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Breakaway

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P18 / Het
27.03.2022
17.12.2022
31
117.601
44
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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10.12.2022 3.215
 
Ohne lange Vorrede... Ich wünsche euch nur einen schönen dritten Advent :-)

*** ***

Ellen parkte direkt vor den Garagen, vor der auch der Truck der Ranch stand, aber nicht Tylers Jeep. Tyler war auf der Pferdeauktion in Hartfort, um einige Pferde zu verkaufen und außerdem hatten Dave und er ein Auge auf zwei Zuchtstuten geworfen, die zumindest auf dem Papier gut klangen.

„Danke, dass du mich abgeholt hast“, sagte sie, was ihr ein Augenrollen von Ellen einbrachte.
„Du musst dich nicht jedes Mal bei uns bedanken, Schätzchen. Man hilft der Familie, wenn sie Hilfe braucht und du bist Familie.“ In ihrem Hals bildete sich ein Kloß, gegen den sie heftig anschluckte. Nicht nur Tyler, seine ganze Familie hatte sich in den letzten Wochen ein Bein für sie ausgerissen. Sie hatte in den sauren Apfel gebissen und Tylers finanzielle Hilfe angenommen, aber sie hatten sich auf einen Kompromiss geeinigt. Statt irgendwo in eine Klinik geschickt zu werden, machte sie eine ambulante Reha in Bridgeport, die weniger kostenintensiv war. Auto fahren durfte sie noch nicht, aber die gesamte Familie Holt weigerte sich, sie mit dem Bus fahren zu lassen, deshalb brachte einer von ihnen sie morgens in die Stadt und holte sie am späten Nachmittag wieder ab.

„Ich weiß, dass ihr es nicht hören wollt, aber für mich ist es was Besonderes. Meine Familie, mein ganzes Leben war einfach anders, deshalb…“
„Ich verstehe schon“, versicherte Ellen lächelnd. „Aber wir helfen dir gerne. Und wir sind froh, dass du dich so gut erholt hast.“ Noch immer lächelnd, tätschelte Ellen ihre Hand, die seit zwei Wochen keinen Gips mehr trug.
„Wo du das sagst... Ich weiß, du hast uns bestimmt fürs Abendessen eingeplant, aber… ich würde gerne für Tyler kochen, jetzt wo meine Hände beide wieder funktionieren.“
„Gar kein Problem“, versicherte Ellen. „Ich habe genug gesunde Esser am Tisch, so dass trotzdem nichts übrig bleibt.“
„Du bist nicht böse, wenn ich deine Pläne durcheinanderbringe?“
„Blödsinn“, wiegelte Ellen ab. „Als könnte ich nicht verstehen, dass ihr mal einen Abend für euch wollt und braucht. Du genieß' deine neugewonnene Unabhängigkeit und solltest du doch Hilfe brauchen, weißt du, wo du mich findest.“
„Danke.“ Sie küsste Ellen auf die Wange, die ihr daraufhin strahlend durchs Haar strich.
„Na los, ab mir dir, Schätzchen.“

In der Mühle stellte sie zuerst ihre Sporttasche an ihren mittlerweile üblichen Platz. Nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hatte Tyler sie mit zu sich genommen, da die Ärzte darauf bestanden hatten, dass sie nicht alleine leben sollte, solange sie nicht als vollständig genesen galt. Und das würde erst nach ihrer Reha der Fall sein.

Einen besseren Unterstützer als Tyler hätte sie sich nicht wünschen können, denn genau das war er. Ein Unterstützer. Er half ihr, ohne sie zu verhätscheln und ging mit der ganzen Situation so unaufgeregt um, dass sie sich selbst in ihren hilflosesten Momenten nicht hatte schämen müssen. Gleichzeitig hatte er aber auch sprichwörtlich auf den Tisch gehauen, wenn es nötig gewesen war und das war es -natürlich- gewesen, sobald es um Geld gegangen war. Mit nur einer Hand waren Hosenknöpfe und vor allem Schnürsenkel ein Hindernis gewesen, deshalb hatte er mit ihr einen Einkaufsbummel gemacht und ihr nicht nur Hosen mit Gummizug, sondern auch Sneakers zum Reinschlüpfen gekauft. Dass sie selber hatte zahlen wollen, hatte er ignoriert, als sie versucht hatte, ihn zu überreden, wenigstens preisgünstige Sachen zu kaufen, hatte er nur die Augen verdreht und als sie trotzdem weiter auf ihn eingeredet hatte, hatte er sie einfach geküsst. Und jeden weiteren Versuch, zu argumentieren, auf die gleiche Weise unterbrochen. Vermutlich hätten sie sich irgendwann zu Tode geküsst, wenn sie nicht endlich nachgegeben hätte.

Ganz langsam, wirklich ganz langsam, lernte sie, seine finanzielle Großzügigkeit zu akzeptieren. Sie musste einsehen, dass Tyler recht hatte, wenn er argumentierte, dass es ihre Beziehung auf Dauer belasten würde, wenn sie nicht lernte, zu akzeptieren, dass er der wohlhabendere Partner war. Und solange er nicht anfing, ihr übertriebene Geschenke zu machen, würde sie damit klarkommen. Finanziell mochte sie nicht mit ihm mithalten können, aber das war Tyler sowieso nicht wichtig und dafür hatte sie andere Dinge zu geben. Zuallererst natürlich ihre Liebe für ihn. Die war für ihn zweifellos das Wichtigste. Und so wie er ihre Schulter zum Anlehnen war, war sie seine. Es gab nichts, worüber sie nicht miteinander sprachen. Sie kannte Tylers Wünsche und Träume, seine Sorgen, was ihm Freude machte, was ihn nervte… Und sie konnte ihm sein Lieblingsgericht kochen. Lasagne, wie sie sie von Hattie gelernt hatte.

Sie hatte Tylers Lieblingsgericht gerade in den Ofen geschoben, als die Haustür aufging. Sekunden später betrat ihr liebster Mensch auf der Welt die Küche und lächelte sie so strahlend an, als wäre sie ein Topf voll Gold am Ende des Regenbogens und nicht nur ihr gutes altes Selbst.
„Hi“, grüßte er sie und überbrückte die Distanz zwischen ihnen.
„Hi“, schaffte sie es noch ganz knapp zu erwidern, da verschloss er ihre Lippen zu einem Kuss, der ihre Knie weich werden ließ. Er küsste sie, als hätten sie sich nicht morgens noch gesehen, sondern als hätte er die letzten Monate auf See verbracht, aber sie würde sich sicher nicht beschweren. Wie viele Frauen hatten das Glück, so geliebt zu werden und dann auch noch einen Mann erwischt zu haben, der bereit war, es so deutlich zu zeigen?

„Das ist doch nicht etwa Lasagne?“, fragte er mit einem zufriedenen kleinen Grinsen, nachdem er ihre Lippen wieder freigegeben hatte.
„Doch.“ Lächelnd strich sie durch das kurzgeschnittene Haar in seinem Nacken. „Nachdem du dich in den letzten Wochen so gut um mich gekümmert hast, hast du sie dir mehr als verdient.“
„Auch wenn ich keine Gegenleistung erwarte, werde ich trotzdem nicht dagegen protestieren. Dafür ist deine Lasagne einfach zu gut.“ Schmunzelnd drückte sie ihm einen Kuss auf die Lippen.
„Wieso gehst du nicht unter die Dusche und bis du fertig bist, ist auch das Essen fertig“, schlug sie vor. Er stimmte zu, stahl sich aber erst einen weiteren Kuss, bevor nach oben verschwand.

Während Tyler oben war, deckte sie den Tisch und da es bereits dunkel wurde, entschied sie, ein paar Kerzen anzuzünden. Wenn sie schon einen Abend für sich hatten, noch dazu einen, an dem sie endlich ohne fremde Hilfe kochen konnte, konnten sie es auch richtig machen. Ein bisschen Romantik war schließlich immer gut.

Tyler schien ganz ihrer Meinung zu sein, denn er lächelte sichtlich zufrieden, als er wieder nach unten kam. Ihr eigenes Lächeln war wahrscheinlich nicht weniger zufrieden, so wie immer, wenn ihr dieser frisch geduschte Geruch in die Nase stieg. Sie liebte alles an Tyler, aber diese Mischung aus seinem Duschgel und einfach ihm machte sie immer ganz schwach.

„Also, wie war dein Tag?“, erkundigte sie sich, als sie sich schließlich gegenübersaßen.
„Nicht schlecht“, entgegnete er. „Black Thunder ist verkauft. Er dürfte bereits auf dem Weg nach Kalifornien sein.“
„Ich freue mich für euch, aber ich bin auch ein bisschen traurig“, gab sie zu. „Er ist so ein schönes Pferd. Ich habe ihn immer gerne angesehen.“ Tyler nickte zustimmend. „Und die anderen?“
„Wir haben alle verkauft und alle mindestens zum erhofften Preis.“
„Und die Stuten?“
„Zeige ich dir nach dem Essen, wenn du willst. Lemon Breeze sieht klasse aus, aber Lady Liberty… Ich bin mir sicher, du wirst sie lieben. Wenn alles läuft, wir wir es uns erhoffen, haben wir den Ferrari unter den Zuchtstuten erwischt.“
„Können wir ganz schnell essen?“ Tyler lachte leise über ihren eifrigen Tonfall.
„Die Lasagne ist zu gut, um sie runterzuschlingen. Lass sie uns genießen. Die Stuten sind nachher auch noch da.“

Da hatte er natürlich recht und außerdem genoss sie es viel zu sehr, ihn ganz für sich zu haben. Nicht nur, weil die Ranch viel Arbeit machte, schätzte sie ihre Zeit so sehr, sondern ganz besonders, weil sie das Glück hatten, überhaupt gemeinsame Zeit zu haben. Ihr Unfall hätte ganz leicht anders ausgehen können. Nämlich viel, viel schlimmer. Deshalb war sie dankbar, dass sie hier sitzen und die Gesellschaft des anderen genießen konnten.

„Wie war dein Tag?“, gab Tyler ihre Eingangsfrage zurück.
„Anstrengend“, gestand sie. „Aber ich bin acht Bahnen geschwommen, ohne Pause machen zu müssen.“
„Das ist super“, erwiderte er aufrichtig erfreut. „Letzte Woche waren es vier. Du hast deine Leistung mal eben verdoppelt.“ Er legte seine Gabel zur Seite und griff nach ihrer Hand. „Ich hoffe, es klingt nicht gönnerhaft, aber ich bin so stolz auf dich. Dein Durchhaltevermögen ist wirklich bewundernswert.“
„Danke.“ Sie lächelte geschmeichelt.
„Und dein Arm? Was machen die Schmerzen beim Hanteltraining?“
„Sind so gut wie weg“, konnte sie ihm versichern. „John meint, dass ich ab nächster Woche wieder selber Auto fahren kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass meine Hand krampfen könnte, ist genauso gering, wie bei jedem anderen Fahrer.“
„Sehr schön.“ Tylers Lächeln war so strahlend, dass es drohte, sie erblinden zu lassen. „Kaufen wir dir dann endlich ein anderes Auto? Eins, das zu deinen schönen neuen Muskeln passt?“
„Nein“, erwiderte sie empört. „Nur weil ich mir mit den Krankenhauskosten von dir helfen lasse, heißt das nicht, dass ich jetzt ständig dein Geld ausgebe.“ Lachend küsste er sie, bevor er wieder nach seiner Gabel griff.

„Du weißt, was es heißt, wenn ich wieder Autofahren kann und auch sonst keine Probleme im Alltag mehr habe?“ Fragend neigte er den Kopf zur Seite, was ihr ein Lächeln entlockte. „Meine Reha dauert nur noch zwei Wochen. Danach kann ich wieder anfangen zu arbeiten und…“
„Und?“, hakte er beinahe argwöhnisch nach.
„Du wirst deine anstrengende Mitbewohnerin los. Keine Reha mehr heißt, ich bin vollständig genesen.“ Verwirrt sah sie ihn an, als sein Argwohn sich in… Enttäuschung?… verwandelte. „Du wirkst nicht begeistert.“
„Ich freue mich, dass du wieder gesund bist“, versicherte er ihr aufrichtig. „Ich freue mich auch, dass du wieder selbständig sein wirst, aber… Willst du wirklich in dein Apartment zurück?“ Nun war es an ihr, verwirrt zu sein.
„Was meinst du damit?“ Erneut legte er sein Besteck zur Seite und griff wieder nach ihrer Hand.
„Willst du deinen Mietvertrag nicht kündigen und hierbleiben?“
„Du meinst…?“
„Ich finde es schön, dich hier zu haben. Am liebsten hätte ich dich jeden Tag hier und falls es dir auch so geht…“
„Du willst, dass wir zusammenziehen?“, vergewisserte sie sich. Nachdrücklich nickte er und sein Lächeln nahm einen gewinnenden Zug an.
„Denk an all die Vorteile. Ich spiele deine menschliche Heizdecke, Mom kocht jeden Tag für dich, wenn du das willst, Giggles wohnt nur eine Tür weiter und…“ Seine dramatische Pause ließ sie fragend eine Augenbraue heben, was ihm ein Grinsen entlockte. „Du alter Sparfuchs sparst dir die völlig überteuerte Miete für dein Apartment.“
„Das ist natürlich ein Argument“, erwiderte sie in gespieltem Ernst, lachte aber laut auf, als er ihre Hand losließ und ihr in die Nase kniff.
„Gut zu wissen, welchen Stellenwert meine Gesellschaft für dich hat.“

Sie lehnte sich auf ihrem Platz zurück und sah ihn einem Moment forschend an.
„Meinst du das wirklich ernst? Du denkst nicht, es wäre zu früh?“
„Nein“, versicherte er nachdrücklich. „Aber wenn es dir zu schnell geht, bin ich dir nicht böse, wenn du Nein sagst.“
„Geht es mir nicht“, antwortete sie beinahe erstaunt. „Ich kann uns beide wirklich sehen. Hier, meine ich. Dauerhaft.“
„Gut“, entgegnete er schlicht, aber sein Lächeln sprach Bände.
„Wow“, murmelte sie, kaum dass sie einen weiteren Bissen ihrer Lasagne verdrückt hatte. „Vor einem halben Jahr hätte ich nie gedacht, dass mein Leben sich so entwickeln könnte und jetzt…“
„Bist du hoffentlich genauso glücklich, wie ich“, beendete Tyler den Satz für sie.
„Ich bin sehr glücklich“, konnte sie ihm versichern. „Sehr, sehr glücklich sogar.“
„Das ist gut. Ich nämlich auch.“ Wie konnte sie anders reagieren, als sich zu ihm hinüber zu lehnen und ihn zu küssen.

Eine halbe Stunde später hatten sie aufgegessen und gemeinsam die Küche aufgeräumt. Deshalb hielt sie nichts mehr und sie zog Tyler hinter sich her zum Stall, in dem die neuen Stuten standen. Tylers ergeben-amüsiertes Lächeln ignorierte sie. Sie war ein Pferdemädchen durch und durch, natürlich musste sie da unbedingt die neuen Stuten sehen.

Lemon Breeze war wirklich ein tolles Pferd. Glänzendes goldenes Fell, wache Augen und ein guter Körperbau, aber als ihr Blick auf Lady Liberty fiel, war sie hin und weg. Die schwarze Stute war der Traum von einem Pferd.
„Sie ist wunderschön“, wisperte sie und lächelte, als Tyler sie an sich drückte.
„Ich wusste, dass sie dir gefallen wird, deshalb haben Dad und ich entschieden, dass du ihr erster Pfleger bist, wenn du das möchtest.“
„Ich?“ Fassungslos sah sie ihn an. „Ist das euer Ernst?“
„Natürlich. Wenn es dir zu viel ist oder du einfach keine Lust hast…“
„Bist du verrückt?“, unterbrach sie ihn. „Natürlich habe ich Lust. Sie könnte der letzte Klepper sein und ich würde mich freuen, aber ein Pferd, wie das?“

Ihr traten Freudentränen in die Augen und sie fiel Tyler um den Hals. Dass er und seine Familie ihr ein so wertvolles Pferd anvertrauten, freute sie wahnsinnig. Vor allem, weil es wirklich zeigte, dass und wie sehr sie zu ihnen gehörte. Sie war nun Teil nicht nur der Familie, sondern des Familienunternehmens!

„Können wir diesen Tag feiern?“, fragte sie, als sie die Umarmung soweit löste, dass sie Tyler ins Gesicht sehen konnte.
„Was schwebt dir vor?“, antwortete er mit einer Gegenfrage.
„Wir müssen beide früh raus, deshalb… Wie wäre es, wenn ich dich auf ein Eis einlade?“
„Jederzeit“, entgegnete er lächelnd.

*** ***

„Hey ihr beiden, wie geht’s euch?“ Hank Walker war der dritte, der sie ansprach und auch die dritte Person, die sie getroffen hatten, seit sie in der Stadt angekommen waren.
„Gut“, antwortete sie. „Warst du im Diner?“
„Natürlich, so wie immer“, erwiderte er lächelnd.

Ihr Unfall hatte ihr Leben in jeglicher Hinsicht auf den Kopf gestellt. Plötzlich war sie nicht mehr die meistgehasste Frau in Bradfort, sondern offenbar ein geschätztes Mitglied der Stadt. Sie hatte so viele Entschuldigungen gehört, so viel beschämtes Verhalten gesehen… Die Leute der Stadt würden nie ihre besten Freunde sein. Weil niemand so viele Freunde brauchte und sie vielleicht nie gänzlich vergessen konnte, was sie hatte ertragen und was leisten müssen, um sich diese Akzeptanz zu verdienen. Aber sie bekam keinen tagtäglichen Hass mehr zu spüren und mehr hatte sie sich gar nicht gewünscht. Ein zivilisiertes Zusammenleben mit den anderen Einwohnern reichte ihr. Die Leute, auf die es ihr wirklich ankam, hatten sie von Anfang an gemocht und diese Tatsache auch nie versteckt.

Hank ließ sie nach etwas Smalltalk ziehen und Tyler deutete ein Augenrollen an, als sie sich wieder auf den Weg zum Eiscafé machten.
„Diese Stadt“, sagte er nur, aber es reichte, um zu wissen, dass sie einander verstanden.

Gerade als sie auf den Diner zukamen, traten Hal und Sally heraus und waren die nächsten, die sie aufhielten. Aber von den beiden wurden sie gerne aufgehalten.
„Hi, meine Liebe.“ Sally drückte sie fest an sich. „Ist das schön, dich zu sehen.“
„Gleichfalls“, entgegnete sie.

Auch von Hal bekam sie eine Bärenumarmung und er lächelte sie hinterher warmherzig an.
„Du siehst gut aus. Du hast wieder richtig Farbe und siehst nicht mehr so schmal aus.“
„Romy schwimmt mittlerweile acht Bahnen, ohne Pause“, warf Tyler sichtlich stolz ein. Lächelnd drückte sie seinen Unterarm. Manchmal konnte man glauben, er war der Ex-Cheerleader und nicht sie, so wie er sie anfeuerte und unterstützte.
„Acht Bahnen? Nach dem Unfall?“ Sally sah beinahe fassungslos aus. „Ich bin gesund und pfeife nach drei Bahnen aus dem letzten Loch.“ Tyler und sie selbst lachten ungläubig, Hal gab seiner Frau einen Klaps auf den Oberarm.
„Red nicht solchen Unsinn. Du bist fit, wie ein Turnschuh.“ Sally schüttelte ungläubig den Kopf, wechselte aber das Thema.
„Wohin wollt ihr? Wollt ihr was essen?“ Fragend deutete sie hinter sich in den Diner.
„Ich habe Tyler auf ein Eis eingeladen, um den Tag zu feiern. Wir haben entschieden, dass wir zusammenziehen.“
„Das ist ja großartig.“ Diesmal umarmte Sally Tyler gleich mit.

„Ich habe noch mehr gute Neuigkeiten“, ließ sie ihre Arbeitgeber wissen, nachdem Sally sie losgelassen hatte. „Meine Reha geht sehr wahrscheinlich nur noch zwei Wochen und danach kann ich endlich wieder arbeiten. Das heißt, wenn ihr mich noch wollt.“
„Wenn wir… Natürlich wollen wir.“ Hal schüttelte ergeben den Kopf. „Als würden wir unsere beste Kellnerin freiwillig hergeben.“
„Hey, wenn ihr nichts anderes vorhabt, warum kommt ihr nicht mit uns?“, schlug sie vor. „Wir konnten uns so lange nicht richtig unterhalten.“
„Wenn Tyler nichts dagegen hat!? Ihr wolltest doch feiern!?“
„Quatsch“, wiegelte Tyler ab. „Ihr seid immer willkommen. Das wisst ihr doch.“

Fünf Minuten später saßen sie an einem Fenstertisch im Eiscafé. Da um diese Tageszeit nicht viel los war, konnten sie gleich bestellen. Joe verkaufte nicht nur leckeres Eis, sondern machte auch die beste heiße Schokolade im ganzen Landkreis, deshalb bestellte sie eine Tasse für sie alle zu den Eisbechern, die sie sich aussuchten.

„Du bist wieder so gut, wie gesund, ihr zieht zusammen, die Stadt hat endlich eingesehen, dass sie sich idiotisch benommen hat und dein Verhältnis zu deiner Mutter hat sich deutlich verbessert. Wenn das nicht nach Happy End klingt, weiß ich auch nicht weiter“, sagte Sally mit einem zufriedenen Lächeln.

Das stimmte absolut. In den letzten sechs Monaten hatte ihr Leben sich zum Positiven verändert. Ihr Unfall war natürlich ein Dämpfer gewesen, aber so hart das alles war, es hatte auch vieles zum Guten verändert. Jason und Sandra waren nun zusammen und das offensichtlich sehr glücklich. Tyler und sie hatte der Unfall noch enger zusammengeschweißt. Genauso wie sie und seine Familie. Und auch wenn das Verhältnis zu Gwen nie so unbeschwert sein würde, wie beispielsweise Tylers zu seiner Mutter, hatte es sich doch zum Besseren gewandt. Sie hatte Tylers Rat angenommen und Gwen eine letzte Chance gegeben. Eine Chance, die ihre Mutter wirklich nutzte. Sie sprachen miteinander, Gwen hatte die Mutterrolle angenommen und bürdete sie nicht mehr ihr auf. Ihre Mutter hatte auch endlich den Kopf aus ihrem Schneckenhaus geschoben, erste Kontakte im Pflegeheim geknüpft und pflegte auch Kontakt zu Ellen. Die beiden Frauen waren vollkommen verschieden, aber trotzdem kamen sie gut miteinander aus. Romy nahm an, dass es in erster Linie an Ellens unkomplizierten Art lag, aber womöglich würde Gwen sie überraschen und hatte selber ein paar liebenswerte Eigenschaften unter der harten Schale versteckt. Die kleinen Sammelfiguren, die ihre Mutter ihr derzeit regelmäßig schenkte, waren ein erster Beweis. Nach jeder weiteren geschafften Woche in der Reha wartete ein neues Pferd auf sie und zusammen mit denen, die sie im Krankenhaus bekommen hatte, hatte sich ihre neue Sammlung auf acht erhöht. Und sie nahm ganz stark an, dass am Sonntag Nummer Neun dazu kommen würde.

Unter dem Tisch griff sie nach Tylers Hand und drückte sie sanft. Dass er genauso sanft zurück drückte, verriet ihr, dass er verstand, was in ihr vorging. Genauso wie sein kleines Lächeln, dass er ihr zuwarf. Sie hatte einiges aushalten müssen, vor allem in den letzten zehn Jahren, aber sie war großzügig entschädigt worden. Und der größte Preis war Tyler selbst. Dieser wundervolle, großzügige, liebevolle Mann, der notfalls dickköpfiger war, als sie selbst, war ihr Mann und wollte es für den Rest ihres Lebens sein. Das hatte er ihr nicht nur versichert, sie glaubte es ihm aufs Wort. Er zeigte ihr jeden Tag, wie sehr er sie liebte. Mit großen Gesten, aber auch mit unzähligen kleinen, die für sie, wie kleine Schätze waren, die sie wie ihren Augapfel hüten würde.

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