Oberwasser
von ToniLilo
Kurzbeschreibung
Es gab bessere Tage – und es gab andere. Man wusste es niemals vorher. Und Adam war es ohnehin nicht anzusehen. Sobald Pia Ansätze machte, ihn zu ergründen, hinter seine aus Eis gehauene Fassade zu blicken, zog er sich in seine Welt zurück, zu der er niemandem jemals Zutritt gewährte. Dann blieb ihr nichts übrig, als seine Spur zu verfolgen – jeden Tag aufs Neue wieder … [Fortsetzung zu „Seitenwechsel“] [ACHTUNG: Triggerwarnung!]
GeschichteDrama, Schmerz/Trost / P18 / Het
Kriminalhauptkommissar Adam Schürk
Kriminalhauptkommissar Leo Hölzer
Kriminalhauptkommissarin Esther Baumann
Kriminalhauptkommissarin Pia Heinrich
21.01.2022
29.08.2023
30
117.452
5
Alle Kapitel
34 Reviews
34 Reviews
Dieses Kapitel
1 Review
1 Review
05.11.2022
3.471
Hallo, meine Lieben, hier kommt einmal wieder ein neues, kürzeres Kapitel, diesmal unblutig, aber mit Hickhack innerhalb unseres liebsten Polizeiteams. Viel Vergnügen Euch damit und ein schönes Wochenende!
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Kapitel 16 – Widerspiel
Stur ging Adams Blick durch die Glastür an Leo vorbei, der sie ihm aufhielt.
»Na, noch ‘ne Kaffeepause eingeschoben?« spottete Esthers Stimme in seinem Rücken. Leo wandte sich um. Sie lächelte ihn von unten herauf an, der Hohn stieß sich spitz in ihren Mundwinkeln. »Wie schön, dass …«
»Fick dich, Baumann«, zischte es rechts von ihm erstickt. Als er den Kopf nach seinem Partner drehte, war dieser schon an ihnen vorbeigestürmt, im selben Schritt wie ein SEKler, der zur Aufrollung eines Tatorts mit einem verschanzten Scharfschützen gerufen wird. Esther aber stand ihm in nichts nach, sie hechtete hinter ihm her und packte ihn am Ärmel. Der Überraschungseffekt war auf ihrer Seite, sodass es ihr sogar gelang, Adam zu sich herumzureißen.
»Nee, Schürk – so nicht!« Eine Strähne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, fiel ihr bei ihrem heftigen Kopfschütteln ins Gesicht, mit einer zackigen Bewegung strich sie sie sofort wieder zurück. »Ich dachte, wir könnten einmal auf einem anderen Level ansetzen, nachdem wir gestern …«
Unter Adams Lachen verstummte sie augenblicklich, als habe sie ihre Stimme verschluckt. Da war er wieder, dieser merkwürdige Laut, den Adam am vorigen Tag auch schon ausgestoßen hatte, ein scharfer, schartiger Ton, wie der Ruf eines in ihrem Landstrich fremden Vogels. Leo war jetzt herangekommen, unter dem Anblick seines Freundes erstarrte er. Mittlerweile war jede Farbe aus seinem Gesicht gewichen, seine Augen waren rot gerändert, Tränen standen darin. Er zitterte, ob vor Wut oder Schwäche, wusste Leo nicht festzumachen. Er streckte einen Arm nach Adam aus, zog ihn aber sofort wieder zurück, als sein Partner den Kopf hochwarf.
»Ja –« Erneut ließ er dieses beinahe metallische Lachen hören. »Du hast mir ja gezeigt, was du damit meinst, als du mich verpfiffen hast. Und? Was steht jetzt an? Friendly fire? Arsen im Kaffee? Tu dir keinen Zwang an!«
»Du bist doch einfach ein Fall für die Klapse, Schürk, so sieht’s aus!« Mittlerweile hatte Esther die Stimme erhoben. »Meinst du ernsthaft, ich hab nicht gecheckt, was mit dir los ist? Warum es dir ‚schlecht ging‘?« Ihre Stimme troff vor Gehässigkeit. »Warum Leo und Pia vor Weihnachten zu dir nach Hause …«
»Dann steck’s doch gleich wieder Paulchen, wenn er gerade mal nicht in dir steckt.«
Eine Ohrfeige klatschte, Leo drängte sich zwischen seine beiden Kollegen und schob sie auseinander.
»Jetzt reicht’s aber, kriegt euch mal wieder ein, ja?«
Er ließ Esthers Arm los, den er am Handgelenk umfasst hatte und den sie nun schon wieder senkte, das Gesicht noch verkniffen, die Augen vor Zorn blitzend. Adam hatte Leo am Kragen gepackt, mit einem gewaltsamen Ruck riss er sich jetzt los. Leo konnte nur noch fassungslos auf seine davonstürmende Gestalt sehen.
»So viel dazu«, schloss Esther spöttisch. Auf das Rascheln neben sich wandte Leo den Kopf. Mehrere Ausdrucke glitten durch ihre Finger, ihre Worte nahm er nur wie von einem im Hintergrund abgespielten Band wahr. Seine Augen suchten schon wieder Adam, der jedoch nirgendwo mehr zu sehen war. Was, wenn er letzten Endes doch umgekippt war – oder gerade seine Waffe durchlud …
»Dahlberg hat vorhin angerufen.« Siegreiches Lächeln, in Esthers dunklen Augen schimmerte ihr Hochgefühl. »Er will doch tatsächlich freiwillig zum Verhör hier aufkreuzen, allerdings bringt er gleich seinen Anwalt mit.« Als werfe sie eine Frisbeescheibe, schwang sie das Schreiben zu Leo in Leserichtung herum. Aktenzeichen, Siegel, keine Fragen offen, trotzdem griff er danach.
»So ein Dreck.«
»Kannst du laut sagen.« Mit dem dumpfen Pochen von Karton auf Karton schlug Esther die Akte zu und strich sich über die im Zopf zusammengefassten Haare, von denen nicht eines hochstand. Wohin die Strähne verschwunden war, die ihr vorhin in die Stirn gefallen war, begriff er nicht. »Da werden wohl einige Punkte seiner nicht ganz so glorreichen Vergangenheit …«
»Wo ist Pia?«
Adams beinahe als ein Wort ausgesprochene Frage brachte die neutrale Atmosphäre des Vorraums mit einem klaren Schnitt durch die Basis zum Einsturz. Seine Augen huschten nicht hin und her wie sonst, sondern brannten sich in vollkommener Reglosigkeit in Esthers Blick.
Das schien sie allerdings nicht weiter zu kümmern. Sie rollte mit den Augen. »Bei Leiber. Manche machen hier ihre Arbeit.«
Reflexartig hob Leo die Hand, als sie ihm die Akte hinhielt.
»Du übernimmst, oder?«
Seine Finger schlossen sich noch nicht um den Karton, als Esther ihn schon hineindrückte. »Moment – wieso Pia? Das ist doch ganz eindeutig …«
»Sag mal, hast du sie noch alle?« polterte Adams Stimme hinter ihm los, stolperte an ihm vorbei.
Esther gab sich, als sei Adam gar nicht da und antwortete mit einem nachlässigen Schulterzucken auf Leos Frage: »Ihr wart nicht da, Leiber hat sich endlich gemeldet und deshalb wollte Pia …«
Es schnitt ihr die Worte ab, als Adam sie an der Schulter zu sich heranriss. Sofort fuhr sie auf, drückte seine Hand fort. »Fass mich nicht an!« Ihre Augen sprühten Funken.
»Genau dafür hat man doch einen Partner«, herrschte Adam sie an, »damit man bei einem solchen verfickten Verdächtigen nicht allein dasteht und plötzlich in den Lauf irgendeiner Scheißknarre starrt!« Bei den letzten Worten war seine Stimme immer lauter geworden.
Als Leo eine Bewegung im Augenwinkel wahrnahm, drehte er den Kopf, doch der Türrahmen am Ende des Flurs war leer. Offenbar hatte sich der betreffende Kollege gleich wieder zurückgezogen. Wer war überhaupt dort untergebracht? Dieser kleine Rothaarige? Leo brachte es gerade nicht zusammen.
Mit gesenktem Kopf starrte Adam Esther an. Seine Pupillen hatten sich auf Stecknadelgröße zusammengezogen, sein Atem kam und ging in kleinen, abgehackten Rucken.
»Adam –«
Esthers trockenes Lachen unterbrach Leos Versuch eines vermittelnden Eingreifens. Sie zog eine Augenbraue zu einem spitzen Dreieck hoch. »Eine Knarre? In der Firma?«
»Den letzten Toten gab’s auch in dieser Scheißfirma!«
Auf Adams Schrei machte die Tasse in den Händen der jungen Polizeibeamtin, deren Namen Leo vergessen hatte, einen Satz. Es klirrte leise, als sie das Geschirr vor einem Sturz bewahrte. Mit beharrlich gesenktem Kopf eilte sie den Gang hinunter. Ihr kastanienbrauner Pferdeschwanz zitterte nicht einmal.
Esther, die ihren Weg auch beobachtet hatte, schüttelte den Kopf, das Lächeln war noch nicht von ihren Zügen getilgt, als sie sich wieder Leo zuwandte. »Jedenfalls habe ich Dahlberg freundlichst darauf hingewiesen, dass er es …«
Mit einem Mal würgte es ihr die Stimme ab. Adam war auf sie zugestürzt und hatte sie am Kragen ihres Jacketts gepackt. Ihre zierliche Gestalt war seltsam durchgebogen, sie hing beinahe in Adams Griff, der sie nah zu sich herangerissen hatte.
»Wenn Pia irgendwas passiert«, zischte er wenige Fingerbreit von ihrem Gesicht entfernt, »dreh ich dir eigenhändig den Hals um.«
»Adam!!«
Sein Arm war stählern unter Leos Griff, der ihn von Esther wegzerren wollte, da stieß er sie ohnehin schon von sich, dass sie ein Stück fortstolperte und fast gegen die Wand hinter sich prallte. Erneut rief Leo seinen Namen, doch er stürzte schon davon, riss die Flurtür so gewaltsam auf, dass sie bis an die Grenzen aufschwang, wo sie sich in den Angeln sperrte. Für einen Moment blieb sie stehen, dann kehrte sie um und fiel gemächlich zu. Im Türrahmen zum Büro, über dessen Belegung Leo gerätselt hatte, tauchten zwei Köpfe auf, ein grau melierter breiter und ein schwarzhaariger kleinerer. Adams Gestalt war schon vom Treppenhaus verschluckt worden.
Esther erwiderte seinen Blick nicht, als Leo sich ihr zuwandte. Sie zog ihren Kragen zurecht und verfolgte den Weg, den Adam entlanggestürzt war. Der Spott in ihren Augen war fast vollkommen verschwunden, die braune Tiefe schimmerte dunkel vor einer entgeisterten Furcht.
Beinahe wunderte Pia sich darüber, dass die Pomade Leiber nicht über das Gesicht floss und auf seinen Schreibtisch tropfte. Seine Haare glänzten strähnig unter dem Fett, es war, als habe er eine ganze Dose darin verteilt.
»Na, Frau Heinrich, so einfach kann man das nun nicht festmachen.« Mit einiger Mühe zog er ein Stofftaschentuch aus seinem Jackett, faltete es auf und wischte sich die Stirn. Es half nur mäßig, am Haaransatz bildeten sich sofort wieder Schweißtropfen. Schnaufend setzte er sich zurecht und lächelte sie an. Die Branche passte nicht. Hätte sie es nicht besser gewusst, sie hätte ihn für den Abkömmling einer traditionsreichen Brauerei gehalten. Telekommunikation war dann doch zu windschnittig. »Von Verweigerung würde ich nun nicht gerade sprechen. Sie müssen schon begreifen, dass unsereins …«
Das Klopfen war so diskret, dass Pia es beinahe überhört hätte, aber Leiber wuchtete sich auf seinem Lederthron herum.
»Bitte, Frau Schröder!« Verschüchtert trat die vollbusige Empfangsschönheit mit aufgespritzten Lippen herein. »Was gibt’s denn?« In seinem Tonfall fehlte nur noch das Liebling. Pia sah den Fettfleck um Leibers Sessel fast vor sich. Ein selten schmieriger Typ.
»Ein Herr Schürk von der Kriminalpolizei«, brachte sie schulmädchenhaft mit unsicheren Augen hervor. Erst jetzt fiel Pia auf, dass sie drei Ringe mit bunten Steinen an jeder Hand trug und auch sonst geschmückt wie ein Christbaum war mit einem für ihr graziles Handgelenk viel zu massiven Goldarmband, zwei Colliers übereinander, einem kurzen und einem langen, und schweren Creolen an den Ohren.
Das Lächeln, mit dem Leiber Pia bedachte, war frei nach Gutsherrenart. »Ah – Verstärkung?« Wie bei einem Ratespiel im Frühstücksfernsehen zog er eine Augenbraue in die Höhe.
»Ähm – natürlich nicht«, haspelte sie, »das war – nicht koordiniert, wir wollten – eigentlich sollte es …«
Was ging hier vor? Was wollte Adam hier?
Nichts tat sich in Leibers Gesicht, geduldig wartete er auf eine Fortführung ihrer Worte, bis er schließlich seiner Sekretärin zunickte. »Bitte, Frau Schröder.«
Sie wuselte hinaus, Leiber wandte sich mit einem Ächzen, das beinahe einem Grunzen gleichkam, wieder ihr zu, gluckerte einige Schluck Wasser in sich hinein. In seiner Hand hatte das Glas das Aussehen eines Fingerhuts. Gerade als er den Mund öffnete, schwang die Tür auf, die blonde Empfangskraft trat zur Seite.
Pia erkannte Adam zuerst an seinem Gang, diesem etwas schlenkernden Stechschritt, dann an dem Ruck, mit dem er den Kopf herumwandte und sich die Haare aus der Stirn warf. Sie schauderte unter dem Ausdruck seiner Augen, die die Temperatur in der weitläufigen Schaltzentrale von Teleomnium sofort um einige Grad sinken ließ.
Leiber begann, sich aus seinem Sessel hochzuschrauben, da war Adam schon an ihm vorbeigeschossen. Er setzte sich so dicht neben Pia auf das kurze Ledersofa, dass sein Oberschenkel sich flächig an ihren presste. Seine schwere Jeans war klamm gegen ihre im überheizten Büro aufgewärmte Haut, seine Fingerspitzen bläulich. Er stützte sich mit den Ellbogen auf die Knie, verschränkte die Hände darüber, dann saß er still, Leiber nicht aus den Augen lassend.
Die Sekretärin, die das Zusammentreffen schweigend beobachtet hatte, huschte nun wie eine verschreckte Maus um die Tür herum, zog sie lautlos hinter sich ins Schloss.
Leiber schnaufte, als er seine Körperspannung fallen und sich wieder voll in seinen Sessel sinken ließ.
»Soll ich noch einmal zusammenfassen?« kam Pia ihm zuvor.
Wie vor aufgereihter Dienerschaft schüttelte er den Kopf. Sein Blick zuckte zu Adam, als er weitersprach. »Wir waren ohnehin beinahe am Ende, nicht?« Auf Pias rasches Nicken stahl sich wieder sein Lächeln auf seine Züge, diesmal war es in seiner Breite jedoch zurechtgeschnitten. »Oder gibt es noch offene Fragen?«
Sie schüttelte knapp den Kopf, in Adams eisiger Präsenz, der mit steif durchgedrücktem Rücken neben ihr verharrte, wären ihr ohnehin keine eingefallen. Ihre Karte schob sie über die Tischplatte gerade so weit auf Leiber zu, dass er, nach einem erfolglosen Versuch, aus dem Sitzen danach zu angeln, seine ganze Masse hochrappeln musste, um sie zu sich heranzuziehen.
»Melden Sie sich bitte, sollte Ihnen noch etwas einfallen. Verlassen Sie außerdem in der nächsten Zeit Saarbrücken nicht und halten Sie sich …«
»Aber Frau Heinrich.« Da war es schon wieder, dieses Lächeln, das aus abgestandenem Altöl und ranzigem Fett zusammengebacken schien. »Wie stellen Sie sich das denn bitte vor?« Seine Seidenkrawatte sirrte leise, als er sie zwischen Daumen und Zeigefinger hindurchgleiten ließ. Sie hatte ein scheußliches Muster, irgendwelche steinzeitlich angehauchten Pfeilspitzen in einem schmutzigen Dunkelorange auf zu gelbstichigem Rot. »Nächste Woche muss ich nach Toulouse reisen, in der Woche danach stehen Brüssel, Prag und Stockholm auf dem Programm, und danach weiß ich noch nicht …«
»Ich meinte natürlich«, fuhr sie dazwischen und zwang ein behördliches Lächeln auf ihr Gesicht, »abgesehen von Ihren beruflichen Verpflichtungen außerhalb von Saarbrücken.« Sie stand auf, strich sich die gelösten Härchen hinter die Ohren zurück. »Halten Sie sich einfach zur Verfügung, sollten wir noch Fragen an Sie haben.«
Leiber tat es ihr nach, er wuchtete sich aus seinem Sessel hoch. Seine Augen fuhren dabei geübt ihren Körper entlang und für einen Moment wünschte sie sich, sie würde in einem der unförmigen weißen SpuSi-Anzüge stecken. Sie fühlte Adams Augen scharf und kalt von der Seite her auf sich liegen, es zurrte ihr das Zwerchfell zusammen. Den Ruck, den diese Empfindung in ihr verursachte, wandelte sie in die Flucht nach vorn um, als sie Leibers Hand ergriff, die er ihr hinhielt.
»Melden Sie sich umgekehrt auch gern, Frau Heinrich, und zwar jederzeit.« Noch immer umschloss seine schwitzige Pranke ihre Finger, er schüttelte ihre Hand hinauf und hinunter, hinauf und hinunter. »Frau Schröder und ich wissen ja nun, mit wem wir es zu tun haben.«
Sein Lächeln, das glatte Falten in sein feistes Gesicht grub, fiel von seinem Gesicht, als er sich ruckartig umsah. Adam war in seinem Rücken so dicht an ihm vorbeigegangen, dass er ihn gerade eben nicht gestreift hatte. Jetzt baute er sich mit verschränkten Armen neben der Tür auf und musterte ihn feindselig.
»Und Herr …«
»Schürk.« Sofort verschlossen sich Adams jetzt so schmale Lippen wieder, er machte nicht einmal Anstalten, seine Arme aus der Verschränkung zu lösen, als Leiber seine Hand ein wenig hob. Gleich darauf ließ er sie auf seine Anzughose sinken, wischte sie daran ab, als habe er in etwas besonders Abstoßendes gefasst.
Pia machte zwei Schritte in Adams Richtung, doch er rührte sich nicht, genauso wenig wie Leiber.
»Dann vielen Dank und auf Wiedersehen.« Mit einem geschäftsmäßigen Nicken ging sie zur Tür und noch im Rahmen spürte sie Adam hinter sich, wie er ihr in den Nacken atmete. Frau Schröder hatte den Kopf vollständig hinter ihren Bildschirm zurückgezogen, sodass jeder Gruß entfiel.
Auf der Treppe war Adam kaum eineinhalb Stufen hinter ihr, bei jedem Schritt tauchte sein Stiefel in ihrem Sichtfeld auf, seine große Hand schloss sich über ihrer um die Griffstange, als sie ihm die schwere Eingangstür aufhielt. Sie versuchte, ihren Atem in Zaum zu halten, aber er rannte ihr davon. Auch wenn es kindisch war, sie kam nicht dagegen an, also gab sie es auf. Sobald sie in den toten Winkel hinter Adams Auto eintauchten, das er achtlos in der Sichtachse zur Eingangstür abgeworfen hatte, fuhr sie zu ihm herum. Ihr Kopf zuckte zurück, weil er so dicht vor ihr stand, doch ihre Wut war stärker.
»Sag mal, geht’s noch? Was war das denn bitte für ‘ne Nummer? Wolltest du Leiber demonstrieren, dass ich’s nicht allein auf die Reihe kriege, oder was?«
Und Adam stand einfach nur da, starrte sie mit noch ein wenig zusammengezogenen Augenbrauen an, als sehe er sie nicht, als sei sie durchsichtig und er vermute sie nur an der Stelle, wo sie stand. Ungeachtet dessen, dass er schon so dicht bei ihr stand, machte sie noch einen Schritt auf ihn zu.
»Ich war voll auf Spur, Leiber gerade so richtig ins Plaudern gekommen, da bist du reingeschneit und hast alles …«
Sie unterbrach sich, als Adam den Blick abwandte. Seine blanken Augen schossen über den Parkplatz, er ließ die rechte Hand fahrig durch sein Haar gleiten. Auch wenn sie es sich nicht erklären konnte, irgendetwas an seiner Bewegung brachte sie vollkommen aus dem Konzept. Da sprangen seine Augen zu ihr. Sein Blick war so offen wie selten, eine tiefe Unruhe schwelte darin.
»Hat er dir was angetan?«
Wortlos starrte Pia ihn an. »Was?« platzte sie dann hervor. »Natürlich nicht! Was … warum sollte er?«
Adam nickte hastig. Sein Blick ging zu Boden, er stützte die Hände in die Seiten, atmete zittrig aus, dass er ein bisschen in sich zusammensank.
»Adam?« Ihre leise Frage verwehte sofort unter dem bleigrauen Himmel. Adam war schon wieder so verdammt blass. »Hey.« Sie legte ihm die flache Hand an die Brust, der glatte Stoff seiner Jacke war kalt unter ihren Fingern. Beinahe hätte sie gelächelt, er trug doch tatsächlich den Schal, den sie ihm geschenkt hatte. Langsam schob ihre Hand sich, ohne den direkten Kontakt zu Adams Körper aufzuheben, auf seine Schulter. Seine Muskeln waren stahlhart unter ihren Fingern. Sie versuchte, sie ein bisschen weich zu kneten, kam aber nicht gegen die gewachste Oberfläche an.
Adam stand reglos, den Blick noch immer zu Boden gerichtet, er atmete schwer. Jetzt schloss er kurz die Augen.
»Hey«, sagte sie noch einmal und trat direkt vor ihn. Es war ihr, als sei seine Art des Luftholens ansteckend. Ihre Brust hatte mit einem Mal zu wenig Raum. »Alles okay?«
Sein Nicken war abgerissen, ein kantiger Reflex nur, die größte Lüge, die er in diesem Moment hätte äußern können. Vorsichtig trat sie noch näher an ihn heran, setzte den linken Fuß zwischen seine Stiefel und schlang vorsichtig die Arme um seinen Hals. Kalt, starr und steif war sein Körper an ihrem, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte und an ihm hochschob, um ihre Wange an seine legen zu können. Seine Brust pumpte an ihrer viel zu rasch unter seinen flachen Atemzügen.
Wind kam auf, eine Böe fegte über sie hinweg. In Adams Rücken rollte eine Papiertüte raschelnd über den Parkplatz, bis sie sich am Reifen eines geparkten Autos fing. Seine Haare flatterten weich an ihrem Gesicht, sonst stand er bewegungslos wie ein Fels.
»Was ist denn los?« rang sie sich schließlich doch durch. »Ist irgendwas passiert?«
Unter ihrem unsicheren Stand schwankte sie ein wenig, da wurde sie von Adams Armen eingehüllt, war so eng an ihn gedrückt wie nur möglich, aber noch immer war er kalt in der Berührung mit ihr. Zwischen ihren Schulterblättern fühlte sie durch ihre Jacke, ihren Pullover, ihr T-Shirt hindurch seine einzelnen Finger, die sich in ihre Haut pressten.
»Adam – bitte sprich mit mir«, flüsterte sie und schloss die Augen. Langsam schob sie ihre Hand über seinen Jackenkragen in seinen Nacken, umschloss ihn vorsichtig. Seine Haut war feucht und kalt unter ihrer Berührung. Vorsichtig fuhr sie seine Sehnen, seine Muskeln nach, versuchte, ihm ein wenig Wärme zu schenken, doch es war, als ginge ihre Berührung an ihm vorbei. Sein Körper blieb unzugänglich unter ihren Fingern. Sie spiegelte ihn, zog ihn noch enger an sich und begann, ruhige, gleichmäßige Kreise auf seinem Rücken zu ziehen, während ihre Hand in seinem Nacken bewegungslos liegen blieb. Sein Brustkorb ruckte weiterhin, er riss die Luft mehr an sich, als dass er sie einatmete, stieß sie vehement von sich.
»Hast du gestern Nacht wieder was genommen?«
So leise ihre Worte waren, die Anklage verschwand deshalb nicht. Sofort hörte Adam auf zu atmen, die Spannung fiel ein wenig von ihm ab. Schwer lehnte er sich an sie und legte den Kopf auf ihrer Schulter ab. Ihre Hand wanderte zu seinem Hinterkopf. Sein Haar war auch hier so weich unter ihren Fingern, aber von der Kälte durchtränkt, in der sie auf der zugigen Freifläche standen. Erneut zerrte eine Böe an ihnen, brachte sie zum Schwanken. Der Wind fuhr ihnen in die Jacken und blähte sie ein wenig.
Pia fühlte, dass Adam fror. Ein ganz klein wenig drehte sie den Kopf, bis ihre Lippen den Bogen seines Kieferansatzes erreichten. Sie hauchte einen luftigen Kuss auf seine Haut. »Lass uns zurückfahren, ja?«
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Kapitel 16 – Widerspiel
Stur ging Adams Blick durch die Glastür an Leo vorbei, der sie ihm aufhielt.
»Na, noch ‘ne Kaffeepause eingeschoben?« spottete Esthers Stimme in seinem Rücken. Leo wandte sich um. Sie lächelte ihn von unten herauf an, der Hohn stieß sich spitz in ihren Mundwinkeln. »Wie schön, dass …«
»Fick dich, Baumann«, zischte es rechts von ihm erstickt. Als er den Kopf nach seinem Partner drehte, war dieser schon an ihnen vorbeigestürmt, im selben Schritt wie ein SEKler, der zur Aufrollung eines Tatorts mit einem verschanzten Scharfschützen gerufen wird. Esther aber stand ihm in nichts nach, sie hechtete hinter ihm her und packte ihn am Ärmel. Der Überraschungseffekt war auf ihrer Seite, sodass es ihr sogar gelang, Adam zu sich herumzureißen.
»Nee, Schürk – so nicht!« Eine Strähne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, fiel ihr bei ihrem heftigen Kopfschütteln ins Gesicht, mit einer zackigen Bewegung strich sie sie sofort wieder zurück. »Ich dachte, wir könnten einmal auf einem anderen Level ansetzen, nachdem wir gestern …«
Unter Adams Lachen verstummte sie augenblicklich, als habe sie ihre Stimme verschluckt. Da war er wieder, dieser merkwürdige Laut, den Adam am vorigen Tag auch schon ausgestoßen hatte, ein scharfer, schartiger Ton, wie der Ruf eines in ihrem Landstrich fremden Vogels. Leo war jetzt herangekommen, unter dem Anblick seines Freundes erstarrte er. Mittlerweile war jede Farbe aus seinem Gesicht gewichen, seine Augen waren rot gerändert, Tränen standen darin. Er zitterte, ob vor Wut oder Schwäche, wusste Leo nicht festzumachen. Er streckte einen Arm nach Adam aus, zog ihn aber sofort wieder zurück, als sein Partner den Kopf hochwarf.
»Ja –« Erneut ließ er dieses beinahe metallische Lachen hören. »Du hast mir ja gezeigt, was du damit meinst, als du mich verpfiffen hast. Und? Was steht jetzt an? Friendly fire? Arsen im Kaffee? Tu dir keinen Zwang an!«
»Du bist doch einfach ein Fall für die Klapse, Schürk, so sieht’s aus!« Mittlerweile hatte Esther die Stimme erhoben. »Meinst du ernsthaft, ich hab nicht gecheckt, was mit dir los ist? Warum es dir ‚schlecht ging‘?« Ihre Stimme troff vor Gehässigkeit. »Warum Leo und Pia vor Weihnachten zu dir nach Hause …«
»Dann steck’s doch gleich wieder Paulchen, wenn er gerade mal nicht in dir steckt.«
Eine Ohrfeige klatschte, Leo drängte sich zwischen seine beiden Kollegen und schob sie auseinander.
»Jetzt reicht’s aber, kriegt euch mal wieder ein, ja?«
Er ließ Esthers Arm los, den er am Handgelenk umfasst hatte und den sie nun schon wieder senkte, das Gesicht noch verkniffen, die Augen vor Zorn blitzend. Adam hatte Leo am Kragen gepackt, mit einem gewaltsamen Ruck riss er sich jetzt los. Leo konnte nur noch fassungslos auf seine davonstürmende Gestalt sehen.
»So viel dazu«, schloss Esther spöttisch. Auf das Rascheln neben sich wandte Leo den Kopf. Mehrere Ausdrucke glitten durch ihre Finger, ihre Worte nahm er nur wie von einem im Hintergrund abgespielten Band wahr. Seine Augen suchten schon wieder Adam, der jedoch nirgendwo mehr zu sehen war. Was, wenn er letzten Endes doch umgekippt war – oder gerade seine Waffe durchlud …
»Dahlberg hat vorhin angerufen.« Siegreiches Lächeln, in Esthers dunklen Augen schimmerte ihr Hochgefühl. »Er will doch tatsächlich freiwillig zum Verhör hier aufkreuzen, allerdings bringt er gleich seinen Anwalt mit.« Als werfe sie eine Frisbeescheibe, schwang sie das Schreiben zu Leo in Leserichtung herum. Aktenzeichen, Siegel, keine Fragen offen, trotzdem griff er danach.
»So ein Dreck.«
»Kannst du laut sagen.« Mit dem dumpfen Pochen von Karton auf Karton schlug Esther die Akte zu und strich sich über die im Zopf zusammengefassten Haare, von denen nicht eines hochstand. Wohin die Strähne verschwunden war, die ihr vorhin in die Stirn gefallen war, begriff er nicht. »Da werden wohl einige Punkte seiner nicht ganz so glorreichen Vergangenheit …«
»Wo ist Pia?«
Adams beinahe als ein Wort ausgesprochene Frage brachte die neutrale Atmosphäre des Vorraums mit einem klaren Schnitt durch die Basis zum Einsturz. Seine Augen huschten nicht hin und her wie sonst, sondern brannten sich in vollkommener Reglosigkeit in Esthers Blick.
Das schien sie allerdings nicht weiter zu kümmern. Sie rollte mit den Augen. »Bei Leiber. Manche machen hier ihre Arbeit.«
Reflexartig hob Leo die Hand, als sie ihm die Akte hinhielt.
»Du übernimmst, oder?«
Seine Finger schlossen sich noch nicht um den Karton, als Esther ihn schon hineindrückte. »Moment – wieso Pia? Das ist doch ganz eindeutig …«
»Sag mal, hast du sie noch alle?« polterte Adams Stimme hinter ihm los, stolperte an ihm vorbei.
Esther gab sich, als sei Adam gar nicht da und antwortete mit einem nachlässigen Schulterzucken auf Leos Frage: »Ihr wart nicht da, Leiber hat sich endlich gemeldet und deshalb wollte Pia …«
Es schnitt ihr die Worte ab, als Adam sie an der Schulter zu sich heranriss. Sofort fuhr sie auf, drückte seine Hand fort. »Fass mich nicht an!« Ihre Augen sprühten Funken.
»Genau dafür hat man doch einen Partner«, herrschte Adam sie an, »damit man bei einem solchen verfickten Verdächtigen nicht allein dasteht und plötzlich in den Lauf irgendeiner Scheißknarre starrt!« Bei den letzten Worten war seine Stimme immer lauter geworden.
Als Leo eine Bewegung im Augenwinkel wahrnahm, drehte er den Kopf, doch der Türrahmen am Ende des Flurs war leer. Offenbar hatte sich der betreffende Kollege gleich wieder zurückgezogen. Wer war überhaupt dort untergebracht? Dieser kleine Rothaarige? Leo brachte es gerade nicht zusammen.
Mit gesenktem Kopf starrte Adam Esther an. Seine Pupillen hatten sich auf Stecknadelgröße zusammengezogen, sein Atem kam und ging in kleinen, abgehackten Rucken.
»Adam –«
Esthers trockenes Lachen unterbrach Leos Versuch eines vermittelnden Eingreifens. Sie zog eine Augenbraue zu einem spitzen Dreieck hoch. »Eine Knarre? In der Firma?«
»Den letzten Toten gab’s auch in dieser Scheißfirma!«
Auf Adams Schrei machte die Tasse in den Händen der jungen Polizeibeamtin, deren Namen Leo vergessen hatte, einen Satz. Es klirrte leise, als sie das Geschirr vor einem Sturz bewahrte. Mit beharrlich gesenktem Kopf eilte sie den Gang hinunter. Ihr kastanienbrauner Pferdeschwanz zitterte nicht einmal.
Esther, die ihren Weg auch beobachtet hatte, schüttelte den Kopf, das Lächeln war noch nicht von ihren Zügen getilgt, als sie sich wieder Leo zuwandte. »Jedenfalls habe ich Dahlberg freundlichst darauf hingewiesen, dass er es …«
Mit einem Mal würgte es ihr die Stimme ab. Adam war auf sie zugestürzt und hatte sie am Kragen ihres Jacketts gepackt. Ihre zierliche Gestalt war seltsam durchgebogen, sie hing beinahe in Adams Griff, der sie nah zu sich herangerissen hatte.
»Wenn Pia irgendwas passiert«, zischte er wenige Fingerbreit von ihrem Gesicht entfernt, »dreh ich dir eigenhändig den Hals um.«
»Adam!!«
Sein Arm war stählern unter Leos Griff, der ihn von Esther wegzerren wollte, da stieß er sie ohnehin schon von sich, dass sie ein Stück fortstolperte und fast gegen die Wand hinter sich prallte. Erneut rief Leo seinen Namen, doch er stürzte schon davon, riss die Flurtür so gewaltsam auf, dass sie bis an die Grenzen aufschwang, wo sie sich in den Angeln sperrte. Für einen Moment blieb sie stehen, dann kehrte sie um und fiel gemächlich zu. Im Türrahmen zum Büro, über dessen Belegung Leo gerätselt hatte, tauchten zwei Köpfe auf, ein grau melierter breiter und ein schwarzhaariger kleinerer. Adams Gestalt war schon vom Treppenhaus verschluckt worden.
Esther erwiderte seinen Blick nicht, als Leo sich ihr zuwandte. Sie zog ihren Kragen zurecht und verfolgte den Weg, den Adam entlanggestürzt war. Der Spott in ihren Augen war fast vollkommen verschwunden, die braune Tiefe schimmerte dunkel vor einer entgeisterten Furcht.
Beinahe wunderte Pia sich darüber, dass die Pomade Leiber nicht über das Gesicht floss und auf seinen Schreibtisch tropfte. Seine Haare glänzten strähnig unter dem Fett, es war, als habe er eine ganze Dose darin verteilt.
»Na, Frau Heinrich, so einfach kann man das nun nicht festmachen.« Mit einiger Mühe zog er ein Stofftaschentuch aus seinem Jackett, faltete es auf und wischte sich die Stirn. Es half nur mäßig, am Haaransatz bildeten sich sofort wieder Schweißtropfen. Schnaufend setzte er sich zurecht und lächelte sie an. Die Branche passte nicht. Hätte sie es nicht besser gewusst, sie hätte ihn für den Abkömmling einer traditionsreichen Brauerei gehalten. Telekommunikation war dann doch zu windschnittig. »Von Verweigerung würde ich nun nicht gerade sprechen. Sie müssen schon begreifen, dass unsereins …«
Das Klopfen war so diskret, dass Pia es beinahe überhört hätte, aber Leiber wuchtete sich auf seinem Lederthron herum.
»Bitte, Frau Schröder!« Verschüchtert trat die vollbusige Empfangsschönheit mit aufgespritzten Lippen herein. »Was gibt’s denn?« In seinem Tonfall fehlte nur noch das Liebling. Pia sah den Fettfleck um Leibers Sessel fast vor sich. Ein selten schmieriger Typ.
»Ein Herr Schürk von der Kriminalpolizei«, brachte sie schulmädchenhaft mit unsicheren Augen hervor. Erst jetzt fiel Pia auf, dass sie drei Ringe mit bunten Steinen an jeder Hand trug und auch sonst geschmückt wie ein Christbaum war mit einem für ihr graziles Handgelenk viel zu massiven Goldarmband, zwei Colliers übereinander, einem kurzen und einem langen, und schweren Creolen an den Ohren.
Das Lächeln, mit dem Leiber Pia bedachte, war frei nach Gutsherrenart. »Ah – Verstärkung?« Wie bei einem Ratespiel im Frühstücksfernsehen zog er eine Augenbraue in die Höhe.
»Ähm – natürlich nicht«, haspelte sie, »das war – nicht koordiniert, wir wollten – eigentlich sollte es …«
Was ging hier vor? Was wollte Adam hier?
Nichts tat sich in Leibers Gesicht, geduldig wartete er auf eine Fortführung ihrer Worte, bis er schließlich seiner Sekretärin zunickte. »Bitte, Frau Schröder.«
Sie wuselte hinaus, Leiber wandte sich mit einem Ächzen, das beinahe einem Grunzen gleichkam, wieder ihr zu, gluckerte einige Schluck Wasser in sich hinein. In seiner Hand hatte das Glas das Aussehen eines Fingerhuts. Gerade als er den Mund öffnete, schwang die Tür auf, die blonde Empfangskraft trat zur Seite.
Pia erkannte Adam zuerst an seinem Gang, diesem etwas schlenkernden Stechschritt, dann an dem Ruck, mit dem er den Kopf herumwandte und sich die Haare aus der Stirn warf. Sie schauderte unter dem Ausdruck seiner Augen, die die Temperatur in der weitläufigen Schaltzentrale von Teleomnium sofort um einige Grad sinken ließ.
Leiber begann, sich aus seinem Sessel hochzuschrauben, da war Adam schon an ihm vorbeigeschossen. Er setzte sich so dicht neben Pia auf das kurze Ledersofa, dass sein Oberschenkel sich flächig an ihren presste. Seine schwere Jeans war klamm gegen ihre im überheizten Büro aufgewärmte Haut, seine Fingerspitzen bläulich. Er stützte sich mit den Ellbogen auf die Knie, verschränkte die Hände darüber, dann saß er still, Leiber nicht aus den Augen lassend.
Die Sekretärin, die das Zusammentreffen schweigend beobachtet hatte, huschte nun wie eine verschreckte Maus um die Tür herum, zog sie lautlos hinter sich ins Schloss.
Leiber schnaufte, als er seine Körperspannung fallen und sich wieder voll in seinen Sessel sinken ließ.
»Soll ich noch einmal zusammenfassen?« kam Pia ihm zuvor.
Wie vor aufgereihter Dienerschaft schüttelte er den Kopf. Sein Blick zuckte zu Adam, als er weitersprach. »Wir waren ohnehin beinahe am Ende, nicht?« Auf Pias rasches Nicken stahl sich wieder sein Lächeln auf seine Züge, diesmal war es in seiner Breite jedoch zurechtgeschnitten. »Oder gibt es noch offene Fragen?«
Sie schüttelte knapp den Kopf, in Adams eisiger Präsenz, der mit steif durchgedrücktem Rücken neben ihr verharrte, wären ihr ohnehin keine eingefallen. Ihre Karte schob sie über die Tischplatte gerade so weit auf Leiber zu, dass er, nach einem erfolglosen Versuch, aus dem Sitzen danach zu angeln, seine ganze Masse hochrappeln musste, um sie zu sich heranzuziehen.
»Melden Sie sich bitte, sollte Ihnen noch etwas einfallen. Verlassen Sie außerdem in der nächsten Zeit Saarbrücken nicht und halten Sie sich …«
»Aber Frau Heinrich.« Da war es schon wieder, dieses Lächeln, das aus abgestandenem Altöl und ranzigem Fett zusammengebacken schien. »Wie stellen Sie sich das denn bitte vor?« Seine Seidenkrawatte sirrte leise, als er sie zwischen Daumen und Zeigefinger hindurchgleiten ließ. Sie hatte ein scheußliches Muster, irgendwelche steinzeitlich angehauchten Pfeilspitzen in einem schmutzigen Dunkelorange auf zu gelbstichigem Rot. »Nächste Woche muss ich nach Toulouse reisen, in der Woche danach stehen Brüssel, Prag und Stockholm auf dem Programm, und danach weiß ich noch nicht …«
»Ich meinte natürlich«, fuhr sie dazwischen und zwang ein behördliches Lächeln auf ihr Gesicht, »abgesehen von Ihren beruflichen Verpflichtungen außerhalb von Saarbrücken.« Sie stand auf, strich sich die gelösten Härchen hinter die Ohren zurück. »Halten Sie sich einfach zur Verfügung, sollten wir noch Fragen an Sie haben.«
Leiber tat es ihr nach, er wuchtete sich aus seinem Sessel hoch. Seine Augen fuhren dabei geübt ihren Körper entlang und für einen Moment wünschte sie sich, sie würde in einem der unförmigen weißen SpuSi-Anzüge stecken. Sie fühlte Adams Augen scharf und kalt von der Seite her auf sich liegen, es zurrte ihr das Zwerchfell zusammen. Den Ruck, den diese Empfindung in ihr verursachte, wandelte sie in die Flucht nach vorn um, als sie Leibers Hand ergriff, die er ihr hinhielt.
»Melden Sie sich umgekehrt auch gern, Frau Heinrich, und zwar jederzeit.« Noch immer umschloss seine schwitzige Pranke ihre Finger, er schüttelte ihre Hand hinauf und hinunter, hinauf und hinunter. »Frau Schröder und ich wissen ja nun, mit wem wir es zu tun haben.«
Sein Lächeln, das glatte Falten in sein feistes Gesicht grub, fiel von seinem Gesicht, als er sich ruckartig umsah. Adam war in seinem Rücken so dicht an ihm vorbeigegangen, dass er ihn gerade eben nicht gestreift hatte. Jetzt baute er sich mit verschränkten Armen neben der Tür auf und musterte ihn feindselig.
»Und Herr …«
»Schürk.« Sofort verschlossen sich Adams jetzt so schmale Lippen wieder, er machte nicht einmal Anstalten, seine Arme aus der Verschränkung zu lösen, als Leiber seine Hand ein wenig hob. Gleich darauf ließ er sie auf seine Anzughose sinken, wischte sie daran ab, als habe er in etwas besonders Abstoßendes gefasst.
Pia machte zwei Schritte in Adams Richtung, doch er rührte sich nicht, genauso wenig wie Leiber.
»Dann vielen Dank und auf Wiedersehen.« Mit einem geschäftsmäßigen Nicken ging sie zur Tür und noch im Rahmen spürte sie Adam hinter sich, wie er ihr in den Nacken atmete. Frau Schröder hatte den Kopf vollständig hinter ihren Bildschirm zurückgezogen, sodass jeder Gruß entfiel.
Auf der Treppe war Adam kaum eineinhalb Stufen hinter ihr, bei jedem Schritt tauchte sein Stiefel in ihrem Sichtfeld auf, seine große Hand schloss sich über ihrer um die Griffstange, als sie ihm die schwere Eingangstür aufhielt. Sie versuchte, ihren Atem in Zaum zu halten, aber er rannte ihr davon. Auch wenn es kindisch war, sie kam nicht dagegen an, also gab sie es auf. Sobald sie in den toten Winkel hinter Adams Auto eintauchten, das er achtlos in der Sichtachse zur Eingangstür abgeworfen hatte, fuhr sie zu ihm herum. Ihr Kopf zuckte zurück, weil er so dicht vor ihr stand, doch ihre Wut war stärker.
»Sag mal, geht’s noch? Was war das denn bitte für ‘ne Nummer? Wolltest du Leiber demonstrieren, dass ich’s nicht allein auf die Reihe kriege, oder was?«
Und Adam stand einfach nur da, starrte sie mit noch ein wenig zusammengezogenen Augenbrauen an, als sehe er sie nicht, als sei sie durchsichtig und er vermute sie nur an der Stelle, wo sie stand. Ungeachtet dessen, dass er schon so dicht bei ihr stand, machte sie noch einen Schritt auf ihn zu.
»Ich war voll auf Spur, Leiber gerade so richtig ins Plaudern gekommen, da bist du reingeschneit und hast alles …«
Sie unterbrach sich, als Adam den Blick abwandte. Seine blanken Augen schossen über den Parkplatz, er ließ die rechte Hand fahrig durch sein Haar gleiten. Auch wenn sie es sich nicht erklären konnte, irgendetwas an seiner Bewegung brachte sie vollkommen aus dem Konzept. Da sprangen seine Augen zu ihr. Sein Blick war so offen wie selten, eine tiefe Unruhe schwelte darin.
»Hat er dir was angetan?«
Wortlos starrte Pia ihn an. »Was?« platzte sie dann hervor. »Natürlich nicht! Was … warum sollte er?«
Adam nickte hastig. Sein Blick ging zu Boden, er stützte die Hände in die Seiten, atmete zittrig aus, dass er ein bisschen in sich zusammensank.
»Adam?« Ihre leise Frage verwehte sofort unter dem bleigrauen Himmel. Adam war schon wieder so verdammt blass. »Hey.« Sie legte ihm die flache Hand an die Brust, der glatte Stoff seiner Jacke war kalt unter ihren Fingern. Beinahe hätte sie gelächelt, er trug doch tatsächlich den Schal, den sie ihm geschenkt hatte. Langsam schob ihre Hand sich, ohne den direkten Kontakt zu Adams Körper aufzuheben, auf seine Schulter. Seine Muskeln waren stahlhart unter ihren Fingern. Sie versuchte, sie ein bisschen weich zu kneten, kam aber nicht gegen die gewachste Oberfläche an.
Adam stand reglos, den Blick noch immer zu Boden gerichtet, er atmete schwer. Jetzt schloss er kurz die Augen.
»Hey«, sagte sie noch einmal und trat direkt vor ihn. Es war ihr, als sei seine Art des Luftholens ansteckend. Ihre Brust hatte mit einem Mal zu wenig Raum. »Alles okay?«
Sein Nicken war abgerissen, ein kantiger Reflex nur, die größte Lüge, die er in diesem Moment hätte äußern können. Vorsichtig trat sie noch näher an ihn heran, setzte den linken Fuß zwischen seine Stiefel und schlang vorsichtig die Arme um seinen Hals. Kalt, starr und steif war sein Körper an ihrem, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte und an ihm hochschob, um ihre Wange an seine legen zu können. Seine Brust pumpte an ihrer viel zu rasch unter seinen flachen Atemzügen.
Wind kam auf, eine Böe fegte über sie hinweg. In Adams Rücken rollte eine Papiertüte raschelnd über den Parkplatz, bis sie sich am Reifen eines geparkten Autos fing. Seine Haare flatterten weich an ihrem Gesicht, sonst stand er bewegungslos wie ein Fels.
»Was ist denn los?« rang sie sich schließlich doch durch. »Ist irgendwas passiert?«
Unter ihrem unsicheren Stand schwankte sie ein wenig, da wurde sie von Adams Armen eingehüllt, war so eng an ihn gedrückt wie nur möglich, aber noch immer war er kalt in der Berührung mit ihr. Zwischen ihren Schulterblättern fühlte sie durch ihre Jacke, ihren Pullover, ihr T-Shirt hindurch seine einzelnen Finger, die sich in ihre Haut pressten.
»Adam – bitte sprich mit mir«, flüsterte sie und schloss die Augen. Langsam schob sie ihre Hand über seinen Jackenkragen in seinen Nacken, umschloss ihn vorsichtig. Seine Haut war feucht und kalt unter ihrer Berührung. Vorsichtig fuhr sie seine Sehnen, seine Muskeln nach, versuchte, ihm ein wenig Wärme zu schenken, doch es war, als ginge ihre Berührung an ihm vorbei. Sein Körper blieb unzugänglich unter ihren Fingern. Sie spiegelte ihn, zog ihn noch enger an sich und begann, ruhige, gleichmäßige Kreise auf seinem Rücken zu ziehen, während ihre Hand in seinem Nacken bewegungslos liegen blieb. Sein Brustkorb ruckte weiterhin, er riss die Luft mehr an sich, als dass er sie einatmete, stieß sie vehement von sich.
»Hast du gestern Nacht wieder was genommen?«
So leise ihre Worte waren, die Anklage verschwand deshalb nicht. Sofort hörte Adam auf zu atmen, die Spannung fiel ein wenig von ihm ab. Schwer lehnte er sich an sie und legte den Kopf auf ihrer Schulter ab. Ihre Hand wanderte zu seinem Hinterkopf. Sein Haar war auch hier so weich unter ihren Fingern, aber von der Kälte durchtränkt, in der sie auf der zugigen Freifläche standen. Erneut zerrte eine Böe an ihnen, brachte sie zum Schwanken. Der Wind fuhr ihnen in die Jacken und blähte sie ein wenig.
Pia fühlte, dass Adam fror. Ein ganz klein wenig drehte sie den Kopf, bis ihre Lippen den Bogen seines Kieferansatzes erreichten. Sie hauchte einen luftigen Kuss auf seine Haut. »Lass uns zurückfahren, ja?«