I don't know what's right anymore
von Saya
Kurzbeschreibung
Arisa ist Erens Zwillingsschwester und kommt mit dem ganzen Chaos um sie herum nur sehr schwer klar. Sie hat panische Angst davor, auch noch den letzten Teil ihrer Familie zu verlieren, nämlich Eren. Aber genauso sehr fürchtet sie sich davor, noch einmal einem Titan gegenüberzustehen. Und wie das Schicksal es so will, hilft ihr gerade Reiner Braun dabei, zu ihrer wahren Stärke zu finden. Ihre aufkommenden Gefühle sind intensiv, aber auch zerbrechlich, denn sie weiß ja nicht, wer er wirklich ist. // Reiner x OC // Spoiler aus allen Staffeln + dem Manga
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P16 / Het
Eren Jäger
Irvin / Erwin Smith
Jean Kirschtein
Levi Ackermann / Rivaille
OC (Own Character)
Reiner Braun
12.10.2021
27.02.2022
50
95.331
2
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18.01.2022
3.357
Wir befanden uns bereits einige Zeit später in unserer alten Heimat. Shiganshina. Hier würde es also enden. Irgendwie zumindest.
Ich wich Eren keine Sekunde von der Seite. Er ließ es aber auch gar nicht erst zu, aus Angst, wir würden uns verlieren und dann nie wieder sehen.
In den Wochen ohne ihn war ich fast komplett durchgedreht, weswegen ich seine Berührungen jetzt tief in mir aufsog. Und ihm ging es ganz ähnlich. Ich spürte, wie sich seine Hand in den Stoff meiner Kleidung krallte, als hätte er Angst, dass ich abhanden kam. Dass man mich von ihm entzweien könnte.
Ich würde nirgends hingehen. Nie wieder. Dessen war ich mir nun hundertprozentig sicher. Ich war dort, wo ich hingehörte. Er war mein Seelenverwandter. Mein Gefährte. Der andere Teil meiner Selbst. Ich fühlte plötzlich etwas in mir, dass ich lange Zeit vergessen glaubte. Glückseligkeit und Hoffnung, auch wenn diese nicht allzu lange andauern sollte.
Genauer gesagt befanden wir uns in einem der Wohnräume des Offiziersanwesen. Ich war wohl irgendwann auf dem Weg hierher in Erens Armen eingeschlafen und er hatte mich hier untergebracht, damit ich mich ausruhen konnte. Dabei sollte er doch derjenige sein, der sich ausruhte. Immerhin lastete die Welt auf seinen Schultern.
„Du bist wach. Und endlich bei mir!“, raunte er mir ins Ohr, wobei seine Nasenspitze meine Wange streifte. Ich nickte, während ich seinen warmen Atem auf meiner Haut spürte und daraufhin erschauderte, auch wenn ich noch versuchte es zurückzuhalten. Mit der einen Hand strich er mir über das Gesicht und dann durch meine langen, braunen Haare. Seine andere Hand ruhte auf meiner Hüfte und sendete Blitze durch mich. Die Wärme seines Körpers strahlte durch meinen und beruhigte mein Gedankenchaos.
Ich atmete seinen unverkennbaren Geruch ein und eine Ladung Glück durchflutete meine Venen. Er war holzig und warm und sprühte vor Dominanz. Der Brünette roch für mich nach Wald, Wiesen, Stärke und Freiheit. Sofort erfüllt mich ein gutes Gefühl. Mein Herz setzte einige Schläge aus, weil mich eine unsagbare Euphorie erfüllte.
„Nur deiner Loyalität und Liebe war ich mir immer sicher.“, murmelte er weiter an meinem Haaransatz und dieses Mal konnte ich das Beben nicht mehr verheimlichen.
Ich bemerkte, wie er daraufhin lächelte und mir ging das Herz abermals auf.
„Du wusstest es die ganze Zeit?“, wollte ich zittrig von ihm wissen.
„Ja, auch wenn es mich wütend gemacht hat, dass du es scheinbar nicht gespürt hast. Aber ich wusste, wir wären ohnehin untrennbar, also ließ ich es zu. Du würdest es verstehen, davon war ich überzeugt! Und so kam es ja auch.“
„Warum?“ Ich fühlte mich schwindelig und vermutlich sollte ich Angst haben, vor dieser Gewissheit und all den Gefühlen für ihn. Vor der Wahrheit und bitteren Realität, aber diese verspürte ich nicht. Niemals. Nicht, wenn Eren bei mir war. Ich wusste nun, das ich sterben würde, wenn wir nicht zusammen waren. Der Rest zählte nicht. Hatte er nie, das wurde mir allmählich klar.
„Du weißt, wie sehr ich es hasse eingesperrt zu sein. Nicht meine Entscheidungen treffen zu dürfen. Gefangen und ein Sklave zu sein. Anders als es bei mir der Fall ist, wollte ich dir deine Freiheit lassen. Dass du deine eigenen Entscheidungen triffst. So wie ich es mir immer gewünscht habe. Und ich war mir einfach sicher, dass du bald bei mir sein würdest und dann nichts mehr zwischen uns kommt. Als du mich geschlagen hast, wusste ich, dass du es endlich auch sehen kannst.“ Nun rückte er ein Stück von mir ab und betrachtete mich mit so einem durchdringenden Blick, dass ich mich am liebsten wieder in seine Arme geworfen hätte und nie wieder von dort auftauchen wollte. Doch ich hielt seinem Blick stand, auch wenn ich immer wieder erschauderte. Etwas in seinem Ausdruck war so unfassbar intensiv, dass ich mich darin verlor. Das Grün war irgendwie dunkler und ungestümer.
„Ich kann dir sagen, warum du dich nie komplett gefühlt hast. Aber vorher beantworte mir bitte noch ein paar Fragen, ja?“ Ich nickte und er sprach weiter. „Weder bei Reiner noch bei Jean warst du glücklich, richtig? Sie konnten die Leere nicht stoppen, oder?“, fragte er sachlich, aber ich sah, dass es ihm fast schon schwer fiel über die beiden Männer zu sprechen. Ich hätte ihn nie offen als eifersüchtig betitelt, aber ich wusste, dass er das oftmals war. Besonders in Bezug auf mich. Das war mir schon unzählige Male aufgefallen.
„Woher...?“, verwirrt sah ich ihn an, nickte dann aber schlussendlich. Er wollte Fragen stellen und ich würde sie beantworten. Allerdings traute ich irgendwie meiner Stimme nicht mehr.
„Nur wenn du mit mir zusammen warst, ging es dir wirklich gut, stimmts?“, fragte er weiter, so als wäre ihm mein Hadern nicht aufgefallen. Doch dem war nicht so, denn er strich beruhigend mit dem Daumen über meine Hüfte und kleine Blitze jagten meine Wirbelsäule hinauf und wieder hinab. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus.
Ich starrte in seine wunderschönen grünen Augen, die nur auf mich gerichtet waren. Schon immer.
„Das weißt du doch. Wenn wir zusammen waren, rückte alles in weite Ferne. Aber warum fragst du mich das gerade jetzt?“, wollte ich dann heiser und bebend von ihm wissen, woraufhin er auf die Situation, auf uns beide, deutet. „Weil ich dich jetzt erst wiedersehe. Ich hatte vorher keine Chance und vor allem, wollte ich dich nicht verschrecken. Du musstest es selbst sehen und verstehen.“ Dabei lehnte er seine Stirn gegen meine und instinktiv schloss ich meine Augen, weil mein ganzer Körper auf ihn reagierte. Als ich ihm im Luftschiff schlug, überrollte mich eine Welle voller versteckter Emotionen und Erinnerungen und danach war ich lange ohnmächtig gewesen. Ja, er hatte recht: Nun erst konnte er wirklich offen sprechen.
„Du hättest mich niemals von dir fernhalten können. Durch nichts auf der Welt!“ Meine Stimme war heiser, dennoch legte ich all meine Überzeugung hinein und hörte, dass auch er auf mich reagierte. Er holte tief Luft, nur um beim Ausatmen ein leises, glückliches Seufzen von sich zu geben. Ich spürte unter meinen Fingern sein wild schlagendes Herz.
Es dauerte daraufhin einen Moment länger, bis er weitersprach. „Als ich das erste Mal zu einem Titan wurde, bist du nicht zurückgeschreckt? Die Male, wo die Last unserer Heimat auf meinen Schultern ruhte, hast du dir nur gewünscht, sie irgendwie mit mir teilen zu können, oder? Als ich Rebellio angriff, hattest du keine Angst vor mir, richtig?“ Das stimmte. Alles. Deswegen nickte ich.
Er sprach weiter und als ich die Augen dann öffnete, sah ich, dass er fast schon zufrieden lächelte.
Ich konnte aber auch sehen, wie sehr er sich wünschte mich wieder zu küssen. Dass das für uns beide eine zuckersüße Erlösung war. Dass er mich endlich ganz für sich hatte und sich dieses wunderbare Gefühl verstärkte. Das Gefühl, angekommen zu sein.
„Du bist meine Seelenverwandte, Arisa! Du kannst dir nicht vorstellen, wie wahnsinnig es mich gemacht hat, dir das nicht schon immer offen zeigen zu können.“
Ich konnte nur noch stoßweise atmen, weil mich all diese Erkenntnisse völlig unvermittelt trafen.
„Immer schon...?“, flüsterte ich erstickt, woraufhin er nickte, aber mir das Reden überließ, weil ihm nicht verborgen blieb, dass ich es verstand, es aber auch selbst aussprechen musste, um meine Gefühle ordnen zu können. „Das hat sich geändert, als wir in unserem Keller waren … Als ich auch wusste und du mit Gewissheit sagen konntest, dass wir keine Geschwister sind … Dass das nicht nur ein wirres Gefühl in dir war … Daraufhin waren wir nur noch schwer zu trennen. Du hast immer wieder meine Hand ergriffen, mich berührt, meine direkte Nähe gesucht. Du hast mir gezeigt, wie sehr du mich schätzt und brauchst … Dass da mehr ist … “, hauchte ich, weil ich begriff, was er meinte und es mir ganz genauso ging.
„Ich habe dich auch vorher nie wie meine Schwester geliebt, sondern viel mehr. Anders. Ich konnte es als Kind nur schwer zuordnen. Aber danach, als wir auf uns gestellt waren und dann besonders stark nachdem wir im Keller meines Vaters waren, wollte ich es dir sagen. Es dir zeigen, doch ich hatte auch wahnsinnige Angst dich damit zu verschrecken. Die Möglichkeit, dass du nicht so fühlst, versetzte mich in Panik, weswegen ich mich immer noch in Maßen zurückhielt. Gleichzeitig musste ich dir zeigen, dass ich dich wirklich wollte, weil es das Einzige war. Ich hoffte, du würdest es selbst begreifen und das bevor es zu spät ist. Also Arisa, wenn du ehrlich zu dir bist, weißt du, dass es bei dir auch der Fall ist. Ich war nie nur dein Bruder, stimmts?“ Ich erstarrte bei seinen Worten und sah ihn stumm an. Dieses ganze verdammt Puzzle in meinem Kopf lichtete sich und setzte sich zusammen. Ich konnte nun endlich klar sehen. Endlich die Erinnerungen, unter denen mein Hirn die Reißleine gezogen hatte, zuordnen. Vorhin, als wir uns küssten … das war nicht das erste Mal gewesen, sondern nur eines von unzähligen. Ich hatte es nur verdrängt, weil Geschwister nicht so fühlen durften. Ich hatte einige Erinnerungen durch andere ersetzt. Um uns, um ihn zu schützen. Wir hatten uns in der Vergangenheit schon häufiger geküsst, und dennoch fühlte es sich nun bedeutender und beständiger an, als jemals zuvor.
Es war auch nicht Jean gewesen, mit dem ich mein erstes Mal gehabt habe, sondern Eren. Nun erinnerte ich mich. Es war immer nur Eren gewesen. Wie oft mein Gehirn mir zu seinem Schutz Streiche gespielt hatte, wurde mir nun erst bewusst. Ich hatte mich früher nicht zu Reiner oder Jean ins Bett oder wohin auch immer geschlichen, sondern zu dem Brünetten, aber wir mussten das verheimlichen. Ich wollte es verheimlichen, auch wenn er versuchte mir zu erklären, dass das nicht nötig war. Er hatte mir damals schon versucht klar zu machen, dass es richtig ist, dass wir zusammen gehören. Aber zu dem Zeitpunkt waren wir ja noch Geschwister und es wäre komisch gewesen, wenn man uns erwischt hätte, zumindest dachte ich das. Deswegen war ich auch oft so hitzig gewesen, so ungestüm und jähzornig: Weil ich nicht das ausleben konnte, was ich wirklich wollte. Weil ich nicht offen dort sein konnte, wo ich sein wollte. Und darüber war ich wütend gewesen.
Ich hatte damals wirklich versucht sowohl dem einen als auch dem anderen eine Chance zu geben, aber es war aussichtslos gewesen. Es lag nicht an ihnen und das sie es mir nicht bewiesen hätten, dass sie mich mochten, sondern daran, dass ich es einfach nicht erwidern konnte. Mein Herz war bereits besetzt.
Deswegen war ich immer so zerrissen gewesen – er hatte recht. Jetzt in diesem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Und noch mehr begriff ich dabei: Wenn er mich berührte, war es wie Naturgewalten, die wüteten und mich verschluckten. Die mich völlig für sich einnahm.
Er ging mir unter die Haut und ich wusste zuvor nicht, woher dieses Gefühl kam.
Ich hatte es früher auf unser Verbindung geschoben, darauf das wir vermeintliche Zwillinge waren. Auch noch, als herauskam, dass ich gar nicht seine Schwester, sondern seine Cousine war.
Aber es war von Anfang an mehr. Berauschende Gefühle, die sich nicht in Worte fassen ließen.
Ein Band, dass sich von niemanden zerschneiden ließ. Seine Liebe steckte mich lichterloh in Flammen und ich liebte das. Es war das schönste Gefühl dieser Welt. Von ihm geliebt zu werden, mehr brauchte ich nicht.
Anders als er hatte ich vehement gegen diese Gefühle angekämpft und mir eingeredet, dass wir zusammen aufwuchsen und nichts dergleichen fühlen sollten. Aber ich konnte es nicht abstreiten. Nun nicht mehr. Er war schon immer meine Liebe gewesen.
Meine Hand glitt von seiner Brust, wo sie vorher die ganze Zeit über geruht hatte, zu seinem Gesicht. Sanft legte ich sie auf seine Wange. Ich erforschte sein Gesicht nach einer Lüge, doch da war keine. Nur felsenfeste Gewissheit. Genauso wie in mir.
Ich fuhr mit den Fingern ganz zärtlich seine Kontur entlang, die so viel markanter geworden war die letzten Jahre. Mit meinen schlanken Finger fuhr ich in seine Haare und vergrub sie in einem Büschel im Nacken. Ich liebte seine braunen Haare und diese Länge stand ihm unsagbar gut.
Ich fand ihn nicht nur innerlich anziehend, sondern empfand auch sein Aussehen als äußerst attraktiv. Er war für mich schon immer perfekt gewesen und ich unglaublich glücklich darüber, von ihm gemocht zu werden. So angesehen zu werden, wie jetzt: Als wäre ich die Einzige für ihn auf dieser Welt. Die Person, die zählte.
All meine Aufmerksamkeit lag auf ihm, so wie es immer schon gewesen war und dennoch wurde sie nochmal verstärkt, als er wieder zu sprechen begann. „Aber es gibt noch mehr zu erzählen … Ich habe es vor einer Weile in einer Erinnerung gesehen. Du bist nicht einfach nur Levis Tochter und somit eine Ackermann, sondern auch eine direkte Nachfahrin der Fritz Familie. Ich kann nicht genau sagen, wie es möglich ist, aber so ist es. Scheinbar war deine Mutter nicht wirklich die Schwester meiner Mutter. Ymirs Nachfahren wurden dazu gezwungen, so viele Kinder wie möglich zu bekommen und dabei ging wohl ein Zweig unter. Du trägst königliches Blut in dir. Du wurdest aus mehreren Gründen zu mir geschickt. Aber zwei davon sind wichtig für mich … Nur mit dir kann mein Plan wirklich zu Ende gebracht werden. Du musst es beenden! Ich möchte, dass du es bist, in deren Gesicht ich in meiner letzten Sekunde blicke! Denn da warst immer nur du … in meinem Kopf, meinen Gedanken sowie in meinem Herzen ...“, erklärte er brüchig und begann mir dann von seinem Plan zu erzählen, bei dem ich bereits nach wenigen Worten zu weinen begonnen hatte.
Er sprach von Dina Fritz, seinem Vater, Berthold, dem Tod seiner Mutter und weiteren Geschehnissen der Vergangenheit. Wie schlimm es für ihn war, immer wieder entführt und gerettet werden zu müssen. Wie furchtbar er diesen ganzen Krieg und die Schlachten fand. Er sprach von all den traurigen und schönen Momenten, die unweigerlich auf diesen hier zugesteuerten. Von Historia und das jeder glauben sollte, dass er der Vater ihres Kindes war, das aber nicht stimmte. Er erzählte mir von Rebellio, von Zeke und seinem Plan, der Zukunft und der Auslöschung Paradis. Bis er dann zu dem Part kam mit der Walze und seinem bevorstehenden Tod. Als einziges Mittel. Dass er deswegen so kalt zu Armin, Mikasa und den anderen war. Dass er es einfacher für sie machen wollte, er bei mir allerdings schwach wurde. Dass er unter der Ladung an Bildern, Erinnerungen, Visionen und Gefühlen zerbrach, weil er eben auch nur ein Mensch war und nicht alles ertrug. Er war für diese Tat bestimmt worden und würde es durchziehen, komme was wollte. Dennoch wollte er sich noch ein letztes Mal gut fühlen, ehe die Welt aufhörte sich für ihn zu drehen. Er wollte nur ein einziges Mal einfach nur ein junger Mann sein, der das Mädchen in den Armen hielt, dass er liebte und nicht das Arschloch, dass alle in ihm sahen. Das 80 % der Menschheit auf dem Gewissen haben würde. Er wollte zu dem Punkt zurück, an dem er glücklich war. An dem wir Hoffnung hatten. Auf eine gemeinsame Zukunft. Auf ein Leben nach diesem Krieg. Er musste noch einmal wissen, dass es absolut richtig war, was er tat.
Ich war geschockt. Nein, mehr als das, ich konnte und wollte nicht glauben, was er da sagte. Was er vorhatte und das bedeutete. „Nein!“, presste ich heiser hervor, wobei meine Stimme mehrmals brach und fast schon hysterisch klang. Tränen verschleierten meinen Blick und ich schob ihn kurzerhand ein Stück von mir, um ihn besser ansehen zu können. Auch wenn mir die Distanz sofort Schmerzen verursachte und ich durch den verschleierten Blick ohnehin nicht viel erkennen konnte. Aber ich musste irgendwie herausfinden, ob er mich gerade veräppelte.
Das war allerdings nicht der Fall.
Ein Abgrund tat sich unter mir auf, den ich niemals auch nur eine Sekunde ertragen konnte. Langsam aber sicher wurde ich verrückt. So musste es sein – ich verlor den Verstand.
Ich spürte, wie etwas in mir sich verkrampfte und ich zu zittern anfing. Ich zitterte wie Espenlaub und konnte mich nicht mehr zusammenreißen. 'Ich sollte es beenden? Ich? Obwohl ich ihn mehr als jeden anderen auf dieser Welt liebte? Ich würde mich für ihn opfern, für ihn sterben, damit es ihm gut ging! Damit er lebte! Wie konnte ich ihn dann im vermeintlich richtigen Moment töten? Das war bloß ein furchtbarer Albtraum … Oder?'
Er sah mir mein Gefühlschaos an, denn er drehte mich mit dem sanftem Druck seines Körpers auf den Rücken, sodass er dann halb auf mir lag. „Ich weiß, dass ich viel von dir verlange. Unsagbar viel und das tut mir leid! Wirklich! Ich würde dich nicht darum bitten, wenn es nicht wichtig wäre. Wichtig für mich! Glaub mir bitte. Das ist einer der Gründe, warum du schon immer zu mir gehört hast. Nur du, als Ackermann und Fritz kannst es beenden. Aber nicht nur deswegen gehörst du an meine Seite. Du bedeutest mir mehr, als jeder sonst auf diesem Planeten, mehr als mein eigenes Leben und das ist auch der Grund, warum ich das alles tue! Für euch. Für dich! Ich will meinen letzten Atemzug mit dir teilen. Ich will in deinen Armen sterben...“ Als er das sagte, zerbrach mein Herz in Abermillionen Teile und es würde sich nie wieder ganz zusammensetzen lassen. Nun nicht mehr. Es tat weh. Mehr noch, alles in mir zerbarst in winzige Teile und ergoss sich über uns.
Mir wurde bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust gerissen und vor unseren Füßen angezündet.
Auf meinen gerade erst eingestandenen Gefühlen wurde von der Welt gespuckt und dann darauf herum getreten. Erens Gefühle und das lange Warten auf mich wurde mit einem Schulterzucken von den Göttern oder wem auch immer zunichte gemacht. Unsere gemeinsame Zukunft war eine Lüge, die ich niemals ertrug, weil ich die letzten Stunden so sehr darauf gehofft hatte, für immer mit ihm zusammen sein zu können. Wobei das vermutlich ohnehin nie gegangen wäre. 'Wie viele Jahre blieben ihm noch? Zwei? Drei? Vier? Vielleicht konnte es anders gehen und er nicht sterben … Vielleicht würde es ihm wirklich gelingen, die Titan mit diesem Plan zu beseitigen und er damit auch endlich frei sein. Er wollte immer nur Freiheit und doch ist er in diesen massiven Ketten gefangen. Das war nicht fair! Nichts von alledem war gerecht!', ging es mir panisch durch den Kopf. Zu viele Vielleichts. Zu viele Ungewissheiten. Viel zu viel Leid und Qualen!
Ich musste ein Würgen unterdrücken, weil ich mich drohte an meinen Gefühlen und den auf uns zurollenden Geschehnissen zu verschlucken.
Etwas sickerte in meine Gedanken: Dieser Monat oder möglicherweise einige Wochen wurde uns vom Schicksal gewährt, damit ich später sah, was ich verloren hatte. Damit mir meine Dummheit für immer nachhing. 'Warum hatte ich mir meine Gefühle nicht schon viel früher eingestanden?' Ich wollte die Zeit zurückdrehen und alles wieder gut machen! Wollte Erens Freundin sein! Den Mann, den ich über alles liebte! Aber das ging nicht...
Wenn ich all diese Gedanken jetzt schon kaum ertrug, wie sollte es dann erst sein, wenn es so weit kam, wie er es geplant hatte?
Wir hatten keine Zukunft. Nicht wirklich. Nicht so, wie wir es verdienten. Von einer auf die nächste Sekunde war ich von glücklich zu am Boden zerstört gekippt.
Die Welle dieser Erkenntnis erfasste mich wie ein Tsunami. Sie verschluckte und zerriss mich.
Er wusste, dass am Ende seines Weges der Tod auf ihn wartete. Ich sah, wie sehr ihn das aufwühlte, auch wenn er vehement versuchte, es nicht zu zeigen. Er hatte all das bereits in seinen Visionen gesehen, auch das hatte er mir gesagt. Dass es so kommen musste. Er hatte die Zukunft und Vergangenheit gesehen und es war unausweichlich.
Warum hatte er nicht früher mit mir darüber gesprochen?
Ich erkannte, wie unsagbar er litt und damit bisher alleine stand. Wie idiotisch ich gewesen war und egoistisch. Ich hatte versagt, aber das würde mir kein zweites Mal geschehen! Er brauchte meine Hilfe und ich würde sie ihm bieten, egal, was es aus mir machte. Egal, was es mich kostete.
Dennoch konnte ich die quälenden Fragen nicht abstellen.
'Wie sollte ich nur damit umgehen? Mit all dem? Seinen voraussichtlichen Tod und dem, was darauf folgte?'
Ich wich Eren keine Sekunde von der Seite. Er ließ es aber auch gar nicht erst zu, aus Angst, wir würden uns verlieren und dann nie wieder sehen.
In den Wochen ohne ihn war ich fast komplett durchgedreht, weswegen ich seine Berührungen jetzt tief in mir aufsog. Und ihm ging es ganz ähnlich. Ich spürte, wie sich seine Hand in den Stoff meiner Kleidung krallte, als hätte er Angst, dass ich abhanden kam. Dass man mich von ihm entzweien könnte.
Ich würde nirgends hingehen. Nie wieder. Dessen war ich mir nun hundertprozentig sicher. Ich war dort, wo ich hingehörte. Er war mein Seelenverwandter. Mein Gefährte. Der andere Teil meiner Selbst. Ich fühlte plötzlich etwas in mir, dass ich lange Zeit vergessen glaubte. Glückseligkeit und Hoffnung, auch wenn diese nicht allzu lange andauern sollte.
Genauer gesagt befanden wir uns in einem der Wohnräume des Offiziersanwesen. Ich war wohl irgendwann auf dem Weg hierher in Erens Armen eingeschlafen und er hatte mich hier untergebracht, damit ich mich ausruhen konnte. Dabei sollte er doch derjenige sein, der sich ausruhte. Immerhin lastete die Welt auf seinen Schultern.
„Du bist wach. Und endlich bei mir!“, raunte er mir ins Ohr, wobei seine Nasenspitze meine Wange streifte. Ich nickte, während ich seinen warmen Atem auf meiner Haut spürte und daraufhin erschauderte, auch wenn ich noch versuchte es zurückzuhalten. Mit der einen Hand strich er mir über das Gesicht und dann durch meine langen, braunen Haare. Seine andere Hand ruhte auf meiner Hüfte und sendete Blitze durch mich. Die Wärme seines Körpers strahlte durch meinen und beruhigte mein Gedankenchaos.
Ich atmete seinen unverkennbaren Geruch ein und eine Ladung Glück durchflutete meine Venen. Er war holzig und warm und sprühte vor Dominanz. Der Brünette roch für mich nach Wald, Wiesen, Stärke und Freiheit. Sofort erfüllt mich ein gutes Gefühl. Mein Herz setzte einige Schläge aus, weil mich eine unsagbare Euphorie erfüllte.
„Nur deiner Loyalität und Liebe war ich mir immer sicher.“, murmelte er weiter an meinem Haaransatz und dieses Mal konnte ich das Beben nicht mehr verheimlichen.
Ich bemerkte, wie er daraufhin lächelte und mir ging das Herz abermals auf.
„Du wusstest es die ganze Zeit?“, wollte ich zittrig von ihm wissen.
„Ja, auch wenn es mich wütend gemacht hat, dass du es scheinbar nicht gespürt hast. Aber ich wusste, wir wären ohnehin untrennbar, also ließ ich es zu. Du würdest es verstehen, davon war ich überzeugt! Und so kam es ja auch.“
„Warum?“ Ich fühlte mich schwindelig und vermutlich sollte ich Angst haben, vor dieser Gewissheit und all den Gefühlen für ihn. Vor der Wahrheit und bitteren Realität, aber diese verspürte ich nicht. Niemals. Nicht, wenn Eren bei mir war. Ich wusste nun, das ich sterben würde, wenn wir nicht zusammen waren. Der Rest zählte nicht. Hatte er nie, das wurde mir allmählich klar.
„Du weißt, wie sehr ich es hasse eingesperrt zu sein. Nicht meine Entscheidungen treffen zu dürfen. Gefangen und ein Sklave zu sein. Anders als es bei mir der Fall ist, wollte ich dir deine Freiheit lassen. Dass du deine eigenen Entscheidungen triffst. So wie ich es mir immer gewünscht habe. Und ich war mir einfach sicher, dass du bald bei mir sein würdest und dann nichts mehr zwischen uns kommt. Als du mich geschlagen hast, wusste ich, dass du es endlich auch sehen kannst.“ Nun rückte er ein Stück von mir ab und betrachtete mich mit so einem durchdringenden Blick, dass ich mich am liebsten wieder in seine Arme geworfen hätte und nie wieder von dort auftauchen wollte. Doch ich hielt seinem Blick stand, auch wenn ich immer wieder erschauderte. Etwas in seinem Ausdruck war so unfassbar intensiv, dass ich mich darin verlor. Das Grün war irgendwie dunkler und ungestümer.
„Ich kann dir sagen, warum du dich nie komplett gefühlt hast. Aber vorher beantworte mir bitte noch ein paar Fragen, ja?“ Ich nickte und er sprach weiter. „Weder bei Reiner noch bei Jean warst du glücklich, richtig? Sie konnten die Leere nicht stoppen, oder?“, fragte er sachlich, aber ich sah, dass es ihm fast schon schwer fiel über die beiden Männer zu sprechen. Ich hätte ihn nie offen als eifersüchtig betitelt, aber ich wusste, dass er das oftmals war. Besonders in Bezug auf mich. Das war mir schon unzählige Male aufgefallen.
„Woher...?“, verwirrt sah ich ihn an, nickte dann aber schlussendlich. Er wollte Fragen stellen und ich würde sie beantworten. Allerdings traute ich irgendwie meiner Stimme nicht mehr.
„Nur wenn du mit mir zusammen warst, ging es dir wirklich gut, stimmts?“, fragte er weiter, so als wäre ihm mein Hadern nicht aufgefallen. Doch dem war nicht so, denn er strich beruhigend mit dem Daumen über meine Hüfte und kleine Blitze jagten meine Wirbelsäule hinauf und wieder hinab. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus.
Ich starrte in seine wunderschönen grünen Augen, die nur auf mich gerichtet waren. Schon immer.
„Das weißt du doch. Wenn wir zusammen waren, rückte alles in weite Ferne. Aber warum fragst du mich das gerade jetzt?“, wollte ich dann heiser und bebend von ihm wissen, woraufhin er auf die Situation, auf uns beide, deutet. „Weil ich dich jetzt erst wiedersehe. Ich hatte vorher keine Chance und vor allem, wollte ich dich nicht verschrecken. Du musstest es selbst sehen und verstehen.“ Dabei lehnte er seine Stirn gegen meine und instinktiv schloss ich meine Augen, weil mein ganzer Körper auf ihn reagierte. Als ich ihm im Luftschiff schlug, überrollte mich eine Welle voller versteckter Emotionen und Erinnerungen und danach war ich lange ohnmächtig gewesen. Ja, er hatte recht: Nun erst konnte er wirklich offen sprechen.
„Du hättest mich niemals von dir fernhalten können. Durch nichts auf der Welt!“ Meine Stimme war heiser, dennoch legte ich all meine Überzeugung hinein und hörte, dass auch er auf mich reagierte. Er holte tief Luft, nur um beim Ausatmen ein leises, glückliches Seufzen von sich zu geben. Ich spürte unter meinen Fingern sein wild schlagendes Herz.
Es dauerte daraufhin einen Moment länger, bis er weitersprach. „Als ich das erste Mal zu einem Titan wurde, bist du nicht zurückgeschreckt? Die Male, wo die Last unserer Heimat auf meinen Schultern ruhte, hast du dir nur gewünscht, sie irgendwie mit mir teilen zu können, oder? Als ich Rebellio angriff, hattest du keine Angst vor mir, richtig?“ Das stimmte. Alles. Deswegen nickte ich.
Er sprach weiter und als ich die Augen dann öffnete, sah ich, dass er fast schon zufrieden lächelte.
Ich konnte aber auch sehen, wie sehr er sich wünschte mich wieder zu küssen. Dass das für uns beide eine zuckersüße Erlösung war. Dass er mich endlich ganz für sich hatte und sich dieses wunderbare Gefühl verstärkte. Das Gefühl, angekommen zu sein.
„Du bist meine Seelenverwandte, Arisa! Du kannst dir nicht vorstellen, wie wahnsinnig es mich gemacht hat, dir das nicht schon immer offen zeigen zu können.“
Ich konnte nur noch stoßweise atmen, weil mich all diese Erkenntnisse völlig unvermittelt trafen.
„Immer schon...?“, flüsterte ich erstickt, woraufhin er nickte, aber mir das Reden überließ, weil ihm nicht verborgen blieb, dass ich es verstand, es aber auch selbst aussprechen musste, um meine Gefühle ordnen zu können. „Das hat sich geändert, als wir in unserem Keller waren … Als ich auch wusste und du mit Gewissheit sagen konntest, dass wir keine Geschwister sind … Dass das nicht nur ein wirres Gefühl in dir war … Daraufhin waren wir nur noch schwer zu trennen. Du hast immer wieder meine Hand ergriffen, mich berührt, meine direkte Nähe gesucht. Du hast mir gezeigt, wie sehr du mich schätzt und brauchst … Dass da mehr ist … “, hauchte ich, weil ich begriff, was er meinte und es mir ganz genauso ging.
„Ich habe dich auch vorher nie wie meine Schwester geliebt, sondern viel mehr. Anders. Ich konnte es als Kind nur schwer zuordnen. Aber danach, als wir auf uns gestellt waren und dann besonders stark nachdem wir im Keller meines Vaters waren, wollte ich es dir sagen. Es dir zeigen, doch ich hatte auch wahnsinnige Angst dich damit zu verschrecken. Die Möglichkeit, dass du nicht so fühlst, versetzte mich in Panik, weswegen ich mich immer noch in Maßen zurückhielt. Gleichzeitig musste ich dir zeigen, dass ich dich wirklich wollte, weil es das Einzige war. Ich hoffte, du würdest es selbst begreifen und das bevor es zu spät ist. Also Arisa, wenn du ehrlich zu dir bist, weißt du, dass es bei dir auch der Fall ist. Ich war nie nur dein Bruder, stimmts?“ Ich erstarrte bei seinen Worten und sah ihn stumm an. Dieses ganze verdammt Puzzle in meinem Kopf lichtete sich und setzte sich zusammen. Ich konnte nun endlich klar sehen. Endlich die Erinnerungen, unter denen mein Hirn die Reißleine gezogen hatte, zuordnen. Vorhin, als wir uns küssten … das war nicht das erste Mal gewesen, sondern nur eines von unzähligen. Ich hatte es nur verdrängt, weil Geschwister nicht so fühlen durften. Ich hatte einige Erinnerungen durch andere ersetzt. Um uns, um ihn zu schützen. Wir hatten uns in der Vergangenheit schon häufiger geküsst, und dennoch fühlte es sich nun bedeutender und beständiger an, als jemals zuvor.
Es war auch nicht Jean gewesen, mit dem ich mein erstes Mal gehabt habe, sondern Eren. Nun erinnerte ich mich. Es war immer nur Eren gewesen. Wie oft mein Gehirn mir zu seinem Schutz Streiche gespielt hatte, wurde mir nun erst bewusst. Ich hatte mich früher nicht zu Reiner oder Jean ins Bett oder wohin auch immer geschlichen, sondern zu dem Brünetten, aber wir mussten das verheimlichen. Ich wollte es verheimlichen, auch wenn er versuchte mir zu erklären, dass das nicht nötig war. Er hatte mir damals schon versucht klar zu machen, dass es richtig ist, dass wir zusammen gehören. Aber zu dem Zeitpunkt waren wir ja noch Geschwister und es wäre komisch gewesen, wenn man uns erwischt hätte, zumindest dachte ich das. Deswegen war ich auch oft so hitzig gewesen, so ungestüm und jähzornig: Weil ich nicht das ausleben konnte, was ich wirklich wollte. Weil ich nicht offen dort sein konnte, wo ich sein wollte. Und darüber war ich wütend gewesen.
Ich hatte damals wirklich versucht sowohl dem einen als auch dem anderen eine Chance zu geben, aber es war aussichtslos gewesen. Es lag nicht an ihnen und das sie es mir nicht bewiesen hätten, dass sie mich mochten, sondern daran, dass ich es einfach nicht erwidern konnte. Mein Herz war bereits besetzt.
Deswegen war ich immer so zerrissen gewesen – er hatte recht. Jetzt in diesem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Und noch mehr begriff ich dabei: Wenn er mich berührte, war es wie Naturgewalten, die wüteten und mich verschluckten. Die mich völlig für sich einnahm.
Er ging mir unter die Haut und ich wusste zuvor nicht, woher dieses Gefühl kam.
Ich hatte es früher auf unser Verbindung geschoben, darauf das wir vermeintliche Zwillinge waren. Auch noch, als herauskam, dass ich gar nicht seine Schwester, sondern seine Cousine war.
Aber es war von Anfang an mehr. Berauschende Gefühle, die sich nicht in Worte fassen ließen.
Ein Band, dass sich von niemanden zerschneiden ließ. Seine Liebe steckte mich lichterloh in Flammen und ich liebte das. Es war das schönste Gefühl dieser Welt. Von ihm geliebt zu werden, mehr brauchte ich nicht.
Anders als er hatte ich vehement gegen diese Gefühle angekämpft und mir eingeredet, dass wir zusammen aufwuchsen und nichts dergleichen fühlen sollten. Aber ich konnte es nicht abstreiten. Nun nicht mehr. Er war schon immer meine Liebe gewesen.
Meine Hand glitt von seiner Brust, wo sie vorher die ganze Zeit über geruht hatte, zu seinem Gesicht. Sanft legte ich sie auf seine Wange. Ich erforschte sein Gesicht nach einer Lüge, doch da war keine. Nur felsenfeste Gewissheit. Genauso wie in mir.
Ich fuhr mit den Fingern ganz zärtlich seine Kontur entlang, die so viel markanter geworden war die letzten Jahre. Mit meinen schlanken Finger fuhr ich in seine Haare und vergrub sie in einem Büschel im Nacken. Ich liebte seine braunen Haare und diese Länge stand ihm unsagbar gut.
Ich fand ihn nicht nur innerlich anziehend, sondern empfand auch sein Aussehen als äußerst attraktiv. Er war für mich schon immer perfekt gewesen und ich unglaublich glücklich darüber, von ihm gemocht zu werden. So angesehen zu werden, wie jetzt: Als wäre ich die Einzige für ihn auf dieser Welt. Die Person, die zählte.
All meine Aufmerksamkeit lag auf ihm, so wie es immer schon gewesen war und dennoch wurde sie nochmal verstärkt, als er wieder zu sprechen begann. „Aber es gibt noch mehr zu erzählen … Ich habe es vor einer Weile in einer Erinnerung gesehen. Du bist nicht einfach nur Levis Tochter und somit eine Ackermann, sondern auch eine direkte Nachfahrin der Fritz Familie. Ich kann nicht genau sagen, wie es möglich ist, aber so ist es. Scheinbar war deine Mutter nicht wirklich die Schwester meiner Mutter. Ymirs Nachfahren wurden dazu gezwungen, so viele Kinder wie möglich zu bekommen und dabei ging wohl ein Zweig unter. Du trägst königliches Blut in dir. Du wurdest aus mehreren Gründen zu mir geschickt. Aber zwei davon sind wichtig für mich … Nur mit dir kann mein Plan wirklich zu Ende gebracht werden. Du musst es beenden! Ich möchte, dass du es bist, in deren Gesicht ich in meiner letzten Sekunde blicke! Denn da warst immer nur du … in meinem Kopf, meinen Gedanken sowie in meinem Herzen ...“, erklärte er brüchig und begann mir dann von seinem Plan zu erzählen, bei dem ich bereits nach wenigen Worten zu weinen begonnen hatte.
Er sprach von Dina Fritz, seinem Vater, Berthold, dem Tod seiner Mutter und weiteren Geschehnissen der Vergangenheit. Wie schlimm es für ihn war, immer wieder entführt und gerettet werden zu müssen. Wie furchtbar er diesen ganzen Krieg und die Schlachten fand. Er sprach von all den traurigen und schönen Momenten, die unweigerlich auf diesen hier zugesteuerten. Von Historia und das jeder glauben sollte, dass er der Vater ihres Kindes war, das aber nicht stimmte. Er erzählte mir von Rebellio, von Zeke und seinem Plan, der Zukunft und der Auslöschung Paradis. Bis er dann zu dem Part kam mit der Walze und seinem bevorstehenden Tod. Als einziges Mittel. Dass er deswegen so kalt zu Armin, Mikasa und den anderen war. Dass er es einfacher für sie machen wollte, er bei mir allerdings schwach wurde. Dass er unter der Ladung an Bildern, Erinnerungen, Visionen und Gefühlen zerbrach, weil er eben auch nur ein Mensch war und nicht alles ertrug. Er war für diese Tat bestimmt worden und würde es durchziehen, komme was wollte. Dennoch wollte er sich noch ein letztes Mal gut fühlen, ehe die Welt aufhörte sich für ihn zu drehen. Er wollte nur ein einziges Mal einfach nur ein junger Mann sein, der das Mädchen in den Armen hielt, dass er liebte und nicht das Arschloch, dass alle in ihm sahen. Das 80 % der Menschheit auf dem Gewissen haben würde. Er wollte zu dem Punkt zurück, an dem er glücklich war. An dem wir Hoffnung hatten. Auf eine gemeinsame Zukunft. Auf ein Leben nach diesem Krieg. Er musste noch einmal wissen, dass es absolut richtig war, was er tat.
Ich war geschockt. Nein, mehr als das, ich konnte und wollte nicht glauben, was er da sagte. Was er vorhatte und das bedeutete. „Nein!“, presste ich heiser hervor, wobei meine Stimme mehrmals brach und fast schon hysterisch klang. Tränen verschleierten meinen Blick und ich schob ihn kurzerhand ein Stück von mir, um ihn besser ansehen zu können. Auch wenn mir die Distanz sofort Schmerzen verursachte und ich durch den verschleierten Blick ohnehin nicht viel erkennen konnte. Aber ich musste irgendwie herausfinden, ob er mich gerade veräppelte.
Das war allerdings nicht der Fall.
Ein Abgrund tat sich unter mir auf, den ich niemals auch nur eine Sekunde ertragen konnte. Langsam aber sicher wurde ich verrückt. So musste es sein – ich verlor den Verstand.
Ich spürte, wie etwas in mir sich verkrampfte und ich zu zittern anfing. Ich zitterte wie Espenlaub und konnte mich nicht mehr zusammenreißen. 'Ich sollte es beenden? Ich? Obwohl ich ihn mehr als jeden anderen auf dieser Welt liebte? Ich würde mich für ihn opfern, für ihn sterben, damit es ihm gut ging! Damit er lebte! Wie konnte ich ihn dann im vermeintlich richtigen Moment töten? Das war bloß ein furchtbarer Albtraum … Oder?'
Er sah mir mein Gefühlschaos an, denn er drehte mich mit dem sanftem Druck seines Körpers auf den Rücken, sodass er dann halb auf mir lag. „Ich weiß, dass ich viel von dir verlange. Unsagbar viel und das tut mir leid! Wirklich! Ich würde dich nicht darum bitten, wenn es nicht wichtig wäre. Wichtig für mich! Glaub mir bitte. Das ist einer der Gründe, warum du schon immer zu mir gehört hast. Nur du, als Ackermann und Fritz kannst es beenden. Aber nicht nur deswegen gehörst du an meine Seite. Du bedeutest mir mehr, als jeder sonst auf diesem Planeten, mehr als mein eigenes Leben und das ist auch der Grund, warum ich das alles tue! Für euch. Für dich! Ich will meinen letzten Atemzug mit dir teilen. Ich will in deinen Armen sterben...“ Als er das sagte, zerbrach mein Herz in Abermillionen Teile und es würde sich nie wieder ganz zusammensetzen lassen. Nun nicht mehr. Es tat weh. Mehr noch, alles in mir zerbarst in winzige Teile und ergoss sich über uns.
Mir wurde bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust gerissen und vor unseren Füßen angezündet.
Auf meinen gerade erst eingestandenen Gefühlen wurde von der Welt gespuckt und dann darauf herum getreten. Erens Gefühle und das lange Warten auf mich wurde mit einem Schulterzucken von den Göttern oder wem auch immer zunichte gemacht. Unsere gemeinsame Zukunft war eine Lüge, die ich niemals ertrug, weil ich die letzten Stunden so sehr darauf gehofft hatte, für immer mit ihm zusammen sein zu können. Wobei das vermutlich ohnehin nie gegangen wäre. 'Wie viele Jahre blieben ihm noch? Zwei? Drei? Vier? Vielleicht konnte es anders gehen und er nicht sterben … Vielleicht würde es ihm wirklich gelingen, die Titan mit diesem Plan zu beseitigen und er damit auch endlich frei sein. Er wollte immer nur Freiheit und doch ist er in diesen massiven Ketten gefangen. Das war nicht fair! Nichts von alledem war gerecht!', ging es mir panisch durch den Kopf. Zu viele Vielleichts. Zu viele Ungewissheiten. Viel zu viel Leid und Qualen!
Ich musste ein Würgen unterdrücken, weil ich mich drohte an meinen Gefühlen und den auf uns zurollenden Geschehnissen zu verschlucken.
Etwas sickerte in meine Gedanken: Dieser Monat oder möglicherweise einige Wochen wurde uns vom Schicksal gewährt, damit ich später sah, was ich verloren hatte. Damit mir meine Dummheit für immer nachhing. 'Warum hatte ich mir meine Gefühle nicht schon viel früher eingestanden?' Ich wollte die Zeit zurückdrehen und alles wieder gut machen! Wollte Erens Freundin sein! Den Mann, den ich über alles liebte! Aber das ging nicht...
Wenn ich all diese Gedanken jetzt schon kaum ertrug, wie sollte es dann erst sein, wenn es so weit kam, wie er es geplant hatte?
Wir hatten keine Zukunft. Nicht wirklich. Nicht so, wie wir es verdienten. Von einer auf die nächste Sekunde war ich von glücklich zu am Boden zerstört gekippt.
Die Welle dieser Erkenntnis erfasste mich wie ein Tsunami. Sie verschluckte und zerriss mich.
Er wusste, dass am Ende seines Weges der Tod auf ihn wartete. Ich sah, wie sehr ihn das aufwühlte, auch wenn er vehement versuchte, es nicht zu zeigen. Er hatte all das bereits in seinen Visionen gesehen, auch das hatte er mir gesagt. Dass es so kommen musste. Er hatte die Zukunft und Vergangenheit gesehen und es war unausweichlich.
Warum hatte er nicht früher mit mir darüber gesprochen?
Ich erkannte, wie unsagbar er litt und damit bisher alleine stand. Wie idiotisch ich gewesen war und egoistisch. Ich hatte versagt, aber das würde mir kein zweites Mal geschehen! Er brauchte meine Hilfe und ich würde sie ihm bieten, egal, was es aus mir machte. Egal, was es mich kostete.
Dennoch konnte ich die quälenden Fragen nicht abstellen.
'Wie sollte ich nur damit umgehen? Mit all dem? Seinen voraussichtlichen Tod und dem, was darauf folgte?'
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