Two out of Three ain't bad
von rheingoldweg12a
Kurzbeschreibung
Das hier ist eine Sammlung an Oneshots und kleineren Stories rund um eine polyamore AU zwischen Alberich x Boerne + Boerne x Thiel. Mal wird es h/c-lastig und mal sehr humorvoll. Mal werde ich mehr AxB betonen und mal mehr BxT. Und es wird auch Stories geben, die tatsächlich AxBxT sind. Das Rating wechselt auch. Diese Sammlung hat kein Verfallsdatum. Die Grenze ist nur mein Einfallsreichtum. Die Stories sind eher lose zusammenhängend und nicht chronologisch. Dennoch gehören sie alle in ein AU. In den Author's Notes werden ich etwas über meine headcanons zu diesem AU schreiben. Es gibt keinen bestimmten Update-Rhythmus. Immer wenn mir etwas einfällt, kommt ein Kapitel dazu.
SammlungSchmerz/Trost, Liebesgeschichte / P18 / Div
Kriminalhauptkommissar Frank Thiel
Rechtsmediziner Professor Karl Friedrich Boerne
Rechtsmedizinerin Silke Haller
01.02.2022
06.03.2023
9
43.469
6
04.09.2022
1.632
A/N: Dieses Mal will ich gar nicht viel zu sagen. Aus Trauer, aus einem leider sehr kummervollem gegebenem Anlass. Aber auch aus der tiefen Überzeugung, dass Angst und Hass niemals gewinnen werden, wenn wir uns ihnen entgegenstellen. Am Ende siegt immer die Liebe und nichts sonst.
Inspiriert durch KeinButterdiebs und Cornchrunchies wundervolle Beiträge.
Für Malte.
Für alle, die schon mal betroffen waren von Queerfeindlichkeit jeder Art.
Und für dich. Egal, wie es dir gerade geht. Lass dir gesagt sein, du bist nicht allein.
Ein Sieg der Liebe
„Geh’n wir dahin?“ Fragte er in solch gedämpfter Stimme, dass die anderen fünf am Tisch ihn kaum verstanden. Seit einer gefühlten Ewigkeit saßen sie hier und sagten kein Wort. Keiner von ihnen hatte bisher das Bedürfnis verspürt, mehr als ein paar Höflichkeitsfloskeln zur Begrüßung zu teilen.
Dabei sollte das hier doch ihre kleine private Feier sein. Ihr Jubiläum. 20 Jahre. Zwei Jahrzehnte. Seit exakt 7.300 Tagen hielten sie es nun schon miteinander aus. Hatten sich gestritten und wieder vertragen. Sich gegenseitig bis aufs Blut gereizt und genervt, nur um doch wieder zueinander zurückzufinden. Sich getriezt, reingelegt, ausgelacht, angeschrien und doch am Ende…ja, am Ende immer aus tiefstem Herzen geliebt.
Eigentlich sollten sie laut und fröhlich sein. So sehr, dass man sie mal wieder fast rauswerfen wollte. Sie sollten sich gegenseitig piesacken, wie alt und wunderlich sie alle in diesen 20 Jahren geworden waren. Stattdessen schwiegen sie sich an. Wussten nicht, was sie sagen sollten vor lauter Kummer, Trauer und Fassungslosigkeit.
Selbst der Aschenbecher, den der Kellner sofort vor Frau Klemm platziert hatte, war nach fast zwei Stunden noch immer völlig jungfräulich. Seitdem hielten sie sich auch alle krampfhaft an ihrem ersten Glas fest. Dieses Mal alkoholfrei. Alle. Ausnahmslos. Sogar Boerne hatte sich auf diese stille Abmachung eingelassen. Langsam ließ er seine trüben Augen von einem zum anderen wandern.
Vaddern wirkte zum ersten Mal so richtig alt. Er saß mit derart krummen Rücken an dem alten Echtholztisch, dass er kaum sein Gesicht erkennen konnte. Vielleicht auch besser so. Den kummervollen Blick hätte er nur schwer ertragen.
Der ältere Mann sorgte sich. Sein Vater gab es nicht gern zu. Doch seit das Klima wieder rauer in der Gesellschaft geworden war, waren die Sorgenfalten viel zu präsent auf dem gealterten Gesicht, dass doch fast acht Jahrzehnte lang völlig ohne ausgekommen war.
Die Klemm dagegen hatte ja schon immer gern die Stirn über die Eskapaden ihres Teams krausgezogen. Sie machte nie einen Hehl daraus, wenn sie eine ihrer Aktionen so richtig bescheuert fand. Aber heute wirkte die Staatsanwältin merkwürdig klein und kraftlos. Selbst ihre dunkle lange Mähne schien schlaff.
Müde. Seine Vorgesetzte wirkte unfassbar erschöpft und müde. Immerhin wussten sie von ihr, dass die Kollegen einem Tatverdächtigen schon auf der Spur waren. Mirko und er selbst hatten sich aus bekannten Gründen sofort aus der Angelegenheit rausgehalten. Beide waren sie viel zu befangen, um irgendjemandem eine Hilfe zu sein.
Sein sanfter junger Kollege wirkte zwischen der Klemm und Boerne ebenso seltsam winzig wie die Staatsanwältin zu seiner Linken. Mirko hatte der ursprüngliche Angriff auf dem CSD schon erheblich zugesetzt. Die Nachricht von heute Morgen hatte den jungen Kommissar endgültig in seinen Grundfesten erschüttert. Zu seiner eigenen Erleichterung hatte sich Silke sofort der Sache angenommen und sich um ihren besten Freund gekümmert, so gut sie das in ihrer eigenen angeknacksten Verfassung vermochte. Er selbst wäre damit völlig überfordert gewesen.
Er war einfach kein guter Tröster. Schon bei seinen Kindern fiel ihm das oft schwer. Wie sollte er da eine gute Schulter für einen Erwachsenen sein? Aber vielleicht zählte Silke da nicht. Sie war ja doch recht klein. Statt an Boerne hatte sie sich dieses Mal an ihn gelehnt, während sie ihre rechte Hand immer noch fest mit der seines Partners verschlungen hatte.
Seit etwa einer halben Stunde spürte er, wie ihre stummen Tränen sein T-Shirt durchnässten. Es kümmerte ihn nicht. Stattdessen hatte er nur seinen Arm um sie gelegt, um mit seinen Fingerspitzen möglichst unauffällig Boernes Oberarm immer wieder leicht berühren zu können.
Sein Partner saß noch immer in seinem dünnen Sommermantel da, dabei war es über 20 Grad draußen. Es schien fast, als wäre dem Professor trotz der sommerlichen Temperaturen entsetzlich kalt.
Regungslos starrte der andere Mann in sein Wasserglas. Seit Stunden hatte der redselige Rechtsmediziner kaum ein Wort herausgebracht und das machte ihm mehr Angs als alles andere. Beklemmt beobachtete er den jüngeren Mann dabei, wie er abwesend da saß und auf Silkes Handrücken mit seinem Daumen Kreise malte.
Er brauchte sie jetzt beide mehr denn je. Das hatte er schon immer. Aber zum ersten Mal wurde ihm richtig bewusst, wie tief das ging und wie schnell er das alles verlieren konnte. Heute Morgen beim Frühstück hatte er sie beide betrachtet und sich gefragt, was er nur tun würde, wenn der schlimmste Fall eintreten würde.
Sie machten kein Geheimnis mehr aus ihrer für viele so ungewöhnlichen Beziehungskonstellation. Angst hatte bisher dabei wenn überhaupt immer nur unterschwellig eine Rolle gespielt. Er war viel besorgter wegen der dummen Sprüche seine Kolleginnen und Kollegen gewesen.
Seit den Morgenstunden hatte sich jedoch plötzlich die blanke Furcht als ungebetener Gast eingeschlichen. Sie hatte sich ungefragt zwischen sie gedrängt, um sie hämisch mit ihrer Anwesenheit zu quälen. Diese erdrückende Furcht, die Tonnen zu wiegen schien. Furcht um Boerne, um Silke, aber auch um drei noch viel verletzlichere Zielscheiben. Um Ellie, Linus und Annie.
Natürlich waren ihre gemeinsamen Kinder selbstbewusst, eigensinnig und stark, wie sollte das bei dieser Mutter auch anders sein. Aber sie waren eben auch immer noch die Kinder. Das würde immer so sein. Er würde nie den Drang ablegen, sie beschützen zu wollen vor all der unbarmherzigen Hässlichkeit, die diese grausame Welt ihnen zeigen würde. Und doch…
Plötzlich richtete sich Silke mit einem Schniefen auf. „Natürlich gehen wir zu der Kundgebung.“ Verkündete sie mit fester Stimme. „Wann ist das nochmal genau?“ Wollte sie mit immer noch laufender Nase und geröteten Augen wissen. Traurig lächelte er seine kleine Partnerin an. Was wunderte er sich eigentlich noch? Sie war schon immer die Stärkste und Zähste von ihnen allen gewesen, auch wenn ihr die letzten Tage einiges von ihrer schier unendlichen Kraft geraubt hatten.
„18 Uhr vor dem Rathaus.“ Antwortete ihr Mirko rasch mit belegter Stimme. Auch seine Augen funkelten verräterisch vor kaum unterdrückten Tränen. „Ok, dann sollten wir bald aufbrechen.“ Sie nickten sich alle schnell bestätigend zu, um nicht zu viel reden zu müssen. Dann verfielen sie wieder in Schweigen.
Silke schmiegte sich erneut an ihn. Vorsichtig zog er ihren kleinen warmen Körper an sich. Sofort stieg ihm der Geruch von Jasmin in die Nase. Ein Duft, den er immer mit ihr und damit mit Zuhause verband. Das war der Geruch von Geborgenheit, von Sicherheit. Über ihren blonden Schopf hinweg trafen seine himmelblauen Augen auf kieferngrüne.
Noch nie hatte er seinen Partner so erlebt. So still, so in sich gekehrt. Zuhause hatte er Silke und ihn kaum aus den Augen gelassen. Ständig hatte er ihre Nähe gesucht. Aber sobald sie auf die Straße getreten waren, um sich mit den anderen wie immer zu diesem Jahrestag im Großen Kiepenkerl zu treffen, war der Rechtsmediziner plötzlich auf eine halbe Armlänge Abstand gegangen. Als wollte er signalisieren, dass er ja gar nicht zu ihnen gehörte.
Hektisch hatte sich Boerne nach jedem Passanten, an dem sie vorbeigekommen waren, umgedreht. Immer darauf bedacht, dass er nicht Silkes oder gar seine eigene Hand ausversehen streifte. Immerhin gestattete der jüngere Mann es ihm jetzt, dass er ihn sanft mit den Fingerspitzen berühren durfte. Die Hand, die zeitgleich Silkes hielt, verbarg er jedoch sorgfältig vor fremden Augen in seinem Schoß.
Er wusste nicht, was ihn mehr schmerzte. Das ängstliche furchtgesteuerte Verhalten seines Partners oder Silkes furchtbar wehmütiger Blick, der sich bereits jetzt tief in sein Inneres gefressen hatte.
Plötzlich spürte er, wie sie tief aus seinem Bauch nach oben stieg. Heiß und glühend. Diese unbändige Wut auf den gesichtslosen Unbekannten, der ihnen das angetan hatte, weil er einen unschuldigen jungen Mann viel zu früh aus diesem Leben gerissen hatte. Die Wut auf alles, was diese Tat erst möglich gemacht hatte. Die Wut darauf, wie machtlos er sich in diesem Moment fühlte.
Aber Hass mit Hass zu bekämpfen. Das war noch nie ein gutes Rezept gewesen. Das wusste er wohl und doch viel es ihm gerade mehr als schwer, irgendeine menschliche Regung für den Täter zu empfinden. Vielleicht würde diese Kundgebung wirklich dabei helfen. Er hoffte es inständig.
Er hoffte es nicht nur für sich, sondern vor allem für die fünf Menschen an diesem Tisch. Er hoffte, dass Vaddern seine Sorgenfalten verlieren würde. Er hoffte, dass Frau Klemm ihre laute ungehobelte Art zurückbekommen würde. Er hoffte, dass Mirko sein Lachen wieder finden würde. Er hoffte, dass die kleine taffe Frau in seinen Armen wieder ihre alte Stärke zurückgewinnen würde. Und vor allem hoffte er, dass sein sonst so abenteuerlich furchtloser Lebenspartner die Angst besiegen würde, bevor sie sie alle für immer auseinander trieb.
Er hoffte auf so vieles. Aber was wären sie auch ohne Hoffnung. Ohne den Glauben an ein besseres Morgen. Die Angst würde nicht das letzte Wort haben. Der Hass würde nicht gewinnen. Nicht hier. Sie hatten hier keinen Platz. Nicht zwischen ihnen. Zwischen diesen Menschen, die er liebte. Nicht in dieser Stadt, in die er sich so sehr mit Herz und Verstand verliebt hatte. Er würde die Angst und den Hass mit allem bekämpfen, was er hatte.
Mit diesem Gedanken drückte er Silke nochmal einen Kuss auf das goldblonde Haar und griff entschlossen nach Boernes anderer Hand, die offen auf dem Tisch lag. Der andere Mann zuckte nur kurz zusammen, doch er zog die Hand nicht zurück.
Das verbuchte er als Sieg. Als ersten schmalen Hoffnungsschimmer. Als ersten kleinen Sieg gegen die Angst, gegen den Hass. Als ersten wichtigen Sieg für genau diese Liebe.
Inspiriert durch KeinButterdiebs und Cornchrunchies wundervolle Beiträge.
Für Malte.
Für alle, die schon mal betroffen waren von Queerfeindlichkeit jeder Art.
Und für dich. Egal, wie es dir gerade geht. Lass dir gesagt sein, du bist nicht allein.
Ein Sieg der Liebe
„Geh’n wir dahin?“ Fragte er in solch gedämpfter Stimme, dass die anderen fünf am Tisch ihn kaum verstanden. Seit einer gefühlten Ewigkeit saßen sie hier und sagten kein Wort. Keiner von ihnen hatte bisher das Bedürfnis verspürt, mehr als ein paar Höflichkeitsfloskeln zur Begrüßung zu teilen.
Dabei sollte das hier doch ihre kleine private Feier sein. Ihr Jubiläum. 20 Jahre. Zwei Jahrzehnte. Seit exakt 7.300 Tagen hielten sie es nun schon miteinander aus. Hatten sich gestritten und wieder vertragen. Sich gegenseitig bis aufs Blut gereizt und genervt, nur um doch wieder zueinander zurückzufinden. Sich getriezt, reingelegt, ausgelacht, angeschrien und doch am Ende…ja, am Ende immer aus tiefstem Herzen geliebt.
Eigentlich sollten sie laut und fröhlich sein. So sehr, dass man sie mal wieder fast rauswerfen wollte. Sie sollten sich gegenseitig piesacken, wie alt und wunderlich sie alle in diesen 20 Jahren geworden waren. Stattdessen schwiegen sie sich an. Wussten nicht, was sie sagen sollten vor lauter Kummer, Trauer und Fassungslosigkeit.
Selbst der Aschenbecher, den der Kellner sofort vor Frau Klemm platziert hatte, war nach fast zwei Stunden noch immer völlig jungfräulich. Seitdem hielten sie sich auch alle krampfhaft an ihrem ersten Glas fest. Dieses Mal alkoholfrei. Alle. Ausnahmslos. Sogar Boerne hatte sich auf diese stille Abmachung eingelassen. Langsam ließ er seine trüben Augen von einem zum anderen wandern.
Vaddern wirkte zum ersten Mal so richtig alt. Er saß mit derart krummen Rücken an dem alten Echtholztisch, dass er kaum sein Gesicht erkennen konnte. Vielleicht auch besser so. Den kummervollen Blick hätte er nur schwer ertragen.
Der ältere Mann sorgte sich. Sein Vater gab es nicht gern zu. Doch seit das Klima wieder rauer in der Gesellschaft geworden war, waren die Sorgenfalten viel zu präsent auf dem gealterten Gesicht, dass doch fast acht Jahrzehnte lang völlig ohne ausgekommen war.
Die Klemm dagegen hatte ja schon immer gern die Stirn über die Eskapaden ihres Teams krausgezogen. Sie machte nie einen Hehl daraus, wenn sie eine ihrer Aktionen so richtig bescheuert fand. Aber heute wirkte die Staatsanwältin merkwürdig klein und kraftlos. Selbst ihre dunkle lange Mähne schien schlaff.
Müde. Seine Vorgesetzte wirkte unfassbar erschöpft und müde. Immerhin wussten sie von ihr, dass die Kollegen einem Tatverdächtigen schon auf der Spur waren. Mirko und er selbst hatten sich aus bekannten Gründen sofort aus der Angelegenheit rausgehalten. Beide waren sie viel zu befangen, um irgendjemandem eine Hilfe zu sein.
Sein sanfter junger Kollege wirkte zwischen der Klemm und Boerne ebenso seltsam winzig wie die Staatsanwältin zu seiner Linken. Mirko hatte der ursprüngliche Angriff auf dem CSD schon erheblich zugesetzt. Die Nachricht von heute Morgen hatte den jungen Kommissar endgültig in seinen Grundfesten erschüttert. Zu seiner eigenen Erleichterung hatte sich Silke sofort der Sache angenommen und sich um ihren besten Freund gekümmert, so gut sie das in ihrer eigenen angeknacksten Verfassung vermochte. Er selbst wäre damit völlig überfordert gewesen.
Er war einfach kein guter Tröster. Schon bei seinen Kindern fiel ihm das oft schwer. Wie sollte er da eine gute Schulter für einen Erwachsenen sein? Aber vielleicht zählte Silke da nicht. Sie war ja doch recht klein. Statt an Boerne hatte sie sich dieses Mal an ihn gelehnt, während sie ihre rechte Hand immer noch fest mit der seines Partners verschlungen hatte.
Seit etwa einer halben Stunde spürte er, wie ihre stummen Tränen sein T-Shirt durchnässten. Es kümmerte ihn nicht. Stattdessen hatte er nur seinen Arm um sie gelegt, um mit seinen Fingerspitzen möglichst unauffällig Boernes Oberarm immer wieder leicht berühren zu können.
Sein Partner saß noch immer in seinem dünnen Sommermantel da, dabei war es über 20 Grad draußen. Es schien fast, als wäre dem Professor trotz der sommerlichen Temperaturen entsetzlich kalt.
Regungslos starrte der andere Mann in sein Wasserglas. Seit Stunden hatte der redselige Rechtsmediziner kaum ein Wort herausgebracht und das machte ihm mehr Angs als alles andere. Beklemmt beobachtete er den jüngeren Mann dabei, wie er abwesend da saß und auf Silkes Handrücken mit seinem Daumen Kreise malte.
Er brauchte sie jetzt beide mehr denn je. Das hatte er schon immer. Aber zum ersten Mal wurde ihm richtig bewusst, wie tief das ging und wie schnell er das alles verlieren konnte. Heute Morgen beim Frühstück hatte er sie beide betrachtet und sich gefragt, was er nur tun würde, wenn der schlimmste Fall eintreten würde.
Sie machten kein Geheimnis mehr aus ihrer für viele so ungewöhnlichen Beziehungskonstellation. Angst hatte bisher dabei wenn überhaupt immer nur unterschwellig eine Rolle gespielt. Er war viel besorgter wegen der dummen Sprüche seine Kolleginnen und Kollegen gewesen.
Seit den Morgenstunden hatte sich jedoch plötzlich die blanke Furcht als ungebetener Gast eingeschlichen. Sie hatte sich ungefragt zwischen sie gedrängt, um sie hämisch mit ihrer Anwesenheit zu quälen. Diese erdrückende Furcht, die Tonnen zu wiegen schien. Furcht um Boerne, um Silke, aber auch um drei noch viel verletzlichere Zielscheiben. Um Ellie, Linus und Annie.
Natürlich waren ihre gemeinsamen Kinder selbstbewusst, eigensinnig und stark, wie sollte das bei dieser Mutter auch anders sein. Aber sie waren eben auch immer noch die Kinder. Das würde immer so sein. Er würde nie den Drang ablegen, sie beschützen zu wollen vor all der unbarmherzigen Hässlichkeit, die diese grausame Welt ihnen zeigen würde. Und doch…
Plötzlich richtete sich Silke mit einem Schniefen auf. „Natürlich gehen wir zu der Kundgebung.“ Verkündete sie mit fester Stimme. „Wann ist das nochmal genau?“ Wollte sie mit immer noch laufender Nase und geröteten Augen wissen. Traurig lächelte er seine kleine Partnerin an. Was wunderte er sich eigentlich noch? Sie war schon immer die Stärkste und Zähste von ihnen allen gewesen, auch wenn ihr die letzten Tage einiges von ihrer schier unendlichen Kraft geraubt hatten.
„18 Uhr vor dem Rathaus.“ Antwortete ihr Mirko rasch mit belegter Stimme. Auch seine Augen funkelten verräterisch vor kaum unterdrückten Tränen. „Ok, dann sollten wir bald aufbrechen.“ Sie nickten sich alle schnell bestätigend zu, um nicht zu viel reden zu müssen. Dann verfielen sie wieder in Schweigen.
Silke schmiegte sich erneut an ihn. Vorsichtig zog er ihren kleinen warmen Körper an sich. Sofort stieg ihm der Geruch von Jasmin in die Nase. Ein Duft, den er immer mit ihr und damit mit Zuhause verband. Das war der Geruch von Geborgenheit, von Sicherheit. Über ihren blonden Schopf hinweg trafen seine himmelblauen Augen auf kieferngrüne.
Noch nie hatte er seinen Partner so erlebt. So still, so in sich gekehrt. Zuhause hatte er Silke und ihn kaum aus den Augen gelassen. Ständig hatte er ihre Nähe gesucht. Aber sobald sie auf die Straße getreten waren, um sich mit den anderen wie immer zu diesem Jahrestag im Großen Kiepenkerl zu treffen, war der Rechtsmediziner plötzlich auf eine halbe Armlänge Abstand gegangen. Als wollte er signalisieren, dass er ja gar nicht zu ihnen gehörte.
Hektisch hatte sich Boerne nach jedem Passanten, an dem sie vorbeigekommen waren, umgedreht. Immer darauf bedacht, dass er nicht Silkes oder gar seine eigene Hand ausversehen streifte. Immerhin gestattete der jüngere Mann es ihm jetzt, dass er ihn sanft mit den Fingerspitzen berühren durfte. Die Hand, die zeitgleich Silkes hielt, verbarg er jedoch sorgfältig vor fremden Augen in seinem Schoß.
Er wusste nicht, was ihn mehr schmerzte. Das ängstliche furchtgesteuerte Verhalten seines Partners oder Silkes furchtbar wehmütiger Blick, der sich bereits jetzt tief in sein Inneres gefressen hatte.
Plötzlich spürte er, wie sie tief aus seinem Bauch nach oben stieg. Heiß und glühend. Diese unbändige Wut auf den gesichtslosen Unbekannten, der ihnen das angetan hatte, weil er einen unschuldigen jungen Mann viel zu früh aus diesem Leben gerissen hatte. Die Wut auf alles, was diese Tat erst möglich gemacht hatte. Die Wut darauf, wie machtlos er sich in diesem Moment fühlte.
Aber Hass mit Hass zu bekämpfen. Das war noch nie ein gutes Rezept gewesen. Das wusste er wohl und doch viel es ihm gerade mehr als schwer, irgendeine menschliche Regung für den Täter zu empfinden. Vielleicht würde diese Kundgebung wirklich dabei helfen. Er hoffte es inständig.
Er hoffte es nicht nur für sich, sondern vor allem für die fünf Menschen an diesem Tisch. Er hoffte, dass Vaddern seine Sorgenfalten verlieren würde. Er hoffte, dass Frau Klemm ihre laute ungehobelte Art zurückbekommen würde. Er hoffte, dass Mirko sein Lachen wieder finden würde. Er hoffte, dass die kleine taffe Frau in seinen Armen wieder ihre alte Stärke zurückgewinnen würde. Und vor allem hoffte er, dass sein sonst so abenteuerlich furchtloser Lebenspartner die Angst besiegen würde, bevor sie sie alle für immer auseinander trieb.
Er hoffte auf so vieles. Aber was wären sie auch ohne Hoffnung. Ohne den Glauben an ein besseres Morgen. Die Angst würde nicht das letzte Wort haben. Der Hass würde nicht gewinnen. Nicht hier. Sie hatten hier keinen Platz. Nicht zwischen ihnen. Zwischen diesen Menschen, die er liebte. Nicht in dieser Stadt, in die er sich so sehr mit Herz und Verstand verliebt hatte. Er würde die Angst und den Hass mit allem bekämpfen, was er hatte.
Mit diesem Gedanken drückte er Silke nochmal einen Kuss auf das goldblonde Haar und griff entschlossen nach Boernes anderer Hand, die offen auf dem Tisch lag. Der andere Mann zuckte nur kurz zusammen, doch er zog die Hand nicht zurück.
Das verbuchte er als Sieg. Als ersten schmalen Hoffnungsschimmer. Als ersten kleinen Sieg gegen die Angst, gegen den Hass. Als ersten wichtigen Sieg für genau diese Liebe.