Doppelter Satz

Es war immer eine Heidenarbeit, wenn Jezery Inervaris, die Einigende, die Konferenz der Welthüter einberief. Natürlich hatte sie ihre Sprecherinnen dafür und musste keinen der Hüter selbst herbeiholen, aber der Organisationsaufwand sorgte dafür, dass die Treffen nur selten stattfanden. Dabei waren sie so wichtig für den Frieden aller Nationen. Wer erwartete schließlich von einem Monarchen, Politik im Sinne des Friedens zu führen?
Jezery sah sich in dem kreisrunden Konferenzsaal um, der für ihre hohen Gäste vorbereitet war. Vor jedem der zwölf Buntglasfenster befand sich ein steinerner Stuhl mit den Insignien der Hüterdisziplinen über der Lehne. Noch waren sie alle leer, davor saßen auf hölzernen Stühlen die Sprecherinnen über ihren Büchern und murmelten leise vor sich hin.
Gerade stieß Huna vor dem Stuhl des Hüters der Besonnenheit einen lauten Fluch aus, blätterte zwei Seiten zurück und begann von vorne. Inseptus Orian, der Besonnene, kam aus dem Land der Fünf Seen, dessen Bewohner eine Sprache pflegten, die aus vielen langgezogenen Vokalen und komplizierten Schachtelsätzen bestand. Huna war schon die fünfte Sprecherin in diesem Quartal, die sich mit Inseptus befasste.
Mit einem leisen Rauschen erschien die erste Welthüterin auf ihrem steinernen Stuhl und sah sich verwirrt um. Ein junger Rückführer eilte sofort mit einem Tablett zu Kin Zo, der Emphatischen, hin, um ihr die Situation ins Gedächtnis zu holen.
Jezery seufzte. Es würde noch Stunden dauern, bis alle Hüter vor Ort und in die Wirklichkeit zurückgeführt waren. Sie sehnte sich danach, mit ihnen wieder in Gesprächen und Kontemplation zu versinken, doch sie musste sich gedulden. Nun, das war nicht ihre Disziplin.
„Sei gegrüßt, Kin Zo.“ Jezery war zu ihrer Freundin hinübergeschlendert, beugte sich über die Armlehne des Stuhls und legte eine Hand auf Kins Schulter. Die große Frau blinzelte sie einen Moment orientierungslos an, dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem runzligen Gesicht aus.
„Jezery Inervaris. Hast du es wieder geschafft!“ Sie ließ den Blick durch den Raum schweifen. „Wie ich sehe, bin ich die erste.“
„Und wie immer auch die Schnellste.“, erwiderte Jezery. „Huna ist bereits bei ihrem zweiten Durchlauf für Inseptus.“
„Ich habe Inseptus schon mehrfach gefragt, warum er seinen Satz nicht verändert. Oder wenigstens in Gemeiner Sprache verfasst. Aber er ist nun mal ein sehr privater Mann.“, sagte Kin nachdenklich, während sie Huna betrachtete. „Warum ist Keerin noch nicht eingetroffen?“
Jezery lachte. „Oh, er hat seinen Satz geändert. Ich vermute, es hat ihn genervt, dass er ständig ins Königshaus gerufen wurde und jetzt macht er Inseptus Konkurrenz.“ Eine aufgelöste junge Sprecherin saß vor dem Stuhl Keerin Keensus, dem Wohlmeinenden, und hatte einen unordentlichen Stapel Papier auf dem Schoß. Eine andere Sprecherin stand neben ihr, hielt Wasser und ein Handtuch bereit, und redete ihr gerade gut zu.
„Nun“, bemerkte Kin, „das ist ironisch.“
Ein plötzlicher Aufschrei ließ die Köpfe aller herumfahren. Auf dem Stuhl von Hatun, dem Gerechten, war ein Mann erschienen. Die Sprecherin, die den letzten Satz gesprochen hatte, riss die Augen auf und blätterte hektisch durch ihre Unterlagen. Der Mann richtete sich auf, sein Blick war von Verwirrung gezeichnet. Doch dann hob er die Hand, konzentrierte sich einen Moment auf etwas in seiner Handfläche und stand dann auf.
„Verehrte Welthüter“, donnerte er mit erhobener Stimme. „Endlich habe ich die Gelegenheit, euch allen gegenüber zu treten.“
Uns allen?, dachte Jezery und konnte eine unwillkürliche Belustigung nicht unterdrücken. Hatuns Satz war einer der einfachsten und ließ sich meist ohne Zwischenfälle bei den ersten drei Malen sagen. Um auf alle Welthütern zu treffen, hätte der Eindringling sich einen längeren Satz auswählen müssen.
Das schien dem Mann ebenfalls klar zu werden, doch er ließ sich nicht davon beirren.
„So hört meine Forderungen –“
Lautes Rauschen übertönte seine Worte als ein ganzer Schwung von Welthütern auf einmal erschien. Die allgemeine Verwirrung wurde nur noch größer, denn nur drei Rückführer besannen sich ihrer Aufgabe und eilten auf die Neuankömmlinge zu.
Der Eindringling setzte erneut an. „So hört –“
„Ich fürchte, er hat sich unsere Konferenz etwas anders vorgestellt.“, raunte Jezery Kin zu und die ältere Frau grinste.
„Hatun tritt bei staatlichen Angelegenheiten aber auch immer zu überzeugend auf.“
„Wer seid Ihr?“, rief Jezery dem Mann auf der anderen Seite des Saals zu, der nun mit Entsetzen auf das Durcheinander vor ihm starrte.
„Ich bin Junus von Politrin, der Statthalter des großen Königs Kar–“
In diesem Moment ertönte ein neues Rauschen und Oseres Katu, die Logische, erschien neben dem Sitz des Gerechten.
„Gibt es denn hier keinen vermaledeiten Moment der Ruhe?“ Das Gesicht von Junus von Politrin bekam eine rote Färbung, die sehr hübsch zu seinem Gewandt passte, wie Jezery auffiel.
Sie stieß sich von Kins Stuhl ab und ging durch den Saal auf ihn zu.
„Setzt Euch erst einmal. Nehmt einen Schluck Wasser“, sie winkte einem Rückführer zu, „und wartet. Ihr habt die Rückführung völlig überstürzt vorgenommen. Wir wollen doch nicht, dass Euch Euer Geist entfällt.“
Junus von Politrin beäugte das ihm gereichte Wasser skeptisch. Jezery lächelte ihm aufmunternd zu und wartete, bis er einen Schluck genommen hatte.
„Was habt Ihr denn mit dem armen Hatun gemacht? Hat er seinen Satz etwa freiwillig aufgegeben?“
Der Statthalter von Politrin rutschte auf dem steinernen Sitz hin und her. „Unsere Argumente haben ihn überzeugt.“, sagte er schließlich mit fester Stimme.
Oseres auf seiner anderen Seite kicherte. „Nun, Logik war noch nie seine Stärke.“
„Gebt Euer Anliegen einer unserer Protokollantinnen und wir werden uns mit diesem befassen. Wenn wir nicht warten, bis alle anwesend sind, müssen wir schließlich alles doppelt sagen.“ Jezery winkte eine Protokollantin herbei.
Es reichte, wenn zwölf Sätze an diesem Tag dreifach wiederholt würden.



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Kalenderwoche 40: Wenn du dreimal direkt hintereinander den Lieblingssatz einer Person sagst, erscheint diese hinter dir – und ist total verwirrt.

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