Oberwasser
von ToniLilo
Kurzbeschreibung
Es gab bessere Tage – und es gab andere. Man wusste es niemals vorher. Und Adam war es ohnehin nicht anzusehen. Sobald Pia Ansätze machte, ihn zu ergründen, hinter seine aus Eis gehauene Fassade zu blicken, zog er sich in seine Welt zurück, zu der er niemandem jemals Zutritt gewährte. Dann blieb ihr nichts übrig, als seine Spur zu verfolgen – jeden Tag aufs Neue wieder … [Fortsetzung zu „Seitenwechsel“] [ACHTUNG: Triggerwarnung!]
GeschichteDrama, Schmerz/Trost / P18 / Het
Kriminalhauptkommissar Adam Schürk
Kriminalhauptkommissar Leo Hölzer
Kriminalhauptkommissarin Esther Baumann
Kriminalhauptkommissarin Pia Heinrich
21.01.2022
21.05.2023
26
102.489
5
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21.01.2022
3.566
Hallo zusammen,
tja, mein Vorsatz, mich hier erst einmal nicht mehr zu betätigen, hat noch nicht einmal ein halbes Jahr überdauert, so schnell haben mich die feschen Kommissare des Saarbrücker Tatorts wieder gefangen, also teile ich hier mit Euch meine neue Geschichte zu den beiden und ihrem Team, just bevor am kommenden Sonntag Leo und Adam in ihrem dritten Fall ermitteln.
Meine Geschichte ist als Fortsetzung meiner beiden anderen zu diesem Fandom zu lesen („Gleichstand“ und „Seitenwechsel“) und setzt kurz nach dem Ende des zweiten Teils ein. In allen meinen Geschichten ziehe ich nur den ersten Fall der Saarbrücker, „Das fleißige Lieschen“, als Grundlage heran.
Bereits im Voraus verbeuge ich mich vor Euch, die Ihr Euch hier an meine Geschichte setzt, und danke Euch fürs Lesen. Gebt aber bitte auf Euch acht: Diese Geschichte wird auf andere Weise vielleicht noch ein wenig düsterer als meine beiden vorherigen, es geht unter anderem um die Themen Sucht und psychische Erkrankungen, und gegen Ende wird es auch recht blutig. Deshalb habe ich das Rating auf P18 heraufgesetzt. Außerdem werde ich mehr den psychologischen als den kriminalistischen Aspekt in den Vordergrund stellen.
Uploads werden leider unregelmäßig erfolgen, in dem Rhythmus, wie ich damit vorankomme.
Nun aber genug der Präliminarien, ich bedanke mich bei Euch fürs (Hinein)Lesen und wünsche Euch viel Vergnügen!
Eure Toni
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Disclaimer: Die Figuren dieser Fanfiktion gehören den Eigentümern, Rechte- und Lizenzinhabern der Tatortproduktion.
Claimer: Die Handlung ist weitgehend meiner Fantasie entsprungen.
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Kapitel 1 – Maskenspiel
Ein Rauschen ließ die Luft vibrieren, gerade so, dass es nur die kleinsten Härchen im Innenohr in Schwingung versetzte. Das Dunkel schien darüber die Luft anzuhalten, gestört wurde es nur durch den trapezförmigen Lichtstreifen, der sich neugierig durch den Türspalt hindurchzwängte. Der Schalter lag eifersüchtig verborgen unter dem Glasbord, Pia fasste danach, als sie die Tür hinter sich zudrückte. Einer lang unterdrückten Gewissheit gleich flammte das Garderobenlicht grell über ihr auf. Der Faden eines scharfen Schmerzes fuhr ihr in die Stirn, doch entschädigten sie die LED-Birnen mit einer Einladung, bei der sie sich nichts verschenkten: Auf Augenhöhe schimmerte der matte Glanz von Adams Jacke. Der gewachste Stoff war fest, glatt und kühl unter ihren Fingerspitzen, noch ein wenig regenfeucht. Die Kuppe ihres Zeigefingers ertastete die schartige Kante, schob wieder das Bild des Verbandes um Adams Unterarm in ihr Bewusstsein. Warum legte er sich eigentlich nicht endlich eine neue zu und hielt an dem geschlitzten Ärmel fest, als gelte es, eine Trophäe zu bewahren?
Ihre Turnschuhe wirkten noch immer fehl am Platz neben Adams Stiefeln, sie fühlten sich genauso unwohl wie sie selbst. Für eine Sekunde überlegte Pia, einfach wieder hinein- und durch die Tür hinauszuschlüpfen, die Schnürsenkel hatte sie ja auch noch nicht einmal gelöst. Aber sie straffte ihre Schultern und ihren Mut und rief leise Adams Namen. Natürlich schwiegen die fast leeren Räume sie an, ihre Stimme trug unmöglich bis ins Bad und überhaupt – was hätte es geändert? Was machte das alles hier aus? Ob sich die harten Kanten der Papiertüten in ihre schwitzige Handfläche drückten oder nicht, ob Adam ihr grüner Pullover gefallen oder er ihn überhaupt nicht wahrnehmen, ob er Paprika und Gurke essen würde oder nicht, kam sich das nicht alles vollkommen gleich?
Sie zwang ihre Füße dazu, normal aufzutreten und nicht ihren eigenen Schritt auf dem abweisenden Parkett verleugnen zu wollen, sie stellte die Tasche trotzig auf die Arbeitsplatte, bildete mit dem Scheibenkäse, dem Gemüse, Brot, Butter, Wurst bunte Muster auf dem spiegelnden Marmor, gelbe, grüne, braune, rote Flecken im Schnee. Ihr Atem scheuerte ihren Rachen entlang, sie legte ihm kurz entschlossen die Zügel an.
Heute war einer der besseren Tage.
Leos graublaue Augen waren in der Zehn-Uhr-dreißig-Konferenz auf den Schienen der Zeilen in seinen Händen dahingeglitten, scheinbar zufällig waren sie seiner Hand gefolgt, als er sich durch die Haare gefahren war, und hatten sich auf Adam geheftet. Sich die Apotheke mit Notdienst näher anzusehen, von der aus der Mord mitten auf der Kreuzung zu beobachten gewesen sein musste, ob das in Ordnung gehe? Adams Blick hatte die Brandlöcher verlassen, die er für alle unsichtbar und doch klar erkennbar über die letzten Tage mit seinen Eisaugen in die Tischplatte gesengt hatte, und war zu Leo geflogen, eine Sekunde, zwei, ein Nicken, zwei. Dann hatte er wieder unkenntliche Linien gezogen, ausgehend von seinem Daumen, der die Schraubzwinge seiner Hand an der Tischkante gedeckelt hatte. Esther hatte ihn nur mit einem überlegenen Seitenblick bedacht, ganz so, wie eine missmutige Katze in Habachtstellung an der Regenrinne auf den nächtlichen Streifzug eines ihr unbekannten Tieres hinabsah.
Über dem Klappen der Badtür verschwamm das ewige Präsidiumsmarineblau, das sich über den weißen Marmor geschoben hatte. Pias Hände setzten sich wieder in Bewegung, brachten Teller, Messer und Gabeln hervor, als habe jemand in einem Rennen auf sie gesetzt. Aber das Hasten genügte nicht, überdeckte nicht Adams ausgeblichenes Gesicht, seinen steifen Brustkorb, seine vor Wahn glitzernden Augen neben dem scharf geschnittenen Lauf seiner Waffe an seiner Schläfe, die angespannte Härte seiner Rückenmuskeln, sein Würgen über der Toilettenschüssel. Ihr Körper erbebte unter der Erinnerung an die peitschende Hitze, die fiebrige Glut seiner Brust, seiner Stirn, seiner weichen Lippen, mit der er sich unter den ihn wild umwehenden bunten Fetzen seiner Überdosis in der Dunkelheit einer unwirklichen Nacht an ihre Gegenwart, ihren Beistand, ihren Halt geklammert hatte. Samtig war sein Mund an ihrem gewesen, suchend und nachgebend, trotz der Gehetztheit und Verzweiflung in seinen Bewegungen.
Doch keinen Kuss hatte Adam ihr danach mehr zugestanden, keine Umarmung, noch nicht einmal eine leise Berührung, die von Sanftheit und Zuneigung oder auch nur von einer gehauchten Bitte gesprochen hätte. Da war nur ihrer beider elektrisch geladenes Aneinanderdrücken gewesen, dieses spröde Sichversichern, dass alles wieder seinen rechten Gang ging, als Adams vereiste Präsenz ihr Samstagabend vor einer Woche die Tür gewiesen hatte.
Und gestern dann plötzlich sein Stolpern in ihre Richtung, nachdem er über Tage zurückgewichen war, schwankend im Radius von zwei Armlängen Abstand zu ihr, mal mehr, mal weniger. Natürlich hatte er sich seit vergangenem Montag den Anstrich gegeben, als hätten sie das Wochenende zuvor einfach in einem verdammt miesen Theaterstück zugebracht, er, sie und Leo. Nur in den Untiefen von Adams Augen war manchmal unvorhersagbar ein Sturm aufgezogen, hatte stumm vor sich hin getost. Dann war abends das Licht an seinem Schreibtisch wieder einmal das letzte gewesen, das gelöscht worden war. An anderen Tagen war er hinausgeweht, ohne dass irgendjemand Kenntnis davon genommen hatte, mit Ausnahme von Leo vielleicht. Vielleicht hatten sie auch zusammengesessen, vielleicht in Leos Wohnung, vielleicht hatte er Adams Schweigen teilen dürfen, ihm sogar sprechende Blicke, Wortfetzen, Tränen entlocken dürfen.
Bis gestern eine Lampe nach der anderen erloschen war und ihre allein ein Eckchen des winterdunklen Vorabends erhellt hatte. Die Batterie von Lydis Auto hatte schlappgemacht, gleich am Morgen, und sie hatte vermeiden wollen, dass ihre Schwester an ihrem neuen Arbeitsplatz Sympathiepunkte einbüßte, aber der Hol- und Bringdienst hatte ein Soll auf ihrem Arbeitszeitkonto geschaffen, das um halb sechs immer noch nicht ausgeglichen gewesen war. Sie war zurückgeprallt, als sich aus dem Dunkel Adams weiße Hand an ihre Schreibtischplatte geschoben hatte. Er war hereingeschlichen, ohne dass auch nur das Öffnen der Tür zu hören gewesen wäre, und im Lampenschein hatten auf seiner Handfläche zwei blanke Schlüssel geglänzt. »Der ist für die Eingangstür, der für die Wohnungstür. Komm, wann du willst.« Wie zwei Münzen waren sie klirrend auf ihre Schreibunterlage geglitten, als er die Hand gekippt hatte, dann hatte ihn sein eigener Vorstoß fortgejagt. Hätten die Schlüssel nicht bei jedem Klimpern ihres Schlüsselbundes leise mitgeklungen, sie hätte es wohl für einen Traum gehalten, dass er vor ihr gestanden hatte.
Aber vielleicht hatte sie ihn auch nur missverstanden, sich nur zu bereitwillig der vermeintlichen Eindeutigkeit seiner Worte ergeben. Im Stil einer kleinen Gaunerin hatte sie sich jetzt in seine Wohnung gestohlen, ihm keine Möglichkeit zu einer Vorahnung gelassen, da das brausende Duschwasser jedes Anzeichen ihrer Präsenz geschluckt hatte.
Zerfaserte Lichtreflexe neben ihm auf der Saar, das leise Platschen der Wellen, so klein wie die ganze Stadt, sein stoßweise gehender Atem, das gleichmäßige, dumpfe Pochen seiner Schritte – aber wahrscheinlich lief er lieber durch den Wald, der ihn fußläufig hinter seiner Wohnung in sich aufnahm, nicht für alle sichtbar wie an der Uferpromenade, sondern sorgsam verborgen vor der Außenwelt, der er so gern entfloh.
Was brauchst du?
Darf ich dich halten?
Lass uns versuchen, das Dunkel zu zerstreuen.
Die Paprikahälfte glitschte unter Pias Fingern weg, sie fing sie wieder, hackte unerbittlich darauf ein. Was sollte sie zu ihm sagen, wie auf ihn eingehen, überhaupt auf ihn zugehen? Sie hatte ihm Zeit geben, ihn zur Ruhe kommen lassen, auf ein Zeichen von seiner Seite warten wollen. Er hatte sich an die Spielregeln gehalten, jetzt war sie am Zug, und sie wusste nicht, hatte sie einen unauffälligen Bauern ins Feld geschickt oder war sie gleich mit dem Turm vorgestoßen. Was war zu viel? Was erwartete er sich jetzt? Wie konnte sie einfach da sein und auch das nur in einem Maße, wie er es brauchte?
Ein eisiger Schreck fuhr ihr in die Glieder, als sich in ihrem Augenwinkel etwas regte. Das Messer entglitt ihr und schlitterte über die Arbeitsplatte, bis es unter dem Fenster an der Kante anstieß, wo es einmal um sich selbst wirbelte. Ihr Körper strebte fort, ihr Kopf hieß ihr, auszuharren, doch die Reflexe der Urzeit waren stärker.
»Mein Gott, hast du mich erschreckt!«
Automatisch hatte sie ihre Hände zur Brust gerissen, langsam öffnete sie sich jetzt und ließ die Arme sinken. Adams Bewegungen waren zäh vor der Küchentür, die ihm als Bühnenbild diente. Sie war geschlossen, wie auch zuvor, Pia machte Türen immer zu. Es war, als könne er durch Wände gehen, lautlos, transparent, mehr Schatten als Materie. Das Glas, das er sich über ihrem Kopf aus dem Schrank nahm, war klein in seinen Händen. In einem eigenartigen Winkel hielt er es unter den Hahn, zog es heraus, als es zu zwei Dritteln gefüllt war, und trank es in einem Zug leer. Ein vorwitziger Tropfen lief eine der Erhebungen zwischen den Rillen entlang, klatschte auf Adams Nasenrücken auf, floss zäh die Senke zu seiner Wange hinunter. Pias Fingerspitzen kribbelten unter der Sehnsucht, ihn fortzuwischen und weiterzustreichen, alles wegzustreicheln, was auf Adam lastete, ihn zu erdrücken suchte. Ihr Oberschenkel zitterte, wollte ihrem Herzen gehorchen, doch sie verharrte als Zuschauerin im Mittelgrund, dabei stand Adam nun so nah bei ihr, sie hätte nur die Hand ausstrecken müssen, um ihn berühren zu können. Ohne sich von der Stelle zu rühren, ließ Adam sich wieder schwer vorfallen, das Wasser sprudelte weiß in seinem Glas, spritzte umher. Seine Augen lagen ungerührt auf dem Wirbeln, es kümmerte ihn nicht, dass er den Hahn zu weit geöffnet hatte, doch plötzlich zuckten sie zu ihr, nur für eine Sekunde, und da, war das nicht ein Nicken, ein ganz kleines?
»Hallo erst mal.« Ihre Zunge suchte die Worte, versackte unter der Dürre an ihrem Gaumen. Ihr Herz pulsierte an der Halsschlagader. Es sah bedächtig aus, wie Adam den Hebel schloss, aber sie kannte es, das Nachlassen, dieses Aufgeben in seinen Bewegungen. Die feuchte Strähne in seiner Stirn zitterte, als das Glas unter seiner Hand wie an einem Seil gezogen in die Höhe getragen wurde. Sie machte einen Schritt auf ihn zu, noch einen, bereit, innezuhalten, sowie er erstarren würde. Da hob er den Rand an den Mund, zögerlich rannen die Schlucke durch seine Kehle. Pia reckte sich zu ihm, es prickelte auf ihren Lippen, als sie seinen Kiefer streiften, kurz vor dem Bogen unter seinem Ohrläppchen. Sandelholz, verblasster Sand, die unendliche Weite des Himmels, die sich im Watt spiegelte. Ihre Hand machte sich auf den Weg zu Adams Nacken, doch da bot sich ihr nur die stehende Luft zu einem Kuss dar. Adam drückte sich in die Ecke, das Glas hatte er nicht abgesetzt. Seine Augen gingen an ihrem Lächeln vorbei zur Welt hinter dem Fenster, sie suchten die Wintersonnwendfinsternis zu ergründen, Umrisse zu erhaschen, zu begreifen, wie das zusammenpasste, das schwarze Dunkel dort draußen und ihre erleuchtete Kammer, ein Lichtpunkt in einer unendlichen Schwärze. Sie waren in einem mit der Watte des Alltäglichen isolierten Raum, kein Zischen eines vorüberfahrenden Autos, kein Hundegebell wehte herein.
Heute war einer der schlechteren Tage.
Pias Lippen schossen ein verzerrtes Lächeln ab, sie angelte sich das Messer wieder heran. Wo die Paprika zur Seite geflutscht war, hatte sie rosarote Spuren auf dem Kunststoffbrett hinterlassen. Allein das verhaltene Klacken der Schneide ließ die Zeit nicht versteinern, war lebendiger als das, was im kleinen Geviert des Raumes atmete.
»Entschuldige.«
Ihre Hände erschlafften, ihr Kopf drehte sich wie unter einem in ihre Halswirbel eingebauten Mechanismus. Adam stand leicht seitlich zu ihr, einen Arm um sich gelegt, ein schmaler, schwarzer Krieger in einem elfenbeinernen Palast. Da hefteten sich seine Augen auf sie, offen, klar, ausdruckslos, wie damals, als Leo ihn in ihrer ersten gemeinsamen Besprechung vorgestellt hatte. Doch in der türkisblauen Tiefe sah sie einen Strom hindurchpeitschen, sich an den Felsen, den umgestürzten Bäumen aufwerfen.
Zwei Sekunden sie umschließende Stille, Pia zählte drei Sekunden darauf, dann wagte sie es. »Wofür denn?«
Sie umfasste die Paprikawürfel, warf sie in die Schale, schabte mit den Handkanten die aufsässigen Exemplare zusammen, die sich ihr entzogen hatten, aber ihre Bewegungen liefen blind, ihr Blick flog zu Adam. Seine Augen verfolgten über dem Glasrand ihre Handgriffe. Er war eine Statue, ein gemeißelter Wächter, als gelte es, die Naht zu verbergen, wo die Arbeitsplatten aneinanderstießen, und sie mit dem um sich geschlungenen Arm zusammenzuhalten.
Das Wasser trug den Film des Paprikasafts ab, mit den Fingerkuppen zählte sie die wenigen Schnitte, die sich in die Kunststoffoberfläche des noch beinahe unbenutzten Brettes gegraben hatten – eine Küche, weil man das so machte, weil man eben eine hatte.
Unter einer federleichten, kalten Berührung an ihrem Jochbein wandte Pia den Kopf. Die Spitze von Adams Zeigefinger traf auf ihren Nasenrücken, schmiegte sich in ihren Augenwinkel, glitt unter ihrem Lidrand entlang. Sie brauchte keinen Atem mehr, die Wärme, die sein Körper so dicht an ihrem ausstrahlte, war ihr Lebensquell genug. Es pochte dumpf, als er das Glas neben ihr abstellte, ohne hinzusehen. Seine langen Finger schmiegten sich hinter ihren Ohren um ihren Kopf, als er auch die zweite Hand hob und sie langsam in ihr Haar schob, ihr Zeit gebend, sich ihm zu entziehen, wenn sie es denn jemals gewollt hätte. Sein Blick folgte den Bewegungen seiner Daumen, die die Haut unter ihren Augen streichelten, hin und her, her und hin. Das schöne Blau war ein See, der keinen Grund hatte und unbewegt vor ihr lag. Es war, als zögen zwei Seidenbänder über ihr Gesicht. Pia streckte die Hand aus und ließ sie auf Adams Unterarm sinken. Ihre Finger fanden seine Speiche, glitten über die scharfe Kuppe seines Handgelenks, da fielen Adams Hände herab, er floh in seine Ecke. Pia legte den Kopf schief, seine Augen funkelten starr wie die eines gestellten Fuchses aus seinem Bau heraus.
»Ich tu dir nicht gut.«
Nur für eine Sekunde hingen seine heiser hervorgestoßenen Worte im Raum. Pia fühlte ihre Augenbrauen sich zusammenziehen, Adams Blick ging zu Boden wie vor einer strafenden Lehrerin.
Langsam. Ein Schritt. Luft holen. Noch ein Schritt. Warten.
Adam strebte von ihr fort, doch er stand mit dem Rücken an der Wand, so legte er die Arme um sich, beide Handflächen unter die Achseln gezogen. Er atmete ruhig weiter, als ihre Finger die Kante seiner Schulter nachzeichneten, zuerst die eine, dann auch die andere. Ihre Hand wurde mutiger, streifte die feuchte Strähne, grub tiefer, kämmte in einem fort das Gold an seiner Stirn, während ihre Linke mit seinem Unterarm verschmolz, lechzend die Wärme aufsog, die sich durch den dünnen Stoff seines Pullovers bahnte.
Pia senkte den Kopf, suchte seinen Blick, doch Adam wich ihr aus wie einem schambehafteten Geheimnis. Ihre Hände fanden wieder seine Schultern, hoben sich unter seinem tiefen Atemzug.
»Adam – wie kommst du darauf?«
Unter dem nun locker fallenden, widerspenstig aufgefächerten Vorhang seiner Haare huschten seine Augen hinauf, fanden ihre, versuchten, zu ihr zu sprechen, kapitulierten. Ein Schauder erfasste ihr Gesicht, als die Kälte seines Handballens über ihre Wange zog. Wieder spielte sein Daumen seine lautlose, sichelförmige Melodie zwischen ihren Augenwinkeln.
»Hast du in der letzten Zeit mal deine Augenringe im Spiegel gesehen?«
Eine anerzogene Empörung wallte in ihr auf, wandelte sich zu einem rauen Lachen. »Nein, aber wenn Sie dich so in …«
»Sie werden immer dunkler, je mehr Zeit du mit mir verbringst.« Adams Hand glitt von ihrem Gesicht wie von einem vereisten Schneeberg, er schob sie wieder unter seinen Arm, schien sie aufwärmen zu wollen.
In seinen Augen las sie nicht die Spannung, die in seine Muskeln fuhr, als sie die Hand auf seinen Arm legte, sich zu seinem Körper vorantastete, in die Schlucht zwischen seinem eisenharten Bizeps und seiner Brust drängte, um seine Finger zu umschließen. Sie waren nicht aus Eis gemeißelt wie sonst, doch steif in den Gelenken, als sie seine Hand zwischen ihre beiden zog und massierte. Ihre Haut verzehrte sich unter der Berührung von Adams schlanken Fingern, seinem großen Handteller, seinem weichen Handrücken. Er zog den Kopf zurück, als sie aufblickte. Langsam legte sie eine Hand an seine Wange. Er wich ihr aus, gab dann aber nach, seine Augen sprangen unruhig hin und her.
»Das hat nichts mit dir zu tun, Adam – gar nichts.« Steil gruben sich die beiden Falten zwischen seine Brauen, nur mit Mühe kämpfte sie den Impuls ihr Brustbein bis in den Magen hinunter, einen Finger in die Kuhle zu legen und den spitzen Winkel auszustreichen. »Wir haben uns doch kaum gesehen. Das war nur die Observation mit Esther diese Woche.«
Die im Übrigen vollkommen sinnlos gewesen war. Zwei Tage hatten sie in Esthers silbergrauem Kombi vor Theo Leibers Haus auf der Lauer gelegen – wobei ‚Haus‘ es eigentlich nicht ganz traf: ‚Herrenhaus‘, so viel Zeit musste sein bei einem Anwesen mit 350 Quadratmetern Wohnfläche und einem Garten, na ja, eher Park von 1500 Quadratmetern. Es war eigentlich nur noch eine reine Formalität gewesen. Am Montagmorgen war keine zwei Kilometer von Leibers ausladendem Wohnsitz entfernt ein Toter aufgefunden worden, Horst Demberg, 47 Jahre alt, alleinstehend, kleiner Manager in einem aufstrebenden Softwarunternehmen, und auf die Fotos seines mit einem gezielten Schuss zur Strecke gebrachten Körpers hatten Ausdrucke seiner Drohmails an den Telekommunikationsmagnaten auf ihren Tischen gefolgt. Aber einer wie Leiber tötete nicht – er ließ töten und sorgte nebenbei für ein Alibi, das keine Fragen offen ließ. Leo hatte wieder ganze Arbeit geleistet und in Erfahrung bringen können, dass ihr Hauptverdächtiger im Augenblick ein einwöchiges Auswahlverfahren in der City of London durchlief, das beim Führungsposten, der ihm in Aussicht gestellt wurde, höchster Geheimhaltung unterlag.
Adams Kopfschütteln zerstreute ihre in Gang gekommene Grübelei. »Ich hab nie kapiert, wie du es mit der so lange aushältst.« Ein Zucken lief über sein Gesicht, das Rasen seiner Gedanken spiegelte sich in seinen Augen, doch die passende Bezeichnung für Esther, die ihm sein Gefühl eingab, kam nicht über seine Lippen.
Er hatte ihr seine Hand nicht entzogen, sie hatte sich ein wenig erwärmt unter ihrer Berührung. Pia musste lächeln über seine beinahe trotzige Entrüstung, die noch zwischen ihnen schwebte. Langsam lösten sich ihre Finger von seinem Gesicht und legten sich auf seine Brust. Sie glaubte, die Narbe erspüren zu können, die ihn zeichnen musste und von der sie sich einredete, sie könne durch ihr Streicheln das ungeschehen machen, was ihn um ein Haar das Leben gekostet hätte.
»Sie ist eigentlich gar nicht so schlimm, weißt du?« Es hob ihre Hand, als er ruckartig Luft holte. »Ihr seid euch in manchen Punkten viel ähnlicher, als du glaubst. Sie ist zum Beispiel ein richtiges Arbeitstier – da ist sie ganz wie du.«
Der Luftstoß seines Schnaubens fuhr über ihre Nasenspitze, ihre Finger. Er schüttelte den Kopf, schon war sein spöttisches Grinsen verwischt. Seine Hand entzog sich ihrer, als er sich an der Kante der Arbeitsplatte zu beiden Seiten seines Körpers aufstützte, doch duldete er weiterhin ihre Berührung auf seiner Brust. Seine Augen lagen in einem verschleierten Nebel, über sein Gesicht wehte ein Schatten, als habe er Schmerzen.
»Ja.« Er nickte, einmal, zweimal. »Wie Promenadenmischungen aus einem Wurf.« Seine Stimme war brüchig. »Zwei gefühllose Arschlöcher.«
Pia entwich ein leiser, unwilliger Laut, sie schüttelte den Kopf, da stieß Adam sich von dem Halt in seinem Rücken ab, seine Lippen auf ihrer Stirn schnitten ihr den Atem ab. Warm und weich schmiegten sie sich an ihre Haut, nur für eine entschieden abgezählte Sekunde, aber sie hinterließen ein Mal der Leichtigkeit, verhießen Pia, schweben zu können.
In Adams Mundwinkel schimmerte ein Lächeln, als er auf sie herabblickte. Er nickte zum Spülbecken. »Kann ich dir helfen?«
tja, mein Vorsatz, mich hier erst einmal nicht mehr zu betätigen, hat noch nicht einmal ein halbes Jahr überdauert, so schnell haben mich die feschen Kommissare des Saarbrücker Tatorts wieder gefangen, also teile ich hier mit Euch meine neue Geschichte zu den beiden und ihrem Team, just bevor am kommenden Sonntag Leo und Adam in ihrem dritten Fall ermitteln.
Meine Geschichte ist als Fortsetzung meiner beiden anderen zu diesem Fandom zu lesen („Gleichstand“ und „Seitenwechsel“) und setzt kurz nach dem Ende des zweiten Teils ein. In allen meinen Geschichten ziehe ich nur den ersten Fall der Saarbrücker, „Das fleißige Lieschen“, als Grundlage heran.
Bereits im Voraus verbeuge ich mich vor Euch, die Ihr Euch hier an meine Geschichte setzt, und danke Euch fürs Lesen. Gebt aber bitte auf Euch acht: Diese Geschichte wird auf andere Weise vielleicht noch ein wenig düsterer als meine beiden vorherigen, es geht unter anderem um die Themen Sucht und psychische Erkrankungen, und gegen Ende wird es auch recht blutig. Deshalb habe ich das Rating auf P18 heraufgesetzt. Außerdem werde ich mehr den psychologischen als den kriminalistischen Aspekt in den Vordergrund stellen.
Uploads werden leider unregelmäßig erfolgen, in dem Rhythmus, wie ich damit vorankomme.
Nun aber genug der Präliminarien, ich bedanke mich bei Euch fürs (Hinein)Lesen und wünsche Euch viel Vergnügen!
Eure Toni
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Disclaimer: Die Figuren dieser Fanfiktion gehören den Eigentümern, Rechte- und Lizenzinhabern der Tatortproduktion.
Claimer: Die Handlung ist weitgehend meiner Fantasie entsprungen.
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Kapitel 1 – Maskenspiel
Ein Rauschen ließ die Luft vibrieren, gerade so, dass es nur die kleinsten Härchen im Innenohr in Schwingung versetzte. Das Dunkel schien darüber die Luft anzuhalten, gestört wurde es nur durch den trapezförmigen Lichtstreifen, der sich neugierig durch den Türspalt hindurchzwängte. Der Schalter lag eifersüchtig verborgen unter dem Glasbord, Pia fasste danach, als sie die Tür hinter sich zudrückte. Einer lang unterdrückten Gewissheit gleich flammte das Garderobenlicht grell über ihr auf. Der Faden eines scharfen Schmerzes fuhr ihr in die Stirn, doch entschädigten sie die LED-Birnen mit einer Einladung, bei der sie sich nichts verschenkten: Auf Augenhöhe schimmerte der matte Glanz von Adams Jacke. Der gewachste Stoff war fest, glatt und kühl unter ihren Fingerspitzen, noch ein wenig regenfeucht. Die Kuppe ihres Zeigefingers ertastete die schartige Kante, schob wieder das Bild des Verbandes um Adams Unterarm in ihr Bewusstsein. Warum legte er sich eigentlich nicht endlich eine neue zu und hielt an dem geschlitzten Ärmel fest, als gelte es, eine Trophäe zu bewahren?
Ihre Turnschuhe wirkten noch immer fehl am Platz neben Adams Stiefeln, sie fühlten sich genauso unwohl wie sie selbst. Für eine Sekunde überlegte Pia, einfach wieder hinein- und durch die Tür hinauszuschlüpfen, die Schnürsenkel hatte sie ja auch noch nicht einmal gelöst. Aber sie straffte ihre Schultern und ihren Mut und rief leise Adams Namen. Natürlich schwiegen die fast leeren Räume sie an, ihre Stimme trug unmöglich bis ins Bad und überhaupt – was hätte es geändert? Was machte das alles hier aus? Ob sich die harten Kanten der Papiertüten in ihre schwitzige Handfläche drückten oder nicht, ob Adam ihr grüner Pullover gefallen oder er ihn überhaupt nicht wahrnehmen, ob er Paprika und Gurke essen würde oder nicht, kam sich das nicht alles vollkommen gleich?
Sie zwang ihre Füße dazu, normal aufzutreten und nicht ihren eigenen Schritt auf dem abweisenden Parkett verleugnen zu wollen, sie stellte die Tasche trotzig auf die Arbeitsplatte, bildete mit dem Scheibenkäse, dem Gemüse, Brot, Butter, Wurst bunte Muster auf dem spiegelnden Marmor, gelbe, grüne, braune, rote Flecken im Schnee. Ihr Atem scheuerte ihren Rachen entlang, sie legte ihm kurz entschlossen die Zügel an.
Heute war einer der besseren Tage.
Leos graublaue Augen waren in der Zehn-Uhr-dreißig-Konferenz auf den Schienen der Zeilen in seinen Händen dahingeglitten, scheinbar zufällig waren sie seiner Hand gefolgt, als er sich durch die Haare gefahren war, und hatten sich auf Adam geheftet. Sich die Apotheke mit Notdienst näher anzusehen, von der aus der Mord mitten auf der Kreuzung zu beobachten gewesen sein musste, ob das in Ordnung gehe? Adams Blick hatte die Brandlöcher verlassen, die er für alle unsichtbar und doch klar erkennbar über die letzten Tage mit seinen Eisaugen in die Tischplatte gesengt hatte, und war zu Leo geflogen, eine Sekunde, zwei, ein Nicken, zwei. Dann hatte er wieder unkenntliche Linien gezogen, ausgehend von seinem Daumen, der die Schraubzwinge seiner Hand an der Tischkante gedeckelt hatte. Esther hatte ihn nur mit einem überlegenen Seitenblick bedacht, ganz so, wie eine missmutige Katze in Habachtstellung an der Regenrinne auf den nächtlichen Streifzug eines ihr unbekannten Tieres hinabsah.
Über dem Klappen der Badtür verschwamm das ewige Präsidiumsmarineblau, das sich über den weißen Marmor geschoben hatte. Pias Hände setzten sich wieder in Bewegung, brachten Teller, Messer und Gabeln hervor, als habe jemand in einem Rennen auf sie gesetzt. Aber das Hasten genügte nicht, überdeckte nicht Adams ausgeblichenes Gesicht, seinen steifen Brustkorb, seine vor Wahn glitzernden Augen neben dem scharf geschnittenen Lauf seiner Waffe an seiner Schläfe, die angespannte Härte seiner Rückenmuskeln, sein Würgen über der Toilettenschüssel. Ihr Körper erbebte unter der Erinnerung an die peitschende Hitze, die fiebrige Glut seiner Brust, seiner Stirn, seiner weichen Lippen, mit der er sich unter den ihn wild umwehenden bunten Fetzen seiner Überdosis in der Dunkelheit einer unwirklichen Nacht an ihre Gegenwart, ihren Beistand, ihren Halt geklammert hatte. Samtig war sein Mund an ihrem gewesen, suchend und nachgebend, trotz der Gehetztheit und Verzweiflung in seinen Bewegungen.
Doch keinen Kuss hatte Adam ihr danach mehr zugestanden, keine Umarmung, noch nicht einmal eine leise Berührung, die von Sanftheit und Zuneigung oder auch nur von einer gehauchten Bitte gesprochen hätte. Da war nur ihrer beider elektrisch geladenes Aneinanderdrücken gewesen, dieses spröde Sichversichern, dass alles wieder seinen rechten Gang ging, als Adams vereiste Präsenz ihr Samstagabend vor einer Woche die Tür gewiesen hatte.
Und gestern dann plötzlich sein Stolpern in ihre Richtung, nachdem er über Tage zurückgewichen war, schwankend im Radius von zwei Armlängen Abstand zu ihr, mal mehr, mal weniger. Natürlich hatte er sich seit vergangenem Montag den Anstrich gegeben, als hätten sie das Wochenende zuvor einfach in einem verdammt miesen Theaterstück zugebracht, er, sie und Leo. Nur in den Untiefen von Adams Augen war manchmal unvorhersagbar ein Sturm aufgezogen, hatte stumm vor sich hin getost. Dann war abends das Licht an seinem Schreibtisch wieder einmal das letzte gewesen, das gelöscht worden war. An anderen Tagen war er hinausgeweht, ohne dass irgendjemand Kenntnis davon genommen hatte, mit Ausnahme von Leo vielleicht. Vielleicht hatten sie auch zusammengesessen, vielleicht in Leos Wohnung, vielleicht hatte er Adams Schweigen teilen dürfen, ihm sogar sprechende Blicke, Wortfetzen, Tränen entlocken dürfen.
Bis gestern eine Lampe nach der anderen erloschen war und ihre allein ein Eckchen des winterdunklen Vorabends erhellt hatte. Die Batterie von Lydis Auto hatte schlappgemacht, gleich am Morgen, und sie hatte vermeiden wollen, dass ihre Schwester an ihrem neuen Arbeitsplatz Sympathiepunkte einbüßte, aber der Hol- und Bringdienst hatte ein Soll auf ihrem Arbeitszeitkonto geschaffen, das um halb sechs immer noch nicht ausgeglichen gewesen war. Sie war zurückgeprallt, als sich aus dem Dunkel Adams weiße Hand an ihre Schreibtischplatte geschoben hatte. Er war hereingeschlichen, ohne dass auch nur das Öffnen der Tür zu hören gewesen wäre, und im Lampenschein hatten auf seiner Handfläche zwei blanke Schlüssel geglänzt. »Der ist für die Eingangstür, der für die Wohnungstür. Komm, wann du willst.« Wie zwei Münzen waren sie klirrend auf ihre Schreibunterlage geglitten, als er die Hand gekippt hatte, dann hatte ihn sein eigener Vorstoß fortgejagt. Hätten die Schlüssel nicht bei jedem Klimpern ihres Schlüsselbundes leise mitgeklungen, sie hätte es wohl für einen Traum gehalten, dass er vor ihr gestanden hatte.
Aber vielleicht hatte sie ihn auch nur missverstanden, sich nur zu bereitwillig der vermeintlichen Eindeutigkeit seiner Worte ergeben. Im Stil einer kleinen Gaunerin hatte sie sich jetzt in seine Wohnung gestohlen, ihm keine Möglichkeit zu einer Vorahnung gelassen, da das brausende Duschwasser jedes Anzeichen ihrer Präsenz geschluckt hatte.
Zerfaserte Lichtreflexe neben ihm auf der Saar, das leise Platschen der Wellen, so klein wie die ganze Stadt, sein stoßweise gehender Atem, das gleichmäßige, dumpfe Pochen seiner Schritte – aber wahrscheinlich lief er lieber durch den Wald, der ihn fußläufig hinter seiner Wohnung in sich aufnahm, nicht für alle sichtbar wie an der Uferpromenade, sondern sorgsam verborgen vor der Außenwelt, der er so gern entfloh.
Was brauchst du?
Darf ich dich halten?
Lass uns versuchen, das Dunkel zu zerstreuen.
Die Paprikahälfte glitschte unter Pias Fingern weg, sie fing sie wieder, hackte unerbittlich darauf ein. Was sollte sie zu ihm sagen, wie auf ihn eingehen, überhaupt auf ihn zugehen? Sie hatte ihm Zeit geben, ihn zur Ruhe kommen lassen, auf ein Zeichen von seiner Seite warten wollen. Er hatte sich an die Spielregeln gehalten, jetzt war sie am Zug, und sie wusste nicht, hatte sie einen unauffälligen Bauern ins Feld geschickt oder war sie gleich mit dem Turm vorgestoßen. Was war zu viel? Was erwartete er sich jetzt? Wie konnte sie einfach da sein und auch das nur in einem Maße, wie er es brauchte?
Ein eisiger Schreck fuhr ihr in die Glieder, als sich in ihrem Augenwinkel etwas regte. Das Messer entglitt ihr und schlitterte über die Arbeitsplatte, bis es unter dem Fenster an der Kante anstieß, wo es einmal um sich selbst wirbelte. Ihr Körper strebte fort, ihr Kopf hieß ihr, auszuharren, doch die Reflexe der Urzeit waren stärker.
»Mein Gott, hast du mich erschreckt!«
Automatisch hatte sie ihre Hände zur Brust gerissen, langsam öffnete sie sich jetzt und ließ die Arme sinken. Adams Bewegungen waren zäh vor der Küchentür, die ihm als Bühnenbild diente. Sie war geschlossen, wie auch zuvor, Pia machte Türen immer zu. Es war, als könne er durch Wände gehen, lautlos, transparent, mehr Schatten als Materie. Das Glas, das er sich über ihrem Kopf aus dem Schrank nahm, war klein in seinen Händen. In einem eigenartigen Winkel hielt er es unter den Hahn, zog es heraus, als es zu zwei Dritteln gefüllt war, und trank es in einem Zug leer. Ein vorwitziger Tropfen lief eine der Erhebungen zwischen den Rillen entlang, klatschte auf Adams Nasenrücken auf, floss zäh die Senke zu seiner Wange hinunter. Pias Fingerspitzen kribbelten unter der Sehnsucht, ihn fortzuwischen und weiterzustreichen, alles wegzustreicheln, was auf Adam lastete, ihn zu erdrücken suchte. Ihr Oberschenkel zitterte, wollte ihrem Herzen gehorchen, doch sie verharrte als Zuschauerin im Mittelgrund, dabei stand Adam nun so nah bei ihr, sie hätte nur die Hand ausstrecken müssen, um ihn berühren zu können. Ohne sich von der Stelle zu rühren, ließ Adam sich wieder schwer vorfallen, das Wasser sprudelte weiß in seinem Glas, spritzte umher. Seine Augen lagen ungerührt auf dem Wirbeln, es kümmerte ihn nicht, dass er den Hahn zu weit geöffnet hatte, doch plötzlich zuckten sie zu ihr, nur für eine Sekunde, und da, war das nicht ein Nicken, ein ganz kleines?
»Hallo erst mal.« Ihre Zunge suchte die Worte, versackte unter der Dürre an ihrem Gaumen. Ihr Herz pulsierte an der Halsschlagader. Es sah bedächtig aus, wie Adam den Hebel schloss, aber sie kannte es, das Nachlassen, dieses Aufgeben in seinen Bewegungen. Die feuchte Strähne in seiner Stirn zitterte, als das Glas unter seiner Hand wie an einem Seil gezogen in die Höhe getragen wurde. Sie machte einen Schritt auf ihn zu, noch einen, bereit, innezuhalten, sowie er erstarren würde. Da hob er den Rand an den Mund, zögerlich rannen die Schlucke durch seine Kehle. Pia reckte sich zu ihm, es prickelte auf ihren Lippen, als sie seinen Kiefer streiften, kurz vor dem Bogen unter seinem Ohrläppchen. Sandelholz, verblasster Sand, die unendliche Weite des Himmels, die sich im Watt spiegelte. Ihre Hand machte sich auf den Weg zu Adams Nacken, doch da bot sich ihr nur die stehende Luft zu einem Kuss dar. Adam drückte sich in die Ecke, das Glas hatte er nicht abgesetzt. Seine Augen gingen an ihrem Lächeln vorbei zur Welt hinter dem Fenster, sie suchten die Wintersonnwendfinsternis zu ergründen, Umrisse zu erhaschen, zu begreifen, wie das zusammenpasste, das schwarze Dunkel dort draußen und ihre erleuchtete Kammer, ein Lichtpunkt in einer unendlichen Schwärze. Sie waren in einem mit der Watte des Alltäglichen isolierten Raum, kein Zischen eines vorüberfahrenden Autos, kein Hundegebell wehte herein.
Heute war einer der schlechteren Tage.
Pias Lippen schossen ein verzerrtes Lächeln ab, sie angelte sich das Messer wieder heran. Wo die Paprika zur Seite geflutscht war, hatte sie rosarote Spuren auf dem Kunststoffbrett hinterlassen. Allein das verhaltene Klacken der Schneide ließ die Zeit nicht versteinern, war lebendiger als das, was im kleinen Geviert des Raumes atmete.
»Entschuldige.«
Ihre Hände erschlafften, ihr Kopf drehte sich wie unter einem in ihre Halswirbel eingebauten Mechanismus. Adam stand leicht seitlich zu ihr, einen Arm um sich gelegt, ein schmaler, schwarzer Krieger in einem elfenbeinernen Palast. Da hefteten sich seine Augen auf sie, offen, klar, ausdruckslos, wie damals, als Leo ihn in ihrer ersten gemeinsamen Besprechung vorgestellt hatte. Doch in der türkisblauen Tiefe sah sie einen Strom hindurchpeitschen, sich an den Felsen, den umgestürzten Bäumen aufwerfen.
Zwei Sekunden sie umschließende Stille, Pia zählte drei Sekunden darauf, dann wagte sie es. »Wofür denn?«
Sie umfasste die Paprikawürfel, warf sie in die Schale, schabte mit den Handkanten die aufsässigen Exemplare zusammen, die sich ihr entzogen hatten, aber ihre Bewegungen liefen blind, ihr Blick flog zu Adam. Seine Augen verfolgten über dem Glasrand ihre Handgriffe. Er war eine Statue, ein gemeißelter Wächter, als gelte es, die Naht zu verbergen, wo die Arbeitsplatten aneinanderstießen, und sie mit dem um sich geschlungenen Arm zusammenzuhalten.
Das Wasser trug den Film des Paprikasafts ab, mit den Fingerkuppen zählte sie die wenigen Schnitte, die sich in die Kunststoffoberfläche des noch beinahe unbenutzten Brettes gegraben hatten – eine Küche, weil man das so machte, weil man eben eine hatte.
Unter einer federleichten, kalten Berührung an ihrem Jochbein wandte Pia den Kopf. Die Spitze von Adams Zeigefinger traf auf ihren Nasenrücken, schmiegte sich in ihren Augenwinkel, glitt unter ihrem Lidrand entlang. Sie brauchte keinen Atem mehr, die Wärme, die sein Körper so dicht an ihrem ausstrahlte, war ihr Lebensquell genug. Es pochte dumpf, als er das Glas neben ihr abstellte, ohne hinzusehen. Seine langen Finger schmiegten sich hinter ihren Ohren um ihren Kopf, als er auch die zweite Hand hob und sie langsam in ihr Haar schob, ihr Zeit gebend, sich ihm zu entziehen, wenn sie es denn jemals gewollt hätte. Sein Blick folgte den Bewegungen seiner Daumen, die die Haut unter ihren Augen streichelten, hin und her, her und hin. Das schöne Blau war ein See, der keinen Grund hatte und unbewegt vor ihr lag. Es war, als zögen zwei Seidenbänder über ihr Gesicht. Pia streckte die Hand aus und ließ sie auf Adams Unterarm sinken. Ihre Finger fanden seine Speiche, glitten über die scharfe Kuppe seines Handgelenks, da fielen Adams Hände herab, er floh in seine Ecke. Pia legte den Kopf schief, seine Augen funkelten starr wie die eines gestellten Fuchses aus seinem Bau heraus.
»Ich tu dir nicht gut.«
Nur für eine Sekunde hingen seine heiser hervorgestoßenen Worte im Raum. Pia fühlte ihre Augenbrauen sich zusammenziehen, Adams Blick ging zu Boden wie vor einer strafenden Lehrerin.
Langsam. Ein Schritt. Luft holen. Noch ein Schritt. Warten.
Adam strebte von ihr fort, doch er stand mit dem Rücken an der Wand, so legte er die Arme um sich, beide Handflächen unter die Achseln gezogen. Er atmete ruhig weiter, als ihre Finger die Kante seiner Schulter nachzeichneten, zuerst die eine, dann auch die andere. Ihre Hand wurde mutiger, streifte die feuchte Strähne, grub tiefer, kämmte in einem fort das Gold an seiner Stirn, während ihre Linke mit seinem Unterarm verschmolz, lechzend die Wärme aufsog, die sich durch den dünnen Stoff seines Pullovers bahnte.
Pia senkte den Kopf, suchte seinen Blick, doch Adam wich ihr aus wie einem schambehafteten Geheimnis. Ihre Hände fanden wieder seine Schultern, hoben sich unter seinem tiefen Atemzug.
»Adam – wie kommst du darauf?«
Unter dem nun locker fallenden, widerspenstig aufgefächerten Vorhang seiner Haare huschten seine Augen hinauf, fanden ihre, versuchten, zu ihr zu sprechen, kapitulierten. Ein Schauder erfasste ihr Gesicht, als die Kälte seines Handballens über ihre Wange zog. Wieder spielte sein Daumen seine lautlose, sichelförmige Melodie zwischen ihren Augenwinkeln.
»Hast du in der letzten Zeit mal deine Augenringe im Spiegel gesehen?«
Eine anerzogene Empörung wallte in ihr auf, wandelte sich zu einem rauen Lachen. »Nein, aber wenn Sie dich so in …«
»Sie werden immer dunkler, je mehr Zeit du mit mir verbringst.« Adams Hand glitt von ihrem Gesicht wie von einem vereisten Schneeberg, er schob sie wieder unter seinen Arm, schien sie aufwärmen zu wollen.
In seinen Augen las sie nicht die Spannung, die in seine Muskeln fuhr, als sie die Hand auf seinen Arm legte, sich zu seinem Körper vorantastete, in die Schlucht zwischen seinem eisenharten Bizeps und seiner Brust drängte, um seine Finger zu umschließen. Sie waren nicht aus Eis gemeißelt wie sonst, doch steif in den Gelenken, als sie seine Hand zwischen ihre beiden zog und massierte. Ihre Haut verzehrte sich unter der Berührung von Adams schlanken Fingern, seinem großen Handteller, seinem weichen Handrücken. Er zog den Kopf zurück, als sie aufblickte. Langsam legte sie eine Hand an seine Wange. Er wich ihr aus, gab dann aber nach, seine Augen sprangen unruhig hin und her.
»Das hat nichts mit dir zu tun, Adam – gar nichts.« Steil gruben sich die beiden Falten zwischen seine Brauen, nur mit Mühe kämpfte sie den Impuls ihr Brustbein bis in den Magen hinunter, einen Finger in die Kuhle zu legen und den spitzen Winkel auszustreichen. »Wir haben uns doch kaum gesehen. Das war nur die Observation mit Esther diese Woche.«
Die im Übrigen vollkommen sinnlos gewesen war. Zwei Tage hatten sie in Esthers silbergrauem Kombi vor Theo Leibers Haus auf der Lauer gelegen – wobei ‚Haus‘ es eigentlich nicht ganz traf: ‚Herrenhaus‘, so viel Zeit musste sein bei einem Anwesen mit 350 Quadratmetern Wohnfläche und einem Garten, na ja, eher Park von 1500 Quadratmetern. Es war eigentlich nur noch eine reine Formalität gewesen. Am Montagmorgen war keine zwei Kilometer von Leibers ausladendem Wohnsitz entfernt ein Toter aufgefunden worden, Horst Demberg, 47 Jahre alt, alleinstehend, kleiner Manager in einem aufstrebenden Softwarunternehmen, und auf die Fotos seines mit einem gezielten Schuss zur Strecke gebrachten Körpers hatten Ausdrucke seiner Drohmails an den Telekommunikationsmagnaten auf ihren Tischen gefolgt. Aber einer wie Leiber tötete nicht – er ließ töten und sorgte nebenbei für ein Alibi, das keine Fragen offen ließ. Leo hatte wieder ganze Arbeit geleistet und in Erfahrung bringen können, dass ihr Hauptverdächtiger im Augenblick ein einwöchiges Auswahlverfahren in der City of London durchlief, das beim Führungsposten, der ihm in Aussicht gestellt wurde, höchster Geheimhaltung unterlag.
Adams Kopfschütteln zerstreute ihre in Gang gekommene Grübelei. »Ich hab nie kapiert, wie du es mit der so lange aushältst.« Ein Zucken lief über sein Gesicht, das Rasen seiner Gedanken spiegelte sich in seinen Augen, doch die passende Bezeichnung für Esther, die ihm sein Gefühl eingab, kam nicht über seine Lippen.
Er hatte ihr seine Hand nicht entzogen, sie hatte sich ein wenig erwärmt unter ihrer Berührung. Pia musste lächeln über seine beinahe trotzige Entrüstung, die noch zwischen ihnen schwebte. Langsam lösten sich ihre Finger von seinem Gesicht und legten sich auf seine Brust. Sie glaubte, die Narbe erspüren zu können, die ihn zeichnen musste und von der sie sich einredete, sie könne durch ihr Streicheln das ungeschehen machen, was ihn um ein Haar das Leben gekostet hätte.
»Sie ist eigentlich gar nicht so schlimm, weißt du?« Es hob ihre Hand, als er ruckartig Luft holte. »Ihr seid euch in manchen Punkten viel ähnlicher, als du glaubst. Sie ist zum Beispiel ein richtiges Arbeitstier – da ist sie ganz wie du.«
Der Luftstoß seines Schnaubens fuhr über ihre Nasenspitze, ihre Finger. Er schüttelte den Kopf, schon war sein spöttisches Grinsen verwischt. Seine Hand entzog sich ihrer, als er sich an der Kante der Arbeitsplatte zu beiden Seiten seines Körpers aufstützte, doch duldete er weiterhin ihre Berührung auf seiner Brust. Seine Augen lagen in einem verschleierten Nebel, über sein Gesicht wehte ein Schatten, als habe er Schmerzen.
»Ja.« Er nickte, einmal, zweimal. »Wie Promenadenmischungen aus einem Wurf.« Seine Stimme war brüchig. »Zwei gefühllose Arschlöcher.«
Pia entwich ein leiser, unwilliger Laut, sie schüttelte den Kopf, da stieß Adam sich von dem Halt in seinem Rücken ab, seine Lippen auf ihrer Stirn schnitten ihr den Atem ab. Warm und weich schmiegten sie sich an ihre Haut, nur für eine entschieden abgezählte Sekunde, aber sie hinterließen ein Mal der Leichtigkeit, verhießen Pia, schweben zu können.
In Adams Mundwinkel schimmerte ein Lächeln, als er auf sie herabblickte. Er nickte zum Spülbecken. »Kann ich dir helfen?«