Zwischen den Welten
von Funnygana
Kurzbeschreibung
Dies ist das Tagebuch von Schi-So, dem Sohn von Nitsas-Ini und seiner weißen Frau Gidi. Es zeigt auf, wie aus einem kleinen Indianerjungen ein Mann wird.
GeschichteFamilie, Freundschaft / P12 / Gen
Nitsas-Ini
OC (Own Character)
Old Shatterhand
Schi-So
Winnetou
09.11.2021
24.11.2022
60
88.679
9
Alle Kapitel
201 Reviews
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Dieses Kapitel
4 Reviews
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14.05.2022
2.244
7. Juli ´69
Katharina sucht meine Nähe, ich spüre es. Und ich habe ein seltsames Gefühl in meiner Magengegend, als ob dort Schmetterlinge wohnen.
8. Juli ´69
In diesem Jahr helfen wir nicht auf den Wiesen und Feldern. Adolf und ich lernen für unsere Abschlussprüfung im September. Wir sitzen draußen in der Sonne und lesen in unseren Büchern. Wir stellen uns gegenseitig Fragen aus dem Lehrbuch. Manchmal kommt ein Familienmitglied vorbei und setzt sich dazu. Katharina kommt regelmäßig, bringt uns etwas zu trinken oder etwas Obst. Das lenkt mich von der Arbeit ab, ich kann mich dann nicht mehr konzentrieren. Adolf lacht.
9. Juli ´69
Ich habe mich gestern Abend noch lange mit Adolf über Katharina unterhalten. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich bin nicht mehr lange in Deutschland, darf ich sie trotzdem umwerben? Adolf sieht das entspannter. Er meint, wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ich fühle mich unschlüssig.
10. Juli ´69
Ich bin verwirrt. Ich muss meditieren.
11. Juli ´69
Was soll ich nur machen? Gestern Abend saßen Katharina und ich noch lange auf der Bank zusammen. Ich habe ihre Nähe genossen, obwohl sich unsere Körper nicht berührt haben. Wir haben einfach nur so da gesessen, ohne zu sprechen. Wie wir immer zusammen auf der Bank in Heimberg gesessen hatten, beim Erntedankfest.
13. Juli ´69
Katharina ist für ein paar Tage nach Hause gegangen. Ihre Mutter ist erkrankt und sie hilft Elisabeth bei der Pflege. Vielleicht ist es ganz gut so, wenn wir uns mal nicht sehen.
14. Juli ´69
Ich vermisse sie. Ich möchte nach Heimberg, sie besuchen. Doch Adolf meint, das sei jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Er hat Recht. Ich muss Geduld haben.
17. Juli ´69
Sie ist wieder da. Sofort bessert sich meine Laune, die in den letzten Tagen eher schlecht war.
19. Juli ´69
Ich schwebe wie auf Wolken. Gestern Abend saßen wir wieder zusammen auf der Bank. Und irgendwann habe ich mich getraut und nach ihrer Hand gegriffen. Sie hat es geschehen lassen. Sonst ist nichts passiert. Wir haben gemeinsam den Sonnenuntergang betrachtet, Hand in Hand. Irgendwann tauchte dann Adolf auf und sie ließ mich los, stand auf und ging in ihr Zimmer. Adolf grinst. Er grinst immer, wenn er mich mit Katharina sieht.
21. Juli ´69
Wir sitzen jetzt jeden Abend auf der Bank, halten unsere Hand und mittlerweile sprechen wir auch. Katharina fragt mich nach meinem Leben. Und ich erzähle ihr von unserem Dorf, von meinen Freunden, von meinen Aufgaben und auch vom Krieg unter den einzelnen Indianerstämmen.
22. Juli ´69
Sie ist still geworden. Nachdenklich. Ich wüsste gerne, woran sie denkt.
23. Juli ´69
Ich habe sie danach gefragt.
„Woran denkst du?“
„Ich überlege mir, ob ich mich bei euch wohlfühlen würde“, hat sie geantwortet. Mein Herz macht Sprünge. Ich lasse ihr Zeit. Bitte sie, mich alles zu fragen, was sie wissen möchte.
„Beschreibe mir euer Leben im Dorf, wie eure Hütten aussehen, wie der Tagesablauf ist, welche Menschen dort leben!“
Und ich erzähle. Stundenlang beschreibe ich ihr alles, was sie wissen möchte. Dabei fällt mir auf, wie anders unser Leben doch ist. Wir schlafen auf dem Boden, auf Fellen, die zwar wärmen, aber nicht weich sind. Adolf holt immer seine Matratze, wenn wir zusammen draußen schlafen. Er kann nicht auf dem Boden schlafen, es ist ihm zu hart und er hat Schmerzen am nächsten Tag. Wir kochen nur einfache Mahlzeiten, wir gehen nicht einkaufen, wir baden nicht in warmem Wasser und Seife nutzen wir auch nicht. Wir tragen wochenlang die gleiche Kleidung, wir feiern unsere Feste ganz anders und unser Lebensziel ist nicht der Reichtum an Geld oder Vieh, sondern Leben in – man kann es vielleicht mit Schönheit und Harmonie – übersetzen.
25. Juli ´69
Katharina hat Abstand von mir genommen. Sie muss nachdenken, sagt sie. Ich habe Geduld.
27. Juli ´69
Ich habe keine Geduld mehr. Ich lasse ihr Zeit, aber es quält mich.
2. August ´69
Die Ferien sind vorbei. Katharina habe ich nicht mehr gesprochen. Wie gewöhnlich ist sie das letzte Wochenende im Monat zu Hause in Heimberg.
7. August ´69
Ich bin wieder im Forsthaus. Katharina ist auch da. Vielleicht kann ich sie heute Abend sprechen.
Nachts
Wir haben zusammen auf der Bank gesessen. Nah beieinander. Sie hat ihren Kopf auf meine Schulter gelegt und ich habe ihre Hand genommen. Gesprochen haben wir nicht. Ich habe es genossen, so mit ihr zu sitzen.
8. August ´69
Adolf hat mit mir gesprochen. Er ist der Meinung, ich solle nicht zu sehr darauf hoffen, dass Katharina mit mir geht. Er begleitet mich auf jeden Fall. Er möchte in das Unternehmen von Onkel Martin einsteigen. Er hat kein Problem damit, seine Heimat zu verlassen. Er ist neugierig und er weiß, dass er jederzeit zurückkehren kann.
15. August ´69
Heute Morgen bekam ich Besuch. Frau Ebersbach war bei mir. Sie überlegt, nach Amerika auszuwandern und hat sich erkundigt, ob ich sie und ihre Freunde beraten und begleiten möchte. Natürlich habe ich sofort zugesagt. Vielleicht kommt Katharina mit, wenn noch mehr Menschen aus ihrer Heimat das Abenteuer wagen.
16. August ´69
In einer Woche beginnen unsere Prüfungen. Ich kann mich kaum konzentrieren.
18. August ´69
Ob ich zum Forsthaus laufen soll? Ich fühle mich so unwohl. Ich sitze hier in Tharandt und muss lernen, kann mich aber kaum konzentrieren, weil sich immer wieder Katharinas Angesicht vor mein inneres Auge schiebt.
19. August ´69
Ich bin natürlich nicht im Forsthaus gewesen. Die Fahrt ist viel zu lang, und ich kann doch nicht einfach so am späten Abend dort ankommen, um mit Katharina zu sprechen. Ich werde versuchen, sie für die nächsten zwei Wochen zu vergessen. Ich muss mich auf die Prüfungen vorbereiten. Adolf tut sein Bestes, um mir beizustehen. Er merkt, wie sehr ich leide.
21. August ´69
Das Wochenende verbringe ich in der Akademie. Am Montag beginnen die Prüfungen und Adolf und ich bereiten uns zum letzten Mal darauf vor.
25. August ´69
Prüfungen, nichts als Prüfungen! Wie haben einen schriftlichen, mündlichen und praktischen Teil zu bestehen. Der schriftliche Teil liegt fast hinter uns. Ich merke, dass mein Fachwissen enorm ist, kann jede Frage beantworten. Wir müssen zum einen bestimmte Fragen beantworten, zum anderen über vorgegebene Themen Aufsätze schreiben.
28. August ´69
Die schriftlichen Prüfungen liegen hinter uns. Auch zwei der fünf mündlichen Tests habe ich schon erfolgreich absolviert. Die Professoren fragen bestimmte Themen ab. Ich musste etwas zum Parasitenbefall der Nadelhölzer erzählen, zur Anpflanzung bestimmter Laubbäume und die Bewässerung exotischer Pflanzen. Ich grinse immer noch, denn viele der Exoten sind für mich heimische Bäume.
31. August ´69
Morgen beginnen die praktischen Aufgaben. Adolf hat ein gutes Gefühl. Er meint, bis jetzt habe er alle Fragen beantworten können. Das erfreut mich. Denn auch ich habe bis jetzt keinen wissentlichen Fehler begangen.
3. September ´69
Ich musste bis jetzt eine Fichte fällen und an verschiedenen Bäumen deren Aufbau erklären. Das war für mich wie ein Kinderspiel. Je länger die Prüfungen dauern, desto entspannter bin ich. Adolf ist anders, er ist jetzt noch jeden Morgen so aufgeregt, dass er mehrmals die Latrinen aufsuchen muss.
4. September ´69
Gestern gab es Zeugnisse. Ich habe in allen Fächern mit Sehr gut abgeschnitten. Auch Adolf hat nur Einsen. Unser Lernen hat sich ausgezahlt. Heute werden wir offiziell entlassen und es gibt einen Ball am Abend. Ich habe Katharina gefragt, ob sie mich begleitet und sie hat ja gesagt. Mein Herz ist voller Liebe für sie.
5. September ´69
Der Ball war wunderschön. Ich habe viel mit Katharina getanzt, die in ihrem Kleid wundervoll aussah. Ihre Haare hatte sie hochgesteckt. Sie sah einfach bezaubernd aus. Wir sind auch zusammen im Garten gewesen. Hand in Hand. Ich hätte sie so gern mehr berührt, doch ich habe mich nicht getraut. Bevor wir den Ballsaal wieder betreten haben, habe ich ihr eine Haarlocke aus dem Gesicht gestrichen. Sie zuckte zusammen. Mama hat gesagt, man solle den anderen respektieren. Ich glaube, Katharina wollte nicht, dass ich sie berühre. Dabei hätte ich sie am liebsten in den Arm genommen, mein Gesicht an ihrem gerieben, ihre Stirn, ihre Wangen mit den Lippen berührt. Es fiel mir unendlich schwer zu respektieren, dass sie das nicht wünscht.
Heute werden Adolf und ich die Akademie verlassen, um noch eine Woche im Forsthaus zu verbringen. Danach fahren wir, in Begleitung der Auswanderer von Heimberg, nach Amerika. Ich kann nur mit dem Kopf schütteln, was diese Menschen alles mitnehmen wollen. Bettzeug, Geschirr, Truhen mit Töpfen, Decken, Büchern und Wäsche .
Trotz meines Redens, so wenig Ballast wie möglich mitzunehmen, packen sie alles ein, was ihnen lieb und teuer ist. Und das ist sehr viel. Alles Sachen, die sie in Amerika nicht brauchen werden. Kantor Hampel möchte sogar sein Klavier mitnehmen. Doch Frau Ebersbach, die den Treck organisiert und auch bezahlt hat, ist nicht umzustimmen: Das Klavier bleibt hier!
Mit dem Zug geht es nach Hamburg, dann nach Bremerhaven. Vor dort haben wir schon eine Passage nach New York gebucht. Wir fahren nicht mehr mit einem Segelschiff. Die Schifffahrt hat enorme Fortschritte gemacht. Die meisten der Passagierschiffe sind zusätzlich mit einem Motor ausgestattet, der mit Dampf angetrieben wird, ähnlich einer Lokomotive. Mit einem anderen Schiff werden wir dann bis Guaymas in Mexiko segeln. Dort wollen die Auswanderer Planwagen, Pferde und Zugochsen kaufen und es geht nach Tucson, Arizona. Von dort aus werden wir nach Norden reisen.
Ich bereue, dass ich ihnen zugesagt habe, sie zu begleiten. Mit den Planwagen werden wir nur wenige Meilen am Tag zurücklegen können. Es wäre einfacher, wenn alle reiten könnten. Doch auf mich hört niemand. Sobald die Auswanderer ein Gebiet erreichen, welches sich für ihre Zwecke eignet, werden Adolf und ich sie verlassen, um das Diné Land aufzusuchen. Eine Reise von mehreren Wochen liegt vor uns, und das Ziel heißt: HEIMAT.
(Es wäre anders viel einfacher, aber laut KM reisen sie über Tucson, …)
6. September ´69
Nachts
Alle Hoffnung ist dahin.
7. September ´69
Ich habe mich zurückgezogen und alle lassen mich in Ruhe.
Der Abend gestern begann so vielversprechend. Ein wunderschöner, warmer Abend mit einem herrlichen Sonnenuntergang. Ich habe Katharina gebeten, mit mir hinauszugehen, den Abend zu genießen. Sie sah traurig aus, kam aber mit mir. Ich hatte schon ein ungutes Gefühl, irgendetwas stimmte nicht, aber ich konnte nicht erkennen, was es war.
Ich habe sie nicht zur Bank geführt. Zu viele Menschen konnten uns dort sehen. Etwas abseits vom Haus liegen ein paar Holzstämme, die eignen sich auch zum Sitzen. Damit Katharina sich mit ihrem sauberen Rock nicht auf die Stämme setzen muss, hatte ich meine Weste, die ich über meinem Hemd trug, ausgezogen und auf einen Stamm gelegt. Sie setzte sich auch darauf und ich hockte mich neben sie. Katharina schaute mich aus unendlich traurigen Augen an.
Ich habe all meinen Mut zusammengenommen, habe ihre Hände ergriffen und sie gefragt, ob sie meine Frau werden möchte.
„Schi-So, ich kann nicht“, hat sie geantwortet und Tränen liefen über ihre Wangen.
„Warum nicht? Habe ich etwas falsch gemacht?“
„Nein, es liegt nicht an dir, es liegt an mir. Ich kann nicht. Ich kann nicht mit nach Amerika gehen und ich kann nicht von dir verlangen, dass du hier in Deutschland bleibst.“
„Katharina, ich liebe dich. Und … wenn das deine Bedingung ist, dass ich hier bleibe, dann werde ich dies machen.“
Da hat sie unter den Tränen gelächelt.
„Ach, Schi-So, du wärest so unglücklich hier, das würde ich mir nie verzeihen! Du gehörst zu den Diné, du gehörst in euer Dorf. Selbst wenn du meinetwegen hier bliebest, würde ich dich nicht heiraten.“
„Katharina, du bist mein Leben, ich folge dir überall hin.“
„Nein. Irgendwann würdest du bereuen, dass du mir gefolgt bist und dann würdest du mich hassen. Wenn ich mit dir gehe, erginge es mir genauso. Ich würde mich irgendwann unwohl fühlen und dich dafür verantwortlich machen. Ich will dich nicht hassen und ich will nicht von dir gehasst werden.“
„Ich könnte dich niemals hassen!“
„Schi-So, ich sehe doch, wie sehr du dich nach Hause sehnst. Würdest du hier bei mir bleiben, dann wärest du traurig, und dann müsste ich mich selbst hassen, weil ich nicht in der Lage bin, dich glücklich zu machen.“
„Dann komm mit mir! Lerne mein Land und meine Leute kennen! Und dann entscheide!“
Jetzt weinte sie wieder. Ich habe sie in meine Arme gezogen und sie hat ihren Kopf an meine Brust gelegt. Wenn ich die Augen schließe, fühle ich die Wärme wieder, die sie ausstrahlte, und ich fühle, wie mein Hemd nass wurde von ihren Tränen.
„Schi-So, ich liebe dich und weil ich dies tue, muss ich dich gehen lassen. Verstehst du das nicht?“
Ich wollte nicht verstehen. Mein Verstand sagte mir, dass sie Recht hatte, doch mein Herz brach in dem Moment, als ich mir dies eingestand, entzwei.
Wir haben noch lange so dagesessen. Wir haben beide geweint.
Und ich weine jetzt schon wieder.
„Und wenn du mich liebst, Schi-So, dann lass mich gehen! Bitte!“ Sie sah mich flehentlich an.
Ich wollte antworten, doch meine Stimme brach. Dann nahm ich meine Hände von ihr, ließ sie gehen.
„Ich werde noch heute Nacht das Forsthaus verlassen. Im Oktober beginne ich eine Ausbildung zur Krankenschwester.“
„Soll ich dich….soll ich dich noch nach Hause bringen?“
„Nein, Adolf begleitet mich. Ich wünsche dir alles Gute auf deiner Reise nach Hause zu den Diné.“
Sie versuchte ein Lächeln, doch das misslang.
„Darf ich dir schreiben?“
„Ich werde mich bei dir melden.“
Und dann drehte sie sich um und ging.
KATHARINA, ich werde dich vermissen!!!!!
Katharina sucht meine Nähe, ich spüre es. Und ich habe ein seltsames Gefühl in meiner Magengegend, als ob dort Schmetterlinge wohnen.
8. Juli ´69
In diesem Jahr helfen wir nicht auf den Wiesen und Feldern. Adolf und ich lernen für unsere Abschlussprüfung im September. Wir sitzen draußen in der Sonne und lesen in unseren Büchern. Wir stellen uns gegenseitig Fragen aus dem Lehrbuch. Manchmal kommt ein Familienmitglied vorbei und setzt sich dazu. Katharina kommt regelmäßig, bringt uns etwas zu trinken oder etwas Obst. Das lenkt mich von der Arbeit ab, ich kann mich dann nicht mehr konzentrieren. Adolf lacht.
9. Juli ´69
Ich habe mich gestern Abend noch lange mit Adolf über Katharina unterhalten. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich bin nicht mehr lange in Deutschland, darf ich sie trotzdem umwerben? Adolf sieht das entspannter. Er meint, wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ich fühle mich unschlüssig.
10. Juli ´69
Ich bin verwirrt. Ich muss meditieren.
11. Juli ´69
Was soll ich nur machen? Gestern Abend saßen Katharina und ich noch lange auf der Bank zusammen. Ich habe ihre Nähe genossen, obwohl sich unsere Körper nicht berührt haben. Wir haben einfach nur so da gesessen, ohne zu sprechen. Wie wir immer zusammen auf der Bank in Heimberg gesessen hatten, beim Erntedankfest.
13. Juli ´69
Katharina ist für ein paar Tage nach Hause gegangen. Ihre Mutter ist erkrankt und sie hilft Elisabeth bei der Pflege. Vielleicht ist es ganz gut so, wenn wir uns mal nicht sehen.
14. Juli ´69
Ich vermisse sie. Ich möchte nach Heimberg, sie besuchen. Doch Adolf meint, das sei jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Er hat Recht. Ich muss Geduld haben.
17. Juli ´69
Sie ist wieder da. Sofort bessert sich meine Laune, die in den letzten Tagen eher schlecht war.
19. Juli ´69
Ich schwebe wie auf Wolken. Gestern Abend saßen wir wieder zusammen auf der Bank. Und irgendwann habe ich mich getraut und nach ihrer Hand gegriffen. Sie hat es geschehen lassen. Sonst ist nichts passiert. Wir haben gemeinsam den Sonnenuntergang betrachtet, Hand in Hand. Irgendwann tauchte dann Adolf auf und sie ließ mich los, stand auf und ging in ihr Zimmer. Adolf grinst. Er grinst immer, wenn er mich mit Katharina sieht.
21. Juli ´69
Wir sitzen jetzt jeden Abend auf der Bank, halten unsere Hand und mittlerweile sprechen wir auch. Katharina fragt mich nach meinem Leben. Und ich erzähle ihr von unserem Dorf, von meinen Freunden, von meinen Aufgaben und auch vom Krieg unter den einzelnen Indianerstämmen.
22. Juli ´69
Sie ist still geworden. Nachdenklich. Ich wüsste gerne, woran sie denkt.
23. Juli ´69
Ich habe sie danach gefragt.
„Woran denkst du?“
„Ich überlege mir, ob ich mich bei euch wohlfühlen würde“, hat sie geantwortet. Mein Herz macht Sprünge. Ich lasse ihr Zeit. Bitte sie, mich alles zu fragen, was sie wissen möchte.
„Beschreibe mir euer Leben im Dorf, wie eure Hütten aussehen, wie der Tagesablauf ist, welche Menschen dort leben!“
Und ich erzähle. Stundenlang beschreibe ich ihr alles, was sie wissen möchte. Dabei fällt mir auf, wie anders unser Leben doch ist. Wir schlafen auf dem Boden, auf Fellen, die zwar wärmen, aber nicht weich sind. Adolf holt immer seine Matratze, wenn wir zusammen draußen schlafen. Er kann nicht auf dem Boden schlafen, es ist ihm zu hart und er hat Schmerzen am nächsten Tag. Wir kochen nur einfache Mahlzeiten, wir gehen nicht einkaufen, wir baden nicht in warmem Wasser und Seife nutzen wir auch nicht. Wir tragen wochenlang die gleiche Kleidung, wir feiern unsere Feste ganz anders und unser Lebensziel ist nicht der Reichtum an Geld oder Vieh, sondern Leben in – man kann es vielleicht mit Schönheit und Harmonie – übersetzen.
25. Juli ´69
Katharina hat Abstand von mir genommen. Sie muss nachdenken, sagt sie. Ich habe Geduld.
27. Juli ´69
Ich habe keine Geduld mehr. Ich lasse ihr Zeit, aber es quält mich.
2. August ´69
Die Ferien sind vorbei. Katharina habe ich nicht mehr gesprochen. Wie gewöhnlich ist sie das letzte Wochenende im Monat zu Hause in Heimberg.
7. August ´69
Ich bin wieder im Forsthaus. Katharina ist auch da. Vielleicht kann ich sie heute Abend sprechen.
Nachts
Wir haben zusammen auf der Bank gesessen. Nah beieinander. Sie hat ihren Kopf auf meine Schulter gelegt und ich habe ihre Hand genommen. Gesprochen haben wir nicht. Ich habe es genossen, so mit ihr zu sitzen.
8. August ´69
Adolf hat mit mir gesprochen. Er ist der Meinung, ich solle nicht zu sehr darauf hoffen, dass Katharina mit mir geht. Er begleitet mich auf jeden Fall. Er möchte in das Unternehmen von Onkel Martin einsteigen. Er hat kein Problem damit, seine Heimat zu verlassen. Er ist neugierig und er weiß, dass er jederzeit zurückkehren kann.
15. August ´69
Heute Morgen bekam ich Besuch. Frau Ebersbach war bei mir. Sie überlegt, nach Amerika auszuwandern und hat sich erkundigt, ob ich sie und ihre Freunde beraten und begleiten möchte. Natürlich habe ich sofort zugesagt. Vielleicht kommt Katharina mit, wenn noch mehr Menschen aus ihrer Heimat das Abenteuer wagen.
16. August ´69
In einer Woche beginnen unsere Prüfungen. Ich kann mich kaum konzentrieren.
18. August ´69
Ob ich zum Forsthaus laufen soll? Ich fühle mich so unwohl. Ich sitze hier in Tharandt und muss lernen, kann mich aber kaum konzentrieren, weil sich immer wieder Katharinas Angesicht vor mein inneres Auge schiebt.
19. August ´69
Ich bin natürlich nicht im Forsthaus gewesen. Die Fahrt ist viel zu lang, und ich kann doch nicht einfach so am späten Abend dort ankommen, um mit Katharina zu sprechen. Ich werde versuchen, sie für die nächsten zwei Wochen zu vergessen. Ich muss mich auf die Prüfungen vorbereiten. Adolf tut sein Bestes, um mir beizustehen. Er merkt, wie sehr ich leide.
21. August ´69
Das Wochenende verbringe ich in der Akademie. Am Montag beginnen die Prüfungen und Adolf und ich bereiten uns zum letzten Mal darauf vor.
25. August ´69
Prüfungen, nichts als Prüfungen! Wie haben einen schriftlichen, mündlichen und praktischen Teil zu bestehen. Der schriftliche Teil liegt fast hinter uns. Ich merke, dass mein Fachwissen enorm ist, kann jede Frage beantworten. Wir müssen zum einen bestimmte Fragen beantworten, zum anderen über vorgegebene Themen Aufsätze schreiben.
28. August ´69
Die schriftlichen Prüfungen liegen hinter uns. Auch zwei der fünf mündlichen Tests habe ich schon erfolgreich absolviert. Die Professoren fragen bestimmte Themen ab. Ich musste etwas zum Parasitenbefall der Nadelhölzer erzählen, zur Anpflanzung bestimmter Laubbäume und die Bewässerung exotischer Pflanzen. Ich grinse immer noch, denn viele der Exoten sind für mich heimische Bäume.
31. August ´69
Morgen beginnen die praktischen Aufgaben. Adolf hat ein gutes Gefühl. Er meint, bis jetzt habe er alle Fragen beantworten können. Das erfreut mich. Denn auch ich habe bis jetzt keinen wissentlichen Fehler begangen.
3. September ´69
Ich musste bis jetzt eine Fichte fällen und an verschiedenen Bäumen deren Aufbau erklären. Das war für mich wie ein Kinderspiel. Je länger die Prüfungen dauern, desto entspannter bin ich. Adolf ist anders, er ist jetzt noch jeden Morgen so aufgeregt, dass er mehrmals die Latrinen aufsuchen muss.
4. September ´69
Gestern gab es Zeugnisse. Ich habe in allen Fächern mit Sehr gut abgeschnitten. Auch Adolf hat nur Einsen. Unser Lernen hat sich ausgezahlt. Heute werden wir offiziell entlassen und es gibt einen Ball am Abend. Ich habe Katharina gefragt, ob sie mich begleitet und sie hat ja gesagt. Mein Herz ist voller Liebe für sie.
5. September ´69
Der Ball war wunderschön. Ich habe viel mit Katharina getanzt, die in ihrem Kleid wundervoll aussah. Ihre Haare hatte sie hochgesteckt. Sie sah einfach bezaubernd aus. Wir sind auch zusammen im Garten gewesen. Hand in Hand. Ich hätte sie so gern mehr berührt, doch ich habe mich nicht getraut. Bevor wir den Ballsaal wieder betreten haben, habe ich ihr eine Haarlocke aus dem Gesicht gestrichen. Sie zuckte zusammen. Mama hat gesagt, man solle den anderen respektieren. Ich glaube, Katharina wollte nicht, dass ich sie berühre. Dabei hätte ich sie am liebsten in den Arm genommen, mein Gesicht an ihrem gerieben, ihre Stirn, ihre Wangen mit den Lippen berührt. Es fiel mir unendlich schwer zu respektieren, dass sie das nicht wünscht.
Heute werden Adolf und ich die Akademie verlassen, um noch eine Woche im Forsthaus zu verbringen. Danach fahren wir, in Begleitung der Auswanderer von Heimberg, nach Amerika. Ich kann nur mit dem Kopf schütteln, was diese Menschen alles mitnehmen wollen. Bettzeug, Geschirr, Truhen mit Töpfen, Decken, Büchern und Wäsche .
Trotz meines Redens, so wenig Ballast wie möglich mitzunehmen, packen sie alles ein, was ihnen lieb und teuer ist. Und das ist sehr viel. Alles Sachen, die sie in Amerika nicht brauchen werden. Kantor Hampel möchte sogar sein Klavier mitnehmen. Doch Frau Ebersbach, die den Treck organisiert und auch bezahlt hat, ist nicht umzustimmen: Das Klavier bleibt hier!
Mit dem Zug geht es nach Hamburg, dann nach Bremerhaven. Vor dort haben wir schon eine Passage nach New York gebucht. Wir fahren nicht mehr mit einem Segelschiff. Die Schifffahrt hat enorme Fortschritte gemacht. Die meisten der Passagierschiffe sind zusätzlich mit einem Motor ausgestattet, der mit Dampf angetrieben wird, ähnlich einer Lokomotive. Mit einem anderen Schiff werden wir dann bis Guaymas in Mexiko segeln. Dort wollen die Auswanderer Planwagen, Pferde und Zugochsen kaufen und es geht nach Tucson, Arizona. Von dort aus werden wir nach Norden reisen.
Ich bereue, dass ich ihnen zugesagt habe, sie zu begleiten. Mit den Planwagen werden wir nur wenige Meilen am Tag zurücklegen können. Es wäre einfacher, wenn alle reiten könnten. Doch auf mich hört niemand. Sobald die Auswanderer ein Gebiet erreichen, welches sich für ihre Zwecke eignet, werden Adolf und ich sie verlassen, um das Diné Land aufzusuchen. Eine Reise von mehreren Wochen liegt vor uns, und das Ziel heißt: HEIMAT.
(Es wäre anders viel einfacher, aber laut KM reisen sie über Tucson, …)
6. September ´69
Nachts
Alle Hoffnung ist dahin.
7. September ´69
Ich habe mich zurückgezogen und alle lassen mich in Ruhe.
Der Abend gestern begann so vielversprechend. Ein wunderschöner, warmer Abend mit einem herrlichen Sonnenuntergang. Ich habe Katharina gebeten, mit mir hinauszugehen, den Abend zu genießen. Sie sah traurig aus, kam aber mit mir. Ich hatte schon ein ungutes Gefühl, irgendetwas stimmte nicht, aber ich konnte nicht erkennen, was es war.
Ich habe sie nicht zur Bank geführt. Zu viele Menschen konnten uns dort sehen. Etwas abseits vom Haus liegen ein paar Holzstämme, die eignen sich auch zum Sitzen. Damit Katharina sich mit ihrem sauberen Rock nicht auf die Stämme setzen muss, hatte ich meine Weste, die ich über meinem Hemd trug, ausgezogen und auf einen Stamm gelegt. Sie setzte sich auch darauf und ich hockte mich neben sie. Katharina schaute mich aus unendlich traurigen Augen an.
Ich habe all meinen Mut zusammengenommen, habe ihre Hände ergriffen und sie gefragt, ob sie meine Frau werden möchte.
„Schi-So, ich kann nicht“, hat sie geantwortet und Tränen liefen über ihre Wangen.
„Warum nicht? Habe ich etwas falsch gemacht?“
„Nein, es liegt nicht an dir, es liegt an mir. Ich kann nicht. Ich kann nicht mit nach Amerika gehen und ich kann nicht von dir verlangen, dass du hier in Deutschland bleibst.“
„Katharina, ich liebe dich. Und … wenn das deine Bedingung ist, dass ich hier bleibe, dann werde ich dies machen.“
Da hat sie unter den Tränen gelächelt.
„Ach, Schi-So, du wärest so unglücklich hier, das würde ich mir nie verzeihen! Du gehörst zu den Diné, du gehörst in euer Dorf. Selbst wenn du meinetwegen hier bliebest, würde ich dich nicht heiraten.“
„Katharina, du bist mein Leben, ich folge dir überall hin.“
„Nein. Irgendwann würdest du bereuen, dass du mir gefolgt bist und dann würdest du mich hassen. Wenn ich mit dir gehe, erginge es mir genauso. Ich würde mich irgendwann unwohl fühlen und dich dafür verantwortlich machen. Ich will dich nicht hassen und ich will nicht von dir gehasst werden.“
„Ich könnte dich niemals hassen!“
„Schi-So, ich sehe doch, wie sehr du dich nach Hause sehnst. Würdest du hier bei mir bleiben, dann wärest du traurig, und dann müsste ich mich selbst hassen, weil ich nicht in der Lage bin, dich glücklich zu machen.“
„Dann komm mit mir! Lerne mein Land und meine Leute kennen! Und dann entscheide!“
Jetzt weinte sie wieder. Ich habe sie in meine Arme gezogen und sie hat ihren Kopf an meine Brust gelegt. Wenn ich die Augen schließe, fühle ich die Wärme wieder, die sie ausstrahlte, und ich fühle, wie mein Hemd nass wurde von ihren Tränen.
„Schi-So, ich liebe dich und weil ich dies tue, muss ich dich gehen lassen. Verstehst du das nicht?“
Ich wollte nicht verstehen. Mein Verstand sagte mir, dass sie Recht hatte, doch mein Herz brach in dem Moment, als ich mir dies eingestand, entzwei.
Wir haben noch lange so dagesessen. Wir haben beide geweint.
Und ich weine jetzt schon wieder.
„Und wenn du mich liebst, Schi-So, dann lass mich gehen! Bitte!“ Sie sah mich flehentlich an.
Ich wollte antworten, doch meine Stimme brach. Dann nahm ich meine Hände von ihr, ließ sie gehen.
„Ich werde noch heute Nacht das Forsthaus verlassen. Im Oktober beginne ich eine Ausbildung zur Krankenschwester.“
„Soll ich dich….soll ich dich noch nach Hause bringen?“
„Nein, Adolf begleitet mich. Ich wünsche dir alles Gute auf deiner Reise nach Hause zu den Diné.“
Sie versuchte ein Lächeln, doch das misslang.
„Darf ich dir schreiben?“
„Ich werde mich bei dir melden.“
Und dann drehte sie sich um und ging.
KATHARINA, ich werde dich vermissen!!!!!