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Zwischen den Welten

von Funnygana
Kurzbeschreibung
GeschichteFamilie, Freundschaft / P12 / Gen
Nitsas-Ini OC (Own Character) Old Shatterhand Schi-So Winnetou
09.11.2021
24.11.2022
60
88.679
9
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3 Reviews
 
07.11.2022 1.207
 
Winter 1891

Ich komme tatsächlich immer nur im Winter dazu, eine Zusammenfassung des Jahres zu schreiben. Ich sitze hier im Schulhogan am Schreibtisch, ein wärmendes Feuer brennt in der Mitte unter dem Rauchabzug und ein Becher mit dampfendem Tee steht vor mir.
Obwohl unser Leben geruhsam und in geordneten Bahnen verläuft, verbringe ich die Zeit nur ungerne an diesem Schreibtisch, um Ruhe zum Schreiben zu finden. Viel lieber sitze ich draußen und genieße den Sonnenschein auf meiner Haut.
Naaki hat sich entschlossen, einige Jahre in Deutschland zu verbringen. Ich habe schon mit Direktor Krieger Kontakt aufgenommen und er ist bereit, einen weiteren Diné in seinem Internat aufzunehmen. Wolfgang, Adolfs Bruder, und seine Frau Katrin freuen sich darauf, meinen Jungen in den Ferien zu betreuen. Sie haben zwar keine Kinder in seinem Alter, doch ich glaube, Naaki wird sich trotzdem im Forsthaus wohlfühlen.
Ob er dort so glücklich wird wie ich? Er hat nicht meinen Wissensdurst, vielleicht auch deswegen, weil wir ihm heute mehr bieten können als meine Eltern mir damals.
Hätte ich damals Adolf nicht getroffen, der noch heute wie ein Bruder für mich ist – mein Blutsbruder – ich weiß nicht, ob ich die Zeit in Deutschland so unbeschadet überstanden hätte.

Níyol hat den Sonnentanz der Mädchen bestanden. Drei Tage und drei Nächte hat sie durchgewacht und ist, wann immer ihr Körper es zuließ, mit den anderen gelaufen. Ich bin so stolz auf unsere Tochter, sie hat das wunderbar gemacht.
Sorgen machte mir nur das anschließende Fest, an dem die Mädchen, die nun Frauen sind, sich das erste Mal mit Jungen treffen dürfen. Natürlich beriet sich Níyol mit Anáá´, doch mir wäre es lieber gewesen, wenn sie auch mich zu Rate gezogen hätte. Ich möchte nicht, dass meine Tochter den falschen Krieger zum Mann wählt. Überhaupt finde ich, dass sie noch viel zu jung ist, um sich für ein Leben lang zu binden. Meine Kleine, die ich gestern noch auf den Armen trug, mein tapferes Mädchen, welches den Goldgräber besiegte, Níyol, der erste Beweis meiner Liebe zu Anáá´. Níyol wählte einen Jungen aus dem Bärenclan, doch nach dem Reigen zeigte sie keine weitere Interesse an ihm. Einige der Mädchen in ihrem Alter haben an dem Abend einen Partner gewählt, doch Níyol war sich nicht schlüssig.

Frühjahr 92

Naaki hat Adolf nach Deutschland begleitet. Er möchte dort, so wie ich, zur Schule gehen. Ich hoffe, er hat eine schöne Zeit dort und findet Freunde. Ich habe ihm ein paar Sitten der Deutschen erklärt, er muss nicht die gleichen Fehler machen wie ich. Die Deutschen möchten, dass man ihnen beim Reden in die Augen schaut, was bei den Diné als absolute Unverschämtheit gilt, wenn man nicht verheiratet ist. Und er soll beim Baden Kleidung tragen, so wie die anderen Jungen.

Herbst 92

Anáá´ ist nun in einem Alter, in dem die Frau aufhört, fruchtbar zu sein. Unser Medizinmann meint zwar, sie sei noch etwas zu jung dazu, doch ich glaube, Anáá´ hat mehr Ahnung von den Dingen, die eine Frau betrifft, als er. Wir werden trotzdem noch ein Jahr warten, bis wir uns wieder ohne Schutzhülle lieben. Erst dann können wir sicher sein, dass sie nicht noch einmal schwanger wird. Bei der Geburt von Aakʼee wäre meine Frau beinahe gestorben. Die Kinder brauchen ihre Mutter. Ich brauche meine Frau! Ich könnte auf vieles verzichten, doch nicht auf Anáá´. Sie ist so wundervoll.
In diesem Sommer haben wir viel mit den Kindern unternommen. Die Diné im Dorf wundern sich schon längst nicht mehr, wenn meine Familie Dinge tut, die keinem anderen je einfallen würde.

Anstatt dass wir unseren Kindern die Jagd oder Kampftechniken beibringen, besuchen wir mit ihnen die Städte der Bleichgesichter oder studieren die Natur. Jagen und kämpfen lernen die Zwillinge das ganze Jahr über, wenn sie mit ihren Freunden üben oder wenn einer der Jungkrieger mit ihnen trainiert. Die Mädchen können alle kochen, weben und was sonst noch die Aufgaben einer Frau sind. Sie alle haben lesen und schreiben gelernt und sprechen die englische und deutsche Sprache fehlerlos. Sie kennen die Mythen der Diné und wissen sich zu benehmen. (Die Kleinen können das natürlich noch nicht, aber sie lernen)

Meine Frau und ich legen Wert darauf, dass sie nicht nur arbeiten, sondern auch Spaß haben und uns als Familie sehen. Ich weiß, im Allgemeinen ist das anders. Jede Tante, jeder Onkel wird in der Regel Vater und Mutter genannt, jeder Cousin, jede Cousine ist auch gleichzeitig Bruder und Schwester. Dies hatte in der Vergangenheit auch seine Berechtigung. Denn brach ein Familienmitglied weg, wenn zum Beispiel die Mutter starb, war der Verlust für die Kinder nicht ganz so schlimm und sie waren weiterhin geborgen. Doch unser Clan ist noch jung, Papa hat keine Geschwister mehr und überhaupt keine Verwandten in seinem Alter. Alle noch Lebenden aus seinem Clan gehören der dritten oder vierten Generation an und fallen somit weg. Und Mama ist ja sowieso allein. Meine Schwester ist tot und andere Verwandte habe ich nur durch Adoption bekommen, wie Gah, die offiziell als meine Tante gilt, die ich aber nie Mutter genannt habe.

Aber ich wollte erzählen, was wir unternommen haben. Unsere Familie hat einen Ausflug zum heiligen Berg im Westen gemacht und dabei den kleinen Ort Flagstaff aufgesucht. Die ehemals von einigen deutschen Auswanderern gegründete Siedlung ist angewachsen und fast schon mit Gallup zu vergleichen. Wir waren dort sehr willkommen. Mama kannte einen der ersten Siedler und auch Papa ist in dem Ort bekannt.
Das Lava-Gebiet haben wir aber nicht aufgesucht. Papa ist dort einmal in eine Höhle gestürzt und das wollte ich auf keinen Fall.

Winter 92

Ich muss mir die Zeit zum Schreiben nehmen. Irgendetwas stimmt mit Níyol nicht. Sie zählt jetzt fast sechzehn Jahre und war zwar immer ein kleiner Wildfang aber trotzdem zuverlässig.
Doch seit geraumer Zeit ist etwas anders. Sie glaubt, ich bemerke es nicht, doch sie ist nicht mehr so wild und starrt oft untätig vor sich hin.

Anáá´ glaubt, sie ist verliebt, doch das glaube ich nicht. Ich habe sie genau beobachtet, keiner unserer Jungkrieger hat ihre besondere Aufmerksamkeit erregt. Niemand schlendert des Abends an unserem Hogan vorbei um unauffällig einen Blick auf sie zu werfen. Ich passe genau auf, denn sollte ein junger Mann sich meiner Tochter nähern, so werde ich ihn genau prüfen, ob er es Wert ist, sie zu heiraten.

Ich glaube eher, etwas bedrückt unsere Tochter. Ich habe mit ihr gesprochen, doch sie meinte, es sei alles gut. Auch mit Mama habe ich über Níyol gesprochen. Sie meint, ich solle Geduld haben. Der Tag wird kommen, an dem sich mir unsere Tochter öffnet.

Einige Tage später

Sie ist verschwunden, Níyol ist verschwunden! Am Abend war sie besonders traurig. Sie ging noch einmal hinunter zum See und Anáá´ und ich zogen uns in den Hogan zurück. Die anderen Kinder hatten sich schon etwas früher auf ihr Lager gelegt und es herrschte eine gemütliche Ruhe in unserer Hütte. Doch ich kam nicht zur Ruhe. Was war mit Níyol? Anáá´ meinte, ich solle mir keine Sorgen machen sondern unserer Tochter vertrauen, doch ich konnte keinen Schlaf finden. Nun sitze ich hier und schreibe diese Zeilen, nachdem ich das ganze Seeufer nach ihr abgesucht hatte.
Ich habe Angst um unsere Tochter. Sie war die letzten Tage noch verschlossener als vorher.
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