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Life is Strange - This is our Universe

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P18 / Mix
Chloe Price Maxine "Max" Caulfield OC (Own Character)
10.02.2022
27.02.2023
22
105.542
5
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Dieses Kapitel
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04.09.2022 6.604
 
Kapitel 12 - Die Schönheit des Regens

Chloe Price

London, UK – Samstag, 10. Oktober 2015


Wer hätte gedacht, dass mich die Arbeit nach nur einer Woche zur Frühaufsteherin mutieren lässt und das, obwohl ich erst weit nach 01:00 Uhr in der Nacht und angetrunken ins Bett gefallen bin. Allerdings bei Weitem nicht so betrunken wie damals nach dem Firewalk Konzert oder der inoffiziellen Abschlussfeier ein paar Tage vor der Zeugnisverleihung an der University of Washington. In dem Fall würde ich jetzt wohl immer noch pennen. Trotzdem ein ungewohntes Gefühl, das ich bereits um kurz nach acht in der Früh am Küchentisch saß und an meinem Kaffeebecher nippte. Aber eines war mir von vornherein klar, wenn ich Bock habe lange zu schlafen, dann werde ich das auch tun. Zumindest an den Wochenenden oder im Urlaub. Der heftige Regen, der uns gestern glücklicherweise verschonte, kehrte zurück, um die Stadt wieder ordentlich durchzuspülen. Grundsätzlich stört mich das Wetter nicht. Auch wenn sich das Wetter gerade von seiner angepissten Seite zeigte, hat London wettertechnisch mit Sicherheit noch mehr auf dem Kasten. Zumindest kam ich schon in den Genuss einiger Sonnenstunden. Zugegeben hoffte ich auf gutes Wetter, um mal wieder auf dem Balkon abzuhängen, meine Bude ist der absolute Hammer, aber der Balkon ist das wahre Highlight. Der Wetterbericht meldete für die kommende Woche bestes Herbstwetter. Idealer Aussichten für lange Balkonaufenthalte zu jeder Tageszeit.
Ich hatte keine großen Pläne für den Tag, außer Ryan und Vanessa anzurufen und von meiner ersten ereignisreichen Woche zu berichten. Das musste aber noch etwas warten, denn durch die Zeitverschiebung von etwa acht Stunden zwischen London und Seattle, Washington war es dort gerade erst nach Mitternacht. Das Gefühl, in einer anderen Zeitzone zu leben ist schon ziemlich verrückt. Ich genehmigte mir erst einmal eine ausgiebige Dusche und warf mich in eine bequeme schwarze Jogginghose und ein Tanktop. Meine Optionen für den Tag waren sehr bescheiden. Wegen dem Regen wäre eine Stadterkundung sicherlich nicht so ideal, auch wenn mir Regen nichts ausmacht, wollte ich nicht klatschnass durch die Straßen latschen. Daher blieb mir wohl nur die Option mich weiter mit den letzten Kartons, die ich beim Aufstehen entdeckt habe, zu beschäftigen. Die Alternative bestand darin, einfach zu chillen und auf dem Sofa abzuhängen, aber das musste noch etwas warten, bis meine Bude eingerichtet ist.
Ich hatte echtes Glück, das David die Möbel vom Vormieter so krass runtergehandelt hat. Das Sofa und Sessel, der Esstisch, die Stühle, die große Wohnwand und der Wohnzimmertisch alles für knapp unter 400 Pfund. Entweder hatte es der Typ eilig, hier auszuziehen und keine Lust darauf Möbel zu schleppen oder seine Brieftasche ist sehr dick. Mir egal, jedenfalls sind das jetzt meine Sachen. Das Beste daran war aber, dass mir der Stil der Möbel total zusagt. Die Polstermöbel sind alle in einem sehr dunklen Orange gehalten, fast so wie die Flamme auf dem Firewalk Logo. Die Tische sind ein Mix aus schwarzen runden Metallbeinen und einer dunkelgrauen Platte. Die Stühle haben exakt den gleichen Stil und harmonierten auch perfekt mit der grau-schwarz-weißen farbenen Küche. Ich denke, das alles gehörte zu einer Serie oder Kollektion. Wie auch immer man das nennt. Weil die gesamte Wohnung in weiß gestrichen wurde, hatte ich unendliche viele Möglichkeiten, mich farblich auszutoben.
Ryan sagte immer, dass Weiß die perfekte Wandfarbe ist, denn so hat man die Freiheit, jegliche Farbe, die einem bei Möbel und Dekoration gefällt, auszuwählen und wenn das Verlangen nach mehr Farbe aufkommt, soll man eine Wand als Eyecatcher in der gewünschten Farbe anstreichen, somit vereint man Harmonie und persönlichen Stil. Er hat verdammt Recht damit und für seine Handwerker-Tipps bin ich ihm sehr dankbar. Man merkte einfach, dass er vom Fach ist. Mit dieser Erkenntnis machte es auch Sinn, warum mein altes Zimmer in Arcadia Bay trotz des dort herrschenden Chaos harmonisch wirkte. Zumindest farblich.

Nach kurzer Überlegung schnappte ich mir mein Handy und öffnete meine Liste, die ich bereits Anfang der Woche angelegt hatte und notierte noch ein paar Dinge, die gut zur Einrichtung passen könnten. Scheiß aufs Wetter. Wozu habe ich eine Regenjacke im Schrank und David hat mir einen seiner sehr stabilen und wasserfesten Rucksäcke der US-Army hier gelassen. Dort werde ich wohl einige Sachen sicher und trocken transportieren können. Nachdem ich mich angezogen habe, schnappte ich mir mein Zeug und machte mich auf den Weg zur U-Bahn Haltestelle am Blackbird. Idealerweise konnte ich mit derselben Bahn fahren, die ich auch für meinen Weg zur Arbeit nehme, laut Google Maps musste ich lediglich drei Stationen weiterfahren und dann etwa fünf Minuten laufen. Zum ersten Mal in dieser Woche konnte ich mich in der U-Bahn mal hinsetzen. Im Allgemeinen waren heute weniger Menschen auf den Straßen unterwegs, kein Wunder bei dem Wetter. Ich stöpselte mir meine Kopfhörer ein, startete die Playlist und drehte ordentlich auf.
An meiner Zielhaltestelle angekommen, zog ich mir die Kapuze über den Kopf und stiefelte mit geiler Musik auf den Ohren durch den Regen und erreichte wenig später das Einrichtungshaus. Nachdem ich mir einen Einkaufswagen schnappte, feuerte ich meinen Rucksack hinein und erkundete die Regallandschaft auf der Suche nach etwas Brauchbarem. Die Auswahl war doch mehr als krass, da sollte ich doch fündig werden. In der richtigen Abteilung angekommen, landeten die ersten Sachen von meiner Einkaufsliste im Einkaufswagen, darunter Teelichter im Vorratspack, ein Set mit Plastikschüssel in verschiedenen Größen und ein paar andere Küchengeräte, die mir noch fehlten. Ein paar Regale weiter wurde eine große Auswahl an künstlichen und echten Pflanzen angeboten. Hier wurde ich aber nicht fündig und Pflanzen besorge ich mir lieber an einem anderen Tag, denn im Rucksack würden die es niemals lebend zurückschaffen. Hinter der Blumenabteilung erwartete mich der rosarote Traum eines jeden fünfjährigen Mädchens. Die Kinderabteilung. Nichts gegen die Farbe, aber mir persönlich läuft es da eiskalt den Rücken hinunter. Ich stöberte noch etwas weiter und wurde erneut fündig. Direkt wanderte ein großer Bilderrahmen mit genug Platz für einige Foto im rustikalen Vintagedesign in den Einkaufswagen, gefolgt von einigen kleinen Rahmen für einzelne Bilder im selben Design, ein cooler Bullenschädel für die Wand, eine Lichterkette mit Farbwechselfunktion, ein paar Mehrfachsteckdosen und eine kleine digitale Schreibtafel mit Magnethalterung für den Kühlschrank, für Einkaufslisten und Termine, denn am Kühlschrank bin ich sowieso ständig, zum Glück sieht man mir das nicht an. Aber mit der Tafel leiste ich einen weiteren Teil zum Umweltschutz, wenn ich schon genug Papier verqualme, woran ich irgendwann mal arbeiten muss. Trotzdem werde ich ab und an Zettel schreiben, hat einfach etwas Klassisches. Auf dem Weg zur Kasse habe ich noch ein paar schwarze Decken und Kissen für die Couch eingepackt.
Der Kassenbereich wirkte auf mich eher wie eine Landesgrenze. Mindestens 20 Stationen, an denen man bezahlen konnte, dicht aneinandergereiht. Nachdem ich meine Ausbeute auf das Förderband der Kasse legte, zog der hoch motivierte Kassierer die Sachen mit einem Affenzahn über den Scanner. Für gerade einmal 100 Pfund eine ordentliche Ausbeute. Zum Glück konnte ich in den letzten Monaten genug Geld ansparen, um die Zeit bis zu meinem ersten Gehalt zu überbrücken, denn sonst hätte ich weder Geld für den ganzen Kram hier gehabt noch für den gestrigen Abend im Blackbird. Aber nächste Woche bekomme ich schon mein erstes Gehalt, worauf ich mich schon sehr freute. Hinter den Kassen gab es mehrere Stationen mit Tischen, an denen man seinen Einkauf in Ruhe einpacken und den Einkaufswagen zurückgeben konnte. Mit gepacktem Rucksack machte ich mich auf dem Weg nach draußen und der Regen hatte immer noch nicht nachgelassen. Im Gegenteil. Er wurde immer stärker, aber mich besiegt er nicht, also Kopfhörer rein, Kapuze auf und schnellen Schrittes zurück zur U-Bahn-Station. Mir gefällt die Fortbewegung mit der U-Bahn sehr gut. Keine stressige Parkplatzsuche, keine Spritkosten und man hat Bewegung. Natürlich vermisste ich meinen alten klapprigen Truck, aber bei Ryan und Vanessa ist er in guten Händen und sobald ich mal wieder in Seattle bin, werde ich eine ausgiebige Spritztour mit ihm starten. Als ich am Earls Court meiner Stammhaltestelle ausstieg, war es erst 11:00 Uhr am Vormittag, doch es fühlte sich wie ein später Abend an. Die Blitze stachen durch eine tiefschwarze Wolkenschicht und das Regenwasser plätscherte schon über die Stufen in den Underground hinab. Ich beschloss einen Halt im Blackbird zu machen, um einen Kaffee zu trinken und etwas zu trocknen.

Bis auf einen älteren Herren, der an einem Fensterplatz seinen Kaffee schlürfte und die Tageszeitung studierte, war im Pub noch nicht viel los. Ich hing meine tropfende Jacke an die Garderobe und ging mit meinem Rucksack zum Tresen, als Jeffrey aus der Küche stiefelte.
„Hey Chloe, vermisst du uns schon? Wie geht es dir?“, schmunzelte er und warf sich sein Geschirrtuch über die Schulter.
„Auf jeden Fall. Bestens und dir Jeffrey?“
„Ich kann nicht klagen. Erst recht nicht nach so einem fantastischen Abend. Ich bin zwar gewohnt, dass hier ausgezeichnete Stimmung herrscht, aber gestern Abend war noch einmal eine ganz andere Stufe. Möchtest du was trinken?“, erkundigte er sich fürsorglich.
„Eine Tasse Kaffee wäre genial“, antwortete ich und richtete dabei meine zerzausten Haare.
„Kein Problem. Kommt sofort. Ein Sandwich dabei? Heute haben wir Roastbeef-Sandwich auf der Karte“, fügte er grinsend hinzu und deutete auf die Tageskarte über dem Tresen.
„Kannst du Gedanken lesen? Immer her damit“, antwortete ich mir hungrig über die Lippen leckend.
Ich bin so was von verfressen. Aber kann man es mir bei dem Angebot verübeln?
Jeffrey stellte eine große Tasse unter den altmodischen, aber auf Hochglanz polierten Kaffeeautomaten und verschwand durch die Schwingtür in der Küche. Ich musste nicht lange auf meine Bestellung warten und mir wurde eine große Tasse Kaffee und das Sandwich serviert. Es roch fantastisch und sah hella gut aus. Bei dem Anblick lief mir sofort das Wasser im Mund zusammen. Saftiges Roastbeef mit Salat, Käse einer whiskeyfarbenden Soße umhüllt von einem rustikalen, definitiv selbst gebackenen Brot. Ich hätte es keine Sekunde länger mehr ausgehalten zu warten und machte mich über die Köstlichkeiten her. Es schmeckte fantastisch und der Kaffee tat nach der Wanderung im Regen richtig gut. Nachdem ich fertig war, räumte Jeffrey das Geschirr ab und sein zufriedener Gesichtsausdruck sagte wieder mal alles.
„Und? Es hat wohl geschmeckt“, stellte er mit einem breiten Lächeln fest.
Wollen wir doch einen finalen Test starten und sehen, ob wir auf derselben Welle surfen.
„Was? Nicht wirklich, aber Essen ist wie Treibstoff. Hauptsache, der Tank ist voll, sonst macht der Motor schlapp.“
Für einen Moment herrschte Stille zwischen uns und wir versuchten ernst und standhaft die Blicke aufrecht zu erhalten. Mehr oder weniger zeitgleich fingen wir an zu lachen und das bestätigte mir, dass Jeffrey ein kerniger und wirklich humorvoller Kerl ist. Kein Wunder, das sein Laden so gefragt ist. Das liegt definitiv nicht nur an der Stimmung und dem Ambiente.
Ich zückte einen Zehner aus meiner Tasche und legte ihn auf den Tresen. „Stimmt so. Wirklich köstlich. Wie immer. Dankeschön. Dir ist schon bewusst, dass du mich jetzt schon zu deiner Stammkundschaft zählen kannst, oder?“
„Ich hab zu danken. Das hoffe ich doch. Du passt gut hier her und das meine ich wirklich so. Deine Gruppe scheint das auch so zu sehen. Glaub mir, ich habe nach über 25 Jahren hinterm Tresen ein Auge dafür“, erklärte Jeffrey schmunzelnd, den Zehner dankend in die Höhe haltend.
„Darauf kannst du dich verlassen und natürlich passe ich gut hier rein. Ich bin doch umwerfend“, erwiderte ich grinsend und gespielt eingebildet.
„Ich mag deinen Humor und Offenheit. Dafür habe ich viel übrig“, antwortete Jeff.
Wir verabschiedeten uns in Vorfreude auf den kommenden Freitag, wobei ich nicht ausschließen konnte, schon vorher mal vorbeizuschauen. Zurück im strömenden Regen beschloss ich die letzten Minuten nach Hause zu rennen, dabei bemerkte ich erneut, wie schön es ist, dass mein Apartment in unmittelbarer Nähe zum Blackbird liegt. Auf der Fußmatte vor meiner Wohnung fand ich einen Brief mit meinem Namen in altmodischer Handschrift vor. Als ich meinen Rucksack in den Flur gestellt und meine klatschnasse Jacke in die Dusche gehängt hatte, öffnete ich den Brief.

„Liebe Chloe, ich wollte mich heute Morgen persönlich verabschieden, aber wir haben uns leider verpasst. Ich fahre für ein paar Tage zu meiner Schwester nach Canvey Island, also keine Sorge, wenn nichts von mir hörst und siehst.
Ich habe dir den neuen Abholplan der städtischen Müllabfuhr beigelegt.
Pass auf dich auf und ich freue mich auf unseren Tee.
Liebe Grüße Rosemary“


Meine Vermieterin ist wirklich cool, für eine alte Dame total locker und echt fürsorglich, auch wenn sie sich bei mir wirklich nicht abmelden braucht. Anfangs wirkte es etwas ungewöhnlich, dass nur Rosemary und ich in dem Haus wohnen und das Apartment unter mir leer steht, aber David erzählte mir am Tag seiner Abreise im Flughafencafé, das Rosemary das Apartment stets nur für Familie und Freunde bereitstellt, wenn sie zu Besuch in London sind. So ergab das Ganze für mich Sinn und hat einen glasklaren Vorteil: Keine Nachbarn, die sich beschweren könnten, wenn ich mal die Musik aufdrehe. Ich riss mir die klatschnassen Klamotten vom Leib, versank in meine bequemen Sachen von heute Morgen, schnappte mir den Rucksack und breitete die Ausbeute meiner Schatzsuche auf den Boden des Wohnzimmers aus.
Den Bullenkopf nagelte ich direkt über den Esstisch an die Wand. David hat mir dafür einen komplett ausgestatteten Werkzeugkasten mitgebracht, sehr praktisch. Die Schüsseln und übrigen Küchenutensilien verstaute ich in den Schränken, die digitale Schreibtafel klatschte ich an meinen Kühlschrank, die Teelichter in die Wohnwand und die Decken und Kissen breitete ich auf Sofa und Sessel aus.
Für die Bilderrahmen werde ich noch einen Platz finden, jedoch konnte ich mich einfach nicht entscheiden, wo die Lichterkette am besten passen würde. Über der Couch oder meinem Bett? Verdammt! Ich habe selten Probleme damit, mich zu entscheiden. Vielleicht sollte ich mir eine zweite Meinung einholen. In diesem "speziellen" Fall sicher keine schlechte Idee.

Chloe: (Bild) Lynn eine eilige Nachfrage: Lichterkette über dem Bett oder der Couch?

Lynn: Über dem Bett. Damit hinterlässt du auf jeden Fall Eindruck.

Wow, die Antwort kam aber schnell, als würde sie darauf warten, eine Nachricht von mir zu bekommen. Die Idee mit dem Bett gefällt mir gut, aber auf wen sollte das denn bitte Eindruck machen und warum zum Teufel bekomme ich das extreme Bedürfnis, sie auf der Stelle einzuladen?

Chloe: Danke, das werde ich tun. Hoffentlich falle ich nicht von der Leiter. Solltest du nichts mehr von mir hören, melde mich bitte am Montag krank.

Lynn: Ich wäre untröstlich, wenn du nicht zur Arbeit kommst. Ich könnte dir auch helfen. Auf dich aufpassen, damit du eben nicht von der Leiter fällst ;-).

FUCK! Meine unterschwellige Einladung hat tatsächlich funktioniert. Ich bin wirklich ein raffiniertes Biest, das muss ich schon zugeben. Dann wollen wir mal weiter auf unschuldig tun.

Chloe: Das ist wirklich nett von dir, aber ich würde niemals wollen, dass du deinen Samstag für mich opferst.

Lynn: Ich habe Lust auf deine Gesellschaft und du hast mir deine Wohnung gestern schon schmackhaft gemacht. Wenn du kalte Getränke anbieten kannst, bin ich in 30 Minuten bei dir.

Chloe: Wie könnte ich da Nein sagen. Meine Adresse lautet Courtfield Gardens 121A.

Lynn: Wehe, du hast keine kalten Getränke, dann werde ich böse.

Verdammt. Sie kommt wirklich. Mein Plan ist aufgegangen. Ihre Art gefällt mir. Wild, entschlossen aber doch herzlich.

Ich sollte mir wenigsten ein anderes Oberteil und Unterwäsche anziehen. Mit Tanktop und Jogginghose gibt man nicht gerade den besten Gastgeber ab, auch wenn es mir scheiß egal ist was andere Leute von mir denken, so habe ich doch noch einen gewissen Anspruch an mich selbst. Im Schlafzimmer griff ich nach einem schwarzen Firewalk Shirt, dass ich damals beim Konzert geklaut habe. Bei dem Gedanken, wie ich die Handbremse der Karre dieses glatzköpfigen Möchtegern Gangsters gelöst habe, um gratis an die Shirts zu kommen und sein Auto daraufhin aus der Scheue flog, musste ich direkt lachen. Der Gesichtsausdruck, als sein Schrottkübel eine Etage tiefer mit der Front im Dreck steckte, war einfach unbezahlbar und erfüllte mich ein wenig mit Schadenfreude.
Auf die Minute genau klingelte es eine halbe Stunde später an meiner Tür und ich betätigte den Türöffner. Wenige Augenblicke später stand Lynn gekleidet in einer dunkelroten Jacke mit Kapuze, einer dunkelgrauen Jeans und Chucks vor meiner Tür. Sie zog, ohne den Blick von mir abzuwenden, die Kapuze vom Kopf.
„Pünktlich auf die Minute. Beinahe gruselig und etwas verdächtig“, entgegnete ich ihr mit prüfendem Blick.
„Vielleicht saß ich schon die ganze Zeit in einem Auto vor dem Haus in der Hoffnung, dass du mich einlädst und bin daher so pünktlich“, erklärte sie.
Verdammt ist ihr Blick scharf. Das muss ich zugeben.
„Ich hätte es bei der Wahl meiner Stalker deutlich schlimmer treffen können, also kann ich damit leben“, erwiderte ich gelassen und deutete den Weg in mein Apartment.
Mit einem zufriedenen Lächeln betrag sie meine Wohnung und nachdem ich ihre Jacke an die Garderobe gehängt habe, gingen wir ins Wohnzimmer. Dabei konnte ich einen Blick auf ihr cooles Oberteil werfen. Eine Kombination aus Hemd und Kapuzenpullover. Es stand ihr wirklich verdammt gut.  
„Wow, deine Bude ist wirklich der Hammer und dann dieser geile Balkon. Du hast nicht zu viel versprochen. Du suchst nicht zufällig eine Mitbewohnerin?“, grinste sie.
„Wer weiß. Vielleicht. Ich mag meine Wohnung auch. Ein echter Glücksgriff“, antwortete ich zufrieden.
„Auf jeden Fall. Also, wenn du jemanden suchst, ruf mich an, denn hiermit, ich melde mein Erstlingsrecht an.“
„Erstlingsrecht?“, hakte ich neugierig nach.
Sie stemmte autoritär die Hände in die Hüften. „Ich habe direkt indirekt als Erste gefragt, ob du eine Mitbewohnerin suchst, also musst du mich als Erstes anrufen, wenn es wirklich so sein sollte, verstanden?“
Das hätte schon was mit ihr gemeinsam zu wohnen. Aber ich habe kein separates Zimmer. Wo würde sie also schlafen? Ich habe im Schlafzimmer noch Platz…Hör auf so schmutzig zu denken Price.
„Schon verstanden. Ich melde mich als Erstes bei dir“, beschwichtige ich sie mit erhobenen Händen, bemüht, mein Grinsen zu verbergen.

Sie neckte mich mit einem Stupser in die Seite. Ich deutete ihr es sich auf dem Sofa bequem zu machen. „Was möchtest du trinken? Ich habe Guinness, Limonaden in verschiedenen Sorten. Milch, wobei der für den Kaffee gedacht ist und Wasser.“
„Ich nehme fürs Erste eine Limonade, denn der Tag ist doch noch jung“, erwiderte sie wieder mit diesem entschlossenen Blick.
Dieser Blick sorgte dafür, dass es direkt in mir kribbelte, aber ich blieb cool, griff im Kühlschrank nach zwei eiskalten Flaschen Limonade und servierte ihr eine davon.
Lynn prostete mir zu. „Vielen Dank für die Einladung. So verbringt man den Samstag doch gerne.“
„Kein Thema. Ich hab zu danken, denn immerhin bekomme ich tatkräftige Unterstützung bei der komplexen Montage der Lichterkette“, antwortete ich zwinkernd und prostete ihr ebenfalls zu.
Wir genehmigten uns einen kräftigen Schluck der köstlichen, kühlen Limonade und Lynn wirkte sichtlich entspannt und machte es sich auf der Couch bequem.
Ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich sie musterte, wenn sie gerade nicht zu mir schaute. Das tat ich nicht, weil ich feige bin, sondern um ihr kein Anlass zu geben, schreiend aus meiner Wohnung zu laufen. Immerhin lernten wir uns gerade erst kennen, wobei es sich andererseits auch anfühlte, als würden wir uns schon deutlich langer kennen, aber ich wollte keine Energie mit irgendeinem Gedankenscheiß verschwenden, denn der Tag wurde von Minute zu Minute besser.

„Wie war dein Tag bisher, was hast du so getrieben?“, erkundigte sich Lynn.
„Nichts Besonderes. Ich war vorhin im Einrichtungshaus und hab bisschen Krempel gekauft, der mir noch fehlte und war im Blackbird frühstücken“, antwortete ich und genehmigte mir einen weiteren kräftigen Schluck.
„Bei dem Wetter? Du bist wirklich anpassungsfähig, das muss ich dir lassen“, kicherte Lynn.
„Ist doch nur Regen, wobei ich schon ganz schön feu… ähm nass wurde“, entgegnete ich lachend.
Sie schlug die Beine übereinander und breitete die Arme über die Kopfstützen der Couch aus. „Gut gerettet vor der Doppeldeutigkeit.“
„Doppeldeutigkeit? Ich weiß doch noch nicht, wie empfindlich du auf gewisse Formulierungen reagierst“, antwortete ich neckisch, die Hände hinter dem Kopf verschränkt.
„Du hast absolut recht, denn ich bin eine unschuldige Jungfrau, die bei der kleinsten nicht keuschen Formulierung direkt zur Beichte wackelt und zehn Ave Maria betet“, antwortete sie mit einem provozierenden, aber doch verschmitzten und höllisch anziehenden Lächeln.
„Du kannst gerne bei mir beichten.“
„Ich komme gerne darauf zurück“, flüsterte sie mir zu.
Während unserer Unterhaltung, durchzogen von Humor, Sarkasmus und einem ordentlichen Hauch von Flirt, wurde mir ziemlich warm und dabei haben wir noch nicht einmal etwas Alkoholisches getankt. Für mich war jedoch klar, wenn Lynn auch auf lange Sicht so bleibt, wie sie sich aktuell gibt, dann werden wir uns verdammt gut verstehen. Selten trifft man auf Personen, die bei meiner Art von Humor nicht heulend zur Türe hinausrennen. Krass, wie viele Weicheier es da draußen gibt. Ich möchte aber nicht zu fies sein, jeder Mensch ist in seiner Sensibilität mal lockerer oder auch empfindlicher eingestellt. Das wollte ich nicht direkt als Schwäche abstempeln, eher als Eigenschaft. Ich persönlich mag es einfach, wenn man nicht auf jedes einzelne Wort das man sagt achten muss. Das bereitet mir auf Dauer Kopfschmerzen und ich hasse Kopfschmerzen. Es reicht mir schon, wenn ich Katerkopfschmerzen bekomme.

„Sollen wir uns an die Arbeit machen?“, erkundigte sich Lynn und deutete auf die Lichterkette.
„Ich bin bereit“, antwortete ich und griff mir den kleinen Werkzeugkoffer aus dem Küchenschrank.
Im Schlafzimmer angekommen ebbte ihre Begeisterung für meine Wohnung nicht ab und sie war von dem Ausblick auf die dichten Bäume und dem großen Bett, das David mir gebaut hatte, direkt begeistert. Sie setzte sich auf die Bettkante und nickte zustimmend. Mir gefällt ihre offene Art, denn sie scheut es nicht zu zeigen, wenn ihr etwas gefällt. Wobei es schon mutig ist, sich einfach auf das Bett von jemanden zu setzen, ohne zu wissen, ob es dem Besitzer gefällt. Ihr Glück, das es mir absolut nichts ausmacht. Zumindest nicht bei ihr.
„Scheint bequem zu sein, oder?“, bemerkte ich grinsend.
Sie strich mit den Händen über die Bettdecke und nickte zustimmend. „Auf jeden Fall. Auch wenn ich versuche, es zu vermeiden, werde ich gerade ziemlich neidisch.“
„Du kannst dich nach getaner Arbeit hinlegen, wenn du willst, aber für den Moment schwing deine athletische Gestalt hier rüber“, antwortete ich fordernd und gespielt frech.
PRICE, du gibst aber ganz schön Gas. Entweder sie steht drauf oder sie haut gleich ab und erzählt allen, was du für eine aufdringliche Person bist. Scheiß drauf, dann ist das so. Wobei mir die erste Option natürlich besser gefallen würde.

„Zu Befehl, General Price“, antwortete sie hörig.
Bei der Antwort konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen, was Lynn sichtlich verwunderte.
„Warum lachst du?“
„Mein Stiefvater, er war bei der US-Army, wir sprechen uns gerne mit Dienstgraden an und ich nenne ihn General und er mich Sergeant oder Private, wenn er mich ärgern will."
„Ich nenne dich gerne General Price oder denke mir einen anderen Kosenamen für dich aus. Ich bin gerne kreativ“, entgegnete sie eifrig.
„Tu dir keinen Zwang an, solange es nicht etwas ist, wo selbst ein Einhorn rot anlaufen würde“, erwiderte ich mit angewidertem Gesichtsausdruck.
„Meinst so etwas wie: „Soll ich dir helfen, dein Shirt auszuziehen mein Pupsi“, antwortete sie mit einer gespielt übertriebenen, verniedlichten Stimme, wobei ihr Blick auch ziemlich entschlossen wirkte.
War das gerade ein echtes, unterschwelliges Angebot oder nur ein Beispiel? Das muss ich noch herausfinden. Hoffentlich bald.
„Oh nein! Bitte sag so etwas niemals“, erwiderte ich mit der Hand vor dem Mund, als müsste ich gleich kotzen.
Lynn beantwortete meine Darbietung mit einem lauten Lacher. „Geht klar, dann überlege ich mir in Ruhe angenehme Alternativen und jetzt lass uns endlich anfangen, sonst kann ich mich nie hinlegen.“
Ich stieg auf die Leiter und Lynn reichte mir die Lichterkette und Klebestreifen. Stück für Stück befestigten wir gemeinsam die Beleuchtung über dem Bett und steckte sie in einer freien Steckdose unter dem Bett ein.
Ich reichte Lynn grinsend die Fernbedienung an. „Du hast das hohe Privileg, die Lichterkette einzuweihen.“
Durch einen beherzten Knopfdruck tauchte Lynn den ganzen Raum in ein buntes Farbspektakel. Beim Anblick der Regenbogenfarben musste ich direkt an mein altes Zimmer in Arcadia Bay denken. Wir schauten uns sämtliche Farbmodi an und blieben am Ende bei einem dezent pulsierenden Gemisch aus Orange und Blau stehen.

„Ich würde sagen, das war gute Arbeit, oder?“
„Hell Yeah. Zu zweit ein Kinderspiel und ich bin nicht von der Leiter gefallen, dank dir.“
„Das ist auch gut so. Außerdem war es nett, dir zuzusehen.“
Hab ich es doch gewusst. Hat sie mir doch auf den Hintern geschaut, während ich die Lichterkette angeklebt habe.  
„Du Spannerin“, tadelte ich sie lachend.
Sich keiner Schuld bewusst hob sie ihre Hände empor. „Wieso Spannerin? Ich habe doch nur dein handwerkliches Geschick bewundert, denn ich hätte das vermutlich nicht geschafft.“
„Handwerkliches Geschick? So nennt man das also heute“, entgegnete ich mit strengen Blick.
„Ganz genau. Aber dein Hintern ist auch nicht schlecht“, flüsterte sie.
Ich zog meine linke Augenbraue skeptisch nach oben. „Guter Witz vor allem in einer Jogginghose.“
„Halt die Klappe! Selbst deine Jogginghose kann nicht kaschieren, was darunter verborgen liegt“, knurrte sie.
„Schon gut, dann nehme ich das als weiteres Kompliment entgegen, aber bitte friss mich nicht“, erwiderte ich beschwichtigend.
„Schade, dann muss ich mir wohl ein anderes Opfer suchen“, antwortete sie, leckte sich demonstrativ über die Lippen und ließ sich aufs Bett fallen. „Du hast gesagt, nach getaner Arbeit kann mich hinlegen, also tue ich das.“

Ich musste nicht lange überlegen, ob ich es ihr gleichtun soll und legte mich auf die andere Seite des Bettes. Unsere Beine ragten seitlich heraus und wir lagen beinahe Kopf an Kopf zusammen, wie ein großes V. Eine Zeit lang schwiegen wir und schauten auf die Lichter, die sich an der Wand mischten. Es war ein angenehmes Gefühl, etwas ungewohnt, aber verdammt entspannend und wieder lag dieses besondere Knistern in der Luft.

„Darf ich dich etwas fragen?“, erkundigte sich Lynn vorsichtig.
„Klar, wieso nicht?“
„So klar ist das nicht. Täusch dich nicht, auch wenn ich sehr offen bin, versuche ich nicht mit der Tür ins Haus zu fallen.“
Ich verschränkte meine Hände und legte sie auf meinen Bauch. „Das habe ich auch nicht von dir gedacht. Das ist eher mein Job. Also schieß los.“
„Wie bist du überhaupt dazu gekommen, nach London zu gehen? Das ist schon ein großer Schritt und du bist ziemlich weit weg von zu Hause“, erkundigte sie sich neugierig. „Es ist aber okay, wenn du nicht antworten möchtest“, fügte sie noch rasch hinzu.
Die Frage wirkt für ihre Verhältnisse ziemlich unsicher. Möchte sie einfach nicht aufdringlich erscheinen? Die Alternative wäre, dass sie als Spion für Austin arbeitet, mich aushorchen soll, damit der Mafiaboss mich am Ende zu den Fischen schicken kann. Warum zu Teufel denke ich gerade an den Kerl? Der letztere Gedanke ist definitiv ein Kandidat für die Mülltonne, also tippe ich auf die erste Option.  

„Keine große Sache. Ich habe an der University of Washington meinen Highschoolabschluss nachgeholt. Dort konnte man sich den Schwerpunkt aussuchen und wegen meiner passablen Noten hat mir der Stufenleiter geraten, mich am Imperial College für ein Praktikum zu bewerben, weil das eine der besten Universitäten für meinen Bereich ist und jetzt bin ich hier“, erklärte ich gelassen.
„Passable Noten? Das ist doch leicht untertrieben, oder? Kein Lehrer der Welt würde dir so eine Empfehlung aussprechen und sogar schriftlich ausstellen, wenn du nicht überragende Leistungen gezeigt hättest“, fügte sie feststellend hinzu.
„Erwischt. Ja, meine Noten waren sehr gut, aber ich hänge so was nicht an die große Glocke. Ich hatte halt schon immer Spaß an wissenschaftlichen Fächern wie Chemie, Naturwissenschaften oder Physik, aber wegen eines kleinen Durchhängers während meiner Zeit an der Highschool habe ich meinen Abschluss auf diesem Weg nachholen müssen.“
„Und warum hattest du … also die Idee an der Universität deinen Abschluss nachzuholen und nicht an einer klassischen Highschool?“
Ich bemerkte sofort, dass sie eigentlich wissen wollte, warum ich einen Durchhänger hatte. Mein Bauchgefühl vermittelte mir direkt das ich ihr vertrauen kann, und auf dieses Gefühl konnte ich mich bisher immer verlassen, auch wenn ein paar der Menschen, bei denen es auch so war, nicht mehr bei mir sind.
Ich drehte meinen Kopf zu ihr und schenkte ihr einen amüsierten Blick. „Du wolltest eigentlich wissen, warum ich einen Durchhänger hatte, richtig?“
Mit der Tür ins Haus fallen ist eindeutig meine Spezialität.
Lynn räusperte sich sichtlich ertappt. „Tut mir leid. Ich wollte keinen wunden Punkt treffen. Ich bin einfach neugierig, was du so erlebt hast.“
„Kein Grund, sich zu entschuldigen, mein Gefühl sagt mir, das ich dir vertrauen kann und ich täusche mich nie. Und sollte es doch so sein, dann ist meine Trefferquote immer noch anständig und ich kann dich mit faulen Eiern bewerfen“, kicherte ich und streckte ihr die Zunge raus.
„Du Quatschkopf. Natürlich kannst du mir vertrauen. Beruht außerdem auf Gegenseitigkeit, denn ich wäre jetzt nicht hier, wenn ich Zweifel an dir hätte“, erwiderte sie und bohrte mir ihrem Finger in die Seite, worauf ich kichernd zusammenzuckte.
„Okay. Zu deinen Fragen. Ich habe das Programm am College gewählt, weil der Abschluss dort in 18 Monaten nachgeholt werden konnte und weil das Programm zu der Zeit recht neu eingeführt wurde, kannte es kaum jemand und so gab es keine Wartezeit. An einer regulären Highschool hätte ich eben diese Wartezeit auf mich nehmen und die vollen zwei Jahre nachholen müssen. Natürlich war es etwas stressiger, wegen der kürzeren Zeit, aber das passte schon.“
„Clever. Die Mehrarbeit nimmt man aber sicher gerne in Kauf, wenn man dadurch schneller aus den Fängen der Schule befreit wird“, schmunzelte Lynn.
„Darauf kannst du Gift nehmen, auch wenn ich durch das Programm wieder Spaß am Lernen bekam, ist Schule grundsätzlich ätzend und hatte auch sein Gutes, jetzt bin ich hier und in meinem Arbeitsvertrag mit der Uni wurde mir in Aussicht gestellt, meinen Studienabschluss im Anschluss an das Praktikum neben dem Job in der Fakultät zu absolvieren“, erklärte ich mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck.

„Bedeutet das, du bleibst länger hier und fliegst im April nicht zurück nach Hause?“
„Wenn die Sesselwärmer aus dem Personalbüro mich nicht doch noch nach meinem Praktikum rauswerfen, ist das sehr wahrscheinlich“, erwiderte ich entschlossen.
Lynn drehte sich zu mir, strahlte über beide Ohren und legte ihre Hand auf meine. „DAS IST GROSSARTIG! Du passt einfach perfekt in das Team und auch wenn es verrückt klingt, weil wir uns noch nicht so lange kennen, ich mag dich sehr, du bist einfach du selbst und verstellst dich nicht wie die meisten, obwohl ich das Gefühl habe, das schon einiges erlebt hast.“
Mein Tag wird immer besser und besser und ihre Hand zu spüren tut unheimlich gut nach der ganzen Zeit, die hinter mir lag.
„Ich freue mich schon, euch weiterhin auf die Nerven zu gehen. Das kann ich gut“, erwiderte ich lächelnd und drückte dabei unterbewusst ihre Hand.
Wir verharrten einige Zeit und schauten uns einfach nur an, dabei konnte ich zum ersten Mal einen richtigen Blick in ihre Augen werfen. Sie waren dunkelgrau und wurden von einem feinen schwarzen Kreis eingerahmt. Ich habe schon viele schöne Augen gesehen, aber diese Farbe war einzigartig, sehr entspannend, warmherzig und doch etwas mysteriös.

„Du wolltest doch noch wissen, warum ich einen Durchhänger hatte und meinen Abschluss nachholen musste“, flüsterte ich und unterbrach den Moment der Stille.
Lynn nickte und schenkte mir ihre stille Bereitschaft zuzuhören.
„Wie du weißt, lebte ich bis vor kurzem in Seattle, Washington, aber davor verbrachte ich mein ganzes Leben in meiner Heimat Stadt Arcadia Bay in Oregon. Als es an die Wahl der Highschool ging, bekam ich wegen guter Noten ein Stipendium für die Blackwell Academy. Dort konnte ich meine guten Noten halten und mit der Blackwell im Lebenslauf stünden mir alle Türen offen“, erzählte ich und stützte meinen Kopf auf meiner freien Hand ab.
„Ich habe schon von der Blackwell Academy gehört, das soll eine sehr renommierte Privatschule sein und hat dort nicht auch mal ein bekannter Künstler unterrichtet? Wie hieß er noch mal? Jackson? Johnson?“, erwiderte Lynn und rieb sich nachdenklich über die Stirn.
„Jefferson. Mark Jefferson. Außerdem gibt es die Schule nicht mehr,“ knurrte ich mit finsterem Blick, wohlwissend, was der verdammte Bastard Rachel, Max und mir alles angetan hat.
„Stimmt etwas nicht? Du scheinst nicht gerade eine gute Erinnerung an den Typen zu haben? Und wieso gibt es die Schule nicht mehr“, antwortete sie mit ruhiger und besorgter Stimme.
„Diesen Teil der Geschichte erzähle ich dir ein anderes Mal und dafür brauche ich definitiv ein paar Drinks.“

Ich atmete tief durch und führte meine Erzählung fort.
„Die Schule selbst war super, aber viele Schüler dort kamen aus reichem Elternhaus und haben dich das an jeder Ecke spüren lassen, das du nur ein Stipendiat warst, jemand, der sich durchschnorrte und wie du dir sicher denken kannst, flippe ich bei solch oberflächlichen Menschen direkt aus. Der Rektor war ein Speichellecker der Reichen, also musste ich mir oft seine Standpauken anhören, doch die Lehrer standen auf meiner Seite und förderten meine Talente.“
Lynn stützte ihren Kopf nun ebenfalls auf ihre freie Hand und blickte mich aufmerksam an. „Was ist dann passiert?“
Ruhig bleiben Price, du bleibst gelassen wie sonst auch. Tief durchatmen. Sei stark.
„Mein Vater ist bei einem Autounfall gestorben, als ich 14 Jahre alt war. Kurz darauf zog meine beste Freundin aus Sandkastenzeiten nach Seattle, wo ich zuletzt auch gewohnt habe, weil ihr Vater dort einen neuen Job bekam und der Kontakt brach leider ab. Das alles hat mir ziemlich den Boden unter den Füßen weggerissen und ich wurde noch mehr zum Rebellen. Eine explosive Mischung.“
Ich hielt kurz inne, obwohl die Sache schon lange her war, tat es noch genauso weh wie an dem Tag, als der Polizist mit Mom in der Eingangstür stand und mir die traurige Nachricht überbrachte.
Ich spürte, wie Lynn mit ihrem Daumen zaghaft über meinen Handrücken strich, fast nicht wahrnehmbar wie ein sanfter Flügelschlag.
„Naja, das Ende vom Lied war, ich kackte richtig ab. Mein Einser Durchschnitt verwandelte sich in ein Stück Papier voller roter Einträge aus der Blackwell Academy wurde meine persönliche Blackhell. Ich eckte immer mehr bei den Lehrern an, bei meiner Mom und meinem Stiefvater. Ich hasste einfach alles und jeden als ich plötzlich jemanden kennenlernte, der mein Leben buchstäblich rettete. Ihr Name war Rachel Amber. Das war auf einem Firewalk Konzert in Arcadia Bay. Wir gingen durch dick und dünn. Selbst die Suspendierung der Schule machte mir nichts mehr aus, denn mit Rachel an meiner Seite fühlte ich mich vollkommen. Wir wollten gemeinsam abhauen, die Westküste erobern. Aber Träume haben manchmal diese miese Angewohnheit, schlecht auszugehen, wenn man gerade nicht hinsieht“, erklärte ich um Fassung ringend und schaute an die Wand, auf die leuchtende Lichterkette.

„Ist es okay, wenn dir den Rest ein andermal erzähle? Es gibt einfach Dinge, die selbst mich aus der Fassung bringen“, gestand ich leise, bemüht cool und nicht schwach zu wirken.
Verdammt, ich fühle mich gerade wie ein Jammerlappen. Ja, ja schon klar Gefühle zulassen ist nichts Schlimmes und ich darf das auch öfter als nur einmal im Jahr. Das zu lernen steht noch auf der Liste.

„Natürlich. Wenn du dazu bereit bist, kannst du mir gerne den Rest erzählen. Ich bin jedenfalls stolz auf dich, du hast allen Widrigkeiten den Mittelfinger gezeigt und das Beste aus deiner Situation gemacht und deine Freundin hat dir den Rücken gestärkt. Das finde ich sehr inspirierend und beeindruckend. Du bist beeindruckend“, antwortete Lynn mit fürsorglichem Blick und hielt meine Hand immer noch fest, und als wir uns erneut anschauten, kehrte die angenehme Stille zurück.
FUCK! Wieso ist sie nur so fürsorglich? Es tut so verdammt gut, sich mit ihr zu unterhalten, nach dem Stress der letzten Zeit. Hoffentlich wirke ich nicht wie ein Creep aber ich konnte nicht anders. Ich musste sie einfach ansehen. Sie ist so wunderschön. Mein ganzer Körper kribbelt wie eine geschüttelte Getränkedose.

„Erzähl mir von dir. Woher kommst du und wie bist du am Imperial College gelandet?“, erkundigte ich mich um mein Verlangen, ihr näher zu kommen, etwas abzukühlen.
Sie schmunzelte mich an. „Ich bin bei einer Adoptivfamilie hier in London aufgewachsen, meine leiblichen Eltern habe ich nie kennengelernt, aber für mich sind meine Adoptiveltern meine wahren Eltern. Nach dem Schulabschluss habe ich eine Zeit lang in verschiedenen Restaurants gejobbt, weil meine Studienanfragen unbeantwortet blieben. Nach einem Jahr Wartezeit konnte ich dann am Imperial College meinen Bachelor in Chemie machen und wurde danach von Mark in der Fakultät übernommen.“
„Es ist schön zu hören, dass du eine Familie hast, die dich so behandelt, wie du es verdienst, weil deine eigene es nicht wollte. Wer könnte es Mark verübeln, dich zu übernehmen, du bist eine geniale Wissenschaftlerin und definitiv eine Augenweide für die Fakultät“, erwiderte ich zwinkernd.
„Ich habe auch ein paar Erfahrungen gemacht, die mich negativ belastet haben, aber das erzähle ich dir auch ein anderes Mal.“ Sie biss sich kurz auf die Lippe und erwiderte mein Zwinkern. „Jetzt habe ich ernsthafte Konkurrenz.“
„Schleimerin“, grinste ich frech.
Sie antwortete nickend und mit einem verspielten Blick, der sich mit meinem vereinte. Unsere Hände waren wie aneinandergeklebt und gefühlt rückten wir immer näher zusammen. Als auf einmal ihr Telefon wie eine losgelassene Kettensäge brummte. Sie schreckte auf und unterbrach unseren Moment.

„Entschuldige mich bitte, das ist mein Dad“, hektisch nestelte sie an ihrer Hosentasche herum und zückte ihr Handy.
Nach einem kurzen Telefonat, welches in einem enttäuschten Gesichtsausdruck endete, wandte sich Lynn wieder mir zu.
„Es tut mir leid, aber ich muss nach Hause, mein Dad wurde spontan zum Notdienst gerufen und ich muss später meine Großmutter abholen“, berichtete sie sichtlich traurig.
„Du musst dich nicht entschuldigen. Familie geht vor. Ist dein Dad Arzt?“
„Nein, nein, aber er ist Altenpfleger in einer Seniorenresidenz und muss dort einen spontan erkrankten Kollegen vertreten und weil meine Mom auf einer Hochzeit ist, kann niemand meine Großmutter vom Bahnhof abholen“, erklärte sie.
Verdammt. Sie wirkt richtig niedergeschlagen, dass sie gehen muss. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder, denn bis zum nächsten Samstag, wo ich sie wieder für mich allein hätte, halte ich es nicht aus.
„Das verstehe ich. Wir holen das bald nach“, antwortete ich entschlossen.
Sie schenkte mir wieder diesen innigen Blick und ihre grauen Augen funkelten. „Wie bald?“
„Sehr bald. Versprochen!“

Der Regen hörte immer noch nicht auf und der Nachmittag wurde zur Nacht nur durch die Blitze am Horizont erhellt. Lynn rief sich ein Taxi, und als es wenige Minuten später vorm Haus ankam und sich durch ein Hupen bemerkbar machte, begleitete ich sie zur Tür. Unsere Verabschiedung mündete in einer festen Umarmung, aus der ich mich nicht lösen wollte. Während Lynn die Treppen des Hausflures hinabstieg, schenkte sie mir noch einmal ihr wundervolles Lächeln.
Aus dem Schlafzimmerfenster konnte ich gerade so durch die Bäume erkennen, wie das Taxi davon fuhr, dabei machte ich eine ungewöhnliche Entdeckung, ein schwarzes Motorrad stand am Straßenrand. Eine Person in schwarzer Motorradkleidung und Helm saß auf dem Bike und schaute zu mir ans Fenster, aber mehr konnte ich durch den heftigen Regen und die vielen Bäume unter mir nicht erkennen. Als die Person mich am Fenster bemerkte, rauschte das Motorrad mit lautem Gebrüll davon. Wer zum Teufel war das? Wer fährt bei diesem Wetter mit dem Motorrad?
Entspann dich Price und rauch dir mal eine, vielleicht war das nur Zufall und du warst nicht gar nicht gemeint. Du bist nicht immer der Mittelpunkt der Erde.
Meinem Gefühl zustimmend ging ich zum Kühlschrank und griff mir ein kaltes Bier. Es tat unheimlich gut, die kalte Köstlichkeit hinunter zu kippen und mich abzukühlen. Was auch immer gerade passiert ist, es war ein hella guter Tag, leider zu schnell vorbei, aber ich war entschlossen sehr bald die Fortsetzung einzuläuten.
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