist völlig entstellt und ermordet aufgefunden.' Sie nimmt das alte Tageblatt in die Hand und schaut sich das verpixelte Foto an. „Also haben die zwei Suppenhühner wirklich keinen Scheiß erzählt...“ Das ist in der Tat eine Tragödie, die sie interessiert, also entscheidet sich Samantha dazu die Zeitung zu kaufen. Auf dem Weg zur Kasse wird sie dann aber noch von einem kleinen Bücherregal abgelenkt. Wie seltsam – das hat sie vorhin gar nicht bemerkt. Schon damals hat sie immer Trost in Büchern gesucht, also fängt sie an die wenigen Exemplare zu durchstöbern. Fast alle von diesen Schinken sind einfach nur sterbenslangweilig, doch eines hat auf Anhieb ihr Interesse geweckt. Samantha hat schon immer sehr gerne Such und Rätselspiele gemacht. Auf dem Cover steht 'Finde ihn' und sie wird von einem jungen Mann freundlich angelächelt. Sie schaut nach was das Buch kostet und wundert sich schon stark darüber, dass es nur für ein paar Cent zu haben ist.
Allerdings denkt sie sich nichts weiter dabei und geht einfach davon aus, dass der Kioskbesitzer es einfach nicht verkaufen konnte und nun auf diesem Wege versucht das Buch loszuwerden. Sie bezahlt ihre beiden Schätze an der Kasse, lässt den Jägermeister in ihrer Hosentasche verschwinden und kehrt in ihr eigenes Zelt zurück. Dort wirft sie das bunte Bilderbuch erstmal achtlos in die Ecke zurück, bevor sie sich über den Zeitungsartikel des Polizisten hermacht. „...Genau wie bei dem ersten Opfer zuvor, wurde der Beamte mit einer komplett gebrochenen Wirbelsäule, zerfetzten Organen und einem stark verdrehten Kiefer aufgefunden...“ Samantha runzelt die Stirn. Bei dieser krassen Beschreibung ist sie wirklich froh, dass das Foto so gut verpixelt ist. Von wegen ein böser Dämon, der die Seelen der Menschen aussaugt. Da läuft einfach nur ein verrückter und psychopathischer Serienkiller frei herum, der sich einen Spaß daraus macht seine unglücklichen Opfer in ein fleischgewordenes Kunstwerk zu verwandeln. Hoffentlich hat dieser Typ keine feste Route eingeplant. Auch wenn sie auf so komisches Horrorzeugs steht, will sie zu dieser Party nicht eingeladen werden. Wobei es sicher sehr spannend wäre, sich mit einem Mörder zu unterhalten. Samantha verwirft ihren Gedanken wieder und blättert weiter in der Zeitung herum. Allerdings sind die weiteren Nachrichten nicht unbedingt empfehlenswert, weshalb sie die ausgediente Zeitschrift in die Ecke verbannt und sogleich gegen das Kinderbuch ersetzt. Samantha beginnt damit das Cover tiefgründig zu studieren. Bei seinem Anblick schleicht ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Es wirkt fast so, als ob etwas Böses in diesem Buch lauern würde. Trotzdem geht sie davon aus, sich das nur einzubilden. Gerade will sie die erste Seite aufschlagen, als plötzlich Laura unangemeldet in ihr Zelt hereinstürmt.
„Komm mit, wir gehen Feuerholz sammeln.“ Samantha lässt vor Schreck das Buch fallen. „Kannst du vorher gefälligst fragen, ob du hereinkommen kannst?“ Laura sieht die Braunhaarige überrascht an. „Ups...tut mir wirklich Leid. Ich werde ab sofort darauf achten dich zu fragen. Also, kommst du nun mit, oder nicht?“ Angenervt legt sie ihren geplanten Zeitvertreib erstmal weg. „Du gibst ja vorher sowieso keine Ruhe, also bringen wir es hinter uns.“ Samantha ist es wirklich ein Rätsel, wie Laura die ganze Zeit über nur so fröhlich und quirlig sein kann. Es reicht schon, dass sie sowieso als Außenseiterin bezeichnet wird. Wirklich lustlos trampelt sie mit den anderen im Wald herum, um dort morsche und trockene Äste zu sammeln, die als Brennholz dienen sollen. Wie sehr sie ihre Stiefmutter doch verflucht. Gerade jetzt könnte sie Zuhause in ihrem Zimmer sitzen und etwas zeichnen, stattdessen humpelt sie durch den dreckigen Wald und wird dazu genötigt Feuerholz zu suchen. Für Samantha steht jetzt schon fest, dass sie sich so schnell wie möglich eine Arbeit sucht und dann ausziehen wird. Dann muss sie sich nie wieder zu irgendwelchen Ausflügen in die Natur überreden lassen. Natürlich hat sie nichts gegen Ausflüge in die Natur, aber sie hat durchaus was dagegen wenn sie von lauter lärmenden Idioten umgeben ist. Samantha kann Krach einfach nicht ausstehen. Nun macht sich auch die lange Fahrt mit dem Bus bemerkbar. Es fängt an zu dämmern. Von den Betreuungspersonen werden die Kartoffeln und das Stockbrot vorbereitet.
Mit der Hilfe des gesammelten Holzes wird ein Feuer entfacht, sodass nachher alle miteinander Essen können. „Hallo, Samantha. Wie geht es dir? Du siehst nicht gerade glücklich aus.“ Katharina, die Betreuerin hat sich zu ihr gesetzt. „Ach, ist das so offensichtlich?“ Sie gibt sich nicht einmal Mühe, um ihre genervte Stimme zu verstecken. „Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass du dich auf diesen Ausflug gefreut hast. Ich bin ziemlich erstaunt gewesen, als du dich in der Liste eingetragen hast.“ Samantha stöhnt einmal. „Ich bin von meiner Stiefmutter regelrecht genötigt worden an diesem dummen Ausflug teilzunehmen. Um ehrlich zu sein wollte ich von Anfang an nicht mit.“
„Wirklich? Das ist sehr schade. Immerhin freuen wir uns, dass du hier bist.“ Katharina lächelt sie freundlich an. „Tatsächlich? Das glaube ich sofort.“ Sie nickt einmal. „Weißt du was, Katharina? Mir ist gerade ganz gewaltig der Hunger vergangen. Ich gehe ins Bett.“ Mehr hat sie auch nicht zu sagen und lässt ihr Gegenüber auch nicht mehr zu Wort kommen. Selbst als man ihr hinterherruft ignoriert Samantha das einfach. Angefressen hat sie sich in ihr Zelt zurückgezogen. Warum zum Teufel hat sie bloß kein Schloss mitgenommen? Dann könnte sie sich einsperren und die ganzen Vollidioten draußen halten. Morgen in der Früh wird sie definitiv abreisen und mit dem nächsten Bus zurück nach Hause fahren. Eine zweite Nacht wird sie mit diesen Spinnern definitiv nicht mehr aushalten.
Wenn sie genauer darüber nachdenkt, dann sollte sie sogar heute Nacht ihr Zelt noch abbauen und sich klang heimlich aus dem Staub machen. Immerhin ist sie volljährig und kann tun und lassen was sie will. Endlich hat sie ihre Ruhe und greift wieder zu dem Kinderbuch, um die erste Seite aufzuschlagen. Es ist wahrlich keine leichte Aufgabe, um den jungen Mann auf dem Cover in diesem ganzen Wirrwarr zu finden. Bevor sie wirklich aktiv nach ihm sucht, blättert sie das ganze Buch durch und schaut sich die verschiedenen Aufgaben und die bunten Bilder an. Plötzlich muss sie schmerzhaft das Gesicht verziehen. Nach fast einer Stunde bereut sie die Entscheidung, sich vom Lagerfeuer entfernt zu haben. Ihr leerer Magen knurrt einmal laut auf, während er nach Essen verlangt. „Na super...“, flucht sie. Auch wenn Samantha wirklich hungrig ist, ihr Stolz zum Feuer zurückzukehren ist größer. Sie wollte gerade damit beginnen ordentlich nach 'ihm' zu suchen, als sie einen Schatten vor ihrem Zelt bemerkt. „Samantha, darf ich bitte hereinkommen?“ Es ist Laura, die aus ihrem letzten Fehltritt wohl wirklich etwas gelernt hat. Sie klappt das Buch zu und lässt es in ihrem Schoß liegen. „Meinetwegen“, sagt sie schroff. Das fröhliche Mädchen öffnet den Reißverschluss und kommt herein. „Was machst du denn hier so ganz allein? Die Jungs erzählen schon wieder doofe Geistergeschichten. Ich mag das nicht.“ Plötzlich streckt sie ihre Hände aus. „Hier, ich hab dir eine Kartoffel und etwas Stockbrot mitgebracht.“ In diesem Moment hätte sie Laura wirklich küssen können. Glücklich nimmt sie das angebotene Essen entgegen. „Danke“, sagt sie und beißt hinein. „Was hast du denn da im Schoß liegen? Das sieht ja niedlich aus.“ Samantha gibt ihr das Buch, damit sie es sich ansehen kann. „Wow, ich wusste gar nicht, dass du auf Suchspiele stehst. Ich mach das ja auch ziemlich gern.“
Laura sieht sie mit großen Augen an. „Darf ich es mir bis morgen ausleihen?“
„Meinetwegen. Ich gehe dann sowieso ins Bett, aber du gibst es mir wieder, verstanden?“ Laura verspricht es ihr und lässt Samantha dann in Ruhe. Die Braunhaarige isst noch fertig und wollte sich gerade umziehen. Da bemerkt sie etwas hartes in der Hosentasche. Der Jägermeister! Den hat sie ja komplett vergessen. Schnell dreht sie die kleine Flasche auf, um sich den scharfen Kräuterlikör in einem Zug in den Rachen zu kippen. Es brennt. Doch gerade das lässt sie sowas von lebendig fühlen. Schnell schnappt sie sich ihre Zahnbürste, um sich an der kleinen Wasserstelle die Zähne zu putzen. Danach haut sie wieder ins Zelt ab, zieht sich um und kuschelt sich in den Schlafsack hinein. Was für ein turbulenter Tag. Sollen die sich da draußen doch dumme Geistergeschichten erzählen. Samantha glaubt nicht an Geister. Auch nicht an Dämonen oder anderes, übernatürliches Zeug. Müde geworden, versucht sie irgendwie den Kopf freizukriegen. Und morgen wird sie es sich nicht nehmen lassen, endlich dieses verdammte Buch zu lesen.
Endlich – das langersehnte Schild wo die Jugendherberge anzeigt. Bald kann sie endlich diesem Höllenloch entkommen und wieder ihren eigenen Gedanken nachhängen. „Hast du schon von diesem Vorfall mit dem Polizisten gehört?“
„Nein, was ist denn passiert?“
„Vor etwa einer Woche ist eine Frau ermordet worden und der Polizist hat am Tatort ermittelt. Einen Tag später ist er selbst tot aufgefunden worden und soll schrecklich entstellt gewesen sein.“
„Was, ist das dein Ernst? Das ist ja furchtbar. Glaubst du da draußen läuft ein Verrückter herum?“ Samantha weiß nicht, wieso sie sich ausgerechnet auf dieses Gespräch konzentriert hat. Vielleicht weil es von allem am meisten herausgestochen ist. „Oder es ist ein böser Dämon gewesen, der die Seelen seiner Opfer aussaugt und deren Körper bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt“, mischt sich nun ein Junge ein, der die beiden Mädchen einfach nur erschrecken will. Das scheint ihm auch sehr gut gelungen zu sein, denn die beiden fangen an zu schreien. Auf diese Aussage kann Samantha nur den Kopf schütteln. Natürlich...ein böser Dämon...so ein Blödsinn. Es gibt keine übernatürlichen Wesen, die Menschen angreifen und ihnen die Seele aussaugen. Selbst als sie noch ein Kind war, hat man sie nicht einmal dazu bringen können an die Zahnfee zu glauben. Sie war schon immer introvertiert gewesen und hat nur an das geglaubt, was sie sehen oder anfassen kann.
Eine halbe Stunde später hat der Bus endlich seinen Zielort erreicht. Die Jugendherberge scheint kein besonders spannender Ort zu sein. Sie ist ein schlichtes Zeltlager, das umgeben von Wald in einem Felsenkessel liegt. Lediglich ein kleiner Kiosk erinnert an eine bestehende Zivilisation, in dem man Knabbereien und Zeitschriften kaufen kann. Der erste Schritt besteht darin das eigene Zelt erst einmal aufzubauen. Darin ist Samantha sehr geübt und hat es innerhalb von fünf Minuten erledigt. Immerhin hat ihr Vater sie oft genug gezwungen mit ihm campen zu gehen. „Sam, kannst du mir bitte helfen? Ich bin echt nicht gut darin.“ Es hat einen Moment gedauert bis sie begriffen hat, dass sie soeben von Laura angesprochen und um Hilfe gebeten wurde. „Äh...meinst du etwa mich?“
„Na wen denn sonst? Du bist hier schließlich die Einzige, die schon ein fertiges Zelt stehen hat.“ Samantha kennt Laura nicht besonders gut, trotzdem ist sie immer nett zu ihr gewesen. Also überwindet sie ihre Abneigung einfach und tut ihr den Gefallen, ihr beim Zeltaufbau zu helfen. „Danke, du bist eine wahre Lebensretterin.“ Die beiden Betreuungspersonen haben ebenfalls alle Hände damit voll zu tun den anderen zu helfen. „Also, ich habe mich schon die ganze Zeit auf unser Klassentreffen gefreut. So ein Ausflug macht Spaß, findest du nicht auch?“ Samantha verkneift es sich mit den Augen zu rollen. Wenn sie genauer darüber nachdenkt, dann hat Laura schon immer gerne geredet. Vielleicht sollte man sie besser in Schnatterinchen umbenennen. „Ja...echt großartig...“, sagt sie abwesend und muss den Sarkasmus dahinter verbergen.
Bevor diese nervtötende Plapperliese ihr noch weiter auf den Geist geht, macht sie sich aus dem Staub, um sich den Kiosk einmal anzusehen. Besonders groß ist der kleine Laden wirklich nicht. Neben den kleinen Snacks und den verschiedenen Zeitschriften, bietet er auch noch frisches Obst und alkoholische Getränke an. Ein kleiner Jägermeister für heute Abend kann nicht schaden. Auch wenn es gegen die Regeln ist, wird sich Samantha davon nicht aufhalten lassen. Und da der Kioskbesitzer ihr natürlich nicht glaubt, bekommt sie den Alkohol erst nach vorzeigen ihres Ausweises ausgehändigt. Trotzdem will sie sich weiterhin noch ein bisschen umschauen, als plötzlich eine ganz bestimmte Zeitung von vor ein paar Tagen ihre Aufmerksamkeit erregt. 'Polizist völlig entstellt und ermordet aufgefunden.' Sie nimmt das alte Tageblatt in die Hand und schaut sich das verpixelte Foto an. „Also haben die zwei Suppenhühner wirklich keinen Scheiß erzählt...“ Das ist in der Tat eine Tragödie, die sie interessiert, also entscheidet sich Samantha dazu die Zeitung zu kaufen. Auf dem Weg zur Kasse wird sie dann aber noch von einem kleinen Bücherregal abgelenkt. Wie seltsam – das hat sie vorhin gar nicht bemerkt. Schon damals hat sie immer Trost in Büchern gesucht, also fängt sie an die wenigen Exemplare zu durchstöbern. Fast alle von diesen Schinken sind einfach nur sterbenslangweilig, doch eines hat auf Anhieb ihr Interesse geweckt. Samantha hat schon immer sehr gerne Such und Rätselspiele gemacht. Auf dem Cover steht 'Finde ihn' und sie wird von einem jungen Mann freundlich angelächelt. Sie schaut nach was das Buch kostet und wundert sich schon stark darüber, dass es nur für ein paar Cent zu haben ist.
Allerdings denkt sie sich nichts weiter dabei und geht einfach davon aus, dass der Kioskbesitzer es einfach nicht verkaufen konnte und nun auf diesem Wege versucht das Buch loszuwerden. Sie bezahlt ihre beiden Schätze an der Kasse, lässt den Jägermeister in ihrer Hosentasche verschwinden und kehrt in ihr eigenes Zelt zurück. Dort wirft sie das bunte Bilderbuch erstmal achtlos in die Ecke zurück, bevor sie sich über den Zeitungsartikel des Polizisten hermacht. „...Genau wie bei dem ersten Opfer zuvor, wurde der Beamte mit einer komplett gebrochenen Wirbelsäule, zerfetzten Organen und einem stark verdrehten Kiefer aufgefunden...“ Samantha runzelt die Stirn. Bei dieser krassen Beschreibung ist sie wirklich froh, dass das Foto so gut verpixelt ist. Von wegen ein böser Dämon, der die Seelen der Menschen aussaugt. Da läuft einfach nur ein verrückter und psychopathischer Serienkiller frei herum, der sich einen Spaß daraus macht seine unglücklichen Opfer in ein fleischgewordenes Kunstwerk zu verwandeln. Hoffentlich hat dieser Typ keine feste Route eingeplant. Auch wenn sie auf so komisches Horrorzeugs steht, will sie zu dieser Party nicht eingeladen werden. Wobei es sicher sehr spannend wäre, sich mit einem Mörder zu unterhalten. Samantha verwirft ihren Gedanken wieder und blättert weiter in der Zeitung herum. Allerdings sind die weiteren Nachrichten nicht unbedingt empfehlenswert, weshalb sie die ausgediente Zeitschrift in die Ecke verbannt und sogleich gegen das Kinderbuch ersetzt. Samantha beginnt damit das Cover tiefgründig zu studieren. Bei seinem Anblick schleicht ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Es wirkt fast so, als ob etwas Böses in diesem Buch lauern würde. Trotzdem geht sie davon aus, sich das nur einzubilden. Gerade will sie die erste Seite aufschlagen, als plötzlich Laura unangemeldet in ihr Zelt hereinstürmt.
„Komm mit, wir gehen Feuerholz sammeln.“ Samantha lässt vor Schreck das Buch fallen. „Kannst du vorher gefälligst fragen, ob du hereinkommen kannst?“ Laura sieht die Braunhaarige überrascht an. „Ups...tut mir wirklich Leid. Ich werde ab sofort darauf achten dich zu fragen. Also, kommst du nun mit, oder nicht?“ Angenervt legt sie ihren geplanten Zeitvertreib erstmal weg. „Du gibst ja vorher sowieso keine Ruhe, also bringen wir es hinter uns.“ Samantha ist es wirklich ein Rätsel, wie Laura die ganze Zeit über nur so fröhlich und quirlig sein kann. Es reicht schon, dass sie sowieso als Außenseiterin bezeichnet wird. Wirklich lustlos trampelt sie mit den anderen im Wald herum, um dort morsche und trockene Äste zu sammeln, die als Brennholz dienen sollen. Wie sehr sie ihre Stiefmutter doch verflucht. Gerade jetzt könnte sie Zuhause in ihrem Zimmer sitzen und etwas zeichnen, stattdessen humpelt sie durch den dreckigen Wald und wird dazu genötigt Feuerholz zu suchen. Für Samantha steht jetzt schon fest, dass sie sich so schnell wie möglich eine Arbeit sucht und dann ausziehen wird. Dann muss sie sich nie wieder zu irgendwelchen Ausflügen in die Natur überreden lassen. Natürlich hat sie nichts gegen Ausflüge in die Natur, aber sie hat durchaus was dagegen wenn sie von lauter lärmenden Idioten umgeben ist. Samantha kann Krach einfach nicht ausstehen. Nun macht sich auch die lange Fahrt mit dem Bus bemerkbar. Es fängt an zu dämmern. Von den Betreuungspersonen werden die Kartoffeln und das Stockbrot vorbereitet.
Mit der Hilfe des gesammelten Holzes wird ein Feuer entfacht, sodass nachher alle miteinander Essen können. „Hallo, Samantha. Wie geht es dir? Du siehst nicht gerade glücklich aus.“ Katharina, die Betreuerin hat sich zu ihr gesetzt. „Ach, ist das so offensichtlich?“ Sie gibt sich nicht einmal Mühe, um ihre genervte Stimme zu verstecken. „Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass du dich auf diesen Ausflug gefreut hast. Ich bin ziemlich erstaunt gewesen, als du dich in der Liste eingetragen hast.“ Samantha stöhnt einmal. „Ich bin von meiner Stiefmutter regelrecht genötigt worden an diesem dummen Ausflug teilzunehmen. Um ehrlich zu sein wollte ich von Anfang an nicht mit.“
„Wirklich? Das ist sehr schade. Immerhin freuen wir uns, dass du hier bist.“ Katharina lächelt sie freundlich an. „Tatsächlich? Das glaube ich sofort.“ Sie nickt einmal. „Weißt du was, Katharina? Mir ist gerade ganz gewaltig der Hunger vergangen. Ich gehe ins Bett.“ Mehr hat sie auch nicht zu sagen und lässt ihr Gegenüber auch nicht mehr zu Wort kommen. Selbst als man ihr hinterherruft ignoriert Samantha das einfach. Angefressen hat sie sich in ihr Zelt zurückgezogen. Warum zum Teufel hat sie bloß kein Schloss mitgenommen? Dann könnte sie sich einsperren und die ganzen Vollidioten draußen halten. Morgen in der Früh wird sie definitiv abreisen und mit dem nächsten Bus zurück nach Hause fahren. Eine zweite Nacht wird sie mit diesen Spinnern definitiv nicht mehr aushalten.
Wenn sie genauer darüber nachdenkt, dann sollte sie sogar heute Nacht ihr Zelt noch abbauen und sich klang heimlich aus dem Staub machen. Immerhin ist sie volljährig und kann tun und lassen was sie will. Endlich hat sie ihre Ruhe und greift wieder zu dem Kinderbuch, um die erste Seite aufzuschlagen. Es ist wahrlich keine leichte Aufgabe, um den jungen Mann auf dem Cover in diesem ganzen Wirrwarr zu finden. Bevor sie wirklich aktiv nach ihm sucht, blättert sie das ganze Buch durch und schaut sich die verschiedenen Aufgaben und die bunten Bilder an. Plötzlich muss sie schmerzhaft das Gesicht verziehen. Nach fast einer Stunde bereut sie die Entscheidung, sich vom Lagerfeuer entfernt zu haben. Ihr leerer Magen knurrt einmal laut auf, während er nach Essen verlangt. „Na super...“, flucht sie. Auch wenn Samantha wirklich hungrig ist, ihr Stolz zum Feuer zurückzukehren ist größer. Sie wollte gerade damit beginnen ordentlich nach 'ihm' zu suchen, als sie einen Schatten vor ihrem Zelt bemerkt. „Samantha, darf ich bitte hereinkommen?“ Es ist Laura, die aus ihrem letzten Fehltritt wohl wirklich etwas gelernt hat. Sie klappt das Buch zu und lässt es in ihrem Schoß liegen. „Meinetwegen“, sagt sie schroff. Das fröhliche Mädchen öffnet den Reißverschluss und kommt herein. „Was machst du denn hier so ganz allein? Die Jungs erzählen schon wieder doofe Geistergeschichten. Ich mag das nicht.“ Plötzlich streckt sie ihre Hände aus. „Hier, ich hab dir eine Kartoffel und etwas Stockbrot mitgebracht.“ In diesem Moment hätte sie Laura wirklich küssen können. Glücklich nimmt sie das angebotene Essen entgegen. „Danke“, sagt sie und beißt hinein. „Was hast du denn da im Schoß liegen? Das sieht ja niedlich aus.“ Samantha gibt ihr das Buch, damit sie es sich ansehen kann. „Wow, ich wusste gar nicht, dass du auf Suchspiele stehst. Ich mach das ja auch ziemlich gern.“
Laura sieht sie mit großen Augen an. „Darf ich es mir bis morgen ausleihen?“
„Meinetwegen. Ich gehe dann sowieso ins Bett, aber du gibst es mir wieder, verstanden?“ Laura verspricht es ihr und lässt Samantha dann in Ruhe. Die Braunhaarige isst noch fertig und wollte sich gerade umziehen. Da bemerkt sie etwas hartes in der Hosentasche. Der Jägermeister! Den hat sie ja komplett vergessen. Schnell dreht sie die kleine Flasche auf, um sich den scharfen Kräuterlikör in einem Zug in den Rachen zu kippen. Es brennt. Doch gerade das lässt sie sowas von lebendig fühlen. Schnell schnappt sie sich ihre Zahnbürste, um sich an der kleinen Wasserstelle die Zähne zu putzen. Danach haut sie wieder ins Zelt ab, zieht sich um und kuschelt sich in den Schlafsack hinein. Was für ein turbulenter Tag. Sollen die sich da draußen doch dumme Geistergeschichten erzählen. Samantha glaubt nicht an Geister. Auch nicht an Dämonen oder anderes, übernatürliches Zeug. Müde geworden, versucht sie irgendwie den Kopf freizukriegen. Und morgen wird sie es sich nicht nehmen lassen, endlich dieses verdammte Buch zu lesen.