Viele Tage später

Ich muss den Bericht zu Ende schreiben.
Níyol ist wieder da, sie kam am Morgen zurück, ihr Haar war zerzaust und ihre Kleidung unordentlich. Ich hatte die ganze Nacht gewacht und wollte sie in den Arm nehmen, doch sie drückte sich an mir vorbei und verschwand im Innern des Hogans.
Was war nur passiert? Hatte ihr jemand Gewalt angetan?
Schon wollte ich hinter ihr her, als sie zusammen mit Anáá´ wieder hinaus kam.
Und dann sprach sie, und ihre Augen glänzten: „Papa, ich werde heiraten!“
Anáá´ meinte später, ich hätte ausgesehen wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Ich wollte es zuerst nicht glauben. Meine Kleine will heiraten? Ohne mir vorher den Bräutigam vorzustellen, der nach der Zeremonie erst einmal zu uns in den Hogan zog? Ohne einen Brautpreis ausgemacht zu haben?
Bevor ich mich äußern konnte, erzählte Níyol schon von ihren Plänen und als ich das Glitzern in ihren Augen sah, wusste ich, dass sie das Richtige tat.

Auf unserer Reise nach Flagstaff hatte sie einen jungen Mann kennen gelernt, der mit seiner Familie am Rande des Städtchens wohnte. Sein Vater ist ein Diné und seine Mutter eine Weiße. Er nennt sich Jádí, was Antilope bedeutet.
Jádí ist einige Jahre älter als Níyol und ein guter Jäger. Er wird unsere Familie bereichern.

1893

Jádí und Níyol sind so glücklich miteinander! Es ist eine Freude, sie in unserem Hogan zu haben. Meine große Tochter hat in ihrem Mann jemanden gefunden, der ihre überschäumenden Emotionen gut ertragen kann und ihr Ruhe und Sicherheit gibt. Hinzu kommt, dass mein Schwiegersohn tatsächlich ein guter Jäger ist. Er ist bei den Dorfbewohnern sehr beliebt und auch Mama und Papa finden ihn großartig. Nun warten wir darauf, dass neues Leben in unserer Tochter wächst und sie mit ihrem Mann einen eigenen Hausstand gründen kann. Mama meint, das wird schon, wir müssen Geduld haben. Nicht jede Frau wird sofort schwanger, die Natur wisse schon, warum.

Adolf ist schon mehrfacher Großvater und seine Enkel gehen auch in unserem Hogan ein und aus.
Das liebe ich so am Volk der Diné, die Kinder können sich frei bewegen und sind überall willkommen. Nicht wie in Deutschland, wo jede Familie darauf achtet, was ihre Kinder tun und wie sie vor anderen Leuten dastehen.
Hier hat jeder das Recht, einem Kind die Grenzen zu zeigen, die allerdings sehr weit gesteckt sind. Jeder, der am See weilt, hat ein Auge auf die kleineren Kinder, damit sie im Wasser nicht zu Schaden kommen. Und jeder gibt einem Kind etwas zu Essen, wenn es darum bittet.
Wir sind mehr als nur ein Dorf, wir sind eine Familie, auch wenn wir nicht alle aus dem gleichen Clan stammen.