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Zwischen den Welten

von Funnygana
Kurzbeschreibung
GeschichteFamilie, Freundschaft / P12 / Gen
Nitsas-Ini OC (Own Character) Old Shatterhand Schi-So Winnetou
09.11.2021
24.11.2022
60
88.679
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24.11.2022 4.077
 
1899

Ich bin zutiefst berührt. Mein Vater hat mich gebeten, seine Geschichte aufzuschreiben.

Seit Papa ganz erblindete, bewegt er sich nur noch wenig von seinem Hogan weg. Er geht weiterhin, manchmal in Begleitung von Mama,  am Morgen schwimmen, die beiden reiten täglich noch aus und natürlich nimmt er an den Zusammenkünften des Ältestenrates teil. Doch den meisten Teil des Tages sitzt er vor seiner Hütte, lässt sich von Mama erzählen, was im Dorf geschieht oder er empfängt Besuch. Er sieht noch weiser, noch stolzer aus als früher. Er hat immer noch die traditionellen langen Haare, trägt weiterhin Lendenschurz und Leggins, und nur im Winter zieht er unter seiner Weste ein Hemd an.

Ich hatte Mama meine Tagebücher überlassen, aus denen sie Papa vorlesen wollte. Ab und zu setzte auch ich mich zu den beiden und lauschte Mamas Stimme. Es war ein sonderbares Gefühl, die eigenen Gedanken und Erlebnisse so vorgelesen zu bekommen.
Zufällig war ich auch dabei, als sie von meinen ersten Erlebnissen in Deutschland vorlas und dabei auf den Begriff Spießrutenlauf traf. Mit einem Seitenblick schaute Mama zu Papa, der plötzlich anfing zu schmunzeln. Sie kuschelte sich an ihn und fragte: „Geliebter, willst du mir nun endlich die Geschichte dazu erzählen?“

Ich ließ die beiden dann allein. Die Geschichte fand vor fast fünfzig Jahren statt und bis heute hatte Papa das Geheimnis darüber bewahrt. Doch jetzt musste er sie wohl erzählen. Es tut mir immer wieder gut, wenn ich meine Eltern beobachte. Man spürt, dass sie sich noch genauso lieben wie am ersten Tag ihrer Beziehung.

Tage später rief Papa mich zu sich. Wir rauchten erst einmal zusammen das Kalumet und nach einer langen Zeit des Schweigens bat er mich, sein Leben in Worte zu fassen. Er hatte sich überlegt, dass es nicht reicht, die Geschichte der Diné, so wie er sie erlebt hat, nur mündlich zu überliefern. Die Weißen werden sie nicht hören wollen. Doch was geschrieben steht, wird nicht so leicht vergessen.

„Geschichte wird von Siegern geschrieben, niemand hört sich an, was der Verlierer erlebt hat.“
Und darum traf ich mich täglich mit ihm, und er berichtete mir von seinem Leben. Vieles hatte ich noch nie gehört und war erschüttert von seinem Leidensweg.
Papa bat mich, die Namen der Verstorbenen, gemäß der Tradition der Diné, nicht zu erwähnen, doch dies ist unmöglich. Wir einigten uns darauf, dass ich die deutsche Übersetzung verwende. Ich bin kein Schriftsteller, doch ich werde mein Bestes geben. Vielleicht kann unser Freund Karl May mir später dabei helfen, die Erzählung in die richtige Form zu bringen.

***
Es herrschte schon lange ein erbitterter Krieg zwischen den Diné und den Spaniern. Hatten die Diné bis vor ein paar Jahren noch die Spanier überfallen, beraubt und versklavt, schlugen diese jetzt zurück. Sie jagten nun ihrerseits die Indianer, um sie in den Silberbergwerken unter grausamen Umständen arbeiten zu lassen.

Um den jungen Häuptling Schwarzer Pfeil sammelten sich die Diné, um zu einem letzten Schlag gegen die Spanier auszuholen. Während immer wieder blutige Kämpfe stattfanden, zog sich die hochschwangere Rehkitz, Frau des Häuptlings Schwarzer Pfeil, mit ihren drei Kindern in die Berge zurück. Sie fanden eine kleine Höhle inmitten von kargem Felsgestein am Rande eines Canyons  und richteten sich diese her, so gut es ging. Rehkitz ältester Sohn Hut (zu diesem Namen kam er, weil er als Kind einen Sombrero ohne Krempe fand und diesen stets getragen hatte) versorgte die kleine Familie mit Nahrung und Wasser. Er zog mit seinen knapp neun Jahren mit dem Bogen los, schoss Kaninchen und anderes Kleinwild und begab sich täglich in die Schluchten des Canyons, um die Familie mit Wasser zu versorgen. Manchmal wurde er von seiner jüngeren Schwester Wolke begleitet, die mit ihren sieben Jahren schon in der Lage war, einen der Wasserschläuche zu tragen. Doch der Abstieg zum Fluss war oft gefährlich, die Spanier durchkämmten immer wieder das Gebiet auf der Suche nach eben solch kleinen Familien, die schutzlos in den Felsen wohnten.

Es war am Abend eines Frühlingstages im Jahr 1819, als sich Hut und Wolke zusammen auf den Grund des Canyon wagten. Die Niederkunft der Mutter stand kurz bevor und die Kinder wollten noch einmal ihren Wasservorrat erneuern. Doch am Flussufer, gerade an der Stelle, wo der einzige Zugang zu dem Gewässer lag, rasteten einige Spanier und die Kinder liefen meilenweit, um eine andere, begehbare Stelle zu finden. Tiefe, vom Wasser glattgeschliffene Felswände verhinderten den Zugang zum Fluss. Erst gegen Morgengrauen fanden sie einen Ort, an dem sie zwar mühevoll, aber ungefährdet zum Wasser gelangen konnten. Sie füllten ihre Schläuche und begaben sich auf den Weg zurück zu ihrer Felsenhöhle. Obwohl beide völlig erschöpft waren, gönnten sie sich nur wenige kleine Pausen, benötigte die Mutter doch dringend das kühle Nass. Sie schlugen einen Umweg ein, um nicht von den Spaniern entdeckt zu werden, und gelangten am späten Abend wieder in ihre Felsenhöhle.

Rehkitz hatte mittlerweile mit Hilfe ihrer jüngsten Tochter Feuerschein einen kleinen Jungen geboren. Als Hut und Wolke ihre Höhle betraten, fanden sie die drei schlafend vor. Hut weckte die Mutter, die erleichtert und dankbar das ihr gereichte Wasser trank.
„Wir haben ein neues Familienmitglied“, sagte die Mutter und zeigte ihren Kindern stolz den Jungen, den sie bis dahin unter ihrem Hemd verborgen hatte.
„Einen Bruder, und ihr dürft ihm den ersten Namen geben.“
Wolke und Hut schauten sich glücklich an, einigten sich schnell auf den Namen Haarlos, denn der Knabe hatte kein einziges Haar auf seinem runden Kopf.
Nun wurde auch Feuerschein geweckt und die Familie verzehrte zusammen die letzten rohen Reste eines Kaninchens. Ein Feuer wagten sie nicht zu entzünden, da sie nicht die Aufmerksamkeit der Spanier auf sich lenken wollten.
Anschließend kuschelten sich alle unter die einzige Decke, die ihnen geblieben war, und schliefen sehr schnell ein.

Am Tag darauf begab sich Hut auf Kundschaft. Er musste herausfinden, ob die Spanier noch am Wasser lagerten oder weitergezogen waren. Er brachte keine guten Nachrichten nach Hause. Die Feinde schienen einen längeren Aufenthalt geplant zu haben, denn sie hatten aus Gras und Holz einige Hütten errichtet.

Hut hatte auf seinem Streifzug wieder ein Kaninchen erlegen können. Und wieder wurde das Tier roh verzehrt. Während der Junge an den Knochen knabberte, hörte er draußen ein Geräusch. Zwei der Spanier näherten sich ihrem Unterschlupf und sprachen dabei mit lauter Stimme. Geschickt verbarg er nun mit Hilfe seiner Schwester den Eingang der Felshöhle mit einigen Zweigen und verkroch sich mit seinen Geschwistern und Rehkitz an die hintere Wand. Rehkitz legte Haarlos an ihre Brust, damit der Junge trinken konnte und nicht plötzlich anfing, zu schreien.
Die Familie hatte Glück, die Spanier entdeckten ihren Zufluchtsort nicht, sondern gingen ahnungslos an diesem vorbei.

Eine Woche lagerten die Feinde am Wasser, bis sie weiterzogen. In der Zeit ernährten sich die Diné von rohem Fleisch und dem wenigen Wasser, welches noch in den Wasserschläuchen verblieben war.
Sobald die Gegner das Lager aufgegeben hatten, verfolgte Hut ihre Spuren. Er wollte ganz sicher sein, dass diese wirklich weiterzogen. Wolke holte unterdessen Wasser.

Sie war gerade dabei, den Schlauch zu füllen, als sie hinter sich ein Geräusch vernahm. Augenblicklich ließ sie sich fallen und verlor dabei den Wasserschlauch, der nun flussabwärts trieb. Noch einmal raschelte es leise und das Mädchen presste sich, soweit es ihr möglich war, in die Uferböschung. Plötzlich spürte sie eine starke Hand in ihrem Nacken. Sie kniff die Augen zusammen und wartete auf den tödlichen Schlag. Doch dann fühlte sie sich hochgehoben und eine Stimme flüsterte: „Wolke, mein Kind, hab keine Angst, der Schwarze Pfeil ist zurück.“
Als das Indianermädchen langsam die Augen öffnete, schaute sie wirklich in die braunen Augen des Vaters und schmiegte sich erleichtert an ihn.

Der schwarze Pfeil hatte gute Nachrichten. Viele Familien der Diné hatten sich zusammengefunden und waren dabei, ein Dorf aufzubauen. Er sammelte seine kleine Familie um sich und zog mit ihnen in die fruchtbaren Berge jenseits des Chelly Canyons.

Ein paar Jahre lebte der Schwarze Pfeil dort mit seiner Familie in Frieden. Hut bekam einen neuen Namen, er durfte sich nun Beschützer nennen. Auch Haarlos, der mittlerweile einen prächtigen Haarschopf trug, wurde nur noch Vorwitz gerufen, da er überall herumkroch und über alles im Dorf Bescheid wusste.

Die neue Siedlung der Diné lag in einer fruchtbaren Gegend. Und doch fehlten den Bewohnern die nötigen Mittel, um sich ernähren zu können. Man hatte zwar eine Pfirsichplantage angelegt, kleine Ziegen und Schafherden und auch einige Pferde, doch es reichte bei weitem nicht, um alle Menschen zu ernähren. Darum hatte der Schwarze Pfeil beschlossen, kleine Ansiedlungen der Weißen zu überfallen, um deren Herden zu erbeuten. Immer wieder zogen Gruppen von Kriegern und Jungkriegern los, erbeuteten Pferde und Vieh, verschonten aber die Bewohner.

Besonders die Kinder wurden darauf trainiert, Viehherden zu erbeuten, denn sie waren unauffällig, wendig und schnell.

Vorwitz wuchs heran, wurde ein hervorragender Reiter und er war gerade einmal sieben Jahre, als er dazu ausersehen wurde, einen Raubzug gegen eine Ansiedlung in der Nähe zu begleiten. Zu Fuß begaben sich die Knaben in den kleinen Ort. Sie suchten die Einfriedung auf, in der die Pferde der Bewohner standen, und machten sich bereit, diese zu stehlen. Die Jungkrieger wussten genau, was sie tun wollten. Sie suchten sich die Tiere aus, die sie mitnehmen wollten, schwangen sich auf deren Rücken und einer von ihnen öffnete das Tor.

Und dann brach die Hölle los. Die Bewohner der Siedlung hatten die Diné erwartet, schossen auf die Reiter und verhinderten so den Raub ihrer Tiere. Einzig Vorwitz überlebte und schaffte es, zurück in sein Dorf zu entkommen. In diesem Augenblick war seine Kindheit vorbei.

Vorwitz wurde zum Jungkrieger ernannt und trug ab diesen Zeitpunkt den Namen Blitzreiter. Schwarzem Pfeil, dem weitsichtigen Häuptling, war klar, dass er allein mit seinen Diné der Einwanderer nicht Herr werden konnte. Er verbündete sich mit einer Gruppe Jicarilla-Apachen und versprach dessen Häuptling, dass sein Sohn Blitzreiter die Tochter desselben zur Frau erhalten würde. Mit den Jicarillas zusammen waren die Diné erfolgreich. Sie wehrten jeden Feind, jeden Treck und jede Gruppe von Einwanderern ab, niemand wollte mehr im Gebiet im Norden Arizonas und New Mexicos siedeln.

Blitzreiter wurde älter und ein gefürchteter Krieger. Er zählte siebzehn Winter, als er in das Dorf der Jicarillas zog, um sich mit der Häuptlingstochter zu verbinden.
Blitzreiter und Goldene Blüte zogen zusammen in das Zelt des Häuptlings und schon bald war Goldene Blüte guter Hoffnung. Blitzreiter zog mit den Kriegern der Jicarillas aus, um den Büffel zu jagen. Nach einer erfolgreichen Jagd kehrten die Krieger nach Wochen zurück und fanden ihr Lager völlig zerstört vor. Weiße hatten ihr Dorf überfallen und alle Männer, Frauen und Kinder getötet. Auch Goldene Blüte, die das Kind Blitzreiters unter dem Herzen trug, war unter den Toten, durch Wildfraß fast zur Unkenntlichkeit entstellt. Den verbliebenen Jicarillas war klar, sie konnten sich der Übermacht der Bleichgesichter nicht erwehren und flüchteten sich in die Berge. Blitzreiter aber kehrte in seine Heimat zurück.

Trauer und Schuldgefühle hinderte Blitzreiter daran, eine Kriegerprüfung abzulegen, doch im nächsten Sommer hatte er wieder zu sich selbst gefunden.

Schwarzer Pfeil, sein Vater und Häuptling der Diné, sandte ihn und einige andere Krieger in die Berge. Dort war eine Herde mit Mustangs gesichtet worden. Blitzreiter machte seinen Namen alle Ehre, mit seinem wendigen Pferd und dem geschickten Einsetzen des Lassos war es ihm vergönnt, mehrere Ponys einzufangen. Auch seine Kameraden hatten Glück, sodass die Krieger mit vielen Mustangs zurück zum Dorf reiten wollten.

Falke, der beste Freund Blitzreiters, entdeckte den Trupp Nijoras zuerst. Mit einer vielfachen Übermacht griffen diese die Diné an. Der Häuptlingssohn erkannte schnell, dass sie den Feinden nichts entgegenzusetzen hatten. Er befahl den Rückzug. Die Krieger ließen die erbeuteten Mustangs frei und flüchteten in die Berge. Falke und Blitzreiter versuchten, den Rückzug der Diné zu decken und griffen die Nijoras trotz der Übermacht an. Mehrere Pfeile trafen die Freunde, bevor auch sie die Flucht ergriffen.
Die beiden Krieger schafften es, ungesehen bis zu dem Tal zu reiten, in dem sie ihre Kameraden wiedertreffen wollten. Sie mussten feststellen, dass sie zwei ihrer Krieger an die Nijoras verloren hatten, und auch Falke war so schwer verletzt, dass er nicht mehr in der Lage war, den Rückzug anzutreten. Er starb in den Armen Blitzreiters.

Es war ein trauriger Zug, der in das Dorf der Diné zurückkehrte. Drei Krieger waren gefallen und wieder gab Blitzreiter sich selbst die Schuld. Als sein Vater ihm vorschlug, die Kriegerprüfung abzulegen und die Häuptlingswürde zu erlangen, lehnte er ab.
Um seinen Freund zu ehren, verpflichtete er sich, dessen Familie zu versorgen und zog in deren Hogan ein. Er verband sich mit der Witwe Falkes, die bald darauf ein neues Leben unter ihrem Herzen trug. Blitzreiter ließ seine Squaw nicht aus den Augen. Nicht noch einmal sollten Feinde ihm Frau und Kind nehmen.
Doch seine Mühen sollten erfolglos bleiben. Während der Niederkunft, die unendlich lange dauerte, verstarb das gemeinsame Kind noch im Mutterleib. Trotz aller Bemühungen des Medizinmannes überlebte auch die Squaw die Geburt nicht, und Blitzreiter zog zurück in den Hogan seiner Familie. Erneut fühlte er sich verantwortlich für den Tod zweier Leben.

Zur gleichen Zeit bauten die Soldaten in dem Gebiet der Diné ein Fort auf. Sie hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die Indianer in der Umgebung zu vertreiben oder diese zu fangen und in ein Reservat zu verbringen. Blitzreiter aber wollte sein Volk vor den Weißen schützen und führte gegen den Willen seines Vaters mit gleichgesinnten Kriegern immer wieder Angriffe gegen die Soldaten aus.
Selbst den Friedensvertrag von Bear Springs ignorierte Blitzreiter, griff mit seinen Anhängern weiterhin alle Weißen an, die ihren Weg kreuzten, stahl deren Vieh und erbeutete die Pferde der Angegriffenen. Trotz alledem achteten die Krieger um Blitzreiter darauf, keine Menschen zu töten, wussten sie doch, dass die Bleichgesichter solche Taten an ihren friedlichen Stammesgenossen auslassen würden.

Dann begann die Armee um Colonel John Washington, das Gebiet der Diné zu infiltrieren. Mit 1000  Infanteristen und vier Artilleriegeschützen zog der Colonel durch New Mexiko und Arizona, plünderten deren Maisfelder mit dem Argument, er brauche Nahrung für die Soldaten und deren Pferde.
Immer wieder griff Blitzreiter die Truppe um Washington an, doch die Übermacht der Soldaten war zu groß, als dass er etwas erreichen konnte. Schließlich machte der Colonel den Indianern ein Friedensangebot. Er bat alle Diné, ihn am Chelly-Fluss zu treffen, um ein Bündnis mit ihnen einzugehen.

Auch der Schwarze Pfeil schloss sich den Häuptlingen an und sie handelten einen Vertrag aus, mit dem sich beide Parteien zufrieden gaben. Doch dann brach ein Streit um ein Pferd aus. Einer der Soldaten behauptete, sein Ross unter den Tieren der Diné zu erkennen und forderte dieses zurück. Colonel Washington schloss sich seiner Meinung an, doch die Indianer sahen sich betrogen und ergriffen die Flucht. Der Colonel gab seinen Soldaten den Schießbefehl und diese töteten sieben der flüchtenden Indianer, unter ihnen den Häuptling Narbona, der anschließend von einem der Soldaten skalpiert wurde.

Daraufhin gab es immer wieder Scharmützel zwischen den Diné und den Soldaten. Die Krieger um Blitzreiter schlossen sich mit ihren Stammesgenossen zusammen und gemeinsam griffen sie das Fort Defiance an. Das erzürnte die Soldaten so sehr, dass diese gnadenlos zurückschlugen. Sie zerstörten erneut die Felder, Plantagen und Hogans, töteten das Vieh und entzogen so den Diné ihre Lebensgrundlagen. Die Indianer zogen sich in den Canyon de Chelly zurück. Dort wähnten sie sich sicher, konnten sie doch die zwei einzigen Eingänge desselben gut verteidigen.
Colonel Washington war mittlerweile von Kid Carson abgelöst worden, der sich vorgenommen hatte, die Diné zusammenzutreiben und zu vernichten.

Die Soldaten besetzten nun ihrerseits die Eingänge des Canyon de Chelly und den Diné fiel es immer schwerer sich zu ernähren. Blitzreiter war mittlerweile wieder zu seiner Familie zurückgekehrt. Doch der Rebell gab sich mit der Situation nicht zufrieden. Immer wieder zog er los, um die Soldaten anzugreifen. Doch irgendwann hatte er keine Pfeile mehr in seinem Köcher und beschloss deshalb, die Angriffe zu beenden, um seine Familie zu unterstützen.

Er suchte diese in der Felsspalte auf, in der sich der Schwarze Pfeil mit seiner Frau Rehkitz und den Kindern Beschützer, Feuerschein und Wolke mit deren Mann zurückgezogen hatte. Der Schwarze Pfeil, sein Sohn und auch der Schwiegersohn  waren ausgezogen, um Wurzeln und andere Nahrungsmittel für die Familie zu suchen. Blitzreiter kam gerade dazu, als seine Mutter zusammen mit Feuerschein auf den Grund des Canyons schlich, um Wasser zu schöpfen. Tatenlos musste er mit ansehen, wie Mutter und Schwester von den Soldaten aufgestöbert und getötet wurden.

Sein Zorn steigerte sich ins Unermessliche und in seiner Verzweiflung warf er Steine auf die Feinde. Diese wurden auf ihn aufmerksam und schossen nun ihrerseits auf den Diné, doch geschickt konnte er sich in den Felsen verbergen. Als die Männer der Familie mit ihrer kargen Beute zurückkehrten, fanden sie nur noch Wolke und Blitzreiter vor. Beide hielten sich fest umschlungen, bestrebt, sich gegenseitig Trost zu spenden.

Der Winter brach ein und Kälte, Hunger und Durst zwangen immer mehr Diné zur Aufgabe. Auch der Schwarze Pfeil befürwortete eine Kapitulation. Blitzreiter versuchte, ihn von diesem Entschluss abzubringen, doch er musste zugeben, dass seine Familie nicht mehr in der Lage war,  Widerstand zu leisten. Wolke trug ein neues Leben unter ihrem Herzen und ihr Mann wollte dieses nicht dem Hungertod preisgeben. Beschützer hatte sich eine Lungenkrankheit zugezogen, er hustete ständig und bekam kaum Luft.
Blitzreiter hatte die Wahl. Er konnte weiterkämpfen und sein Leben lassen oder die Familie begleiten und vielleicht Schlimmeres verhindern. Er wählte die zweite Option und ergab sich zusammen mit seiner Familie.

Kit Carson und seine Soldaten brachten die Indianer ins Fort Defiance. Dort wurden sie in Kleingruppen zu je fünfzig Leuten aufgeteilt, die im Laufe der nächsten Monate den langen Marsch nach Bosque Redondo, dem Reservat bei Fort Sumner im Staat New Mexico, antreten mussten.

Blitzreiter und seine Schwester Wolke befanden sich bei einer der ersten Gruppen. Zu Fuß begaben sich die Gefangenen, begleitet von berittenen Soldaten und einem Planwagen mit Lebensmitteln, auf die fast vierhundert Meilen lange Reise. Hintereinander, verbunden durch ein langes Seil, an welches sie gebunden wurden, liefen die Indianer stumpfsinnig vor sich hin. Blitzreiter hatte seinen Platz hinter der Schwester, die mittlerweile hochschwanger war. Er stützte sie, als sie nicht mehr weiter konnte und bat die Soldaten um Hilfe. Erleichtert sah er zu, wie Wolke vom Seil losgebunden wurde und sich setzen durfte.
Er selbst aber musste weiterlaufen, konnte nicht zur Schwester zurückblicken, die nun vor einem der Soldaten im Staub lag. Kurze Zeit später vernahm er einen Schuss – Blitzreiter sah seine Schwester nie wieder.

Hunger und Durst zermürbte die Indianer. Die Nächte verbrachten sie schutzlos auf dem harten und kalten Boden. Während der wenigen Pausen verrichteten sie ihre Notdurft direkt dort, wo sie stehen blieben.

Der Schwarze Pfeil und sein Sohn Beschützer machten sich mit ihrer Gruppe einige Tage später auf den Weg, der Mann Wolkes war in einer anderen Gruppe. Auch ihn sahen sie nie wieder.

Nicht alle Soldaten waren so brutal, wie der, der Wolke erschossen hatte. Es gab auch Reiter, die erschöpfte Kinder mit auf ihr Pferd nahmen, um ihnen Erleichterung zu verschaffen. Tausende von Diné und andere Stammesangehörige wurden so in ihr Reservat getrieben. Freund und Feind lief hintereinander her und aller Hass aufeinander wandelte sich in gemeinsamen Hass auf die Bleichgesichter, bis sie resignierten und keiner Emotionen mehr fähig waren.

Einige der Diné, unter ihnen auch Blitzreiter, versuchten die Hoffnung aufrechtzuerhalten. Immer wieder motivierten sie ihre Gruppe durchzuhalten. Sprachen von Flucht und dem Ziel, in ihr Land zurückzukehren.

Irgendwann erreichten sie ihren Bestimmungsort Bosque Redondo, das Internierungslager am Rio Pecos, der in dieser Gegend so kalkhaltig war, dass man sein Wasser kaum genießen konnte. Im Lager gab es nur noch wenige Bäume, nur mageres Strauchwerk diente den Diné und Apachen als Feuerholz. Die Soldaten hatten die Wälder, die ursprünglich in dem Gebiet wuchsen, abgeholzt, um aus dem Holz Fort Sumner zu bauen.

Blitzreiter traf nach einigem Suchen wieder auf Vater und Bruder. Gemeinsam hoben sie eine Erdhöhle aus, um sich darin niederzulassen. Beschützer war völlig abgezehrt und hustete stark. Und eines Morgens lag er tot auf seinem Lager. Der Schwarze Pfeil und Blitzreiter verschlossen die Höhle und suchten sich eine neue Bleibe.

Obwohl jeder der internierten Indianer um sein eigenes Überleben kämpfen musste, schlossen sich auch viele zusammen, um gemeinsam die Zeit im Lager zu überstehen.

Blitzreiter war nun bereit, zum vollwertigen Krieger zu werden. Er zog sich in die Einsamkeit zurück, kaute einige der Peyote-Früchte, die er von den Kakteen, die es im Reservat gab, geerntet hatte. Und in der kalten Nacht kam die Vision:

Er sah Feuer und Blitz, hörte die Schüsse der Kanonen, die über ihn hinwegzudonnern schienen. Immer wieder erlebte er die Schlachten, die er überstanden hatte. Es schallte in seinen Ohren, als sei er wieder mitten im Kampfgeschehen.
Mit dieser Vision im Herzen suchte er einen Schamanen auf, der in einem der wenigen Zelte hauste, die den Indianern verblieben waren. Als er das Zelt wieder verließ, war aus dem Jungkrieger Blitzreiter der Krieger Nitsas-Ini, der Große Donner, geworden. Er zählte nun vierundzwanzig Winter und hatte in der Zeit schon mehr erlebt, als manch anderer in seinem ganzen Leben.

Die Diné versuchten trotz aller Widrigkeiten, ihre Lebensweise, ihren Spiritismus, aufrechtzuerhalten. Obwohl die Soldaten besonders in der ersten Zeit ihres Aufenthalts versuchten, die Indianer zu amerikanisieren, ihnen geboten, nur englisch zu sprechen und zum christlichen Glauben zu konvertieren, schafften es die Diné, ihren Glauben, ihre Sprache und ihre Lebensweise zu erhalten.

Nach zwei Jahren wurde der neue Generalleutnant William Sherman Oberbefehlshaber des Heeres. Er erkannte die desolaten Zustände im Reservat und war bereit, mit den Oberhäuptern der Diné zu verhandeln. Er schloss als Vertreter der Vereinigten Staaten mit den Indianern einen Vertrag ab, der diesen die Rückkehr in ihr Stammland ermöglichte.

Nitsas-Ini, Schwarzer Pfeil und die anderen Häuptlinge riefen ihr Volk zusammen und machten sich mit diesen auf den Heimweg. Als sie das Fort Defiance erreichten, gab es kein Halten mehr für die Männer, Frauen und Kinder. Sie stürmten auf ihr wiedererlangtes Gebiet und sangen fröhlich das Lied, welches sie bei ihrem Rückweg immer wieder gesungen hatten:

Ich gehe in Freiheit,
ich gehe, ich gehe,
ich gehe in Schönheit.
Ich gehe, ich gehe,
ich gehe, Schönheit ist überall um mich herum.

Ihre Philosophie ermöglichte es den Diné, die Vergangenheit zu verarbeiten und einen Neuanfang zu wagen.
Schwarzer Pfeil sammelte seine Clanmitglieder und baute mit diesen ein neues Dorf am Wheatfield Lake auf. Nitsas-Ini war zu Hause angekommen.


***

Nachdem mein Vater mir seine Geschichte erzählt hatte, musste ich erst einmal tief durchatmen. Ich selbst war im Frieden geboren worden und hatte nur kleinere Scharmützel mit verfeindeten Stämmen erlebt. Für mich waren die Diné ein friedliebendes Volk und auch die Weißen, die ich kennen lernen durfte, erlebte ich nicht als Bedrohung. Allen voran mein bester Freund und Blutsbruder Adolf.

Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass mein Großvater andere Menschen grundlos überfallen hatte, um sie zu versklaven. Ich habe ihn stets liebevoll und geduldig erlebt.

Und Papa. Was musste er erleiden. Tatenlos zusehen zu müssen, wie Mutter und Schwester ermordet wurden, geht über meine Vorstellungskraft hinaus. Wie grausam doch die Menschen sein konnten. Soldaten, die Schwangere erschossen, die wehrlose Frauen einfach abknallten oder Menschen in Reservate steckten, um an deren Grundbesitz zu gelangen. Und all das im Namen des Christentums.

Bei seinem Bericht hatte ich des Öfteren Tränen in den Augen und ich war froh, dass er diese nicht sehen konnte.
Wie hatte er mit diesem Wissen weiterleben können, ohne alle Weißen zu hassen?

Vielleicht hat ihm und allen anderen die Lebensweisheit der Diné geholfen. Das Böse ausschwitzen, sich von dunklen Gedanken befreien und das Augenmerk auf das Schöne im Leben und die Zukunft richten.

Vielleicht bin ich ungerecht, vielleicht hat auch mein Vater bei seinen Angriffen Unschuldige getötet, vielleicht waren meine Vorfahren grausam und sadistisch – ich sollte nicht über das urteilen, was ich nicht selbst erlebt habe.
Und doch ist es wichtig, den Bericht von Augenzeugen festzuhalten.

Der Gewinner schreibt die Geschichte.

Ich habe es selbst erlebt, als ich in Sachsen zur Schule ging und die Vergangenheit der Deutschen erlernen musste. Es gab nur Berichte von Siegen, die Niederlagen wurden nicht erwähnt oder so dargestellt, als seien andere daran schuld.

Papa, ich werde deine Biografie bewahren und weitergeben. Sie darf nicht vergessen werden.

*********************************
Hier endet nun das Tagebuch von Schi-Sos.  Wie auch in meinen anderen Geschichten habe ich die Historischen Begebenheiten um 20 Jahre vorverlegt, damit sie nicht mit den Romanen Karl Mays kollidieren.

Ich danke euch treuen Lesern, die mich und Schi-So ein Jahr lang begleitet haben .
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