Bauernopfer
von OfficerSnickers
Kurzbeschreibung
Isabella hat ein Problem. Das Problem sind nicht ihre rebellischen Kinder, die ihrer fürsorglichen Liebe entgehen wollen – die hat sie unter Kontrolle. Das Problem sind nicht die Tricksereien ihrer Full Scorer – die machen ihr nichts aus. Das Problem ist die Qual der Wahl. Wie gut, dass sie in Ray ein zuverlässiges Helferlein bei der Frage hat, wer wohl als nächstes als ein Festschmaus für die Monster enden soll.
OneshotAngst, Familie / P12 / Gen
Isabella
Ray
02.12.2021
02.12.2021
1
1.535
4
02.12.2021
1.535
„Ich gebe euch jetzt eure Testergebnisse zurück.“
Isabella überflog rasch die heutigen Punktzahlen ihrer Kinder, forschte nach Verbesserungen im Vergleich zu den vergangenen Tagen, oder auch nach zurückgehenden Ergebnissen. Dann lächelte sie.
„Herzlichen Glückwunsch, Emma. Du hast wieder einmal den Full Score erreicht.“
Der gesenkte Schopf des Mädchens gab das leiseste Nicken von sich, während ein erstauntes, ja besorgtes Raunen durch den Raum hallte.
„Thoma, Lannion, euer Score hat sich beträchtlich gesteigert. Ich bin stolz auf euch“, unterbrach Isabella die allgemeine Unruhe, wie eh und je warm lächelnd. Die beiden Jungen sprangen von ihren Stühlen auf und jauchzten ausgelassen; andere Kinder gratulierten ihnen herzlich oder gaben kund, wie neidisch sie doch waren.
Nachdem jedes Kind - abgesehen von Emma, deren Full Score für sich sprach - Hausaufgaben und Lektionen erteilt bekommen hatte, stürmten die meisten Jungen und Mädchen nach draußen zum Spielen. Es hatte den ersten leichten Schneefall in dieser Nacht gegeben und wohl niemand wollte sich die klirrende Kälte und weichen Pulverschnee entgehen lassen.
Don und Gilda liefen langsam nebeneinander her, Emma in ihrer Mitte, deren Krücken ein stetiges Klacken auf dem alten Holzfußboden hinterließen. Isabella beobachtete aus den Augenwinkeln heraus, wie Phil ihr mit traurigem Gesicht die Tür aufhielt. Er vergötterte Emma über alles und sie so zu sehen - geschlagen, verletzt, aller Hoffnung beraubt - betrübte seine kleine Seele wohl zutiefst.
Gerade, als er an ihr vorbeischlurfte, sagte Isabella: „Ich möchte mich einmal kurz mit dir unterhalten, Ray.“
Der Junge blieb stehen, ohne seine hängenden Schultern, seinen ebenfalls gesenkten Kopf zu erheben. Ihm gleich taten es einige der anderen Kinder, die verdutzt zu ihrer Mama aufschauten; ihr entging nicht, wie auch Emmas Krücken für einen Augenblick auf dem Boden verharrten und das Mädchen nicht länger mit sich trugen.
„Allein, wenn es möglich ist.“
Ihre lieben, süßen, klugen Kinder verstanden den Fingerzeig und verließen das Zimmer. Einzig Ray war es nun noch, der sich einige Fuß entfernt von ihr an eine Wand lehnte, die Hände in den Hosentaschen vergraben, das Gesicht derart von seinem pechschwarzem Haar verdeckt, dass unmöglich auszumachen war, was in ihm vorgehen mochte.
Mit aller Zeit der Welt ordnete Isabella die Papiere auf ihrem Schreibtisch; obenauf lagen Rays Testergebnisse der vergangenen vier Wochen, für jeden einzelnen Tag.
300
300
299
298
295
294
289
286
.
.
.
„Mir ist nicht entgangen, dass deine Scores in letzter Zeit zu wünschen übrig lassen“, sagte sie, nun deutlich distanzierter, da sie unter sich waren. Ihre Augen fixierten das heutige Ergebnis. 258. Miserabel, für einen ehemaligen Full Scorer. In keinem Falle akzeptabel, für einen Elfjährigen wie ihn.
„Ich kann mir schon denken, woran das liegt.“ Ray gab keinen Mucks von sich, als Isabella um den Schreibtisch herumlief und die Absätze ihrer Stiefel ebenso laut klapperten wie Emmas Krückstöcke zuvor.
„Du bist deprimiert, weil ich dich aus meinem Dienst entlassen habe. Weil eure fruchtlosen Ausbruchspläne endgültig gescheitert sind. Weil Norman ausgeliefert wurde.“
Mit Genugtuung sah Isabella, wie Ray forsch den Kopf von ihr fortdrehte und ein kaum zu vernehmendes „Tss“ von sich gab. Sie setzte sich auf die Ecke der Tischkante und überspreizte die Beine.
„Prinzipiell könnten mir und gleichfalls dir deine katastrophalen Ergebnisse ja herzlich egal sein. Deine Auslieferung nächsten Monat steht bereits fest und wird auch nicht nach vorne verschoben. Es ist dementsprechend egal, wie viele Punkte du weiterhin erzielst. Allerdings...“ Isabella tippte sich mit dem Zeigefinger leicht gegen ihre schmalen Lippen, als müsse sie sich etwas gut überlegen.
„Allerdings trifft diese Annahme in deinem Fall nicht zu. Du bist das erste voll ausgereifte Produkt dieser Farm seit Langem. Ein ganz besonders edles Stück Fleisch, das ausschließlich für die Ranghöchsten dieser Herrschaften bestimmt ist. So wertvoll hast du dich gemacht mit deinem bisherigen Fleiß. Nun jedoch...“ Isabellas Hand schob Rays Dokument vom Stapel, ebenso weitere, die darunter lagen, bis sie bei einem ganz bestimmten angelangt war.
„Ich habe persönlich versichert, im Januar einen Full Scorer auszuliefern. Du wirst also wissen, dass du mich in ziemliche Schwierigkeiten mit deinem Starrsinn bringst, Ray.“
Ein Glucksen. Ein leises, zynisches Glucksen erntete sie für ihre Worte, und eine grinsende Grimasse blitzte zwischen seinem dichten Haarschopf hervor.
„Oh, das tut mir aber leid“, zischte er höhnisch und sah sie das erste Mal seit langer Zeit wieder wirklich an. Trotz seines freudlosen Lachens waren seine Augen kalt und leer, die Schatten unter ihnen hervorstechender als jemals zuvor. Ein Bild des Jammers und in keinster Weise appetitlich, selbst wenn man seine abfallenden Leistungen zu ignorieren wusste.
„Es tut mir wirklich unheimlich leid, den werten Herrschaften das Festessen zu verderben. Wie überaus unhöflich von mir.“ Den letzten Teil seiner vor Hohn triefenden Entschuldigung spie er geradezu aus und stieß sich von der Wand ab, an der er bis eben gelehnt hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde schien er zwiegespalten zu sein, zu ihr zu gehen; schließlich drehte er sich aber zur Tür um. Für ihn war die Unterhaltung beendet.
Für Isabella hingegen noch lange nicht.
„Ja, ich bedaure es ebenso. Glücklicherweise ist mir bereits eine passende Lösung eingefallen.“
Rays Hand erstarrte über der Türklinke ob der zuckersüßen Falschheit in der Stimme seiner Mutter. Er ließ sie sinken, ballte die Finger, doch wagte es nicht, sich zu dem Monster in seinem Rücken umzudrehen.
„Da deine Ergebnisse derartig zu wünschen übrig lassen, werde ich eben ein weiteres Kind an deiner Seite ausliefern lassen.“
„Was?!“ Ray wirbelte herum, und das Entsetzen zog tiefe Furchen in sein schmales Gesicht.
„Fantastisch, nicht wahr? So werde ich auf jeden Fall ein Produkt mit 300 erreichten Punkten anbieten können. Selbst, wenn es aus zwei Kindern bestehen würde.“
„Wag es ja nicht-“
„Wen soll ich wohl noch auswählen?“, fiel sie ihm gespielt erheitert ins Wort und nahm die Dokumente der vergangenen Testergebnisse zur Hand, ein Blatt hinter das andere schiebend.
„Vielleicht ja Thoma oder Lannion? Ihr Score hat sich in letzter Zeit beträchtlich gesteigert… womöglich ja auch Jemima, hmm? Die Kleine hat dich wirklich sehr gern, weißt du? Ihr würdet zusammen bezaubernd aussehen in euren neuen Anzügen.“
„Hör auf-!“
„Oder aber… oh ja.“ Isabella zog ihr bevorzugtes Blatt hervor und studierte es schmunzelnd. Mit jedem vergehendem Herzschlag reifte in Ray mehr und mehr die Agonie heran; so vollumfänglich kannte sie ihn, dies zu erkennen, ohne auch nur einen einzigen Blick auf ihn zu verschwenden.
„Mein Favorit wäre allerdings Phil.“
Schweigen. Dann, ein Schnappen nach Luft und schnelle Schritte in ihre Richtung. Isabellas Augen fanden ihr Spiegelbild, von Hass und Unglauben verzerrt. Ob sie ebenso ausgesehen hatte, als sie sich vor dem Tode wiederfand?
„Das geht nicht! Das kannst du nicht machen!“, rief Ray, die Stimme heiser von der langen Zeit des Schweigens, an der Schwelle des Zerbrechens. Er hatte die Hände zu Fäusten erhoben, wohl nur unwillkürlich. Sollte er doch versuchen, zuzuschlagen. Ein verstauchtes Handgelenk, ein gebrochener Finger mehr oder weniger würde nun auch nichts ändern.
„Du kannst nicht-“
„Ich kann nicht? So, wie ich nicht eine der wertvollsten Waren dieser Farm verkrüppeln konnte? Wie ich nicht meine treue rechte Hand aus einer Laune heraus zum Tode verurteilte?“ Isabella beugte sich nach vorne, auf Augenhöhe mit Ray, und strich zärtlich eine Haarsträhne hinter sein linkes Ohr.
„Ach Ray, mein dummer, kleiner Ray. Ich habe das großartigste Produkt, das jemals in dieser Welt gezüchtet worden ist, vorzeitig auf die Schlachtbank geführt. Sag mir also nicht, was ich tun kann oder nicht, Ray.“
Für einen Moment lang sahen sie einander nur an, Zuchtleiterin und Fleischmensch, nicht mehr, nicht weniger. Als er schließlich ihre Hand fortschlug ließ Isabella es kichernd geschehen, denn ihr entging keineswegs das Zittern, das ihn gepackt hatte. Ob aus Angst oder Zorn oder gar Abscheu ließ sich nicht ästimieren, und sie wollte es auch gar nicht. Allein, dass sie diese Gefühle in ihm zu wecken vermochte, verschaffte ihr bereits Befriedigung.
„Er ist zu jung“, erwiderte der Junge, beherrschter als zuvor, „er ist erst vier Jahre alt.“
„Nichtsdestotrotz sprechen seine Leistungen für sich. Phil hätte auf jeden Fall das Potenzial, zum nächsten Full Scorer heranzureifen… und damit die Chance, zwölf Jahre alt zu werden. Wenigstens das. Es liegt also ganz bei dir“, Isabellas katzenhafte Augen verengten sich, „ob du Phil die Möglichkeit, so lange wie nur irgend möglich zu leben verwehren willst, die dir selbst inne war.“
Ray sagte nichts dazu. Er sah sie nicht einmal mehr an, wie er abermals den Kopf senkte, die Schultern bebend, die Hände, noch immer zur Faust geformt, zitternd. Auf dem Absatz drehte er sich um und verließ das Zimmer. Selbst, um die Tür ins Schloss zu knallen, fehlte ihm jegliche Kraft.
Er war geschlagen. Wie so oft hatte sie über ihr geliebtes Kind triumphiert.
Wie nicht anders zu erwarten.
.
.
.
Isabella überflog rasch die heutigen Punktzahlen ihrer Kinder.
„Bravo, wieder einmal ein Full Score, Emma… und Ray.“
Und Isabella lächelte.
A/N: Versteht mich nicht falsch, ich liebe Isabella und ihren ambivalenten Charakter. Trotzdem hat es echt Spaß gemacht, sie einmal richtig fies darzustellen, denn so sehr ich Ray auch vergöttere, es liegt mir einfach, ihn leiden zu lassen.
Keine Ahnung, ob Isabella tatsächlich ein Kind vor seinem sechsten Geburtstag hätte ausliefern lassen dürfen (es war sowieso mehr leere Drohung als alles andere), aber Krone und Norman hat sie ja auch locker beiseite geschafft. Was zählt da schon ein kleiner Sonnenschein wie Phil?
Isabella überflog rasch die heutigen Punktzahlen ihrer Kinder, forschte nach Verbesserungen im Vergleich zu den vergangenen Tagen, oder auch nach zurückgehenden Ergebnissen. Dann lächelte sie.
„Herzlichen Glückwunsch, Emma. Du hast wieder einmal den Full Score erreicht.“
Der gesenkte Schopf des Mädchens gab das leiseste Nicken von sich, während ein erstauntes, ja besorgtes Raunen durch den Raum hallte.
„Thoma, Lannion, euer Score hat sich beträchtlich gesteigert. Ich bin stolz auf euch“, unterbrach Isabella die allgemeine Unruhe, wie eh und je warm lächelnd. Die beiden Jungen sprangen von ihren Stühlen auf und jauchzten ausgelassen; andere Kinder gratulierten ihnen herzlich oder gaben kund, wie neidisch sie doch waren.
Nachdem jedes Kind - abgesehen von Emma, deren Full Score für sich sprach - Hausaufgaben und Lektionen erteilt bekommen hatte, stürmten die meisten Jungen und Mädchen nach draußen zum Spielen. Es hatte den ersten leichten Schneefall in dieser Nacht gegeben und wohl niemand wollte sich die klirrende Kälte und weichen Pulverschnee entgehen lassen.
Don und Gilda liefen langsam nebeneinander her, Emma in ihrer Mitte, deren Krücken ein stetiges Klacken auf dem alten Holzfußboden hinterließen. Isabella beobachtete aus den Augenwinkeln heraus, wie Phil ihr mit traurigem Gesicht die Tür aufhielt. Er vergötterte Emma über alles und sie so zu sehen - geschlagen, verletzt, aller Hoffnung beraubt - betrübte seine kleine Seele wohl zutiefst.
Gerade, als er an ihr vorbeischlurfte, sagte Isabella: „Ich möchte mich einmal kurz mit dir unterhalten, Ray.“
Der Junge blieb stehen, ohne seine hängenden Schultern, seinen ebenfalls gesenkten Kopf zu erheben. Ihm gleich taten es einige der anderen Kinder, die verdutzt zu ihrer Mama aufschauten; ihr entging nicht, wie auch Emmas Krücken für einen Augenblick auf dem Boden verharrten und das Mädchen nicht länger mit sich trugen.
„Allein, wenn es möglich ist.“
Ihre lieben, süßen, klugen Kinder verstanden den Fingerzeig und verließen das Zimmer. Einzig Ray war es nun noch, der sich einige Fuß entfernt von ihr an eine Wand lehnte, die Hände in den Hosentaschen vergraben, das Gesicht derart von seinem pechschwarzem Haar verdeckt, dass unmöglich auszumachen war, was in ihm vorgehen mochte.
Mit aller Zeit der Welt ordnete Isabella die Papiere auf ihrem Schreibtisch; obenauf lagen Rays Testergebnisse der vergangenen vier Wochen, für jeden einzelnen Tag.
300
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294
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„Mir ist nicht entgangen, dass deine Scores in letzter Zeit zu wünschen übrig lassen“, sagte sie, nun deutlich distanzierter, da sie unter sich waren. Ihre Augen fixierten das heutige Ergebnis. 258. Miserabel, für einen ehemaligen Full Scorer. In keinem Falle akzeptabel, für einen Elfjährigen wie ihn.
„Ich kann mir schon denken, woran das liegt.“ Ray gab keinen Mucks von sich, als Isabella um den Schreibtisch herumlief und die Absätze ihrer Stiefel ebenso laut klapperten wie Emmas Krückstöcke zuvor.
„Du bist deprimiert, weil ich dich aus meinem Dienst entlassen habe. Weil eure fruchtlosen Ausbruchspläne endgültig gescheitert sind. Weil Norman ausgeliefert wurde.“
Mit Genugtuung sah Isabella, wie Ray forsch den Kopf von ihr fortdrehte und ein kaum zu vernehmendes „Tss“ von sich gab. Sie setzte sich auf die Ecke der Tischkante und überspreizte die Beine.
„Prinzipiell könnten mir und gleichfalls dir deine katastrophalen Ergebnisse ja herzlich egal sein. Deine Auslieferung nächsten Monat steht bereits fest und wird auch nicht nach vorne verschoben. Es ist dementsprechend egal, wie viele Punkte du weiterhin erzielst. Allerdings...“ Isabella tippte sich mit dem Zeigefinger leicht gegen ihre schmalen Lippen, als müsse sie sich etwas gut überlegen.
„Allerdings trifft diese Annahme in deinem Fall nicht zu. Du bist das erste voll ausgereifte Produkt dieser Farm seit Langem. Ein ganz besonders edles Stück Fleisch, das ausschließlich für die Ranghöchsten dieser Herrschaften bestimmt ist. So wertvoll hast du dich gemacht mit deinem bisherigen Fleiß. Nun jedoch...“ Isabellas Hand schob Rays Dokument vom Stapel, ebenso weitere, die darunter lagen, bis sie bei einem ganz bestimmten angelangt war.
„Ich habe persönlich versichert, im Januar einen Full Scorer auszuliefern. Du wirst also wissen, dass du mich in ziemliche Schwierigkeiten mit deinem Starrsinn bringst, Ray.“
Ein Glucksen. Ein leises, zynisches Glucksen erntete sie für ihre Worte, und eine grinsende Grimasse blitzte zwischen seinem dichten Haarschopf hervor.
„Oh, das tut mir aber leid“, zischte er höhnisch und sah sie das erste Mal seit langer Zeit wieder wirklich an. Trotz seines freudlosen Lachens waren seine Augen kalt und leer, die Schatten unter ihnen hervorstechender als jemals zuvor. Ein Bild des Jammers und in keinster Weise appetitlich, selbst wenn man seine abfallenden Leistungen zu ignorieren wusste.
„Es tut mir wirklich unheimlich leid, den werten Herrschaften das Festessen zu verderben. Wie überaus unhöflich von mir.“ Den letzten Teil seiner vor Hohn triefenden Entschuldigung spie er geradezu aus und stieß sich von der Wand ab, an der er bis eben gelehnt hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde schien er zwiegespalten zu sein, zu ihr zu gehen; schließlich drehte er sich aber zur Tür um. Für ihn war die Unterhaltung beendet.
Für Isabella hingegen noch lange nicht.
„Ja, ich bedaure es ebenso. Glücklicherweise ist mir bereits eine passende Lösung eingefallen.“
Rays Hand erstarrte über der Türklinke ob der zuckersüßen Falschheit in der Stimme seiner Mutter. Er ließ sie sinken, ballte die Finger, doch wagte es nicht, sich zu dem Monster in seinem Rücken umzudrehen.
„Da deine Ergebnisse derartig zu wünschen übrig lassen, werde ich eben ein weiteres Kind an deiner Seite ausliefern lassen.“
„Was?!“ Ray wirbelte herum, und das Entsetzen zog tiefe Furchen in sein schmales Gesicht.
„Fantastisch, nicht wahr? So werde ich auf jeden Fall ein Produkt mit 300 erreichten Punkten anbieten können. Selbst, wenn es aus zwei Kindern bestehen würde.“
„Wag es ja nicht-“
„Wen soll ich wohl noch auswählen?“, fiel sie ihm gespielt erheitert ins Wort und nahm die Dokumente der vergangenen Testergebnisse zur Hand, ein Blatt hinter das andere schiebend.
„Vielleicht ja Thoma oder Lannion? Ihr Score hat sich in letzter Zeit beträchtlich gesteigert… womöglich ja auch Jemima, hmm? Die Kleine hat dich wirklich sehr gern, weißt du? Ihr würdet zusammen bezaubernd aussehen in euren neuen Anzügen.“
„Hör auf-!“
„Oder aber… oh ja.“ Isabella zog ihr bevorzugtes Blatt hervor und studierte es schmunzelnd. Mit jedem vergehendem Herzschlag reifte in Ray mehr und mehr die Agonie heran; so vollumfänglich kannte sie ihn, dies zu erkennen, ohne auch nur einen einzigen Blick auf ihn zu verschwenden.
„Mein Favorit wäre allerdings Phil.“
Schweigen. Dann, ein Schnappen nach Luft und schnelle Schritte in ihre Richtung. Isabellas Augen fanden ihr Spiegelbild, von Hass und Unglauben verzerrt. Ob sie ebenso ausgesehen hatte, als sie sich vor dem Tode wiederfand?
„Das geht nicht! Das kannst du nicht machen!“, rief Ray, die Stimme heiser von der langen Zeit des Schweigens, an der Schwelle des Zerbrechens. Er hatte die Hände zu Fäusten erhoben, wohl nur unwillkürlich. Sollte er doch versuchen, zuzuschlagen. Ein verstauchtes Handgelenk, ein gebrochener Finger mehr oder weniger würde nun auch nichts ändern.
„Du kannst nicht-“
„Ich kann nicht? So, wie ich nicht eine der wertvollsten Waren dieser Farm verkrüppeln konnte? Wie ich nicht meine treue rechte Hand aus einer Laune heraus zum Tode verurteilte?“ Isabella beugte sich nach vorne, auf Augenhöhe mit Ray, und strich zärtlich eine Haarsträhne hinter sein linkes Ohr.
„Ach Ray, mein dummer, kleiner Ray. Ich habe das großartigste Produkt, das jemals in dieser Welt gezüchtet worden ist, vorzeitig auf die Schlachtbank geführt. Sag mir also nicht, was ich tun kann oder nicht, Ray.“
Für einen Moment lang sahen sie einander nur an, Zuchtleiterin und Fleischmensch, nicht mehr, nicht weniger. Als er schließlich ihre Hand fortschlug ließ Isabella es kichernd geschehen, denn ihr entging keineswegs das Zittern, das ihn gepackt hatte. Ob aus Angst oder Zorn oder gar Abscheu ließ sich nicht ästimieren, und sie wollte es auch gar nicht. Allein, dass sie diese Gefühle in ihm zu wecken vermochte, verschaffte ihr bereits Befriedigung.
„Er ist zu jung“, erwiderte der Junge, beherrschter als zuvor, „er ist erst vier Jahre alt.“
„Nichtsdestotrotz sprechen seine Leistungen für sich. Phil hätte auf jeden Fall das Potenzial, zum nächsten Full Scorer heranzureifen… und damit die Chance, zwölf Jahre alt zu werden. Wenigstens das. Es liegt also ganz bei dir“, Isabellas katzenhafte Augen verengten sich, „ob du Phil die Möglichkeit, so lange wie nur irgend möglich zu leben verwehren willst, die dir selbst inne war.“
Ray sagte nichts dazu. Er sah sie nicht einmal mehr an, wie er abermals den Kopf senkte, die Schultern bebend, die Hände, noch immer zur Faust geformt, zitternd. Auf dem Absatz drehte er sich um und verließ das Zimmer. Selbst, um die Tür ins Schloss zu knallen, fehlte ihm jegliche Kraft.
Er war geschlagen. Wie so oft hatte sie über ihr geliebtes Kind triumphiert.
Wie nicht anders zu erwarten.
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Isabella überflog rasch die heutigen Punktzahlen ihrer Kinder.
„Bravo, wieder einmal ein Full Score, Emma… und Ray.“
Und Isabella lächelte.
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A/N: Versteht mich nicht falsch, ich liebe Isabella und ihren ambivalenten Charakter. Trotzdem hat es echt Spaß gemacht, sie einmal richtig fies darzustellen, denn so sehr ich Ray auch vergöttere, es liegt mir einfach, ihn leiden zu lassen.
Keine Ahnung, ob Isabella tatsächlich ein Kind vor seinem sechsten Geburtstag hätte ausliefern lassen dürfen (es war sowieso mehr leere Drohung als alles andere), aber Krone und Norman hat sie ja auch locker beiseite geschafft. Was zählt da schon ein kleiner Sonnenschein wie Phil?