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Life is Strange - This is our Universe

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P18 / Mix
Chloe Price Maxine "Max" Caulfield OC (Own Character)
10.02.2022
27.02.2023
22
105.542
5
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11.09.2022 6.728
 
Kapitel 13 - Die Macht der stillen Momente

Chloe Price

London, UK - Samstag, 10. Oktober 2015


Der Regen hämmerte gegen die Fenster wie ein Dachdecker, der unter Zeitdruck seinen Auftrag beenden muss. Draußen ging die Welt unter, eindeutig und diesmal wohl endgültig. Man könnte meinen mir bereiten Stürme mittlerweile Angst, aber ich habe Schlimmeres erlebt, auch wenn dieses Unwetter hier definitiv auf dem zweiten Platz landete. Ich lag schon eine Ewigkeit auf dem Bett, tiefenentspannt und doch etwas in Gedanken versunken nach dem intensiven Nachmittag. Seitdem Lynn frühzeitig abhauen musste, ist nicht mehr viel passiert. Nach meinem Bier und einer Zigarette hab ich lediglich den Müll rausgebracht und wäre wegen der Sintflut beinahe abgesoffen. Seitdem lag ich auf meinem Bett und habe es auch nur verlassen, wenn meine Blase mich dazu zwang. Ein Blick auf mein Handy verriet mir, das es nach 22 Uhr gewesen ist, aber weil es den ganzen Tag lang durch das Unwetter finster blieb, fühlte sich der ganze Tag eher wie die Nacht an.
Das Telefonat mit Ryan und Vanessa wurde auf den kommenden Montag verlegt, weil die beiden einen Kurzurlaub übers Wochenende machten. Ich gönne es ihnen von Herzen und Entspannung, tut immer gut, denn sie arbeiten verdammt viel und bekommen trotzdem alles andere unter einen Hut, ohne dabei gestresst zu wirken. Das können nicht viele von sich behaupten. Jedenfalls war die Vorfreude auf unser Telefonat von beiden Seiten sehr groß und vielleicht würden wir auch die Videotelefonie nutzen, obwohl das nicht so meine Welt ist, aber für die beiden mache ich sehr gerne eine Ausnahme.

Die Blitze am Horizont drehten richtig auf, und obwohl es cool anzusehen war, hoffte ich das keiner davon in das Haus oder die Bäume unter meinen Fenstern einschlug, andernfalls geht mein nächster Flug nicht nach Seattle, sondern direkt ins Vorzimmer des Herren, um dort mal ein wenig auf den Putz zu hauen. Niemand zerstört meine Bäume oder meinen Palast, immerhin bin ich die Königin der Baumkronen. Den Titel habe ich mir gesichert und wenn jemand an meinem Hof Stress schiebt, dann bin ich das.
Obwohl es draußen nicht einmal 20 Grad waren, hatte ich das Gefühl zu schmelzen und dabei hatte ich nur noch ein Shirt und Shorts an. Vielleicht war das die Nachhitze von der Zeit mit Lynn oder mein Körper hat sich noch nicht an englische Biere gewöhnt und ich schwitze deswegen wie ein Schwein. Immer wenn ich das sage, fällt mir anschließend auf, wie dumm der Spruch eigentlich ist, denn Schweine schwitzen nicht einmal, aber egal es ist halt eine Redewendung. Wohlwissend, dass mir eine kalte Dusche nur vorübergehend Abkühlung bescheren würde, entschied ich mich trotzdem dafür und als ich gerade im Begriff war aufzustehen, piepte das Nachrichtensignal meines Handys auf.

Lynn: Hey Chloe auch noch wach? Bin endlich zu Hause und habe meine Oma wohlbehalten hergebracht. In der Innenstadt war die Hölle los wegen dem Wetter. Entschuldige noch mal, dass der Tag so abrupt endete. Ich wäre gerne bei dir geblieben.

Wenn sie sich noch mal entschuldigt, versohle ich ihr bei der nächsten Gelegenheit den Hintern und das würde mir sogar gefallen.

Chloe: Hey, ich bin so was von wach und wollte gerade unter der kalten Dusche verschwinden, weil mir scheiße warm ist. Es freut mich das es dir und deiner Großmutter gut geht. So, so wärst du das gerne?

PS: Entschuldige dich nie wieder für so etwas, sonst gibt es Ärger!

Lynn: Geht mir auch so. Keine Ahnung, vielleicht hat uns deine neue Lichterkette verstrahlt oder du hast ein aufheizendes Gemüt.
Und wenn ich Ärger provozieren möchte ;-)?
Natürlich! Ich hoffe, du meintest das ernst, als du sagtest, wir sehen uns SEHR bald wieder.

Ich brauche wirklich dringend eine Abkühlung. Flirten kann sie wirklich und macht mir ernsthaft Konkurrenz.

Chloe: Schieb die Schuld nicht auf mich. Du bist der aufheizende Part von uns gewesen und Ärger kannst du gerne haben.
Klar meinte ich das ernst. Ich stehe zu dem, was ich sage.

Lynn: Perfekt! Übrigens ….es tut mir leid, wenn ich an deinen Worten gezweifelt habe ;-)

Fuck, sie macht das absichtlich! Warte ab, du wirst so was von fällig sein, wenn wir uns wiedersehen. Darauf kannst du deinen Hintern verwetten.

Chloe: Ich mache keine leeren Versprechungen. Bei der nächsten Gelegenheit bist du fällig, denn Emoji und unnötige Entschuldigung bedeuten mächtigen Ärger.

Lynn: Das glaube ich dir gerne und den „Ärger“ kann ich kaum erwarten.

Chloe: Das werden wir dann sehen. Ich bin gleich wieder erreichbar, werde mich schnell abduschen.

Ich legte mein Handy auf den Nachttisch, schnappte mir ein frisches schwarz-weißes Tanktop, eine dunkelblaue luftige Jogginghose und verschwand im Badezimmer. Mit einem Wurf, bei dem selbst Michael Jordon zu seinen besten Zeiten neidisch geworden wäre, feuerte ich meine verschwitzten Klamotten in die Wäschetonne und stellte mich unter meine ebenerdige Regendusche. Es tat so verdammt gut, sich abzukühlen und meine Haut zischte beinahe fast wie ein Stück glühender Stahl, den man in ein Eimer Wasser eintaucht.
Ich weiß nicht genau, wie lange ich unter der Dusche stand, aber das war mir für den Moment auch ziemlich egal, denn ich hatte das bitternötig. Ich war versucht, an nichts zu denken, was meine Körperkerntemperatur weiter anheben würde, doch der Erfolg hielt sich in Grenzen, aber nach der Dusche fühlte ich mich zumindest oberflächlich abgekühlt. Besser als nichts, doch es kündigte sich ein weiteres Problem an – Hunger, großer Hunger, gigantischer Hunger.
Leider war ich nach dem Frühstück im Blackbird nicht mehr einkaufen und bei dem Wetter hatte ich keine große Hoffnung, einen geöffneten Lieferdienst zu finden.
Ich hatte jedoch keine Wahl, also schnappte ich mir mein Handy und suchte mir aus einer gigantischen Auswahl an Lieferdiensten den aus, der am nächsten dran war, um sicherzugehen, dass mein Essen und der Lieferant sicher hier ankommen würden. Die Wahl fiel auf eine große Pizza Spezial und eine Snackbox mit Fingerfood. Die Bestellbestätigung lies nicht lange auf sich warten und ein prüfender Blick nach draußen rang mir Respekt für den Lieferanten ab. Ich bin wirklich kein feiges Huhn, aber bei dem Wetter würde ich sogar aufpassen. Der Lieferant konnte sich schon auf ein ordentliches Trinkgeld freuen, sozusagen als Gefahrenzulage und der Rettung vor dem Verhungern. Nach meiner erfolgreichen Bestellung öffnete ich meine Nachrichten und natürlich hat Lynn geschrieben, während ich unter der Dusche stand.

Lynn: Bist du weggeschwommen oder verdampft? Ich muss mir doch keine Sorgen machen oder?

Chloe: Ich bin wieder zurück. Hat etwas gedauert, um die Kernschmelze zu verhindern. Mal sehen, wie lange die Abkühlung anhält.
Lynn: Sollte ich dich übrigens mit meinen Nachrichten nerven, dann sag es mir ruhig.
Chloe: Für diese Aussage wirst du am Montag eine extra Portion Ärger bekommen. Es gibt bestimmt Ecken im Unigebäude, wo dich niemand schreien hört. Haha.

Lynn: Ist das so?

Chloe: ABSOLUT!

Lynn: Ich hab nichts dagegen.

Chloe: Wir werden sehen, vielleicht rennst du auch einfach weg.
Lynn: Keine Chance. Die Herausforderung nehme ich gerne an.

Ich hätte unter der Dusche bleiben sollen. Wie kann eine Unterhaltung nur so aufheizend sein? Einfach nur krass.

Chloe: Ich bin bereit. Du weißt, wo ich bin.

Diese Frau macht mich einfach wahnsinnig. Zugegeben bin ich im Kern bei solchen Situationen schon immer ein wenig skeptisch gewesen, aber keinesfalls so wie Max. Okay, vielleicht war das etwas hart formuliert. Eine gesunde Skepsis ist nicht unbedingt falsch, aber ich gehöre einfach nicht zu der verklemmten Gattung Mensch, sondern gehe lieber mit offenen Augen durchs Leben, aber ich lasse mir keine Chance entgehen, etwas zu erleben, Spaß zu haben und Erfahrungen zu sammeln. Außerdem kenne ich mich bestens damit aus, wie man auf die Fresse fällt und danach wieder aufsteht. Das habe ich bereits ausgiebig geübt und sollte es wieder passieren, dann ist das so scheiß drauf. Die Chancen auf einen positiven Verlauf standen gut, der gute Start hier in London, die geniale Arbeitsstelle, meine coolen Arbeitskollegen, die Umgebung inklusive dem Blackbird und Lynn konnte man als vertrauenswürdige Zeugen vorladen. Für den Moment hatte ich aber genug von diesem Denkerscheiß und hoffte auf baldiges Eintreffen meiner Pizza, ansonsten hätte ich angefangen, meine neuen Kissen zu fressen.
Es schien, als wollte der Lieferdienst genau das verhindern, denn kurz darauf hörte ich ein Auto mit quietschenden Reifen vorfahren und kurz darauf klingelte es an meiner Tür. Ich betätigte den Türöffner und kramte in meiner Geldbörse nach dem Geld für das Essen und einem Scheinchen extra der versprochenen Gefahrenzulage. Im Treppenhaus ertönten bereits Schritte, die nach oben trappeln.

„Guten Abend. Wirklich eine coole Aktion, dass ihr trotz des Wetters liefert, wäre hier beinahe verhungert", entgegnete ich dankbar und drehte mich mit dem Geld in der Hand zur Tür, um.
Heilige Scheiße! Möge mich doch auf der Stelle der Blitz treffen. Also nicht wörtlich gemeint.
Keine Ahnung, wie bescheuert, überrascht, erfreut und zugleich schockiert ich geschaut haben muss, als ich in Lynns frech schmunzelndes Gesicht blickte.

„Sag mir bitte, dass du rein zufällig für den Pizzaservice arbeitest, um das miserable Gehalt der Universität aufzustocken“, bemerkte ich mit eindringlichem Blick. „Nicht Antworten, das war eine rhetorische Frage“, fügte ich frech hinzu.
„Hast du etwa ein Problem mit weiblichen Pizzaboten?“, antwortete sie schnippisch.
Verdammt. Ich hatte gehofft, sie etwas verunsichern zu können, aber sie ist schlagfertiger als ich dachte und nein, ich habe nichts gegen weibliche Pizzaboten, jedoch gegen eine so heiße Person, die einfach so vor meiner Tür steht und mein Essen in den Fingern hält.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und schenkte ihr einen strengen Blick. „Grundsätzlich nicht, aber selten bekommt man einen solch gut aussehenden Anblick geboten, wenn man sich eine Pizza bestellt.“
„Ansprechend? Du bist aber ganz schön oberflächlich“, tadelte sie, jedoch konnte man deutlich erkennen, dass es nur eine Floskel war, um mich zu provozieren, denn sie bemühte sich sehr, ihr Grinsen zu unterdrücken.
„Ich bin keineswegs oberflächlich. Allerdings hat jeder Mensch auch seine eigenen Präferenzen, nur viele trauen sich nicht das zuzugeben“, erwiderte ich gelassen und musterte sie gewollt auffällig.

Und da war sie wieder. Diese verdammt angenehme Stille, die sich den ganzen Tag zwischen unsere Gespräche schmiegte. Mit dem Unterschied, dass die Blicke noch einmal intensiver wurden. Einerseits wollte ich diesen Moment nicht unterbrechen, doch wenn wir weiter geschwiegen hätten, dann wäre sie gleich hier in meinem Flur fällig gewesen.

„Wo du schon einmal hier bist und mein Essen lieferst, möchtest du eintreten?“, bot ich ihr mit einer ausschweifend einladenden Handbewegung an.
Ein glückliches Lächeln legte sich über ihre Lippen und vermischte sich mit dem höllisch intensiven Blick. „Ich dachte schon, du fragst nie. Sehr gerne.“
„Wo ist eigentlich der Pizzabote“, fragte ich sie etwas verwirrt.
„Was? Ach so der Lieferant. Den habe ich schon großzügig bezahlt, einmal für die mutige Fahrt bei dem Wetter und weil er mir die Möglichkeit verschafft hat, dich zu überfallen“, erklärte sie mit einem sichtlich zufriedenen, fast teuflischen Grinsen.
„Kannst du etwa Gedanken lesen? Ich wollte ihm auch eine angemessene Gefahrenzulage geben. Doch nun ist der Lieferant weg, also bekommst du nun das Geld von mir“, erwiderte ich mit einem Schulterzucken und steckte ihr das Geld frech in die linke Hosentasche ihrer Jeans, obwohl diese vom Regen stark durchnässt war.
„Wag es dich mir…“
Ich unterbrach sie direkt mit einem drohenden Blick. „Sonst was?“

Als sich unsere Blicke erneut begegneten, hätte man sich mit viel Fantasie gut vorstellen können, wie Laserstrahlen aus unseren Augen schießen, die in der Mitte aufeinanderprallen und versuchen, den jeweils anderen zu durchbohren. Auch wenn wohl jeder von uns beiden diesen Kampf gerne gewonnen hätte, mussten wir uns nach einer gefühlten Ewigkeit des Blickkampfes mit einem Unentschieden zufriedengeben. Ich fühlte wieder dieses Prickeln und das meine Temperatur schnurstracks in kritische Höhen emporschnellte. Schweigend gingen wir ins Wohnzimmer und stellten den Pizzakarton und die Snackbox auf den Tisch. Nachdem ich, ohne mich vorher zu erkundigen, zwei eiskalte Guinness hinzustellte, bemerkte ich plötzlich Lynns verunsicherten Blick.

„Ist alles in Ordnung? Habe ich dich verschreckt?“, erkundigte ich mich mit ruhiger Stimme in der Hoffnung, nicht zu weit gegangen zu sein.
„Nein, nein, keine Sorge, ich bin etwas nass geworden, weil die Wartezeit ging bei dem Sturm nicht trocken an mir vorbei und ich möchte nichts nassmachen.“
Ich packte sie sanft am Oberarm, führte Sie in mein Schlafzimmer und öffnete den Kleiderschrank. „Klamotten habe ich genug. Such dir was aus und wenn du dich abtrocknen willst, das Bad ist gegenüber vom Schlafzimmer. Ich warte im Wohnzimmer auf dich.“
Über die Schulter hinweg schenkte sie mir einen zutiefst dankbaren Blick. Gleichzeitig konnte ich auch eine Art Verlangen darin erkennen, als ob sie sie nicht wollte, dass ich den Raum verlasse, das wollte ich auch nicht, allerdings hatte ich die Befürchtung, zu forsch zu wirken.
Schon klar, dass du das denkst Price, weil du total scharf auf sie bist.

Wenige Minuten später kam Lynn zurück. Sie entschied sich für eine knielange, dunkelgraue Jogginghose, die sich perfekt um ihre schlanken Beine schmiegte und ein dunkelblaues Tanktop. Letzteres wirkte wie eine zweite Haut auf ihrem umwerfenden Körper. Entweder geht sie oft trainieren oder ist wie ich mit dem Luxus gesegnet, alles essen zu können, ohne wirklich zuzunehmen und das bei moderatem Sportpensum. Ich mache zwar gerne Sport, aber halt nicht oft. Jedenfalls überkam mich das Gefühl, das sie sich absichtlich für ein hautenges Tanktop entschied, denn mein Kleiderschrank hatte auch mehr als genug an lockeren Shirts zu bieten. Andererseits könnte man dasselbe auch von mir behaupten, auch mein Top war nicht weniger locker, aber ich habe auch keinen Besuch erwartet, wobei ich mir schon gewünscht habe, sie bei zu haben, was tatsächlich in Erfüllung ging. Mich überkam der Gedanke, ob Lynn Gedanken lesen kann. Nachdem ich selbst erlebt habe, wie Max die Macht der Zeitmanipulation beherrscht, war es absolut nicht unwahrscheinlich, dass Lynn auch eine besondere Fähigkeit besitzt. Andererseits ist ihr Verlangen, mich zu sehen, vielleicht ebenso hoch gewesen wie das meine und deswegen hat sie selbst das Unwetter nicht davon abgehalten, noch einmal vorbei zu kommen. Verrücktes Ding. Und genau diese verrückte Art, zusammen mit der besonderen Persönlichkeit hatten enormes Potenzial, mich um den Verstand zu bringen. Für den Moment versuchte ich das auszublenden und machte mich über das wohlduftende Abendessen her.  

„Du siehst toll aus und meine Klamotten stehen dir“, lächelte ich und musterte sie wieder.
Hat ja lange gehalten, dein Versuch, dich abzulenken Price.
„Danke, du bist zu charmant. Ich mag deinen Style und mir gefällt dein Top. Die Mischung aus Schwarz und den weißen Flanken hat was besonders“, erwiderte sie dankend und musterte sehr auffällig meinen Körper und mich.
Natürlich tut sie das …
„Danke, dein Stil ist aber auch cool und als Mafiabraut hast du richtig den Vogel abgeschossen. Zugegeben hat mir der Dresscode gut gefallen, auch wenn ich damit bisher kaum Berührungspunkte hatte“, erklärte ich grinsend und reichte ihr eine der kalten Guinnessflaschen.
„Kannst du Gedanken lesen?“, schmunzelte sie und schnappte sich voller Vorfreude das Bier.
Das Gleiche denke ich momentan von dir.
„Vermutlich und ein kaltes Bier ist genau das Richtige zur Pizza. Ich teile mein Essen selten, das tun wenige Raubtiere, aber bei dir mache ich eine seltene Ausnahme.“
„Ich weiß diese Ehre zu schätzen und ein Bier dazu ist wirklich genau das Richtige. Oder willst du mich abfüllen?“, erwiderte sie und ließ dabei ihre Finger forschend über ihr Kinn gleiten.
„Warum sollte ich das tun?“, antwortete ich fragend und öffnete den Pizzakarton und die Snackbox.
„Wer weiß. Vielleicht hast du böse Dinge vor, die mit Alkohol einfacher zu händeln sind.“
„Oder ich will dich unter Alkoholeinfluss setzen, damit ich ansehnlich und erträglicher werde“, antwortete ich gespielt unsicher.
Das war eine ungewohnt schwere Antwort, wenn es auch gespielt war. Denn ich habe mich nie als unansehnlich empfunden, natürlich hatte auch ich mal Tage, wo ich beinahe gekotzt hätte, als ich in den Spiegel geguckt hab, solche Tage sind aber normal, doch ich hatte einfach Lust darauf, Lynn ein wenig zu verwirren. Die Alternative wäre gewesen, dass sie mir mein Selbstvertrauen aberkennt und sich einen neuen Umgang sucht, aber das halte ich für unwahrscheinlich und so von ihr zu denken wäre schon etwas unfair, selbst für einen Teilzeitgrobian wie mich.
Ohne ein Wort zu sagen, stand Lynn auf, kam auf mich zu und boxte mir mit einer deutlichen Härte auf den Oberarm.
FUCK! Das tat echt weh und irgendwie auch gut. Sie kann ordentlich draufhauen.
„Hey, wofür war das denn? Hab doch nur einen Witz gerissen“, antwortete ich mit erhobenen Armen.
„Ich weiß aber irgendwie hatte ich das Bedürfnis, dich für dein Schauspiel zu hauen und das ich gerne provoziere, sollte dir mittlerweile bewusst sein“, funkelte sie und fing langsam an, über meinen Arm zu streicheln.
„Zugegeben mag ich deine Provokationen und umso härter wird das Echo. Glaub mir“, entgegnete ich mit entschlossenen Blick.
„Das glaube ich dir gern“, antwortete sie und strich mit ihren Fingerspitzen über mein Tattoo und schaute es sich genau an.
Mein Versuch, auf andere Gedanken zu kommen, war die reinste Luftnummer und wurde direkt wieder verworfen, als ich ihre Hand auf meinem Arm spürte. Ich versuchte es mir nicht anmerken zu lassen und genoss die Berührung still und heimlich.

„Dein Tattoo ist der Hammer. So fein und detailliert gestochen, die Farben haben einen wundervollen Verlauf. Das war definitiv ein guter Artist“, fügte sie hinzu.
Woher zum Teufel kennt sie sich damit aus? Hat sie etwa auch Tattoos? Am liebsten würde ich ihren ganzen Körper absuchen.
„Vielen Dank. Ich bin auch sehr zufrieden und es sieht noch aus wie am ersten Tag, obwohl es schon fünf Jahre alt ist“, erklärte ich sichtlich zufrieden. „Hast du auch Tattoos oder Ähnliches?“
„Bis auf meine Ohrringe habe ich keine weiteren Piercings bisher und Tattoos? Wer weiß. Versuch es doch rauszufinden.“, zischte sie fordernd.
Grinsend schob ich sie auf das Sofa zurück und setzte mich in meinen Sessel. „Gerne. Nachdem wir was gegessen haben, denn wenn ich hungrig bin, werde ich schnell zum Tier.“
Lynn erhob lächelnd ihre Flasche. „Dann auf eine wundervolle Fortsetzung unseres Tages und danke, dass du meine selbstständige Einladung akzeptiert hast“.
„Wie könnte ich dich nach so einem mutig-dreisten Überfall einfach vor die Tür setzen, außerdem hattest du mein Essen“, prostete ich grinsend zurück.
Wir besiegelten das mit einem kräftigen Schluck und machten uns über die Pizza und die Snacks her, was auch bitternötig und längst überfällig war, denn ich hatte total Kohldampf und mein Magen war kurz davor sich selbst zu verdauen. Während des Essens unterhielten wir uns über Musik, die Arbeit und unsere Leidenschaft für Film- und Serien. Eine schöne Unterhaltung, sehr locker und das totale Kontrastprogramm zum heutigen Nachmittag. Mich störte keins unserer bisherigen Gespräche, auch wenn viele der Erinnerungen alte Wunden aufrissen, verspürte ich bei Lynn ein großes Maß an Vertrauen und es tat zugegebenermaßen verdammt gut, über die Vergangenheit zu reden, auch wenn sie noch nicht alle Passagen aus meinem Leben kennt. Außerdem freute ich mich schon darauf, mehr über ihr Leben zu erfahren, denn dort gab es wohl noch einiges zu entdecken.
Nachdem wir gegessen hatten, räumte ich den Tisch frei und holte eine zweite Runde Guinness, die wir direkt öffneten und gemeinsam vernichteten. Die Blicke während unseres Gesprächs wurden immer intensiver und es lag definitiv nicht nur am Alkohol, denn ihre Blicke konnten schon heute Nachmittag einen Waldbrand entfachen und da war sie noch stocknüchtern, hoffte ich zumindest. Als ich gerade das nächste Bier holen wollte, stand Lynn auf und holte selbst Nachschub. Dabei hatte ich die Gelegenheit, sie erneut zu bewundern. Mit Anbruch der dritten Flasche setzte ich mich nun auch zu ihr auf die Couch, nur eine ausgestreckte Armlänge entfernt. Ein fragender Blick trat aus ihren Augen hervor und sie stütze den Kopf auf ihrem angewinkelten Arm ab.
„Darf ich dich etwas fragen, Chloe?“
Neugierig bediente ich ihren Blick. „Natürlich schieß los.“
„Nachdem du mir den ersten Teil deiner Geschichte anvertraut hast, habe ich nachgedacht und finde es nur fair, wenn ich dir auch etwas von mir erzähle. Aber nur wenn du möchtest, denn ich habe nicht vor, die Stimmung zu ruinieren“, antwortete sie.
„Keine Sorge. Die Stimmung kann nichts ruinieren, auch wenn gewisse Themen hart für uns beide sind, machen sie uns zu dem, was wir sind. Ich will gerne mehr von dir erfahren und dich besser kennenlernen. Wir können auch quid pro quo spielen, was meinst du?“
Lynn zog fragend eine Augenbraue empor. „Wie meinst du das?“
„Ich sagte heute Mittag zwar, dass ich dir den Rest meiner Geschichte ein anderes Mal erzähle, aber warum lange warten und so können wir abwechselnd erzählen und vielleicht fällt das so etwas leichter?“, erklärte ich behutsam.
Ein zustimmendes Lächeln legte sich auf ihre Wangen. „Das ist eine gute Idee. Bin dabei. Wer fängt an?“
Einen kräftigen Schluck aus der Flasche nehmend, deutete ich ihr mit einem Nicken anzufangen.

„Wie ich heute Mittag erzählt hab, bin ich von einer Adoptivfamilie aufgenommen worden, als ich zwei Jahre alt war. Davor war ich in einem Heim untergebracht, wobei das eher eine Art Auffangstation war. Mein Vater erzählte mir, das er und Mom mich durch Zufall im Garten der Einrichtung gesehen haben, dabei hätte ich wohl sehr traurig ausgesehen, wie ich im Sandkasten gesetzt wurde, ohne das sich jemand mit uns beschäftigt hat. Die beiden haben dann recherchiert und bei der Stadt einen Antrag auf Adoption gestellt. Nach einigen Prüfungsverfahren und einer Probezeit durfte ich dann kurz vor meinem dritten Geburtstag endgültig zu ihnen“, sichtlich dankbar und glücklich, doch zeitgleich auch traurig durch diese negative Erfahrung in früher Kindheit erzählte sie mir ihre Geschichte.
„Deine Eltern sind wahre Helden. Aber es ist eine Schande, das der Staat ewig braucht, um eine Entscheidung zu treffen und anstatt fast ein Jahr lang deine Eltern zu überprüfen, ob sie geeignet sind, was sie auf jeden Fall sind, denn du bist wundervoll, hätten sie lieber die Einrichtung, in der du warst überprüfen sollen, denn die hätte es eher nötig gehabt. So was macht mich richtig wütend“, antwortete ich mit geballten Fäusten.
Sie schmunzelte über beide Ohren und ließ ihre Hand über meinen Unterarm gleiten. „Das ist lieb von dir. Sie sind auch meine ganz persönlichen Helden. Ich verstehe es aber auch nicht, warum es Eltern so schwer gemacht wird. Natürlich will man vermeiden, das Kinder nur wegen des Pflegegeldes aufgenommen werden und das ist auch gut so, aber das braucht aus meiner Sicht auch kein ganzes Jahr. Doch es soll in anderen Ländern nicht besser oder sogar noch Schlimmer sein.“
„Das kann ich mir gut vorstellen. Aber das Wichtigste ist, das deine Eltern es geschafft haben und du bei ihnen leben durftest. Scheiß auf die Bürokratie."
„Darauf kann ich nur sagen: Cheers und scheiß auf die Bürokratie“, grinste sie und wir prosteten uns zu.
Nach einem weiteren Moment der Stille, deren Auftritte immer zahlreicher wurden, was mir aber keineswegs unangenehm war, unterbrach Lynn die Fusion aus grauen und blauen Augen.
„Nun bist du an der Reihe, erzähl mir mehr.“
Ich spürte einen leichten Magenkrampf, denn nach dem Tod meines Vaters, der mir schon genug zusetzte, war noch lange nicht Schluss.
„Nun, als ich meine guten schulischen Noten und das Stipendium an der Blackhell nach dem Tod meines Vaters gegen die Wand gefahren habe, wollte ich mit Rachel abhauen. Wie gesagt an die Westküste Los Angeles unsicher machen. Sie wollte ihre fantastischen Schauspieltalente ausbauen und ein Filmstar werden und ich hätte in L.A. mit Sicherheit auch eine Beschäftigung gefunden. Mir war egal, was denn solange wir zusammenhielten, war alles andere unwichtig“, mit einem kräftigen Zug aus der Bierflasche versuchte ich meine Nerven etwas zu beruhigen.
Lynn ergriff meine freie Hand und drückte sie leicht. Genau wie heute Nachmittag und es beruhigte mich direkt hundertmal besser als das Bier. Das schmeckte aber trotzdem sehr gut.
„Warum ist euer Traum den geplatzt?“, erkundigte sie sich vorsichtig.
Jetzt gibt es keinen Weg zurück Price wieder einmal per Anhalter durch die Hölle.
„Rachel verschwand am 22. April 2013 ohne eine Spur. Keine Nachricht, keine SMS und kein Anhaltspunkt, wo sie abgeblieben ist. Ich fing an, ihre Familie, den Blackhell Camps und ganz Arcadia Bay zu befragen und auf links zu drehen, bestellte in einem Copyshop Hunderte von Vermisstenplakate und tapezierte damit jede freie Mauer der Stadt. Ohne Erfolg. Ich wollte nicht glauben, dass sie mich einfach so verlassen hat“, ich bemühte mich, meine Stimme aufrecht zu halten, einen Heulkrampf konnte ich in dem Moment nicht gebrauchen.
„Das würden nicht viele Menschen tun. Du hast nicht aufgegeben und weitergesucht. Eine Eigenschaft, die wirklich edel ist. Verstehe ich das richtig, dass ihr zwei ein Paar wart?“, fragte Lynn und hielt meine Hand weiterhin fest umschlossen.
Ein Entspannungsjoint wäre jetzt genial, aber das muss ich jetzt ohne durchhalten, immerhin weiß ich nicht, ob mein Besuch cool damit wäre, das muss ich noch rausfinden und ich will nicht, dass sie mich deswegen verlässt.
„Ich gebe Menschen, die mir etwas bedeuten, nicht so leicht auf, so wie der Großteil unserer Gesellschaft das schon tut. Nun, ob wir ein Paar waren, ist schwer zu beantworten. Ich habe sie geliebt, sehr sogar und wir hatten unsere Momente, wo wir einem Paar sehr ähnlich waren, doch unterm Strich war es mir dann wichtiger, generell an ihrer Seite zu sein, und sie gab mir auch immer das Gefühl, das es ihr ähnlich ergeht“, erklärte ich und spürte diese wundervolle Wärme zwischen unseren Händen. „Du bist dran“, ergänzte ich zügig.
„Kein Problem, der Abend ist noch jung und ich bekomme gleich noch die Möglichkeit, weiter zu erzählen. Sofern du mich nicht rauswerfen willst“, lächelte sie.
Dich rauswerfen? Bist du irre! Wenn es nach mir geht, will ich dich die ganze Nacht bei mir behalten.
„Wenn du darauf bestehst, fahre ich fort und ich schmeiße dich nicht raus. Du kannst bleiben, solange du willst. Ich bin eine Nachteule“, antwortete ich.
„Ich auch. Eine perfekte Kombination wir beide“, zwinkerte sie mir zu.

Nachdem ich einen Moment innehielt, führte ich meine Erzählung aus meiner persönlichen Zeit in der Hölle fort. „Es hat jedenfalls sechs Monate gedauert, bis die ersten kleinen Hinweise auftauchten. Zur gleichen Zeit kehrte meine beste Freundin aus Seattle zurück nach Arcadia Bay, um an der Blackwell ihren Abschluss zu machen.“
„Die Freundin aus Sandkastenzeiten, die kurz nach dem Tod deines Vaters nach Seattle ging, weil ihr Dad dort einen neuen Job hatte, richtig?“, fragte Lynn nach.
Ein gutes Gedächtnis hat sie auch noch. Was hat sie eigentlich nicht? Wo ist der Harken?
„Richtig, es war alles sehr intensiv die Suche nach Rachel und die Rückkehr von Max. Jedenfalls haben wir uns wieder angenähert und unsere Freundschaft reaktiviert. Ich war natürlich froh, dass sie wieder zurückgekommen war, auch wenn Verärgerung über den fünfjährigen Kontaktabbruch zu Anfang dominierte. Gemeinsam haben wir dann nach Hinweisen gesucht und kamen Rachels Spur immer näher“, antwortete ich und spürte die Nervosität in mir wachsen.
Jetzt schnall dich an Lynn, der „beste“ Teil kommt noch.

Ihre Hand umhüllte die meine ohne Unterbrechung, was mir enorm geholfen hat, die Geschichte zu erzählen, was echt nicht leicht war, selbst für jemanden wie mich. Immerhin kannte die gesamte Story bisher niemand außer David, Max und ihre Eltern. Während ihr Daumen meinen Handrücken auf und ab fuhr, setzte ich zum Finale an.

„Als wir endlich die finalen Beweise hatten, die auf eine reiche Familie und deren verwöhnten Bengel und Psychopathen zurückführten, fanden wir auch Rachel“, bei der Beendigung des Satzes brach meine Stimme ungewollt weg.
„Hey, du musst nicht weiterreden. Wir können auch eine Pause machen“, fügte Lynn mit sanfter Stimme hinzu und schenkte mir einen warmen Blick.
Ich sammelte und räusperte mich kurz. „Schon gut, ich möchte das jetzt durchziehen. Wir fanden Rachels Leiche auf dem Schrottplatz vergraben, an dem wir uns immer heimlich getroffen hatten und wo auch Max und ich unsere Vorgehen bei der Suche planten. Sie war schon eine Ewigkeit Tod. Vermutlich schon während meiner unserer gesamten Zeit der Recherche.“
Ich konnte erkennen, wie Lynn langsam blass wurde. Mir wird es sicherlich nicht anders ergangen sein, diese Bilder und Erinnerungen waren einfach die blanke Begegnung mit dem Teufel und ich war wieder einmal unbewaffnet. Doch ich musste mich dem stellen und endlich jemanden davon erzählen, der nicht dabei war oder zu meiner Familie gehörte.
„Kurz bevor Arcadia Bay durch einen Tornado zerstört wurde, dabei ist auch meine Mom gestorben und deswegen steht die Blackhell auch nicht mehr, fanden wir auch noch heraus, dass der feine Mark Jefferson der Drahtzieher hinter Rachels Tod gewesen ist. Er und dieser reiche Bengel Nathan Prescott haben Mädchen entführt und sie unter Drogeneinfluss fotografiert für irgendein perverses Portfolio. Nathan hat Rachel leider eine Überdosis verpasst und sie so unbeabsichtigt getötet. Was mir aber egal ist, er ist und bleibt ihr Mörder. Genau wie Jefferson.“
Mit nach wie vor geschocktem Blick schaute Lynn mich an. „Das erklärt auch, warum du so hasserfüllt reagiert hast, als heute Mittag sein Name gefallen ist. Das tut mir alles so unendlich leid, Chloe, ehrlich. Dafür gibt es eigentlich keine Worte. Auch das deine Mom gestorben ist und deine Heimatstadt verwüstet wurde, davon habe ich sogar etwas gelesen, doch das genaue Ausmaß war mir natürlich nicht bewusst.“
Sie zog meine Hand zu sich und drückte ihr einen zärtlichen Kuss auf. Das kam so was von spontan, aber erfüllte mich mit einem so verdammt guten Gefühl, innerlich kribbelte es wie verrückt und trotz dieser extrem schmerzhaften Reise in die Vergangenheit wollte ich ihr mit jeder Sekunde, an der wir zusammen waren, näher kommen. Ein Teil von mir wollte in diesem Moment trotz meiner verschrobenen Einstellung zur Offenbarung von Gefühlen einfach nur weinen, aber ich konnte es nicht. Ich musste das einfach noch lernen. So beschloss ich, die Geschichte zu beenden und ihr das Ruder zu übergeben.

„Danke dir. Es ist einfach ein Teil meiner Vergangenheit und vom ersten Moment an, als wir uns unterhalten haben, hatte ich das Gefühl von Vertrauen und deswegen wollte ich es dir erzählen, auch um mich besser zu verstehen, warum ich so bin. Na ja, jedenfalls wurde Jefferson in den Knast gesteckt, leider hat man ihm keinen Kopfschuss verpasst und Nathan wurde zuvor von ihm getötet. Er dachte wohl ungeschoren davon zu kommen, wenn alle Zeugen eliminiert wurden. Falsch gedacht. Nach der ganzen Sache sind Max und ich nach Seattle gegangen, haben unsere zerstörte Heimat hinter uns gelassen und wurden von ihren Eltern aufgenommen“, erklärte ich sichtlich erleichtert, obwohl das nicht alles gewesen ist.
„Es freut mich sehr, das ihr nach dem ganzen Schock ein neues Zuhause gefunden habt. Ist eigentlich bekannt, wie es zu dem Tornado gekommen ist und habt ihr noch Kontakt, also du und Max?“
Ich kann ihr auf keinen Fall die Wahrheit sagen. Das würde sie mir niemals glauben, dass meine beste Freundin die Superkraft besitzt, die Zeit zu manipulieren, ich mehrmals gestorben bin und der Sturm mehr oder weniger durch ihre Kraft und meinen verhinderten Tod ausgelöst wurde, sie wird dich für verrückt erklären.
„Leider nicht, aber es wird vermutet, dass es sich um eine seltene Naturkatastrophe handelte. Sehr selten für die Region, aber nicht unwahrscheinlich“, erklärte ich rasch. „Max und ich haben natürlich noch Kontakt“, ergänzte ich, wohlwissend, das dies auch eine glatte Lüge gewesen ist.

Ich wollte für den Moment einfach keine weiteren Wunden mehr aufreißen und den Großteil der Geschichte kennt sie jetzt auch. Das sollte genügen, denn alles Weitere würde nur dafür sorgen, dass sie mich für eine Spinnerin hält und womöglich nicht mehr sehen will. Was ich sogar nachvollziehen könnte, denn ich selbst glaube es manchmal immer noch nicht ganz, obwohl ich hautnah dabei war.

Lynn verschränkte die Finger in meine und schenkte mir wieder diesen herzlichen, wunderschönen und doch mysteriösen Blick. „Ich danke dir von Herzen, dass du mir vertraust und deine Geschichte erzählt hast. Das weiß ich sehr zu schätzen und hab keine Angst, was man mir erzählt, behalte ich für mich. Versprochen.“
„Kein Problem. Ich glaube dir und wie bereits gesagt, wenn es nicht so ist, dann bewerfe ich dich mit faulen Eiern“, lachte ich.
„Das darfst du dann auch, aber keine Sorge. Dazu kommt es nicht“, sie erwiderte mein Lachen.
„Jetzt musst du mir noch deine Geschichte zu Ende erzählen“, bemerkte ich neugierig.
Sie lehnte sich zurück und schaute mich an. „Das mache ich gerne, aber viel zu erzählen gibt es nicht.“
„Aber es ist dein Leben und ich will es hören und mehr von dir wissen. Viel mehr“, raunte ich leise und entschlossen.
„Hat dein Leben den Platz dafür?“, antwortete sie.
Fragt sie gerade ernsthaft, ob in meinem Leben Platz für ihre Geschichte sei?
„Wie, meinst du das?“, gab ich irritiert von mir und runzelte die Stirn.
Sie legte den Kopf leicht schräg und ihre Augen leuchteten. „Ich weiß nicht, ob du Platz in deinem Leben für mich und meine Geschichte hast.“
Für mich und meine Geschichte. Betonung auf MICH. Fuck, anscheinend will sie mehr als nur flirten. Ich träume das doch gerade, oder?
„Wenn kein Platz dafür wäre, dann säßen wir nicht zusammen hier. Glaub mir“, entgegnete ich gelassen und entschlossen, obwohl ich innerlich hella nervös war.
„Natürlich glaube ich dir. Bekomme ich vorher noch was zu trinken?“, schmunzelte sie fordernd.
„Klar, was möchtest du haben? Bier oder etwas Stärkeres? Mein Stiefvater hat mir zum Einzug eine Flasche Gin ins Regal gestellt.“
„Gin wäre hervorragend. Außerdem trinke ich selten und wenn, dann möchte ich es auch genießen und auskosten“, grinste sie.
Dem kann ich nur zustimmen, Süße.  
„Verdammt richtig“, erwiderte ich und schnappte mir den Gin, ein paar Eiswürfel und passende Gläser.
„Leider habe ich kein Tonic Water und Gurke, aber ich denke, so geht es auch“, erklärte ich und schenkte die Drinks ein.
„Das ist in Ordnung“, kicherte sie und gemeinsam tranken wir unser erstes Glas. „Nachdem meine Eltern mich adoptierten, hatte ich eine wundervolle Kindheit. Wir lebten nicht in Reichtum, aber das war mir nie wichtig und uns mangelte es an nichts. Meine Eltern haben notfalls bei sich selbst zurückgesteckt, bevor es mir an etwas fehlte. In der Schule hatte ich einen glücklicherweise guten Freundeskreis und musste keine Mobbingerfahrung machen. Daher tut es mir leid, dass du es erleben musstest. Nach der Grundschule entdeckte ich den Schwimmsport für mich und das hat sich bis heute gehalten.“
Hab ich es doch gewusst, sie treibt Sport. Wie gerne würde ich sie im Wasser sehen.  
„Wie gesagt, deine Eltern sind einfach cool und schwimmen tu ich auch gerne. Vielleicht lerne ich sie mal kennen und wir gehen auch mal zusammen schwimmen“, lächelte ich entschlossen.
Hab ich das gerade echt vorgeschlagen? Also das ich ihre Eltern treffen möchte?
„Das würde mich freuen. Sehr sogar. Jedenfalls war nach meinem Schulabschluss die Frage, welchen Beruf ich gerne machen möchte und als ich mich für die Forschung und Wissenschaft entschied, schrieb ich mich am Imperial College, Cambridge und Oxford ein und habe während der Wartezeit in einem Kino und verschiedenen Restaurants gejobbt. Das hat auch Spaß gemacht. Am Ende habe ich mich aber für das Imperial hier in London entschieden, weil die Studiengebühren günstiger waren und ich nicht hätte umziehen müssen. Aber ich hatte die Zusage für alle drei Universitäten erhalten.“
„Respekt. Aber ich kann deine Entscheidung nachvollziehen und das Imperial ist doch auch super. Hast du den noch Kontakt zu deinen alten Schulfreunden und hast du eigentlich einen Freund oder Freundin“, erkundigte ich mich beiläufig.
Jetzt will ich es aber wirklich wissen und sichergehen das niemand dazwischenfunkt.
Es legte sich wieder dieses höllisch attraktive Lächeln auf ihr wundervolles Gesicht. „Das auf jeden Fall, ich bereue die Entscheidung auch nicht. Mit ein paar Freunden habe ich heute noch aktiv Kontakt und wir treffen uns hin und wieder. Einen Freund oder Freundin habe ich nicht mehr. Die letzte Beziehung ging nach meinem 18. Geburtstag zu Ende. Also vor zwei Jahren.“
Ausgezeichnet, also niemand der im Weg steht.  
„Dann sind das wirklich gute Freunde, wenn der Kontakt seit der Schulzeit aufrecht erhalten bleibt und Beziehungen zerbrechen leider, aber dafür öffnet sich immer eine andere Tür“, erwiderte ich mit einem Lächeln und schenkte uns ein weiteres Glas ein. „Wann hast du eigentlich Geburtstag?“
Ohne den Blick von mir zu abzuwenden, beantwortete sie meine Frage. „14 April 1995 und du?“
„11. März 1994“, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen.
„Das werde ich mir auf jeden Fall merken. Verlass dich drauf.“
Ich reichte ihr das frisch aufgefüllte Glas. „Gleichfalls.“

Wir gönnten uns einen kräftigen Schluck und ihre Augen funkelten im Blitzlicht des Unwetters, das durch die Fenster einbrach, auf. Ein wahnsinnig schöner und einzigartiger Anblick.
„Gibt es noch mehr über dich zu wissen?“, fragte ich neugierig nach.
„Das ist mein bisheriger Lebenslauf sehr ruhig bis auf die Tatsache, das ich adoptiert bin. Wenn du aber mehr wissen willst, kannst du mich jederzeit fragen. Aber weißt du, wonach mir gerade ist?“, antwortete sie leise.
„Wonach?“
„Musik und Tanzen“, forderte sie und zog mich an der Hand von der Couch. „Sie schnappte sich selbstverständlich die Fernbedienung meiner kleinen Soundbar, startete sie und bei ordentlicher Lautstärke ertönte natürlich meine Firewalk Playlist. Wie passend das ausgerechnet unser beider Lieblingsband zu hören war. Der ganze Tag verlief einfach zu gut, um wahr zu sein, doch ich war entschlossenen, jede einzelne Sekunde davon zu genießen.
„Perfekte Wahl würde ich sagen“, lobte ich zwinkernd und trank mein Glas auf ex aus.
„Darauf kannst du dich verlassen, bereit zu tanzen Chloe?“, hauchte und kippte ihr Glas ebenfalls mit einem Zug aus.
„Fuck Yeah“, platzte es aus mir heraus.

Zeitgleich zum Beat des ersten Songs tanzten wir wie wild herum und ich fühlte mich direkt wieder zurück in die Sägemühle von Arcadia Bay beim Firewalk Event zurückversetzt. Gemeinsam verwandelten wir mein Wohnzimmer in unser ganz privates Firewalk Konzert. Die treibende Musik mischte sich mit dem Blitz und Donner sowie dem Regen, der gegen meine Fensterscheiben peitschte. Mit jeder weiteren Minute in der Musik den Raum flutete, stieg mein Puls weiter an und zu keiner Zeit verloren unsere Blicke die Verbindung. Wir drehten uns im Kreis, drückten uns beim Refrain des Songs hin und her und bei den richtigen Passagen tanzte Lynn mit dem Rücken vor mir und ich stand dabei nah hinter ihr, dabei legte sie meine Hände auf ihre Hüften, an denen ich sie instinktiv und durch die Musik treibend führte.
Ich konnte ihr Parfum wahrnehmen, ihre Wärme spüren und sehen, das ihr mindestens so heiß war wie mir, denn ihre Stirn glänzte im Schein des dezenten Lichts des Raumes, und das lag definitiv nicht nur am Alkohol und der intensiven Tanzbewegungen. Als der Song noch einmal richtig aufdrehte und den Wechsel zum Nächsten einläutete, drehte sich Lynn zu mir und wir standen uns verdammt nahe, beinahe Nase an Nase. Meine Hände lagen noch immer an ihren Hüften und sie ließ ihre auf meine Schultern gleiten.
„Können wir das öfter machen?“, fragte Lynn völlig außer Atem.
„Zu Firewalk tanzen hier bei mir?“, antwortete ich nach Luft schnappend.
Sie nickte zustimmend und unsere Augen waren bereits unzertrennlich.
„Oh, ja, wir werden oft machen. Sehr oft. Das will ich schon, seitdem ich erfahren habe, dass du auch ein Fan der Band bist“, antwortete ich entschlossen. Denn ich wollte das wirklich.
„Weißt du, was ich noch will?“, flüsterte Lynn mit diesem höllisch anziehenden Tonfall.
„Hoffentlich dasselbe, was ich will“, antwortete ich herausfordernd.
Ich spürte, wie eine ihrer Hände sanft in meinen Nacken glitt.
Price, das ist dein persönliches Solo. Schnapp sie dir.
An ihren Hüften zog ich sie näher zu mir und ich spürte den schnellen Atem auf meinen Lippen und endlich küsste ich sie. In dem Moment explodierte meine innere Getränkedose, meine Körpertemperatur stieg ins unermessliche und mein angestautes Verlangen strömte nur so aus mir heraus. Wir verschmolzen in einem intensiven Kuss, der von ihr mindestens genauso verlangend erwidert wurde wie von mir. Meine Hände vergruben sich in ihren wunderschönen, langen schwarzen Haaren und die Mischung aus romantischer Fürsorge, höllisch aufgeheizter Stimmung und der Musik ergaben eine einmalige Mischung. Das Gefühl ihrer Lippen auf den meinen und ihren Händen auf meinem Rücken und Hals waren unbeschreiblich. Ich wollte gerade an nichts anderes denken, meine Vergangenheit, die frischen Wunden durch meine Erzählung, die Tatsache, das ich trotz eines genialen Neustarts hier in London meine Heimat und die Menschen dort vermisse und das ich mir wünschte Rachel, Mom und Dad wären noch hier, all das war mir gerade egal, denn ich wollte nur sie. Mit Lynn in meinen Armen, in einem hoffentlich niemals endenden leidenschaftlichen Kuss konnte ich alles einfach mal vergessen und selbst das von Gott gebastelte Unwetter wirkte in diesem Moment einfach nur mickrig, denn das, was ich gerade fühlte, konnte nichts und niemand zerstören. Keine Macht der Erde oder des Himmels.
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