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Die Wilden Hühner und der letzte Sommer

Kurzbeschreibung
GeschichteRomance, Freundschaft / P12 / Mix
Charlotte Slättberg /Sprotte Frieda Goldmann Friedrich Baldwein / Fred Melanie Klupsch Stevan Domaschke / Steve Wilma Irrling
08.01.2022
13.06.2022
2
3.440
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13.06.2022 1.583
 
Sprotte mochte Steve, sie mochte ihn sogar sehr. Zwar konnte sie sich nicht an den Moment erinnern, als ihr klar wurde, dass sie wirklich gerne mit ihm befreundet war – aber wann konnte man das schon? Bei keinem der Hühner hätte Sprotte das sagen können. Sie wusste ja nicht mal wirklich, seit wann genau sie in Fred verliebt war. Oder seit wann sie ihn liebte. Freundschaft und Liebe sind Dinge, die man erst begreift, wenn sie schon längst geschehen sind. Wie furchtbare Fehler, nur schöner.

Wahrscheinlich kam dieser Moment irgendwann, nachdem Steve aufgehört hatte, ständig seine Karten zu legen und sich seine Wahrsagekünste als reine Menschenkenntnis herausstellten. Er war auch der Einzige ihrer Freunde, der Sprotte nicht ständig Fragen stellte, als ihre Mutter wieder anfing mit Sprottes Vater auszugehen. Zwar war Steve kein Ruhepol wie Frieda oder so selbstsicher wie Fred, nein. Aber für Sprotte war Steve der Inbegriff von Gelassenheit. Denn während Frieda die Emotionen von anderen nur so in sich aufzusaugen schien und Fred einfach jederzeit einen coolen Spruch auf den Lippen hatte, war Steve vor allem entspannt. Und seine Art irgendwie: entspannend. Er hatte sich sein ganzes Leben lang Kommentare über sein Gewicht, sein Essverhalten und seine Hobbys anhören dürfen, aber er hatte nie wirklich darunter gelitten. Manchmal hatte er sich vielleicht über eine unhöfliche Formulierung geärgert, aber im Großen und Ganzen schien es als würden die Bemerkungen an ihm abprallen. Und darum beneidete Sprotte ihn. Denn er nahm nicht nur die Welt besonnen so hin, wie sie eben war, sondern auch sich selbst.

„Warum sollte irgendjemand Stevie drohen?“ Melli starrte verstört zu Fred hoch, aber dieser konnte nur mit den Achseln zucken.
„Er hat nicht viel gesagt, nur dass ein Brief in seinem Fahrradkorb lag und wir uns beim Baumhaus treffen sollen. Ich habe ihm gesagt, dass ich sowieso hier beim Wohnwagen bin und er ist jetzt am Weg. Torte und Willi schreibt er eine Nachricht.“ Fred zeigte zum geheimen Loch in der Hecke, das in den Wald führte und den Weg zwischen den beiden Bandenquartieren um weitere fünfeinhalb Minuten verkürzte. Auf dem Pfad, den sie sich schon vor Jahren gebahnt und von Sträuchern und großes Steinen befreit hatten, brauchte man keine sechs Minuten in eine Richtung. „Wir können aber wirklich zum Baumhaus gehen.“

Sprotte verdrehte die Augen. Die Bandenangelegenheiten wurden schon länger nicht mehr so streng getrennt. Auf jeden Fall schon länger als man Melli auch wirklich mit ihrem Spitznamen „Melli“ ansprechen durfte. Seit sie nicht mehr „die schöne Melanie“ sein wollte.
„Nein, natürlich kommen sie her“, antwortete Sprotte und nahm Freds Hand, um sich hochzuziehen. Sie legte einen Arm um ihn und für einen Moment, nach einer langen Woche, musste Sprotte nicht an O.S. denken. „Wenn Steve bedroht wird, dann geht uns das alle an.“
Ein angenehmer Schauer lief Melli über den Rücken. So wie immer, wenn Sprotte etwas mit dieser Stimme sagte, die Abenteuer versprach. „Ich gebe Trude Bescheid“, murmelte sie und zückte ihr Handy, während sie versuchte sich aus Sprottes Bann zu befreien.

„Na gut. Dann hole ich mal die Bierbänke und den Tisch, damit wir alle sitzen können“, sagte Fred und ging Richtung Schuppen. Dort wohnten zwar die Hühner – die echten Hühner, die sie befreit und gerettet hatten – aber gemeinsam mit Willi, hatten Fred und Wilma einen Schrank an den Schuppen gezimmert. Und dort lagerten die Wilden Hühner neben einer verrosteten Bierbankgarnitur auch ihr Gartenwerkzeug und Futter für die verfressenen Hennen. „Und ich schaue auch, ob die Hühner genug zu trinken haben“, rief Fred ihnen noch zu. „Bei dieser Hitze!“

„Gute Idee." Sprotte beschloss einmal nachzusehen, ob auch die Wilden Hühner und Pygmäen an diesem Nachmittag nicht verdursten würden. Ja, klar. Wasser gab es immer. Sowohl die Küche im Wohnwagen als auch der Gartenschlauch waren an eine Wasserleitung angeschlossen. Aber da die Wilden Hühner traditionell Tee tranken und Frieda vor drei Jahren das perfekte Eisteerezept kreiert hatte, musste im Sommer immer genug Eistee im Kühlschrank stehen.

Im stickigen Wohnwagen saßen Wilma und Frieda mit Notizblöcken in der Hand und von gelben Reclam-Heften umringt auf der großen Matratze. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und waren völlig in ihre Notizen versunken. Sprotte bemerkten sie erst, als diese die quietschende Kühlschranktür öffnete – wo leider nur noch ein Krug voll Eistee stand. Zwei leere Krüge standen in der Abwasch und einen Krug stoß Frieda um, als sie erschrocken von der Matratze sprang.

„Sprotte! Mist!“
Frieda versuchte den Krug noch zu fangen, aber Wilma war schneller und bekam gerade noch den Henkel in die Finger, bevor der Krug am Boden zerschmettern konnte. Frieda schenkte Wilma ein Lächeln und löste dann ihr Finger von Wilmas Hand und dem Krug. „Danke“, sagte sie, „das war Rettung in letzter Sekunde.
„Kein Problem. Ein Pistolenhuhn braucht einfach gute Reflexe.“ Wilma zwinkerte Frieda zu und biss sich auf die Lippen. Sprotte ging die zwei Schritte zur Matratze und nahm Wilma den Krug ab.
„Deine Pistole hast du aber auch schon länger nicht mehr dabeigehabt, Pistolenhuhn.“ Wilma streckte Sprotte die Zunge entgegen, aber es stimmte. Sie kämpfte mittlerweile lieber mit Schwertern auf Theaterbühnen als mit Wasserpistolen gegen freche Jungs.

"Wasserpistolen und Theatertexte vertragen sich nicht so gut in Hosentaschen." Wilma hatte nicht erst einmal ein Textbuch zum trockenen Aufhängen müssen, weil ihre Wasserpistole undicht war. "Und wir sprechen heute ja nur über das Projekt für Friedas Gruppe. Wir wollen sie Theater spielen lassen, das tut den Kindern sicher gut. Aber Frieda hat Angst, dass ihnen die Stücke zu langweilig sind, also schreiben wir um." Sprotte nickte nur und fing an die Krüge auszuwaschen. Frieda hatte nach der Trennung von Maik – ein Thema über das sie immer noch nicht sprechen wollte – das Gefühl gehabt, sie hätte zu viel Zeit. Und so betätigte sie sich nun seit mehr als einem Jahr bei einer Gruppe für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche. Sie wollte immer eine von ihren Hühner-Freundinnen, aber auch die Pygmäen, in ihre Arbeit miteinbinden. Und Wilma hatte sie wohl jetzt mit einem Theaterclub überzeugen können.

„Komm, lass mich das doch machen“, sagte Frieda und versuchte Sprotte vom Waschbecken wegzuschieben. Frieda spürte, dass etwas nicht stimmte, aber sie ging wohl davon aus, dass es Sprottes Gefühle zu O.S. waren, die durch ihre dünne Haut drangen. Vor lauter Sorge um Sprotte versuchte Frieda ihr gerade alles abzunehmen – Spaziergänge mit Bella, Hühner füttern und Stall ausmisten. Sprotte dachte, am liebsten würde Frieda auch für sie trauern oder auf die Toilette gehen. So gerne würde sie helfen. Sie gab ein genervtes Geräusch von sich und hielt sich die rechte Brust, gegen die Frieda gerade gedrückt hatte. Das hatte wehgetan. Bekam sie ihre Tage? Sprotte hasste es im Sommer ihre Tage zu haben.

„Frieda ich bin kein Ei und du keine Glucke.“ Sie wischte sich die Hände an ihren grünen Bermudashorts ab und setzte sich an den Tisch neben der Tür. Frieda ignorierte sie, setzte Wasser für den Jasmintee auf und holte Zitronen aus dem Kühlschrank.
„Also es ist etwas passiert. Die restlichen Jungs kommen gleich und Trude hoffentlich auch. Steve hat einen Drohbrief bekommen", erzählte Sprotte.

Wilma klappte der Mund auf. „Bitte, was?“
„Er hat den Brief in seinem Fahrradkorb gefunden, aber mehr weiß ich auch nicht. Das Ganze klingt sehr seltsam. Wir müssen auf jeden Fall mehr herausfinden.“
Auch Wilma und Frieda hörten das Abenteuer aus Sprottes Worten flüstern und wie aufgeregte Ameisen über ihre Haut krabbeln. Frieda wollte schon sagen, dass das bestimmt nur ein Streich von Torte ist. Aber sie bemerkte ein Funkeln in Sprottes Augen, das sie seit einer Weile nicht mehr gesehen hatte. Und Wilma bereute, dass sie ihre Wasserpistole zu Hause gelassen hatte. Volljährigkeit hin oder her – unvorbereitet in ein Abenteuer starten war ihr nicht ihr Stil.

Melli öffnete die Tür zum Wohnwagen und kam eine Stufe hinein, bevor sie das Gesicht verzog. „Hier steht da die Luft. Sprotte, mach mal ein Fenster auf, damit es durchziehen kann. Wilma, du auch. Trude ist am Weg und Steve und Torte…“ Melli hielt sich am Türrahmen fest und lehnte sich zurück, um zum Gatter schauen zu können. „…sind gerade angekommen.“

Sprotte und Wilma öffneten die Fenster nicht mehr, sondern drängten sich an Melli vorbei nach draußen. Frieda stand immer noch an der Küchenzeile und schaute zu Melli. Ihre Blicke trafen sich. Es waren erleichterte Blicke, sie hatten sich Sorgen um Sprotte gemacht. Die letzte Woche war sie kaum hier gewesen, sondern im Haus ihrer Großmutter oder mit Bella im Wald. Und wenn sie beim Wohnwagen war, dann im Gehege, wo sie sich um die Hühner kümmerte oder sich von ihnen trösten ließ. Egal ob es nur ein Streich war oder eine wirkliche Bedrohung, Frieda würden sich hüten Sprotte diese Ablenkung zu nehmen. Und auch Melli nahm sich vor die Klappe zu halten – etwas, das ihr mittlerweile viel leichter fiel als früher.

Torte kam schon angelaufen, er hatte Steve den Brief aus der Hand genommen. Steve ging gemütlich hinter ihm her, aber in seinem Gesicht konnte Sprotte Anspannung erkennen. So sah Steve sonst nur drein, wenn er am Fahrrad saß und eigentlich auf die Toilette musste.

Torte setzte sich an den Biertisch, Sprotte und Wilma nahmen ebenfalls Platz. Sie schielten aufgeregt auf den Briefumschlag in seiner Hand. Er legte ihn auf den Tisch und wartete zappelig, bis auch Fred und Melli sich dazugesetzt hatten. Frieda rief, dass sie gleich kommen würden. Steve ließ sich Zeit, aber schließlich kam auch er bei seinen Freunden an.
„Sollen wir noch auf Willi warten?“, fragte er, aber alle schüttelten den Kopf.
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