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Waffenbrüder 19. Staffel 2 - Alte Feindschaft

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Angst / P18 / MaleSlash
Aramis Athos D'Artagnan Graf Rochefort Porthos
17.09.2021
11.02.2022
19
80.436
9
Alle Kapitel
102 Reviews
Dieses Kapitel
7 Reviews
 
29.10.2021 5.610
 
Hallo, ihr Lieben!

Wegen diverser Arztbesuche (nichts Schlimmes ;-) bin ich heute später dran als gewohnt.

Dieses Kapitel ist an sich auch schon ewig alt – und doch habe ich bis eben daran herumgefeilt, weil es mir sehr wichtig ist, all meine Gedanken, vor allem die Emotionen in die richtigen Worte zu fassen. Irgendwann muss man aber mal loslassen – und das tue ich hiermit in der Hoffnung, es gefällt euch!

Ich lade ein zu einem deftigen Abendessen mit frischem Dinkel-Steinofenbrot, Butter, verschiedenem Käse, Salami und Schinken, dazu ein schöner Salat, und Kaltgetränke nach Wahl.

Die Toffifee bleiben heute im Schrank, die brauchen wir demnächst dringender (wobei einige am Ende des Kapitels vielleicht einen Beruhigungstee gegen akute Wutanfälle brauchen – oder Kamillentee gegen Brechreiz... ;-).

Nun wünsche ich anregende Leseminuten!

Ann

 

(...) Athos spürte, wie der Griff um seine Hand sich lockerte, zog sie behutsam zurück, aber nur, um seine Finger sacht durch die feuchten Haare des Jüngeren gleiten zu lassen. Als d’Artagnans Gesichtszüge sich unter der sanften Berührung ein wenig entspannten, nahm er das feuchte Tuch von dessen Gesicht, tränkte es erneut mit kühlem Wasser, wrang es aus und legte es zurück auf die Stirn. Dann wanderten seine Finger wieder behutsam liebkosend durch d’Artagnans Haar.

„Besser?“, murmelte er, und d’Artagnan brummte erschöpft seine Zustimmung. Athos wiederholte die Prozedur mehrfach, und allmählich beruhigte sich der Atem des Jüngeren, bis er offenbar eingeschlafen war.

Athos sah ihn eine Weile lang einfach nur an. „Ich brauche dich mehr als die Luft zum Atmen...“, bekannte er schließlich nahezu lautlos. „Ich will nichts mehr, als dass du sicher bist – und habe doch genau das Falsche getan...“

 

- Kapitel 7: Wunden lecken -


Als d’Artagnan erwachte, war er für einen Moment verwirrt.

Die Zeltplane war viel zu hoch über seinem Kopf, und er lag auch nicht auf blanker Erde, sondern offenbar auf einer Pritsche. Und dann nahm er das dumpfe Hämmern in seinem Schädel wahr. Unwillkürlich fuhr seine Hand zu seiner linken Stirnseite, ertastete die Wunde – und eine vage Erinnerung an ein Gespräch mit Athos am letzten Abend strömte über ihn hinweg; an mehrere Male in der Nacht, in der der Ältere ihn geweckt und beharrlich verlangt hatte, dass er völlig belanglose Dinge benannte - seinen Namen, sein Alter oder bis zehn zu zählen - bevor er wieder in den Schlaf zurücksinken durfte, der ihn von den Schmerzen wegtrug. Unwillkürlich stöhnte er leise auf, als eine unangenehm muntere Stimme ihn ansprach: „Oh, Ihr seid wach, Monsieur. Wollt Ihr etwas essen?“

Erschrocken fuhr d’Artagnan in eine sitzende Position hoch, bereute die hastige Bewegung jedoch sofort, denn das dumpfe Pochen weitet sich zu einem schmerzhaften Hämmern aus, während sein Magen revoltierte. Mit allen Mitteln dagegen ankämpfend umklammerte er haltsuchend den Rahmen der Pritsche.

„Ist euch nicht wohl?“, fragte dieselbe Stimme nicht eben mitfühlend. D’Artagnan zwang sich, die Augen zu öffnen, um den Sprecher anzusehen.

Marcel. Der Kadett stand mitten in Athos’ Kommandozelt und sah d’Artagnan aufmerksam an.

„Es geht mir blendend“, antwortete d’Artagnan bissig. „Was tust du hier?“

„Der Kommandant hat mir befohlen, bei Euch zu bleiben und mich um Euer Wohlergehen zu kümmern.“

„Der Kommandant...“, murmelte d’Artagnan, sah den Kadetten dann an und fragte: „Und wo ist der Kommandant jetzt?“

„Draußen“, war die nicht eben hilfreiche Antwort des Jungen, so dass d’Artagnan ihn trotz seiner Kopfschmerzen anfunkelte, bis er sich bequemte, zu präzisieren: „Morgenappell und Lagerinspektion.“

Etwas versöhnt mit der Antwort nickte d’Artagnan. Egal, was auch immer zwischen ihnen vorgefallen war – Athos hatte das Kommando und somit eine Verantwortung gegenüber den jungen Leuten. Und er selbst natürlich auch. Schließlich waren sie beiden die einzigen voll ausgebildeten und erfahrenen Soldaten bei dieser Unternehmung. Und nun, da de Grasse ihnen nicht mehr freundschaftlich gesonnen war...

De Grasse...

Mit einem Schlag fielen ihm die Geschehnisse im Wald wieder ein. Der völlig unerwartete Übergriff, wie de Grasse mit einem Mal ein anderer Mensch gewesen schien – und Athos’ Einschreiten...

D’Artagnan schluckte hart gegen die erneut aufsteigende Übelkeit, die diesmal jedoch nur wenig mit den Kopfschmerzen zu tun hatte. Er konnte sich jetzt keine Schwäche leisten, denn was auch immer zwischen Athos und ihm stand - er musste draußen sein, falls dieser verfluchte Bastard de Grasse Rache für die Behandlung am letzten Abend suchen würde. Obwohl d’Artagnan nicht einmal wusste, was zur Hölle genau Athos mit dem Comte angestellt hatte, nachdem er selbst weggeschickt worden war wie ein ungezogenes Kind...

Entschlossen, Antworten auf seine Fragen zu erhalten schwang er die Beine aus dem Bett, ignorierte das unveränderte Hämmern in seinem Kopf und verlangte: „Geh jetzt – ich komme zurecht.“ Er wollte nicht, dass ausgerechnet Marcel mitbekam, wie er sich mit unsicheren Bewegungen anzog.

Doch Marcel verzog widerspenstig das Gesicht. „Der Kommandant wünscht, dass Ihr Ruhe habt, Monsieur d’Artagnan. Ihr solltet nicht aufstehen...“

Erneut fixierte d’Artagnan den Kadetten mit einem finstersten Blick und verlangte scharf: „Was ich sollte oder nicht, entscheide ich selbst, Marcel! Also raus hier!“

„Wie Ihr meint!“, entgegnete Marcel. „Aber der Kommandant wird darüber nicht erfreut sein.“

„Das kläre ich selbst mit ihm, keine Sorge!“, versicherte d’Artagnan knapp, wartete, bis Marcel auf dem Absatz kehrt machte und das Zelt verließ, bevor er mit wackligen Knien aufstand, um sich mühsam anzukleiden und zu gürten.

Etwas Wasser aus dem bereitstehenden Krug ins Gesicht, die vom Schlaf wirren Haare damit geglättet, und er fühlte sich zumindest imstande, das Zelt aufrecht zu verlassen, zumal sich die Kopfschmerzen auf ein halbwegs erträgliches Maß reduziert hatten.

Vor dem Zelt warf er als erstes einen Blick über die Lichtung. Der Morgenappell schien schon seit einer Weile vorüber zu sein. Einige der Kadetten waren an dem großen Kochfeuer damit beschäftigt, sich um die nächste Mahlzeit zu kümmern; am Rand des Lagers sah er einige der älteren Rekruten Wache stehen – doppelt so viele wie an den Tagen zuvor. Offenbar erwartete auch Athos, dass de Grasse auf Rache aus sein würde.

Der Gedanke an den Comte schmerzte und entfachte zugleich Wut in d’Artagnan. Wut vor allem auf sich selbst; dass er sich von dessen scheinbar mitfühlender Freundlichkeit und Wertschätzung derart hatte einlullen lassen. Nur diese grobe Fehleinschätzung hatte es dem Comte überhaupt erst ermöglicht, d’Artagnan am Abend zuvor derart zu überrumpeln.

Was ohne Athos’ Einschreiten geschehen wäre – das wurde ihm erst jetzt richtig bewusst. Es jagte eine so plötzliche Welle aus Schock, heißer Wut und brennender Scham zugleich durch den Gascogner, dass er haltsuchend nach dem Zeltpfosten neben sich griff. Er war heilfroh, dass ihn in diesem Moment niemand beachtete.

Mit tiefen, konzentrierten Atemzügen versuchte er, sich so weit wieder in den Griff zu bekommen, dass er die Hand von dem Pfosten lösen und zu den Kadetten am Kochfeuer hinüber gehen konnte.

„Guten Morgen, Monsieur d’Artagnan!“, begrüßte ihn Lupien, und sah mit einem freundlichen Lächeln von dem Kochtopf auf, in dem er rührte. „Geht es Euch besser?“

„Viel besser,“ log d’Artagnan unverfroren. „Wo ist der Kommandant?“ Er hatte bei seinem Rundumblick weder Athos noch Marcel bemerkt.

„Ich weiß es nicht genau“, antwortete Lupien. „Nach dem Appell ist er in den Wald gegangen“, und auf d’Artagnans fragenden Blick hin ergänzte er: „In diese Richtung.“ Dabei wies er grob in Richtung des Lagers der Gardes Françaises. War Athos unterwegs zu de Grasse? Ein vages, ungutes Gefühl machte sich in ihm breit, und alles in ihm drängte danach, Athos zu folgen.

„Danke!“, beschied er also zunächst Lupien und wollte sich gerade wegdrehen, als der junge Mann schüchtern anmerkte: „Monsieur, es geht mich nichts an – aber vielleicht solltet Ihr zuerst etwas essen?“

D’Artagnan spähte in den Topf, in dem der Junge rührte – Haferbrei – und fühlte sich augenblicklich wieder flau im Magen. So antwortete er freundlich, aber entschlossen: „Danke – aber nein. Ich habe keinen Hunger.“

Durch den freundlichen Ton ermutigt erhob sich Lupien und erwiderte: „Ich weiß, dass man bei einer solchen Kopfwunde ein paar Tage lang Übelkeit verspürt, Monsieur. Wenn Ihr möchtet, hole ich Euch ein Stück trockenen Brotes und bereite Euch etwas Kräutertee dazu.“

„Kräutertee?“, erkundigter sich d’Artagnan gegen seinen Willen neugierig.

„Aus wilder Minze“, erklärte Lupin. „Er beruhigt den Magen, genau wie trockenes Brot.“

„Woher weißt du das?", forschte d’Artagnan nach.

Die Wangen des Jungen überzogen sich mit einer feinen Röte, als er gestand: „Meine Mutter war eine Heilerin. Sie kannte sich mit Krankheiten und Kräutern aus.“

D’Artagnan lächelte mit leiser Wehmut, als er bekannte: „Genau wie meine Mutter... Ich danke dir, Lupien, und ich werde später gerne auf dein Angebot zurückkommen. Doch jetzt muss ich zunächst dringend mit dem Kommandanten sprechen.“

Damit drehte er sich endgültig um und schritt zügig zum Wald.

Obwohl es dort bei Tageslicht völlig anders aussah als in der Nacht zuvor fand er zielsicher den Weg zu der Stelle, an der er gestern Athos und de Grasse verlassen hatte. Doch er kam nicht bis dorthin, denn zuvor schon begegnete ihm Athos, Marcel dicht auf den Fersen.

Sein Freund lief blindlings voran, so dass er fast in d’Artagnan hineingelaufen wäre, hätte dieser nicht eilig einen Schritt beiseite gemacht.

Athos fuhr zurück, sah ihn mit großen Augen an, die sich aber schnell zu unwilligen Schlitzen zusammenzogen, als er gefasst erklärte: „Du bist tatsächlich nicht im Zelt?“

„Offenkundig nicht!“, konnte d’Artagnan sich eine sarkastische Erwiderung nicht verkneifen und starrte Marcel wütend an, der nichts Besseres zu tun gehabt hatte, als Athos von seinem Ungehorsam zu berichten. Als dieser zumindest verlegen bei Seite sah, räusperte d’Artagnan sich und bemühte sich um einen sachlichen Ton, als er Athos erklärte: „Ich muss mit dir sprechen...!“

Noch immer musterte der Ältere ihn eingehend, so dass d’Artagnan sich bemüßigt fühlte, betont hinzuzufügen: „Unter vier Augen!“

Athos schien kurz davor zu sein, etwas zu erwidern, doch dann nickte er nur knapp und befahl über seine Schulter hinweg: „Marcel – geh ins Lager und stelle sicher, dass die Wachen auf ihren Posten sind.“

„Aber Kommandant – Ihr solltet nicht allein hier im Wald...“

„Ich sagte: Geh!“, unterbrach Athos ihn gefährlich leise, ohne den Blick von d’Artagnan zu wenden. Irgendetwas gefiel ihm beim Anblick seines Freundes nicht, und auch wenn er nicht den Finger darauf legen konnte, was es war, wollte er den Kadetten so schnell wie möglich los werden. Widerworte war das Letzte, was er bei allem, was gerade vor sich ging, gebrauchen konnte.

„Jawohl, Kommandant. Ich kümmere mich persönlich...“

„Du bist noch da?“ Dieses Mal wandte Athos sich dem Kadetten zu, und das Grollen war genauso in seiner Miene zu lesen wie in seiner Stimme zu hören.

Ohne ein weiteres Wort lief der Bursche eilig den Pfad entlang, den d’Artagnan gerade gekommen war.

Kaum war er hinter den Bäumen verschwunden, lehnte sich d’Artagnan aufseufzend mit dem Rücken gegen einen Stamm, stützte die Linke auf seinem Oberschenkel ab und rieb sich mit der Rechten die Stirn, während er mit einer Portion Sarkasmus erklärte: „Der Junge setzt wirklich alles daran, dir zu gefallen.“

„Marcel?“, erwiderte Athos abgelenkt, denn er forschte weiter in d’Artagnans Gesicht, um dahinterzukommen, was zur Hölle...

„Marcel hat recht: Es geht dir tatsächlich absolut nicht gut!“, stieß er dann seine Erkenntnis in einer Mischung aus Missbilligung und Besorgnis hervor. „Du bist kreidebleich!“ Unwillkürlich trat er einen Schritt näher an den Jüngeren, erstarrte aber, als dieser sich kerzengerade aufrichtete, damit zurückwich, soweit der massive Stamm ins einem Rücken es zuließ.

„Lass das“, fuhr ihn d’Artagnan fast im selben Moment ungehalten an. „Ich bin hier, um endlich mit dir zu reden! Was zur Hölle war da gestern Abend los! Was ist da zwischen dir und de Grasse – und warum...“ Er schwieg schwer atmend, biss sich auf die Unterlippe und sah zu Boden.

„Warum was...“, forderte Athos mit zusammengezogenen Augenbrauen.

Noch einmal atmete d’Artagnan tief durch, sah dem Freund fest in die Augen und vollendete seinen Satz leise: „Warum hast du mich in den letzten Tagen derart kalt und abweisend behandelt?“

Athos stockte. D’Artagnan hatte genau das ausgesprochen, was er selbst bereits erkannt hatte. Er drehte sich weg, um sich seine Frustration und Scham nicht anmerken zu lassen. Denn jetzt gerade war der denkbar schlechteste Augenblick für dieses Gespräch. Er hatte keine Zeit, hier im Wald zu stehen und mit d’Artagnan zu diskutieren, und so erwiderte er zurückhaltend: „Ich weiß, dass mein Verhalten nicht in Ordnung war... Aber können wir das nicht später...“ Er unterbrach sich, als er den finsteren Ausdruck in d’Artagnans Augen wahrnahm. „Nun gut“, änderte er seine Taktik. „Ich wollte lediglich...“ Er seufzte, frustriert über sein Unvermögen, die passenden Worte zu finden und fuhr schließlich wider besseres Wissen beschwichtigend fort: „Wir hatten das doch schon in Paris besprochen, d’Artagnan. Niemand sollte einen Grund haben, mehr in uns zu sehen als... als...“

„Waffenbrüder?“, ergänzte d’Artagnan bitter. Athos Kopf flog bei dem Unterton herum und musterte d’Artagnan scharf. „Richtig!“, gab er dann zurückhaltend zu.

D’Artagnan schnaubte und erwiderte erbittert: „Und Waffenbrüder dürfen nicht einmal mehr miteinander reden? Oder gemeinsam die Kadetten trainieren? Athos – du hast mich nicht behandelt wie einen beliebigen Kameraden oder auch nur einen der Rekruten...“ Und mit einem Mal wurde seine Stimme leise, ließ die tiefe Erschöpfung und den ganzen Schmerz der letzten Tage durchschimmern, als er endete: „Du hast mich geschnitten und gemieden und mit einer herablassenden Kälte behandelt, als hasstest du mich...“

Athos erstarrte, wich dem Blick aus den dunklen Augen aber nicht mehr aus, die mit einem Mal eine Verletzlichkeit ausstrahlten, die ihn bis ins Mark traf. Mit einem Schlag wurde ihm klar, dass er sich die Zeit nehmen musste, hier und jetzt, um auf diese Vorwürfe einzugehen. Doch das Einzige, was er als Erwiderung hervorbringen konnte war: „Wie könnte ich dich je hassen, d’Artagnan?“ Es war das Echo von Worten, die er schon einmal vor so langer Zeit gesprochen hatte. Damals hatte d’Artagnan ihm geglaubt, aber heute...?

Der Jüngere atmete schwer und entgegnete schließlich resigniert: „Was sollte ich denn sonst denken?“

Athos stockte der Atem. Hatte er den jungen Mann tatsächlich so sehr von sich gestoßen in seiner Furcht, de Grasse auf ihn aufmerksam zu machen? War er zu weit gegangen? Mit einem Mal wurde alles andere nebensächlich, rückte die akute Gefahr in den Hintergrund gegenüber der Möglichkeit, dass er mit seinem Verhalten das Wertvollste in seinem Leben zerstört haben könnte. Und aus diesem erschreckenden Gedanken heraus fragte er ruhig, doch nun nicht minder verletzlich als d’Artagnan zuvor: „Habe ich dein Vertrauen in mich verspielt? Deine Liebe...?“ Er stockte, schluckte hart, brachte nicht die Frage über die Lippen, die ihm auf der Seele brannte: ‚Habe ich dich verloren?’

D’Artagnan forschte aufmerksam im Gesicht des Älteren, der seinem Blick stand hielt. Keiner von ihnen wusste, wie lange sie so einander nur ansahen, gefangen in diesem Moment, in ihrer Furcht, durch ein falsches Wort, eine Bewegung etwas unendlich Kostbares zu zerstören. Und endlich spürte d’Artagnan, wie der eisige Klumpen aus Verbitterung und Zurückweisung, der in den letzten Tagen sein ständiger Begleiter geworden war, schmolz und nichts zurückließ als den Kern seines Seins...

„Ich vertraue dir, mit allem, was ich bin...“, erklärte der Jüngere schließlich dunkel vor Emotionen. „Bei Gott, Yves - ich liebe dich!“

Und im selben Moment war Athos bei ihm, umschlang ihn, küsste ihn voll wilder Zärtlichkeit, und d’Artagnan klammerte sich an den Mann, der ihm mehr als sein Leben bedeutete, öffnete seine Lippen und eroberte voller Ungeduld dessen Mund. Athos drängte sich noch härter gegen ihn, fasst seinen Kopf mit beiden Händen – und d’Artagnan stöhnte auf.

Sofort kam Athos wieder zu Verstand und rückte etwas von ihm ab. Ohne ihn loszulassen, musterte er d’Artagnan forschend, denn längst kannte er den Jüngeren gut genug, um ein lustvolles Aufstöhnen von einem aus Qual geborenen zu unterscheiden.

„Mein Kopf...“, murmelte d’Artagnan mit festzusammengepressten Augenlidern und klammerte sich zugleich an den Freund, ein stabiler Fels gegen seinen Schwindel .

In einer Mischung aus tiefer Besorgnis und grollender Wut fragte Athos: „Hat de Grasse dich derart hart geschlagen?“

„Seine Schläge waren zu verkraften und ich habe auch ausgeteilt – aber dann bin ich gestolpert und mit dem Kopf genau auf eine harte Baumwurzel gestürzt!“ Dabei berührte er behutsam die Platzwunde an der Schläfe.

„Ich hätte ihm doch das Genick brechen sollen“, murmelte Athos düster, während er d’Artagnan eingehend musterte.

„Hast du nicht?“, erwiderte d’Artagnan mit einem schmalen Lächeln und öffnete vorsichtig wieder die Augen, um nun seinerseits Athos prüfend anzusehen.

„Nein“, gestand Athos ingrimmig. „Ich hatte ihn lediglich betäubt und gefesselt, und Roman, Thibault und Garnier haben ihn in Gewahrsam genommen. Sie schienen kaum verwundert, als ich ihn beschuldigte und waren offenkundig froh, dass seinem Tun ein Ende gesetzt worden war... Aber leider war es trotzdem ein Fehler, ihnen de Grasse zu überlassen...“ Er schwieg bedrückt, doch er konnte d’Artagnan die neuesten Ereignisse nicht länger vorenthalten. Und so holte er tief Luft und begegnete dem fragenden Blick offen, während er fortfuhr: „Ich war eben auf dem Weg ins Lager der Gardes Françaises, um mich mit Roman und den anderen älteren Gardisten zu besprechen. Doch Roman hat nicht länger das Kommando... Wir hatten offenbar unterschätzt, wie groß Vichys Einfluss auf viele der jüngeren Kadetten ist. Statt ihn zu bewachen haben sie ihn befreit, und seine erste Handlung war, die drei älteren Gardesoldaten gefangen zu setzen.“ Unwillkürlich sog d’Artagnan scharf die Luft ein.

Athos sah ihn reumütig an und bekannte: „Es ist meine Schuld. Ich hätte seine Bewachung gar nicht erst in die Hände seiner Truppe legen dürfen... Und nun stellt er einmal mehr eine Gefahr für dich dar.“

„Für mich?“, entkam es d’Artagnan, so dass Athos nach kurzem Zögern leise zugab: „Ich weiß, was gestern Abend seine... Absicht war...“

Augenblicklich erstarrte d’Artagnan und entzog sich in einer Mischung aus Scham und Wut Athos’ Berührung. „Er hat mich angegriffen – und ich habe mich überrumpeln lassen...“, erklärte er hastig, so, als wolle er sich selbst davon überzeugen.

Athos unterbrach ihn nicht, sah ihn nur geduldig an, hoffte, dass sein Freund das akzeptierte, was er längst wusste – und fürchtete den Moment zugleich. Schließlich schwieg d’Artagnan, und das Entsetzen und der Ekel in seinem Blick zeigten, dass er allerdings nur zu genau wusste, was de Grasse vorgehabt hatte, ihm anzutun. Er starrte an Athos vorbei und fragte schließlich mit seltsam tonloser Stimme: „Du kannst nicht gehört haben, was er zu mir gesagt hat... Aber warum... warum bist du dir so sicher?“

Athos stieß ein kurzes, erbittertes Schnauben aus und erklärte rau: „Weil es nicht das erste Mal ist, dass er Gewalt anwendet, um von einem jungen Mann zu bekommen, was er will!“ Gleichzeitig hob er behutsam seine Hand und ließ sie in einer beruhigenden Geste über d’Artagnans Rücken gleiten. D’Artagnan wich ihm nicht aus, doch er entspannte sich auch nicht. Trotzdem fuhr Athos mit seiner Berührung fort – und schließlich raunte der Jüngere voll tiefer Scham: „Ich dachte, er sei ein Freund... Ich habe ihn an mich heran gelassen, und deshalb bin ich selbst schuld...“

„Niemals!“, fuhr Athos eindringlich auf, und als d’Artagnan unter der Heftigkeit dieses einen Wortes zusammenzuckte, seufzte der Ältere leise und fügte sanfter hinzu: „Ich kenne ihn, d’Artagnan. Und glaub mir, wenn ich dir versichere: Es ist nicht deine Schuld! Niemals!“

Endlich sah d’Artagnan ihm wieder in die Augen, doch sein Blick war skeptisch, abweisend, und so wunderte Athos sich nicht, als der Jüngere nur auf einen Teil seiner Aussage einging und mit einem sarkastischen Unterton anmerkte: „Ach - du kennst ihn?“

Athos überging dies und versprach ruhig: „Ich erkläre dir alles, Charles, ich stehe dir Rede und Antwort, auch für mein Verhalten dir gegenüber - aber im Moment gibt es Dringlicheres. De Grasse ist ein wirklich übler Zeitgenosse, und ich fürchte, er wird sich rächen wollen - vor allem an mir... Ich habe keine Ahnung, was er vorhat oder wie weit er bereit ist zu gehen. Aber die Tatsache, dass er dich angegriffen hat und dir Gewalt antun wollte...“ Er schluckte hart, und einmal mehr schnürte ihm die kalte Wut über das, was beinahe geschehen war, die Kehle zu, doch er kämpfte dagegen an und fuhr unerbittlich fort: „Er muss sich verdammt sicher sein, damit davon zu kommen. Wir müssen zurück zum Lager und uns vorbereiten. Schaffst du es, wenn du deinen Arm um meine Schulter legst?“

D’Artagnan atmete tief durch, sah Athos eindringlich an. Er hatte so viele Fragen; trotz seines Bekenntnisses und des Kusses, trotz seiner ungebrochenen Liebe war noch so viel zu klären zwischen ihnen, schwelte noch ein Teil dieser hilflosen, verletzten Wut auf Athos in ihm – doch das alles musste im Augenblick zurückstehen. Und so drängte er alle Fragen, alle Wut in den Hintergrund und erklärte fest: „Ich werde nicht auf dich gestützt zurück wanken. Das untergräbt die Moral der Truppe.“ Als er sah, dass Athos schon eine scharfe Erwiderung auf der Zunge hatte, unterbrach er ihn mit erhobener Hand und gab zu: „Ich weiß, wie schlecht es mir geht, Athos. Ich kann kaum längere Zeit geradeaus gehen – geschweige denn, kämpfen. Und das ist ein Problem!“, fügte er besorgt hinzu. „Wenn du wirklich recht hast und de Grasse sich rächen will, stehst du ihm und seinen Leuten allein mit kaum mehr als einem Dutzend unerfahrener Rekruten gegenüber...!“

„Wir brauchen Verstärkung...“, murmelte Athos, der die Gedanken seines Freundes sofort begriffen hatte, weil ihm bereits ähnliches durch den Kopf gegangen war. D’Artagnan brummte zustimmend. Er stieß sich von dem Baumstamm in seinem Rücken ab und griff haltsuchend nach Athos’ Schulter. „Lass uns zurück zum Lager“, forderte er, und gemeinsam traten sie den Rückweg an. So lange sie noch außer Sichtweite der anderen Soldaten waren nutzte d’Artagnan seinen Freund als Stütze. Das hinderte ihn jedoch nicht, laut nachzudenken: „Wer ist der schnellste Reiter?“

„Marcel“, erwiderte Athos und sah seinen Freund dabei aufmerksam an. Er war sich nicht ganz sicher, warum – aber d’Artagnan war nicht gut auf den jungen Rekruten zu sprechen. Hatte de Grasse vielleicht auch d’Artagnan gegenüber davon gesprochen, dass Marcel sein neuer Protegé werden sollte? Und... hatte d’Artagnan dem Glauben geschenkt? Schon wieder wollten Wut und Schuld ihre eisigen Klauen nach ihm ausstrecken, doch zu seiner Erleichterung schob d’Artagnan zumindest für den Moment offenbar seine persönlichen Ressentiments zurück und nickte langsam, während er nüchtern zu bedenken gab: „Das stimmt – aber ist er in der Lage, allein den Weg zurück nach Paris zu finden?“

„Hm...“, brummte Athos. Tatsächlich hatte der Junge keinen besonders guten Orientierungssinn, und von dem Ritt, der ihnen Verstärkung holen sollte, hing zu viel ab.

„Außerdem ist er wohl der beste Kämpfer unter den Rekruten“, gab d’Artagnan weiter zu bedenken und murmelte mehr zu sich selbst: „Kein Wunder bei dem Ausbilder...“. Bevor Athos auf die seltsame Aussage reagieren konnte, fügte d’Artagnan wieder lauter hinzu: „Wir brauchen ihn hier, wenn es hart auf hart kommen sollte.“

„Wen schlägst du an seiner Stelle für den Ritt vor?“

D’Artagnan überlegte kurz und erwiderte dann: „Jacques. Er ist auch ein guter Reiter, aber vor allem hat er ein hervorragendes Gedächtnis für das Gelände. Ihm würde ich auch La Belle anvertrauen.“

„Minou ist schneller“, gab Athos zu bedenken, und d’Artagnan lächelte leise, bevor er erwiderte: „Aber sie lässt sich nicht einfach von jedermann reiten. La Belle ist zuverlässiger.“

Inzwischen waren sie am Waldrand in der Nähe des Lagers angekommen, und d’Artagnan löste die Hand von der Schulter seines Freundes. Sie nickten Jean-Claude, der auf Wache stand, kurz zu. Der Junge starrte d’Artagnan entsetzt an.

„Monsieur, d’Artagnan – seid Ihr in Ordnung?“

Die unüberhörbare Besorgnis rührte d’Artagnan, und so versuchte er sich an einem beruhigenden Lächeln für den Jungen, während er erwiderte: „Es geht mir gut, Jean-Claude. Halte nur weiter die Augen offen, in Ordnung?“

Der Kadett blickte voller Ernst zwischen den beiden Musketieren hin und her und versicherte: „Das mache ich!“

Als sie an ihm vorbei waren, raunte Athos: „Er sollte nicht allein hier Wache stehen!“ Doch dann traten sie aus den Schatten der Bäume ins morgendliche Sonnenlicht, und Jean-Claude war für den Moment vergessen, denn erst jetzt erkannte Athos in vollem Umfang, wie mitgenommen d’Artagnan tatsächlich aussah.

„Ich schlage vor, du begibst dich wieder ins Zelt auf die Pritsche“, schlug er möglichst gleichmütig vor. Er wusste genau: Je mehr er drängte, umso sturer würde d’Artagnan seinem Wunsch zuwider handeln. „Ich schicke inzwischen Jacques los und kümmere mich darum, dass die Truppe auf einen möglichen Angriff vorbereitet ist.“

Er wusste nicht, ob er erleichtert oder erschrocken sein sollte, weil d’Artagnan ihm entgegen seiner Erwartung nicht widersprach, sondern nur knapp nickte.

Er musterte den Jüngeren noch einmal eindringlich. So vieles wollte er sagen, so vieles war zwischen ihnen zu klären, doch hier war weder die Zeit noch der Ort dafür. Da unterbrach d’Artagnan seine Gedanken, indem er leise fragte: „Glaubst du wirklich, de Grasse wäre so dreist, einen Trupp Musketiere ohne erkennbaren Grund anzugreifen? Das wäre ein offener Affront gegen den König!“

Athos’ Blick verdüsterte sich, als er bekannte: „Ich bin mir nicht sicher, d’Artagnan.... Aber er hat schon alles riskiert, als er dich angriff. Und er ist bisher in seinem Leben mit so vielen üblen Sachen ungeschoren davongekommen, dass er vielleicht glaubt, auch dieses Mal könne er tun, was ihm beliebt. Und dazu kommt: Er hat mit mir noch eine alte Rechnung offen....“

Durfte er darauf hoffen, dass Robert es tatsächlich nur auf ihn abgesehen hatte und die Kadetten beider Kompanien aus ihrem Zwist heraushalten würde? Da bemerkte er, dass d’Artagnan ihn gespannt ansah, und so erklärte er sanft: „Später. Jetzt geh zum Zelt, und ich kümmere mich um alles...“

D’Artagnan nickte knapp und bat noch: „Kannst du mir Lupien schicken, wenn er dir über den Weg läuft?“ Dieses Mal war es an Athos, fragend dreinzuschauen, und so erklärte d’Artagnan kurz: „Er kennt sich mit Heilkräutern aus.“

„Du brauchst Heilkräuter?“ Fast augenblicklich wurde Athos’ Blick erneut besorgt und er musste sich zurückhalten, um nicht instinktiv nach d’Artagnan zu greifen. Doch der erklärte nur bewusst gelassen: „Gegen die Übelkeit...“

Ein wenig erleichtert nickte der Ältere, konnte dann doch nicht umhin, noch einmal d’Artagnans Schulter zu drücken und schob ihn dann Richtung Zelt. Kurz sah er seinem Freund nach, bis er selbst mit großen Schritten zu den Kadetten hinüberging, um Jacques zu suchen.

 

Robert Vichy, Comte de Grasse saß in seinem Kommandanturzelt auf dem bequemen Bett und starrte auf die sich im Wind leicht blähende Stoffbahn des Eingangs. Sein Kopf schmerzte wie rasend, und alle Glieder taten ihm weh.

„Hier, Meister!“, murmelte Gustave, kniete vor ihm und hielt ihm einen Kelch mit einem wohltuenden Kräuterwein hin. Robert erkannte den Duft; Gustave hatte schon lange gelernt, was ihm wann gut tat. Trotzdem ignorierte er den Burschen, wollte testen, ob seine Macht über ihn ungebrochen war. Minute um Minute verstrich, doch Gustave rührte sich nicht, hielt in derselben demütigen Haltung den Becher für seinen Herrn bereit – und endlich sah de Grasse auf, griff danach, leerte ihn mit einem Zug und warf ihn dann in einer unbeherrschten Geste mit einem Wutschrei zu Boden.

Er musste nicht befürchten, dass einer der Kadetten ihn hören könnte; zum einen stand sein Zelt ein gutes Stück von den anderen entfernt – er brauchte keine Zuhörer bei seinen... Vergnügungen – doch vor allem gab es nun endlich in diesem Lager niemanden mehr, der seine Autorität anzuzweifeln wagte. Die, die es getan hatten, lagen gefesselt und von ihm ergebenen Leuten gut bewacht am anderen Ende des Feldlagers.

Hier war er wieder Herr der Lage.

Hier...

Doch nur einen halben Kilometer entfernt befand sich der Feind.

Athos...

Er merkte erst, dass er vor Hass mit den Zähnen knirschte, als seine Kiefermuskeln schmerzten. Und doch war da neben der Wut auch eine gute Portion Furcht.

Furcht vor der kalten, gnadenlosen Wut, die er in la Fères Augen gesehen hatte. Er hatte Olivier jahrelang nicht gesehen, nur Gerüchte über das unselige Ende seiner Ehe vernommen, die ihn wenig interessiert hatten. In seiner Erinnerung war Athos ein kultivierter, höflicher, freundlicher junger Mann gewesen – nun, sah man von seiner seltsamen Marotte ab, in Bediensteten beinahe gleichwertige Wesen zu sehen. Doch er war ihm nicht besonders jähzornig oder gar furchteinflößend erschienen. Der Kommandant der Musketiere dagegen war ein völlig anderer – hart, unnachgiebig und wirklich beängstigend in seinem Zorn. Und das konnte Vichy nicht ertragen. Er war derjenige, der über anderen stand, vor dem andere in Furcht erbebten – und nun war er bereits zweimal in einem Monat auf Männer gestoßen, die ihn ihre Verachtung spüren ließen und... Angst in ihm erweckten. Etwas, das er mehr als schlecht vertrug...

Was er allerdings noch mehr als Olivier d’Athos fürchtete war die Wut seines Auftraggebers, sollte er scheitern. Comte de Rochefort galt als ein Mann ohne Gnade, ohne Gewissen und ohne Skrupel. Athos zu töten und die Musketiere zu schwächen war deshalb längst kein privater Rachefeldzug mehr – es war für de Grasse überlebensnotwendig. Und er verfluchte sich, dass er wegen dieses verführerischen Bauernbengels unvorsichtig geworden war. Dass er mehr Zeit investiert hatte, sich d’Artagnan gefügig zu machen als darauf, Athos in die Knie zu zwingen. Und beides schien im Augenblick gescheitert.

Wer hätte auch ahnen können, wie wild sich dieser dumme Bauernbengel wehren würde; konnte er den einen Comte nicht haben, sollte er sich doch glücklich schätzen, wenn ein andere sich seiner annahm. Und Athos’ Beschützerinstinkt d’Artagnan gegenüber hatte er auch unterschätzt... Ein Fehler, den er kein zweites Mal begehen würde.

Vielmehr konnte ihm das nützlich sein. La Fères übertriebenes Ehrgefühl, die Verantwortung, die er gegenüber den jungen Männern seines Regiments empfand... All das konnte man nutzen...

Nun – noch war nichts verloren; noch konnte er alles zu seinen Gunsten wenden. Er musste Athos zeigen, wie ernst ihm seine Drohung war, die Musketier-Kadetten büßen zu lassen, sollte la Fère sich nicht seinen Wünschen beugen.

Er erhob sich, strich dem immer noch vor ihm knienden Gustave mit einer Hand über den Kopf und spürte das wohlvertraute Erschauern des Jungen. So willig, so demütig...

...so langweilig!

Gegen seinen Willen blitzte die Erinnerung an d’Artagnan in ihm auf; wie er gekämpft, sich gewehrt hatte. Das war eine Herausforderung, die es wert war... Sobald Athos erst einmal aus dem Weg wäre, würde er seiner habhaft werden. Und dann...

Unwillkürlich lächelte er begierig und packte gleichzeitig fester in Gustaves Schopf, und der Junge stöhnte kurz gequält auf.

„Still!“, herrschte er ihn an, ließ dann los und setzte sich wieder auf sein Bett, gefolgt von Gustaves erwartungsvollem Blick.

So devot...

„Jetzt nicht“, beschied er ihm knapp und war sich nicht sicher, ob er Erleichterung oder Enttäuschung in dessen Blick wahrnahm – oder was von beidem ihm lieber wäre. Ungeduldig schüttelte er den Kopf. Die Nacht war lang und hart und unangenehm gewesen; erst in den Morgenstunden war es Gustave und den anderen gelungen, Roman und seine beiden Kumpane zu überwältigen und ihn zu befreien. Er brauchte dringend Ruhe, musste sich um seine Verletzungen kümmern und zu Kräften kommen. Und dann wäre sein Kopf klar genug, um einen Plan gegen Athos und seine verdammten Musketiere zu spinnen.

„Geh nach draußen und sorge dafür, dass das Lager der Musketiere überwacht wird“, verlangte er von Gustave. „Ich will wissen, was dort vor sich geht. Dann kommst du zurück und kümmerst dich um mich, verstanden?“

„Ja, Meister!“, erwiderte Gustave gehorsam, drehte sich um und verschwand.

Sinnend sah de Grasse ihm nach.

Jemand würde bezahlen. Für die Schmach, den Schmerz und alle Unbilden, die er heute Nacht hatte erdulden müssen. Und dieser Gedanke ließ ihn endlich wieder zufrieden lächeln, während er sich zurücklehnte und auf Gustaves Rückkehr wartete.

tbc...

 

Annäherung zwischen Athos und d’Artagnan... Das kann natürlich nicht reichen, ist aber der erste gute Schritt – wenn Athos bereit ist, sein Versprechen wahr zu machen.

Und  - wieder möchte ich sagen: „natürlich“ – haben meine lieben Reviewerinnen ein super Näschen und schon damit gerechnet, dass man den Kaffee-Kakerlaken-Comte nicht so schnell los wird... Dann könnte die Geschichte ja schon nach zwei weiteren Kapiteln zu Ende sein – ist sie aber nicht. Wir haben gerade mal Halbzeit :-)!

Ich danke Euch fürs Lesen und Mitfiebern, und denke, dass ihr trotz de Grasses übler Gedanken am Ende damit doch ganz gut für eine Woche leben könnt :-)!

Habt eine gute Zeit!

GlG

Ann

 

Fakten:

In der Serie erfahren wir ja nicht das kleinste Bisschen über d’Artagnans Mutter. Deshalb gehe ich davon aus, dass sie nicht mehr lebt, sonst hätte d’Artagnan allerspätestens in der Folge mit Labarge gewaltig besorgt um sie sein müssen.

Im Buch dagegen lebt sie ja, und sie gibt ihrem Sohn ein Rezept für eine „Wundersalbe“ mit, die rasch alle möglichen Verletzungen heilt. Er bietet dem verletzten Athos großherzig an, ihm die Salbe zu geben, damit er sich erst auskurieren kann und sich dann mit d’Artagnan duelliert: Hier der entsprechende Buchausschnitt:

»Wenn Ihr mir erlauben wollt«, sagte d’Artagnan schüchtern (zu Athos).

»Was denn, mein Herr?«

»Ich besitze einen Wunderbalsam für Wunden, einen Balsam, den mir meine Mutter gegeben hat, und von dem ich an mir selbst eine Probe gemacht habe.«

»Nun denn?«

»Nun denn, ich bin überzeugt, daß dieser Balsam Euch in weniger als drei Tagen heilen würde, und nach Ablauf dieser drei Tage, mein Herr, wäre es mir immer eine große Ehre, Euch zu Diensten zu stehen.« (er meint damit, sich dann mit ihm zu duellieren ;-)

D’Artagnan sprach diese Worte mit einer Einfachheit, die seinen höflichen Sitten Ehre machte, ohne seinem Muthe Eintrag zu thun.

»Bei Gott, mein Herr«, sagte Athos, »das ist ein Vorschlag, der mir gefällt. Nicht als ob ich ihn annehmen würde, aber auf eine Meile erkennt man daran den Edelmann.



(Quelle: https://m.ngiyaw-ebooks.org/ngiyaw/dumas/musketiere/Dumas_Die_drei_Musketiere.pdf )



Jedenfalls habe ich dem entnommen, dass d‘Artagnans Mutter sich mit Heilkräutern auskennt.
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