Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast 

Zwischen den Welten

von Funnygana
Kurzbeschreibung
GeschichteFamilie, Freundschaft / P12 / Gen
Nitsas-Ini OC (Own Character) Old Shatterhand Schi-So Winnetou
09.11.2021
24.11.2022
60
88.679
9
Alle Kapitel
201 Reviews
Dieses Kapitel
3 Reviews
 
09.11.2021 2.216
 
Ich bin Schi-So.
Mein Name bedeutet so viel wie: Ich reife, ich lerne ständig dazu
Ich bin ein Mestize.
Mein Vater ist der oberste Häuptling der Diné, Nitsas-Ini (Großer Donner).
Meine Mutter ist die Deutsche Margit Bauer, genannt Gidi, die Katze.
Ich gehöre zum Clan der Naaʼnil, was so viel wie Bauer bedeutet, denn der Mann heiratet in den Clan der Frau ein.

Geboren wurde ich am 15. September 1852 nach westlicher Zeitrechnung.
Oder am Zehnundfünftag im Biniʼantʼą́ą́tsoh im Jahr der Sonnenstürme nach der Zeitrechnung der Diné
Mein Haar ist blond, meine Augen grau und meine Haut hat die helle Tönung des Lehms.
In unserem Dorf sehe ich äußerlich einmalig aus, doch niemand scheint dies zu stören. Andere Menschen sind nicht so tolerant, wie ich in meinem Leben erfahren musste.
Zu meinem 4. Geburtstag bekam ich von Mąʼiitsoh  (Martin Wolf), ein Freund der Familie, ein Buch mit leeren Seiten und einen Bleistift geschenkt. Mein erstes Tagebuch.
Drei Jahre lang lag dieses Buch nutzlos herum. Warum sollte ich aufschreiben, was ich erlebte? Es waren sorgelose Jahre ohne Bedeutung, dachte ich wenigstens. Dann starb mein Großvater und plötzlich verstand ich den Nutzen eines Tagebuches.

Ich werde die deutsche Sprache benutzen. Die Diné haben keine Schriftsprache, und es ist mir verboten worden, deren Mythen und Geschichte aufzuschreiben. Sie sollen im Herzen leben und nicht in tote Buchstaben verwandelt werden. So sagt es der Glaube der Diné.


1859

Ich war noch keine sieben Jahre, als mein Opa bei einer Verfolgungsjagd verunglückte und starb. Das war an dem Tag, an dem ich allein loszog, um die Ute zu belauschen. Seitdem benutze ich dieses Tagebuch.


15. September

Der Tag, an dem ein Junge sieben Jahre alt wird, wird bei den Navajos/ Diné groß gefeiert, denn ab diesem Alter ist man kein Kind mehr, sondern reift zum Knaben oder gar Jungkrieger. Die ersten Prüfungen beginnen. Ich wünschte mir, diesen besonderen Tag zu überspringen. Wusste ich doch genau, dass ich niemals bestehen würde – dachte ich wenigstens.

Chʼil, meine Tante, hatte mir einen besonders schönen und reich verzierten Anzug genäht. Er bestand aus herrlich weichem Hirschleder und war hauptsächlich mit Silberamuletten und Stachelschweinborsten verziert. Chʼil war klug, hatte die Kleidung so geschneidert, dass ich sie noch tragen konnte, wenn ich älter und größer wurde.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als meine Eltern mich weckten und Mama mich zum Baden schickte. Nachdem ich mich gesäubert hatte, zog ich stolz meinen neuen Anzug an. Nach dem Frühstück, welches mir zu Ehren nicht nur aus Maisbrei, sondern auch aus Maisbrot und etwas, was Mama Marmelade nannte, bestand, begaben wir uns auf den Dorfplatz. Ich hatte bei meinen Freunden, die alle älter waren als ich, schon des Öfteren bei solch einer Prüfung zugeschaut und wusste ungefähr, was da auf mich zukommt: Bogenschießen, Reiterkunststücke, Schwimmwettbewerbe und Spurenlesen.

Reiten war für mich kein Problem, hatte ich doch schon auf Charley gesessen, bevor ich laufen konnte. Aber der Bogen war mir verhasst. Mit Grauen dachte ich an den Tag im Tal der fallenden Wasser zurück, an dem mein Großvater versucht hat, mir diese Technik beizubringen.
Schwimmen konnte ich leidlich, nach dem Lauschangriff der Ute hatte ich meine Kondition verbessert, aber an die sportlichen Jungkrieger kam ich nicht heran. Dafür freute ich mich auf das Spurenlesen, denn da kam es auf Scharfblick und Wissen und weniger auf Schnelligkeit an.

Wir hatten den Dorfplatz erreicht und mein Vater begab sich in den Hogan der Beratung. Schließlich musste er jetzt seine Position ändern und war nicht mehr Vater, sondern oberster Häuptling. Auch Mama, meine Schwester Sǫʼ Ndaajeehí und Chʼil zogen sich zurück. In dem Moment wurde mir bewusst, wie klein unsere Familie doch war. Ich hatte keine Großeltern und keine Tanten oder Onkel, denn Vaters Familie hatte die Kriege mit den Weißen nicht überlebt. Durch die Adoption war Chʼil meine Tante geworden, aber deren restliche Familie gehörte nicht zu meinem Clan.

Der innere Zuschauerhalbkreis bestand aus meiner Familie, dahinter standen oder saßen meine Freunde, dann die restlichen Dorfbewohner. Ich musste mich jetzt einmal im Kreis drehen, um alle zu begrüßen. Ich konzentrierte mich, denn nun offenbarte sich, wer zu meinen wirklichen Freunden gehörte.

Ich erlebte die größte Überraschung meines Lebens! Im inneren Halbkreis saßen, wie erwartet, Mama, Sǫʼ Ndaajeehí  und Chʼil, doch sie waren nicht allein. Mąʼiitsoh  hatte sich dabei gesetzt und auch Áhi tééh, meine Amme, und ihre Familie hatten sich zu mir bekannt. Káalógii, unsere Medizinfrau, saß neben Mama und hielt ihre Hand, was sonst nur den Großmüttern vorbehalten war. Ich hatte eine Familie!

Die Reihe der Freunde war dichtgedrängt. Alle, wirklich alle Alten standen dort. Jeder hatte mir im Laufe meines kurzen Lebens schon einmal seine Lebensgeschichte erzählt, ich hatte als Kleinkind in ihren Hogans gesessen und den Erzählungen gelauscht. Und sie fühlten sich als meine Freunde. Zwischen den Alten drängelten sich deren Enkel. Ich erkannte Bidziil, Na'ashjé'ii' und viele andere Jungkrieger. Ich musste meine ganze Beherrschung aufbringen, um die Tränen der Freude zurück-zuhalten.

Nitsas-Ini war mit dem Rat der Ältesten aus dem Hogan getreten. Er hatte seine Häuptlingskleidung angezogen und wirkte mit dem Federschmuck ganz fremd auf mich.
Der Rat setzte sich dem Halbkreis der Freunde gegenüber. Nitsas-Ini erhob seine donnernde Stimme, die ihm auch seinen Namen beschert hatte:
„Heute ist der Tag, an dem Schi-So, Sohn des Häuptlings Nitsas-Ini und seiner Frau Gidi, die erste Prüfung der Diné ablegen wird, um den Pfad des Erwachsenwerdens zu betreten. Der Rat hat beschlossen, Schi-So vier Aufgaben zu stellen. Die erste Aufgabe besteht darin, mit dem Tomahawk ein Ziel zu treffen.“

Mir dämmerte es, dass der Rat die Aufgaben jeweils so aussuchte, dass kein Knabe sich blamieren musste.
Ich nahm also meinen Tomahawk, der mittlerweile genauso groß und schwer war wie der eines erwachsenen Kriegers. Das Ziel, ein roter Punkt auf einem Hogan, lag nicht allzu weit entfernt. Ich warf erst im normalen Stil und wandte dann meinen Tomahawk-Trick an. Viermal warf ich das Beil und viermal traf ich mein Ziel.
Beifälliges Gemurmel kam von den Zuschauern.

Nun wurden zwei Krieger losgeschickt. Sie hatten die Aufgabe, jenseits des Sees zu lagern. Ich sollte ihre Fährte aufspüren und sie belauschen. Diese Aufgabe ließ sich natürlich nicht hier im Dorf umsetzen. Es war unmöglich, hier eine einzelne Fährte ausfindig zu machen. Doch das gegenüberliegende Flussufer war unbewohnt und somit dafür gut geeignet.
Während die Krieger ihre Fährte legten, bekam ich die nächste Aufgabe gestellt.

Diese bestand darin, verschiedene Dialekte und Sprachen zu erkennen. Dazu trat jeweils ein Diné zu mir und sagte etwas in einer fremden Sprache. Ich erkannte Apachi, Lakota, Cheyenne, Hopi und Spanisch und konnte die jeweiligen Sätze übersetzen.
Der Häuptling und alle Anwesenden nickten zufrieden.

Meine nächste Aufgabe lautete: Spüre die Krieger auf, die hier über den See geschwommen sind.
Also rein ins Wasser, bis zum gegenüberliegenden Ufer schwimmen. Ich blieb im Wasser, so war ich für etwaige Späher schlechter aufzuspüren. Sorgfältig suchte ich das Ufer ab und stieß schnell auf eine deutliche Fährte. Diese führte in das naheliegende Unterholz. Ich überlegte. Kein Diné würde so eine offensichtliche Spur hinterlassen, wenn er auf dem Kriegspfad war. Das musste eine Falle sein. Ich blieb im Wasser und schwamm noch eine Strecke weiter. Bei einem in den See wachsenden Gebüsch krabbelte ich an Land. In einem weiten Bogen kroch ich um die vermeintliche Falle. Keine Spur war zu sehen. Steckten die beiden tatsächlich direkt in Ufernähe im Gebüsch? Das konnte und wollte ich nicht glauben. Ich lauschte in die Stille des Waldes. Stille? Ich hörte tatsächlich keinen Vogel zwitschern. Was war, wenn die Krieger auf die Bäume geklettert waren? Dann wären alle Vögel geflüchtet. Doch wie sollte ich erkennen, wo ich suchen sollte?
Ich war ungefähr dreißig Schritte von dem Ort entfernt, wo die Spur ins Gebüsch führte. Ich rief mir in Gedanken die Stelle ins Gedächtnis. Gab es dort Bäume, die man erklimmen konnte? Welche Krieger waren ausgeschickt worden, mir die Fährte zu legen?
Tatsächlich waren es zwei der besten Kletterer gewesen, wie mir nun auffiel. Ich selbst bin kein so berühmter Baumkletterer. Mir war bewusst, dass ich auf der Erde besser aufgehoben war. Wenn mich mein Gedächtnis nicht trog, gab es zwei Bäume, die sich als Versteck eigneten. Der erste Baum stand sehr nah am Ufer, der zweite vielleicht zehn Schritte davon entfernt. Ich wollte mein Glück am zweiten Baum versuchen und schlängelte mich durch den Wald. Ich zählte auf die Neugier der Krieger und hoffte, dass sie sich so versteckt hatten, dass sie mich kommen sähen. Bekanntlich ist der, der einen sieht, auch für einen selbst sichtbar, wenn auch nur ein kleines bisschen.
Ich hatte den Baum fast erreicht. Jetzt galt es, besonders vorsichtig zu sein. Ich wählte eine Stelle, die mir ermöglichte, mich ohne Geräusche auf den Rücken zu legen. Schließlich musste ich ja nach oben blicken können. Nun suchte ich mit den Augen die Baumkrone ab. Und dann sah ich es. Ein kleiner Zipfel vom blauen Stirnband eines der Krieger. Nun durfte ich mich zu erkennen geben.
„Die Krieger der Diné sitzen im Baum, ich sehe das Stirnband von Jeeshóóʼ bitsiiłgaaígíí (Wollkopfgeier)“, rief ich und sah eine Bewegung im Baum.
„Uff! Unser kleiner Bruder hat uns überrascht, wo steckte er?“, fragte Jeeshóóʼ bitsiiłgaaígíí.
Nun stand ich auf und winkte vergnügt nach oben. Behände kletterten die beiden vom Baum und gaben mir die Hand.
„Das hat Schi-So sehr gut gemacht. Wir haben ihn weder gesehen, noch gehört “, lobte mich der Krieger. „Lasst uns zusammen ins Dorf gehen!“
Ich war so stolz auf mich. Mein Mund verzog sich ungewollt zu einem Grinsen. Gemeinsam kehrten wir ins Dorf zurück und berichteten von meinem Erfolg.

Für die nächste Aufgabe mussten wir das Hochplateau aufsuchen. Die Jungkrieger hatten ihre Pferde bestiegen und mir wurde eine Stute gebracht, die aus der Herde meines Vaters stammte. Man nannte sie Atʼaʼ (Feder) da sie wunderbar weiche Gangarten hatte.  Atʼaʼ war genauso alt wie ich und ich kannte sie, seit ich mich mit Mustangs beschäftigte. Die eher zierliche Stute war mein heimlicher Liebling und ich freute mich, dieses kostbare Pferd reiten zu dürfen. Ich bekam zwei Seile und meine Aufgabe.
Ich sollte die Stute so herrichten, dass ich sie reiten konnte. Dann würden drei Jungkrieger mich jagen. Sie hatten jeder fünf Vogeleier, die sie auf mich werfen sollten. Traf einer mein Pferd, schied er aus.
Ich legte mit dem ersten Seil eine Schlinge um den Hals von Atʼaʼ, in die ich eine weitere Schlinge machte. Damit das Seil an Ort und Stelle blieb, verknüpfte ich sie mit der Mähne der Stute. Sie trug jetzt quasi ein Halsband, welches nicht verrutschte und die zweite Schlinge diente mir als Haltegriff für Hand oder Fuß. Da ich die Stute noch nicht sehr oft geritten war, knüpfte ich aus dem zweiten Seil ein Knotenhalfter, um so die Verbindung mit dem Pferdekopf zu halten. Ich saß auf und ließ die Stute erst einmal ein wenig warm werden. Dann sah ich aus dem Augenwinkel meine Freunde kommen.
Sie versuchten, mich mit ihren Pferden einzukreisen, aber Atʼaʼ war wendig und gehorchte meinem Schenkeldruck sofort. Die Jagd konnte beginnen. Immer wieder wendete ich die Stute, wir schlugen Haken und ich verlagerte meinen Körper mal auf die eine, mal auf die andere Seite, um ein schlechtes Ziel abzugeben. Ich hängte meinen Fuß in die Schlinge und hing nun seitwärts am Pferd, meine Körperspannung verhinderte, dass ich abrutschte. Mal rechts, mal links, mal unter dem Hals hindurch war es für meine Freunde schwer, mich zu treffen. Ab und zu bemerkte ich ein Ei, aber keins traf mich. Patsch, Atʼaʼ wurde getroffen und ich hatte einen Gegner weniger. Längst hatte ich die Zügel fahren lassen, die Stute schien auch ohne dieses Hilfsmittel zu wissen, welchen Weg ich einschlagen wollte. Es war eine Lust, auf ihr zu reiten. Schon dachte ich, dass meine Gegner waffenlos waren, richtete mich auf und ließ einen lautes „Yippyaheee“, verlauten, als Na'ashjé'ii' ausholte, und sein letztes Ei warf. In meinem Eifer hatte ich mich verzählt und wurde an der rechten Schulter getroffen. Tja, Hochmut kommt vor dem Fall und ich ritt auf Na'ashjé'ii' zu. Wir gaben uns freundschaftlich die Hand.
Natürlich hatte ich auch diese Aufgabe bestanden, trotz des Treffers.

Ich versorgte jetzt erst einmal die Stute, denn die Bedürfnisse des Tieres mussten befriedigt werden, bevor ich wieder an mich selbst denken konnte. Zärtlich streichelte ich den Hals der Stute und vergrub mein Gesicht in ihr Fell. Atʼaʼ war wunderbar gewesen und hatte fabelhaft mit mir zusammengearbeitet. Leider würde sie mir niemals gehören, sie war viel zu kostbar für einen Knaben meines Alters. Ich wusste, ich würde heute ein eigenes Pferd bekommen, aber es würde nicht Atʼaʼ sein. Wahrscheinlich war es Doo yildinii (Nervensäge), der mir zugesprochen werden würde. Das war ein Wallach, mit dem ich die letzten Monate gearbeitet hatte.

Ich stand wieder auf dem Dorfplatz. Der Häuptling und der Rat der Ältesten hielten nun ihre Reden und ich wartete ungeduldig auf ihr Urteil. Natürlich hatte ich meine erste Prüfung bestanden und das Lob des Rates tat mir gut.
Dann wurde mir ein eigenes Pferd zugesprochen. Mein Freund Na'ashjé'ii' hatte die Ehre, mir mein zukünftiges Pferd zu bringen. Wie groß war meine Freude, als er mir Atʼaʼ überreichte.
Review schreiben
 Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast