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Oberwasser

von ToniLilo
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Schmerz/Trost / P18 / Het
Kriminalhauptkommissar Adam Schürk Kriminalhauptkommissar Leo Hölzer Kriminalhauptkommissarin Esther Baumann Kriminalhauptkommissarin Pia Heinrich
21.01.2022
29.08.2023
30
117.452
5
Alle Kapitel
34 Reviews
Dieses Kapitel
1 Review
 
27.06.2022 4.451
 
Hallo, meine Lieben, weiter geht’s – und endlich tritt Leo auf den Plan :-).
       Vielen Dank Euch fürs Verfolgen und viel Vergnügen mit dem neuen Kapitel! Passt aber bitte auf Euch auf: Es geht abermals um das Thema Sucht.
       PS an die liebe Net Sparrow: Lieben Dank Dir für Dein letztes Review, ich beantworte es bald! Adams Medikation habe ich in expliziter Erwähnung Deinem Hinweis angepasst, danke dafür :-)!
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Kapitel 9 – Kräftemessen

Das Licht flackerte synkopisch zu seinen Schritten, setzte aus, hetzte ihm nach, glich sich an, feuerte wieder im gegensätzlichen Rhythmus los. Die letzten Atemzüge, bevor die Glühbirne ihre hell leuchtende Seele aushauchen würde. Komisch eigentlich, dass sie das nicht schon längst getan hatte. Leo verbot sich, nachzurechnen, wie lange er ihr schon beim Ableben zusehen durfte.
       Zwei Schritte vor der Fußmatte blieb er stehen. Eine gute Erziehung wirkte eben Wunder. Seine Augen wanderten den Türspalt hinauf, sein Räuspern wurde vom kurzen Vlies des Schmutzfängers verschluckt. Der gummierte Rand, der ihn einfasste, glänzte noch, wies keine Scharten auf. Wahrscheinlich hatte Pia den Teppich gegen Adams Willen angeschleppt. Keine Ahnung, seit wann er hier lag, aber früher hatte es ihn nicht gegeben.
       Ein Zischen wehte in den Flur, das trockene Schaben eines Holzlöffels auf Teflon. Er probierte ein neues Räuspern, schluckte, da tauchte Pias Kopf von der Seite in den Rahmen der Tür, belebte die wie in einem Gemälde eingefangene Ansicht.
       »Hey, Leo!« Ihr Lächeln zog ihn zu sich herein, bevor ihre Hand es tat. »Du musst doch nicht da draußen rumstehen.«
       »Wo …«
       Pias Hand, treffsicher auf seiner Wirbelsäule, schob ihn in die Wohnung, ließ keinen Raum für Einwände. »Die kannst du im Flur ausziehen.«
       »Wie geht’s ihm?«
       Er hob den Kopf, nestelte blind an seinen Schnürsenkeln, als Pia sich noch beim Zudrücken der Tür nach ihm umwandte. Sie nickte wie eine Rechtsanwaltsfachangestellte bei der Aufgabenverteilung zu Beginn eines gut ausgefüllten Arbeitstages. »Seit gestern zum Glück deutlich besser.« Ihre Mundwinkel waren wieder näher zusammengerückt, der Smalltalk hatte sich vor ihrer beider Dilettantismus in den Schatten unter der Türkante verzogen. »Komm.«
       Er folgte ihrem Nicken über die Schulter. Im Vorübergehen warf er seine Jacke über die Rückenlehne des Sofas. Pias Einfluss war unverkennbar. Der Boden war mittlerweile von Papieren gesäubert, die Ablagerungen auf der einen Ecke des Couchtischs und dem Stuhl katalogisiert, ebenso auf der Hälfte der Schreibtischplatte. Auch eine Art, sich die Zeit zu vertreiben, wenn der andere krank war.
       »Adam?«
       Es glich einem abgesprochenen Signal, als Pias dünne Fingerspitzen zweimal in rascher Folge auf das Türblatt tappten. Die Klinke umschloss sie mit beiden Händen, drückte sie bedächtig hinunter. Für eine Sekunde erfasste ihn der Impuls, mit der Hand nach seinem Holster zu fahren. Tatsächlich, er hatte mit Pia noch nie einen Ort gesichert, nur zweimal mit Esther und ein Dutzend Mal mit Grösig, das verstand sich von selbst – und gefühlt Hunderte Male mit Adam.
       Mit dem Licht aus dem Flur glitt der Name seines Freundes erneut in das abenddunkle Zimmer vor ihnen. Der Haarschopf, der zwischen den zwei Wölbungen von Decke und Kissen hervorragte, blieb still.
       »Pia.« Er hatte nie begriffen, wie man mit Stimme flüstern konnte. In seinem Fall war es immer ein trockenes Rascheln. »Lass ihn doch –«
       Sie wiegelte hektisch ab, beugte sich in Zeitlupe über die Bettlandschaft und landete federleicht die Lippen auf dem höchsten Punkt, was sie mit der Hand ersetzte.
       »Adam.«
       Ihre Finger folgten der abfallenden Linie seiner Schulter, seine dunkelblonden Strähnen glitten locker unter ihrem Streicheln hindurch, wurden durch ihren daraufgehauchten Kuss gebändigt. Ihr Kinn, ihre Fingerspitzen hakten sich unter die Kante der Decke, zogen sie in Adams Nacken, als wolle sie Leo beweisen, dass es sich tatsächlich um seinen Freund handelte. Mit der Nasenspitze, dann mit den Lippen fuhr sie ihm über die Wange, endigte ihre Wanderschaft über seinem Ohr, wo sie erneut seinen Namen wisperte.
       Dass seine Schulter sich aufbäumte, trieb Pia hoch. Aus nun größerer Entfernung beugte sie sich über ihn. Sie legte den Kopf schief und lächelte, ihre Hand fand ihren Platz wieder in seinem Haar. »Hey.«
       Da schrumpften seine Konturen schon wieder zusammen, ein grollender Husten brodelte durchs Zimmer.  
       »Och, Adam.« Pias Hand schien zu einem rhythmischen Eigenleben erwacht und zog ein bisschen zu schnelle Kreise auf Adams Rücken, verlor aber nichts von der Gleichmäßigkeit ihrer Bewegung, als sie sich dicht über ihn beugte. Ihre Lippen verschmolzen für eine Sekunde mit seinem Jochbein, da hob sich die Decke unter einem tiefen Einatmen, spannte sich enger um Adams Schulter, als er sich zurechtlegen wollte.
       »Hey, warte.« Pia hielt ihn zurück, wies mit dem Kopf hinter sich, ohne den Blick von ihm zu wenden. »Du hast Besuch.«
       Das Deckengebirge fiel raschelnd in sich zusammen, als Adam den Kopf gerade so weit heraushob, dass er sich umsehen konnte. Eine schwache Ausgabe des Lächelns, wie Leo es nur abgezählte Male an seinem Freund beobachtete hatte, überspülte sein Misstrauen.
       »Leo – hi.«
       »Hi!«
       Mit diesem Ausdruck, den Leo aus zu späten Stunden unter grellweißem Licht über Akten nur allzu gut kannte, klaubte Adam die Decke von seiner Schulter. Er setzte ein Bein auf den Boden, sein Gesicht stieß beim Fortstreben auf Widerstand, da Pias Hand auf seiner Wange Gegendruck ausübte, als sie ihn auf die Schläfe küsste. Sein Blick folgte ihr nicht, die sich an Leo vorbeischob. Er stellte den rechten Fuß neben den linken, sackte aber gleich ein wenig zusammen. Unter seinem aufbrandenden Husten vergrub er das Gesicht in der Armbeuge.
       »Puuuh – da hat’s dich aber richtig erwischt.«
       Adam stützte die Hände in seinem Rücken ab und holte tief Luft, dann schraubte er sich in den Stand. »Na ja.« Er legte den Kopf schief, als lese er einen nicht ordnungsgemäß angebrachten Wasserzähler ab. »Kennst du ja sicher selbst zur Genüge. Drei Tage frei – und bam!« Er hielt sich an der Türkante ein, wies ihm mit einem vagen Fingerzeig den Vortritt an.
       Das Flurlicht fing sich im Durcheinander von Adams Haaren, stach ihm in die unter der plötzlichen Helligkeit zusammengekniffenen Augen.
       »Wie geht’s Caro? Wie war euer Urlaub?«
       »Schön.«
       Adam nickte und trat an Leo vorbei in die Küche. Er ließ sich rückwärts gegen die Arbeitsplatte fallen, machte den Hals lang, als Pia den Glasdeckel von der Pfanne hob. Hähnchenbruststreifen, Paprika in Gelb und Rot, Kidneybohnen. Ihr Lächeln trug der Wasserdampf mit fort. Adam löste eine Hand von der Kante, ließ sie durch sein Haar gleiten, das darunter locker gescheitelt herabfiel. Seine Augen huschten zu Leo, hefteten sich wieder auf Pias Handgriffe.
       »Wie waren die Pisten?«
       »Spitze.« Er fing Pias Lächeln auf, gab es an ihre Schulter zurück, als sie sich umwandte und heißes Wasser zwischen Deckel und Topf in das Spülbecken zischte. »Pulverschnee vom Feinsten, kaum vereist. Kaiserwetter, fast die ganze Zeit.«
       Adam nickte, seine Augen vollzogen die Spur des Rinnsals nach, das Pia noch in den Abguss schüttelte. »Und Caro?«
       »Sie hat es sehr genossen, weil – ja …«
       »Das is’ gut«, erlöste Adam ihn von seinem hilflosen Schulterzucken. Er verschränkte die Arme, sein Blick lag mit den vorwitzigen Reiskörnern, die sich mit dem abgegossenen Wasser hinausgestürzt hatten, im Waschbeckensieb versenkt.
       Der Deckel schepperte wie ein billiger Tempelgong, als Pia ihn wieder richtig aufsetzte, dumpf pochte der kochschwere Topf auf die Arbeitsplatte. Die Besteckschublade rollte in den Scharnieren. Das passierte also auch anderen, dass der Reis am Boden anklebte, Pia löste ihn schabend mit einem Löffel.
       »Bist du eigentlich mal Ski gefahren?«
       Adam schnaubte, sein Mundwinkel folgte seiner Kopfdrehung. »Das steht von meinen zahlreichen Talenten wirklich an allerletzter Stelle.« Er tauchte unter Pias Hand weg, als sie um die Ecke nach dem Schrankgriff in seinem Rücken angelte, und stieß sich von der Arbeitsplatte ab. Mit einem müden Kopfnicken bedeutete er Leo, ihm zu folgen, als er zum Tisch trottete. Die Frage nach den Stammplätzen erübrigte sich, Adam faltete sich auf den Stuhl vor dem Kühlschrank.
       »Ach nee, ne?« Die Weinflasche wirkte in Adams Hand ein bisschen wie eine Miniatur. Am Drehpunkt des Korkens schwang sie in einer Halbdrehung herum. Während Adams einer Mundwinkel noch im Relikt seines Lächelns verharrte, zog es den anderen mit jedem Nicken in stummer Anerkennung ein wenig hinunter.
       Hatte Adam irgendwann Italienisch gelernt? Vermutlich. Und vermutlich war es ihm so zugeflogen wie sein Spanisch, mit jedem Kilometer an Geläufigkeit zunehmend, den ihn seine Füße vom guatemaltekischen Regenwald zu den venezolanischen Ölsyndikaten getragen hatten.
       »Du sollst doch nich’ immer so viel mitbringen, Leo.«
       Der Flaschenboden kam mit einem dumpfen Pochen auf der Tischplatte auf, Familienkelterei, großzügige Befüllung.
       »Das sagt gerade der Richtige – und überhaupt: Wann habe ich denn bitte zuletzt etwas mitgebracht, abgesehen von ein paar Einkäufen als Nothilfe?«
       Billiger, abgewetzter Holzlack unter Umweltpapier, zitternde Neonröhren, kontrolliertes Hin und Her in Eisblau. Thun hängt mit drin. Das ist einer von den Typen, die auf diesem beschissenen Narzisstentrip sind. Schneewittchenmorde.
       »Na ja.« Sein Zeige- und Mittelfinger, die die Flasche in die sichere Kante zwischen Tisch und Wand schoben, zogen Adams Blick ab. Ein milderes Blau sprang Leo von unten herauf an. Adams Mundwinkel zuckte, überlegte es sich dann doch anders. »Das wird sich ja wohl kaum geändert haben.«
       Der Reis schimmerte goldgelb, die dunklen Relikte zersplitterten unter der resoluten Bestimmtheit, mit der Pia die Pfanne absetzte. Sie manövrierte die Flasche aus der Sperrzone, wies ihr die Gesellschaft der Kaffeemaschine an. Die Karaffe mit Wasser, die in der Tischmitte Platz fand, war neu. Schlichte Kühle, Bauhausreminiszenz.
       »Ist das okay für dich, Leo?« Pia blinzelte zu ihm, während sie sein Glas vollschenkte.
       Adams Schnauben schluckte sein Nicken, er hob die Augenbrauen, ließ sie wieder fallen. »Ich bin raus, steh noch drei Tage unter Antibiotika.«
       »Kein Thema.« Leo nahm Pias Lächeln auf. Es kam näher, als sie sich setzte, schwang zurück. Er hob den Teller, als ihre Hand sich danach streckte, und erhielt ein Reisgebirge. »Mit dem Restalkohol rutsche ich wahrscheinlich gerade noch so durch die nächste Verkehrskontrolle.«
       »Hast du’s so krachen lassen?« In Adams Augen spiegelte sich sein schiefes Grinsen, mit dem er ihn bedachte, während er die Gabel in den Reishaufen fädelte, doch vergrub er es sogleich mit seinem Gesicht und seinem Husten in seiner Armbeuge.
       »Na klar.« Leo pustete über den dampfenden Gemüse-Reis-Berg. Wurde man das eigentlich nie mehr los? Welche anderen Macken aus der Kindheit hatte er noch an sich, die ihm nicht einmal mehr auffielen? »Irgendwie mussten wir ja die doppelte Alkoholmenge loswerden. Kann man ja nicht schlecht werden lassen.«
       Adam setzte sein Glas ab, zuckte mit der rechten Schulter und senkte den Kopf in die gleiche Richtung. »Sorry.«
       »Alles gut.«
       »Schlimmes Schicksal«, hatte Adam zeitgleich hinterhergeschoben. Eine Spur von Schalk zog durch die blasse Tiefe seiner Augen.
       »Aber echt«, schloss Pia sich an, während sie sich gefühlt die Hälfte der Salatschüssel auf den Teller häufte. »Das kommt aber nicht mal ansatzweise an das ran, was ich vor acht Jahren mit Manu erlebt habe.«
       Ein Mordskerl ganz offenbar, Pias Freundin aus der Polizeischule, denn sie war mit ihr in die Kanalisation hinabgestiegen, um Chinaböllerwerfern von unten aufzulauern.
       »Zum Glück haben wir keinen davon geschluckt, den haben sie immer draußen vor Schreck fallen lassen, wenn Manu ‚Halt, Polizei!‘ gebrüllt, na ja, mehr: gelallt hat.« Pia nahm einen Schluck Wasser und leckte sich über die Lippen, während sie Leo zuzwinkerte. »Leider ist sie schon vergeben, seit drei Jahren glücklich verheiratet.«
       Er hielt mühsam ein tiefes Einatmen zurück, versenkte die Augen in seiner Portion Gemüsepfanne. Offenbar tuschelte Pia gelegentlich mit Frau Wenzel und vermutlich mit dem halben Flur inklusive Esther, Voss, Krug und der unterbelichteten Hellwig über sein nicht vorhandenes Liebesleben.
       Als er im Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm, hob er den Kopf. Adam schob sich aus dem schmalen Spalt zwischen Tisch und Stuhl. Unter seinem Lächeln glomm ein warmer Schimmer in seinen Augen auf, der nicht zur grauen Farbe seiner Stimme passte.
       »Sorry, aber ich würd mich wieder hinlegen, wenn’s für euch okay is’.« Die Stuhlbeine scharrten wie die Krallen einer Katze über die Fliesen, als Adam die Lücke zwischen Lehne und Tisch schloss. »Irgendwie hab ich letzte Nacht kaum geschlafen.«
       Pia rückte näher zu ihrem Teller, hielt auf Adams Hand auf ihrer Schulter aber inne. Nur den Kopf wandte sie zur anderen Seite, wartete darauf, dass er an ihr vorbeitrat.
       »Nimmst du das Zeug eigentlich noch?«
       Sofort wich jede Bewegung aus Adams Körper. Wie ein bedrohlicher, menschgewordener Schatten ragte er hinter Pia auf. Seine Züge waren versteinert, er sah Leo an, als wolle er ihn abstechen.
       »Ja, letzte Nacht waren’s drei Stück.« Pias Blick haftete noch für einen Augenblick an Leo, bevor er schräg hinter ihr an Adams Silhouette hinaufglitt.
       Seine Augen sprangen zu ihr, zuckten zu Leo zurück. Die Haarsträhne, die ihm in die Stirn hing, zitterte ebenso wie das Lächeln, das in seinem Mundwinkel heranwuchs und jäh zum Halten kam. »Was wird ‘n das hier für ‘ne konspirative Scheiße?«
       Leo ignorierte Pias Blick, mit dem sie ihm eine Erklärung abringen wollte. Das konnten sie sich schenken. Adam würde es ihnen ohnehin nicht abnehmen, dass sie sich nicht abgesprochen hatten.
       Er hielt das Band zu den Augen seines Freundes, fühlte, wie seine Hand sich selbstständig machte und über die Tischplatte zur Kante rutschte, sich daran festhielt. Aber Adam spielte nicht mit. Er nahm seine Hand von Pias Schulter, als habe er ein Beweismittel in der Asservatenkammer auf den ihm zugewiesenen Platz zurückgelegt. Bevor Pias Finger seine erreichten, die sich um die Lehne geschlossen hatten, trat er beiseite, zog sich in Richtung der Arbeitsplatte zurück, ohne auch nur einmal zu blinzeln. In dem auf seinen Zügen erstarrten Lächeln schimmerten die gebleckten Zähne eines Wolfes, der, in die Enge getrieben, nur noch zwei Auswege vor seinen fiebertrüben Augen ausmachen konnte: Tod oder Kampf.
       Leo stand langsam auf, ohne den Blickkontakt zu brechen. »Adam – du hast es uns versprochen.«
       »Ja, Leo, genau.« Er spuckte ihm seinen Namen, die wenigen Worte vor die Füße wie ausgekauten Tabak, sein Lächeln wurde spitz. »Dass ich mich nicht umbringen würde, ohne euch davon in Kenntnis zu setzen. Und – Überraschung!« Adams Ausruf scheuchte Pia vom Stuhl hoch. Für einen Moment sah es so aus, als wolle er sie einladen, sich an ihn zu schmiegen, als er die Arme weit öffnete. »Ich lebe noch!«
       »Zum Glück.« Mit zwei gleichmäßigen Schritten war er in der Raummitte, Pia kam hinter ihrem Stuhl hervor. Adams Blick zuckte zur Seite, seine Arme fielen herab und wurden zur Stütze in seinem Rücken, als er sich in Richtung der Ecke schob, an der die Arbeitsplatten zusammenstießen.
       »Die Frage ist nur, wie lange noch, wenn du so weitermachst.«
       Das LED-Licht aus dem dreiflammigen Deckenstrahler fing sich in einem scharfen Reflex in den Chromschienen an den Schränken um sie her, zeichnete die Konturen der Überrumpelung nach, die mit einer selten zu beobachtenden Offenheit Adams Züge vereinnahmte.
       »Nee.« Sein verächtliches Lachen prallte am Boden ab. »Den Scheiß muss ich mir nicht geben.«
       Leo vertrat ihm den Weg, als er zur Tür schnellen wollte. Mit einem Ruck entriss Adam ihm seinen Arm, den er falsch erwischt und zu fest umfasst hatte. Sofort ließ Leo los, es schepperte blechern, als es Adams Hand in das Abtropfgitter schleuderte. Seine Augen lagen starr darauf, während seine Hände unter seine Arme krochen, als er sich in einer kantigen Bewegung umschlang.
       »Sorry, Adam.« Er nahm die Handflächen hoch, schob sie auf Adam zu, suchte seinen Blick. »Sorry.«
       »Adam …« Er wich zurück, huschte zur Seite, als Pia die Hand nach ihm ausstreckte. »Hey.«
       Gern hätte Leo ihn besänftigend am Arm berührt, aber der Moment war nicht da. Die Furcht, die in der Tiefe von Adams Augen loderte, kannte er. Er hatte nie auch nur gewusst, wie man einen Bleistift richtig herum halten musste, aber diesen Ausdruck im Wellen schlagenden Blau, den hätte er auch im Dunkeln zeichnen können.
       »Es tut mir leid, Adam, okay?« Die rasch wogenden Nebelschwaden zogen sich nicht zurück, sprangen mit Adams Augen an den Fugen zwischen den Bodenfliesen hin und her wie die Nadel eines Seismografen. »Es tut mir leid – aber …« Ablenken. Zurückholen. »Du machst dich langfristig kaputt.«
       »Und?« Adams Augen waren opake Härte, eine Katze, eine Sekunde vor dem Sprung. Seine langen Haarsträhnen flogen unter seinem Kopfschütteln zurück. »Was kümmert’s dich?«
       »Eine Menge.«
       Über ihnen brodelte der Wasserstrahl einer Badewanne. Lavendel-Rose oder Maracuja-Pfirsich, bestimmt ein Weihnachtsgeschenk. Der Kühlschrank mischte sich ein, brummte vor sich hin.
       Leo schluckte die Säure seines Widerwillens hinunter. »Findest du nicht, wir haben dir schon genug gezeigt, dass du uns eben gerade nicht egal bist?«
       Wie ein Fischotter, der sich zwischen scharfen Felsen in einem Fluss hindurchschlängelt, glitt Pia zwischen sie, doch Adams Hand war schneller, wurde flüchtig zwischen ihren, als sie danach fasste. Es tat einen dumpfen Knall, als er mit dem Rücken gegen die Kühlschranktür prallte. Die gerade Linie von Pias schmalem Nacken knickte ab, als sie den Kopf schief legte. »Adam – bitte. Wir wollen dir nur helfen.«
       Für eine Sekunde standen sie still wie auf einer Polaroidaufnahme, nur Adams Augen sprangen zu Leo, als er sich an Pia vorschob und neben ihr postierte. Unter seinem Lächeln verzog sich sein Mundwinkel kaum, doch es wanderte in seine Augen, flackerte dort wie eine Flamme unter zu geringer Sauerstoffzufuhr. Gröbler. Lorscheider. Jaschke. Hunderte Male hatte Leo diesen Blick schon gesehen, Variationen auf ein Thema. Täuschen, ausweichen, verdunkeln, ganz gleich, ob Drogen, Tote oder Erpressung im Spiel waren.
       Aus dem Augenwinkel sah Leo, wie es Pia durchzuckte, als Adam plötzlich seine Hand aus der Verschränkung riss und die Luft durchschnitt.
       »Warum redet ihr nicht einfach mal mit mir statt ständig über mich? Warum heckt ihr andauernd so ‘ne Scheiße hinter meinem Rücken aus? Muss man echt so Angst vor mir haben?« Unter seinem Lachen splitterte der gequälte Zug um seinen Mund. »Okay – ja.« Er wandte sich ab, als sein Husten ihn überrollte, was Pia nutzte, um auf ihn zu zu schleichen. Da schnellte sein Oberkörper wieder herum, seine Hände stützten sich in seine Seiten. Wie unter einem anschwellenden Blasebalg drückte es sie heraus, als er tief Luft holte.
       »Genau deshalb, Adam.« Sein Oberarm war versteinertes Holz unter Leos Fingern. »Deshalb reden wir ja gerade mit dir.«
       Adams Augen sprangen wie ein Klappmesser hoch, suchten unter den aufmüpfigen Strähnen in seiner Stirn Leos Antrieb. Nur für eine Sekunde zuckten sie zu Pia, die einen Schritt zu ihm trat.
       »Schon klar.«
       Bevor auch nur der Reflex in Leo oder Pia erwachen konnte, war Adam losgeschnellt und hatte sich seitlich an ihm vorbeigedrückt, beinahe ohne ihn zu berühren. Es war, als habe ihn ein Luftzug gestreift.
       »Adam, bleib hier!« Pias Stimme floss über ihre Schulter zu ihm, als sie vor ihm ins Wohnzimmer eilte.
       Das Licht aus der Küche fing sich an Adams Silhouette und hob sie kaum von der Welt ab, die von draußen durch die Terrassentür zu ihnen hereinstarrte.
       »Geht jetzt bitte – beide.«
       Noch nicht einmal Adams Hand, die auf seinem Oberarm Platz gefunden hatte, hob sich, sein Atem prallte flach vom Glas ab. Eine vergessene Rakete knallte, das Bukett knisterte, funkelte irgendwo hinter den Bäumen in einem blassen Grün.
       »Gut.«
       Pias Unterkiefer fiel herab, ihre Hände fuchtelten in Verständnislosigkeit neben Leo. Mit einem Stoßseufzer wandte sie den Kopf. »Adam …«
       Er machte sich nicht die Mühe, sich zu ihnen umzuwenden, trat einfach einen Schritt beiseite, sodass Pias Finger die Leere statt seines Arms streichelten.
       »Geht einfach.«
       Leo schob den Fuß vor, lauschte auf das Rauschen des Teppichs unter seinen Füßen, überlegte es sich anders. »Mach keinen Scheiß, ja?«

Das Poltern des einlaufenden Wassers über ihnen verstummte, es platschte, ein leiser Wellenschlag, dann kam nichts mehr.
       Adam löste die Verschränkung seiner Arme, versenkte die Hände in den Hosentaschen. Er starrte konzentriert vor sich hin, als begehe er einen Tatort. »Warum ist dir das so wichtig, Leo?« Er wandte sich um, eigentlich nur seine Augen, erst dann folgte sein Oberkörper, und auch nur halb. Er verharrte reglos, Leo genauso.
       Adams metallenes Lachen schepperte in seinem Husten weiter, seine Stimme schabte heiser über seinen Sarkasmus. »Scheiß doch einfach drauf, auf alles, so, wie es alle immer tun! Was soll’s auch? So ist das Leben.«
       Leos Nicken schluckte den Hass, der auf Adams Zügen loderte. »Okay.« Er zuckte mit den Schultern. Seine Worte überdeckten seine Schritte, als er sich Adam näherte. »Das kann ich machen, wenn du willst.« Leos Gesicht war wie aus Stahl getrieben. »Aber du musst mir im Gegenzug versprechen, dass du keinen Mist baust.«
       Adam schnaubte. »Einen Scheiß muss ich.«
       »Alles klar.«
       Leo überrumpelte sie beide. Mit einigen schnellen Schritten war er bei Adams Schreibtisch.
       »Adam –« Es gelang ihr nicht, die Empörung in ihrer Stimme zu dämpfen, als er sie einfach beiseitestieß und Leo hinterherschoss. Er schirmte ihren Blick ab, eine Schublade ging. Sie stürzte Adam hinterher. Was war das für ein Wahnsinn? Fast genauso, in fast derselben Rollenverteilung hatten sie hier gestanden, kaum drei Wochen war es her – und jetzt schon wieder. Würde das nie ein Ende nehmen? Gab es für sie keinen Ausweg?
       Leos Blick, der sie, hinter Adam stehend, traf, vereiste ihr Zwerchfell. Er rührte sich nicht unter Adams festem Griff um sein Handgelenk.
       »Wag es nicht.« Mit leicht gesenktem Kopf fixierte er Adam, in seinen Augen stand ein Ausdruck, wie sie ihn noch nie an ihm beobachtet hatte. Er sprach eine Todesdrohung aus. »Sonst lass ich den Ermittlungsleiter raushängen und nehme sie dir offiziell ab – und zwar endgültig.«
       Er maß Adam von unten herauf, ohne zu blinzeln. Als Adam den Arm zurückzog, fuhr wieder Bewegung in ihn. Pia trat um Adam herum, sodass sie das leichte Zucken, das Leos Gesicht überlief, auch im Halbschatten deutlich sehen konnte. Er schloss die Schublade, zog die nächste auf, riss die dritte heraus. Als er nach der matt glänzenden Pistole ganz unten greifen wollte, schaltete sie sich ein.
       »Das ist meine.«
       Leo sah sie an, als habe sie den Verstand verloren, dann schnellte sein Kopf herum. Da war es wieder, dieses Lächeln, das Adams Züge sonst nur im Verhörraum versteifte.
       »Du sagst mir jetzt sofort, wo du deine Scheißwaffe hast.« Leos Stimme zitterte unter seinen scharfen Atemzügen. Er warf die Schublade zu und richtete sich ruckartig auf. Zwei Fingerbreit trennten seine Nasenspitze von Adams. »Sonst fordere ich Verstärkung an und wir krempeln deine ganze Wohnung um, aber so richtig, und sollten wir noch irgendwas anderes finden außer diesem Drecksrohypnol, dann ist das dein Problem.«
       »Jungs …« Leo bebte unter ihrem Griff an seinem Arm, Adam war eine Statue unter ihren Fingern, er schien nicht einmal mehr zu atmen. Da nickte er, einmal, zweimal.
       »Im Nachttisch.« Zwei Sekunden lagen seine Augen noch auf Leo, blank gefegt wie die glatte Oberfläche eines nordischen Meeres nach dem Sturm. Dann wandte er sich um, klaubte seine Zigaretten und sein Feuerzeug vom Couchtisch.
       »Du bleibst hier und behältst ihn im Auge.« Leos breite Gestalt tauchte in das Halbdunkel der unbeleuchteten Zimmerecke und verschwand um die Ecke.
       Ruckelnd öffnete sich die Terrassentür, ihr Schleifen mischte sich unter Adams Husten. Mit dem dumpfen Knall, als er sie hinter sich ins Schloss warf, zog er einen Graben zwischen sich und Pia. Die Schachtel leuchtete wie ein kantiger Kiesel in seinen Händen. Es polterte hohl in ihrem Rücken, Metall traf auf lackiertes Sperrholz, ein Scharnier rollte.
       Der ganze Zirkus – nur wegen Leo? Nur deshalb hatte Adam das Nachtkästchen umgestellt, seine Dienstwaffe umgeräumt? Also hatte er geahnt, dass Leo wieder hereinschneien, ihn konfrontieren und es nicht dabei belassen würde.
       Adam hatte nicht darauf geachtet, ihr vollends den Rücken zuzukehren, vielleicht war es ihm auch einfach gleich. In geübter Geschmeidigkeit steckte er sich eine Zigarette zwischen die Lippen, er klappte den Deckel zu und schob die Schachtel in die Hosentasche. Eine Tür ging.
       »Komm, Pia, ich bring dich nach Hause.« Leo nickte in Richtung der Garderobe, sein Blick suchte Adam. Im Schein des Feuerzeugs waren seine Finger, die die zuckende Flamme abschirmten, knochige Spinnenbeine. »Er kann sie sich ja im Präsidium abholen, sobald er sich beruhigt hat.«
       Der rote Glühpunkt leuchtete auf, erlosch. Die Tür verwischte sein erneutes Aufflammen, als Leo sie hinter ihnen beiden zuzog.
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