Oberwasser
von ToniLilo
Kurzbeschreibung
Es gab bessere Tage – und es gab andere. Man wusste es niemals vorher. Und Adam war es ohnehin nicht anzusehen. Sobald Pia Ansätze machte, ihn zu ergründen, hinter seine aus Eis gehauene Fassade zu blicken, zog er sich in seine Welt zurück, zu der er niemandem jemals Zutritt gewährte. Dann blieb ihr nichts übrig, als seine Spur zu verfolgen – jeden Tag aufs Neue wieder … [Fortsetzung zu „Seitenwechsel“] [ACHTUNG: Triggerwarnung!]
GeschichteDrama, Schmerz/Trost / P18 / Het
Kriminalhauptkommissar Adam Schürk
Kriminalhauptkommissar Leo Hölzer
Kriminalhauptkommissarin Esther Baumann
Kriminalhauptkommissarin Pia Heinrich
21.01.2022
29.08.2023
30
117.452
5
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Dieses Kapitel
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06.02.2023
2.556
So, meine Lieben, hier kommt das neue, diesmal ein wenig kürzere Kapitel. Ich wünsche viel Lesevergnügen und einen guten Wochenbeginn!
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Kapitel 21 – Im Labyrinth
Mit Mehl war es ein bisschen wie mit Kreide. Wie die Grüntafel eines Klassenzimmers hatte der Boden einer Pizzaschachtel trotz des Fetts aus geschmolzenem Käse und der Schmiere aus zerflossenen Tomaten immer eine staubige Beschaffenheit. Mal waren es einige Körnchen aus der Sanduhr der Ewigkeit, die sich durch einen unsichtbaren Riss im Stundenglas fälschlicherweise in den Karton ergossen hatten. Mal waren es die fein gemahlenen Splitter einer gescheiterten Beziehung, die man zermalmte und pulverisierte, bis man glaubte, dass nichts mehr davon übrig war, damit sich dann das, was doch noch zurückgeblieben war, mit der nächsten Bestellung hinterhältig wieder mitten ins Leben hineinschlich.
Darauf, was sich in dieser Nacht am Grund ihrer Pizzaschachtel gesammelt hatte, hätte Pia sich nicht festlegen wollen. Blind fuhren ihre Finger darin herum, bis sie doch die Augen hob und nur noch ein halb aufgegessenes Stück vorfand. Es sah aus, als hätten Mäuse ihre spitzen Zähnchen darein versenkt, bis sie gestört worden waren, und tatsächlich hatte sie vorhin gedankenverloren daran herumgeknabbert, als ihr irgendein Einfall gekommen war, der ihr aber schon wieder entflohen war. Der Pizzarest, den sie zurückgelegt hatte, war jetzt kalt, der verfestigte Käse, auf dem sie ein wenig zu lange herumkaute, schmeckte wie mit Aromen versetzter Gummi.
Ohne den Kopf zu heben, schielte sie zu Adam, der wie ein Standbild in ihrer Sichtachse saß. Der Pizzakarton neben ihm war tatsächlich immer noch vollkommen unberührt. Sie wusste nicht, ob er ihn nur nicht hatte sehen wollen oder ob gerade die Welt um ihn her in Flammen hätte aufgehen können, ohne dass er es zur Kenntnis genommen hätte.
Aha, Leos Schreibtischstuhl quietschte genauso wie ihrer, wenn man sich darauf zurückfallen ließ, die Rollen waren genauso plump gearbeitet wie die von ihrem, setzten sich genauso schwerfällig in Bewegung, also nichts mit Designerausgabe, wie Esther immer dann vermutete, wenn ihre Stimmung im Untergrund angekommen war und sie irgendeinen Grund suchte, um sich mit den beiden Jungs anzulegen.
»Wonach suchen wir eigentlich?« erkundigte sie sich in einem Tonfall, als besähen sie gemeinsam die Neuheiten unter den Aprikosenbäumen und Thujahecken, aus denen sie eine Auswahl für die Neugestaltung des Gartens treffen wollten, der sich an Adams Wohnung anschloss. Der Sekundenzeiger beendete die letzte Minute der dritten Viertelstunde nach Mitternacht und rastete mit einem scheinbar lauteren Klacken ein, bevor er in seinem eigenen, unabänderlichen Tempo weiterzog.
Ihren Versuch, ob in irgendeinem Eck von Adams Bewusstseins noch Kapazitäten für die Wahrnehmung seiner Umgebung vorhanden waren, wollte sie gerade als gescheitert verurteilen, als sich von seiner Seite ein verwaschenes »Keine Ahnung« in die Stille vorwagte, die sich ihrer Erfahrung nach ab halb zwölf immer weiter verfestigte, bis jedes Wort darunter erdrückt wurde. Zu einem Schulterzucken reichte es offenbar nicht mehr, die Seite, auf der er gerade bewegungslos gelesen hatte, führte er um die Ordnerbügel herum, als handele es sich um eine Urkunde im Original. Den Zettel unter seinem Knie hatte er schon lange nicht mehr mit Notizen bedacht. Wie lange konnte man eigentlich im Schneidersitz verharren, ohne dass einem die Beine abstarben? Seit gefühlten Stunden atmete Adam zum ersten Mal wieder so tief ein, dass es bis zu ihrem Schreibtisch wehte. »Prüf mal weiter, ob du irgendeinen Zusammenhang erkennen kannst – oder eine versteckte Botschaft oder so was.«
Pia verdrehte die Augen, während sie sich von den Armlehnen in die Höhe stemmte. Vielen Dank auch, Polizeischule, erstes Semester. Sie zog ihr Smartphone aus der Gesäßtasche, in der sie es versenkt hatte, nachdem sie dem Lieferanten ihre Bestellung abgenommen hatte, checkte die bunten Icons. Der junge Araber hatte gehorsam unten gewartet und in professioneller Diskretion nicht die Adresse gecheckt. Anders hatte sie sich die Neutralität in seinen Augen nicht erklären können, die noch nicht einmal die gläserne Fassade hinaufgeflogen waren. Ein knappes Lächeln, ein Winken mit den Scheinen und ein in seinem Gang um das Auto verwehter Dank für das fette Trinkgeld, schon war er abgezischt.
Ihr Magen machte sich leise bemerkbar, als sie die Schachtel neben Adam aufklappte. Ein Gummirad ohne Geruchspartikel, aber wenigstens hungerstillender als ihr Stochern in Adams wilden Gedankenverschlingungen. Sie pfriemelte ein Stück an der verbackenen Schnittkante heraus und lehnte sich mit dem Rücken dicht neben Adam an den Konferenztisch, während sie mit den Schneidezähnen die Spitze abbiss. Eine Märchenprinzessin mit Pizza, in einem verwunschenen Garten mit einem versteinerten Prinzen, der sich aber doch gerührt hatte, als sie, die Kartons in der Hand, die Tür hinter sich nicht abgeschlossen hatte. Rechtsherum war er um den langen Tisch gegangen, hatte abgesperrt, und den Kreis geschlossen, indem er sich von links wieder auf die Tischplatte geschoben hatte. War das so ein Türfetischding? Anders als Leo, der die Tür zu seinem Büro wenigstens in seiner Anfangszeit manchmal noch offen gelassen hatte, hatte Adam sie immer gern geschlossen, mit mehr oder weniger Vehemenz, das kam ganz darauf an.
»Was haben wir bis jetzt?« Sie zupfte ein undefinierbares schwarzes Etwas vom vor Stunden geschmolzenen Mozzarella und rieb es sich von den Fingern, dann nahm sie mit einem Bissen die Hälfte des Stücks. »Eine Liste mit Zahlenfolgen.« Unter ihrem Kauen verstand schon sie ihre Worte kaum. Höhlenmenschenmanieren, Adam färbte allmählich wirklich auf sie ab. Wobei – in Essensfragen kam dann doch seine Erziehung zum Ausdruck. Seltsam, dass seine Mutter sie allein auf das Esszimmer beschränkt hatte. »Irgendeinen Code oder so was. Ein Foto von irgendeinem Waldstück.« Sie schob sich den Rest in den Mund, ihre Zähne senkten sich in den schaumartigen Rand. »Mit Gräsern, einem Hochsitz, einem runden Stein im Boden – wie ein überdimensionaler Kiesel …«
Ihre Hüfte wurde von Adams Knie angestoßen, mit einem ungesunden Klatschen, das umgeknickte Seiten hörbar machte, landete der Ordner, der bisher in seinem Schoß gelegen hatte, auf dem Linoleum. Sie wandte den Blick zur Seite, doch Adam starrte nur mit so weit aufgerissenen Augen vor sich hin, als habe er eine Vision von Leo, dem jemand einen Pistolenlauf in den Nacken drückte. Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf, vertrieb das Bild aus ihren Gedanken, verschränkte Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand. Das hatten Manu und sie vor ihren ersten Einsätzen immer gemacht, um ein flapsig geäußertes Omen zu bannen.
»Das is‘ ne Finte«, konnte sie Adams Keuchen mit Mühe entnehmen. Mit der flachen Hand patschte er unter seinen Knien auf die Tischplatte, sprang sofort herunter, hob die Mappen an und tauchte beinahe darunter, bis er den Plastikbeutel mit den aufgelisteten Aktenkennzeichen fand. Er spreizte die Finger über dem kleinformatigen Papier, drückte den Kunststoffschutz enger auf die Zahlen, beugte sich aber trotzdem dicht darüber. Seinen Schmierzettel drehte er mit einem Klatschen um, sein Bleistift schien über das Papier zu fliegen, als er Nummer für Nummer untereinanderschrieb. Neben der letzten Zahl blieb seine Hand einfach liegen, die Panik toste in seinen Augen, als er sie nun doch ansah. »Der will, dass wir uns hier vergraben, während er Leo abmeuchelt.«
»Was? Adam –« Sie fühlte, wie ihre Augen sich weiteten, als sie Adams Blick folgte. Sie löste die Verschränkung ihrer Arme und wandte sich um, beugte sich neben ihm über die Zahlen, die die 26 nicht überstiegen.
Wie ein Stenograf warf Adam die Buchstaben daneben, klopfte mit den Fingern der linken Hand beim Zählen, strich bei der 14 das O durch und ersetzte es durch ein N.
GSMRATNHICEE
Ihr beider Atem mischte sich, wehte dicht über das Papier hin. Sie zückte ihr Smartphone, öffnete Google Maps, dann sah sie sich um, die wenigen Schritte zu Leos Schreibtisch waren eine halbe Wanderung. Als sie gerade mit dem Stadtplan zurückkam, entkam Adam ein Schrei, der seine vorherige Panik in ihr aufstehen ließ. Es war ein Laut, der irgendwo zwischen dem lag, mit dem man auf seinen Gegner zustürzte, um eine letzte Rache an ihm zu üben, bevor man selbst den Tod fand, und dem, der einem entkommen musste, wenn man seinem Leben selbst ein Ende setzte. Mit einem gezielten Schritt zur Seite wischte er alle Akten, die er vorher hinter sich aufgestapelt hatte, vom Tisch, drehte sich mit einem Gemisch aus Stöhnen, Ächzen und Knurren einmal um sich selbst, die Hände auf dem Kopf verschränkt, dann stürzte er zu seinem Schreibtisch.
»Adam –« Schon stand sie neben ihm, die Karte noch in der Hand. Er wühlte sich durch den Stapel, der ihm am nächsten war, kippte ihn achtlos von der Ecke, schickte den zweiten hinterher, legte sich beinahe vornüber, um zu dem Zettelwust auf der anderen Seite seiner Tastatur zu kommen.
»Was …« Sie fasste ihn am Ärmel, doch er riss sich mit einem heftigen Ruck los, die Papiere knisterten unter seinen Händen. »Herrgott noch mal, sprich doch einfach mal mit mir!«
»Angeschmiert.«
»Was?«
»ANGESCHMIERT!« schrie er so laut, dass sie unwillkürlich einen Schritt zurück machte. Mit einer Bewegung, als müsse es ihm den Hals ausrenken, nickte er hinter sich, kämpfte sich weiter durch seine Papiere. »Das war die Botschaft dieser ganzen Scheißaktion, ich hab’s verkackt, einfach verkackt, verkackt, und Leo …« Der Rest seines Satzes ging in einem erneuten Schrei unter, mit dem er dem Stapel vor sich einen Schubs gab, dass er in der Gerade vor ihm über die Kante kippte und auf den Boden schlug.
»Was …«
»Wo ist dieses Scheißfoto?« erdrosselte er ihre Worte, bevor die Frage überhaupt in ihrem Kopf Gestalt angenommen hatte.
»Hinter dir.«
Er warf sich herum, sein düsterer, wilder Blick traf sie.
»Also – vor dir, an der Pinnwand.«
Er riss den Kopf herum, folgte ihrem Fingerzeig, dann stürzte er los, dass sie im ersten Moment dachte, er wolle über seinen Schreibtisch springen. So dicht, dass es von hinten aussah, als lehne er sich dagegen, trat er vor die Wand, kauerte sich zusammen, um das Foto auf Augenhöhe zu haben. Darüber verlor sich noch Jenny mit ihrem eigenartig schwebenden Blick, der sie nichts mehr sehen ließ, im nebelgrauen Himmel so hoch über sich, die Creolen mit den Vögeln darin waren durch die Schwerkraft an ihren Hals, direkt hinter den Ohren geschmiegt. Das, was von Sobeck an verkohlten Resten noch übrig geblieben war, häufte sich auf dem daneben hängenden Bild auf. Zwischen Adams Nasenspitze und der Aufnahme des Weihers konnte Pia nur noch einen Abstand von wenigen Zentimetern ausmachen, als sie zu ihm aufschloss.
»Siehst du das?« Er nestelte den Reißnagel aus dem oberen Rand der Tüte, in die er das Foto gepackt hatte. »Siehst du das?«
So rau, so hechelnd er die Worte vorbrachte, sie konnte ein Augenrollen nicht unterdrücken.
»Wieso sollte ich –«
»Das is‘ ‘ne Spiegelung.« Während sie die Augen nicht von ihm wenden konnte, starrte er nur auf das Foto zwischen seinen Fingern herab. Er trat so dicht hinter sie, dass sich ihr Körper an seine Seite schmiegte. Wie konnte er so weich, so warm sein, wo er doch so hager war, so schroff und unzugänglich wie eine Granitnadel im Gebirge – »Das is‘ ein Kiesel.« Ihre Augen folgten dem Kreis, den sein Zeigefinger um den weißen Fleck schlug. »Das is‘ unter Wasser in einem See aufgenommen – siehst du das?«
Sie puzzelte seine Worte zusammen, verglich sie mit den Eindrücken, die ihre Augen ihrem bereits halb schlafenden Hirn vermeldeten. Ihr entwich ein stummer Lacher. »Du hast recht.« Sie wandte den Kopf gerade so weit, dass sie zu ihm hinaufschielen konnte, jedoch nicht an sein Kinn stieß, aber er war weiterhin gebannt von dem Foto, sogar als er murmelte: »Du hattest recht – der Stein …«
Als quille er aus einem Rohr mit gewaltigem Durchmesser, wölkte sich ein schwarzer Nebel über die Fieberhaftigkeit in seinem Blick. Pia trat einen Schritt zur Seite, wandte sich zu Adam um und fasste ihn am Ärmel, bevor er sich losreißen und selbst zerfleischen konnte. Sein Gesicht war verhärtet, der Zorn arbeitete in seinem Kiefer.
»Fällt dir was dazu ein?« Ohne den Blick von ihm zu wenden, schnellte ihr Zeigefinger in Richtung des Fotos. »Ein Wald, eine Wiese mit hohem Gras …«
»Nein, Pia, verdammt – nichts, keine Ahnung!« Schon war die Panik zurück, Adam starrte wieder auf das Bild in seinen Fingern, schüttelte so vehement den Kopf, dass sie glaubte, nur vom Zusehen Migräne bekommen zu müssen. »Da ist gar nichts!«
Langsam stellte sie sich wieder neben ihn, so eng, dass sie sich berührten, doch mit einigen luftigen Millimetern mehr zwischen ihnen als gerade eben, damit sie ihn nicht erdrückte. »Ein Tümpel«, dachte sie halblaut, zog das Foto, das Adam nicht aus der Hand gab, näher zu sich, »ein kleiner Weiher am Waldrand … irgendeine feuchte Landschaft, wo sich –«
»Oh Gott«, entkam Adam so erstickt, als drücke ihm jemand die Kehle zu.
Pia wandte sich zu ihm um, sie zog erschreckt den Kopf zurück. Adams Wangen waren nun vollkommen entfärbt, er zitterte stärker als vorhin noch. »Der See«, flüsterte er. »Scheiße.« Er warf den Kopf herum, es überlief sie eiskalt, als sein Blick sie traf, in dem der Wahnsinn toste. »Der See«, wiederholte er beschwörend und machte einen Schritt auf sie zu, senkte den Kopf. »Wo ich mit Leo war, weißt du noch? Wo ich ihn fast –« Sein Gesicht verzerrte sich, als habe er Schmerzen. Er tauchte unter ihrer Bewegung weg, mit der sie nach seiner Schulter hatte fassen wollen, warf das Foto in die Ablage, dann kramte er unter den Papieren, die noch auf seinem Schreibtisch zurückgeblieben waren. Schon schubste er sie über die Kante, die Blätter flatterten wie von einem Windstoß erfasst, kreiselten zu Boden.
»Adam!«
Seine Augen waren wild, seine Pupillen riesig, als habe er irgendetwas genommen – vielleicht hatte er das ja auch, wer wusste das schon. Als er um seinen Schreibtisch herumhechtete, krachte er gegen die Ecke, stolperte, fing sich auf einem Aktenstapel, der seitlich wegrutschte und sich über die Schreibunterlage ergoss. Da richtete Adam sich schon wieder auf, stand in einer plötzlichen Eingebung kerzengerade. Er beugte sich über seine Jacke, die ausnahmsweise einmal über der Stuhllehne hing, und klopfte die Taschen ab, bevor er sie hochriss und überwarf, schon wieder auf dem Weg zur Tür. Pia packte ihn am Arm, stellte sich ihm in den Weg und zog reflexhaft den Kopf zurück, als er mit einem völlig entgleisten Zorn, der keine Grenzen kannte, auf sie herabsah. Seine Augen schienen beinahe darunter zu flackern, die verzerrten Falten in seinem Gesicht wirkten wie bei einer Statue in Stein getrieben.
»Jetzt atme erst mal tief durch, ja?« Offenbar zeigten ihre Worte Wirkung, denn er kämpfte nicht mehr gegen ihren Griff an, sondern ließ sich ein kleines Stück zurückdrängen. »Das ist doch alles vollkommen verrückt! Wer bitte sollte Leo entführt haben – und dann zu diesem See gebracht haben? Ausgerechnet!« Sie konnte ein raues Lachen nicht zurückhalten, schüttelte den Kopf. »Entschuldige, Adam, aber … das ist doch lächerlich.«
Für einige Sekunden musterten sie sich stumm, Pia musste an einen Showdown in einem Western denken, doch die Wut tropfte von Adams Gesichtszügen, ließ sie mut- und spannungslos zurück. Seine Augen waren nun opak, wirkten, als sei das Licht darin erloschen, das sie sonst so hell leuchten ließ.
»Dann fahr doch einfach nach Hause.«
Noch während seine Worte sie kraftlos umwehten, schob er sie einfach beiseite, machte sich noch nicht einmal die Mühe, die Tür hinter sich zuzuwerfen. Seine Schritte polterten dumpf über den Gang, wurden auch danach noch vom Echo im Treppenhaus an ihr Ohr getragen. Pia stützte die Hände in die Seite, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. Ihr Lachen stieß sich ihr trocken in der Kehle, wuchs nicht an, blieb stecken. Sie holte tief Luft, dann schoss sie los.
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Kapitel 21 – Im Labyrinth
Mit Mehl war es ein bisschen wie mit Kreide. Wie die Grüntafel eines Klassenzimmers hatte der Boden einer Pizzaschachtel trotz des Fetts aus geschmolzenem Käse und der Schmiere aus zerflossenen Tomaten immer eine staubige Beschaffenheit. Mal waren es einige Körnchen aus der Sanduhr der Ewigkeit, die sich durch einen unsichtbaren Riss im Stundenglas fälschlicherweise in den Karton ergossen hatten. Mal waren es die fein gemahlenen Splitter einer gescheiterten Beziehung, die man zermalmte und pulverisierte, bis man glaubte, dass nichts mehr davon übrig war, damit sich dann das, was doch noch zurückgeblieben war, mit der nächsten Bestellung hinterhältig wieder mitten ins Leben hineinschlich.
Darauf, was sich in dieser Nacht am Grund ihrer Pizzaschachtel gesammelt hatte, hätte Pia sich nicht festlegen wollen. Blind fuhren ihre Finger darin herum, bis sie doch die Augen hob und nur noch ein halb aufgegessenes Stück vorfand. Es sah aus, als hätten Mäuse ihre spitzen Zähnchen darein versenkt, bis sie gestört worden waren, und tatsächlich hatte sie vorhin gedankenverloren daran herumgeknabbert, als ihr irgendein Einfall gekommen war, der ihr aber schon wieder entflohen war. Der Pizzarest, den sie zurückgelegt hatte, war jetzt kalt, der verfestigte Käse, auf dem sie ein wenig zu lange herumkaute, schmeckte wie mit Aromen versetzter Gummi.
Ohne den Kopf zu heben, schielte sie zu Adam, der wie ein Standbild in ihrer Sichtachse saß. Der Pizzakarton neben ihm war tatsächlich immer noch vollkommen unberührt. Sie wusste nicht, ob er ihn nur nicht hatte sehen wollen oder ob gerade die Welt um ihn her in Flammen hätte aufgehen können, ohne dass er es zur Kenntnis genommen hätte.
Aha, Leos Schreibtischstuhl quietschte genauso wie ihrer, wenn man sich darauf zurückfallen ließ, die Rollen waren genauso plump gearbeitet wie die von ihrem, setzten sich genauso schwerfällig in Bewegung, also nichts mit Designerausgabe, wie Esther immer dann vermutete, wenn ihre Stimmung im Untergrund angekommen war und sie irgendeinen Grund suchte, um sich mit den beiden Jungs anzulegen.
»Wonach suchen wir eigentlich?« erkundigte sie sich in einem Tonfall, als besähen sie gemeinsam die Neuheiten unter den Aprikosenbäumen und Thujahecken, aus denen sie eine Auswahl für die Neugestaltung des Gartens treffen wollten, der sich an Adams Wohnung anschloss. Der Sekundenzeiger beendete die letzte Minute der dritten Viertelstunde nach Mitternacht und rastete mit einem scheinbar lauteren Klacken ein, bevor er in seinem eigenen, unabänderlichen Tempo weiterzog.
Ihren Versuch, ob in irgendeinem Eck von Adams Bewusstseins noch Kapazitäten für die Wahrnehmung seiner Umgebung vorhanden waren, wollte sie gerade als gescheitert verurteilen, als sich von seiner Seite ein verwaschenes »Keine Ahnung« in die Stille vorwagte, die sich ihrer Erfahrung nach ab halb zwölf immer weiter verfestigte, bis jedes Wort darunter erdrückt wurde. Zu einem Schulterzucken reichte es offenbar nicht mehr, die Seite, auf der er gerade bewegungslos gelesen hatte, führte er um die Ordnerbügel herum, als handele es sich um eine Urkunde im Original. Den Zettel unter seinem Knie hatte er schon lange nicht mehr mit Notizen bedacht. Wie lange konnte man eigentlich im Schneidersitz verharren, ohne dass einem die Beine abstarben? Seit gefühlten Stunden atmete Adam zum ersten Mal wieder so tief ein, dass es bis zu ihrem Schreibtisch wehte. »Prüf mal weiter, ob du irgendeinen Zusammenhang erkennen kannst – oder eine versteckte Botschaft oder so was.«
Pia verdrehte die Augen, während sie sich von den Armlehnen in die Höhe stemmte. Vielen Dank auch, Polizeischule, erstes Semester. Sie zog ihr Smartphone aus der Gesäßtasche, in der sie es versenkt hatte, nachdem sie dem Lieferanten ihre Bestellung abgenommen hatte, checkte die bunten Icons. Der junge Araber hatte gehorsam unten gewartet und in professioneller Diskretion nicht die Adresse gecheckt. Anders hatte sie sich die Neutralität in seinen Augen nicht erklären können, die noch nicht einmal die gläserne Fassade hinaufgeflogen waren. Ein knappes Lächeln, ein Winken mit den Scheinen und ein in seinem Gang um das Auto verwehter Dank für das fette Trinkgeld, schon war er abgezischt.
Ihr Magen machte sich leise bemerkbar, als sie die Schachtel neben Adam aufklappte. Ein Gummirad ohne Geruchspartikel, aber wenigstens hungerstillender als ihr Stochern in Adams wilden Gedankenverschlingungen. Sie pfriemelte ein Stück an der verbackenen Schnittkante heraus und lehnte sich mit dem Rücken dicht neben Adam an den Konferenztisch, während sie mit den Schneidezähnen die Spitze abbiss. Eine Märchenprinzessin mit Pizza, in einem verwunschenen Garten mit einem versteinerten Prinzen, der sich aber doch gerührt hatte, als sie, die Kartons in der Hand, die Tür hinter sich nicht abgeschlossen hatte. Rechtsherum war er um den langen Tisch gegangen, hatte abgesperrt, und den Kreis geschlossen, indem er sich von links wieder auf die Tischplatte geschoben hatte. War das so ein Türfetischding? Anders als Leo, der die Tür zu seinem Büro wenigstens in seiner Anfangszeit manchmal noch offen gelassen hatte, hatte Adam sie immer gern geschlossen, mit mehr oder weniger Vehemenz, das kam ganz darauf an.
»Was haben wir bis jetzt?« Sie zupfte ein undefinierbares schwarzes Etwas vom vor Stunden geschmolzenen Mozzarella und rieb es sich von den Fingern, dann nahm sie mit einem Bissen die Hälfte des Stücks. »Eine Liste mit Zahlenfolgen.« Unter ihrem Kauen verstand schon sie ihre Worte kaum. Höhlenmenschenmanieren, Adam färbte allmählich wirklich auf sie ab. Wobei – in Essensfragen kam dann doch seine Erziehung zum Ausdruck. Seltsam, dass seine Mutter sie allein auf das Esszimmer beschränkt hatte. »Irgendeinen Code oder so was. Ein Foto von irgendeinem Waldstück.« Sie schob sich den Rest in den Mund, ihre Zähne senkten sich in den schaumartigen Rand. »Mit Gräsern, einem Hochsitz, einem runden Stein im Boden – wie ein überdimensionaler Kiesel …«
Ihre Hüfte wurde von Adams Knie angestoßen, mit einem ungesunden Klatschen, das umgeknickte Seiten hörbar machte, landete der Ordner, der bisher in seinem Schoß gelegen hatte, auf dem Linoleum. Sie wandte den Blick zur Seite, doch Adam starrte nur mit so weit aufgerissenen Augen vor sich hin, als habe er eine Vision von Leo, dem jemand einen Pistolenlauf in den Nacken drückte. Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf, vertrieb das Bild aus ihren Gedanken, verschränkte Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand. Das hatten Manu und sie vor ihren ersten Einsätzen immer gemacht, um ein flapsig geäußertes Omen zu bannen.
»Das is‘ ne Finte«, konnte sie Adams Keuchen mit Mühe entnehmen. Mit der flachen Hand patschte er unter seinen Knien auf die Tischplatte, sprang sofort herunter, hob die Mappen an und tauchte beinahe darunter, bis er den Plastikbeutel mit den aufgelisteten Aktenkennzeichen fand. Er spreizte die Finger über dem kleinformatigen Papier, drückte den Kunststoffschutz enger auf die Zahlen, beugte sich aber trotzdem dicht darüber. Seinen Schmierzettel drehte er mit einem Klatschen um, sein Bleistift schien über das Papier zu fliegen, als er Nummer für Nummer untereinanderschrieb. Neben der letzten Zahl blieb seine Hand einfach liegen, die Panik toste in seinen Augen, als er sie nun doch ansah. »Der will, dass wir uns hier vergraben, während er Leo abmeuchelt.«
»Was? Adam –« Sie fühlte, wie ihre Augen sich weiteten, als sie Adams Blick folgte. Sie löste die Verschränkung ihrer Arme und wandte sich um, beugte sich neben ihm über die Zahlen, die die 26 nicht überstiegen.
Wie ein Stenograf warf Adam die Buchstaben daneben, klopfte mit den Fingern der linken Hand beim Zählen, strich bei der 14 das O durch und ersetzte es durch ein N.
GSMRATNHICEE
Ihr beider Atem mischte sich, wehte dicht über das Papier hin. Sie zückte ihr Smartphone, öffnete Google Maps, dann sah sie sich um, die wenigen Schritte zu Leos Schreibtisch waren eine halbe Wanderung. Als sie gerade mit dem Stadtplan zurückkam, entkam Adam ein Schrei, der seine vorherige Panik in ihr aufstehen ließ. Es war ein Laut, der irgendwo zwischen dem lag, mit dem man auf seinen Gegner zustürzte, um eine letzte Rache an ihm zu üben, bevor man selbst den Tod fand, und dem, der einem entkommen musste, wenn man seinem Leben selbst ein Ende setzte. Mit einem gezielten Schritt zur Seite wischte er alle Akten, die er vorher hinter sich aufgestapelt hatte, vom Tisch, drehte sich mit einem Gemisch aus Stöhnen, Ächzen und Knurren einmal um sich selbst, die Hände auf dem Kopf verschränkt, dann stürzte er zu seinem Schreibtisch.
»Adam –« Schon stand sie neben ihm, die Karte noch in der Hand. Er wühlte sich durch den Stapel, der ihm am nächsten war, kippte ihn achtlos von der Ecke, schickte den zweiten hinterher, legte sich beinahe vornüber, um zu dem Zettelwust auf der anderen Seite seiner Tastatur zu kommen.
»Was …« Sie fasste ihn am Ärmel, doch er riss sich mit einem heftigen Ruck los, die Papiere knisterten unter seinen Händen. »Herrgott noch mal, sprich doch einfach mal mit mir!«
»Angeschmiert.«
»Was?«
»ANGESCHMIERT!« schrie er so laut, dass sie unwillkürlich einen Schritt zurück machte. Mit einer Bewegung, als müsse es ihm den Hals ausrenken, nickte er hinter sich, kämpfte sich weiter durch seine Papiere. »Das war die Botschaft dieser ganzen Scheißaktion, ich hab’s verkackt, einfach verkackt, verkackt, und Leo …« Der Rest seines Satzes ging in einem erneuten Schrei unter, mit dem er dem Stapel vor sich einen Schubs gab, dass er in der Gerade vor ihm über die Kante kippte und auf den Boden schlug.
»Was …«
»Wo ist dieses Scheißfoto?« erdrosselte er ihre Worte, bevor die Frage überhaupt in ihrem Kopf Gestalt angenommen hatte.
»Hinter dir.«
Er warf sich herum, sein düsterer, wilder Blick traf sie.
»Also – vor dir, an der Pinnwand.«
Er riss den Kopf herum, folgte ihrem Fingerzeig, dann stürzte er los, dass sie im ersten Moment dachte, er wolle über seinen Schreibtisch springen. So dicht, dass es von hinten aussah, als lehne er sich dagegen, trat er vor die Wand, kauerte sich zusammen, um das Foto auf Augenhöhe zu haben. Darüber verlor sich noch Jenny mit ihrem eigenartig schwebenden Blick, der sie nichts mehr sehen ließ, im nebelgrauen Himmel so hoch über sich, die Creolen mit den Vögeln darin waren durch die Schwerkraft an ihren Hals, direkt hinter den Ohren geschmiegt. Das, was von Sobeck an verkohlten Resten noch übrig geblieben war, häufte sich auf dem daneben hängenden Bild auf. Zwischen Adams Nasenspitze und der Aufnahme des Weihers konnte Pia nur noch einen Abstand von wenigen Zentimetern ausmachen, als sie zu ihm aufschloss.
»Siehst du das?« Er nestelte den Reißnagel aus dem oberen Rand der Tüte, in die er das Foto gepackt hatte. »Siehst du das?«
So rau, so hechelnd er die Worte vorbrachte, sie konnte ein Augenrollen nicht unterdrücken.
»Wieso sollte ich –«
»Das is‘ ‘ne Spiegelung.« Während sie die Augen nicht von ihm wenden konnte, starrte er nur auf das Foto zwischen seinen Fingern herab. Er trat so dicht hinter sie, dass sich ihr Körper an seine Seite schmiegte. Wie konnte er so weich, so warm sein, wo er doch so hager war, so schroff und unzugänglich wie eine Granitnadel im Gebirge – »Das is‘ ein Kiesel.« Ihre Augen folgten dem Kreis, den sein Zeigefinger um den weißen Fleck schlug. »Das is‘ unter Wasser in einem See aufgenommen – siehst du das?«
Sie puzzelte seine Worte zusammen, verglich sie mit den Eindrücken, die ihre Augen ihrem bereits halb schlafenden Hirn vermeldeten. Ihr entwich ein stummer Lacher. »Du hast recht.« Sie wandte den Kopf gerade so weit, dass sie zu ihm hinaufschielen konnte, jedoch nicht an sein Kinn stieß, aber er war weiterhin gebannt von dem Foto, sogar als er murmelte: »Du hattest recht – der Stein …«
Als quille er aus einem Rohr mit gewaltigem Durchmesser, wölkte sich ein schwarzer Nebel über die Fieberhaftigkeit in seinem Blick. Pia trat einen Schritt zur Seite, wandte sich zu Adam um und fasste ihn am Ärmel, bevor er sich losreißen und selbst zerfleischen konnte. Sein Gesicht war verhärtet, der Zorn arbeitete in seinem Kiefer.
»Fällt dir was dazu ein?« Ohne den Blick von ihm zu wenden, schnellte ihr Zeigefinger in Richtung des Fotos. »Ein Wald, eine Wiese mit hohem Gras …«
»Nein, Pia, verdammt – nichts, keine Ahnung!« Schon war die Panik zurück, Adam starrte wieder auf das Bild in seinen Fingern, schüttelte so vehement den Kopf, dass sie glaubte, nur vom Zusehen Migräne bekommen zu müssen. »Da ist gar nichts!«
Langsam stellte sie sich wieder neben ihn, so eng, dass sie sich berührten, doch mit einigen luftigen Millimetern mehr zwischen ihnen als gerade eben, damit sie ihn nicht erdrückte. »Ein Tümpel«, dachte sie halblaut, zog das Foto, das Adam nicht aus der Hand gab, näher zu sich, »ein kleiner Weiher am Waldrand … irgendeine feuchte Landschaft, wo sich –«
»Oh Gott«, entkam Adam so erstickt, als drücke ihm jemand die Kehle zu.
Pia wandte sich zu ihm um, sie zog erschreckt den Kopf zurück. Adams Wangen waren nun vollkommen entfärbt, er zitterte stärker als vorhin noch. »Der See«, flüsterte er. »Scheiße.« Er warf den Kopf herum, es überlief sie eiskalt, als sein Blick sie traf, in dem der Wahnsinn toste. »Der See«, wiederholte er beschwörend und machte einen Schritt auf sie zu, senkte den Kopf. »Wo ich mit Leo war, weißt du noch? Wo ich ihn fast –« Sein Gesicht verzerrte sich, als habe er Schmerzen. Er tauchte unter ihrer Bewegung weg, mit der sie nach seiner Schulter hatte fassen wollen, warf das Foto in die Ablage, dann kramte er unter den Papieren, die noch auf seinem Schreibtisch zurückgeblieben waren. Schon schubste er sie über die Kante, die Blätter flatterten wie von einem Windstoß erfasst, kreiselten zu Boden.
»Adam!«
Seine Augen waren wild, seine Pupillen riesig, als habe er irgendetwas genommen – vielleicht hatte er das ja auch, wer wusste das schon. Als er um seinen Schreibtisch herumhechtete, krachte er gegen die Ecke, stolperte, fing sich auf einem Aktenstapel, der seitlich wegrutschte und sich über die Schreibunterlage ergoss. Da richtete Adam sich schon wieder auf, stand in einer plötzlichen Eingebung kerzengerade. Er beugte sich über seine Jacke, die ausnahmsweise einmal über der Stuhllehne hing, und klopfte die Taschen ab, bevor er sie hochriss und überwarf, schon wieder auf dem Weg zur Tür. Pia packte ihn am Arm, stellte sich ihm in den Weg und zog reflexhaft den Kopf zurück, als er mit einem völlig entgleisten Zorn, der keine Grenzen kannte, auf sie herabsah. Seine Augen schienen beinahe darunter zu flackern, die verzerrten Falten in seinem Gesicht wirkten wie bei einer Statue in Stein getrieben.
»Jetzt atme erst mal tief durch, ja?« Offenbar zeigten ihre Worte Wirkung, denn er kämpfte nicht mehr gegen ihren Griff an, sondern ließ sich ein kleines Stück zurückdrängen. »Das ist doch alles vollkommen verrückt! Wer bitte sollte Leo entführt haben – und dann zu diesem See gebracht haben? Ausgerechnet!« Sie konnte ein raues Lachen nicht zurückhalten, schüttelte den Kopf. »Entschuldige, Adam, aber … das ist doch lächerlich.«
Für einige Sekunden musterten sie sich stumm, Pia musste an einen Showdown in einem Western denken, doch die Wut tropfte von Adams Gesichtszügen, ließ sie mut- und spannungslos zurück. Seine Augen waren nun opak, wirkten, als sei das Licht darin erloschen, das sie sonst so hell leuchten ließ.
»Dann fahr doch einfach nach Hause.«
Noch während seine Worte sie kraftlos umwehten, schob er sie einfach beiseite, machte sich noch nicht einmal die Mühe, die Tür hinter sich zuzuwerfen. Seine Schritte polterten dumpf über den Gang, wurden auch danach noch vom Echo im Treppenhaus an ihr Ohr getragen. Pia stützte die Hände in die Seite, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. Ihr Lachen stieß sich ihr trocken in der Kehle, wuchs nicht an, blieb stecken. Sie holte tief Luft, dann schoss sie los.