Dortmunder Durcheinander Vol. 2
von Arkia
Kurzbeschreibung
Hier kommt eine weitere Sammlung von kleinen und etwas größeren Geschichten zum Tatort Dortmund, nähere Informationen finden sich wieder in den Headern der einzelnen Kapitel.
SammlungAllgemein / P16 / Gen
Kriminalhauptkommissar Jan Pawlak
Kriminalhauptkommissar Peter Faber
Kriminalhauptkommissarin Martina Bönisch
Kriminalhauptkommissarin Rosa Herzog
20.02.2022
07.05.2023
15
102.237
4
09.04.2023
7.409
Titel: Der Wahnsinn geht weiter
Fandom: Tatort Dortmund
Episodenbezug: Gier und Angst
Rating: P 16
Genre: Freundschaft, Kollegialität, Angst
Länge: 7306 Wörter
Beta: nee
Zusammenfassung: Faber und sein Team versuchen, den Fall um den toten Claus Lembach aufzuklären. Pawlaks eigene Verstrickung darin wird zunehmend zum Problem.
A/N: So, hier ist der zweite Teil des Faber-Kapitels. Nächsten Sonntag geht es dann mit Rosa weiter. Bis dahin wünsche ich euch Frohe Ostern!
* kennzeichnet Zitate aus „Gier und Angst“
Warnung:
Die Nacht verläuft alles andere als geruhsam und so ist Faber am nächsten Morgen schon früh im Präsidium, um die Ergebnisse der Kollegen zu sichten.
Nicht zu fassen!
Pawlak schäkert mit Micklitza, als seien sie alte Kumpels. Aber die Kollegen haben gute Arbeit gemacht, so dass Faber fast den ganzen Abend Pawlaks nachvollziehen kann. Er blickt kurz vom Computerbildschirm weg hin zur Tür. Dort begrüßt Bönisch gerade Herrn Beck.
Ach, hat der feine Herr jetzt Zeit für uns?
Wobei, fein? Ja, seine Klamotten sind piekfein, wahrscheinlich kostet seine rechte Socke mehr als Faber und Martina im ganzen Jahr zusammen verdienen, aber fein ist an ihm sonst nichts. Gestern Nacht ist es Faber nicht so aufgefallen oder aber er ist einfach so geschockt gewesen, dass jemand so dumm sein kann, aber mittlerweile nimmt er an, dass es eher Abgebrühtheit ist, dass er der hochschwangeren Frau ganz alleine, ohne irgendwelche professionelle Unterstützung vom Tod, nein, vom Mord an ihrem Ehemann berichten kann. Jedenfalls ist an Beck nichts fein, sondern lediglich alles und das beginnt ebenfalls mit einem F: fett. Nicht dass er hier Vorurteile wälzen würde, aber Beck widert ihn einfach nur an, und vielleicht überträgt Faber jetzt einfach sein Angewidertsein von Becks Innerem auf dessen Äußeres. Schon möglich, aber bevor er sich diesem Walross im Anzug widmen kann, muss Faber erst einmal die Bilder von der Überwachung bis zum Ende sichten. Erst als er das akribisch genug getan hat (nicht, dass es was gebracht hat, außer Faber zu versichern, dass alles mit Pawlak in Ordnung ist, was ihm mehr bedeutet als er zugeben mag), erhebt sich aus dem Schreibtischstuhl und tritt aus dem Büro und kurz darauf in den Konferenzraum ein.
„Josef Micklitza ist am Arsch“*, sagt Beck gerade.
Das fängt ja gut an. Seine Sprache ist auch nicht fein, vielleicht als Ausgleich zur Kleidung oder eher als Angleichung an sein inneres Wesen.
„'Am Arsch?' Wer ist am Arsch? Mahlzeit!“*, fragt Faber und grüßt gleichzeitig Frau Bönisch – und zwar nur sie.
„Sie ham da ja sicher die Info, dass Micklitza vor ein paar Monaten als CEO gefeuert wurde. Seine Firma verklagt ihn wegen Korruption und ich sage Ihnen was, die Firma wird gewinnen und Micklitza eine zweistelligen Millionenbetrag lötzen müssen oder er wandert in den Knast. So weit klar?!“*
Während Beck selbstherrlich spricht, so als würde der Regent seinen Untertanen die Welt erklären, geht Faber um den Konferenztisch herum und lässt sich neben Bönisch nieder. Diese gießt dem Walross ein Glas Wasser ein und wirft Faber dann einen fragenden Blick zu. Faber schüttelt kurz den Kopf. Er fürchtet, dass seine innere Abneigung Beck gegenüber in dem Maße ansteigt, dass er nicht einmal mehr das bei sich behalten kann.
„Klar“*, entgegnet Bönisch abgeklärt, ohne sich von Becks Gehabe beeindrucken zu lassen. Auch wenn Faber weiß, dass sie es innerlich ebenso wenig kalt lässt wie ihn selbst, aber sie kann es halt besser verbergen.
Aber da fährt der Cäsar schon mit seinem Vortrag fort: „Ergo, der erfolgsverwöhnte Topmanager gerät in Panik. Also klammert er sich an sein Privatvermögen. Das bietet ihm Schutz. Und wo liegt sein Privatvermögen? Bei der BeWesInvest. Wir hegen, pflegen und streicheln es groß.“*
Beck hat zwar seine Walrossflossen um das Glas mit Sprudelwasser gelegt, aber trinken tut er nicht davon.
Ist ihm wohl nicht edel genug, die Plörre des einfachen Volkes.
„Bing!“ Damit meldet sich Becks Handy zu Wort. Ja, er ist eine andere Generation, aber zu dieser gehört auch Beck, und Fabers Meinung nach gebietet es der Anstand, dass man bei einer Vernehmung der Polizei sein Handy ausgeschaltet lässt. Es sei denn, man ist wirklich wichtig, so wie ein Feuerwehrmann oder Rettungssanitäter oder Arzt... oder eben der Big Boss – im wahrsten Sinne des Wortes – einer Bank, zumindest scheint Beck das so zu sehen.
„Lass dich von denen nicht einschüchtern“, zirpt Birgers schwedischer Singsang Fabers Ohr.
„Nur Micklitza misstraut Ihnen. Der glaubt nicht mehr daran, dass Sie sein Vermögen großziehen“*, entgegnet Faber daraufhin schlagfertig.
„Ja, davon rede ich ja. Wenn so einer wie Micklitza in Panik gerät, dann zweifelt er plötzlich an allem, hört irgendwelche Gerüchte, kriegt noch mehr Panik“*, erklärt Beck, während Faber Martina kurz gemustert hat, ihr Äußeres lässt eine Vermutung zu, wie es in ihrem Inneren aussieht, nämlich auch nicht anders als bei Faber selbst.
Und so schlägt Martina, ebenso wie Faber das eben getan hat, einen etwas schärferen Ton an: „Sie wollen uns also sagen, Josef Micklitza hat Lembach umgebracht, weil er glaubt, dass Lembach sein Geld falsch angelegt hat?“*
Um irgendwas zu tun, denn ansonsten springt er diesem Walross noch an sein fettes Doppelkinn, wischt Faber mit seinem Parkaärmel auf dem Tisch herum. Beck beugt sich vor und umschließt das Wasserglas wieder mit seinen Händen.
Is' das dein Rettungsanker? Ach ja, ist ja auch das einzige Wasser, was es hier gibt, Walross!
„Noch 'mal: Ich hatte und habe keinen Konflikt mit Lembach“*, erwidert Beck sichtlich genervt.
Tja, du bist eben doch nicht Gott und somit nicht allwissend, denkt Faber befriedigt, sonst wüsstest du, dass du dich mit dieser Betonung erst recht verdächtig machen würdest. Denn wenn du keinen Beef mit Lembach hättest, müsstest du ja nicht so vehement betonen, dass du keinen Beef mit ihm hast.
„Sie sollten sich lieber um Micklitza und seinen Bruder kümmern“*, meint Lembach weiter.
Oh nee, jetzt erreichen wir ja fast schon Kindergartenniveau mit diesem plumpen Ablenkungsmanöver.
„Ach so, was hat sein Bruder damit zu tun?“*, fragt Faber also, auf das Spiel eingehend, und wischt dann wieder auf dem Tisch herum. Ansonsten könnte er dazu verleitet werden, das Walross zu häuten.
„Der belästigt meine Kunden, streut Gift“*, führt Beck aus, in einer Tonlage, als seien Faber und Martina Kammerjäger und die Micklitzas Ratten, die es zu beseitigen gilt.
Hoffentlich frisst du auch 'mal irgendwann 'nen Giftköder, denkt Faber giftig.
„Was erzählt er denn so?“*, erkundigt sich Martina, sichtlich bemüht, ihre von berufswegen gebotene Neutralität zu wahren.
„Ich würde das Vermögen meiner Kunden vernichten, ich hätte 'was mit dem Verschwinden von Micklitza zu tun, ich hätte 'was mit dem Mord an Lembach zu tun.“*
Hast du ja auch und wir werden schon noch 'rauskriegen, was es ist, aber jetzt ist es 'mal an der Zeit, dass du ein bisschen mehr auf dem Trockenen zappelst.
Also nichts mit schönen Worten und so wird aus einem überlegten „Fürchten Sie sich vor den Gerüchten eines Clubbesitzers?“ eine einfachere und wohl für das Walross auch provozierendere Formulierung, die Faber mit seinem Tonfall noch extra hervorhebt: „Angst vor dem Gerede eines Kneipenwirts?“*
„Meine Kunden sind sensibel. Jede Verleumdung ist da schädlich“*, meint Beck, als erkläre er hier das Selbstverständlichste der Welt, „sein Bruder Josef weiß genau, welche Saiten man bei seinesgleichen zupfen muss.“*
„Ach, und Sie wissen das nicht?“, hakt Faber nach.
„Was meinen Sie?“, erkundigt sich das Walross.
„Na, Leute wie Micklitza und seinesgleichen sind doch Ihre Kunden. Und um ihnen die bestmögliche Dienstleistung zu bieten, na ja, müssten Sie ihnen doch jeden Wunsch von den Augen ablesen können, ergo müssten Sie doch auch wissen, wie Sie Ihre Kunden gegen diese Gerüchte immunisieren können, oder nicht? Was is' das sonst für'n Service bei Ihnen?!“
Faber weiß nicht, ob er mit dieser Aussage nicht alles verspielt hat, aber er hat einfach nicht mehr an sich halten können. Bönisch versucht offenbar, zu retten, was noch zu retten ist.
„Sie bieten Ihren Kunden ja so was wie 'n Rundumsorglospaket, ne? Sie sind nicht nur ihr Vermögensverwalter, Sie ham auch 'ne Securityfirma, 'n Chauffeurservice inklusive Privatjet ...“*, versucht sie das Gespräch wieder in sicherere Bahnen zu lenken.
„Meine Kunden ham weder Zeit noch Nerven, sich um die lästigen Dinge des Alltags zu kümmern. Dafür bin ich da“*, erklärt Beck.
Puh, das ist gerade noch 'mal gut gegangen!
„Mhm, und dann stellen Sie denen schon 'mal 'ne Jacht dahin. Aber dann vergessen die manchmal, dass man dafür auch zahlen muss“*, wirft Faber ein und fährt dann fort: „Und dann verklagen Sie die auch schon 'mal auf 1,8 Millionen.“*
Um das Gesagte noch zu unterstreichen, schnalzt er anschließend mit der Zunge.
„Tja, selten“, erklärt das Walross lediglich und blickt dann erneut zu Bönisch hinüber, „aber Josef Micklitza ist am Arsch, ein Verlierer.“*
„Und Sie entscheiden, wer zum Verlierer wird“*, verdeutlicht Bönisch.
„Das hatten wir doch schon“*, erwidert Beck sichtlich genervt. Er blickt auf sein Handy, das inzwischen gefühlte zwei Millionen Mal gepiepst hat. „So, ich fürchte, meine schmutzigen Geschäfte rufen“*, meint das Walross selbstgefällig, erhebt sich und watschelt grußlos davon.
Faber und Martina starren sich einfach nur an. Schließlich steht Martina mit einen gefrusteten Laut auf und geht Richtung Tür.
„Issa kaputt?“, fragt Faber nach.
„Wer?“, fragt Martina zurück. Faber nimmt seinen Finger zu Hilfe. „Na, der Stuhl.“
Bönisch rüttelt ein wenig an der Lehne. „Nee, glaub' ich nicht“, erwidert sie und zieht die Augenbrauen hoch, „so lange hat er ja nicht drauf gesessen.“ Dann wird ihr Blick finster. „So was gehört sich nicht, Faber!“
Auch er steht auf. „Ja, ich weiß, ich find' seine Art nur zum Kotzen. Und ich bin halt so sozialisiert worden, dass ich da immer automatisch aufs Äußere gehe, schätze ich.“
„Man lernt nie aus, obwohl Mann vielleicht schon“, meint Bönisch spitzfindig.
„Ha, ha, sehr lustich.“ Faber tritt neben sie. „Ich bin vielleicht schon über ein halbes Jahrhundert alt, aber ich bin nicht von gestern.“ Auch Faber befühlt den Stuhl. „Trotzdem kann ich das verdammte Walross nicht ausstehen.“
„Walross?“, echot Bönisch.
„Fällt Ihnen 'was Besseres ein?“, meint Faber daraufhin.
„Nee, aber ich finde, Walross wird dem nicht gerecht. Da gab's doch dieses Fernsehmaskottchen, nicht?“
„Ja, Antje. Gott hab' sie selig“, bestätigt Faber, „damals im NDR. Obwohl... als ich nach Lübeck gekommen bin, hieß das noch N3.“
Martina schmunzelt. „Also diesen Vergleich hat Antje nun wirklich nicht verdient.“
„Da ham Se recht, Frau Bönisch.“
Ohne sie zu beachten, geht Pawlak an der offenen Tür vorbei und dann in seinen Teil des Büros. Martina und Faber tauschen einen bedeutungsschwangeren Blick und folgen ihm langsam.
In dem nun folgenden Gespräch, in das sich auch Rosa einklinkt, wird Faber schnell klar, dass er bei Pawlak auf Granit beißt, egal, wie viele Möglichkeiten er ihm auch eröffnet, jetzt endlich mit der Wahrheit herauszurücken. Nun, zumindest wissen sie jetzt, mit welcher Waffe Lembach erschossen wurde und dass Micki alle Kunden von Lembach aufscheucht, so wie Beck es ja schon in der Vernehmung behauptet hat. Und vielleicht kann ihnen ja einer dieser Kunden etwas Neues verraten, so dass Faber zusammen mit Frau Bönisch im Anschluss Herrn von Alfeld samt dessen Lover vernimmt.
Als er den Raum betritt, ist Faber von den vielen Aktenordnern erst einmal wie erschlagen. Als die Vernehmung beendet ist, ist er immer noch wie erschlagen, wenn auch aufgrund der Tatsache, wie naiv von Alfeld gewesen ist. Aber wenn man so viel Kohle hat, dann entfernt man sich wohl zwangsläufig vom realen Leben der meisten Leute auf diesem Planeten. Und immerhin wissen sie jetzt, dass Micki Panik schürt, indem er den Kunden erzählt, dass all ihr Geld futsch ist. Und vor allen Dingen haben sie festgestellt, dass nirgendwo eine Unterschrift von Beck zu finden ist, obwohl er doch der Oberboss ist. Zufall ist das ganz sicher keiner. Die Probleme der oberen Zehntausend bereiten Faber schon wieder Kopfschmerzen und Magenkrämpfe, so dass er sich in der Teeküche erst einmal nach etwas zu trinken und zu essen umsieht.
Dort kann ihm Rosa dann berichten, dass die Tatwaffe bei einer Razzia verloren gegangen ist und zwar zufälligerweise in einem Club, an dem Micki damals an der Tür gearbeitet hat.
Wieder ein Stück weiter gekommen, denkt Faber etwas erleichtert.
Dann klingelt plötzlich sein Mobiltelefon. Mit einem schlichten „Faber“* nimmt er den Anruf entgegen.
„Ja, hier ist Corinna Lembach, Sie...Sie wollten mich sprechen“, kommt eine schwache Stimme an Fabers Ohr.
„Frau Lembach“, entgegnet Faber überrascht, „ja, das ist sehr gut, dass Sie endlich mit uns reden wollen. Wo, wo sind Sie denn gerade?“*
„Ich bin gerade wieder nach Hause gekommen. Könnten Sie vorbeikommen?“
„Ähm... ja... ja, kein Problem. Ich komm' vorbei.* Bis gleich.“
Seine Stotterei hat nichts mit der Lembach zu tun, aber Faber hat gerade gesehen, dass Bönisch an seinem Rechner ist, an dem Rechner, wo immer noch die Dateien der Observation geöffnet sind... Scheiße, riesengroße Scheiße... Aber hilft wohl nix.
Bemüht locker schlendert Faber zu seiner Bürotür und erklärt in ebensolchem Tonfall: „Tja, da fährt man einmal den scheiß Rechner nicht 'runter, wa?“*
Martinas Augen wandern vom Bildschirm zu ihm und dann wieder zurück zum Computer. „Sie lassen Pawlak beschatten“*, sagt Martina schlicht.
Aber es ist nicht nur eine Feststellung ihrerseits, der Tonfall, in dem sie diese geäußert hat, drückt ihre Gefühle diesbezüglich aus und diese sind nicht gerade wohlwollend, um es einmal diplomatisch zu umschreiben. Faber macht nur eine „Ja, stimmt, und?“-Geste und tritt in das Zimmer.
„Was soll das?“*, fragt Bönisch daraufhin etwas unwirsch.
„Wir sind inner Mordermittlung und irgendwie steckt da Pawlaks Frau mit drin“*, erklärt er lapidar.
„Na und?“*, hakt Bönisch zunehmend aggressiver nach. Als von Faber keine Reaktion erfolgt, spricht sie weiter: „Dann reden wir mit Pawlak, face to face. Und wenn er befangen ist, dann ziehen wir ihn ab von dem Fall.“*
Es klingt irgendwie sehr oberlehrer-mutti-haft und auf die Tour kann Faber jetzt gar nicht. Aber er hat sich zumindest so weit im Griff, dass er daraufhin nichts erwidert. Bönisch nimmt das zum Anlass, um weiterzusprechen, wobei ihr Tonfall keinesfalls ruhiger wird, das Gegenteil ist der Fall:
„Aber wir lassen ihn doch nicht beschatten!“*
„Is' aber besser, wenn wir ihn beobachten“*, entgegnet Faber ruhig.
Ich will verdammt noch 'mal nich', dass dem auch noch 'was passiert!, schreit er panisch in Gedanken.
„Und ich will wissen, wo Mickis scheiß Managerbruder steckt“*, erklärt er immer noch äußerlich ruhig Bönisch.
„Ja, das will ich auch wissen“*, entgegnet sie keineswegs ruhiger.
Und dann schaltet sich auch noch Rosa in den Streit ein. Schließlich kommen sie zu der Übereinkunft, die Faber am liebsten ist, wenn auch nur sehr zögerlich, aber am Ende zählt eben das Ergebnis und nicht der Weg dahin.
Faber versucht, das laute Atmen, das aus dem Beifahrersitz kommt, weitestgehend auszublenden, aber das gelingt ihm nicht ganz, und so hofft er, schnell genug in die Klinik zu kommen und nicht bei einer Notgeburt im Auto zugegen sein zu müssen. Von den panischen Gedanken an eine Geburt wandern seine Gedanken weiter zum Ekel, der durch die bildliche Vorstellung der Sauerei, die diese ohne Zweifel in seinem Manta anrichten würde, verursacht wird. Dann rügt er sich ob dieses Gedankenganges auch schon. Faber wirft einen Blick auf Corinna Lembach.
„Schön weiteratmen, ja? Wir sind gleich da.“
Er setzt den Blinker. Sie nickt und atmet und Faber ordnet seine Gedanken und fährt. Als sie in der Klinik im Empfang genommen worden ist, geht Faber nicht gleich wieder, sondern setzt sich. Einerseits, um weiter zu sortieren, was er eben am Tatort von Frau Lembach erfahren hat, anderseits, weil er auch sicher sein will, dass es ihr gut geht. Immerhin fühlt er sich ein wenig mitschuldig an ihrem derzeitigen Zustand.
Claus Lembach hat also entdeckt, dass die Immobilien in den Fonds, die er verkauft, gar nicht alle existieren, und der feine Herr Beck hat dennoch immer mehr Kunden von seinem Produkt überzeugen können, indem er sich des guten alten Schneeballsystems bedient hat, und hat zudem vom Gewinn noch schön kräftig in die eigene Tasche gewirtschaftet. Frau Lembach glaubt trotzdem nicht, dass Beck ihren Mann ermordet hat. Aber er weiß...
Die in einem typischen Weiß gekleideten Beine, die ihm schon geraume Zeit im Sichtfeld stehen, veranlassen Faber dazu, aufzusehen.
„Sie haben Frau Lembach herbegleitet?“, fragt der Mann im weißen Kittel und Faber steht auf.
„Ja, Hauptkommissar Faber“, stellt er sich vor.
Der Blick des Arztes verfinstert sich. „Als wir Frau Lembach entlassen haben, haben wir sie darauf hingewiesen, wie wichtig es für sie ist, sich nicht aufzuregen.“ Der Vorwurf in den Worten des Arztes ist nicht zu überhören. Faber hat darauf keine Antwort. Der Arzt blickt den Flur entlang. „Ich verstehe ja, dass Sie Ihre Arbeit machen müssen, aber das kann doch nicht die Gefährdung der Gesundheit von anderen Menschen beinhalten.“ Die Stimme des Arztes ist gefährlich leise geworden. „Aber das scheint Sie ja nicht zu interessieren! Erst überbringen Sie ihr so mir nichts, dir nichts die Nachricht vom Tode ihres Mannes und jetzt verhören Sie sie auch noch derart, dass die Wehen eingesetzt haben.“
Faber könnte jetzt eine Menge dazu sagen, z. B., dass es Wiglaf Beck gewesen ist, der sie über den Tod ihres Mannes unterrichtet hat oder dass die Initiative zum Gespräch von Frau Lembach ausgegangen ist, dass sie den Tatort hat sehen wollen und dass Faber sie dorthin gefahren hat, um der Beschattung durch Becks Leute zu entgehen, und dass er sie an einer bestimmten Stelle gefragt hat, ob es Frau Lembach gut gehe, aber sie trotzdem weitergesprochen hat, dass es ihr extrem wichtig gewesen ist, mit ihm zu sprechen, so dass sie sogar die Warnzeichen ihres Körpers ignoriert hat. Und zu guter Letzt könnte Faber den Arzt auch noch darauf hinwiesen, dass er mit Frau Lembach lediglich eine Befragung durchgeführt hat und selbst wenn er sie im Präsidium mit allem Pipapo vernommen hätte, es dann kein Verhör gewesen wäre, denn die NS-Zeit läge zum Glück hinter ihnen.
Aber all das ist hier nicht zielführend und so bleibt Faber nur stumm und erkundigt sich anschließend ruhig: „Wie geht es Frau Lembach?“
„Die Geburt wird sich noch etwas hinziehen. Hoffen wir, dass alles gut geht.“
„Ja, danke.“
Der Arzt streift ihn nochmals mit einem rügenden Blick und geht dann den Flur entlang.
Zurück im Präsidium, wo anscheinend auch Rosa ausgeflogen ist, Bönisch hat er ja eben gesehen und Pawlak hängt immer noch an Micki dran, zieht Faber sich zurück und studiert nochmals genauestens die Akten. Tja, da hat das Walross den fetten Hals gekonnt aus der Schlinge gezogen. Zufrieden lehnt sich Faber im Schreibtischstuhl zurück, gießt den Kaktus mit dem Rest des Mineralwassers in seinem Glas und steht dann auf.
Wieder zu Hause, macht er sich in der Mikrowelle eine TK-Lasagne warm, nicht das Beste, aber das, was jetzt am schnellsten geht. Als er aufgegessen hat, streckt sich Faber genüsslich auf dem Sofa aus. Birger hat ihm versprochen, heute noch einmal zurückzurufen, nachdem er ihm eine Nachricht geschrieben hat, er müsse ihn berufsbedingt noch einmal sprechen. Faber schließt die Augen und denkt an das Gefühl, das seinen ganzen Körper durchströmt und ihn elektrifiziert hat, als Martina heute seine Hand berührt hat, dieses wunderbare Gefühl vorhin im Auto, als er aus der Klinik zurückgekommen ist und ihr von seinen Erkenntnissen bezüglich Lembachs Motivation berichtet hat. Sie hat nicht gleich losgelassen und sie haben sich tief in die Augen geblickt. Und jetzt, wo Haller Geschichte ist, da... Das Klingeln seines Mobiltelefons beendet die schwärmerischen Träumereien abrupt.
„Hey“, grüßt Faber, dieses Mal ganz altmodisch nur von Ohr zu Ohr.
Birger gähnt, aber seine Stimme klingt alles andere als müde. „Hej, was wolltest du noch wissen?“
Doch bevor Faber die Frage beantworten kann, brennt ihm noch etwas anderes unter den Nägeln. „Du klingst so anders, so...“
„...postkoital.“
„Oh!“, stößt Faber hervor.
„Keine Sorge, ich bin nicht im Büro und ich gehe Maja nicht fremd. Wir ham die scheiß reichen Säcke nur endlich drangekriegt und das ist halt fast besser als Sex.“
„Mhm“, macht Faber nur.
Birger lacht. „Wart's nur ab! Die kleinen Fische bringen dir Genugtuung, die großen, schmierigen Fische Befriedigung.“
„Na ja, vielleicht bin ich auch kurz vor...“ Eigentlich hat Faber ja sagen wollen „Verhaftung“, aber er ist gerade in so guter Stimmung, dass er beschließt sich Birgers Wortwahl anzupassen. „...dem Höhepunkt“, erklärt Faber und fügt dann hinzu, wie die Ermittlungen weiter verlaufen sind.
Birger gibt ihm noch ein paar Tipps.
„Hat Pawlak ich noch 'mal bei dir gemeldet?“, fragt Faber dann.
„Nej, aber ich hab' auch nicht versucht, ihn noch 'mal zurückzurufen, wollte deine Überwachungspläne nicht durchqueren.“
„Durchkreuzen“, verbessert Faber ganz automatisch.
Plötzlich wird es im Hintergrund laut. Anschließend erklingt ein lautes „Skål!“
„Dann will ich die Feier zum Abschluss deines Falles nicht länger stören“, meint Faber.
„Jo, aber meld' dich, wenn das mit Jan geklärt ist“, verlangt Birger.
„Mach' ich, bis dann.“
In dieser Nacht kann Faber etwas zuversichtlicher schlafen gehen, auch wenn die Nacht noch nicht so ruhig verläuft, wie er es gerne hätte. Denn die Sorge um Pawlak macht ihm immer noch zu schaffen.
Am nächsten Morgen fährt Faber erst einmal zum Bankhaus Roden. Im Manta sitzend, blickt er an der imposanten Fassade hoch. Jetzt geht es mit dem Teil, wo man sich langsam zum Orgasmus hocharbeitet, los, wenn Birger denn die Wahrheit gesagt hat.
Unten am Empfang, kommt Faber ohne Umschweife zur Sache: „Faber, Kripo Dortmund“, erklärt er und hält der Empfangsdame gekonnt seinen Ausweis vor die Nase, „ich müsste Herrn Dr. Mehring sprechen.“
Die Dame schaut auf ihren PC-Bildschirm. „Das tut mir leid, aber Dr. Mehring ist zurzeit nicht zu sprechen“, entgegnet sie und fügt dann hinzu, offenbar hat Faber seine Augenbrauen nicht unter Kontrolle halten können, „für niemanden.“
„Aber er ist hier? Hat er ein Meeting? Dann warte ich“, erklärt Faber.
Die Frau am Empfang schaut etwas hilfesuchend.
Ah, so ist das.
„Danke“, meint Faber und nickt dann gutmütig.
Er schlendert gemächlich in Richtung Treppe. Als die Frau sich wieder in ihren Bildschirm vertieft, den kleinen in ihrem mobilen Telefon, sprintet Faber die Stufen hinauf.
„He, Sie könn' doch nicht...!“, ruft die Frau.
Aber als er sich auf dem Treppenabsatz umdreht, guckt sie ihn einfach nur an und nimmt mit niemandem Kontakt auf.
Also ist Dr. Mehring wohl in einer Unterhaltung der etwas spirituelleren Art, überlegt Faber.
Als er Mehrings Büro immer näher kommt, verlangsamt Faber die Schritte. Vor der Tür ruft er sich noch einmal das Interieur von Mehrings Büro ins Gedächtnis. Die Buddhastatue beim Fenster und dieser komische Stein, bei dem es so ausgesehen hat, als würde er kosmische Energie in Mehring fließen lassen. Der sich bei Fabers Berührung hingegen einfach nur so angefühlt hat wie sich so ein edler Stein halt anfühlt. Aber vielleicht ist Faber für derartige Energie auch schlicht zu schlecht betucht. Vorsichtig öffnet er die Tür. Faber erblickt nur Dr. Mehrings Rücken. Ansonsten ist niemand im Raum. Er schleicht zum Fenster. In einer meditativen Haltung sitzt Dr. Mehring da, die Augen geschlossen und scheint tatsächlich dieser Welt entrückt.
Eigentlich beneidenswert.
Faber überlegt kurz, wie er die Tipps von Birger am besten umsetzen kann. Wie wäre es, wenn er einmal Dr. Mehring aus der Fassung bringt?
Im ersten Moment denkt der dann vielleicht sogar, er sieht doppelt.
Faber setzt sich im Schneidersitz neben den Buddha.
Die Farbe passt schon 'mal.
Es dauert ein wenig, doch etwas von Fabers Energie scheint Dr. Mehring erreichen zu können, denn dieser schlägt die Augen auf.
„Was machen Sie hier?“*, fragt er merklich überrumpelt.
Dir 'mal 'n bisken Feuer unterm Hintern!
„Der Einzige, der ganz konkret 'was zu verlieren hat, bei dem Spiel, das sind Sie, Dr. Mehring“*, erklärt Faber mit autoritärer Stimme.
Nun verschwinden auch die zur Ohm-Geste gekrümmten Finger Mehrings. Das nimmt Faber mit Genugtuung zur Kenntnis.
„Sie ham alle Fonds von BeWesInvest über Ihre Bank laufen lassen. Ihr Freund Beck, der hat nix unterschrieben, das heißt, er wird wohl straffrei aus der ganzen Sache 'rauskommen, aber Sie nich'“*, erklärt Faber überzeugt. Mehring starrt ihn nur an. „Sie und Herr Lembach ham alle Verträge mit den faulen Fonds gegengezeichnet“*, fährt Faber fort und betont bewusst jede Silbe des letzten Wortes.
Nun scheint Mehring die Muffe zu gehen, denn er erklärt schnell: „Ich habe Lembach nicht umbringen lassen.“*
Da sieht man einmal bzw. hört, dass du automatisch davon ausgehst, dass andere die Drecksarbeit für dich erledigen. Jeder normale Mensch hätte gesagt: 'Ich habe ihn nicht umgebracht.'
Aber sei's drum... Faber beschließt, ihn zumindest diesbezüglich nicht zappeln zu lassen.
„Nee, nee, das glaube ich auch nicht“*, erklärt er belustigt.
Wahrscheinlich weiß Mehring nicht einmal, wie man eine Waschmaschine bedient, gut da dürfte er bei Weitem nicht der Einzige sein.
„Warum sind Sie dann hier?“*, erkundigt sich Mehring mit ärgerlicher Stimme.
Och, alles für den Orgasmus.
Faber entscheidet sich für eine Formulierung, die sowohl den sexuellen Bezug wahrt als auch eine nicht beabsichtigte Hommage an Beck enthält. Um die Worte noch zu unterstreichen, hebt Faber den rechten Zeigefinger und richtet ihn auf Mehring.
Man zeigt nicht mit dem nackten Finger auf angezogene Leute, hört Faber die rügende Stimme seiner Oma im Ohr.
Ach, Omma, hier kann man 'mal 'ne Ausnahme machen.
„Sie persönlich sind am Arsch, wenn die faulen Fonds auffliegen.“*
Mehring antwortet nicht. Stattdessen löst er seine Beine aus dem Schneidersitz und beugt sich zum Boden, um seine Schuhe anzuziehen. Faber bemerkt die nicht vorhandenen Schnürsenkel.
Was? Kann er noch nicht 'mal Schleife binden?
„Was hat Ihnen Beck vorgeschlagen, dass wieder Ruhe in die Sache kommt?“*, hakt Faber nach. Zwar blickt Mehring ihn an, aber sein Mund bewegt sich nicht, nur seine Hände streifen den Slipper über den einen Fuß.
Na gut, dann ein bisken die Samthandschuhe.
„Mm“, brummt Faber gutmütig, „dass Sie keine Angst mehr haben müssen?“* Wieder herrscht Schweigen, der andere Schuh folgt. „Lässt sich die Sache mit Ihrem Geld regeln?“*, hakt Faber nach und kommt nun schon bald in die „Ich spreche zu Tieren oder kleinen Kindern“- Stimmlage. Abermals kommt kein Wort von Mehring, doch der ihm immer noch nicht zugewandte Blick ist Faber Antwort genug. Er kann nicht verhindern, dass sich gespielte Betroffenheit, die an Sarkasmus grenzt, in seine Stimme schleicht. „Oh nein! Sie ham schon bezahlt... dass das Gerede wieder aufhört.“*
Jetzt treffen sich ihre Blicke doch noch. Mehrings scheint fast schon gebrochen zu sein, seine Stimme klingt hilflos wie die eines kleinen Kindes.
Das hat jetzt aber nicht meine Stimmlage gemacht, oder?
„Beck hat gesagt, dass er das regelt. Ich hab' ihm zweieinhalb Millionen gegeben.“* Wieder folgt der waidwunde Blick von Seiten Mehrings. „Er sagt, damit könnte er Micklitza beruhigen“*, erklärt Mehring wieder etwas munterer, aber immer noch verzweifelt.
„Oh!“, stößt Faber aus und schüttelt den Kopf.
Und damit bringt Faber nicht nur zum Ausdruck, dass er die Naivität von Mehring nicht fassen kann, sondern auch sein Erstaunen darüber, dass Birger irgendwie recht hat. Ja, das hier zu tun, fühlt sich verdammt befriedigend an.
Orgasmus, ich komme!
Mehring erhebt sich. Auch Faber rutscht von der Fensterbank.
„Ja, gut, wir melden uns dann bei Ihnen“, erklärt Faber abschließend.
Mehring nickt nur. In der Tür dreht sich Faber noch einmal um. Dr. Mehring hat die Augen geschlossen, seine Hand ruht erneut auf seinem Energiestein.
Tja, den wirst du wohl nicht in den Knast mitnehmen können. Tut mir leid...nicht wirklich.
Fast schon beschwingt verlässt Faber das Bankhaus Roden. Als er aus dem Gebäude hinaustritt, fällt ihm ein, dass Pawlak sich heute noch gar nicht gemeldet hat. Und auch die Kollegen haben noch nichts von der Überwachung geschickt.
Na ja, ist vermutlich nicht viel passiert. Aber trotzdem, Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.
Faber wählt Pawlaks Nummer, doch sofort springt die Mailbox an.
„Pawlak melden Sie sich! Ich muss wissen, ob Sie das im Blick haben, ja?“*, meint Faber bemüht neutral.
Er steigt in seinen Manta, während schon die Leitung zu den Kollegen der Überwachung steht.
„Ja, Faber hier, wo seid ihr?“*, erkundigt er sich, nachdem er wie gewohnt mit eine schlichten „Ja?“ begrüßt worden ist.
„Na, zu Hause, wir ham die Observation doch abgebrochen“, kommt es verblüfft aus der Leitung.
„Was fällt euch ein, die Observation abzubrechen? Sach 'mal, seid ihr noch ganz dicht?“*, ruft Faber aus, sein Herzschlag beschleunigt sich, vor seinem geistigen Augen taucht der verletzte Kossik auf und dann die leblose Dalay.
„Wieso? Frau Bönisch hat doch heute Morgen gesagt, dass wir abgezogen sind“, erklärt der Kollege immer noch merklich verwirrt.
„Bönisch? Bönisch hat euch abgezogen?“*, wiederholt Faber, als könne das, was er eben gehört hat, dadurch ungeschehen machen. Vor seinem inneren Auge verwandelt sich die femininen Konturen von Dalay in die männlichen von Pawlak, dieser ist mit Kugeln durchsiebt worden. „Was soll denn diese Scheiße, verdammt?!“*, brüllt Faber und drückt anschließend die Kollegen weg. „Fuck!“*, stößt er sowohl wütend als frustriert hervor und befördert dann das Handy auf den Beifahrersitz.
Ganz ruhig!, mahnt er sich. Die Wahrscheinlichkeit ist minimal, quasi gar nicht vorhanden.
Seiner inneren Stimme gelingt es weder seinen Körper noch seinen Geist zu beruhigen, das Blut rauscht praktisch in Fabers Ohren. Er atmet tief durch, wählt eine Nummer, doch niemand nimmt ab. Sein nächster Impuls ist es, Bönisch zu kontaktieren und sie zur Sau zu machen, aber das ist auch nicht zielführend. Sein Blick wandert zum Fach im Armaturenbrett. Er öffnet es, sucht die kleine Karte, wählt die Nummer. Dort nimmt zum Glück jemand ab. Es ist Wosniak, der ehemalige Vize des Clubs. Faber hat sich inzwischen so weit beruhigt, dass er beschlossen hat, sich langsam heranzutasten.
„Ja, Faber hier. Ich müsste 'mal den Chef sprechen.“
Schließlich hat er die gewünschte Person in der Leitung.
„Gibt's bei euch irgendwas Neues wegen Pawlaks Frau?“, fragt Faber nach und ist extrem bemüht, seine Stimme unter Kontrolle zu halten. Seinem Gesprächspartner gelingt dies anscheinend nicht, denn er prustet los. „Ich kann nicht verstehen, was daran so lustig sein soll“, meint Faber irritiert.
„Nix, gar nix“, erwidert Simon Stern, er ringt sichtlich nach Atem, „is' 'n Insider.“ Er fängt sich offenbar und ergänzt: „Jürgen macht den neuen Prospect nur gerade zur Sau, das ist alles.“ Stern hüstelt. „Nein, also von Pawlaks Frau gibt's nichts Neues.“
„Gut, danke“, entgegnet Faber.
„Gerne. Tschüss.“
Zurück im Präsidium geht Faber Bönisch erst einmal aus dem Weg, genau wie er selbst scheint auch Rosa nicht ganz bei der Sache zu sein. Trotzdem schaffen sie es irgendwie, alle benötigten Sachen in die Wege zu leiten. Es ist schon fast Abend, als Staatsanwalt Matuschek das Gemeinschaftsbüro betritt.
„So hier“, erklärt er und legt Faber die unterzeichneten Dokumente auf den Tisch. Irrt Faber sich oder hat er da tatsächlich so etwas wie Vorfreude aus Matuscheks Stimme herausgehört?
Bönisch kommt zu ihnen herüber. „Ist alles bereit?“, hakt sie nach.
Matuschek und Faber nicken simultan. Faber wendet sich an Rosa. „Sie halten hier bitte die Stellung“, weist er an. Rosa nickt knapp. „Und wir beide knüpfen uns jetzt den Beck vor“, meint Faber mit einem grimmigen Nicken.
Beinahe hätte er das W-Wort benutzt, das wäre in Matuscheks Gegenwart bestimmt nicht so gut gekommen.
Unten im Flur deutet Faber zur Herrentoilette. „Ich komm' gleich nach.“
„Is' gut“, bestätigt Bönisch und geht hinaus.
Faber hingegen baut in der Kabine die Verbindung nach Schweden auf, die den ganzen Tag unbeantwortet geblieben ist, und dabei hat Faber oft angerufen.
„Ja?“, kommt eine ziemlich verkaterte Stimme an sein Ohr.
„Da habt ihr euch gestern so richtig die Kante gegeben, was?“, fragt Faber nicht ernstgemeint nach, Birger antwortet trotzdem mit einem euphorischen „Ja!“
„Gegen meinen Willen wurde die Observation heute Vormittag abgebrochen und wir können Pawlak seitdem auch nicht mehr erreichen.“
Anschließend schildert Faber im Schnellverfahren noch weitere Einzelheiten.
„Vielleicht weiß ja dieser Beck, wo Pawlak ist“, mutmaßt Birger.
„Wieso sollte der das wissen?“, fragt Faber.
„Weil es um sein Wertvollstes geht.“
„Hä?“, macht Faber nur.
„Money, Money“, entgegnet Birger im Stile von ABBA.
„Ja, aber selbst wenn er das wüsste, wird er es uns nicht sagen“, wendet Faber ein.
„Ein letzter Tipp, Peter, dann muss ich erst 'mal 'was gegen die infernalischen Kopfschmerzen tun, weil Krister was dabei hatte, also aus Kiruna, dagegen ist der Schnaps meines Onkels aus Uppsala Kinderkram. Also, die reichen Säcke haben nicht nur vor dem Verlust ihres Geldes Angst, sondern auch vor dem Verlust ihres Lebens.“
Dann ist die Leitung tot.
Kurz und schmerzvoll, aber hoffentlich hilfreich.
Auf dem Weg zur BeWesInvest schweigen Faber und Bönisch. Faber hätte eine Menge zu sagen, angefangen bei dem eigenmächtigen Abzug des Observationsteams über ihr Vorgehen gleich bei der Bank bis hin zu der Sache eben auf dem Parkplatz mit Haller. Aber jetzt ist einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Und bezüglich ihres Vorgehens, nun ja, sie arbeiten jetzt fast eine Dekade zusammen, da wird das schon klappen. Vor der Bank sprechen sie sich mit den Kollegen von der Steuerfahndung ab. Die Kollegen bleiben draußen, nur Bönisch und Faber betreten die spärlich beleuchtete Bank. Sie steigen die Treppen hinauf. Lange suchen müssen sie nicht.
Da ist er ja!
Faber unterdrückt ein „Buh!“, stattdessen genießt er es, wie er übers ganze Gesicht grinst und Becks Walrossgesicht zu einem Erstaunen verzogen ist.
„Was machen Sie hier?“*, erkundigt sich Beck verblüfft.
„War'n das ein oder zwei Millionen, die Dr. Mehring zahlen sollte?“*, fragt Bönisch daraufhin Faber gespielt ahnungslos.
Ah, so will sie das also. Na, schön. Ich bin dabei.
„Zweieinhalb, sacht Dr. Mehring“*, entgegnet Faber also in entsprechender Tonlage. Er lässt seinen Blick zwischen den beiden hin- und hergleiten, während er erklärt: „Weil ja nur Dr. Mehring wegen der faulen Fonds zur Verantwortung gezogen wird, die Beck der Bank untergeschoben hat.“*
„Ah, weil ja nur Dr. Mehring die Verträge unterschrieben hat“*, macht Bönisch mit ihrem kleinen Spiel weiter.
Faber schnippst mit den Fingern, um die Sache noch zu betonen. „Genau“*, bestätigt er.
Becks unsicherer Blick gibt Faber schon einen gewissen Kick, das kann er nicht leugnen.
„Was soll denn das Kasperletheater?“*, fragt Beck nun verärgert, nach einem Ausweg suchend.
Scheiße ja, da is' 'was dran mit dem Orgasmus.
„Er mag unser Kasperletheater nich'“*, meint Faber und suhlt sich dabei in jeder einzelnen Silbe, die sein Mund formt „Dabei wissen wir noch gar nicht, wer am Ende das Krokodil ist, das am Ende immer den Knüppel auf'n Kopp krecht.“*
„Na, ich tipp' auf Dr. Mehring“, meint Martina und in ihrer Stimme schwingt eine gewisse Überheblichkeit mit, die Faber extrem genießt, „der muss ja zahlen, der saubere Hirte Beck reicht das Geld nur an die Micklitza-Brüder weiter.“*
„Ja, damit die endlich 'mal aufhören, den kleinen Millionären zu erzählen, dass ihre Kohle längst verschwunden und vernichtet ist“*, führt Faber weiter aus. Er kann einfach nicht anders, in den nächsten Worten ist die Schadenfreude unüberhörbar: „Und der Beck immer reicher wird.“*
„Sie sollten sich nicht auf ein so hohes Ross begeben“*, erklärt Beck, vor Selbstsicherheit strotzend und holt sein Mobiltelefon hervor.
Nee, jetzt holen wir dich erst 'mal von deinen noch viel höheren Gaul 'runter!
„Sie sitzen beide nämlich selbst ganz schön tief in der Scheiße“*, fügt Beck hinzu, während er offenbar eine bestimmte Datei sucht.
Selbstsicher zeigt er ihnen schließlich ein Bild von Pawlak, das diesen mit einem Koffer zeigt, der sich erst in einem Schließfach befindet und dann an Micki übergeben wird.
Ah, da macht er den Kurier, der gute Pawlak.
„Wo sind die jetzt?“*, fragt Faber nach.
Die Anspannung kann er nicht ganz aus seiner Stimme verbannen.
Da hat Birger also doch recht gehabt.
„Keine Ahnung...“*, entgegnet Beck fast schon selbstherrlich.
Am liebsten würde ihm Faber jetzt mit einem gezielten Schlag das überhebliche Grinsen aus seinem Gesicht wischen.
Aber Zähne kann man ja kaufen, also gehen wir doch 'mal dahin, wo es richtig wehtut.
„Tja, dann sag' ich 'mal den Kollegen Bescheid, wa?“*, meint Faber in Richtung Bönisch.
„Mhm“*, bestätigt diese.
„Was soll das?“*, fragt Beck verwirrt.
„Micklitza hat 'ne Waffe. Unser Kollege Pawlak hat das erpresste Geld für ihn abgeholt. Das machte er nicht freiwillig. Der wird bedroht und vielleicht finden wir ja hier in Ihrer Firma irgendwas: 'n Foto, 'ne Notiz, irgend 'nen Hinweis, der uns helfen könnte, ihn zu finden. In 'ner Viertelstunde is' hier die Hölle los. Das mögen Ihre sensiblen Kunden bestimmt nicht.“*
Da hat Faber Bönisch also korrekt eingeschätzt, dass sie die neue Information gut verkaufen kann. Denn natürlich haben sie von Pawlaks Tätigkeit keine Ahnung gehabt, aber die Sache mit der Waffe ist absolut plausibel. Es gibt nur noch ein Problem: Beck hat ihnen immer noch nicht gesagt, wo Pawlak ist.
Tja, bleibt wohl nur das letzte Mittel.
Die imaginierten Körper von Kossik und Dalay helfen Faber, die nächsten Worte in der richtigen Stimmlage zu verbalisieren: „Pass ma auf, Freundchen! Wenn unserem Kollegen irgendwas passiert und du wusstest, wo er war“, Faber ist selbst ein wenig über die Schärfe seiner Worte erstaunt, aber er mildert sie nicht, ganz im Gegenteil, „dann kriegst du deinen Kopf nich' mehr aus der Schlinge. Das versprech ich dir!“
Die gewünschte Wirkung verfehlen die Worte nicht, möglicherweise auch deshalb, weil Faber einen klitzekleinen Moment in Erwägung gezogen hat, es wirklich ernst zu meinen.
Sind Walrosseier eine Delikatesse?
„Die sind in 'nem ehemaligen Schwimmbad in Holzwickede“*, erklärt Beck ängstlich.
Faber saugt dessen Angst förmlich in sich auf. Das befriedigt ihn so sehr, dass er sogar ziemlich gelassen „Na geht doch“* entgegnen kann. Er dreht sich um und beugt sich über das Geländer. „Freunde, ihr könnt!“*, ruft Faber den Kollegen zu.
„Das sind unsere Kollegen von der Steuerfahndung, die möchten gerne überprüfen, ob da nicht Manipulationen gelaufen sind, mit Ihren Immobilien, die Sie unrechtmäßig über Ihre Fonds finanziert haben“*, erläutert Bönisch.
Dann wendet sich um und geht, währenddessen sagt sie ihrer Stimmlage nach so befriedigt wie Faber selbst mit merklich scharfem Unterton in der Stimme: „Nehmt ihm das Handy ab!“*
Faber schlägt die Autotür des Dienstwagens zu. „Na, das war doch 'mal 'was Gutes“, erklärt er im Brustton der Überzeugung.
Bönisch sieht ihn skeptisch an. „Hoffen wir, dass die Kollegen 'was finden und dass Beck vielleicht den Kopf doch nicht aus der Schlinge ziehen kann.“ Sie blickt ihm direkt in die Augen. „Als Sie das gesagt haben, was passiert, wenn wir Pawlak nicht finden, also... ich hab' wirklich gedacht, Sie würden auf ihn losgehen.“
„Ja?“
„Ja.“
Bönisch startet den Wagen. Auf der ganzen Fahrt nach Holzwickede reden sie kein Wort miteinander. Faber versucht nochmals Pawlak zu erreichen, was natürlich vergebens ist, dann informiert er Rosa über alles. Um sich abzulenken, starrt Faber einfach nur durch die Windschutzscheibe hinaus, aber das ist keine gute Idee. Denn während sie über die B1 Richtung Osten fahren, streift sein Blick auch das Schild mit der Aufschrift „Dortmund-Aplerbeck“ Und schon kreisen seine Gedanken in noch tieferen Sphären. Dort wohnt immer noch die Mutter von Jessica Steinmann. Ob es ihr jetzt besser geht, wo zumindest die Ursache des Suizides ihrer Tochter, nämlich Katrin Steinmann, im Gefängnis sitzt? Oder hat sie das Glück, dass die Medikamente, die sie nimmt, dafür sorgen, dass die meiste Zeit nicht allzu viel von alldem zu ihr durchdringt?
Faber blinzelt, als Bönisch von der Straße abfährt. Kurze Zeit später sind sie in Holzwickede und dann auch vor dem verlassenen Bad. Bönisch fixiert Faber mit ihrem Blick. Sie nicken sich nur stumm zu, steigen aus und nehmen dann die Taschenlampen an sich. So oft haben sie solch eine Situation geübt und doch ist es in der Realität immer noch etwas anderes, besonders dann, wenn man nicht weiß, ob man den Kollegen gleich finden wird und wenn ja, in welchem Zustand. Sie dringen gekonnt in das Gebäude vor und sichern es entsprechend. Fabers Blick fällt auf das kleine Tischchen mit den unzähligen Drogenutensilien.
Keine guten Aussichten...
Sie dringen weiter vor, eine lederne Sitzgarnitur steht in einem der Räume, aber niemand ist zu sehen, es scheint Faber so still wie in einem Grab zu sein und sofort rügt er sich für diesen Gedankengang.
Nicht an Tote denken!
Schließlich erreichen sie einen Raum mit einem der Schwimmbecken. Holzkisten stehen dort am Grund des Beckens.
Und dahinter...
Faber läuft es siedend heiß den Rücken herunter.
„Da unten liecht jemand!“*, ruft er aus.
„Geh 'mal 'runter!“*, rät ein Kollege.
Nur peripher bekommt Faber mit, dass am Beckenrand auch jemand, zu dem sich Bönisch gerade hinunterbeugt, liegt. Er eilt zu den Sitzgelegenheiten. Die Konturen kommen ihm doch bekannt vor.
„Scheiße!“*
Der Lichtstrahl der Taschenlampe trifft auf den Körper.
„Das is' Pawlak“*, sagt Faber leise, dann ruft er lauter: „Pawlak!“*
Er kniet sich neben ihn und fühlt seinen Puls.
Nein, nein, nein, nein, nein!
Da, da ist er doch noch, der Pulsschlag.
„'N RTW schnell!“*, brüllt er. Faber hebt den Kopf und blickt Bönisch in die Augen. „Er lebt“*, erklärt Faber sichtlich erleichtert. Dann kniet er sich erneut zu ihm, streichelt sanft seine Wange.
Oh Mann, ich hatte so Schiss um dich.
Er legt ihm die Hand an die Schulter. „Das wird schon, das wird schon, alles kommt wieder in Ordnung und dann ist der ganze Wahnsinn hier vorbei“, murmelt Faber Pawlak beruhigend zu.
Er weiß nicht, wie viel Zeit vergeht. Schließlich kommen die Rettungssanitäter.
Und irgendwann sitzt er mit Bönisch wieder im Wagen.
Sie streicht sich den Pony aus dem Gesicht. „Ella steht unter Schock. Anscheinend hat sie Micki echt abgestochen. Das ist doch Wahnsinn, das alles.“ Sie blickt Faber wieder an. „Was jetzt?“, fragt sie.
„Ins Präsidium“, sagt Faber mit Überzeugung in der Stimme.
„Was ist mit Pawlak?“, erkundigt sich Martina.
„Die Sanitäter meinen, er hat irgendwas intus. Sie müssen ihn jetzt entgiften. Wenn alles gut läuft, dann ist er morgen wieder einigermaßen ok.“
Bönisch starrt durch die Windschutzscheibe. „Na ja ok, wir müssen Ella in Untersuchungshaft nehmen.“
Da plötzlich fällt es Faber wider ein. „Was is' mit Mia?“
„Die ist wohl bei ihrer Großmutter, nehme ich an.“
„Das müssen wir abklären lassen“, sagt Faber und fügt dann ein wenig fragend hinzu: „Fahr'n wir?“
Eine sehr anstrengende Nacht folgt, in der die KTU mitteilt, dass auf dem gefundenen Koffer auch die Fingerabdrücke von Josef Micklitza zu finden sind. Es wird eine Großfahndung ausgelöst und letzten Endes gelingt es ihnen auch, diesen zu fassen. Müde, aber auch ein wenig zufrieden kehren Martina und Faber ins Präsidium zurück.
Auf dem Flur kommt ihnen schon Rosa entgegen. „Jan ist in Ordnung“, ruft sie euphorisch, „das Krankenhaus hat sich gerade gemeldet!“
„Gut, wir haben Josef Micklitza. Seiner Aussage nach hat Micki Lembach umgebracht“, erklärt Faber.
„Was ist?“, fragt Bönisch und fixiert Rosa mit ihrem Blick.
„Ella ist jetzt hier. Laut der Kollegen ist sie so weit vernehmungsfähig.“
„Das machen Sie beiden dann 'mal am besten“, meint Faber und nickt den Frauen seines Teams zu.
Er selbst geht zu seinem Schreibtisch und beginnt mit dem Papierkram. Noch mehr Wahnsinn will einfach nicht in seinen Kopf passen. Als er auf sein Handy schaut, erblickt er mehrere Kontaktversuche von Birger. Er schreibt ihm kurz zurück, dass er sich am Abend melden werde.
Schließlich kommen Rosa und Martina in sein Büro.
„Sie sagt kein Wort.“
Rosa nickt nur bestätigend.
Irgendwann ist es wieder Abend. Martina und Rosa sind weg. Micklitza haben sie dank seines Anwalts noch nicht vernehmen können und als Pawlak aufgetaucht ist und gegen ihren Rat versucht hat, mit seiner Frau in Kontakt zu treten, ist nichts passiert, bis auf die Tatsache, dass der von Bönisch vorausgesagte Schmerz für Pawlak eingetreten ist, bevor seine Frau in die U-Haft gefahren worden ist. Danach hat Faber ihn zu seinem Kind beordert.
Faber betrachtet den Kaktus und blickt dann zum Fenster hinaus. Genau das hat er auch getan, als Pawlak vor ein paar Tagen hier mit Micklitza aufgetaucht ist. Faber schnaubt ungläubig und wütend durch die Nase aus.
Und in was für einen Wahnsinn hat uns das alles hier gestürzt? Es ist nicht zu glauben.
Am liebsten würde er sich jetzt die Decke über den Kopf ziehen und alles vergessen, aber das geht ja noch nicht. Zumindest ein kurzes Update ist er Birger schuldig.
Das Telefonat verläuft wie zu erwarten ziemlich trostlos. „Tja, also wenn man die großen Fische hochnimmt, macht das schon ein orgasmusähnliches Gefühl, aber das hält halt nicht lange an, wenn am Ende so 'was dabei 'rauskommt“, resümiert Faber abschließend.
„Ja“, sagt Birger nur, „aber mach' dir jetzt bloß keine Vorwürfe! Du hast die Observation nicht abgebrochen. Und es hätte ja alles noch viel schlimmer kommen können: Sie hätten alle tot sein können.“
„Warum findest du eigentlich immer 'was Positives? Als Schwede solltest du doch depressiv sein und verschlossen. Du entsprichst also so überhaupt nicht dem Klischee eines Schweden“, meint Faber müde.
„Tja, das Kompliment gebe ich gerne zurück“, meint Birger merklich munterer, „ich finde es nämlich richtig gut, dass wir beide ziemlich klischeearm sind, zumindest was unsere Herkunft betrifft.“
Faber schmunzelt. „Das stimmt“, pflichtet er ihm bei, „das stimmt. Also dann...“
„...halt ihn hoch“, ergänzt Birger.
Faber beendet das Telefonat, knipst die Schreibtischlampe aus und verlässt das Präsidium.
Fandom: Tatort Dortmund
Episodenbezug: Gier und Angst
Rating: P 16
Genre: Freundschaft, Kollegialität, Angst
Länge: 7306 Wörter
Beta: nee
Zusammenfassung: Faber und sein Team versuchen, den Fall um den toten Claus Lembach aufzuklären. Pawlaks eigene Verstrickung darin wird zunehmend zum Problem.
A/N: So, hier ist der zweite Teil des Faber-Kapitels. Nächsten Sonntag geht es dann mit Rosa weiter. Bis dahin wünsche ich euch Frohe Ostern!
* kennzeichnet Zitate aus „Gier und Angst“
Warnung:
Der Wahnsinn geht weiter
Die Nacht verläuft alles andere als geruhsam und so ist Faber am nächsten Morgen schon früh im Präsidium, um die Ergebnisse der Kollegen zu sichten.
Nicht zu fassen!
Pawlak schäkert mit Micklitza, als seien sie alte Kumpels. Aber die Kollegen haben gute Arbeit gemacht, so dass Faber fast den ganzen Abend Pawlaks nachvollziehen kann. Er blickt kurz vom Computerbildschirm weg hin zur Tür. Dort begrüßt Bönisch gerade Herrn Beck.
Ach, hat der feine Herr jetzt Zeit für uns?
Wobei, fein? Ja, seine Klamotten sind piekfein, wahrscheinlich kostet seine rechte Socke mehr als Faber und Martina im ganzen Jahr zusammen verdienen, aber fein ist an ihm sonst nichts. Gestern Nacht ist es Faber nicht so aufgefallen oder aber er ist einfach so geschockt gewesen, dass jemand so dumm sein kann, aber mittlerweile nimmt er an, dass es eher Abgebrühtheit ist, dass er der hochschwangeren Frau ganz alleine, ohne irgendwelche professionelle Unterstützung vom Tod, nein, vom Mord an ihrem Ehemann berichten kann. Jedenfalls ist an Beck nichts fein, sondern lediglich alles und das beginnt ebenfalls mit einem F: fett. Nicht dass er hier Vorurteile wälzen würde, aber Beck widert ihn einfach nur an, und vielleicht überträgt Faber jetzt einfach sein Angewidertsein von Becks Innerem auf dessen Äußeres. Schon möglich, aber bevor er sich diesem Walross im Anzug widmen kann, muss Faber erst einmal die Bilder von der Überwachung bis zum Ende sichten. Erst als er das akribisch genug getan hat (nicht, dass es was gebracht hat, außer Faber zu versichern, dass alles mit Pawlak in Ordnung ist, was ihm mehr bedeutet als er zugeben mag), erhebt sich aus dem Schreibtischstuhl und tritt aus dem Büro und kurz darauf in den Konferenzraum ein.
„Josef Micklitza ist am Arsch“*, sagt Beck gerade.
Das fängt ja gut an. Seine Sprache ist auch nicht fein, vielleicht als Ausgleich zur Kleidung oder eher als Angleichung an sein inneres Wesen.
„'Am Arsch?' Wer ist am Arsch? Mahlzeit!“*, fragt Faber und grüßt gleichzeitig Frau Bönisch – und zwar nur sie.
„Sie ham da ja sicher die Info, dass Micklitza vor ein paar Monaten als CEO gefeuert wurde. Seine Firma verklagt ihn wegen Korruption und ich sage Ihnen was, die Firma wird gewinnen und Micklitza eine zweistelligen Millionenbetrag lötzen müssen oder er wandert in den Knast. So weit klar?!“*
Während Beck selbstherrlich spricht, so als würde der Regent seinen Untertanen die Welt erklären, geht Faber um den Konferenztisch herum und lässt sich neben Bönisch nieder. Diese gießt dem Walross ein Glas Wasser ein und wirft Faber dann einen fragenden Blick zu. Faber schüttelt kurz den Kopf. Er fürchtet, dass seine innere Abneigung Beck gegenüber in dem Maße ansteigt, dass er nicht einmal mehr das bei sich behalten kann.
„Klar“*, entgegnet Bönisch abgeklärt, ohne sich von Becks Gehabe beeindrucken zu lassen. Auch wenn Faber weiß, dass sie es innerlich ebenso wenig kalt lässt wie ihn selbst, aber sie kann es halt besser verbergen.
Aber da fährt der Cäsar schon mit seinem Vortrag fort: „Ergo, der erfolgsverwöhnte Topmanager gerät in Panik. Also klammert er sich an sein Privatvermögen. Das bietet ihm Schutz. Und wo liegt sein Privatvermögen? Bei der BeWesInvest. Wir hegen, pflegen und streicheln es groß.“*
Beck hat zwar seine Walrossflossen um das Glas mit Sprudelwasser gelegt, aber trinken tut er nicht davon.
Ist ihm wohl nicht edel genug, die Plörre des einfachen Volkes.
„Bing!“ Damit meldet sich Becks Handy zu Wort. Ja, er ist eine andere Generation, aber zu dieser gehört auch Beck, und Fabers Meinung nach gebietet es der Anstand, dass man bei einer Vernehmung der Polizei sein Handy ausgeschaltet lässt. Es sei denn, man ist wirklich wichtig, so wie ein Feuerwehrmann oder Rettungssanitäter oder Arzt... oder eben der Big Boss – im wahrsten Sinne des Wortes – einer Bank, zumindest scheint Beck das so zu sehen.
„Lass dich von denen nicht einschüchtern“, zirpt Birgers schwedischer Singsang Fabers Ohr.
„Nur Micklitza misstraut Ihnen. Der glaubt nicht mehr daran, dass Sie sein Vermögen großziehen“*, entgegnet Faber daraufhin schlagfertig.
„Ja, davon rede ich ja. Wenn so einer wie Micklitza in Panik gerät, dann zweifelt er plötzlich an allem, hört irgendwelche Gerüchte, kriegt noch mehr Panik“*, erklärt Beck, während Faber Martina kurz gemustert hat, ihr Äußeres lässt eine Vermutung zu, wie es in ihrem Inneren aussieht, nämlich auch nicht anders als bei Faber selbst.
Und so schlägt Martina, ebenso wie Faber das eben getan hat, einen etwas schärferen Ton an: „Sie wollen uns also sagen, Josef Micklitza hat Lembach umgebracht, weil er glaubt, dass Lembach sein Geld falsch angelegt hat?“*
Um irgendwas zu tun, denn ansonsten springt er diesem Walross noch an sein fettes Doppelkinn, wischt Faber mit seinem Parkaärmel auf dem Tisch herum. Beck beugt sich vor und umschließt das Wasserglas wieder mit seinen Händen.
Is' das dein Rettungsanker? Ach ja, ist ja auch das einzige Wasser, was es hier gibt, Walross!
„Noch 'mal: Ich hatte und habe keinen Konflikt mit Lembach“*, erwidert Beck sichtlich genervt.
Tja, du bist eben doch nicht Gott und somit nicht allwissend, denkt Faber befriedigt, sonst wüsstest du, dass du dich mit dieser Betonung erst recht verdächtig machen würdest. Denn wenn du keinen Beef mit Lembach hättest, müsstest du ja nicht so vehement betonen, dass du keinen Beef mit ihm hast.
„Sie sollten sich lieber um Micklitza und seinen Bruder kümmern“*, meint Lembach weiter.
Oh nee, jetzt erreichen wir ja fast schon Kindergartenniveau mit diesem plumpen Ablenkungsmanöver.
„Ach so, was hat sein Bruder damit zu tun?“*, fragt Faber also, auf das Spiel eingehend, und wischt dann wieder auf dem Tisch herum. Ansonsten könnte er dazu verleitet werden, das Walross zu häuten.
„Der belästigt meine Kunden, streut Gift“*, führt Beck aus, in einer Tonlage, als seien Faber und Martina Kammerjäger und die Micklitzas Ratten, die es zu beseitigen gilt.
Hoffentlich frisst du auch 'mal irgendwann 'nen Giftköder, denkt Faber giftig.
„Was erzählt er denn so?“*, erkundigt sich Martina, sichtlich bemüht, ihre von berufswegen gebotene Neutralität zu wahren.
„Ich würde das Vermögen meiner Kunden vernichten, ich hätte 'was mit dem Verschwinden von Micklitza zu tun, ich hätte 'was mit dem Mord an Lembach zu tun.“*
Hast du ja auch und wir werden schon noch 'rauskriegen, was es ist, aber jetzt ist es 'mal an der Zeit, dass du ein bisschen mehr auf dem Trockenen zappelst.
Also nichts mit schönen Worten und so wird aus einem überlegten „Fürchten Sie sich vor den Gerüchten eines Clubbesitzers?“ eine einfachere und wohl für das Walross auch provozierendere Formulierung, die Faber mit seinem Tonfall noch extra hervorhebt: „Angst vor dem Gerede eines Kneipenwirts?“*
„Meine Kunden sind sensibel. Jede Verleumdung ist da schädlich“*, meint Beck, als erkläre er hier das Selbstverständlichste der Welt, „sein Bruder Josef weiß genau, welche Saiten man bei seinesgleichen zupfen muss.“*
„Ach, und Sie wissen das nicht?“, hakt Faber nach.
„Was meinen Sie?“, erkundigt sich das Walross.
„Na, Leute wie Micklitza und seinesgleichen sind doch Ihre Kunden. Und um ihnen die bestmögliche Dienstleistung zu bieten, na ja, müssten Sie ihnen doch jeden Wunsch von den Augen ablesen können, ergo müssten Sie doch auch wissen, wie Sie Ihre Kunden gegen diese Gerüchte immunisieren können, oder nicht? Was is' das sonst für'n Service bei Ihnen?!“
Faber weiß nicht, ob er mit dieser Aussage nicht alles verspielt hat, aber er hat einfach nicht mehr an sich halten können. Bönisch versucht offenbar, zu retten, was noch zu retten ist.
„Sie bieten Ihren Kunden ja so was wie 'n Rundumsorglospaket, ne? Sie sind nicht nur ihr Vermögensverwalter, Sie ham auch 'ne Securityfirma, 'n Chauffeurservice inklusive Privatjet ...“*, versucht sie das Gespräch wieder in sicherere Bahnen zu lenken.
„Meine Kunden ham weder Zeit noch Nerven, sich um die lästigen Dinge des Alltags zu kümmern. Dafür bin ich da“*, erklärt Beck.
Puh, das ist gerade noch 'mal gut gegangen!
„Mhm, und dann stellen Sie denen schon 'mal 'ne Jacht dahin. Aber dann vergessen die manchmal, dass man dafür auch zahlen muss“*, wirft Faber ein und fährt dann fort: „Und dann verklagen Sie die auch schon 'mal auf 1,8 Millionen.“*
Um das Gesagte noch zu unterstreichen, schnalzt er anschließend mit der Zunge.
„Tja, selten“, erklärt das Walross lediglich und blickt dann erneut zu Bönisch hinüber, „aber Josef Micklitza ist am Arsch, ein Verlierer.“*
„Und Sie entscheiden, wer zum Verlierer wird“*, verdeutlicht Bönisch.
„Das hatten wir doch schon“*, erwidert Beck sichtlich genervt. Er blickt auf sein Handy, das inzwischen gefühlte zwei Millionen Mal gepiepst hat. „So, ich fürchte, meine schmutzigen Geschäfte rufen“*, meint das Walross selbstgefällig, erhebt sich und watschelt grußlos davon.
Faber und Martina starren sich einfach nur an. Schließlich steht Martina mit einen gefrusteten Laut auf und geht Richtung Tür.
„Issa kaputt?“, fragt Faber nach.
„Wer?“, fragt Martina zurück. Faber nimmt seinen Finger zu Hilfe. „Na, der Stuhl.“
Bönisch rüttelt ein wenig an der Lehne. „Nee, glaub' ich nicht“, erwidert sie und zieht die Augenbrauen hoch, „so lange hat er ja nicht drauf gesessen.“ Dann wird ihr Blick finster. „So was gehört sich nicht, Faber!“
Auch er steht auf. „Ja, ich weiß, ich find' seine Art nur zum Kotzen. Und ich bin halt so sozialisiert worden, dass ich da immer automatisch aufs Äußere gehe, schätze ich.“
„Man lernt nie aus, obwohl Mann vielleicht schon“, meint Bönisch spitzfindig.
„Ha, ha, sehr lustich.“ Faber tritt neben sie. „Ich bin vielleicht schon über ein halbes Jahrhundert alt, aber ich bin nicht von gestern.“ Auch Faber befühlt den Stuhl. „Trotzdem kann ich das verdammte Walross nicht ausstehen.“
„Walross?“, echot Bönisch.
„Fällt Ihnen 'was Besseres ein?“, meint Faber daraufhin.
„Nee, aber ich finde, Walross wird dem nicht gerecht. Da gab's doch dieses Fernsehmaskottchen, nicht?“
„Ja, Antje. Gott hab' sie selig“, bestätigt Faber, „damals im NDR. Obwohl... als ich nach Lübeck gekommen bin, hieß das noch N3.“
Martina schmunzelt. „Also diesen Vergleich hat Antje nun wirklich nicht verdient.“
„Da ham Se recht, Frau Bönisch.“
Ohne sie zu beachten, geht Pawlak an der offenen Tür vorbei und dann in seinen Teil des Büros. Martina und Faber tauschen einen bedeutungsschwangeren Blick und folgen ihm langsam.
In dem nun folgenden Gespräch, in das sich auch Rosa einklinkt, wird Faber schnell klar, dass er bei Pawlak auf Granit beißt, egal, wie viele Möglichkeiten er ihm auch eröffnet, jetzt endlich mit der Wahrheit herauszurücken. Nun, zumindest wissen sie jetzt, mit welcher Waffe Lembach erschossen wurde und dass Micki alle Kunden von Lembach aufscheucht, so wie Beck es ja schon in der Vernehmung behauptet hat. Und vielleicht kann ihnen ja einer dieser Kunden etwas Neues verraten, so dass Faber zusammen mit Frau Bönisch im Anschluss Herrn von Alfeld samt dessen Lover vernimmt.
Als er den Raum betritt, ist Faber von den vielen Aktenordnern erst einmal wie erschlagen. Als die Vernehmung beendet ist, ist er immer noch wie erschlagen, wenn auch aufgrund der Tatsache, wie naiv von Alfeld gewesen ist. Aber wenn man so viel Kohle hat, dann entfernt man sich wohl zwangsläufig vom realen Leben der meisten Leute auf diesem Planeten. Und immerhin wissen sie jetzt, dass Micki Panik schürt, indem er den Kunden erzählt, dass all ihr Geld futsch ist. Und vor allen Dingen haben sie festgestellt, dass nirgendwo eine Unterschrift von Beck zu finden ist, obwohl er doch der Oberboss ist. Zufall ist das ganz sicher keiner. Die Probleme der oberen Zehntausend bereiten Faber schon wieder Kopfschmerzen und Magenkrämpfe, so dass er sich in der Teeküche erst einmal nach etwas zu trinken und zu essen umsieht.
Dort kann ihm Rosa dann berichten, dass die Tatwaffe bei einer Razzia verloren gegangen ist und zwar zufälligerweise in einem Club, an dem Micki damals an der Tür gearbeitet hat.
Wieder ein Stück weiter gekommen, denkt Faber etwas erleichtert.
Dann klingelt plötzlich sein Mobiltelefon. Mit einem schlichten „Faber“* nimmt er den Anruf entgegen.
„Ja, hier ist Corinna Lembach, Sie...Sie wollten mich sprechen“, kommt eine schwache Stimme an Fabers Ohr.
„Frau Lembach“, entgegnet Faber überrascht, „ja, das ist sehr gut, dass Sie endlich mit uns reden wollen. Wo, wo sind Sie denn gerade?“*
„Ich bin gerade wieder nach Hause gekommen. Könnten Sie vorbeikommen?“
„Ähm... ja... ja, kein Problem. Ich komm' vorbei.* Bis gleich.“
Seine Stotterei hat nichts mit der Lembach zu tun, aber Faber hat gerade gesehen, dass Bönisch an seinem Rechner ist, an dem Rechner, wo immer noch die Dateien der Observation geöffnet sind... Scheiße, riesengroße Scheiße... Aber hilft wohl nix.
Bemüht locker schlendert Faber zu seiner Bürotür und erklärt in ebensolchem Tonfall: „Tja, da fährt man einmal den scheiß Rechner nicht 'runter, wa?“*
Martinas Augen wandern vom Bildschirm zu ihm und dann wieder zurück zum Computer. „Sie lassen Pawlak beschatten“*, sagt Martina schlicht.
Aber es ist nicht nur eine Feststellung ihrerseits, der Tonfall, in dem sie diese geäußert hat, drückt ihre Gefühle diesbezüglich aus und diese sind nicht gerade wohlwollend, um es einmal diplomatisch zu umschreiben. Faber macht nur eine „Ja, stimmt, und?“-Geste und tritt in das Zimmer.
„Was soll das?“*, fragt Bönisch daraufhin etwas unwirsch.
„Wir sind inner Mordermittlung und irgendwie steckt da Pawlaks Frau mit drin“*, erklärt er lapidar.
„Na und?“*, hakt Bönisch zunehmend aggressiver nach. Als von Faber keine Reaktion erfolgt, spricht sie weiter: „Dann reden wir mit Pawlak, face to face. Und wenn er befangen ist, dann ziehen wir ihn ab von dem Fall.“*
Es klingt irgendwie sehr oberlehrer-mutti-haft und auf die Tour kann Faber jetzt gar nicht. Aber er hat sich zumindest so weit im Griff, dass er daraufhin nichts erwidert. Bönisch nimmt das zum Anlass, um weiterzusprechen, wobei ihr Tonfall keinesfalls ruhiger wird, das Gegenteil ist der Fall:
„Aber wir lassen ihn doch nicht beschatten!“*
„Is' aber besser, wenn wir ihn beobachten“*, entgegnet Faber ruhig.
Ich will verdammt noch 'mal nich', dass dem auch noch 'was passiert!, schreit er panisch in Gedanken.
„Und ich will wissen, wo Mickis scheiß Managerbruder steckt“*, erklärt er immer noch äußerlich ruhig Bönisch.
„Ja, das will ich auch wissen“*, entgegnet sie keineswegs ruhiger.
Und dann schaltet sich auch noch Rosa in den Streit ein. Schließlich kommen sie zu der Übereinkunft, die Faber am liebsten ist, wenn auch nur sehr zögerlich, aber am Ende zählt eben das Ergebnis und nicht der Weg dahin.
Faber versucht, das laute Atmen, das aus dem Beifahrersitz kommt, weitestgehend auszublenden, aber das gelingt ihm nicht ganz, und so hofft er, schnell genug in die Klinik zu kommen und nicht bei einer Notgeburt im Auto zugegen sein zu müssen. Von den panischen Gedanken an eine Geburt wandern seine Gedanken weiter zum Ekel, der durch die bildliche Vorstellung der Sauerei, die diese ohne Zweifel in seinem Manta anrichten würde, verursacht wird. Dann rügt er sich ob dieses Gedankenganges auch schon. Faber wirft einen Blick auf Corinna Lembach.
„Schön weiteratmen, ja? Wir sind gleich da.“
Er setzt den Blinker. Sie nickt und atmet und Faber ordnet seine Gedanken und fährt. Als sie in der Klinik im Empfang genommen worden ist, geht Faber nicht gleich wieder, sondern setzt sich. Einerseits, um weiter zu sortieren, was er eben am Tatort von Frau Lembach erfahren hat, anderseits, weil er auch sicher sein will, dass es ihr gut geht. Immerhin fühlt er sich ein wenig mitschuldig an ihrem derzeitigen Zustand.
Claus Lembach hat also entdeckt, dass die Immobilien in den Fonds, die er verkauft, gar nicht alle existieren, und der feine Herr Beck hat dennoch immer mehr Kunden von seinem Produkt überzeugen können, indem er sich des guten alten Schneeballsystems bedient hat, und hat zudem vom Gewinn noch schön kräftig in die eigene Tasche gewirtschaftet. Frau Lembach glaubt trotzdem nicht, dass Beck ihren Mann ermordet hat. Aber er weiß...
Die in einem typischen Weiß gekleideten Beine, die ihm schon geraume Zeit im Sichtfeld stehen, veranlassen Faber dazu, aufzusehen.
„Sie haben Frau Lembach herbegleitet?“, fragt der Mann im weißen Kittel und Faber steht auf.
„Ja, Hauptkommissar Faber“, stellt er sich vor.
Der Blick des Arztes verfinstert sich. „Als wir Frau Lembach entlassen haben, haben wir sie darauf hingewiesen, wie wichtig es für sie ist, sich nicht aufzuregen.“ Der Vorwurf in den Worten des Arztes ist nicht zu überhören. Faber hat darauf keine Antwort. Der Arzt blickt den Flur entlang. „Ich verstehe ja, dass Sie Ihre Arbeit machen müssen, aber das kann doch nicht die Gefährdung der Gesundheit von anderen Menschen beinhalten.“ Die Stimme des Arztes ist gefährlich leise geworden. „Aber das scheint Sie ja nicht zu interessieren! Erst überbringen Sie ihr so mir nichts, dir nichts die Nachricht vom Tode ihres Mannes und jetzt verhören Sie sie auch noch derart, dass die Wehen eingesetzt haben.“
Faber könnte jetzt eine Menge dazu sagen, z. B., dass es Wiglaf Beck gewesen ist, der sie über den Tod ihres Mannes unterrichtet hat oder dass die Initiative zum Gespräch von Frau Lembach ausgegangen ist, dass sie den Tatort hat sehen wollen und dass Faber sie dorthin gefahren hat, um der Beschattung durch Becks Leute zu entgehen, und dass er sie an einer bestimmten Stelle gefragt hat, ob es Frau Lembach gut gehe, aber sie trotzdem weitergesprochen hat, dass es ihr extrem wichtig gewesen ist, mit ihm zu sprechen, so dass sie sogar die Warnzeichen ihres Körpers ignoriert hat. Und zu guter Letzt könnte Faber den Arzt auch noch darauf hinwiesen, dass er mit Frau Lembach lediglich eine Befragung durchgeführt hat und selbst wenn er sie im Präsidium mit allem Pipapo vernommen hätte, es dann kein Verhör gewesen wäre, denn die NS-Zeit läge zum Glück hinter ihnen.
Aber all das ist hier nicht zielführend und so bleibt Faber nur stumm und erkundigt sich anschließend ruhig: „Wie geht es Frau Lembach?“
„Die Geburt wird sich noch etwas hinziehen. Hoffen wir, dass alles gut geht.“
„Ja, danke.“
Der Arzt streift ihn nochmals mit einem rügenden Blick und geht dann den Flur entlang.
Zurück im Präsidium, wo anscheinend auch Rosa ausgeflogen ist, Bönisch hat er ja eben gesehen und Pawlak hängt immer noch an Micki dran, zieht Faber sich zurück und studiert nochmals genauestens die Akten. Tja, da hat das Walross den fetten Hals gekonnt aus der Schlinge gezogen. Zufrieden lehnt sich Faber im Schreibtischstuhl zurück, gießt den Kaktus mit dem Rest des Mineralwassers in seinem Glas und steht dann auf.
Wieder zu Hause, macht er sich in der Mikrowelle eine TK-Lasagne warm, nicht das Beste, aber das, was jetzt am schnellsten geht. Als er aufgegessen hat, streckt sich Faber genüsslich auf dem Sofa aus. Birger hat ihm versprochen, heute noch einmal zurückzurufen, nachdem er ihm eine Nachricht geschrieben hat, er müsse ihn berufsbedingt noch einmal sprechen. Faber schließt die Augen und denkt an das Gefühl, das seinen ganzen Körper durchströmt und ihn elektrifiziert hat, als Martina heute seine Hand berührt hat, dieses wunderbare Gefühl vorhin im Auto, als er aus der Klinik zurückgekommen ist und ihr von seinen Erkenntnissen bezüglich Lembachs Motivation berichtet hat. Sie hat nicht gleich losgelassen und sie haben sich tief in die Augen geblickt. Und jetzt, wo Haller Geschichte ist, da... Das Klingeln seines Mobiltelefons beendet die schwärmerischen Träumereien abrupt.
„Hey“, grüßt Faber, dieses Mal ganz altmodisch nur von Ohr zu Ohr.
Birger gähnt, aber seine Stimme klingt alles andere als müde. „Hej, was wolltest du noch wissen?“
Doch bevor Faber die Frage beantworten kann, brennt ihm noch etwas anderes unter den Nägeln. „Du klingst so anders, so...“
„...postkoital.“
„Oh!“, stößt Faber hervor.
„Keine Sorge, ich bin nicht im Büro und ich gehe Maja nicht fremd. Wir ham die scheiß reichen Säcke nur endlich drangekriegt und das ist halt fast besser als Sex.“
„Mhm“, macht Faber nur.
Birger lacht. „Wart's nur ab! Die kleinen Fische bringen dir Genugtuung, die großen, schmierigen Fische Befriedigung.“
„Na ja, vielleicht bin ich auch kurz vor...“ Eigentlich hat Faber ja sagen wollen „Verhaftung“, aber er ist gerade in so guter Stimmung, dass er beschließt sich Birgers Wortwahl anzupassen. „...dem Höhepunkt“, erklärt Faber und fügt dann hinzu, wie die Ermittlungen weiter verlaufen sind.
Birger gibt ihm noch ein paar Tipps.
„Hat Pawlak ich noch 'mal bei dir gemeldet?“, fragt Faber dann.
„Nej, aber ich hab' auch nicht versucht, ihn noch 'mal zurückzurufen, wollte deine Überwachungspläne nicht durchqueren.“
„Durchkreuzen“, verbessert Faber ganz automatisch.
Plötzlich wird es im Hintergrund laut. Anschließend erklingt ein lautes „Skål!“
„Dann will ich die Feier zum Abschluss deines Falles nicht länger stören“, meint Faber.
„Jo, aber meld' dich, wenn das mit Jan geklärt ist“, verlangt Birger.
„Mach' ich, bis dann.“
In dieser Nacht kann Faber etwas zuversichtlicher schlafen gehen, auch wenn die Nacht noch nicht so ruhig verläuft, wie er es gerne hätte. Denn die Sorge um Pawlak macht ihm immer noch zu schaffen.
Am nächsten Morgen fährt Faber erst einmal zum Bankhaus Roden. Im Manta sitzend, blickt er an der imposanten Fassade hoch. Jetzt geht es mit dem Teil, wo man sich langsam zum Orgasmus hocharbeitet, los, wenn Birger denn die Wahrheit gesagt hat.
Unten am Empfang, kommt Faber ohne Umschweife zur Sache: „Faber, Kripo Dortmund“, erklärt er und hält der Empfangsdame gekonnt seinen Ausweis vor die Nase, „ich müsste Herrn Dr. Mehring sprechen.“
Die Dame schaut auf ihren PC-Bildschirm. „Das tut mir leid, aber Dr. Mehring ist zurzeit nicht zu sprechen“, entgegnet sie und fügt dann hinzu, offenbar hat Faber seine Augenbrauen nicht unter Kontrolle halten können, „für niemanden.“
„Aber er ist hier? Hat er ein Meeting? Dann warte ich“, erklärt Faber.
Die Frau am Empfang schaut etwas hilfesuchend.
Ah, so ist das.
„Danke“, meint Faber und nickt dann gutmütig.
Er schlendert gemächlich in Richtung Treppe. Als die Frau sich wieder in ihren Bildschirm vertieft, den kleinen in ihrem mobilen Telefon, sprintet Faber die Stufen hinauf.
„He, Sie könn' doch nicht...!“, ruft die Frau.
Aber als er sich auf dem Treppenabsatz umdreht, guckt sie ihn einfach nur an und nimmt mit niemandem Kontakt auf.
Also ist Dr. Mehring wohl in einer Unterhaltung der etwas spirituelleren Art, überlegt Faber.
Als er Mehrings Büro immer näher kommt, verlangsamt Faber die Schritte. Vor der Tür ruft er sich noch einmal das Interieur von Mehrings Büro ins Gedächtnis. Die Buddhastatue beim Fenster und dieser komische Stein, bei dem es so ausgesehen hat, als würde er kosmische Energie in Mehring fließen lassen. Der sich bei Fabers Berührung hingegen einfach nur so angefühlt hat wie sich so ein edler Stein halt anfühlt. Aber vielleicht ist Faber für derartige Energie auch schlicht zu schlecht betucht. Vorsichtig öffnet er die Tür. Faber erblickt nur Dr. Mehrings Rücken. Ansonsten ist niemand im Raum. Er schleicht zum Fenster. In einer meditativen Haltung sitzt Dr. Mehring da, die Augen geschlossen und scheint tatsächlich dieser Welt entrückt.
Eigentlich beneidenswert.
Faber überlegt kurz, wie er die Tipps von Birger am besten umsetzen kann. Wie wäre es, wenn er einmal Dr. Mehring aus der Fassung bringt?
Im ersten Moment denkt der dann vielleicht sogar, er sieht doppelt.
Faber setzt sich im Schneidersitz neben den Buddha.
Die Farbe passt schon 'mal.
Es dauert ein wenig, doch etwas von Fabers Energie scheint Dr. Mehring erreichen zu können, denn dieser schlägt die Augen auf.
„Was machen Sie hier?“*, fragt er merklich überrumpelt.
Dir 'mal 'n bisken Feuer unterm Hintern!
„Der Einzige, der ganz konkret 'was zu verlieren hat, bei dem Spiel, das sind Sie, Dr. Mehring“*, erklärt Faber mit autoritärer Stimme.
Nun verschwinden auch die zur Ohm-Geste gekrümmten Finger Mehrings. Das nimmt Faber mit Genugtuung zur Kenntnis.
„Sie ham alle Fonds von BeWesInvest über Ihre Bank laufen lassen. Ihr Freund Beck, der hat nix unterschrieben, das heißt, er wird wohl straffrei aus der ganzen Sache 'rauskommen, aber Sie nich'“*, erklärt Faber überzeugt. Mehring starrt ihn nur an. „Sie und Herr Lembach ham alle Verträge mit den faulen Fonds gegengezeichnet“*, fährt Faber fort und betont bewusst jede Silbe des letzten Wortes.
Nun scheint Mehring die Muffe zu gehen, denn er erklärt schnell: „Ich habe Lembach nicht umbringen lassen.“*
Da sieht man einmal bzw. hört, dass du automatisch davon ausgehst, dass andere die Drecksarbeit für dich erledigen. Jeder normale Mensch hätte gesagt: 'Ich habe ihn nicht umgebracht.'
Aber sei's drum... Faber beschließt, ihn zumindest diesbezüglich nicht zappeln zu lassen.
„Nee, nee, das glaube ich auch nicht“*, erklärt er belustigt.
Wahrscheinlich weiß Mehring nicht einmal, wie man eine Waschmaschine bedient, gut da dürfte er bei Weitem nicht der Einzige sein.
„Warum sind Sie dann hier?“*, erkundigt sich Mehring mit ärgerlicher Stimme.
Och, alles für den Orgasmus.
Faber entscheidet sich für eine Formulierung, die sowohl den sexuellen Bezug wahrt als auch eine nicht beabsichtigte Hommage an Beck enthält. Um die Worte noch zu unterstreichen, hebt Faber den rechten Zeigefinger und richtet ihn auf Mehring.
Man zeigt nicht mit dem nackten Finger auf angezogene Leute, hört Faber die rügende Stimme seiner Oma im Ohr.
Ach, Omma, hier kann man 'mal 'ne Ausnahme machen.
„Sie persönlich sind am Arsch, wenn die faulen Fonds auffliegen.“*
Mehring antwortet nicht. Stattdessen löst er seine Beine aus dem Schneidersitz und beugt sich zum Boden, um seine Schuhe anzuziehen. Faber bemerkt die nicht vorhandenen Schnürsenkel.
Was? Kann er noch nicht 'mal Schleife binden?
„Was hat Ihnen Beck vorgeschlagen, dass wieder Ruhe in die Sache kommt?“*, hakt Faber nach. Zwar blickt Mehring ihn an, aber sein Mund bewegt sich nicht, nur seine Hände streifen den Slipper über den einen Fuß.
Na gut, dann ein bisken die Samthandschuhe.
„Mm“, brummt Faber gutmütig, „dass Sie keine Angst mehr haben müssen?“* Wieder herrscht Schweigen, der andere Schuh folgt. „Lässt sich die Sache mit Ihrem Geld regeln?“*, hakt Faber nach und kommt nun schon bald in die „Ich spreche zu Tieren oder kleinen Kindern“- Stimmlage. Abermals kommt kein Wort von Mehring, doch der ihm immer noch nicht zugewandte Blick ist Faber Antwort genug. Er kann nicht verhindern, dass sich gespielte Betroffenheit, die an Sarkasmus grenzt, in seine Stimme schleicht. „Oh nein! Sie ham schon bezahlt... dass das Gerede wieder aufhört.“*
Jetzt treffen sich ihre Blicke doch noch. Mehrings scheint fast schon gebrochen zu sein, seine Stimme klingt hilflos wie die eines kleinen Kindes.
Das hat jetzt aber nicht meine Stimmlage gemacht, oder?
„Beck hat gesagt, dass er das regelt. Ich hab' ihm zweieinhalb Millionen gegeben.“* Wieder folgt der waidwunde Blick von Seiten Mehrings. „Er sagt, damit könnte er Micklitza beruhigen“*, erklärt Mehring wieder etwas munterer, aber immer noch verzweifelt.
„Oh!“, stößt Faber aus und schüttelt den Kopf.
Und damit bringt Faber nicht nur zum Ausdruck, dass er die Naivität von Mehring nicht fassen kann, sondern auch sein Erstaunen darüber, dass Birger irgendwie recht hat. Ja, das hier zu tun, fühlt sich verdammt befriedigend an.
Orgasmus, ich komme!
Mehring erhebt sich. Auch Faber rutscht von der Fensterbank.
„Ja, gut, wir melden uns dann bei Ihnen“, erklärt Faber abschließend.
Mehring nickt nur. In der Tür dreht sich Faber noch einmal um. Dr. Mehring hat die Augen geschlossen, seine Hand ruht erneut auf seinem Energiestein.
Tja, den wirst du wohl nicht in den Knast mitnehmen können. Tut mir leid...nicht wirklich.
Fast schon beschwingt verlässt Faber das Bankhaus Roden. Als er aus dem Gebäude hinaustritt, fällt ihm ein, dass Pawlak sich heute noch gar nicht gemeldet hat. Und auch die Kollegen haben noch nichts von der Überwachung geschickt.
Na ja, ist vermutlich nicht viel passiert. Aber trotzdem, Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.
Faber wählt Pawlaks Nummer, doch sofort springt die Mailbox an.
„Pawlak melden Sie sich! Ich muss wissen, ob Sie das im Blick haben, ja?“*, meint Faber bemüht neutral.
Er steigt in seinen Manta, während schon die Leitung zu den Kollegen der Überwachung steht.
„Ja, Faber hier, wo seid ihr?“*, erkundigt er sich, nachdem er wie gewohnt mit eine schlichten „Ja?“ begrüßt worden ist.
„Na, zu Hause, wir ham die Observation doch abgebrochen“, kommt es verblüfft aus der Leitung.
„Was fällt euch ein, die Observation abzubrechen? Sach 'mal, seid ihr noch ganz dicht?“*, ruft Faber aus, sein Herzschlag beschleunigt sich, vor seinem geistigen Augen taucht der verletzte Kossik auf und dann die leblose Dalay.
„Wieso? Frau Bönisch hat doch heute Morgen gesagt, dass wir abgezogen sind“, erklärt der Kollege immer noch merklich verwirrt.
„Bönisch? Bönisch hat euch abgezogen?“*, wiederholt Faber, als könne das, was er eben gehört hat, dadurch ungeschehen machen. Vor seinem inneren Auge verwandelt sich die femininen Konturen von Dalay in die männlichen von Pawlak, dieser ist mit Kugeln durchsiebt worden. „Was soll denn diese Scheiße, verdammt?!“*, brüllt Faber und drückt anschließend die Kollegen weg. „Fuck!“*, stößt er sowohl wütend als frustriert hervor und befördert dann das Handy auf den Beifahrersitz.
Ganz ruhig!, mahnt er sich. Die Wahrscheinlichkeit ist minimal, quasi gar nicht vorhanden.
Seiner inneren Stimme gelingt es weder seinen Körper noch seinen Geist zu beruhigen, das Blut rauscht praktisch in Fabers Ohren. Er atmet tief durch, wählt eine Nummer, doch niemand nimmt ab. Sein nächster Impuls ist es, Bönisch zu kontaktieren und sie zur Sau zu machen, aber das ist auch nicht zielführend. Sein Blick wandert zum Fach im Armaturenbrett. Er öffnet es, sucht die kleine Karte, wählt die Nummer. Dort nimmt zum Glück jemand ab. Es ist Wosniak, der ehemalige Vize des Clubs. Faber hat sich inzwischen so weit beruhigt, dass er beschlossen hat, sich langsam heranzutasten.
„Ja, Faber hier. Ich müsste 'mal den Chef sprechen.“
Schließlich hat er die gewünschte Person in der Leitung.
„Gibt's bei euch irgendwas Neues wegen Pawlaks Frau?“, fragt Faber nach und ist extrem bemüht, seine Stimme unter Kontrolle zu halten. Seinem Gesprächspartner gelingt dies anscheinend nicht, denn er prustet los. „Ich kann nicht verstehen, was daran so lustig sein soll“, meint Faber irritiert.
„Nix, gar nix“, erwidert Simon Stern, er ringt sichtlich nach Atem, „is' 'n Insider.“ Er fängt sich offenbar und ergänzt: „Jürgen macht den neuen Prospect nur gerade zur Sau, das ist alles.“ Stern hüstelt. „Nein, also von Pawlaks Frau gibt's nichts Neues.“
„Gut, danke“, entgegnet Faber.
„Gerne. Tschüss.“
Zurück im Präsidium geht Faber Bönisch erst einmal aus dem Weg, genau wie er selbst scheint auch Rosa nicht ganz bei der Sache zu sein. Trotzdem schaffen sie es irgendwie, alle benötigten Sachen in die Wege zu leiten. Es ist schon fast Abend, als Staatsanwalt Matuschek das Gemeinschaftsbüro betritt.
„So hier“, erklärt er und legt Faber die unterzeichneten Dokumente auf den Tisch. Irrt Faber sich oder hat er da tatsächlich so etwas wie Vorfreude aus Matuscheks Stimme herausgehört?
Bönisch kommt zu ihnen herüber. „Ist alles bereit?“, hakt sie nach.
Matuschek und Faber nicken simultan. Faber wendet sich an Rosa. „Sie halten hier bitte die Stellung“, weist er an. Rosa nickt knapp. „Und wir beide knüpfen uns jetzt den Beck vor“, meint Faber mit einem grimmigen Nicken.
Beinahe hätte er das W-Wort benutzt, das wäre in Matuscheks Gegenwart bestimmt nicht so gut gekommen.
Unten im Flur deutet Faber zur Herrentoilette. „Ich komm' gleich nach.“
„Is' gut“, bestätigt Bönisch und geht hinaus.
Faber hingegen baut in der Kabine die Verbindung nach Schweden auf, die den ganzen Tag unbeantwortet geblieben ist, und dabei hat Faber oft angerufen.
„Ja?“, kommt eine ziemlich verkaterte Stimme an sein Ohr.
„Da habt ihr euch gestern so richtig die Kante gegeben, was?“, fragt Faber nicht ernstgemeint nach, Birger antwortet trotzdem mit einem euphorischen „Ja!“
„Gegen meinen Willen wurde die Observation heute Vormittag abgebrochen und wir können Pawlak seitdem auch nicht mehr erreichen.“
Anschließend schildert Faber im Schnellverfahren noch weitere Einzelheiten.
„Vielleicht weiß ja dieser Beck, wo Pawlak ist“, mutmaßt Birger.
„Wieso sollte der das wissen?“, fragt Faber.
„Weil es um sein Wertvollstes geht.“
„Hä?“, macht Faber nur.
„Money, Money“, entgegnet Birger im Stile von ABBA.
„Ja, aber selbst wenn er das wüsste, wird er es uns nicht sagen“, wendet Faber ein.
„Ein letzter Tipp, Peter, dann muss ich erst 'mal 'was gegen die infernalischen Kopfschmerzen tun, weil Krister was dabei hatte, also aus Kiruna, dagegen ist der Schnaps meines Onkels aus Uppsala Kinderkram. Also, die reichen Säcke haben nicht nur vor dem Verlust ihres Geldes Angst, sondern auch vor dem Verlust ihres Lebens.“
Dann ist die Leitung tot.
Kurz und schmerzvoll, aber hoffentlich hilfreich.
Auf dem Weg zur BeWesInvest schweigen Faber und Bönisch. Faber hätte eine Menge zu sagen, angefangen bei dem eigenmächtigen Abzug des Observationsteams über ihr Vorgehen gleich bei der Bank bis hin zu der Sache eben auf dem Parkplatz mit Haller. Aber jetzt ist einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Und bezüglich ihres Vorgehens, nun ja, sie arbeiten jetzt fast eine Dekade zusammen, da wird das schon klappen. Vor der Bank sprechen sie sich mit den Kollegen von der Steuerfahndung ab. Die Kollegen bleiben draußen, nur Bönisch und Faber betreten die spärlich beleuchtete Bank. Sie steigen die Treppen hinauf. Lange suchen müssen sie nicht.
Da ist er ja!
Faber unterdrückt ein „Buh!“, stattdessen genießt er es, wie er übers ganze Gesicht grinst und Becks Walrossgesicht zu einem Erstaunen verzogen ist.
„Was machen Sie hier?“*, erkundigt sich Beck verblüfft.
„War'n das ein oder zwei Millionen, die Dr. Mehring zahlen sollte?“*, fragt Bönisch daraufhin Faber gespielt ahnungslos.
Ah, so will sie das also. Na, schön. Ich bin dabei.
„Zweieinhalb, sacht Dr. Mehring“*, entgegnet Faber also in entsprechender Tonlage. Er lässt seinen Blick zwischen den beiden hin- und hergleiten, während er erklärt: „Weil ja nur Dr. Mehring wegen der faulen Fonds zur Verantwortung gezogen wird, die Beck der Bank untergeschoben hat.“*
„Ah, weil ja nur Dr. Mehring die Verträge unterschrieben hat“*, macht Bönisch mit ihrem kleinen Spiel weiter.
Faber schnippst mit den Fingern, um die Sache noch zu betonen. „Genau“*, bestätigt er.
Becks unsicherer Blick gibt Faber schon einen gewissen Kick, das kann er nicht leugnen.
„Was soll denn das Kasperletheater?“*, fragt Beck nun verärgert, nach einem Ausweg suchend.
Scheiße ja, da is' 'was dran mit dem Orgasmus.
„Er mag unser Kasperletheater nich'“*, meint Faber und suhlt sich dabei in jeder einzelnen Silbe, die sein Mund formt „Dabei wissen wir noch gar nicht, wer am Ende das Krokodil ist, das am Ende immer den Knüppel auf'n Kopp krecht.“*
„Na, ich tipp' auf Dr. Mehring“, meint Martina und in ihrer Stimme schwingt eine gewisse Überheblichkeit mit, die Faber extrem genießt, „der muss ja zahlen, der saubere Hirte Beck reicht das Geld nur an die Micklitza-Brüder weiter.“*
„Ja, damit die endlich 'mal aufhören, den kleinen Millionären zu erzählen, dass ihre Kohle längst verschwunden und vernichtet ist“*, führt Faber weiter aus. Er kann einfach nicht anders, in den nächsten Worten ist die Schadenfreude unüberhörbar: „Und der Beck immer reicher wird.“*
„Sie sollten sich nicht auf ein so hohes Ross begeben“*, erklärt Beck, vor Selbstsicherheit strotzend und holt sein Mobiltelefon hervor.
Nee, jetzt holen wir dich erst 'mal von deinen noch viel höheren Gaul 'runter!
„Sie sitzen beide nämlich selbst ganz schön tief in der Scheiße“*, fügt Beck hinzu, während er offenbar eine bestimmte Datei sucht.
Selbstsicher zeigt er ihnen schließlich ein Bild von Pawlak, das diesen mit einem Koffer zeigt, der sich erst in einem Schließfach befindet und dann an Micki übergeben wird.
Ah, da macht er den Kurier, der gute Pawlak.
„Wo sind die jetzt?“*, fragt Faber nach.
Die Anspannung kann er nicht ganz aus seiner Stimme verbannen.
Da hat Birger also doch recht gehabt.
„Keine Ahnung...“*, entgegnet Beck fast schon selbstherrlich.
Am liebsten würde ihm Faber jetzt mit einem gezielten Schlag das überhebliche Grinsen aus seinem Gesicht wischen.
Aber Zähne kann man ja kaufen, also gehen wir doch 'mal dahin, wo es richtig wehtut.
„Tja, dann sag' ich 'mal den Kollegen Bescheid, wa?“*, meint Faber in Richtung Bönisch.
„Mhm“*, bestätigt diese.
„Was soll das?“*, fragt Beck verwirrt.
„Micklitza hat 'ne Waffe. Unser Kollege Pawlak hat das erpresste Geld für ihn abgeholt. Das machte er nicht freiwillig. Der wird bedroht und vielleicht finden wir ja hier in Ihrer Firma irgendwas: 'n Foto, 'ne Notiz, irgend 'nen Hinweis, der uns helfen könnte, ihn zu finden. In 'ner Viertelstunde is' hier die Hölle los. Das mögen Ihre sensiblen Kunden bestimmt nicht.“*
Da hat Faber Bönisch also korrekt eingeschätzt, dass sie die neue Information gut verkaufen kann. Denn natürlich haben sie von Pawlaks Tätigkeit keine Ahnung gehabt, aber die Sache mit der Waffe ist absolut plausibel. Es gibt nur noch ein Problem: Beck hat ihnen immer noch nicht gesagt, wo Pawlak ist.
Tja, bleibt wohl nur das letzte Mittel.
Die imaginierten Körper von Kossik und Dalay helfen Faber, die nächsten Worte in der richtigen Stimmlage zu verbalisieren: „Pass ma auf, Freundchen! Wenn unserem Kollegen irgendwas passiert und du wusstest, wo er war“, Faber ist selbst ein wenig über die Schärfe seiner Worte erstaunt, aber er mildert sie nicht, ganz im Gegenteil, „dann kriegst du deinen Kopf nich' mehr aus der Schlinge. Das versprech ich dir!“
Die gewünschte Wirkung verfehlen die Worte nicht, möglicherweise auch deshalb, weil Faber einen klitzekleinen Moment in Erwägung gezogen hat, es wirklich ernst zu meinen.
Sind Walrosseier eine Delikatesse?
„Die sind in 'nem ehemaligen Schwimmbad in Holzwickede“*, erklärt Beck ängstlich.
Faber saugt dessen Angst förmlich in sich auf. Das befriedigt ihn so sehr, dass er sogar ziemlich gelassen „Na geht doch“* entgegnen kann. Er dreht sich um und beugt sich über das Geländer. „Freunde, ihr könnt!“*, ruft Faber den Kollegen zu.
„Das sind unsere Kollegen von der Steuerfahndung, die möchten gerne überprüfen, ob da nicht Manipulationen gelaufen sind, mit Ihren Immobilien, die Sie unrechtmäßig über Ihre Fonds finanziert haben“*, erläutert Bönisch.
Dann wendet sich um und geht, währenddessen sagt sie ihrer Stimmlage nach so befriedigt wie Faber selbst mit merklich scharfem Unterton in der Stimme: „Nehmt ihm das Handy ab!“*
Faber schlägt die Autotür des Dienstwagens zu. „Na, das war doch 'mal 'was Gutes“, erklärt er im Brustton der Überzeugung.
Bönisch sieht ihn skeptisch an. „Hoffen wir, dass die Kollegen 'was finden und dass Beck vielleicht den Kopf doch nicht aus der Schlinge ziehen kann.“ Sie blickt ihm direkt in die Augen. „Als Sie das gesagt haben, was passiert, wenn wir Pawlak nicht finden, also... ich hab' wirklich gedacht, Sie würden auf ihn losgehen.“
„Ja?“
„Ja.“
Bönisch startet den Wagen. Auf der ganzen Fahrt nach Holzwickede reden sie kein Wort miteinander. Faber versucht nochmals Pawlak zu erreichen, was natürlich vergebens ist, dann informiert er Rosa über alles. Um sich abzulenken, starrt Faber einfach nur durch die Windschutzscheibe hinaus, aber das ist keine gute Idee. Denn während sie über die B1 Richtung Osten fahren, streift sein Blick auch das Schild mit der Aufschrift „Dortmund-Aplerbeck“ Und schon kreisen seine Gedanken in noch tieferen Sphären. Dort wohnt immer noch die Mutter von Jessica Steinmann. Ob es ihr jetzt besser geht, wo zumindest die Ursache des Suizides ihrer Tochter, nämlich Katrin Steinmann, im Gefängnis sitzt? Oder hat sie das Glück, dass die Medikamente, die sie nimmt, dafür sorgen, dass die meiste Zeit nicht allzu viel von alldem zu ihr durchdringt?
Faber blinzelt, als Bönisch von der Straße abfährt. Kurze Zeit später sind sie in Holzwickede und dann auch vor dem verlassenen Bad. Bönisch fixiert Faber mit ihrem Blick. Sie nicken sich nur stumm zu, steigen aus und nehmen dann die Taschenlampen an sich. So oft haben sie solch eine Situation geübt und doch ist es in der Realität immer noch etwas anderes, besonders dann, wenn man nicht weiß, ob man den Kollegen gleich finden wird und wenn ja, in welchem Zustand. Sie dringen gekonnt in das Gebäude vor und sichern es entsprechend. Fabers Blick fällt auf das kleine Tischchen mit den unzähligen Drogenutensilien.
Keine guten Aussichten...
Sie dringen weiter vor, eine lederne Sitzgarnitur steht in einem der Räume, aber niemand ist zu sehen, es scheint Faber so still wie in einem Grab zu sein und sofort rügt er sich für diesen Gedankengang.
Nicht an Tote denken!
Schließlich erreichen sie einen Raum mit einem der Schwimmbecken. Holzkisten stehen dort am Grund des Beckens.
Und dahinter...
Faber läuft es siedend heiß den Rücken herunter.
„Da unten liecht jemand!“*, ruft er aus.
„Geh 'mal 'runter!“*, rät ein Kollege.
Nur peripher bekommt Faber mit, dass am Beckenrand auch jemand, zu dem sich Bönisch gerade hinunterbeugt, liegt. Er eilt zu den Sitzgelegenheiten. Die Konturen kommen ihm doch bekannt vor.
„Scheiße!“*
Der Lichtstrahl der Taschenlampe trifft auf den Körper.
„Das is' Pawlak“*, sagt Faber leise, dann ruft er lauter: „Pawlak!“*
Er kniet sich neben ihn und fühlt seinen Puls.
Nein, nein, nein, nein, nein!
Da, da ist er doch noch, der Pulsschlag.
„'N RTW schnell!“*, brüllt er. Faber hebt den Kopf und blickt Bönisch in die Augen. „Er lebt“*, erklärt Faber sichtlich erleichtert. Dann kniet er sich erneut zu ihm, streichelt sanft seine Wange.
Oh Mann, ich hatte so Schiss um dich.
Er legt ihm die Hand an die Schulter. „Das wird schon, das wird schon, alles kommt wieder in Ordnung und dann ist der ganze Wahnsinn hier vorbei“, murmelt Faber Pawlak beruhigend zu.
Er weiß nicht, wie viel Zeit vergeht. Schließlich kommen die Rettungssanitäter.
Und irgendwann sitzt er mit Bönisch wieder im Wagen.
Sie streicht sich den Pony aus dem Gesicht. „Ella steht unter Schock. Anscheinend hat sie Micki echt abgestochen. Das ist doch Wahnsinn, das alles.“ Sie blickt Faber wieder an. „Was jetzt?“, fragt sie.
„Ins Präsidium“, sagt Faber mit Überzeugung in der Stimme.
„Was ist mit Pawlak?“, erkundigt sich Martina.
„Die Sanitäter meinen, er hat irgendwas intus. Sie müssen ihn jetzt entgiften. Wenn alles gut läuft, dann ist er morgen wieder einigermaßen ok.“
Bönisch starrt durch die Windschutzscheibe. „Na ja ok, wir müssen Ella in Untersuchungshaft nehmen.“
Da plötzlich fällt es Faber wider ein. „Was is' mit Mia?“
„Die ist wohl bei ihrer Großmutter, nehme ich an.“
„Das müssen wir abklären lassen“, sagt Faber und fügt dann ein wenig fragend hinzu: „Fahr'n wir?“
Eine sehr anstrengende Nacht folgt, in der die KTU mitteilt, dass auf dem gefundenen Koffer auch die Fingerabdrücke von Josef Micklitza zu finden sind. Es wird eine Großfahndung ausgelöst und letzten Endes gelingt es ihnen auch, diesen zu fassen. Müde, aber auch ein wenig zufrieden kehren Martina und Faber ins Präsidium zurück.
Auf dem Flur kommt ihnen schon Rosa entgegen. „Jan ist in Ordnung“, ruft sie euphorisch, „das Krankenhaus hat sich gerade gemeldet!“
„Gut, wir haben Josef Micklitza. Seiner Aussage nach hat Micki Lembach umgebracht“, erklärt Faber.
„Was ist?“, fragt Bönisch und fixiert Rosa mit ihrem Blick.
„Ella ist jetzt hier. Laut der Kollegen ist sie so weit vernehmungsfähig.“
„Das machen Sie beiden dann 'mal am besten“, meint Faber und nickt den Frauen seines Teams zu.
Er selbst geht zu seinem Schreibtisch und beginnt mit dem Papierkram. Noch mehr Wahnsinn will einfach nicht in seinen Kopf passen. Als er auf sein Handy schaut, erblickt er mehrere Kontaktversuche von Birger. Er schreibt ihm kurz zurück, dass er sich am Abend melden werde.
Schließlich kommen Rosa und Martina in sein Büro.
„Sie sagt kein Wort.“
Rosa nickt nur bestätigend.
Irgendwann ist es wieder Abend. Martina und Rosa sind weg. Micklitza haben sie dank seines Anwalts noch nicht vernehmen können und als Pawlak aufgetaucht ist und gegen ihren Rat versucht hat, mit seiner Frau in Kontakt zu treten, ist nichts passiert, bis auf die Tatsache, dass der von Bönisch vorausgesagte Schmerz für Pawlak eingetreten ist, bevor seine Frau in die U-Haft gefahren worden ist. Danach hat Faber ihn zu seinem Kind beordert.
Faber betrachtet den Kaktus und blickt dann zum Fenster hinaus. Genau das hat er auch getan, als Pawlak vor ein paar Tagen hier mit Micklitza aufgetaucht ist. Faber schnaubt ungläubig und wütend durch die Nase aus.
Und in was für einen Wahnsinn hat uns das alles hier gestürzt? Es ist nicht zu glauben.
Am liebsten würde er sich jetzt die Decke über den Kopf ziehen und alles vergessen, aber das geht ja noch nicht. Zumindest ein kurzes Update ist er Birger schuldig.
Das Telefonat verläuft wie zu erwarten ziemlich trostlos. „Tja, also wenn man die großen Fische hochnimmt, macht das schon ein orgasmusähnliches Gefühl, aber das hält halt nicht lange an, wenn am Ende so 'was dabei 'rauskommt“, resümiert Faber abschließend.
„Ja“, sagt Birger nur, „aber mach' dir jetzt bloß keine Vorwürfe! Du hast die Observation nicht abgebrochen. Und es hätte ja alles noch viel schlimmer kommen können: Sie hätten alle tot sein können.“
„Warum findest du eigentlich immer 'was Positives? Als Schwede solltest du doch depressiv sein und verschlossen. Du entsprichst also so überhaupt nicht dem Klischee eines Schweden“, meint Faber müde.
„Tja, das Kompliment gebe ich gerne zurück“, meint Birger merklich munterer, „ich finde es nämlich richtig gut, dass wir beide ziemlich klischeearm sind, zumindest was unsere Herkunft betrifft.“
Faber schmunzelt. „Das stimmt“, pflichtet er ihm bei, „das stimmt. Also dann...“
„...halt ihn hoch“, ergänzt Birger.
Faber beendet das Telefonat, knipst die Schreibtischlampe aus und verlässt das Präsidium.