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Der geraubte Smaragd

von Northstar
Kurzbeschreibung
GeschichteKrimi, Romance / P18 / MaleSlash
Dr. John Watson Sherlock Holmes
22.09.2021
22.05.2023
22
72.446
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02.10.2021 1.812
 
Sherlock Holmes durchmaß mit schnellen Schritten das Wohnzimmer in der Bakerstreet 221b. Dabei dampfte er seine Pfeife mit solcher Ungeduld, dass der Tabak im lackschwarzen Pfeifenkopf bei jedem Zug hell aufglühte. Am Fenster angelangt, hielt er inne und warf einem kurzen Blick hinaus auf die verlassene Straße, deren regennasses Pflaster im gelblichen Licht der Straßenlaternen glänzte. Dann nahm er sein rastloses Gehen wieder auf, wobei eine Wand oder ein Möbelstück ihn immer wieder zwangen die Richtung zu wechseln.

Bei jeder dieser scharfen Kehrtwendungen schlug ein blauer, seidener Morgenmantel um unmöglich lange Beine, welche in einer maßgeschneiderten Hose aus bester Wolle steckten. Seine hellen Augen huschten bisweilen ungeduldig zu der kleinen Pendeluhr über dem Kaminsims. In der Feuerstelle darunter verbrannten knisternd Holzscheite. Das Feuer sorgte für eine behagliche Wärme im Zimmer, während Regen, getrieben von fauchenden Windböen, heftig gegen die Fensterscheiben schlug.

Dieses Umherwandern stoppte abrupt, als die Zimmertür geöffnet wurde und ein stämmiger, nicht besonders großgewachsener, in seinen mittleren Lebensjahren stehender, Mann eintrat.

Aus den aschblonden Haaren tropfte Wasser und floss in dünnen Bahnen über ein Gesicht, welches mit sympathischen Zügen, einem imposanten Schnauzbart und rosiger Hautfarbe ausgestattet, auf einen, sowohl im Umgang angenehmen, als auch kerngesunden Menschen schließen ließ. Die Bekleidung, die der Mann trug, war ebenfalls völlig durchnässt und hing schwer um dessen Körper.

Er begrüßte Sherlock mit beiläufigen Kopfnicken, und begann sich ohne weitere Umstände aus einem grauen Regencape zu schälen, während die Wasserrinnsale die daran herunterperlten kleine Pfützen auf dem Holzdielen bildeten. Als ihm das unter einigen Mühen gelungen war, warf er das Kleidungsstück achtlos auf den nächstbesten Stuhl und ließ sich, augenscheinlich erschöpft, unter den stummen Blicken Sherlock Holmes in einen der beiden vor dem Kamin stehenden Ohrensessel fallen.

Seine Füße, die in schlammüberzogenen Galoschen steckten, schob der Mann nah an das wärmende Feuer. Kurz bedachte er die ruinierten Überschuhe mit einem angewiderten Blick. Dann fuhr er sich mit der Hand durch das kurzgeschnittene, noch feuchtglänzende Haar und lehnte sich mit einem wohligen Seufzer in das behagliche Polster zurück.

Nun erst richtete er seine Aufmerksamkeit auf Sherlock, der seit seinem Eintritt sich nicht von der Stelle gerührt hatte und ihn noch immer schweigend musterte.

Ohne dem anderen Mann in die Augen zu schauen, sagte er in einem entschuldigenden Tonfall:
 
„Ein wirklich elendiges Wetter heute Nacht“

Dann verfiel er in Schweigen, während sein Blick aus wachen, grauen Augen unstet durch das Zimmer huschte, bis er endlich beim Flammenspiel im Kaminfeuer zur Ruhe kam.

„Wieviel Pfund haben Sie dieses Mal beim Kartenspiel verloren, Doktor John Watson?“

Sherlock ließ sich visasvis des Angesprochenen in den noch freien Sessel fallen und klopfte seine Pfeife sorgsam in einem Ascher aus, der neben ihm auf einem kleinen Tischchen aus dunklem, poliertem Holz stand.

„Wie kommen Sie darauf Holmes, dass ich gespielt habe?“

Sherlock wiegte den Kopf und bedachte den Mann vor ihm mit einem abschätzigen Blick.

„Ist das nicht offensichtlich? Ihre linke Hand, John. Schauen sie ruhig hin! Sie haben sich Zahlen auf deren Innenfläche geschrieben. Doch die Tinte ist verwischt. Kein Wunder, denn Sie haben geschwitzt und das Regenwetter hat ihr Übriges getan. Korrigieren Sie mich falls ich falsch liege; es sind die gewonnenen Punkte Ihrer Mitspieler die Sie dort notiert haben, um den Überblick zu behalten. Nun, genutzt hat es Ihnen nichts. Sie haben verloren.
Am Ende reichte das Geld nicht einmal mehr für eine Droschkenfahrt und Sie mussten den Heimweg zu Fuß antreten. Daher Ihr spätes Eintreffen und Ihren Schuhen ist es auch nicht gut bekommen. Pech für Sie, John. Misses Hudson hat das Abendgedeck schon vor Stunden abgeräumt.
Also, noch einmal: wieviel haben Sie verloren? Ich hoffe sehr, dass Sie Misses Hudson ihre Miete für diesen Monat nicht schuldig bleiben. An Ihrer Stelle würde ich mich mehr um die Praxis kümmern, die Sie doch erst vor kurzem eröffnet haben, anstatt lange Abende in tristen Hinterzimmern zwielichter Lokalitäten zu verbringen."

Der Doktor funkelte Sherlock zornig an.

„Das geht Sie gar nichts an, Herr Detektiv! Doch wenn es Sie beruhigt: die Miete habe ich bereits gezahlt. Und zwar für diesen und den nächsten Monat im Voraus. Nur zur Erinnerung. Wir teilen uns zwar diese Wohnung, was beileibe kein Vergnügen für mich ist. All Ihre stinkenden und knallenden Experimente, die Sie in unserer Küche veranstalten! Und wäre das nicht schon genug; nun führen Sie sich auch noch als meine Gouvernante auf! Dabei sollten Sie lieber auf sich selber achten, Holmes. Ich habe Sie bereits mehr als einmal daran erinnert, dass eine 7prozentige Opiumlösung kein Zuckersaft ist.“

Bei Johns Erwähnung von Opium versteifte sich Sherlocks Haltung. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen. Doch dann besann er sich und griff stattdessen wieder zu seiner Pfeife und begann diese in aller Gemütsruhe mit Tabak, den er aus einem tiefroten mit Goldfäden bestickten Samtpantoffel nahm, zu stopfen.

Warum er das Kraut ausgerechnet in einem alten Schuh aufbewahrte, blieb Sherlocks Geheimnis.
Als John sich einmal naserümpfend deswegen bei ihm erkundigt hatte, bekam er vom Detektiv nur die lapidare Auskunft:

„Nun, zum Tragen fehlt mir das Gegenstück dazu. Was, in aller Welt, sollte ich also sonst damit machen?“

Besagter Detektiv betrachtete sinnend das frisch präparierte Rauchutensil. Doch anstatt die Pfeife anzuzünden, legte er sie in den Aschenbecher zurück.

„Ein Punkt für Sie, John. Da wir uns nun ausführlich mit unseren Lastern beschäftigt haben, sollten wir zu Wichtigerem kommen. John, ich brauche Ihre Hilfe bei einem meiner Fälle!“

Der Arzt sah seinen Mitbewohner überrascht an. Ihm war bekannt, das Sherlock gelegentlich an Fällen mitarbeitete die Scotland Yard Kopfzerbrechen bereitete. Vor allem dem Kopf von Inspektor Gregory Lestrade, der für Johns Geschmack viel zu häufig in der Bakerstreet auftauchte, um den Detektiv um Beistand zu bitten.
Denn wer mochte schon dauernd die Polizei im Haus haben? Außer natürlich, man war Sherlock Holmes. Und nun bat ausgerechnet dieser ihn um Hilfe? Skeptisch, jedoch neugierig geworden, wartete John darauf dass sein Gegenüber weiter sprach.

„Haben Sie keine Sorge, John. Es ist nichts außergewöhnlich Schwieriges oder Gefährliches das ich von Ihnen verlange. Seien Sie nur am nächsten Donnerstag; das ist übrigens morgen, in der Bridle Lane. Dort begeben Sie sich in den Salon von Miss Irene Adler, das „Chat Noir“, um eine Miss Wilma Prickton zu treffen. Diese wird Sie um acht Uhr abends erwarten. Madame Adler ist über Ihr Erscheinen in Kenntnis gesetzt. Alles Weitere werden Sie dann dort erfahren.“

„Bridle Lane, die liegt in Soho“, wagte John einzuwenden, „Das ist keine besonders sichere oder seriöse Gegend. Es könnte meinem Ruf als Arzt schaden, wenn mich dort jemand wiedererkennt.“

„Natürlich wäre das Ihrer Reputation nicht gerade zuträglich“, bestätigte ihm Sherlock ungerührt, „Doch was denken Sie, Doktor Watson werden Ihre wenigen Patienten von Ihnen halten, wenn sie erst erfahren das Sie ein notorischer Kartenspieler sind?“

„Holmes, Sie sind ein Erpresser!“, rief der Arzt aufgebracht, „Wer ist diese Miss Prickton überhaupt? Eine Klientin von Ihnen?“

„So etwas in der Art, John“, erwiderte Sherlock ausweichend, „Sie werden sie morgen kennenlernen“

John blies seine Wangen auf und ließ vernehmlich die Luft daraus entweichen.

„Nun, dass diese Dame in einem solchen Etablissement ihre Verabredungen trifft, sagt schon einiges über sie aus. Aber auch diesen Personen sollte Hilfe, gleich welcher Art, nicht verweigert werden. Als Arzt bin ich ja schon meines Berufes wegen verpflichtet alle Stände gleich zu behandeln.“

„Und als Mensch, Watson?“

Sherlocks Stimme hatte einen kühlen Klang angenommen.
 
„Urteilen Sie nicht nach dem äußeren Schein. Ich können versichert sein, Miss Prickton ist uns für jede Unterstützung dankbar!“

John wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Für Sherlock schien das Gespräch ohnehin beendet zu sein, denn er stand auf und ging hinüber zum Sofa auf das er sich der Länge nach fallen ließ.
Auch John erhob sich. Mit dem Gedanken bei Misses Hudson noch um ein spätes Nachtmahl zu bitten, strebte er in Richtung Flur.

Da ertönte ganz unerwartet noch einmal Sherlocks tiefer Bariton.

„In Ihrem Kleiderschrank finden Sie einen passenden Abendanzug nebst einem Übermantel und Zylinder, Handschuhen und einem Spazierstock vor. Ich denke, ich sollte Ihre Kleidergröße recht gut getroffen haben. Damit werden Sie morgen Abend eine gute Figur abgeben, John. Es sei denn, sie haben in den letzten Tagen zu oft in Misses Hudson Töpfe geschaut. Und rasieren Sie sich den Schnauzer ab! Er sticht und macht Sie älter als sie sind“

John glaubte sich verhört zu haben. Unmöglich, was sich sein Mitbewohner da herausnahm! Wie von selbst tastete er nach seiner Gesichtsbehaarung.

„Was wollen Sie Holmes? Ich trage diesen Oberlippenbart schon seit meinen Armeezeiten, und niemand hat sich bisher darüber beschwert. Außerdem, Sie sind  ja gerade der Richtige an meinem Aussehen herum zu mäkeln! Ihr Haar hätte längst einen Schnitt nötig gehabt. Es wächst Ihnen schon über den Kragen hinaus. Habe ich mich versehen, oder hatten Sie es nicht gestern sogar zu einem Zopf geflochten?“

John schäumte vor Wut.

Sherlock, der das hochrote Gesicht des Arztes entweder nicht bemerkte, oder aber gekonnt ignorierte, strich leicht über seine dunklen Haare, die sorgfältig nach hinten gekämmt, mit reichlich Pomade in Fasson gehalten wurden.

„Richtig beobachtet, John. Jedoch nicht Ihr Problem. Und noch etwas, bevor ich es vergesse. Sie sollten besser nicht als Doktor John Watson im „Chat Noir“ erscheinen. Ihr Name lautet Hamish Applehouse. Sie sind ein angesehener und wohlhabender Händler für Kurzwaren aus Glasgow. Nach Tagen anstrengender Verhandlungen mit ihren Geschäftspartnern in London, suchen Sie etwas Entspannung dort. Nur zu verständlich, finden Sie nicht auch, John?“

Der Arzt starrte Sherlock an, als sei der von allen guten Geistern verlassen.

„Du meine Güte, Holmes! Warum solche Umstände für ein Treffen mit einer Unbekannten? Und das in einer Gegend Londons, in die es mich nur äußerst selten verschlägt. Obendrein in einer Kaschemme, in der mich niemand kennen wird. Für eine einfache Aufgabe, wie Sie es nannten, scheint das alles ziemlich viel Aufwand zu sein.“

Sherlock gab einen ungeduldigen Ton von sich.

„Ich sehe schon Watson, Ihre Ahnung von guter Detektivarbeit ist doch sehr begrenzt. Warum hören Sie nicht auf Ihren kleinen Verstand zu quälen, und probieren stattdessen Ihren neuen Abendanzug an? Möglicherweise wird Ihnen dann auffallen, dass Sie dann endlich einmal gut gekleidet sind. Sie können sich glücklich schätzen, dass ich mich nicht an abgewetzten Hosenböden und den blankgescheuerten Ärmelaufschlägen Ihrer altmodischen Jacken störe.“

Die einzige Antwort die der Detektiv darauf noch bekam, war das Dröhnen einer heftig zugeschlagenen Tür.

Sherlocks Lippen verzogen sich zu einem dünnen Lächeln. Er schob sich auf der knarzenden Couch in eine bequeme Position, verschränkte die langen Finger seiner schlanken Hände über der Brust ineinander und schloss die Augen.

Ein flüchtiger Beobachter hätte angenommen der Detektiv würde schlafen. Doch hinter den geschlossenen Lidern bewegten sich Sherlocks Augäpfel unablässig. Synchron dazu formten seine Lippen tonlos Wörter, während die unterschiedlichsten Ausdrücke über sein blasses, scharfgeschnittenes Gesicht huschten. Der schmale Brustkorb hob und senkte sich in einem schnellen, zuweilen unregelmäßigen Rhythmus. Erst als der Morgen dämmerte, wurden die Atemzüge tief und regelmäßig. Der unstete Geist des Detektivs hatte ein wenig Ruhe gefunden.
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