Life is Strange - This is our Universe
von THELOKALWRITER
Kurzbeschreibung
Eine Entscheidung kann alles verändern. Als sich Max am 11. Oktober 2013 für ihre beste Freundin Chloe und gegen die Rettung ihrer Heimatstadt Arcadia Bay entscheidet, beginnt für die beiden jungen Frauen ein neues Abenteuer. Aber der Weg in ein neues Leben ist alles andere als einfach und bringt viele Herausforderungen mit sich. Begleitet Max und Chloe bei ihrer außergewöhnlichen und emotionalen Reise und erlebt selbst, wie stark das Band der Liebe sein kann.
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P18 / Mix
Chloe Price
Maxine "Max" Caulfield
OC (Own Character)
10.02.2022
27.02.2023
22
105.542
5
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Dieses Kapitel
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29.01.2023
5.353
Kapitel 18 - Etwas Krimi zum Frühstück
Max Caulfield
Seattle, WA - Samstag, 01. November 2015
Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal so ruhig geschlafen habe, ohne dass mich Albträume aus dem Schlaf gerissen haben. Generell war mein Schlaf seit Monaten nicht mehr so wie früher. Selbst mein neuer, engster Begleiter, die Selbstzweifel haben mich die Nacht über verschont und wenn man bedenkt, wie gut mein einstiger Lieblingsfeiertag Halloween gelaufen ist, dank Jenny, hätte ich wetten können, dass mich meine momentane Verfassung ordentlich in den Schwitzkasten nimmt.
Es war noch früh am Morgen, ein Blick aufs Handy verriet mir, dass es kurz vor acht Uhr gewesen ist. Obwohl wir erst vor etwas über vier Stunden ins Bett gegangen sind, fühlte ich mich erstaunlich ausgeruht. Der gestrige Tag, der bis in die frühen Morgenstunden ragte, hatte wohl eine regenerative Wirkung, oder mich nur in einen Rauschzustand versetzt, der bald mit einem Absturz endet.
Ich blieb noch eine gute viertel Stunde im Bett liegen, bevor ich mich auf leisen Sohlen aus meinem Zimmer wagte, um Jenny nicht zu wecken. Auf dem Weg ins Badezimmer ertönte leises Knuspern und Rascheln aus der Wohnküche, also beschloss ich meiner typischen Neugier nachzugeben und lugte vorsichtig ums Eck.
Mit leicht zerzausten Haaren, aber voller Eifer bereitete Jenny eine Kanne Pfefferminztee zu. Zwei Tassen standen ebenfalls schon bereit. Erstaunlich, wie schnell sie sich in meiner Küche zurechtgefunden hat. Entweder Glück oder ihr Gedächtnis samt Beobachtungsgabe sind eine einzige Rechenmaschine. Von der etwas wilden Frisur mal abgesehen, wirkte sie erstaunlich fit. Vermutlich hatte sie auch gut geschlafen.
Oder sie ist einfach nur ein geübter Frühaufsteher.
Ich schüttelte den Kopf, um den Wecker der Abteilung Zweifel zurück in den Sleep-Modus zu versetzen, dabei stieß ich mit der Schulter gegen den Türrahmen.
Autsch. Ich bin manchmal auch einfach ein Tollpatsch.
Jenny drehte sich zu mir um und begrüßte mich mit einem herzlichen Blick.
„Guten Morgen, Max, hoffentlich habe ich dich nicht geweckt. Hast du gut geschlafen?“, erkundigte sie sich mit sanfter Stimme.
Soll ich ehrlich sein oder zurückhaltender? Eigentlich sollte ich die Situation nutzen, dass die Abteilung Selbstzweifel gerade noch unbesetzt ist und…
„Guten Morgen Jenny, hast du nicht und ich habe bestens geschlafen. Nach so einem genialen Halloween Erlebnis sowieso“, schmunzelte ich wie fremdgesteuert. Das Grinsen eines Honigkuchenpferds wäre hier wohl noch untertrieben.
„Und du?“, fügte ich hastig hinzu.
Sie schnappte sich die Kanne und schenkte uns Tee ein, ohne dabei den Blick von mir abzuwenden. „Das freut mich. Ich habe geschlafen wie ein Stein, deine Couch ist verdammt bequem und ich konnte mich richtig ausstrecken.“
„Dann kannst du froh sein, dass du den Platz für dich allein hattest“, kicherte ich leise.
„Auf jeden Fall, wobei ich auch geteilt hätte“, zwinkerte sie und reichte mir eine dampfende Tasse wohlduftenden Pfefferminztee, sogar mit Zitronenscheibe.
Woher weiß sie das? Ich trinke meinen Pfefferminztee am Morgen seit Ewigkeiten mit Zitronenscheibe.
„Vielen Dank. Woher wusstest du davon?“, erkundigte ich mich überrascht und deutete auf den Tee.
Gespielt unwissend zuckte Jenny mit den Schultern und nippte an ihrem Tee. „Woher wusste ich was?“
„Tu nicht so. Du weißt genau, was ich meine“, erwiderte ich und bemühte mich um einen strengen Blick, um sie etwas aus der Fassung zu bringen.
Sie lehnte sich an den Küchenblock und musterte mich genau. „In deiner ersten Woche im Roccostrada hat Giuseppe dir sein Morgenritual Espresso mit geriebener Zitronenschale vorgestellt. Daraufhin hast du ihm geantwortet, dass Zitrone, in deinem Fall als Scheibe, auch ein fester Bestandteil deiner Morgenroutine ist. Der Rest war einfach, denn Pfefferminze ist offenkundig deine Lieblingssorte. Also Pfefferminze plus Zitrone gleich Max Morgenritual.“
Oh mein Gott. Die Frau hat ein verdammt gutes Gedächtnis. Von ihrer Beobachtungsgabe ganz zu schweigen. An das Gespräch erinnere ich mich nur vage und es ist knapp über 1 Jahr her.
„Liege ich, richtig?“, fügte sie schmunzelnd hinzu.
Ich nippte an meinem Tee und schürzte die Lippen. „Jap. Verdammt beeindruckend, dass du dir so etwas merkst und beobachtest.“
„Das nehme ich mal als Kompliment entgegen. Ich beschränke mich bei Dingen, die ich mir einpräge, vornehmlich auf die für mich wichtigen Momente“, antwortete sie dankend und schenkte dabei einen kurzen, aber intensiven Blick.
Etwas nervös und zugleich neugierig tippelte ich mit meinen Fingern auf der Teetasse herum. „Was sind denn für dich wichtige Momente?“
„Das bleibt vorerst mein Geheimnis“, erwiderte sie mit raus gestreckter Zunge.
„Dann muss ich wohl hartnäckiger werden und dich von nun an regelmäßig mit Nachfragen nerven“, kicherte ich.
„Du nervst mich nie, das zum einen und zum anderen begrüße ich Hartnäckigkeit, denn ich glaube fest daran, dass du das gut kannst.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Vielleicht, wir werden sehen. Aber wenn du zur Polizei gehst, willst du deine Fähigkeiten nicht auch dafür einsetzen?“
„Kein Vielleicht. Ich bin sicher, dass du hartnäckig sein kannst und noch vieles mehr“, mahnte sie mit erhobenem Finger. „Ich werde meine Fähigkeiten durchaus einsetzen, um die Arbeit ordentlich zu machen, aber anders als die mir persönlich wichtigen Dinge, werde ich versuchen Berufliches und Privates zu trennen. Gerade als Polizist sollte man das, immerhin nimmt man sowieso schon einiges mit nach Hause und das Privatleben dient für mich dazu abzuschalten, mich wohlzufühlen und nach einem harten Tag wieder ins Gleichgewicht zu kommen.“
„Ich bin mir sicher, dass dir das mit Bravour gelingen wird, denn du gehörst wohl zu den stärksten Persönlichkeiten, die ich kenne“, antwortete ich in der Hoffnung dabei nicht rot zu werden.
Jenny lächelte und hob die Tasse. „Das nehme ich erneut als Kompliment, vielen Dank. Ich werde mein Bestes geben. Allerdings sollte man sich bewusst sein, dass der Beruf des Polizeibeamten jeden Menschen belastet. Egal, wie stark er ist. Davor ist niemand sicher, auch ich nicht. Daher ist und wird mir der private Ausgleich immer heilig bleiben.“
Ich frage mich, wie ein privater Ausgleich für Jenny so aussieht?
„Das ist eine gute Einstellung. Ich habe zwar nicht viel Erfahrung mit dem Leben als Polizist, aber ich bin mir sicher, dass du es meistern wirst“, entgegnete ich entschlossen und deutete ihr, mit der Tasse empor darauf anzustoßen, was sie auch umgehend und mit einem dankbaren Blick erwiderte.
Die Zeit mit Jenny bei einer Tasse Tee, an einem Sonntagmorgen, zu einer Uhrzeit wo, die meisten noch im Bett liegen und schlafen hatte etwas Besonderes und verging wie im Flug. So ein gutes Gefühl hatte ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr und bevor ich meine negativen Gedanken frühzeitig aus dem Schlaf weckte, um die persönliche Hölle wieder aufzuheizen, fokussierte ich mich auf diesen besonderen Moment.
Als um halb zehn unsere gestellten Wecker bimmelten und die Sonne die Wohnküche mit Licht flutete, machte ich mich auf, um eine große Kanne von Giuseppes besten Kaffee aufzusetzen. Papa ist einfach süchtig nach dem Zeug und sein Grinsen, wenn er den ersten Schluck zu sich nimmt, ist einfach unbezahlbar. Während ich die Kaffeebohnen durch die Handmühle drehte, machte sich Jenny im Bad fertig. Anschließend zog ich mir ein dunkelblau kariertes Hemd und eine dunkle Jeans an, schnappte mir die große Kanne Kaffee und wartete im Flur darauf, mit Jenny zum Frühstück nach unten zu gehen.
Im Hausflur stiegen uns bereits der herrliche Duft von frischem Bacon, Pancakes und Brötchen in die Nase. Aus Dads Surround-Anlage ertönte Born in the U.S.A. von Bruce Springsteen, einer seiner liebsten Sänger. Mir gefällt die Musik aber auch und man kann festhalten, dass ich dank meiner Eltern einen ordentlichen Musikgeschmack vermittelt bekommen habe. Aus dem Augenwinkel konnte ich ein Schmunzeln und Jennys Kopf, der zum Takt des Songs mitwippte, erkennen. Ich konnte mir ein dezentes Grinsen nicht verkneifen, was ihrem aufmerksamen Wesen nicht entging.
„Was gibt es da zu grinsen?“, erkundigte Jenny sich und konnte nicht aufhören, mit dem Kopf umher zu wackeln.
„Du hast wohl richtig gute Laune und ausgezeichneten Musikgeschmack. Du und mein Dad werden bestimmt die dicksten Freunde“, gab ich trocken von mir und verdrehte dabei gespielt auffällig die Augen.
„Und? Bist du etwa eifersüchtig auf meinen zukünftigen besten Kumpel?“, lachte sie und pikte mich in die Seite, was ich wie von selbst erwiderte.
„Vielleicht“
„Außerdem nach so einem Wochenende und mit der Aussicht auf ein tolles Frühstück kann man doch nur gute Laune, oder nicht?“, stellte sie mit entschlossener Miene fest.
Sie hat schon recht, dieses Wochenende ist das Beste seit einer gefühlten Ewigkeit. Und der kleine gesunde Teil in mir will auch nicht, dass es aufhört.
„Ich stimme Ihren Ausführungen im vollen Umfang zu, Detective“, lächelte ich und hing wieder für einen kurzen Moment an ihren markanten Augen fest, was sie ohne etwas zu sagen erwiderte, ehe wir uns auf den Weg nach unten machten, um die Schlacht eines ausgiebigen Sonntagsfrühstückes bei den Caulfields zu schlagen.
Noch vor diesem Wochenende habe ich am Esstisch maximal auf Kaffee und meinen Smoothie zurückgegriffen, doch an diesen Tagen sind all diese selbst bestrafenden Maßnahmen eher unzuverlässig eingestellt und mir lief das Wasser im Mund zusammen bei all diesen Gerüchen. Zumindest für den Moment.
Der Tisch war bereits reichlich gedeckt mit allem, was das Herz begehrt und Jenny schien schon bei dem Anblick zu sabbern. Die Auswahl hatte beinahe etwas von einem fünf Sterne All-You-Can-Eat Buffet. Meine Eltern haben ordentlich aufgetischt. Vermutlich wollte mein Dad bei Jenny Eindruck schinden. Er ist einfach ein herzlicher Gastgeber, warum sollte er das auch nicht zeigen.
„Guten Morgen Ladys. Überpünktlich und mit frischem Kaffee, besser geht es nicht. Habt ihr gut geschlafen?“, erkundigte ich mein Dad grinsend und wendete die letzten Bacon-Streifen in der Pfanne.
„Guten Morgen, Mr. Caulfield. Ich habe geschlafen wie ein Stein und ich bin mir ziemlich sicher, das gilt auch für Max“, antwortete sie mit einem Augenzwinkern in meine Richtung.
Ich habe wirklich gut geschlafen. So gut wie lange nicht mehr.
„Morgen Dad. Ich kann ihr nur zustimmen“, bestätigte ich, wobei mich dabei ein Gefühl von Schuld bei den Haaren zog.
Warum zum Teufel fühle ich mich schlecht, weil ich gut geschlafen habe?
„Das hört ein Vater doch gerne“, kommentierte er zufrieden, den Finger auf die eigene Brust tippend. „Übrigens habe ich das Mr. Caulfield gerade überhört. Ryan bitte, sonst fühle ich mich so alt“, fügte Dad hinzu und fing dabei an zu lachen.
Jenny erlag sofort seiner ansteckenden Lache. „Mit Vergnügen. Ryan. Außerdem würde dich niemand alt schimpfen. Du gehst doch locker als 28 durch.“
„Siehst du kleines? Endlich jemand, der das genauso sieht wie ich“, bestätigte mein Dad das minimal übertriebene Kompliment von Jenny und deutete ihr ein High Five, das sie umgehend erwiderte.
„Können wir dir zur Hand gehen?“, platzte es zeitgleich aus uns beiden heraus, was direkt ein Kichern entlockte.
Meinem Vater blieb dies natürlich nicht unbemerkt, doch kommentierte es nicht mit Worten, sondern lächelte einfach nur. Ich denke, er war einfach froh, dass ich deutlich entspannter wirkte als in den ganzen Monaten zuvor. Wobei sich langsam die Zweifel ankündigten, doch zu dem Zeitpunkt konnte ich sie dank der positiven Energien vom Wochenende noch in Schach halten.
„Vielen Dank für das Hilfsangebot ihr beiden, aber es steht schon alles bereit. Ihr könnt gerne schon Kaffee einschenken.“
„Das machen wir. Wo ist eigentlich Mom?“, erkundigte ich mich und schaute mich fragend um.
„Sie duscht noch schnell. Ich habe sie schlafen lassen nach der anstrengenden Woche und dem langen Abend“, erklärte mein Vater, während er fingerfertig den Bacon aus der Bratpfanne fischte und auf einen Teller mit Küchenpapier zu einem Berg an Speck stapelte.
Gott sieht der Bacon gut aus. Vielen Dank Jenny, wegen dir geht meine Diät zum Teufel.
Wir setzten uns an unseren großen Esstisch in Vintage Optik. Meine Mutter hatte ihn ausgesucht und ich finde ich echt schön, wobei mein Vater seine Zeit brauchte, um ihn lieben zu lernen. Spätestens nach der ersten Pokerrunde mit seinen Freunden war er Feuer und Flamme mit dem guten Stück und poliert ihn seither mindestens einmal die Woche. Jenny hatte bereits Kaffee eingeschenkt und setzte sich auf den freien Platz neben mir und gemeinsam warteten wir auf meine Mutter.
Wir mussten nicht lange auf sie warten, ehe sie mit wuscheligem Haar vom föhnen und in einem bequemen, aber trotzdem wie immer hübschen Outfit zu uns kam.
„Guten Morgen, ihr Lieben. Das sieht fantastisch aus. Ihr habt euch richtig ins Zeug gelegt“, lächelte sie und gesellte sich zu uns.
Mein Dad beugte sich zu ihr und gab ihr einen dezenten Kuss auf die Wange. „Es soll uns doch gut gehen, außerdem weißt du doch wie gerne ich Bacon brate.“
„Besonders wenn wir Besuch haben“, grinste sie mit einem freundlichen Blick in Richtung Jenny.
„Vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich sehr darüber“, entgegnete Jenny bescheiden und mit ihrem typischen süßen Lächeln, was einem schon vom zuschauen Diabetes verpasst.
Ich sollte nicht so viel über so etwas nachdenken, denn das wird nicht gut ausgehen.
„Nichts zu Danken. Wir freuen uns immer über Besuch und bevor du es genauso versuchst wie bei mir: auf keinen Fall Mrs. Caulfield. Die einzige Ansprache, die akzeptiert wird, ist Vanessa“, klärte mein Dad entschlossen auf und wirkte dabei wie ein ziemlich schlechter Richter bei der Urteilsverkündung. Aber er hat einfach ein Talent dazu, Leute zu unterhalten.
„Ich werde es berücksichtigen“, stimmte Jenny nickend zu.
„Dann würde ich sagen, lassen wir es uns mal gut gehen, oder?“, fügte Dad hinzu und leckte sich dabei schon gierig die Lippen und wir beantworteten das mit einem gemeinsamen Angriff auf die unverschämt gute Auswahl an diversen Frühstücksleckereien.
Während dem Frühstück, welches wirklich sehr schön und vor allem delikat war, so viel wie an diesem Wochenende hatte ich seit einem gefühlten Jahrzehnt nicht gefuttert. Ganz zur sichtlichen Freude aller Anwesenden. Doch trotz der wundervollen Stimmung fühlte ich immer wieder dieses Gefühl von Scham und Schuld aufkeimen. Ersteres weil ich mich so an mein zurückgezogenes Leben und das Unterdrücken von einst geliebten Dingen zur Selbstbestrafung gewöhnt hatte und ich an diesem Wochenende komplett entgegengesetzt handelte, beinahe wie früher und zum anderen kamen noch Schuldgefühle dazu, meinen Eltern, Chloe und vor allem Jenny gegenüber. Gefühle, die mich daran erinnerten, dass ich potenzielles Unheil über jeden bringe, der sich zu lange mit mir abgibt und der mir etwas bedeutet. Es ist einfach erschreckend für mich darüber nachdenken zu müssen, zu wissen was mit mir nicht stimmt, aber dem ganzen hilflos ausgeliefert zu sein. Ich war doch früher nicht so. Natürlich habe ich auch meine Zweifel gehabt oder Dinge hinterfragt, aber mich niemals so schlecht behandelt, mir meine Hobbys oder Leidenschaften untersagt und den Kontakt zu Menschen unterdrückt. Doch jetzt, nach all den Monaten und den Dingen, die passiert sind, habe ich mich einfach daran gewöhnt. Man konnte fast meinen, es wäre meine neue Komfortzone geworden, nur mit negativem Vorzeichen. Gewohnheit ist eine treffende Definition des Ganzen, denn egal, ob man eine positive oder negative Gewohnheit pflegt, sobald man fest drinsteckt, ist es unendlich schwer auszubrechen. Was bei positiven Eigenschaften aber selten nötig ist. Bei Negativität aber umso mehr, denn sie geben dir diese zweifelhafte und gefährliche Bestätigung gerechtfertigt zu handeln und daran änderte zu der Zeit auch die gute Seite in mir nicht viel. Ich hasste mich umso mehr dafür, gerade in den Momenten wo ich auf das Licht in meinem Innersten höre. Ich sabotierte alles Gute, was passiert ist oder blockte es ab. Doch es ist förmlich zu meinem Mantra geworden, mich für das, was geschehen ist und was ich den Menschen um mich herum damit angetan habe, allein verantwortlich zu machen. Ich wünschte nur, ich könnte die wenigen Personen, die mir noch geblieben sind, vor mir schützen. Doch sie fühlen es scheinbar und bleiben daher ohne es anzusprechen an meiner Seite. Besonders Jenny und ich habe es wirklich versucht sie abzublocken und das ganze auf eine berufliche Ebene zu belassen. Doch sie ist kämpfte sich immer weiter vor, geradewegs bis zu den Toren meiner dicken Burgmauern, die ich um mich herum erbaut hatte. Ich hasste sie einerseits dafür, doch das richtige Gefühl wäre wohl eher Dankbarkeit dafür, dass sie etwas versuchte, was ich nicht verdiene. Zum Glück riss mich meine Mutter mit etwas Smalltalk zwischen ihr und Jenny aus meiner persönlichen Gedankenhölle.
„Also Jenny, ich hörte bereits du und Max arbeitet gemeinsam im Roccastrada und verzaubert dort eure Kundschaft. Wie lange arbeitest du schon dort?“, erkundigte ich meine Mutter, die Hände dabei um die Kaffeetasse geschlungen.
Lächelnd wandte Jenny sich ihr zu. „Wohl eher verzaubert Max die Kundschaft. Sie will es zwar nicht hören, aber einige Stammkunden kommen nur zu ihr. Ich habe ziemlich genau ein Jahr vor Max dort angefangen. Im September 2013.
Das stimmt. Wir haben im selben Monat angefangen, nur ein Jahr versetzt. Ihr Gedächtnis ist wirklich der Wahnsinn und auch etwas unheimlich. Von ihrem Kompliment mich betreffend ganz zu schweigen. Ich muss mich bemühen nicht rot wie eine Tomate zu werden.
„So ist sie unsere Max. Wobei ich sicher bin, auch du hast deine Stammkundschaft, denn bei euch beiden könnte ich mich kaum entscheiden, wer mir den Tag mit einem Kaffee versüßen darf“, fügte mein Dad grinsend hinzu. „Nicht böse sein, Kleines, du bist natürlich meine Nummer Eins“, ergänzte er rasch und setzte einen entschuldigenden Blick auf.
Ich streckte meinen Arm über den Tisch und strich kurz seine Hand. „Mach dir keine Sorgen, Dad, ich verstehe, was du meinst.“
„Außerdem würde ich auch nur bei Jenny bestellen wollen“, rutschte es mir aus und peinlich berührt schnappte ich mir mein Glas mit Orangensaft und kippte es runter.
Meine Mutter beobachtete das ganze Geschehen mit ihrem typisch analysierenden, aber zeitgleich warmherzigen Blick. Ich hoffte, Jenny nicht blamiert zu haben.
„Also halten wir fest, ihr zwei seit zweifelsohne das Dreamteam im Café. Machst du den Job nebenbei oder Vollzeit?“, erkundigte sich meine Mutter. Sie schien echt interessiert an Jenny zu sein. Kann ich ihr nicht verübeln.
„Das sind wir auf jeden Fall. Zu deiner Frage: Ich arbeite in einem Schichtmodell zwischen Teil- und Vollzeit. Ich studiere nebenbei von Zuhause aus an einer Fernuniversität Soziologie. Ich stehe bereits seit zwei Jahren auf der Warteliste für die Seattle Police Academy und möchte gerne vor Ort sein, wenn sie einen Platz für mich haben“, erklärte sie begeistert.
„Du möchtest also Polizistin werden. Das finde ich beeindruckend. Ist dein Studium dann so etwas wie ein Bonus für die Aufnahme? Ich hoffe nicht zu neugierig zu sein?“, fragte meine Mom mit leicht geröteten Wangen.
Jenny beantwortete die Nachfrage mit einem Lächeln. „Keine Sorge. Ich unterhalte mich gerne mit euch. Mich interessiert das Studium der Soziologie. Schon während der Highschool haben mich die Fächer interessiert und zur Polizei wollte ich damals schon. Also habe ich mich vor dem Abschluss an der Academy eingeschrieben und das Fernstudium begonnen. Ich möchte später nach der Pflichtdienstzeit im Streifendienst gerne Detective werden. In welchem Bereich überlege ich noch, allerdings hilft ein Studium dabei schneller weiterzukommen und die Lerninhalte des Studienganges lassen sich im Job gut einsetzen. Daher studieren viele Polizeianwärter, die gerne aufsteigen möchten, ähnliche Fächer, darunter Psychologie, Soziologie oder Wirtschaftswissenschaften. Wenn alles klappt, bin ich Ende nächsten Jahres mit dem Studium fertig und hoffentlich bekomme ich vorher schon einen Platz an der Academy.“
Es ist verdammt beeindruckend, wie zielstrebig Jenny ihrem Traum nachgeht. Das verlangt mir unendlich viel Respekt ab. Meine Eltern waren nicht weniger begeistert und hörten ihr mit voller Aufmerksamkeit und wie gebannt zu. Ihre Art zu fesseln wirkte also auch bei ihnen.
„Wir drücken dir die Daumen, dass du bald aufgenommen wirst und du wirst mit Sicherheit eine tolle Polizistin. Für so etwas habe ich einen guten Riecher“, entgegnete mein Vater ihr entschlossen entgegen und setzte seinen typisch charmantes Lächeln auf und Jenny bedankte sich bei den beiden.
Nachdem ich den letzten Schluck aus meiner Kaffeetasse genommen hatte, wandte ich mich Jenny zu. „Ich stimme ihnen zu und sagte bereits, dass ich fest davon überzeugt bin, dass du das schaffst. Außerdem hast du eine verdammt beeindruckende Beobachtungsgabe, von deinem Erinnerungsvermögen ganz zu schweigen.“
Bescheiden und etwas verlegen legte Jenny ihre Hand in den Nacken. Anscheinend habe ich sie gerade zum ersten Mal verlegen gemacht. Ein kleiner Erfolg.
„Eine gute Beobachtungsgabe ist eine sehr gute Fähigkeit und als angehende Gesetzeshüterin sowieso. Bestimmt analysierst du uns schon fleißig“, neckte sie meine Mom und legte die Hand liebevoll auf ihre.
„Möglich. Jedenfalls weiß ich schon ein paar Dinge“, grinste Jenny und irgendwie war es mir direkt klar, was nun folgt. Immerhin wusste sie vorhin auch wie ich meinen Tee trinke, ohne dass ich es bisher erwähnt hatte.
Neugierig hob mein Vater die Augenbrauen. „Echt? Dann erzähl mal.“
Das kann lustig werden. Lehnen wir uns mal zurück und schauen was passiert. Ein wenig Spaß, bevor es wieder den Bach heruntergeht, sollte noch erlaubt sein.
Jenny legte ihre Hand forschend ans Kinn. „Du hast auf jeden nicht das Brot aufgeschnitten.“
„Wie kommst du darauf? Mein Vater hat doch das Frühstück gemacht, während meine Mutter unter der Dusche stand?“, erkundigte ich mich gespielt unwissend.
„Die Schnittkante des Brotes. Sie ist leicht angeschrägt. Dein Vater ist Rechtshänder. Als er den Bacon gebraten hat, wechselte er den Pfannenwender immer direkt in die rechte Hand. Außerdem habe ich auf der Kommode im Flur ein Notizblock gesehen, wo der Stift auf der linken Seite lag und die Schrift nicht mit der von deinem Vater zusammenpasst. Schlussfolgerung, deine Mutter ist Linkshänderin und hat das Brot geschnitten bevor sie ins Bad ist“, erklärte Jenny entschlossen.
„Woher weißt du, wie meine Handschrift aussieht?“, harkte mein Vater nach und gab sich dabei wie ein Befragter beim Verhör. Wobei man ihm deutlich seine Verblüffung ansehen konnte.
Jenny deutete auf die Tageszeitung, wo eine Rabattaktion vom lokalen Baumarkt für Gartenzubehör angepriesen wird. „Du hast dort mehrere Artikel angekreuzt und mit der Anmerkung (für den Frühling) versehen. Definitiv eine andere Schrift als die von Vanessa und eindeutig von einem Rechtshänder“
Es vergingen einige Minuten, bis die verblüfften Gesichter meiner Eltern und die Kinnlage meines Vaters wieder zur Normalität zurückfanden. Ihre Gabe ist einfach beeindruckend aber sie beunruhigt mich auch zeitgleich, denn so wusste sie mit Sicherheit schon mehr über mich als gut für sie war. Nach ein paar Augenblicken des Schweigens platze die Begeisterung aus meiner Mom heraus, welche auch auf meinen Dad überschwappte.
„Das war verdammt beeindruckend. Jetzt brauchen wir nicht mehr jeden Dienstag CSI einzuschalten, wenn wir so etwas auch live erleben können“, klatschte meine Mutter.
Mein Vater legte sein Gesicht in die Hände und gab schließlich auch sein Statement ab. „Respekt wirklich. Es stimmt alles so wie du gesagt hast. Vielleicht sollte ich dich mal auf die Arbeit mitnehmen, um aufzuklären, wer gelegentlich mein Lunch aus dem Kühlschrank klaut. Den Chef zu bestehlen und dann auch noch das liebevoll zubereitete Essen der Frau ist ein Staatsverbrechen.“
„Klar, ich besuche dich mal und wir stellen den Lunch-Dieb“, schmunzelte Jenny und nippte an ihrem Saft.
Mein Dad schnappte sich die Zeitung und schlug sie auf. „Wenn wir schon einmal dabei sind, kann ich dich doch nach der Lösung für dieses Rätsel hier fragen. Normalerweise löse ich diese Sachen meist und jede Woche ist ein anderer Fall oder auch Kreuzworträtsel drin, aber das hier kommt mir merkwürdig vor.“
„Lies vor, dann schauen wir mal“, antwortete Jenny und rieb sich bereitwillig die Hände.
„Rätsel der Woche: In Frankreich wurde ein Mann mit einem Kassettenrekorder in der linken und einer Pistole in der rechten Hand tot in seiner Wohnung aufgefunden. Die ermittelnden Behörden stellten Selbstmord fest, da die Einschusswunde mit dem Winkel übereinstimmt. Vor Ort sichteten die Beamten den Rekorder. Als sie diesen abspielten, folgte sofort die folgende Aufnahme: ICH HABE NICHTS MEHR, WOFÜR ES SICH ZU LEBEN LOHNT. DIESE SCHULDEN BRINGEN MICH UM UND ES GIBT KEINEN AUSWEG MEHR. ES TUT MIR SO LEID DOCH EIN NORMALER WEG RAUS AUS DIESER SACHE IST UNMÖGLICH. Die Aufnahme wurde von einem lauten Knall beendet.
Wie lautet die Lösung für diesen Fall, tragen Sie die Lösung in das Textfeld ein und erhalten Sie die Chance auf eins von 10 Thanksgiving Gourmet Paketen pünktlich vor den Feiertagen geliefert. Einsendeschluss ist der 04.11.2015.“
„Hast du eine Idee, Detective?“, fragte mein Vater verschmitzt in Richtung Jenny blickend die das Rätsel gerade musterte.
Jenny stand auf, ging um den Tisch herum zu meinem Vater und deutete mit dem Finger auf die Passage als der Rekorder abgespielt wurde. „Das war kein Selbstmord“, antwortete sie überzeugt.
„Wieso glaubst du das?“, erkundigte ich meine Mom.
„Relativ einfach, die Polizei hat sich zu sehr auf die Nachricht auf dem Rekorder, aber nicht mit dem Rekorder selbst beschäftigt. Denn als sie den Rekorder abspielten, folgte sofort die Nachricht so wie sie vom Opfer aufgenommen wurde. Kurz darauf der knall. Ich bezweifle das ein Toter den Rekorder zurückspulen kann und so dort liegt wie er aufgefunden wurde. Die Antwort ist eindeutig: Es war kein Selbstmord. Sondern Mord“, erklärte Jenny und strahlte dabei eine derartige Autorität und Erfahrung aus, wenn ich es nicht besser wüsste, konnte man meinen, sie wäre schon längst Polizistin.
„Ach du heile Filzlaus, darauf bin ich nicht gekommen, aber es macht durchaus Sinn. Was für ein dummer Mörder, der das Band auch noch zurückspult“, antwortete mein Vater und klatschte sich auf die Stirn, was Jenny mit einem Lacher beantwortete.
„Das kannst du laut sagen, sonst wäre es spannend geworden.“
Die Stimmung zwischen meinen Eltern und Jenny war so faszinierend, als wäre sie direkt in die Familie aufgenommen worden, sodass ich nicht viel dazu beitragen konnte, außer stillschweigend in Staunen zu verweilen.
Nach dem Frühstück deckten wir gemeinsam den Tisch ab. Jenny half meiner Mutter mit dem Einräumen der Spülmaschine und mein Vater und brachten gemeinsam den Müll raus und stellten die Abfalltonnen direkt an die Straße. Dabei konnte ich spüren, wie mein Vater mich gerne löchern würde, wie der Abend gelaufen ist, es aber noch nicht tat und stattdessen einfach nur da war und sein typisch warmherziges Lächeln auflegte. Was mir für den Moment auch ganz lieb war, obwohl der gesunde Teil in mir schon gerne mit ihm über die neue Situation und das, was mich belastet sprechen würde. Doch es ist wohl besser so.
Als wir zurückkamen, ging ich in den Keller, um Jennys gewaschene Tasche aus der Waschmaschine zu holen. Wieder in der Küche angekommen grinsten meine Mom und Jenny wie zwei Honigkuchenpferde und ich hatte keinen Schimmer, was das zu bedeuten hatte. Meine typische Neugier war wieder einmal geweckt worden und so erkundigte ich mich nach dem Grund für diese deutlich sichtbare Heiterkeit.
„Was grinst ihr beiden denn so?“
Jenny hob entschuldigend die Arme empor. „Nur zu meiner Verteidigung, ich habe nichts getan.“
„Wovon sprecht ihr?“, harkte ich neugierig nach.
Das Geschirrtuch über die Schulter werfend, wandte sich mir nun meine Mutter zu. „Nichts schlimmes Schätzchen. Jenny und ich haben uns lediglich gut unterhalten. Dabei kamen wir auf das Thema Feiertage und dass Thanksgiving vor der Tür steht. Dabei habe ich mich erkundigt, wie sie so die Feiertage verbringt.“
Verdammt ich weiß genau worauf das jetzt hinausläuft..
„Genau. Wir verspeisen unser Festessen schon Mittags, denn mein Vater hat meistens die Spätschicht an Feiertagen und meine Mutter leistet dann meiner Großmutter Gesellschaft. Somit haben wir trotz seiner Arbeitszeiten die Familienzeit vollends ausgefüllt“, erklärte Jenny, die Hände locker in den Gesäßtaschen ihrer Jeans verstaut.
Wieso finde ich diese Pose so faszinierend? Sicher, weil ich nicht mal ansatzweise so gut aussehen würde wie sie. Eher wie ein Esel, der mit den Hufen im Matsch feststeckt.
„Richtig und daher habe ich angeboten, dass sie sich gerne am Abend zu uns gesellen darf“, lächelte meine Mom und strich dezent über Jennys Schulter, die zuckersüß nickte.
Ich wusste es. Natürlich freue ich mich darüber, aber mein Plan sie zum Schutze von mir fernzuhalten wird so deutlich schwieriger, wenn sie jetzt auch schon meine Eltern auf ihrer Seite hat. Pokerface Caulfield, sofort! Lass dir keine Zweifel anmerken.
„Mir gefällt die Idee sehr gut. Das wird ein wundervoller Abend“, erwiderte ich bis über beide Ohren grinsend, während ich mich innerlich darüber ärgerte, dass meine aufrichtige Freude Jenny in meiner Nähe zu haben so deutlich hervorstach.
„Das wird phänomenal. Vanessa macht einen fantastischen Truthahn, dazu meine mit den besten Songs bestückte Musikauswahl und einen speziellen Rotwein, den ich nur an Thanksgiving aufmache. Du magst doch Rotwein, oder?“, erkundigte sich mein Dad.
„Zu einem guten Glas Wein sage ich nicht nein. Besonders nicht so in so schöner Gesellschaft. Ich freue mich schon sehr darauf. Vielen Dank für die Einladung“, erwiderte Jenny dankbar und die Vorfreude über das bevorstehende Feiertagsdiner stand ihr deutlich zu Gesicht. „Ich muss mich aber jetzt auf den Weg machen, denn ich habe meiner Mutter versprochen, ihr bei einem Auftrag in der Schneiderei auszuhelfen. Vielen Dank für das Frühstück und die Einladung“, ergänzte Jenny dankbar.
Nachdem sie von meiner Mom mit einer sanften Umarmung und meinem Dad mit einem altmodischen und typischen Dad Handkuss, den sie offensichtlich mochte, verabschiedet wurde, gingen wir nach oben in meine Wohnung. Dort half ich Ihr beim Zusammenpacken der Halloween-Accessoires und bemerkte, dass die Fensterscheibe, die gestern mit billigsten Halloweenblut beworfen wurde, wieder in vollem Glanz erstrahlte.
„Warst du das?“, fragte ich Jenny und zeigte auf die saubere Fensterscheibe.
„Hast mich erwischt. Ich empfand es als das Mindeste nach dem schönen Abend und dass du meine Tasche gewaschen hast“, erklärte sie leise und mit dankbarem Tonfall.
„Das hättest du aber nicht machen müssen. Ist doch selbstverständlich“, erwiderte ich ebenfalls leise und schaute sie dabei an.
Da war es wieder diese Harmonie, wenn sie in der Nähe ist, dieses Gefühl gerne Zeit mit ihr zu verbringen, obwohl sich meine dunkle Seite so sehr dagegen wehrte und das seitdem wir uns das erste Mal auf der Arbeit begegnet sind.
„Für mich ist es nicht selbstverständlich“, fügte sie hinzu. „Begleitest du mich noch nach draußen?“, fragte sie und schnappte sich ihre prallgefüllte Kostümtasche.
„Natürlich, kann ich dir etwas abnehmen?“
„Nein, das geht schon. Aber danke.“
An der Haustür angekommen, legte sie die Tasche noch einmal ab und drehte sich zu mir um. „Vielen Dank, dass du mich ausgehalten hast. Für den tollen und lustigen Abend und das leckere Frühstück, ich kann mich beinahe nach Hause rollen“, schmunzelte sie und rieb sich über den Bauch.
Sie und nach Hause rollen? Bei der umwerfenden Figur?
„Ich danke dir. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht und tut mir leid, wenn ich anfangs etwas abweisend wirkte. Hat nichts mit dir zu tun“, antwortete ich mit einem schüchternen und gleichzeitig verlegenden Lächeln.
„Alles in Ordnung. Wie ich bereits sagte, wenn du mich brauchst, bin ich für dich da. Ich mache dir keinen Druck. So etwas sollten Freunde auch nicht tun“, erklärte sie behutsam und schenkte mir einen verständnisvollen Blick.
Wir sind Freunde? Der Gedanke gefällt mir einerseits, aber andererseits tut etwas daran gewaltig weh.
„Danke schön. Das gilt aber auch für dich. Komm gut nach Hause und melde dich bitte, wenn du dort bist“, flüsterte ich ihr zu.
„Das mache ich.“
Nach einem Moment der Stille ergriff sie noch einmal das Wort. „Darf ich dich in den Arm nehmen? Wenn du nicht möchtest, ist das auch in Ordnung“, fragte sie leise, beinahe schüchtern nach. Ganz entgegen ihrer sonst so selbstbewussten Art.
Natürlich darfst du! Scheiß auf die Zweifel.
Ich nickte umgehend und wir zogen uns gemeinsam in die Arme. Es war ein so tröstendes Gefühl und ich erinnerte mich an unsere erste Umarmung heute Nacht. In diesem Moment dachte ich an nichts anderes.
„Sehen wir uns bald wieder?“, flüsterte ich ihr ins Ohr und war von meiner fordernden Anfrage selbst überrascht.
„Wenn du das möchtest, auf jeden Fall. Wir können uns später absprechen, wann es dir passt.“
„Das machen wir. Komm gut nach Hause“, antwortete ich ihr und wir lösten uns zaghaft aus der Umarmung.
Sie warf sich die Tasche über ihre Schultern, schenkte mir einen letzten Blick zum Abschied über ihre Schultern hinweg und machte sich durch, mit herbstlich gefärbten Bäumen bepflanzte Allee auf den Weg nach Hause.
Während mein Blick sie verfolgte, setzte ich mich auf die Treppe der Veranda und spürte, wie gut mir ihre Nähe tut. Mir war bewusst, dass ich schon bald wieder in alte Muster verfallen werde, gerade dann, wenn sie nicht in der Nähe ist, aber das wollte ich in diesem Moment überdenken, sondern einfach nur dankbar für dieses Wochenende sein. Das beste Wochenende seit einer sehr, sehr langen Zeit.
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