Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast 

Life is Strange - This is our Universe

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P18 / Mix
Chloe Price Maxine "Max" Caulfield OC (Own Character)
10.02.2022
27.02.2023
22
105.542
5
Alle Kapitel
28 Reviews
Dieses Kapitel
1 Review
 
21.08.2022 8.851
 
Kapitel 11 - Happy Hour

Chloe Price

London, UK – Montag, 05. Oktober 2015


Dichte Wolken zogen am Himmel auf und überdeckten den zuvor klaren, sonnigen Mittagshimmel. Das Wetter hier scheint wirklich unberechenbar zu sein und schlägt von einem Moment auf den anderen um. Jedenfalls war ich froh, als ich um halb vier am Nachmittag meinen ersten Feierabend erleben durfte. Ein ziemlich gutes Gefühl. Die frische Luft tat gut nach den unzähligen Eindrücken, den vielen Terminen und Gesprächen. Bevor ich zur U-Bahn ging, genehmigte ich mir erst mal eine Kippe.

Durch den ganzen Input verging der Tag heute wie im Flug. Nachdem ich mich mit Mark in der Kantine getroffen und etwas getrunken hatte, zeigte er mir meinen Arbeitsplatz, den ich mir noch nach meinen Vorstellungen einrichten darf und arbeitete mich in die wichtigsten Programme ein. Die Ausstattung ist vom allerfeinsten und zeugt von purem Luxus, es wird eine wahre Freude sein, damit zu arbeiten. Ich bin keineswegs eine dieser verwöhnten Luxusbräute, so wie die Gören aus dem Vortex Club an der Blackhell oder auch an der University of Washington, aber mit modernster Ausstattung arbeitet es sich gerade in der Wissenschaft einfach besser und auch sorgfältiger. Anschließend hat sich die gesamte Abteilung zum gemeinsamen Lunch in der Kantine getroffen und ja, das Essen sieht nicht nur hervorragend aus, sondern schmeckt auch so. Jedenfalls war mein Pizzasandwich mit Bratkartoffeln und Sour Creme verdammt gut und machte Lust auf mehr.

Beim Mittagessen hatte ich die Chance, meine neuen Kollegen etwas besser kennenzulernen. Auch wenn wir in dieser Stunde nur an der Oberfläche kratzten, habe ich bereits erfahren, dass die Laborassistentin Lynn ebenfalls auf Firewalk steht und auf Filme und Serien abfährt. Tyler und Melissa sind totale Convention- und Reisejunkies. Ich habe das Gefühl, das die beiden ein Paar sind, aber sicher bin ich mir noch nicht, jedenfalls wirken sie sehr, sehr vertraut miteinander. Elly ist mit ihren gerade einmal 26 Jahren die Leitung der Verwaltung unserer Fakultät und steht total auf Psycho-Thriller und sämtliche Werke von Stephen King. Außerdem lebt sie vegan, hat aber zu verstehen gegeben, dass sie kein Problem damit habe, wenn man in ihrer Gegenwart tierische Produkte verzehrt. Gute Einstellung, denn immerhin möchte sie für ihren Lebensstil respektiert werden, also muss sie andersartige Lebensweisen auch respektieren. Lee-Han und Mike veranstalten regelmäßig Spieleabende bei sich in der Wohngemeinschaft. Entweder auf der Spielekonsole oder klassisch als Tabletop. Es ist krass, dass jeder aus dem Team sich für die Aktivitäten der einzelnen Kollegen begeistern kann. Das alles wirkt fast wie eine Clique, die sich schon ewig kennt. Auf jeden Fall eine coole Sache, denn auf eine spießige Stimmung und Menschen, die einen Stock im Arsch haben, hätte ich überhaupt keinen Bock.
Sollte sich die Stimmung hier auch langfristig bestätigen, dann habe ich wirklich den Jackpot gezogen, was meine Arbeitskollegen angeht und bei Lynn könnte ich mir beinahe eine Art Freundschaft vorstellen, was sicherlich an der Tatsache liegt, das sie mit Firewalk einen sehr guten Musikgeschmack beweist. Ich bin jedenfalls gespannt darauf, die Kollegen noch besser kennenzulernen. Mark konnte leider nicht am Lunch teilnehmen, weil er um ein Beratungsgespräch von einem der neuen Erstsemester gebeten wurde, aber ihn kann ich am Freitagabend noch zu Genüge ausquetschen, wenn wir mit dem gesamten Team ins Pub gehen. Merkwürdigerweise war Austin auch nicht anwesend. Vermutlich hat ihn das Zeug, was er sich vorhin geballert hat ordentlich ausgeknockt und in irgendeiner ruhigen Ecke kurierte er seinen Rauschzustand aus. Auf meine Frage hin, ob jemand wüsste, wo er steckt, wurde nur mit einem schweigenden Schulterzucken innerhalb der Runde geantwortet. Lynn erzählte mir, dass er eigentlich immer beim Lunch dabei ist, außer er gibt Vorlesungen. Es überraschte mich, dass er eigene Vorlesungen durchführt, denn wie ein Typ der anderen etwas beibringt, wirkt er auf mich jedenfalls nicht. Es wunderte mich nur, dass es niemanden bisher aufgefallen war, welches Zeug er sich so einwirft, denn mit absoluter Sicherheit war das vorhin nicht sein erstes Mal. Das bekomme ich schon noch heraus, aber für den Moment sollte ich nicht zu viel darüber nachdenken und die genialen ersten Eindrücke wirken lassen und mich auf das freuen, was noch so kommt. Meine Zeit als "Detective Price" wird noch früh genug kommen. Auf dem Weg zur U-Bahn versorgte ich meine Ohren wieder mit meiner bunt gemischten Playlist und schrieb David eine SMS, dass ich mich auf dem Heimweg befinde.

Als ich die U-Bahn an meiner Haltestelle verlassen hatte, prasselte der Regen bereits auf die Straßen. Glücklicherweise war die Haltestelle am Blackbird nur wenige Gehminuten von meinem Apartment entfernt und so beschleunigte ich meine Schritte und rannte die letzten Minuten. Auf die Sekunde, nachdem ich das Wohnhaus betreten habe, drehte der Regen richtig auf und wurde von heftigem Donner begleitet. Glück gehabt. Auf dem Weg in mein Apartment traf ich auf eine ältere Dame mit grauer Dauerwelle und feiner Kleidung, die mich direkt freundlich begrüßte und mir die Hand entgegenstreckte.
„Hallo Ms. Price schön, dass ich Sie jetzt auch persönlich kennenlerne. Mein Name ist Rosemary Saintsbury. Ich bin die Eigentümerin dieses Hauses und Ihre Vermieterin. Ihr Stiefvater hat mir bereits schon von Ihnen erzählt. Ein sehr freundlicher und hilfsbereiter Mann.“
Ich nahm meinen Beanie ab und reichte ihr ebenfalls die Hand. „Es freut mich ebenfalls Ms. Saintsbury. Ein wundervolles Apartment. Ich fühle mich schon wie zu Hause. Mein Stiefvater ist schon ein Original.“
„Es freut mich sehr, das es Ihnen gefällt. Bitte nenn mich doch Rosemary. Förmlichkeiten sind nicht von Nöten“, erwiderte Rosemary mit herzlichen Blick.
„Chloe. Gerne. Rosemary ist ein schöner Name“, antwortete ich.
„Danke Liebes. Ich muss jetzt aber los, mein Taxi wartet schon draußen und bei dem Regen brauche ich immer länger in die Innenstadt. Wenn du magst, können wir uns die Tage mal auf einen Tee bei mir treffen.“
„Klingt gut. Oder Sie kommen zu mir. Wir werden uns schon einig“, schmunzelte ich.
Rosemary nickte zustimmend und verließ das Haus und verschwand im Taxi, das direkt davor wartete. Eine wirklich nette alte Dame. Die würde mit Sicherheit keinen Stress schieben, wenn ich beim Wohnungsputz etwas Musik aufdrehe.

„Hey Chloe. Perfektes Timing! Das Essen ist in einer Minute fertig. Leider können wir nicht auf dem Balkon essen, draußen geht gerade die Welt unter.“
Ein Blick nach draußen bestätigte das. Die Baumkronen peitschten im Wind wild umher, am Horizont konnte man beinahe im Sekundentakt Blitze aufleuchten sehen und der Regen prasselte wie aus Eimern gegen die Fenster.
„Hey General. Das kannst du laut sagen. Ich habe es gerade noch so geschafft, trocken zu bleiben. Ich sollte mir einen Regenschirm zulegen. Wobei er mir bei dem Sturm nichts genützt hätte. Außer ich wollte Mary Poppins doubeln“, erklärte ich lachend und deckte den kleinen Esstisch in der Küche mit Blick raus auf den Balkon und der Stadt.
Über meinen Spruch lachend servierte David unser Essen. „Was möchtest du trinken?“
„Was steht den so zur Auswahl?“, erkundigte ich mich neugierig
David ging zum Kühlschrank und präsentierte eine bunte Auswahl an kalten Getränken. „Wir hätten Limonaden in verschiedenen Geschmacksrichtungen oder ... Guinness.“
Hatte ich es doch gewusst. Die Biere dieses Landes haben es ihm angetan, was ich aber nachvollziehen kann. Sie schmecken wirklich gut, auch wenn sie speziell sind.
„Dann nehme ich doch ein Guinness“, antwortete ich und rieb mir voller Vorfreude die Hände.
David brachte uns zwei Flaschen kaltes Bier und öffnete Sie direkt.
„Auf deinen ersten Feierabend, Sergeant“, prostete mir David zu.
Zufrieden und mit knurrendem Magen prostete ich zurück und genehmigte mir einen großen Schluck der kühlen, herben Flüssigkeit, ehe ich mich über das perfekt gebratene Steak mit den Rosmarinkartoffeln hermachte. Verblüffend, wie gut er mittlerweile kochen kann. Liegt bestimmt an dem Haushaltskurs, den er vor einigen Monaten absolviert hat. Bestimmt mit einem Orden ausgezeichnet. Nichts gegen seine vorherigen nennen wir es Kochkünste, aber Spiegelei mit Speck kann so ziemlich jeder zubereiten und ist Welten entfernt von so einem Steak. Also bin ich froh, dass er den Kurs gemacht hat, denn sonst käme ich jetzt nicht in den Genuss dieser wohlduftenden Mahlzeit. Während wir zusammen speisten, quetschen wir uns gegenseitig über unseren Tag aus. David erzählte mit Begeisterung, wie genial das neue Freizeitbad und angrenzende Restaurant in der Innenstadt war. Obwohl er erst seit kurzer Zeit den Schwimmsport für sich entdeckt hatte, hat er schon mehr Schwimmbäder besucht als ich. Dabei bin ich hier als Wasserratte bekannt. Jedenfalls konnte ich mir mein Grinsen nicht verkneifen, als er anfing, mich intensiver über meinen Tag auszufragen. Eine Mischung aus liebevollem Interesse und einer Art Verhör wie bei einem Militärpolizisten. Typisch David. Jedenfalls konnte ich meine Begeisterung nach den Eindrücken des ersten Tages kaum zügeln und berichtete von dem wunderschönen Campus, der hochmodernen Ausstattung, den lockeren und coolen Arbeitskollegen, wobei ich den Schleimbeutel Austin bewusst ignoriert habe und schlussendlich erzählte ich noch von meinen Aufgabenbereichen und das von mir ein Vortrag am Ende des Praktikums erwartet wird.

Nachdem ich unsere Teller gespült und ein zweites Bier geholt hatte, bekam ich auf mein Handy eine Benachrichtigung von meinem E-Mail Postfach, das die Vertragsunterlagen der Universität eingegangen sind. Daher holte ich direkt mein MacBook und bat David um seine Einschätzung. Mir ist natürlich bewusst, dass man das Thema Gehalt beziehungsweise Geld im Allgemeinen diskret behandelt, aber ich fand das nur fair ihm gegenüber. Außerdem konnte ich so von seiner Erfahrung aus der Zeit bei der US Army in Sachen Gehälter und Arbeitsverträge profitieren. Die mir bis dato gänzlich fehlte. Außerdem war ich hella gespannt darauf, was ich verdiene, denn das Gespräch mit Mallory war wegen ihres straffen Terminplans sehr kurz angebunden und wir kamen leider nicht dazu, über diese Details zu sprechen.
Gemeinsam studierten wir meinen Arbeitsvertrag. Zu Beginn wurden viele allgemeine Dinge wie Rechte und Pflichten, die schon bekannten Arbeitszeiten, die Probezeit und die Abteilung, in die ich eingeteilt wurde, aufgeführt. Auf Seite 6 wurden dann endlich die Bezüge aufgeführt und als ich mein geplantes Gehalt sah, spuckte ich beinahe den soeben genehmigten Schluck Bier über die Tastatur meines Laptops.

„HEILIGE SCHEISSE! Ist das ernsthaft mein Gehalt?“, erkundigte ich mich ungläubig, während ich mir das Bier von den Mundwinkeln wischte.
David richtete seine Lesebrille, an die ich mich immer noch nicht gewöhnt habe und studierte den Absatz ganz genau. „Das ist so weit alles korrekt. Dein Auszahlungsbetrag zum 15. des Monats beträgt 1.794,95 Pfund. Dazu kommen, sofern anfallend bezahlte Überstunden, die über deinen Mitarbeiterausweis beim Betreten der Universität erfasst werden, Erstattung von Fahrtkosten und Sonderzuschläge für besondere Anlässe zum Beispiel Teilnahmen an Veranstaltungen außerhalb der regulären Arbeitszeiten (Tag der offenen Tür 2x pro Jahr).“

„Das ist verdammt viel Geld.“, erwiderte ich verblüfft.
„Ein sehr gutes Einstiegsgehalt. Bei der Armee habe ich diesen Sold erst nach zwei Jahren bekommen“, fügte David mit einem gespielt neidischen Blick hinzu.
Ich lehnte mich zurück und faltete grinsend die Hände an meinem Hinterkopf. „Tja, wer kann der kann oder General?“
Meine kleine Neckerei ignorierend schaute sich David auch den Rest meines Arbeitsvertrages an. Wo noch einige Details zu meinen 25 Urlaubstagen und der Verteilung genannt wurden und der Weiterbildungsklausel, die mich erneut überraschte.
David begann den Abschnitt vorzulesen. „Bei positivem Anstellungsverlauf strebt das Imperial College London eine längerfristige Anstellung an. Im Übrigen stellen wir Ms. Price die Option frei, sich die Zeit des Praktikums von sechs Monaten auf ein Studium im angestellten Fachbereich anrechnen zu lassen. Somit besteht die Möglichkeit, einen verkürzten Abschluss als Bachelor of Science (kurz: B.Sc.) zu absolvieren. Um dieses Angebot wahrzunehmen, bitten wir Ms. Price drei Monate vor Beendigung der oben genannten Anstellungszeit der Personalleitung die Entscheidung mitteilen, ob eine weitere Anstellung gewünscht ist und ob dies mit einem Studium verknüpft werden soll oder als reguläre Anstellung ohne Absicht eines Studiums erfolgt.“
„Bieten dir mir ernsthaft die Möglichkeit eines Studiums an?“, fragte ich nach und starte erneut ungläubig auf den Bildschirm.
„So steht es hier geschrieben, Chloe. Du solltest das wirklich in Erwägung ziehen, denn so ein Angebot bekommt man nicht jeden Tag“, erklärte David eindringlich.
„Verdammt klar werde ich mir das überlegen. Immerhin habe ich so die Möglichkeit bezahlt, neben der Arbeit einen Studienabschluss in meinem Lieblingsbereich zu erhalten“, erwiderte ich entschlossen.
„Das ist die richtige Einstellung, Sergeant“, salutierte David zufrieden und wir prosteten uns gegenseitig zu.

Ein letztes FUCK schoss an diesem Tag durch meinen Kopf. Selbst für meine Verhältnisse habe ich das heute sehr oft gedacht. Ich glaube eigentlich nicht an Wunder, aber definitiv an den Fakt, dass ich hier etwas verdammt Krasses an Land gezogen hatte. Ich bin wirklich froh darüber, dass mich Ryan und Vanessa damals auf die Kurse für Wiedereingliederung an der University of Washington aufmerksam machten, denn sonst wäre ich jetzt definitiv nicht hier.
Trotzdem machte sich ein Gefühl der Traurigkeit in mir breit, denn ich hätte mir gewünscht, dass heute Erlebte mit Mom und Rachel zu teilen. Oder Max. Aber ich bin froh, dass David hier ist, auch wenn mir diese Gefühlsduselei und derartige Emotionen generell schwerfallen. Aber vielleicht lerne ich noch offener damit umzugehen, ohne verweichlicht rüberzukommen. Wer will das schon. Immerhin habe ich schon ganz andere Dinge gelernt, aber meine To-do-Liste ist noch lang. Für den Moment reichte mir der entspannte Nachmittag mit kleinen Neckereien und Lachern, gutem Essen und ein paar Bier vollkommen aus. Auf jeden Fall muss ich die Tage mal Ryan und Vanessa anrufen und ihnen alles erzählen. Die freuen sich sicherlich darüber. Ich unterschrieb den Vertrag direkt in der Datei und mailte diesen ihn umgehend zurück an Mallorys Vorzimmer.
Den restlichen Nachmittag verbrachte ich damit, meine übrig gebliebenen Umzugskartons auszupacken und eine Liste mit Dingen, die ich noch für mein Apartment benötigte, anzulegen. Später am Abend, nachdem David sich auf die Couch gelegt hatte, chillte ich mich mit dem MacBook auf mein Bett und durchforstete das Netflixangebot, als mein Handy brummte. Ich wurde in die Messengergruppe namens Imperial College Mafia – kurz I.C.M. hinzugefügt.
Der Name unserer Gruppe provozierte einen lauten Lacher meinerseits. Ein Blick auf die Mitgliederliste verriet mir, dass alle meine Kollegen aus der Fakultät und Linda, die Empfangsdame der Universität, eingeloggt waren. Kurz darauf ging eine Nachricht im Gruppenchat ein.

Austin: Guten Abend ihr Lieben, ich habe unsere neue Kollegin Chloe in unsere Gruppe eingeladen. Somit könnt ihr euch auch auf diesem Wege vernetzen und austauschen, wenn mal etwas sein sollte.
@Chloe, diese Gruppe ist unsere kleine digitale Lobby, wo wir uns über kommende Treffen und Gruppenaktivitäten austauschen. Das betrifft vor allem unsere regelmäßigen Pub-Fridays im Blackbird, wo wir uns treffen und gemeinsam essen, trinken, Dart spielen oder was auch immer uns in den Sinn kommt. Du darfst auch gerne Ideen für alternative Aktivitäten einwerfen. Ich wünsche dir viel Spaß und heiße dich im Kreise der I.C.M. herzlich willkommen. Austin.

Hat der Kerl gerade Blackbird gesagt? Ist jetzt nicht sein Ernst. In meiner zukünftigen Stammbar finden diese Treffen statt? Ich muss wohl eine Bannmeile erwirken, damit der Typ mindestens zwei Meilen Abstand zu meinem Apartment halten muss, denn somit wäre das Blackbird eine Austin freie Zone. Allerdings sind die übrigen Kollegen echt cool und somit verzichte ich wohl auf einen derartigen Schritt und toleriere den Kerl. Vorerst. Wobei ich ihm zugestehen muss, dass die Willkommensnachricht sehr freundlich verfasst wurde. Immerhin etwas.

Chloe: Guten Abend ihr Mafiosi vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich sehr. Wenn mal was sein sollte, habt ihr jetzt meine Nummer. Ich überlege mir gerne etwas, aber die Pub-Fridays hören sich schon sehr gut an. Wie lange macht ihr das schon?

Lynn, der andere Firewalk Fan, antwortete umgehend.

Lynn: Hey Chloe, schön, dass du auch an Bord bist ;-). Wir machen das schon seit knapp einem Jahr. Es hat sich so ergeben nachdem wir nach der letzten großen Universitätsfeier noch etwas nur unter uns machen wollten.

Keine Emojis. Was findet die Welt nur an diesen Dingern. Obwohl ich sie in den seltensten Fällen schon witzig finde.

Mike: Hey Chloe. Willkommen in der Chaotentruppe.

Elly: Hallo Chloe, herzlich willkommen. Bei uns wirst du auf jeden Fall viel Spaß haben. @Lynn @Austin haben wir dann nicht schon bald unser einjähriges Pub-Friday Jubiläum?

Austin: Das müsste dann sogar diesen Freitag sein, wenn ich mich nicht täusche. War der Herbstball nicht am 09.10.?

Lee-Han: Hi Chloe. Auch von mir willkommen bei der I.C.M. @Austin richtig, am Freitag ist es genau ein Jahr her. Das müssen wir gebührend im Blackbird feiern.

Melissa: Hey ho Chloe. Auch von Tyler. Wir sind gerade im Kino gewesen und dabei hat er mal wieder sein Handy geschrottet, der Trampel. Ich finde, das schreit doch nach einem Motto oder nicht? Wie wäre es mit einem Mafiosi Outfit im Stile der 50er Jahre? Jeffrey würde das mit Sicherheit feiern. Und wir sowieso :-D.

Austin: Ist das nicht schon das dritte Handy in diesem Jahr, das Tyler zu Elektroschrott verwandelt hat? Dass ihr zwei Convention Liebhaber euch verkleiden wollt, kann ich mir gut vorstellen. Spaß beiseite. Ich finde das auch ziemlich cool und wäre auf jeden Fall dabei.

Der feine Herr Wissenschaftler mag auch Conventions und Verkleidungen? Eine merkwürdige Kombination. Ich persönlich finde Kostüme sehr cool, jedoch bin ich auch kein Schmierlappen, bei dem man Zweifel haben müsste das mir der nerdige Kram wirklich gefällt. Abgesehen davon ist die Idee von Melissa und Tyler cool und ich bin so was von mit an Bord.

Linda: Hallöchen ihr Lieben und herzlich willkommen Chloe. Ich finde die Idee super, außerdem hat sicherlich jeder von uns etwas im Kleiderschrank, das nach Mafiosi aussieht.

Mark: Ciao. Schön, dass Chloe jetzt auch in unserer Gruppe dabei ist. Freut mich sehr. Ich bin auch dabei : ).

Austin: Also dann wäre das beschlossen oder hat jemand Einwände oder Fragen?

Chloe: Hell yeah! Ich bin dabei. Wo und wann trefft ihr euch immer?

Austin: Am Blackbird natürlich … und immer so gegen 18:30 Uhr – open end.

Chloe: Schon klar, du Genie, ich meinte damit auch eher treffen wir uns vor dem Pub oder gehen die Ersten schon rein, wenn man etwas früher da sein sollte.

So viel zum Thema genialer Wissenschaftler. Der Trottel ist wohl nicht so schlau, wie er denkt.

Lynn: Touché! :-D 1 zu 0 für Chloe!

Austin: Danke, das du bemerkt hast, dass ich ein Genie bin ;-). Aber wir treffen uns immer drin. Wer zu spät kommt, bezahlt die erste Runde.

Chloe: Ich komme auf keinen Fall zu spät, du „Genie“. Aber eine Runde gebe ich gerne aus. Quasi zu meinem Einstand.

Austin: Das werden wir noch sehen, denn ich habe es nicht weit zum Blackbird.

Ich glaube mein Grinsen in diesem Moment gleicht dem des Grinch. Wenn er wüsste das ich vom Balkon zum Pub spucken kann, dann wäre er aber schnell zurück unter seinen Stein kriechen. Aber den Trumpf behalte ich mal schön für mich. Vorerst.

Chloe: Lassen wir uns überraschen.

Austin: Möge der Pünktlichere gewinnen ;-).

Das werde wohl ganz klar ich sein und nun schieb dir dein Emoji ganz tief in deinen tablettenabhängigen wohl trainierten Hintern. Warum mir das in den Sinn gekommen kommt, ist mir auch nicht so ganz klar.

Wir tauschten uns noch ein wenig in der Gruppe aus und während einer Serie, in der eine Pathologin zum Zombie wird und Hirne fressen muss bin ich irgendwann eingepennt.
Die kommenden Tage vergingen wie im Flug und waren ebenso ereignisreich wie cool. Das Wetter zeigte sich zwar von seiner regnerischen Seite, aber damit arrangiert man sich hierzulande erstaunlich schnell. Bereits an meinem dritten Arbeitstag durfte ich gemeinsam mit Lynn an einem größeren Projekt mitwirken und wir konnten uns nicht nur fachlich, sondern auch über unsere gemeinsame Leidenschaft Firewalk austauschen. Es dauerte nicht lang, bis wir uns auf einem Drink in den kommenden Tagen verabredeten. Außerdem beschlossen wir gemeinsam Klamotten auszuleihen, sollte dem jeweils anderen etwas für den Themenabend fehlen.
Auch meinen anderen Kollegen konnte ich hier und da assistieren und über die Schulter schauen. Mark hatte durchsickern lassen, dass ich bereits in der kommenden Woche mein eigenes Projekt bekommen soll. Jedenfalls kam ich mit allen Kollegen bereits ins Gespräch und wie bereits vermutet, ist jeder von ihnen wirklich cool drauf und hat seine eigene ganz eigene Persönlichkeit.
Mit Austin allerdings habe ich nur das Nötigste besprochen. Auch wenn er immer wieder mal versuchte, intensiveren Kontakt aufzubauen, habe ich es auf das Wichtigste beschränkt und stets auf beruflicher Ebene gehalten. Der Typ ist mir einfach nicht geheuer und irgendwas verheimlicht er. Entweder wissen die anderen Kollegen mehr und trauen sich nichts zu sagen, oder er ist ein wirklich guter Schauspieler und führt eine Art Doppelleben. Die Alternative wäre, dass er wirklich ein Mafioso ist und einer gefürchteten Londoner Mafiafamilie angehört. Mit seinen pechschwarzen Haaren und der Frisur hätte er jedenfalls direkt bei Scarface oder den Wanderers auftreten können. Das würde jedenfalls erklären, warum die anderen in der Abteilung Stillschweigen über seine Machenschaften bewahren. Andererseits sollte ich nicht zu viel in Verschwörungstheorien eintauchen und an die Eigenständigkeit der anderen appellieren. Sobald ich mehr Beweise habe, dass er etwas im Schilde führt, werde ich ihm das Handwerk legen. Am Donnerstag nach der Arbeit begleitete ich David zum Flughafen nach Heathrow. Denn nach gut drei Wochen London musste er nun zurück nach Seattle. Ich war ihm verflucht dankbar für die ganze Unterstützung, was mir die Eingewöhnung wirklich sehr erleichterte. Nach einem letzten gemeinsamen Kaffee in der Flughafenlobby verabschiedeten wir uns mit einer kurzen, nicht zu kitschigen Umarmung und einer Brofist und ich fuhr mit der U-Bahn zurück in die Stadt, denn auf mich wartete noch der Kleiderschrank auf der Suche nach passender Kleidung für den morgigen Abend. Nachdem die Durchsuchung meines Kleiderschranks abgeschlossen war, schrieb ich Lynn eine private Nachricht über den Messenger.

Chloe: Hey, hast du schon etwas Passendes gefunden?

Lynn: Hi, bisher habe ich nur zwei weiße Hemden gefunden. Mein Dad würde uns zwei seiner schwarzen Krawatten ausleihen. Und du?

Chloe: Ich kann leider nur mit schwarzen Jeans und schwarzen Trilby Hüten dienen. Ich weiß nicht einmal mehr, warum ich die besitze. Ich werde wohl alt.

Lynn: Für eine alte Frau hast du dich aber gut gehalten, du Vampir.

Chloe: Verdammt. Ich muss echt an meiner Tarnung arbeiten. Wie wäre es damit: Ich leihe dir einen der Hüte und eine schwarze Jeans und du mir ein Hemd und Krawatte. Somit sind wir ausgestattet und bereit.

Lynn: Abgemacht. Dabei fällt mir auf das ich wieder ein bisschen shoppen muss. Ich habe gar keine schwarzen Hosen. Ich bringe dir die Sachen morgen mit.

Chloe: Dito. Können gerne gemeinsam shoppen gehen. Dann stelle ich sicher, dass du die richtigen Modelle kaufst. Nicht das du eine Beratung nötig hättest, aber der Kauf von schwarzen Jeans ist eine Sache für sich. Haha.

Lynn: Klingt gut :D. Wir können das doch mit unserem geplanten Drink nächste Woche kombinieren. Nächste Woche Samstag, vielleicht?

Chloe: Keine Emojis und Samstag klingt gut.

Lynn: Du magst keine Emojis???

Chloe: Nope. Ich schreibe das immer, wenn mir jemand Emojis schickt. Ich mag sie nur in den seltensten Fällen und ich selbst verwende sie umso seltener.

Lynn: Verstehe. In dem Fall schicke ich Sie dir erst recht :-D sorry Chloe.

Chloe: Das war mir klar. Dafür gibst du mir nächsten Samstag einen aus.

Lynn: Mal sehen, wie gut ich drauf bin ;-).

Chloe: Dann hoffe ich mal, du bist sehr gut drauf.

Nachdem wir uns verabschiedeten, packte ich die Klamotten für Lynn in eine Tasche und genehmigte mir eine ausgiebige heiße Dusche inklusive dem typischen Chloe Price – ich bin keine verwöhnte Tussi – Programm. Was eigentlich nur einen Rasierer und Colorshampoo für meine Haare beinhaltete.
Am nächsten Morgen verließ ich früher das Haus, um meinen neuen Internetanschluss zu beantragen. Sonst hätte ich in nur wenigen Tagen kein Datenvolumen mehr. Außerdem war ich froh darüber auch etwas selbst machen zu können, nachdem David beinahe alles für mich in die Wege geleitet hat. Der Arbeitstag verging wieder einmal verdammt schnell. Freitags frühstückt das gesamte Team zusammen und anschließend mussten wir gemeinsam die Vorbereitungen zur Präsentation von Lynns Projekt, bei dem ihr schon assistieren durfte, treffen. Nach dem Lunch kümmerte ich mich endlich um die finale Einrichtung meines Computers, wo ich mir ein eigenes Ablagesystem für die ganzen Nachrichten und Projektdateien erstellte und um halb vier schließlich war es wieder an der Zeit für den Feierabend. Ich verabschiedete mich voller Vorfreude auf den heutigen Abend von meinen Kollegen, tauschte mit Lynn die Taschen mit der Kleidung für heute Abend und verließ die Fakultät in Richtung Aufzug. Während ich wartete, konnte ich von der dritten Etage aus die gesamte Lobby überblicken und entdeckte am Haupteingang Austin, der mit einer jüngeren Studentin das Gebäude verließ. Sein Arm lag dabei dezent auf ihrem Rücken. Leider konnte ich nicht viel erkennen, aber die beiden wirkten irgendwie vertraut miteinander. Machte er sich jetzt schon an jüngere Studentinnen ran? Die meisten von ihnen sind doch gerade einmal 17 oder vielleicht 18. Diese Erkenntnis sorgte dafür, dass ich mich kurzzeitig mit meinen 21 sehr alt fühlte, aber diesen altmodischen Gedankenfurz wollte ich dann doch nicht weiter beachten. Jedenfalls schien mir das alles sehr verdächtig und ich werde mir das Gesicht der jungen Studentin merken. Vielleicht kann sie mir mehr über Austin erzählen, aber ich muss behutsam vorgehen, sonst läuft sie wie ein scheues Reh zurück in den Wald. Für den Moment wollte ich aber schnell in mein Apartment zurück und mich für den Abend fertigmachen. Nach einem schnellen Hähnchensandwich und einer noch schnelleren Dusche zog ich mir mein Outfit an.
Meine schwarze Jeans, welche zur Abwechslung mal keine Flicken oder Fransen besaß, dazu einen schwarzen Ledergürten. Das weiße Hemd von Lynn, welches wie angegossen passte, obwohl sie einen halben Kopf kleiner war als ich, steckte ich nur auf einer Seite in die Jeans. Dazu die Krawatte, die ich locker mit einem doppelten Windsorknoten unter dem Hemdkragen positionierte. Ein Glück hat mir mein Dad das Krawattenbinden beigebracht, auch wenn er sie selbst nicht gerne getragen hat. Leicht schräg setzte ich den schwarzen Tilbry auf, zog meine pechschwarzen Lederboots an, die ich unter der Hose verstecken konnte und entdeckte beim Schließen meines Kleiderschranks noch ein paar alte schwarze Hosenträger, die perfekt dazu passten und mein Outfit direkt abrundeten. Nach einem prüfenden Blick in den Spiegel musste ich schon zugegeben das ich eine verdammt gute Figur in dem Outfit machte. Wobei ich mir generell gut gefalle, ohne jetzt eingebildet zu wirken.
Um 18:00 Uhr bewaffnete ich mich mit meinem Schlüssel, an dem noch immer mein kleiner Pandabär Anhänger baumelte, von dem ich mich niemals trennen werde, meiner Kreditkarte, etwas Bargeld und meinem Handy und machte mich auf dem Weg zum Pub. Glücklicherweise regnete es heute nicht und so blieb mir ein Regenschirm oder die Teilnahme an einem unfreiwilligen Wet-T-Shirt-Contest erspart.
Im Blackbird war noch nicht viel los und zu meinem Erstaunen wurde ich von den wenigen Gästen freundlich, aber keinesfalls komisch angegafft. Das hätte ich nicht erwartet mit meinem Outfit, wobei es eigentlich nichts wirklich Ungewöhnliches ist. Vom Hut mal abgesehen, der eine kleine Rarität war. Am Tresen angekommen wurde ich direkt von Jeffrey begrüßt, der begeistert mein Outfit musterte.
„Grüß dich Chloe? Starkes Outfit. Schön dich zu sehen. Du gehörst jetzt auch zu der Imperial Clique richtig?“
„Hey Jeffrey. Richtig. Ich bin quasi der Neuzugang und scheinbar die Erste, die hier ist“, antwortete ich und ließ meinen Blick durch den Laden schweifen.
Jeffrey zapfte ein Glas Guinness und schob es zu mir über den Tresen. „Hier geht aufs Haus. Momentan schon, aber die anderen kommen in ein paar Minuten. Es ist erst 10 nach. Ich habe eurer Gruppe dem Stammplatz dort in der Ecke reserviert so wie jeden Freitag.“
Jeffrey deutete auf eine gemütliche Fensterecke nahe der kleinen Karaoke Bühne und der Dartscheibe, ich stehe einfach auf diesen Laden. Es ist so verdammt rustikal, gemütlich und absolut nicht spießig.
„Danke für das Bier. Übrigens war das Essen neulich der absolute Wahnsinn. Du hast nicht zu viel versprochen“, ich bedankte und mich und prostete ihm zu.
„Kein Thema. Freut mich zu hören. Du hast ja unsere Pub-Card immer schön abstempeln lassen, damit du dein Freigetränk oder Essen bekommst“, erwiderte er zufrieden, während er wie von selbst die Getränkebestellungen der anderen Gäste abarbeitete.
„Das vergesse ich auf keinen Fall. Ich setze mich schon einmal in die Ecke und warte auf die anderen. Bis später.“

Ich griff mir mein Bier und setzte mich in die Ecke der Sitzbank. Der Tisch war mit kleinen Snackschalen mit Salzstanden und Chips sowie der Speise- und Getränkekarte bestückt. Nur wenige Minuten kamen die ersten meiner Kollegen ins Blackbird. Zuerst Melissa und Tyler im Bonnie und Clyde Partnerlook. Wenn die beiden kein Paar sind, dann fresse ich ein Besen samt dem Stil. Jedenfalls sahen die beiden richtig cool aus und sie begrüßten mich direkt herzlich mit einer Umarmung. Unmittelbar darauf folgten die anderen und jeder von Ihnen hatte ein passendes Themenoutfit an. Linda und Elly haben sich für ein Kleid im Stil der 50er entschieden einmal in rot und einmal in schwarz, während Lee-Han und Mike einen klassischen Anzug mit schwarz-weißen Streifen und passender Kopfbedeckung trugen. Mark schoss den Vogel aber komplett ab. Er sah aus wie der Pate höchstpersönlich in seinem komplett weisen Anzug, dem Hut und seinem Gehstock. Ich hatte kurz das Bedürfnis, ihn zu bitten, ob er mir ein Angebot macht, was ich nicht ablehnen könnte. Bei dem Gedanken musste ich grinsen. Die Letzte im Bunde, aber trotzdem überpünktlich war Lynn. Sie trug dasselbe Outfit, nur ohne Hosenträger, dafür aber schwarze Lederhandschuhe und meinen Tilbry Hut mit einem weißen Band. Sie kam direkt auf mich zu und umarmte mich fest. Fuck, roch ihr Parfüm gut. Das machte beinahe so high wie mein Gras. Generell sah sie einfach heiß aus mit ihren pechschwarzen Haaren, die sich in einer leichten Welle unter dem Hut hervor über ihre Schultern legten. Wir setzten uns nebeneinander zu den anderen auf die Sitzbank in die Ecke und bildeten einen Kreis, damit sich jeder mit jedem unterhalten konnte. Aber einer fehlte noch. Unser feiner Herr „Ich wohne nicht weit weg vom Blackbird“. Mit Sicherheit hat er das arme Mädchen von vorhin solange bequatscht, bis sie ihm hörig ins Bett gefolgt ist oder in seinen Folterkeller, und dabei hat der Gauner die Zeit vergessen. Hauptsache große Reden schwingen. Das Pub füllte sich nun ziemlich schnell und wir bestellten schon einmal bei Jeffrey unsere erste Runde vor. Um Viertel vor sieben, dann passierte es. Er erschien doch noch. Der Herr Wissenschaftler. Gekleidet in einer schwarzen Anzugshose mit ebenfalls schwarzen Anzugstiefeln aus Leder, einem schwarzen Hemd, was vollständig in der Hose verschwand und natürlich mussten die ersten drei oberen Knöpfe offen sein, dem passenden Gürtel und seiner Lederjacke mit aufgestelltem Kragen. Seine perfekt frisierte Tolle mit den zeitgemäß langen Koteletten und die frische Nassrasur rundeten das Bild ab. Ich wusste es, er gehört eindeutig zur Mafia. Zu meiner Verwunderung begrüßten ihn viele der Gäste, winkten oder lächelten ihm zu. Fast als wäre ein Schauspieler auf der Premiere seines eigenen Films erschienen. Das ganze Bild passte noch nicht zusammen. Noch nicht.
Austin kam auf unseren Tisch zu und klopfte zur Begrüßung auf die Tischkante.
„Entschuldigt die Verspätung, Freunde. Kleiner „Notfall“, bei dem ich aushelfen musste“, erklärte er direkt und setzte einen schuldbewussten Gesichtsausdruck auf.

So nennt man das heute also? Ich verführe eine kleine, ahnungslose Studentin und komme deswegen zu spät? Nicht das ich etwas gegen zwischenmenschliche Aktivitäten habe, aber in seinem Fall ist es etwas vollkommen anderes.

„Schon okay. Jetzt bist du ja hier. Aber eine Runde musst du trotzdem geben“, neckte ihn Mark mit einem Schnipser gegen den Arm.
„Auf jeden Fall. Regeln sind Regeln. Habt ihr denn schon bestellt?“, erkundigte sich Herr Wissenschaftler in seiner typisch gelassenen Art.
„Haben wir. Müsste gleich kommen. Der Laden hat sich wieder einmal schlagartig gefüllt. Gut, dass wir unseren Stammplatz haben“, antwortete Mark und spielte dabei mit seinem Gehstock herum. Ganz in seiner Rolle.
Mike ergriff das Wort. „Konntest du deinem „Notfall“ denn helfen?“

Jetzt bin mal gespannt, wie der feine Herr sich aus der Situation retten will. Mit Sicherheit wird er sich nicht die Blöße geben, seine Verspätung wegen eines Techtelmechtels oder Schlimmeres zu rechtfertigen.

„Ja, kein Problem. Das Problem ließ sich schnell lösen“, antwortete Austin mit einem aufgelegten, wie ich finde, aufgesetzten Lächeln.
„Hattest du heute jemanden in der Beratungsstunde?“, fügte Mark hinzu.

Beratungsstunde? Wer ist denn so verzweifelt und lässt sich von ihm beraten. Das Ganze entwickelt sich gerade nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe. Allerdings merke ich allmählich, dass meine brutale Abneigung unangenehmes Sodbrennen verursacht.  

„Ungeplant. Die neue Studentin Molly vom Fachbereich Physik wurde mitten in der Vorlesung von unserer Verwaltungsstelle ausgerufen, weil ihre Stipendienunterlagen wohl fehlerhaft waren und sie hatte Angst, wieder von der Uni verwiesen zu werden.
Ich bin dann mit ihr gemeinsam zur Stipendienberatung im Rathaus gefahren und dort habe ich dann festgestellt dass die Pfeifen das Kreuz an der falschen Stelle gesetzt haben. Kommt davon, wenn man alles mit Schablonen macht und seinen Kopf nicht einschaltet. Jedenfalls konnten wir alles klären und ihr Freund hat sie dann erleichtert abgeholt“, berichtete Austin mit einer mir ungewöhnlich angenehmen Tonlage.
„Ich kenne sie. Ich habe ihren Namen auf der Liste der neuen Erstsemester im internen Verwaltungsportal gesehen. Sie hatte sich auch für eine Probevorlesung bei uns in der Fakultät eingetragen“, ergänzte Elly.

Verdammt. Er hat das Mädchen wohl wirklich nicht angerührt. Vielleicht ist das nur eine Masche? Nein, ich glaube, in dem Punkt muss ich ihn leider im Zweifel für den Angeklagten freisprechen. Was nicht bedeutet, dass ich ihm jetzt vertraue. Ich behalte ihn weiter im Auge. Meine Menschenkenntnis ist wohl gerade im Urlaub, sonst klappt es deutlich besser.

In dem Moment brachte Jeffrey auf einem großen Tablett unsere Getränke. Für die meisten gab es Guinness, Elly und Linda haben sich ein Glas Rotweinschorle bestellt und für Austin einen hausgemachten Eistee? Es wurde immer kurioser. Nicht das ich etwas gegen Menschen habe, die keinen Alkohol trinken, aber das hätte ich jetzt nicht erwartet, zumal er es mit anderen Substanzen scheinbar auch nicht so genau nimmt. Insgeheim muss ich natürlich gestehen, dass ich mir auch hin und wieder ein paar Drinks genehmige oder etwas kiffe. Aber sonst nichts und immerhin bin ich kein tablettenabhängiger Wissenschaftler, der sich als guten Samariter aufspielt.

„Jetzt aber genug von der Arbeit. Es ist Wochenende und Pub-Friday. Also auf einen schönen Abend und unsere neue Kollegin Chloe“, verkündete Austin mit tiefer Stimme und schenkte mir einen standhaften, fast intensiven Blick. Den ich finster erwiderte.
Ich bedankte mich in die Runde und wir stießen gemeinsam an.
Die erste Stunde verging viel zu schnell, aber das, was ich mir von dem Abend erhoffte, war eingetreten. Ich lernte die übrigen Kollegen noch besser kennen und konnte mit einigen schon Gemeinsamkeiten ausmachen, was aber nicht sonderlich schwer ist, denn ich bin nebenberuflich und mit Leidenschaft ein Nerd. Von Videospielen über Filme und Serien bis hin zu Dungeons & Dragons kann ich mit einem breiten Wissen trumpfen. Ich bin also nicht nur ein cleveres Köpfchen in der Forschung. In diesem Moment bedankte ich mich innerlich bei Steph die mir damals an der Blackhell Dungeons & Dragons beigebracht hat. Ich fragte mich was sie wohl aktuell so treibt und wie es ihr geht.
Jedenfalls konnte ich mich mit Lee-Han und Mike ausführlicher über das Thema unterhalten. Die Atmosphäre bei leckerem Essen, guter Musik und kalten Getränken war einfach herrlich und jeder kam untereinander ins Gespräch. Es gab keine nervige Gruppenbildung, sondern einfach nur ein echtes Gefühl von Zusammenhalt. Wobei ich einen Hauch mehr mit Lynn kommunizierte, was nicht nur daran lag, das wir direkt nebeneinandersaßen, aber das fand ich persönlich nicht schlimm und in der Runde offensichtlich auch niemand, denn immerhin ist das ganz normal.
Man mag es kaum glauben, aber ich habe sogar ein paar Worte mit Austin gewechselt. Allerdings nur über Themen der Universität betreffend, aber mehr als in der ganzen Woche zuvor. Darüber sollte er froh sein.

Um 20:00 Uhr ertönte die kleine Glocke über dem Tresen, die mit einem Raben, dem Pub-Maskottchen verziert war.
Es wurde auf der Stelle ruhig im Pub und Jeffrey ergriff auf der Karaokebühne am Mikrofon das Wort. „Ladys und Gentlemen, ich begrüße euch zur traditionellen Happy Hour am Freitag. Bis 23:00 Uhr gibt es unsere Top 10 Cocktails und Hausbiere zum halben Preis. Also lockert euren Geldbeutel, lasst die Kreditkarten glühen und genießt die besten Drinks in ganz London.“
Der gesamte Pub applaudierte und die Stimmung könnte nicht besser sein.
Jeffrey setzte seine Ansprache fort. „Außerdem möchte ich heute ein kleines Highlight ankündigen. Wie ihr dort in der Ecke sehen könnt, beehren uns die Stammgäste des Imperial College und zur Feier des Tages in einem fantastischen Dresscode, denn heute vor einem Jahr waren sie zum ersten Mal als Gruppe bei uns und sind seitdem jeden Freitag im Blackbird. Zum Jahrestag sogar mit einem Neuzugang. Ich bitte daher im einen kräftigen Applaus für unsere Blackbird Mafiosi aber auch für euch selbst. Ohne euch wäre das Lokal nicht der beste Ort in ganz London.“
Erneut füllte sich der Raum mit jubelndem Applaus und ich fühlte mich schon fast wie das Mitglied einer Rockband, als die begeisterten Blicke der Gäste auf uns gerichtet waren. Wenn ich mich nicht schon von Anfang an in den Laden verliebt hätte, wäre es spätestens jetzt um mich geschehen. So eine Stimmung bekommt man wirklich nicht überall geboten.
„Also ich finde, das schreit nach einer besonderen Show. Eine Runde aufs Haus für unsere Gäste vom besten selbstgebrannten Cherry Likör aus unserem Hause. Aber es muss noch ein bisschen mehr Pep her. Was schlagen den die anderen Stammgäste vor?“, fragte Jeffrey grinsend in die begeisterte Menge des Pubs.
„Jetzt pass mal auf Chloe. Jetzt bekommst du direkt zu deinem ersten Pub-Friday und gleichzeitig unserem Jubiläum eine besondere Show“, flüsterte mir Mark über den Tisch hinweg lächelnd zu.
Ich hatte keine Ahnung, was auf mich zukommen würde, jedenfalls fiel ich aus allen Wolken, als die überwiegende Mehrheit der anderen Gäste Austin mit jubelnden Rufen aufforderte, die Bühne zu betreten. Für Austin schien dies nichts Überraschendes zu sein, denn mit einem charmanten Lächeln betrat er die kleine Bühne und übernahm das Mikrofon von Jeffrey, der ihm auf dabei begeistert auf die Schulter klopfte.

Was zum Teufel kommt jetzt? Etwa eine Karaoke-Einlage?  

„Guten Abend zusammen seid ihr alle gut drauf?“, fragte Austin in die Runde und alle im Pub reagierten erneut mit Jubel.
Er nahm das Mikrofon aus der Halterung und ging während der Ansprache auf der kleinen Bühne auf und ab. „Wie ihr schon Jeffrey erfahren habt, feiern meine Kollegen und Freunde vom Imperial College heute unser einjähriges Bestehen der I.C.M. – also der Imperial College Mafia.“
Ein Lacher ging durch das gesamte Publikum. Aber einer von der positiven Sorge und nicht, als würden man ausgelacht, weil gerade jemand einen fahren gelassen hat.
„Außerdem möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich bei Jeffrey für die tolle Zeit bisher und alles, was noch kommt, zu bedanken. Auch das er freitags immer unseren Stammplatz reserviert und alle Gäste mit seinem fantastischen Angebot verwöhnt. Daher bitte auch einen kräftigen Applaus für den Chef hinterm Tresen und sein Team“, Austin deutete auf Jeffrey und motivierte das Publikum und sogar mich eifrig zu klatschen.

Verdammt, er hat wirklich ein Talent Menschen zu motivieren. Das muss ich ihm schon lassen.  

„Bevor wir zum unterhaltsamen Teil des Abends kommen, möchte ich mich noch einmal bei meiner Gruppe bedanken und unser neues Mitglied in der Runde vorstellen. Herzlich willkommen Chloe“, verkündete Austin und zeigte dabei lächelnd auf mich, während die Menge erneut applaudierte.
Ich wusste nicht, ob ich im Erdboden versinken oder Jubeln sollte. Es fühlte sich alles ein wenig surreal an, als wäre ich wirklich Teil einer prominenten Gruppe.
Ich entschied mich ganz ich selbst zu sein und der Menge zuzuwinken und bemühte dabei mich nicht verlegen zu wirken. Normalerweise bin ich die Ruhe in Person. Max ist diejenige, die immer rot anläuft.
„Wie ihr sicher schon gesehen habt, haben wir uns für unser Jubiläum das Motto Mafia ausgedacht. Passend auch zu unserem Gruppennamen. Wie wäre es dann mit einer musikalischen Einlage mit Songs aus der Zeit 50er bis 70er-Jahre. Habt ihr Lust?“, erkundigte sich Austin in die Runde, die umgehend mit begeisternder Zustimmung reagierte.
Er ging zurück zur Halterung für das Mikrofon, steckte es ein und griff nach einer klassischen, aber alten, aber wunderschönen Gitarre von Taylor Guitars. Die Aufschrift ist einfach unverwechselbar und Max hat auch so ein ähnliches Modell.
„Dann legen wir los. Eddie Cochran - C'mon Everybody - 1959“, raunte Austin ins Mikrofon und schaltete die Karaokeanlage ab, so das nur noch das Mikrofon eingeschaltet war.

Er hatte tatsächlich vor, selbst zu singen. Wenn ich Mal mein Missfallen seiner Person betreffend für einen Moment zur Seite schiebe, musste ich ihm zugestehen, das er eine angenehme und tiefe Sprechstimme hat, aber das macht noch lange keinen guten Sänger aus ihm und zu eintausend Prozent erwartete ich gleich, dass mein Trommelfell gleich schreiend aus meinem Schädel stürmen würde. Während wir auf den Beginn der Show warteten, lehnte sich Lynn an meine Seite an und lächelte mir zu. Sie schien sich offensichtlich wohlzufühlen. Sollte mir recht sein, denn mir ging es nicht anders.
Ein kurzes Testklopfen auf das Mikrofon ertönte, dann ein leises, tiefes one, two, one two, three, four und eine peppige Gitarreneinlage stimmte den Song ein. Austin fing an, sich rhythmisch zum Spiel der Gitarre zu bewegen und nach einigen Sekunden fing er an die erste Strophe des Liedes in das Mikrofon zu jagen.

Oh well, c'mon everybody and let's get together tonight
I got some money in my jeans and I'm really gonna spend it right
Well, I've been a-doin' my homework all a-week a-long
And now the house is empty and my folks are gone
Hoo, c'mon everybody


Ich wollte in dem Moment nicht wissen, wie dumm ich aus der Wäsche geschaut habe. Mit der Musik aus jener Zeit war ich zwar nicht sehr vertraut, abgesehen von ein paar Songs, die ich von den alten Schallplatten meines Dads kannte, aber sein Gitarrenspiel in Kombination mit den Bewegungen und seiner Stimme sorgten direkt dafür, dass der gesamte Pub mitklatschte, tanzte und ihn mit freudestrahlenden Blicken bewarf. Auch wenn meine Abneigung ihm gegenüber nach wie vor dominierte, musste ich gestehen, dass seine musikalischen Künste grandios sind und sie bewegten auch mich dazu ihn gemeinsam mit dem Rest des Publikums anzufeuern. Außerdem wollte ich kein gänzliches Arschloch sein und die fantastische Stimmung besänftige gerade meine persönliche Abneigung gegen den charismatischen Showman.
Beim Anblick, wie auch Jeffrey hinter dem Tresen im Takt des Songs die Bestellungen abarbeitete, verdoppelte die gute Laune meinerseits. Musik verbindet die Menschen einfach und mich heitert sie immer wieder auf, egal wie traurig oder angespannt ich in dem Moment bin. Austin beendete den Song mit einem beeindruckenden Gitarrensolo und wurde unmittelbar darauf mit Applaus und jubelnden Pfiffen überschüttet. Mit einem ungewöhnlich zurückhaltenden, aber meiner Ansicht nach zutiefst dankbaren Lächeln kündigte er noch zwei weitere Songs an: Buddy Holly - Rave On – 1958 und Bo Diddley – Bo Diddley - 1969. Den letzten Song kannte ich tatsächlich. Dad hörte ihn immer, wenn er mit Hausputz beschäftigt war. Ich wünschte, er könnte das jetzt miterleben. Er würde vor Begeisterung ausflippen, aber leider kann er es nicht. Umso mehr werde ich den Song genießen. Für uns beide.

Als der letzte Song sein Ende fand, versank das Blackbird im Applause eines begeisterten Publikums. Wir alle, einschließlich Austin, waren vom Anfeuern und Tanzen total aus der Puste. Der Jubel hörte auch dann noch nicht auf, als er bereits wieder an unserem Tisch saß und seinen kalten Eistee hinunter kippte.
„Wieder mal eine grandiose Show, Austin. Ich bin immer noch ganz aus dem Häuschen“, quiekte Linda begeistert und die anderen taten es ihr gleich.
Wie fremdgesteuert kam mir doch tatsächlich ein Kompliment über die Lippen. „Ein starker Auftritt. Wirklich genial.“
Zu meiner Überraschung beantworte Austin dies still mit einem aufrichtig wirkenden Lächeln, so als würde es ihm meine Meinung viel bedeuten.
„Das du ein genialer Sänger, Gitarrist und Tänzer bist, haben wir mittlerweile festgestellt und du hast schon zugegeben, das du früher Unterricht hattest. Aber woher du deine Bühnenperformance hast, wissen wir immer noch nicht. Was ist dein Geheimnis?“, erkundigte sich Mike, die Hand nachdenklich ans Kinn gelehnt.
Austin lächelte verschmitzt und setzte sein Glas ab. „Was ist aktuell im Jackpot?“
Lynn griff nach Ihrem Handy und schaute in die Gruppe. „Mit den Eingängen von heute 343 Pfund und 66 Pennys.“

Fragend drehte ich mich zu Lynn, die mir drauf hin erzählte, dass es eine Art Jackpot gibt, in dem nach jedem Auftritt von allen Gruppenmitgliedern eine beliebige Summe eingezahlt wird, sozusagen als Gage, und es wird darüber spekuliert, was Austin vor seiner Zeit am Imperial College so getrieben hat. Obwohl er zu allen hier am Tisch ein sehr freundschaftliches Verhältnis pflegt, gab er bisher nicht viel über seine Vergangenheit preis. Dies feuerte meine Zweifel ihm gegenüber wieder an, denn warum erzählt man nicht, woher man kommt? Der einzige Grund, der mir spontan einfiel, war die Tatsache, dass er etwas zu vertuschen versucht. Der Fall wurde für mich immer kurioser.
„In Ordnung, wenn wir bei 500 Pfund angekommen sind, dann verrate ich euch, woher ich die Bühnenerfahrung habe und wir gehen davon gemeinsam essen“, beschwichtige er die neugierige Runde.
Das wollen wir doch mal etwas beschleunigen, aber nicht so sehr, das er direkt skeptisch wird. Ich erkundigte mich bei Lynn, wie ich in den Jackpot einzahlen kann und sie gab mir die entsprechende PayPal-Adresse. Sofort zückte ich mein Handy und überwies direkt und verdeckt unter dem Tisch 56,34. Immerhin gehörte ich nun auch zur Gruppe und wollte meinen Anteil leisten. Die letzten hundert Pfund würden wir auf jeden Fall bei seinem nächsten Auftritt vollkriegen.
Lynn grinste mich an, als sie den Zahlungseingang sah und ich konnte dabei zum ersten Mal einen Blick in ihre wundervollen strahlend blauen Augen werfen. Fast wie die eines Huskys.
„Korrektur. Jetzt sind es 400 Pfund. Also kommen wir dem Ziel immer näher“, rief Lynn in die Runde und die meisten rieben sich schon voller Vorfreude die Hände und grinsten mich zufrieden an. Scheinbar konnten alle in der Gruppe außer Austin sehen, wer gerade etwas in den Jackpot eingezahlt hat.
Der restliche Abend verlief genauso gechillt und spaßig wie bisher. Es wurden Snacks geknabbert und jede Menge Drinks getrunken. Das merkte man auch daran, dass die ohnehin schon ausgelassene Heiterkeit eine ganz neue Ebene erreichte. Bis auf Austin. Er blieb bei meinem hausgemachten Eistee. War er vielleicht mal Alkoholiker? Plötzlich bemerkte ich, dass er aus der Innentasche seiner Lederjacke nach seinem klingelnden Handy griff dabei konnte ich eine weiße Stickerei in der Innenseite erkennen. Wenn ich mich nicht täusche, stand dort You Raise Me Up – Samantha. Wer ist diese Samantha? Mein Kopf war schon zu beschwipst, um genauer darüber nachzudenken, aber diese Entdeckung merkte ich mir. Austin entschuldigte sich und verließ das Pub, um zu telefonieren.
Durch das Fenster hinter uns am Tisch konnte ich erkennen, das er während des Telefonats sehr aufbrausend mit den Händen fuchtelte und kurz darauf wieder zu uns zurückkam. Mit wem hatte er gerade telefoniert und was hat ihn so aufgeregt? Vielleicht sein Dealer? Das würde ich in der Tat nachvollziehen, die meisten von denen sind echte Flaschen. Er versteckte die Aufregung unter seiner typisch lockeren und charmanten Art. Aber mir machte man nicht so schnell was vor. Auch wenn ich ordentlich was im Kahn habe.

Wenig später ertönte die Glocke über dem Tresen erneut und Jeffrey läutete gegen 01:00 Uhr das Ende des Abends ein. Als dieser an den Tisch kam, um abzurechnen, übernahm ich zwei Runden für das ganze Team und das Trinkgeld zu meinem Einstand und reichte ihm meine Kreditkarte. Austin übernahm den Rest als Wiedergutmachung für sein spätes Erscheinen. Eigentlich hätte er nur eine Runde zahlen müssen, aber zeigte sich damit äußerst spendabel. Die Gruppe bedankte sich bei uns und wir verließen beschwipst und mit bester Laune das Blackbird mit voller Vorfreude auf den nächsten Pub-Friday. Vorm Gebäude verabschiedeten wir uns alle herzlich voneinander und verstreuten uns in verschiedene Richtungen. Lediglich Lynn und ich blieben zurück, da sie auf ihr Taxi wartete und ich beschloss, ihr Gesellschaft zu leisten. Nach den unzähligen Erkenntnissen, aber vor allem positiven Eindrücken brauchte ich jetzt erst mal eine Kippe.
„Hast du auch eine für mich?“, fragte mich Lynn freundlich und mit angesäuseltem Blick.
Grinsend gab ich ihr eine Zigarette und zündete sie ihr an.
„Was ein geiler Abend. So viel Spaß hatte ich schon lange nicht mehr“, gab ich zufrieden von mir.
„Aber so was von! Die Freitage im Pub sind immer toll, aber heute war mal wieder ein richtiges Highlight. Und jetzt bist du auch noch mit an Bord. Besser kann es nicht werden“, antwortete Lynn schmunzelnd und mit glasigem Blick.
„Das fasse ich mal als Kompliment auf. Ich freue mich schon auf den nächsten Freitag.“
Lynn zog an der Kippe und pustete den Rauch langsam in den Nachthimmel hinauf. „Das sollte auch ein Kompliment sein. Ich freue mich auch und am Samstag haben wir auch noch unsere Verabredung. Das wird ein geniales Wochenende.“
„Darauf kannst du dich verlassen“, zwinkerte ich ihr zu.
„Wollen wir uns das eigentlich das Taxi teilen oder wie kommst du nach Hause“, hakte Lynn nach.
Ich konnte mir mein Grinsen nicht verkneifen, beugte mich zu ihr rüber und flüsterte ihr etwas zu. „Kann ich dir ein kleines Geheimnis anvertrauen? Ich wohne nur drei Straßen weiter.“
„Jetzt verstehe ich, warum du so selbstsicher warst, als es in der Gruppe darum ging, pünktlich zu sein. Raffiniertes Biest", lächelte sie verwegen.
„Aber das bleibt unter uns“, antwortete ich gespielt streng.
„Dein Geheimnis ist bei mir sicher. Verlass dich drauf.“
Wir unterhielten uns noch eine Weile über den Abend und rauchten noch eine Zigarette. Das Taxi war noch immer nicht gekommen.
„Wenn das Taxi nicht gleich kommt, kannst du gerne mit zu mir kommen“, bot ich ihr freundlich an.
„Das klingt verlockend. Was bekommt man den so bei dir geboten?“, lachte sie fordernd.
Selbstbewusst lehnte ich mich an einen Baum am Straßenrand und grinste sie an. „Eine gute Auswahl an kalten Drinks und einen Balkon über den Bäumen mit Blick über die Stadt.“
„Da möchte ich doch beinahe hoffen, dass mein Taxi nicht kommt“, erwiderte sie mit funkelnden Augen.

Die frische Nachtluft knisterte und der Moment wurde vom anrauschenden Taxi unterbrochen, das direkt vor uns stoppte. Der Taxifahrer entschuldigte sich durch das offene Beifahrerfenster für die Verspätung. Ich wurde immer wieder überrascht, wie höflich hier doch alle sind. Das war schon beinahe langweilig, aber auch irgendwie entspannend zugleich.
„Schade dann, wir müssen das wohl verschieben“, antwortete Lynn und drückte die Zigarette am Bordstein aus.
„Werden wir. Auf nächsten Samstag“, flüsterte ich entschlossen.
„Deal“, hauchte sie mir ins Ohr und verabschiedete sich mich einer innigen Umarmung und einem Küsschen auf die Wange.

Verdammt, damit habe ich jetzt nicht gerechnet.

Ich winkte dem Taxi hinterher, bevor ich mich leicht schwankend auf den Weg in mein Apartment machte. Ein ereignisreicher Tag ging zu Ende und zum ersten Mal seit heute beziehungsweise gestern früh herrschte etwas Ruhe und ich konnte das Erlebte sacken lassen, auch wenn sich das im betrunkenen Zustand etwas schwieriger gestaltete.
Die erste Woche war einfach großartig, meine Arbeitskollegen sind cool und mutierten mittlerweile zu Freunden, mit Lynn habe ich sogar eine Gleichgesinnte gefunden. Noch dazu schaut sie verdammt heiß aus. Mein Apartment ist der absolute Hammer und die Gegend gefällt mir auch.
Natürlich vermisste ich mein Leben, mein Zuhause und die Menschen in Seattle. Aber mein Umfeld hier sorgt für ein aushaltbares Heimweh und viel Spaß. Es hätte definitiv schlimmer kommen können. Sehr viel schlimmer. Morgen muss ich auf jeden Fall Ryan und Vanessa anrufen und ihnen ausführlich von der ersten Woche berichten, aber erst werde ich mich richtig ausschlafen. Außerdem vermisse ich die beiden total. Max natürlich auch irgendwie.
Aber es gab an diesem Abend auch Schattenseiten. Gerne hätte ich meiner Mom, Dad und Rachel diesen tollen Ort gezeigt und sie meinen neuen Kollegen vorgestellt. Doch leider ging das nicht, aber vielleicht hatte David recht, als er neulich zu mir sagte, dass Menschen, die einem sehr nah standen oder stehen, immer bei uns sind, ganz egal wie weit oder durch was man getrennt ist. Selbst nach dem Tod. Der Gedanke daran zauberte mir sofort wieder ein Lächeln auf die Lippen.
Das für mich wohl Merkwürdigste an dieser Woche aber war definitiv Austin. Der Kerl hat einen so miserablen ersten Eindruck bei mir hinterlassen, benimmt sich, als wäre er die Weisheit in Person und denkt, er wäre everybody's darling und hat definitiv Dreck am Stecken. Andererseits konnte ich an diesem Abend auch eine andere Seite von ihm kennenlernen. Er ist musikalisch ein Bühnenmensch, das totale Gegenteil zu seiner alltäglichen Arbeit und er kann die Menschen mich eingeschlossen sehr gut motivieren. Diese Seite gefällt mir zugegebenermaßen schon. Aber er hat definitiv zwei Gesichter und viele Talente aber solange ich nicht alles über ihn weiß, werde ich ihm mit absoluter Vorsicht begegnen. Für heute jedenfalls habe ich genug und werde mich gleich nur noch in mein bequemes Bett werfen und mir eine ausgiebige Mütze Schlaf genehmigen.
 Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast