Life is Strange - This is our Universe
von THELOKALWRITER
Kurzbeschreibung
Eine Entscheidung kann alles verändern. Als sich Max am 11. Oktober 2013 für ihre beste Freundin Chloe und gegen die Rettung ihrer Heimatstadt Arcadia Bay entscheidet, beginnt für die beiden jungen Frauen ein neues Abenteuer. Aber der Weg in ein neues Leben ist alles andere als einfach und bringt viele Herausforderungen mit sich. Begleitet Max und Chloe bei ihrer außergewöhnlichen und emotionalen Reise und erlebt selbst, wie stark das Band der Liebe sein kann.
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P18 / Mix
Chloe Price
Maxine "Max" Caulfield
OC (Own Character)
10.02.2022
27.02.2023
22
105.542
5
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Dieses Kapitel
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01.03.2022
4.411
Kapitel 6 - Der Zauber von Halloween
Max Caulfield
Seattle, WA - Samstag, 31. Oktober 2015
Ist das ein Traum oder die Realität? Diese Frage stellte ich mir schon den ganzen Abend lang. Nach der schmerzhaften Zeit, die bereits hinter mir lag, konnte ich einfach nicht glauben, dass dieser Abend und gerade an meinem Lieblingsfeiertag so positiv verläuft. Es ist schon eine Ewigkeit her, dass ich so viel Spaß hatte wie heute. Zugegeben bin ich für meine Lage auch selbst verantwortlich, so habe ich in den letzten Jahren sämtliche Chancen auf Spaß und Freude regelrecht abgeblockt. Aus meiner Sicht hatte ich einfach kein Recht mehr auf glückliche Zeiten. Daher muss dieser Tag einfach ein Traum sein, denn meine innere Blockade würde das alles nicht zulassen, egal wie sehr ich mich dagegen wehre. Es ist nur verständlich, dass Chloe sich im Nachhinein von mir distanziert hat. Immerhin musste sie mit der Person, die für ihr persönliches Leid verantwortlich war, zusammenleben. Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, alles irgendwie wieder rückgängig zu machen, ohne das Chloe dafür ihr Leben verliert. Aber dieser Sturm hat alles mit sich gerissen, was ihm in die Quere kam. Anfangs habe ich mir die Nächte um die Ohren geschlagen und versucht eine Lösung für das Problem zu finden, aber durch die Angst, die Zeitlinie noch weiter ins Ungleichgewicht zu stürzen, war ich wie gelähmt, wenn es darum ging, etwas zu unternehmen, und so habe ich irgendwann aufgegeben und nun kämpfe ich tagein, tagaus mit meinem schlechten Gewissen und den Selbstvorwürfen. Ich gebe Chloe keine Schuld an meiner Situation, denn wenn ich einfach stark genug wäre, hätte ich anders entschieden oder zumindest mit der Entscheidung, die ich getroffen habe leben müssen, aber stattdessen bin ich in ein tiefes Loch aus Selbstmitleid, Depression und Selbstverachtung gefallen. Es ist ein Teufelskreis, der mir wirklich zu schaffen macht, aber ich verdiene diese Art der Bestrafung. Daher ist der heutige Tag ein Geschenk, das ich eigentlich nicht im Geringsten verdiene. Die Stunden in Gesellschaft mit Jenny und dem Spaß, den wir hatten, haben dazu geführt, dass ich meine Probleme kurzzeitig beiseiteschieben konnte und das habe ich seit einer sehr langen Zeit nicht mehr erlebt. Ich spürte, dass mir die Tränen in die Augen stiegen und meine Sicht langsam verschwamm. Ich atmete tief durch und versuchte um Fassung zu ringen. Aber egal ob dies ein Traum, die Realität oder einfach nur eine Wahnvorstellung war, wollte ich Jenny und mir den Abend nicht verderben, denn das Drama wird schon bald wieder zurückkehren und daher kann ich wenigstens heute versuchen abzuschalten, um einfach nur wieder Max sein.
Ich spürte eine sanfte Berührung auf meiner Schulter und schreckte aus meinem Gedankenchaos empor. Dabei sah ich in Jennys wunderschöne Augen, die mich besorgt musterten.
„Entschuldige Max, ich wollte dich nicht erschrecken. Ist alles in Ordnung mit dir?“, erkundigte sie sich mit behutsamer Stimme.
„Hey, danke, es ist alles in Ordnung. Ich war nur kurz in Gedanken und hab dich nicht gehört. Vielleicht bist du wirklich ein Geist, so leise wie du dich angeschlichen hast“, antwortete ich und setzte dabei ein Lächeln auf.
„Dann bin ich wohl ein Naturtalent“. Sie stellte sich vor mich und schaute mir entschlossen in die Augen. „Aber wenn ich etwas für dich tun kann, dann sag es mir. Ich helfe dir gerne. Jederzeit!“, erklärte sie mit fürsorglichem Blick. Ich spürte wie meine Traurigkeit durch ihre Worte schwindet und sich ein Gefühl der Fürsorge breitmachte. Wie eine warme Decke die dir jemand umlegt, weil du gerade frierst und zitterst.
Ich erwiderte ihren Blick. „Danke dir für das Angebot. Ich behalte es im Hinterkopf. Aber wirklich es ist gerade alles in Ordnung“, erklärte ich eindringlich.
„Gut, denn mir ist wichtig dass es dir gut geht“, flüsterte sie zurück und strich mir sanft über die Schulter.
Erneut schauten wir uns einfach nur an, ohne ein Wort dabei zu wechseln. Ich hatte das Gefühl, wir kommunizieren gerade über unsere Blicke und sie schaute tief in mein Innerstes, auch wenn ich versuche, es gut zu verschließen.
„Was wollen wir als Nächstes machen? Wie wäre es mit einem Film, den wir nebenbei laufen lassen und einer Kostümprobe?“, schlug ich vor.
„Der Plan gefällt mir aber wärst du für eine kleine Anpassung offen?“, ergänzte Jenny schmunzelnd.
„Was schwebt dir den vor?“
„Wir verlegen den Film auf später, lassen stattdessen etwas passende Musik laufen, verkleiden uns und spielen ein Spiel“, erklärte Jenny und hielt eine kleine Pappschachtel in die Höhe.
Dieselbe war mir vorhin schon aufgefallen, als sie ihre Taschen auspackte.
„Ich bin dabei aber an was für ein Spiel denkst du denn?“, erwiderte ich mit neugierigem Blick.
„Das verrate ich dir, wenn wir uns umgezogen haben“, antwortete sie voller Vorfreude.
Ich nickte zustimmend und griff einfach in ihre Tasche und schnappte mutig nach dem Vampirkostüm. Jenny grinste mich frech an. „Hey das wollte ich nehmen.“
„Dann musst du schneller sein, aber wir können doch später tauschen, denn du hattest doch die Idee, jedes einzelne Kostüm auszuprobieren“, erwiderte ich und zwinkerte ihr dabei zu.
Ohne den Blick von mir abzuwenden, griff Jenny in die Kostümtasche und zog die Tüte mit dem Hausmeister Freddy Outfit hervor, öffnete sie und breitete den Inhalt auf dem Boden aus. Ein grün-rot gestreifter Ringelpullover, eine zerschlissene schwarze Jeans, einen verrückten Krallenhandschuh und einen schwarzen Filzhut.
„Die Maske lasse ich mal lieber eingepackt. Die ist zwar gut, um Leute zu erschrecken, aber nach spätestens fünf Minuten bekommt man akute Atemnot“, erklärte Jenny lachend.
„Dann werfen wir uns mal in Schale“, antwortete ich.
Jenny fing an, ihren Cardigan auszuziehen und schien offensichtlich kein Problem damit zu haben, das ich nur wenige Schritte von ihr entfernt stand. Damit ich nicht in pures Starren verfiel, ging ich mit meinem Kostüm ins Badezimmer. Das pechschwarze Kleid war im mittelalterlichen Design gehalten, mit Trompetenärmeln und war sehr tailliert geschnitten. Nach oben hin schloss es mit einer Kapuze und V-Ausschnitt ab. Dazu lagen schwarze Handschuhe, eine Fledermaushalskette und die obligatorische Flasche von Jennys professionellem Filmblut bei. Ich zog das Kleid an, legte die Halskette um und verteilte das Blut an meinen Mundwinkeln und etwas an meinem Hals hinab übers Dekolleté und zog die Kapuze über. Meinem Lebenswandel sei "Dank" brauchte ich kein Puder, um mich blass zu schminken. Natürlich überkamen mich meine Selbstzweifel, denn ich sehe nicht ansatzweise so gut aus wie Jenny, aber ich will diesen Abend nicht auch noch ruinieren, so wie alles andere in meinem Leben. Mutigen Schrittes führte mich mein Weg aus dem Badezimmer zurück zu Jenny und während ich um die Ecke bog, stand sie dort und zog gerade ihren Pullover in Position, dabei konnte ich einen Blick auf ihre Flanken werfen. Sie ist wirklich gut in Form und dabei fiel mir eine weitere zarte Narbe entlang ihrer linken Seite auf. Der Gedanke, dass ihr etwas Schlimmes zugestoßen sein könnte, bereitete mir Sorgen, wie gern würde ich erfahren, welche Geschichte hinter den Narben steckt, aber ich will sie nicht mit meiner Neugier verschrecken. Vielleicht geht es mich auch gar nichts an und ich würde damit nur eine Grenze überschreiten. Als sie sich den Hut aufsetzte, drehte sie den Kopf über ihre Schulter zu mir und sah mich mit aufgerissenen Augen an.
„Du siehst toll aus. Wundervoll. Ich meinte cool“, stammelte ich nervös.
„Machst du Witze? Wenn hier jemand wundervoll aussieht, dann wohl du, dass Kleid sitzt perfekt und dein Make-up ist der Wahnsinn – und danke für dein Kompliment“, antwortete sie, während sie mich begeistert musterte.
„Danke, aber dir stünde das Kleid noch besser“, erwiderte ich unsicher und schaute an mir hinunter.
Jenny kam einen Schritt auf mich zu und hob meinen Kopf sanft am Kinn empor, um mir in die Augen zu schauen. „Hey, hör auf damit. Du siehst wirklich toll aus. Sehr hübsch und das Kostüm sitzt wie angegossen“.
Ihr entschlossener Zuspruch beruhigte meine Unsicherheit auf der Stelle. Ich war gewillt, ihren Worten Glauben zu schenken, denn welchen Grund sollte sie haben, mich mit so vielen Unwahrheiten zu überschütten?
„Um dir zu schmeicheln und dich dann fallen zu lassen. So wie du es verdienst“, antwortete mein dunkler Zwilling tief in mir.
Prompt meldete sich die alte Max zu Wort. „Habe ich dir nicht gesagt, du hast für heute Sendepause? Verzieh dich zurück in deine Gruft und lass sie in Ruhe. Du nervst sowieso schon zu viel.“
Ein zartes Lächeln legte sich auf meine Lippen. „Ich danke dir.“
„Für die Wahrheit brauchst du dich nicht bedanken. Du solltest dich nicht verstecken Max. Du brauchst kein Make-up, keine Designerkleidung oder falsche Wimpern, auch wenn dir das Outfit verdammt gut steht. Du bist eine wunderschöne Frau, du bist echt und lass dir niemals etwas anderes einreden, sonst gibt es Ärger mit mir“, antwortete Jenny behutsam aber entschlossen und ging zurück zur Couch. Früher fühlte ich mich recht wohl in meiner Haut, aber seit den Ereignissen kamen nicht nur Zweifel an meinem Charakter sondern auch an meinem Körper. Mehr und mehr empfand ich mich weder als Frau noch als schön, geschweige denn als Mensch. Ich sollte dringend an meiner Selbstwahrnehmung arbeiten, denn offensichtlich nimmt mich mein Umfeld und besonders Jenny ganz anders war. Als würden sie die alte, verschollene Max in mir sehen und befreien wollen. Es lag eine Menge Arbeit vor mir.
Ich setzte mich zu ihr und sie zog ein nagelneues Kartenspiel aus der Schachtel und fing an, es zu mischen. Es war ein klassisches Kartenspiel, aber in einer Halloweenversion, indem die Motive wie der König oder die Dame durch bekannte Horrorikonen ersetzt wurden. Ich musste bei dem Anblick der Karten schmunzeln. Sie ist so ein Nerd. Genau wie ich.
Jenny blickte zu mir und fing an, das Spiel zu erklären. „Also das Spiel heißt Mau-Mau, aber ich habe noch eine kleine Änderung eingebaut. Das Spiel selbst wird gespielt, in dem eine in der Mitte liegende, aufgedeckte Karte entweder gemäß ihrer Farbe oder ihrer Zahl "bedient" werden muss: Die abzulegende Karte muss den gleichen Zahlenwert oder die gleiche Farbe wie die oberste Karte haben. Hat man keine passende Karte, zieht man verdeckt eine Karte vom Stapel. Dabei ist das Ziel als erster alle Karten loszuwerden.
Der Clou dabei ist der Gewinner darf sich eine Aufgabe für den Verlierer ausdenken. In einem angemessen Rahmen natürlich und du musst nichts beantworten oder tun, was du nicht möchtest. Hast du Fragen?“
„Interessante Änderung der Spielregeln. Ich bin bereit“, antwortete ich entschlossen.
Jenny lächelte und fing an, die Karten zu verteilen und wir starteten in die erste Runde. In mir brodelten die verschiedensten Emotionen auf eine Kombination aus Freude, Spannung, aber auch Angst, denn welche Strafe würde sich Jenny für mich ausdenken? Aber andererseits könnte ich einen Sieg nutzen, um Fragen zu stellen, ohne mit der Tür ins Haus zu fallen. Ich sollte mir aber keine großen Sorgen machen, denn die Regeln besagen, dass der Verlierer nicht alles tun oder beantworten muss. Ich vertraute auf ihr Feingefühl.
In der ersten Runde lag Jenny mit zwei zu drei vorne, doch kurz darauf gelang es mir aufzuholen und den Stand auf eins zu eins auszugleichen, doch dann legte sie ihre letzte Karte ab. Mit einem verschmitzten Grinsen wandte sie sich mir zu und mein Herz fing an, schneller zu klopfen.
„Das war sehr knapp. Eine gute erste Runde. Ich wähle für dich eine Aufgabe aus der Kategorie: Fragen“, sie musterte mich und kurz darauf folgte die Frage. „Du bist ein Fan von Halloween, Filmen und Fotografie aber magst du auch Videospiele?“, fragte sie und legte ihren Kopf dabei leicht schräg.
„Klar. Videospiele machen Spaß. Ich kann zwar nicht jedes Spiel aber ausprobieren tue ich alles. Wobei ich ewig nicht mehr gespielt habe“, antwortete ich erleichtert über diese einfache Frage.
„Warum hast du lange nicht mehr gespielt? Dann wird es mal wieder Zeit. Wir können gerne mal zusammen spielen, wenn du möchtest. Ich stehe auch total auf Videospiele“, erwiderte sie freudig.
Ob ich mit dir Videospiele spielen möchte? Natürlich will ich, das, flüsterte mir die alte Max ins Ohr. Es breitete sich ein warmes Gefühl in meiner Brust aus.
„Ich bin einfach nicht dazu gekommen“, erklärte ich kurz angebunden und schob rasch die Antwort auf ihren Vorschlag hinterher. „Aber ich würde sehr gerne mit dir spielen. Das sollten wir sehr bald mal nachholen.“
Ein strahlendes Lächeln legte sich über Jennys Lippen. „Ich freue mich drauf. Denn ich habe einige Spiele die ich noch nicht gespielt habe oder die wir auch gemeinsam spielen könnten. Du kannst gerne zu mir kommen oder ich überfalle dich wieder und bringe meine Spiele mit, denn wie ich sehe hast du auch eine Playstation“, sie deutete auf die Spielekonsole im Sideboard unter dem Fernseher.
„Klingt gut. Wir können doch abwechselnd spielen. Mal bei dir und mal bei mir“, schlug ich vor.
„Deal! Bereit für Runde zwei?“, antwortete Jenny und rieb sich dabei die Hände.
Ich nickte und diesmal mischte ich die Karten und teilte sie aus. Diese Runde verging schneller als ich gucken konnte, denn anscheinend sind meine Mischkünste katastrophal. Während ich noch fünf Karten auf der Hand hatte hob Jenny ihre Hände mit Siegesfreude in die Höhe.
„Das ging schnell“, entgegnete ich ihr mit einem gespielt schmollenden Blick.
„Tut mir leid, aber ich hatte ein verdammt gutes Blatt. Gib es zu, du wolltest dass ich gewinne“, lachte Jenny.
Ich kniff die Augen zusammen und warf ihr einen fordernden Blick nach meiner nächsten Aufgabe zu.
„Diesmal wähle ich die Aufgabe: Pflicht“, erwiderte sie und griff nach der Schüssel mit den Snacks. „Jeder von uns sucht sich fünf Süßigkeiten aus die wir gemeinsam verspeisen.“
Gut, dass sich mein Magen nach dem Tee wieder etwas beruhigt hatte, denn ich war es wirklich nicht mehr gewohnt, Süßigkeiten zu futtern, aber sie schmeckten wirklich zu gut, als das ich sie mir entgehen lassen wollte. Nachdem wir unsere Snacks gemeinsam verspeisten, forderte ich eine Revanche, also mischte Jenny die Karten und verteilte sie unter uns. Diesmal schien das Glück auf meiner Seite zu sein, denn mit einem großen Vorsprung konnte ich meine gesamte Hand ablegen und klopfte freudig auf den Tisch.
„Alle guten Dinge sind drei. Ich darf also auswählen, welche Aufgabe du bekommst?“, erkundigte ich mich.
„Richtig. Du darfst dir ausdenken was immer du möchtest. Schieß los“, antwortete Jenny mit herausforderndem Blick.
Irgendwie wirkte ihr Blick so furchtlos, als würde sie alles beantworten oder tun, was ich von ihr verlange. Aber vielleicht ist das auch nur ein wirklich gutes Pokerface.
Nervös nestelte ich an den Trompetenärmeln meines Kostüms herum. „Ich wähle die Aufgabe: Frage. Ich würde gerne wissen, woher du diese kleine Narbe hast?“, fragte ich sichtlich nervös mit einer dezenten Geste in Richtung ihrer Kinnnarbe.
Sie legte ein beruhigendes Lächeln auf. „Das war eine kleine Dummheit aus meiner Kindheit. Als ich sechs Jahre alt war wollte ich unbedingt auf die Garage klettern aber leider hatte die Mülltonne, die als improvisierte Leiter herhalten musste, andere Pläne. Ich rutschte aus und schlug mit dem Kinn auf die Dachrinne der Garage auf. Mein Dad erzählte mir das ich weder beim Sturz noch beim Nähen der Wunde geweint habe – aber als er das Pflaster abgezogen hat.“
„Also hat dir niemand etwas Böses angetan?“, platzte es aus mir heraus.
Innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde legte sich ein Blick der Verwunderung auf ihr Gesicht.
„Nein, das war einfach ein Unfall. Wie kommst du darauf das mir jemand was angetan hätte?“
„Ich weiß nicht. Vielleicht denke ich einfach zu negativ. Es tut mir leid“, erwiderte ich mit gesenktem Blick.
Sie legte ihre Hand behutsam auf die meine. „Es muss dir nichts leidtun. Das du dir Sorgen machst hat nichts mit Negativität zu tun, sondern mit Fürsorge und das finde ich sehr süß.“
Ich blickte auf unsere Hände und dann zu ihr. Irgendwie fühlte ich mich sofort besser und nicht wie eine Verrückte, wenn Jenny behutsam auf mich einwirkte. Es ist wie die Sonne, die dich mit ihren Strahlen wärmt. Es war wohl eindeutig, dass sie die Mittel dazu gefunden hatte, die Mauer, die ich um mein Innerstes errichtete hatte, Stück für Stück abzubauen.
Plötzlich zog sie ihre Hand weg und hob ihren rot-grün gestreiften Ringelpullover an der linken Seite ein wenig hoch. Sofort fing mein Herz wieder an, wie wild zu schlagen und ich wusste in dem Moment nicht einmal, warum. Sie deutete auf die kleine Narbe, welche ich vorhin bereits unbeabsichtigt gesehen hatte.
„Der Vollständigkeit halber gibt es hier noch eine Narbe. Mit 14 bin ich mit dem Fahrrad auf einem Schotterweg weggerutscht und auf eine Bordsteinkante gestürzt. Mein Dad sagt immer, ich hätte sehr gutes Heilfleisch, aber ich verdanke es wohl eher seiner guten Versorgung, dass meine Narben sehr dezent ausgefallen sind“, erklärte sie schmunzelnd.
Ich war erleichtert, als sie mir den Ursprung ihrer Narben anvertraute und gleichzeitig auch verblüfft, wie viel Vertrauen sie mir schenkte, denn ich glaube nicht, das sie eine der Person ist, die jedem sofort davon erzählt. Das Ganze verwirrte mich sehr und zeitgleich konnte ich nicht aufhören, sie anzusehen.
„Max? Alles in Ordnung?“
Ich schreckte hoch. „Ja, alles in Ordnung. Ich stell mir nur gerade vor wie schmerzhaft das wohl war und wie froh ich bin das du wohlauf bist ist.“
Sie zog ihren Pullover langsam wieder hinunter, mischte die Karten und musterte mich genau.
„Die Frage mit meinem Kinn wolltest du mir schon vorhin im Flur stellen, während ich dir die Maske und Perücke gerichtet habe, richtig?“
„Woher weißt du das?“, gab ich ertappt zu.
„Auch wenn du eine Maske getragen hast, konnte ich sehen wohin deine Augen gerichtet waren. Es ist völlig in Ordnung, wenn man Fragen hat.“
„Ich habe leider seit Längerem das Gefühl das Fragen meinerseits unerwünscht sind“, gestand ich mit traurigem Unterton.
„Nicht bei mir. Du darfst mir jede Frage stellen. Sonst hätte ich dieses Spiel hier nicht vorgeschlagen. Es sollte das Eis brechen und spielerisch traut man sich oft eher Fragen zu stellen als aus heiterem Himmel heraus“, erklärte sie behutsam.
„Ich würde sagen, dann hat das Spiel seinen Zweck erfüllt“, antwortete ich und nahm ihr die Karten aus der Hand und steckte sie zurück in die Schachtel.
„Möchtest du etwas anderes spielen?“, erkundigte sich Jenny überrascht.
„Dasselbe Spiel wie gerade eben. Nur ohne die Karten. Wir stellen uns abwechselnd Aufgaben die wir erfüllen müssen“, gab ich entschlossen von mir. So wie schon lange nicht mehr.
Jenny starrte mich überrascht und nervös zugleich an. „Bist du sicher? Wir können auch gerne etwas anderes machen.“
So habe ich Jenny bisher noch nie erlebt, es wirkte fast als hätten wir für einen Moment die Rollen getauscht. Doch ich musste diesen Augenblick des Mutes auskosten, denn wer weiß wann er mich wieder verlässt.
„Absolut! Fängst du an?“, erwiderte ich fordernd.
Jenny nickte zustimmend. „Ich wähle eine Frage. War es schon immer dein Wunsch Fotografin zu werden oder hast du auch mal andere Berufswünsche gehabt?“
„Mein Dad hat mir eine kleine Sofortbildkamera geschenkt als ich fünf Jahre alt wurde und hat mir gezeigt wie man Fotos knipst, seitdem hatte ich den Wunsch Fotografin zu werden. Zumindest war das früher mal der Plan“, antwortete ich lächelnd und wehmütig zugleich.
Bevor ich ausholen und Jenny ihre Aufgabe nennen konnte, harkte sie erneut ein.
„Wieso hast du deinen Traum denn nicht weiter verfolgt? Gab es einen besonderen Auslöser? Hat es mit den Ereignissen in deiner Heimatstadt zu tun?“
Ich atmete tief durch, obgleich Jenny ihre Frage sehr behutsam formulierte spürte ich sofort wieder Erinnerungen in mir aufsteigen und den Schmerz in meinem Herzen.
„Der Sturm, der Arcadia Bay verwüstete war nur ein temporärer Grund für meine Pause, weil ich erst einmal keine Möglichkeit mehr hatte weiter zu studieren. Als wir damals aus unserer Heimatstadt kamen und bei meinen Eltern eingezogen sind habe ich versucht mein Studium an der University of Washington fortzusetzen aber konnte einfach kein Anschluss mehr finden“, antworte ich und versuchte dabei so neutral wie möglich zu klingen.
Jenny musterte mich ausgiebig, als würde sie mich gerade von oben bis unten scannen, bereit, jeden Moment meine Maskerade zu durchschauen. „Du sagtest wir, bist du damals mit jemanden hierhergekommen? Ein Freund oder eine Freundin?“
Verdammt ich wusste das dieser Moment kommen würde, aber ich habe es provoziert also muss ich das jetzt auch durchziehen.
„Mit einer Freundin aus meiner Kindheit. Wir sind zusammen aufgewachsen und haben nach dem Vorfall die Stadt gemeinsam verlassen. Wir haben eine Weile hier zusammen gewohnt, um wieder Fuß zu fassen und sie hat ihren Abschluss nachgeholt. Danach trennten sich unsere Wege“, erklärte ich mit traurigem Blick der auf meine Hände gerichtet war.
„Verstehe. Wieso seid ihr denn getrennte Wege gegangen und wo ist deine Freundin jetzt?“, erkundigte sich Jenny.
Es kostete viel Mühe, die Ruhe zu bewahren und nicht gleich den ganzen Raum mit Tränen zu überfluten. Einerseits fühlte es sich wirklich gut an sich zu öffnen und etwas an Sorge loszuwerden, aber zeitgleich rissen die alten Wunden wieder auf. Hinzu kam noch die Angst, Jenny zu verschrecken, denn der Tag heute hat mir gezeigt, wie schön es ist, mit ihr gemeinsam Zeit zu verbringen.
„Ich schätze das Erlebte hat dafür gesorgt, dass wir uns voneinander entfernt haben. Sie lebt seit einigen Wochen in London, dort hat sie ein Praktikum begonnen und ich vermute, dass sie dortbleiben wird. Ich wünsche ihr aber das Beste, damit der Neuanfang gelingt“, erklärte ich und wandte mich Jenny zu.
Man konnte ihr deutlich ansehen, dass sie intensiver nachfragen wollte, aber nicht tat, da war sie wieder ihre Fürsorge und behutsame Art.
„Jetzt bist du dran. Stell mir eine Aufgabe“, lächelte sie und strich sich dabei eine Strähne hinters Ohr.
Ich erwiderte ihr Lächeln sofort. „Okay, dann wähle ich ebenfalls eine Frage: Hast du eigentlich einen Freund?“
Das habe ich nicht ernsthaft gefragt oder? Ich bewegte hastig die Augen hin und her und versuchte ruhig zu bleiben, immerhin ist das eine ganz normale Frage.
Sie hebt mit neugierigem Blick ihre Augenbraue und beobachtet mich aufmerksam. Dabei huscht ihr ein Schmunzeln übers Gesicht und sie belegte mich mit einem intensiven Blick während sie antwortete. „Nein. Ich habe keinen Freund oder ähnliches. Meine letzte Partnerschaft ist schon länger her und verlief gegen Ende nicht wirklich gut.“
„Darf ich fragen wieso deine Beziehung nicht gut ausging?“, erkundigte ich mich mit zurückhaltender Stimme.
Ohne den Blick von mir abzuwenden, antwortete sie auf meine Frage. „Es hat sich einfach herausgestellt, das wir nicht zusammen passen. Anfangs verlief es noch gut, aber es wurde mehr und mehr deutlich, dass ich eine andere Vorstellung und Lebensart verfolge als er. Während mir Reichtum, Einfluss und Partys unwichtig sind, wollte er genau das, dies hat dafür gesorgt, dass wir uns alsbald ständig gestritten haben und als er mich gegen Ende unserer Beziehung mit einer Studentin, die auch in seinem Kurs war, betrogen hatte, beendete ich die Beziehung. Aber ich bin nicht sonderlich traurig darüber, denn es hat nur gezeigt, das wir beide auf keinen Fall zusammengehören. Aber diese Erfahrung lehrte mich auch einiges und bestärkte mich noch mehr meinen Prinzipien treu zu bleiben.“
„Es tut mir trotzdem leid, denn so sollte niemand behandelt werden. Schon gar nicht du. Jemanden zu betrügen ist das Allerletzte. Ich kann aber auch nicht mit Menschen umgehen, die sich nur auf ihrem Status und ihren Besitztümern ausruhen und das Leben anderer niedermachen. Aber es freut mich, dass du dir treu geblieben bist. Ihm war wohl nicht bewusst, was für ein Glück er mit dir hatte. Aber so hat ein anderer Mann die Chance“, antwortete ich, und diesmal legte ich meine Hand auf ihre.
„Caulfield, was zur Hölle treibst du da? Denk daran, sie spielt nur mit dir und schau dich an und dann sie? Niemals gibt jemand wie sie sich ernsthaft mit dir ab. Ich freue mich schon drauf, wenn du wieder einen Schuss vor den Bug bekommst“, rief meine dunkle Seite mit einem schadenfreudigen Grinsen und rieb sich dabei erwartungsvoll die Hände.
Ich beschloss die Stimme zu ignorieren, denn ich muss lernen, wieder Verantwortung für mich selbst zu übernehmen.
„Du kannst mich nicht ewig ignorieren. Du wirst schon bald wieder fallen und dich einigeln, so wie du es immer tust. Du bist eine Versagerin, seit dem Tag, an dem du Arcadia Bay in Schutt und Asche gelegt hast“, fügte die Stimme hinzu.
Jenny schenkte mir einen intensiven Blick und lächelte mich an, während sie mit den Schultern zuckte. „Vielleicht oder vielleicht auch eine junge Frau. Wer weiß das schon. Wenn man jemanden liebt, dann liebt man die Person und nicht das Geschlecht. Zumindest sehe ich das so.“
Unter ihrem Blick wurde mir ganz warm und mein Herz machte einen heftigen Sprung.
„Das ist eine gute Einstellung“, antwortete ich und konnte es nicht verhindern ihren intensiven Blick zu erwidern.
Es herrschte Stille zwischen uns, lediglich unsere Augen kommunizieren miteinander. Ich hatte das Gefühl, das die Zeit stehen blieb. Die ganze Situation wirkte wie verzaubert und ich konnte einfach nicht glauben, was meine Selbstzweifel mir einreden wollten. Würde sie mir wirklich schaden? Wenn überhaupt, dann schade ich den Menschen. Aber auf keinen Fall würde sie so etwas tun, dafür sorgt sie sich viel zu sehr und schenkt mir eine besondere Aufmerksamkeit, die mich einerseits verängstigte und zeitgleich enorm glücklich machte. Dieses Wechselbad der Gefühle ist einfach anstrengend, aber in diesem Moment wollte ich auch nicht darauf verzichten.
„Willst du noch etwas wissen?“, erkundigte sich Jenny flüsternd.
Ich deutete auf die Filme und die noch gut gefüllten Snackschalen und Getränke. „Wir haben noch ein gutes Stück Arbeit vor uns.“
„Das stimmt, aber schaffen wir das denn heute noch? Immerhin ist es schon halb zehn und irgendwann musst du mich auch mal nach Hause schicken“, lachte sie.
Es überkam mich eine Idee die total verrückt war, aber ich musste sie loswerden bevor der Mut mich im Stich lässt.
„Ich möchte eine letzte Aufgabe stellen. Diesmal wähle ich Pflicht“, entgegnete ich ihr entschlossen.
„Okay und was soll ich machen, Max?“, erwiderte sie überrascht und neugierig zugleich.
Ich deutete auf die Couch, die Filme und Snacks. „Du legst einen Film ein und wir schauen ihn gemeinsam, dabei werden die Snacks verputzt und wenn der Film vorbei ist legen wir den nächsten ein.“
„Das sind vier Filme. Natürlich würde ich sie gerne alle mit dir schauen, aber jeder Film geht ungefähr zwei Stunden“, erklärte sie.
„Ich weiß. Daher sollst du die Couch ausziehen und dann schauen wir alle Filme.“
Jenny schaute mich verwirrt an und kratzte sich dabei am Kinn. „Ich verstehe nicht ganz …“
„Du sollst die Couch ausziehen, damit wir die Filme schauen können und unser Halloweenfest einen passenden Abschluss findet“, ich schaute sie mit entschlossenem Blick an. „Daher lautet deine Pflichtaufgabe: BLEIB HEUTE HIER!“
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