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Bruder, wo bist du?

Kurzbeschreibung
KurzgeschichteAllgemein / P16 / Gen
Guy of Gisburne Robert de Rainault der Sheriff of Nottingham Robin of Loxley / Robert of Huntingdon
20.01.2022
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Einer Vision folgend hatte Robert sich mit seinem Vater bei Rhiannons Kreis verabredet. Aber während er noch dabei war, dem Earl zu erklären, wieso er ihn hierhergebeten hatte, erschien eine weitere Person. Verblüfft starrte Robin Hood auf den Ritter, der sein schwarzes Schlachtross zwischen den Steinen des Kreises zurückgelassen hatte und sich ihm dann, offenbar unbewaffnet, näherte. Sein Schwert hing, gut sichtbar für alle, an seinem Sattel.
„Gisburne“, begrüßte er ihn mit vorsichtiger Neugier. Er hatte den ehemaligen Steward des Sheriffs von Nottingham seit zwei Jahren nicht mehr gesehen, denn der König hatte ihn in die Normandie verbannt, um dort zu kämpfen und sich damit von den Ereignissen um den Zauberer Gulnar zu rehabilitieren. Der Ritter musste gerade erst zurückgekehrt sein, denn kein Wort über ihn hatte den Wald von Sherwood bisher erreicht.
„Huntingdon“, grüßte der andere zurück und Robin Hood wurde erneut überrascht. Der Ritter hatte ihn nie anders als mit „Gesetzloser“ tituliert, seitdem er als Hernes Sohn entlarvt worden war. Und er hatte sich ihm gegenüber niemals so höflich verhalten oder gewagt, ihm ohne seine Waffe zu begegnen.
Einen langen Augenblick lang standen sich die beiden blonden Männer gegenüber, beide unsicher, wie sie weiter vorgehen sollten und aus welchem Grund sie hier zusammengetroffen waren.
Völlig unerwartet fing Gisburne auf einmal an zu sprechen und er erzählte von seinen zwei Jahren auf der anderen Seite des Kanals. Er sprach über die Kämpfe, an denen er teilgenommen hatte, aber auch über das Elend, das er dort drüben gesehen hatte. Er sprach über die Männer, an deren Seite er gekämpft hatte und darüber, dass ihm deren Tod nutzlos und unnötig vorgekommen war. Und dann fragte er Robert auf einmal, wieso ausgerechnet er hatte wieder zurückkehren dürfen.
„Kann irgendjemand annehmen, ich wäre in der Lage, einfach so wieder in mein altes Leben zurückzukehren, nachdem ich den Tod so vieler guter Männer miterleben musste. Huntingdon, du hast doch immer eine Meinung dazu, was in dieser Welt gerecht genannt werden sollte. Hast du eine Antwort für mich auf diese Frage?“
Dies war das letzte, was Robin Hood von seinem ehemaligen Widersacher erwartet hatte. Aber dann ging ihm auf einmal auf, wieso ihn seine Vision an diesem Tag hierhergeführt hatte und er nahm all seinen Mut zusammen.
Er erzählte dem Ritter über seine Begegnung mit Gisburnes Mutter und darüber, was sie ihm über ihren Sohn mitgeteilt hatte, während er sich der Präsenz seines Vaters hinter ihm im Schatten eines der großen Steine nur zu bewusst war. Und ebenfalls der Tatsache, dass der Earl jedes seiner Worte hören konnte.
Während er sprach, hatte er sein Gegenüber genau im Auge behalten, um nicht von ihm überrascht zu werden, und daher entgingen ihm die Emotionen nicht, die auf dem – auf einmal ziemlich blassen – Gesicht des Ritters erschienen, aber zu Roberts Erleichterung war weder Feindseligkeit noch Ablehnung dabei.
Gisburne öffnete den Mund und wollte ganz offensichtlich etwas sagen, als hinter ihm auf einmal eine kalte Stimme erklang.
„Ihr erstaunt mich, Gisburne. Da seid Ihr noch nicht einmal wieder offiziell in meine Dienste zurückgekehrt und habt es trotzdem schon geschafft, auf Robin Hood zu treffen. Aber wie immer verhaltet Ihr töricht. Wieso hing Euer Schwert noch an Eurem Sattel? Wolltet Ihr den Gesetzlosen vielleicht zum Aufgeben überreden?“ Robert de Rainault, der wieder Sheriff von Nottingham geworden war, nachdem sein Bruder ihn aus dem Kerker in Winchester ausgelöst hatte, schaffte es ohne Probleme, seine Verachtung für seinen ehemaligen Untergebenen für alle hörbar zu machen.
Weder der Ritter noch der Gesetzlose hatten mitbekommen, dass de Rainault sich näherte. Als Gisburne sich zu dem kleineren Mann umdrehte, trat er dabei auch einen Schritt zur Seite und dadurch war Robin Hood in der Lage, zu erkennen, dass der Sheriff das Schwert des Ritters in der Hand hielt und damit auf Hernes Sohn zielte.
„Aber vielleicht wolltet Ihr mir ja nur die Gelegenheit geben, diesen Abschaum eigenhändig zu erledigen“, fuhr de Rainault fort und stieß das Schwert auf einmal nach vorne.
Seine Bewegung kam für Robin Hood derart unerwartet, dass er nicht mehr in der Lage war, zu versuchen, der Waffe auszuweichen und er konnte nur noch auf den Schmerz warten, den die Klinge verursachen würde, wenn sie ihn durchbohrte.
Aber dazu sollte es nicht kommen, denn im Gegensatz zu ihm hatte der Ritter sich blitzschnell bewegt und nun starrten alle Anwesenden auf das Schwert, das in Gisburnes Mitte steckte. Erst in diesem Moment stellte Robert fest, dass der andere ihm nicht nur unbewaffnet, sondern auch ohne irgendeinen Schutz gegenübergetreten war.
Bevor der Ritter zusammenbrechen konnte, hatte der Gesetzlose seine Arme um ihn geschlungen und ließ ihn dann vorsichtig auf den Boden hinunter. Er hatte nur noch Augen vor den Mann, dessen Gesicht noch sehr viel bleicher geworden war und der Sheriff, der das Heft des Schwertes immer noch festhielt, hätte die Gelegenheit tatsächlich dafür nutzen können, den Anführer der Gesetzlosen zu töten, wenn nicht der Earl aus seinem Versteck gesprungen wäre und de Rainault mit seinem Schwertknauf niedergeschlagen hätte.
„Warum hast du das getan, Guy?“, wollte Robert wissen. „Unser Vater braucht dich doch an seiner Seite.“
Der andere schüttelte den Kopf. „Nein“, brachte er mit leiser Stimme hervor, „er braucht dich. Was soll er mit einem Bastardsohn anfangen, der in seinem Leben nie etwas richtig hat machen können. Ich wäre ihm keine Hilfe an deiner Stelle. Ich bitte dich nur, mein Geschenk anzunehmen.“ Er schloss seine Augen und Robert befürchtete, er hätte seinen letzten Atemzug genommen.
Aber Gisburne war noch nicht von ihnen gegangen. Er schlug noch einmal die Augen auf und sein Blick schien das Gesicht des Mannes zu suchen, der ihn in seinen Armen hielt. Als er noch einmal zu sprechen anfing, hatte sich der Schmerz seiner tödlichen Wunde bereits auf seine Stimme gelegt. „Mir ist so kalt. Und warum ist es hier so dunkel? Bruder, wo bist du?“ Er atmete aus und regte sich danach nicht mehr.
Plötzlich öffnete der Himmel seine Schleusen und tränkte den Steinkreis mit einer schier unermesslich erscheinenden Menge an Regen. Und während seine Umgebung in der Dunkelheit des Unwetters verschwand, erkannte Robin Hood auf einmal im gleißenden Licht zahlreicher Blitze, wie Rhiannons Kreis sich immer schneller um ihn drehte.
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