Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast 

Waffenbrüder 19. Staffel 2 - Alte Feindschaft

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Angst / P18 / MaleSlash
Aramis Athos D'Artagnan Graf Rochefort Porthos
17.09.2021
11.02.2022
19
80.436
9
Alle Kapitel
102 Reviews
Dieses Kapitel
6 Reviews
 
22.10.2021 5.594
 
Hallo, Ihr Lieben,

heute etwas später als zuletzt gewohnt das Kapitel im Wald :-).

Eure Reaktionen auf letzte Woche haben mir eine sowieso nette Urlaubswoche noch mehr versüßt, innigen Dank dafür!

Nun also ohne lange Vorrede weiter im Text. Zu Bier, Wein und Knabbereien (nehmt lieber die als Tischkanten oder Eure Fingernägel) stelle ich heute eine weitere große Schüssel Toffifee auf – mehr muss ich sicher nicht sagen.

Nun also anregende Leseminuten,

Eure Ann

 

(...) Lupien blickte Athos fest in die Augen, als er mit leicht zitternder Stimme, aber doch entschlossen erklärte: „Der Comte sagte irgendetwas, das Monsieur d’Artagnan sichtlich aufgewühlt hat. Er lief mit großen Schritten los... Und nur kurz darauf folgte der Kommandant ihm...“

Einen Moment lang war Athos sprachlos. Dann forderte er scharf zu wissen: „Wo, Lupien?“ Der Junge wies mit dem Finger auf einen kleinen Wildwechsel, der unweit von d’Artagnans Zelt in den Wald führte. Athos nickte ihm knapp zu, wendete sich um und musste sich zwingen, nicht loszurennen, solange er noch in Sichtweite des Lagers war. Da stoppte Lupiens Stimme ihn noch einmal: „Kommandant...“

„Was?“ Athos hörte selbst, dass sein Tonfall zu barsch war, doch die unbestimmte Sorge ließ ihn ungeduldig werden.

„Der Comte... Er... Er nähert sich manchen seiner Kadetten... auf eine ungebührliche Art... Und er berührt Monsieur d’Artagnan immer wieder auf eine Weise, die... die...“ Er schluckte hart, sah Athos beinahe verzweifelt an, und mit einem Mal hatte er Mitleid mit dem Jungen, der nichts anderes wollte als zu helfen.

„Ich weiß, Lupien!“, erwiderte er deshalb ungewöhnlich sanft. „Marcel hat mir bereits davon berichtet. Ich gehe und hole Monsieur d’Artagnan zurück. Sag Marcel, wo ich bin, und sorgt dafür, dass die Wachen auf ihrem Posten sind. Kannst du das für mich tun?“

Sichtlich erleichtert nickte Lupien, und Athos verschwand im Wald.

- Kapitel 6: Das wahre Gesicht -


D’Artagnan achtete nicht darauf, wohin er lief, zu sehr waren seine Gedanken mit dem beschäftigt, was de Grasse ihm mitgeteilt hatte.

Verdammt – das konnte einfach nicht stimmen!

Andererseits...

Während seine Füße ihn den einfachen Wildpfad entlang trugen, so weit weg vom Lager wie möglich, versuchte er, sich die Bilder der letzten Tage vor Augen zu führen.

Athos und Marcel...

Ja, dass der Junge Athos zutiefst bewunderte und er seinen Kommandanten um jeden Preis beeindrucken wollte, war ihm schon vor einer Weile aufgefallen. Athos hatte seine diesbezüglichen Bemerkungen einfach abgetan. Aber selbst wenn Marcel Athos’ Aufmerksamkeit suchte, hieß das noch lange nicht, dass der Musketier sie ihm auch gewährte. Dass Marcel in Athos’ Zelt war, konnte tausend völlig harmloser Gründe haben. Und keinesfalls das, was Comte Vichy versucht hatte, anzudeuten... Das war nie und nimmer Athos’ Art.

Doch obwohl er sich dies immer wieder vor Augen hielt, blieb die Tatsache, dass sich Athos’ Verhalten ihm selbst gegenüber gravierend verändert hatte. Niemals zuvor hatte er derart grob, herablassend, ja regelrecht feindselig mit d’Artagnan gesprochen, nicht damals ganz zu Anfang, als sie sich noch kaum kannten, und nicht einmal in der verwirrenden Zeit, bevor Vijomer ihn niedergestochen hatte und Athos und er anschließend endlich zueinander gefunden hatten. Damals war Athos mit einem Mal auch außergewöhnlich zurückhaltend gewesen, doch immer voller Geduld und Freundlichkeit.

Doch so, wie die Dinge jetzt standen... D’Artagnan wusste nicht, woran er war, hatte jegliche Sicherheit verloren, das blinde Vertrauen in ihre Beziehung und ihre Zukunft miteinander. Was war geschehen, dass Athos ihn mit einem Mal...

Er hasst mich!, schoss es d’Artagnan urplötzlich durch den Kopf, und dieser unfassbare Gedanke bannte seinen Fuß auf der Stelle. Sein Verstand intervenierte sofort – das war völliger Unsinn, es gab nicht den geringsten Grund dafür, er war sich keiner Tat bewusst, die Athos hätte dazu bringen können, ihn zu hassen... Wenn er ihm damals sogar seine Nacht mit Milady hatte vergeben können... Aber d’Artagnan war schon immer jemand gewesen, der den Ratschlag Kopf über Herz nur schwer beherzigen konnte. Und nun, in seiner Verwirrung, seinem Schmerz und seiner Verunsicherung hielt er für einen Moment lang alles möglich. Seine Gedanken rasten. Loyalität, Liebe und Vertrauen kämpften wütend gegen Verbitterung und Zweifel. Er lehnte sich, blind und taub für alles um ihn her, mit beiden Händen schwer gegen den Stamm einer riesigen alten Buche. Ihre Wurzeln ragten rings um ihn her aus der Erde, eine starke, vertrauenerweckende Urkraft, und einen Moment lang war er versucht, sich zu Boden gleiten zu lassen und sich zwischen den mächtigen Wurzeln wie ein kleiner Junge zusammenzurollen und...

Eine Hand lag mit einem Mal schwer auf seiner Schulter, riss ihn grob aus seinen wilden Gedanken und ließ ihn erschrocken herum fahren, instinktiv zur Seite greifend, zu seinem Degen – der nicht da war.

„Langsam! Ich bin es nur!“ Die Hand packte fester zu, und erneut war d’Artagnan unfähig, sich zu bewegen. De Grasse – er war ihm offenkundig gefolgt.

„Was... was macht Ihr hier?“, stieß er schließlich mit viel zu rauer Stimme hervor.

„Ich sah, wie aufgewühlt Ihr durch meine Worte wart!“, bekannte der Comte, und mit einem Mal war sein Gesicht dicht vor d’Artagnans, als er leise, mit einer seltsamen Eindringlichkeit, die d’Artagnan erschauern ließ, fortfuhr: „Ihr habt auf das falsche Pferd gesetzt, d’Artagnan! Ihr werdet von dem ach so ehrenwerten la Fère niemals das bekommen, wonach Ihr Euch sehnt!“

„Wonach ich mich...?“ Mit einem Mal drang der Sinn der Worte in d’Artagnans Bewusstsein, und alarmiert versteifte er sich.

„Leugnet es nicht!“, verlangte de Grasse dunkel. „Ich erkenne Begehren, wenn ich es sehe! Athos wird sich aber niemals mit einem einfachen Bauerssohn auf diese Art abgeben – ich dagegen...“ Und mit einem Mal änderte sich sein Tonfall, wurde lasziv, als er schwer atmend fortfuhr: „Ich weiß um die Vorzüge deines Standes. Ich habe dich beobachtet... beim Fechten, wenn du dich morgens am Bach wuschst... So wunderschön, so wild und roh... La Fère ist viel zu...nobel, um das zu schätzen – aber ich kann dir geben, was du brauchst!“

Und noch bevor d’Artagnan reagieren, ja, auch nur verstehen konnte, was der Comte gerade von sich gegeben hatte, packte dieser seinen Kopf, zog ihn in einer herrischen Geste zu sich herunter, um seine Lippen grob auf die des jungen Mannes zu pressen, während er gleichzeitig mit seinem Körper d’Artagnan hart gegen den Stamm in seinem Rücken schob und sein Knie rücksichtslos zwischen dessen Beine drängte. Völlig überrumpelt von dem unerwarteten Übergriff erstarrte d’Artagnan im ersten Moment. Dann spürte er durch das Leder seiner Reithose hindurch, wie sich de Grasses erigiertes Glied gegen seinen Oberschenkel presste, hörte gleichzeitig, wie der Mann erregt aufstöhnte – und endlich reagierte er: Mit aller Kraft stieß er de Grasse von sich, holte aus und wollte ihm die Faust ins Gesicht rammen, doch als habe er dies erwartet, duckte sich der Comte blitzschnell weg, schwang herum und schlug seinerseits d’Artagnan mit aller Macht so auf die linke Wange, dass dessen Kopf herumflog und seine Stirn heftig gegen den Baumstamm prallte. Benommen von dem Hieb verlangsamte sich d’Artagnans Reaktion für einen Moment, und als er wieder herumschwang und seinen Gegner fixierte, entdeckte er auf dessen Gesicht unverhohlenes Begehren, gepaart mit einem unheilvollen Funkeln, das beinahe so etwas wie Vorfreude ausdrückte – und heftige Übelkeit in D’Artagnan auslöste.

„Ja – genau so habe ich es mir vorgestellt!“, raunte de Grasse heftig atmend. „Wehr dich nur, mein Hübscher! Das erhöht das Vergnügen!“ Damit wollte er sich erneut auf d’Artagnan stürzen, der aber nun endlich so weit zu Verstand kam, dass sein Körper in Kampfmodus überging. Er hatte keinen Degen, und an den Parierdolch hinter seinem Rücken kam er nicht heran, doch nicht umsonst hatte er in den letzten Monaten Stunde um Stunde mit Porthos im Staub und Schlamm des Garnisonshofes Nahkampf trainiert, so dass jetzt seine Instinkte die Führung übernahmen. Bevor de Grasse heran war, hob er sein angewinkeltes Bein und rammte sein Knie in die Magengrube des heranstürmenden Comte. Aufstöhnend fuhr de Grasse zurück, so dass d’Artagnan sich vom Stamm lösen und nach seinem Dolch greifen konnte.

„Du dreckiger Mistkerl!“, fluchte de Grasse erbost und bewegte sich verblüffend schnell vorwärts. Bevor d’Artagnan den Dolch nach vorne geholt hatte, landete er einen zweiten Schlag mit der Faust genau gegen d’Artagnans Schläfe, der ihn einen winzigen Moment aus dem Gleichgewicht brachte – doch das genügte: Er blieb mit dem Fuß an irgendetwas am Waldboden hängen, strauchelte und stürzte. Das Krachen, mit dem sein Kopf dabei auf einer der hervorstehenden großen Wurzeln aufschlug, hallte durch seinen Schädel, schlug ihm brutal die Zähne zusammen - und ließ ihn benommen am Boden liegenbleiben.

„Du kleiner Bastard – jetzt habe ich dich!“, grollte de Grasse triumphierend, und im nächsten Augenblick spürte d’Artagnan ein Gewicht auf sich, das ihm die Luft aus den Lungen trieb und ihn gequält aufkeuchen ließ. Er wusste, er musste kämpfen, musste die Arme aus der gefährlichen Umklammerung bekommen und erneut sein Knie zwischen sich und den Angreifer bringen - doch sein Körper gehorchte ihm nicht, schien wie gelähmt... Und zum ersten Mal in seinem Leben überkam ihn während eines Kampfes Panik, griff eine tödliche Furcht nach ihm, während de Grasse ihn erbarmungslos niederdrückte, die Hand quer über seinen Hals gelegt ihm die dringend benötigte Luft abschnürte und keuchend hervor stieß: „Ich werde dich... lehren... wo zur Hölle... dein Platz ist... Bauersjunge - und ich werde es genießen...“

Pures Entsetzen durchflutete den jungen Musketier... Er musste... er würde... Doch die Atemnot griff immer stärker nach ihm, ließ bereits die Ränder seines Gesichtsfeldes flackern, so dass er verzweifelt die Augen schloss...

Und dann hörte er es, selbst durch den Nebel seiner Benommenheit: Eine Stimme, kraftvoll und dunkel vor Wut, befahl schneidend: „Weg von ihm – sofort!“

Einen ewig lang erscheinenden Augenblick geschah nichts, doch dann spürte d’Artagnan, wie der Druck von seinem Hals und seiner Lunge wich, wie er endlich wieder atmen konnte. Er bemerkte, wie Vichy sich von ihm erhob und zurückwich. Heftig um Luft ringend und hustend kämpfte d’Artagnan sich hastig so weit hoch, um auf die Ellbogen gestützt seinen Angreifer ansehen zu können, als eine vertraute Gestalt sich wie ein Schutzwall zwischen ihn und den Comte schob...

Athos...

Die Erleichterung, die d’Artagnan spürte, das tiefe Gefühl, mit einem Mal absolut sicher zu sein, war beschämend – und Erlösung zugleich.

Mühsam rappelte er sich an den Stamm der Buche gestützt auf die Beine und kämpfte fast augenblicklich gegen einen heftigen Schwindel an, der die Welt um ihn her wegkippen ließ. Fahrig wischte er sich über die Schläfe, spürte das Blut, das seine Finger verklebte, als das brutale Hämmern einsetzte, das ihm den Schädel zu sprengen drohte und Tränen in die Augen trieb. Trotzdem zwang er sich, de Grasse nicht aus den Augen zu lassen, noch immer entsetzt und völlig bestürzt von dessen urplötzlicher Wandlung. Von dem wahren Gesicht, das der Comte ihm offenbart hatte.

De Grasse dagegen würdigte ihn keines Blicks, sondern starrte Athos in einer Mischung aus Wut und Furcht an. Die Pistole des Musketiers zielte auf seine Brust.

„Bist du in Ordnung, d’Artagnan?“ Athos sah ihn bei dieser Frage nicht an, ließ seinen Gegner genauso wenig aus den Augen wie dieser ihn, doch d’Artagnan vernahm trotzdem deutlich den offen besorgten Unterton, die Wärme in dessen Stimme, die er seit Tagen so schmerzlich vermisst hatte. Und im selben Augenblick kroch fassungsloser, kalter Zorn in ihm hoch, und der Schock und die tiefe Verletztheit zugleich ließen ihn bissig erwidern: „Keine Sorge – ich komme klar!“

„Gut, dann geh in mein Zelt und warte dort auf mich“, bat Athos ruhig, d’Artagnans unüberhörbaren Groll ignorierend, was diesen noch mehr aufbrachte.

„Ich werde den Teufel tun...“, begann er erbittert, doch Athos unterbrach ihn. Dieses Mal fehlte seiner Stimme jede Wärme, als er scharf befahl: „Ihr geht in mein Zelt, Musketier, und wartet dort auf mich. Das ist ein Befehl!“

Heiser vor Wut und zugleich völlig benommen von dem brutalen Hämmern in seiner linken Schläfe stieß er zur Antwort hervor: „Wie Ihr befehlt, Kommandant!“ Damit machte er auf dem Absatz kehrt und schritt so würdevoll davon, wie es ihm möglich war. Erst außer Sichtweite, hinter dem nächsten dickeren Baum, hielt er an den Stamm gestützt inne, um hart schluckend gegen die überwältigende Übelkeit und das heftige Zittern anzukämpfen, die ihn plötzlich überfielen. Und so hörte er de Grasses Worte...

 

Athos musste all seine Willenskraft aufbieten, um dem Mann vor sich nicht mit bloßen Händen das Genick zu brechen. Was de Grasse offensichtlich gerade im Begriff gewesen war, d’Artagnan anzutun... Unwillkürlich stand ihm das Bild vor Augen, wie Michal voller Furcht und Scham, nur ermutigt von Thomas’ freundlichen, beruhigenden Worten, seinen schmächtigen Oberkörper gezeigt hatte... Die Blutergüsse, die Spuren der Fesseln, die Wunden von Fäusten und Klingen und Schlimmerem...

Er verbot sich für den Augenblick jeden weiteren Gedanken daran, da er sonst doch noch seine Beherrschung verlieren würde. Er hörte, wie d’Artagnan sich nach seiner bissigen Antwort auf Athos’ Befehl abrupt umdrehte und entfernte. Die Wut, die Frustration des jungen Mannes war mit Händen greifbar gewesen, und das schmerzte Athos, doch bevor er sich um seinen Freund kümmern konnte, musste er zunächst de Grasse händeln – und zwar ohne d’Artagnan in dessen Nähe.

In seine Gedanken hinein ergriff der Comte das Wort. Er versuchte dabei, stolz und erhaben zu klingen, doch der unruhige Blick auf die nach wie vor auf ihn gerichtete Pistole verriet ihn, als er anmerkte: „Nun – du hast deine Untergebenen ja sehr gut erzogen – der Kleine gehorcht dir aufs Wort.“ Und sein Unterton wurde höhnisch, als er scheinbar verwundert hinzu fügte: „Warum zur Hölle nutzt du das nicht und kommandierst ihn einfach in dein Bett?“

„Nun – weil ich nicht so bin, wie du!“, erwiderte Athos kalt. „Ich werde niemals meine Macht missbrauchen noch Gewalt anwenden, um zu bekommen, was ich möchte.“

„Ach – bei dem Bauernjungen scheint das aber nicht zu funktionieren...“, ätzte der andere mit einem gehässigen Grinsen weiter. „Hättest du mich ihn ordentlich einreiten lassen – wer weiß...“

„Sei still – um deiner selbst willen!“, unterbrach Athos ihn mit vor unterdrückter Wut rauer Stimme und trat unwillkürlich einen Schritt näher. Die erneut aufflackernde Furcht in de Grasses Augen verschaffte ihm eine stille Genugtuung.

„Und? Was willst du jetzt tun?“, forderte de Grasse mit aufgesetzter Überheblichkeit zu wissen. „Mich umbringen? Der König wird das sicher nicht gutheißen, nur weil ich meinen Spaß mit einem dummen Bauernbengel...“

„Komm ihm noch einmal zu nahe“, schwor Athos gefährlich leise, „komm auch nur einem meiner Männer noch einmal zu nahe – dann breche ich dir das Genick.“

De Grasse war bei dieser Drohung weiß wie eine Wand geworden und sog scharf die Luft ein. Doch auf einmal wich die Furcht, machte überheblicher Kälte Platz, als er bedrohlich erwiderte: „Du solltest dir sehr gut überlegen, mit wem du dich hier anlegst!“

„Du willst mir drohen?“, höhnte Athos. „Nach allem, was ich über dich weiß? Mit Sicherheit gibt es unter deinen Kadetten Burschen wie Michal. Dein Adjutant vielleicht? Gustave? Wenn er redet, bist du vernichtet.“

Ein weiteres Mal erbleichte Vichy, doch dieses Mal hatte er sich bedeutend schneller wieder im Griff, lächelte kalt und erwiderte: „Ich stehe nicht allein, Athos. Ich bin hier im Auftrag eines hohen Herrn. Ein Gönner, der mich schützt!“

„Dich schützt?“, fuhr Athos erbost auf. „Zur Hölle – du hast einen Musketier des Königs angegriffen, einen Mann, den er nicht nur persönlich kennt, sondern auch schätzt! Was denkst du, wer sollte dich vor des Königs Zorn schützen?“

Und de Grasse lächelte immer noch. Triumphierend...

Athos lief unwillkürlich ein Schauer über den Rücken.

Die Pistole ignorierend trat Vichy nahe an Athos und raunte: „Auch wenn du es nicht wahrhaben willst: Der Stern der Musketiere ist am Sinken! Ihr seid in Ungnade gefallen. Mein Gönner dagegen – er hat des Königs Ohr. Was auch immer ich hier mache, weitab von Paris, ohne unliebsame Zeugen – ich werde nicht nur damit davon kommen, Athos. Nein – ich werde dafür noch reichlich belohnt! Ich bekomme meine jahrelang ersehnte Rache an dir – und du wirst sterben in dem Wissen, dass dieser Bauernjunge, den du mit solch sehnsüchtigen Blicken bedenkst, mein sein wird!“

„Rochefort!“, murmelte Athos, und einen Moment lang wirkte de Grasses Blick schockiert. Der Name sollte niemals fallen. Doch dann straffte er sich und erwiderte in knappem, geschäftsmäßigem Tonfall: „Wenn du willst, dass deine Kadetten leben, dann befiel ihnen, die Waffen niederzulegen und sich mir zu ergeben. Ihr habt Zeit bis Morgen bei Sonnenaufgang. Andernfalls werde ich meine Männer auf euch hetzten, und es wird ein Blutbad geben. Und falls du denkst, du könntest mich jetzt überwältigen und gefangen nehmen: Du hast recht: Gustave ist mir blind ergeben. Er wird alles tun, was nötig ist, um mich zu befreien. Alles – verstehst du? Du siehst: Das Leben deiner Rekruten liegt in deinen Händen! Und nicht zu vergessen: Das Leben deines Bauernbastards!“

Athos hatte genug. Blitzschnell sprang er vor und zog den Kolben seiner Pistole so über de Grasses Schädel, dass dieser mit einem leisen Aufstöhnen zu Boden ging und sich nicht mehr rührte.

Einen Moment lang stand Athos wie erstarrt da, rang heftig um Luft und Beherrschung, bevor er sich bückte und de Grasse mit dessen eigenem Gurtzeug fest verschnürte.

Tot war der Mann nicht, er atmete noch – und selbst wenn: Bei Gott, Athos war es in diesem Augenblick egal.

Er erhob sich, wischte gedankenverloren die Hände an seiner Hose ab, als habe er etwas Widerwärtiges berührt und ließ seinen Blick noch einmal prüfend über die vor ihm liegende Gestalt wandern. De Grasse würde vorerst kein Unheil mehr anrichten – aber was sollte er jetzt mit ihm tun? Sein erster Gedanke war, ihn gefangen zum Lager der Musketiere mitzunehmen, ihn so daran zu hindern, seine Drohungen wahr zu machen. Und dass er dazu imstande war, daran zweifelte Athos keinen Augenblick. Würde Gustave wirklich so skrupellos handeln, wenn sein Kommandant – sein Gebieter, das war das Wort, dass de Grasse damals bei Michal benutzt hatte – nicht zurückkehren würde? Wieder kochte die Wut in ihm hoch, und in einem distanzierten Teil seiner Selbst fragte er sich, ob er sich dauerhaft würde zurückhalten können, wäre Robert sein Gefangener... Doch was hatte er für Alternativen? Er entschied sich gerade, das Risiko einzugehen, als er aus der Richtung des Lagers der Gardes Françaises Stimmen hörte.

Mehrere Männer waren hierher unterwegs und bereits so nahe, dass Athos keine Möglichkeit mehr hatte, mit seinem Gefangenen zu entkommen. Blitzschnell überlegte er, zog schließlich seinen Degen und stellte sich wachsam, aber noch nicht in Angriffsposition so auf, dass die Männer ihn sofort sehen mussten, wenn sie auf dem Pfad auftauchten.

Der vorderste war Roman, einer der drei erwachsenen Gardisten, gefolgt von seinen Kameraden Thibault und Garnier, und Athos hätte vor Erleichterung beinahe aufgeseufzt. Diese Männer standen schon mehrere Jahre im Dienst der Garde und waren Hauptmann des Essarts treu ergeben – mit Sicherheit standen sie nicht unter dem Einfluss von de Grasse.

Als Roman Athos erkannte, stockte er mitten in der Bewegung, sah mit gerunzelter Stirn auf das Bild, das sich ihm bot – Athos mit gezogenem Degen und zu seinen Füßen sein Kommandant, gefesselt und besinnungslos - und verlangte mit scharfem Unterton zu wissen: „Was geht hier vor?“

„De Grasse hat einen meiner Männer brutal angegriffen und verletzt. Ich habe ihn in Gewahrsam genommen“, erwiderte Athos voll ruhiger Autorität. Roman drehte sich zu seinen beiden Kameraden, sie wechselten einen bedeutsamen Blick, bevor er sich Athos wieder zuwendete. In deutlich ruhigerem Ton fragte er: „Und was geschieht jetzt?“

Athos war verblüfft über diese Frage – er hatte mit Protest und Gegenwehr gerechnet, zumindest mit Unverständnis und der Aufforderung, die Lage näher zu erläutern. Doch so überlegte er eilig und entschied dann: „Er muss Herrn des Essarts vorgeführt werden und bis dahin in streng bewachtem Gewahrsam bleiben.“

Roman nickte grimmig und erklärte: „Überlasst ihn getrost uns, Monsieur!“, und Athos fragte sich unwillkürlich, was in dem anderen Lager vorgefallen sein mochte, dass diese drei erfahrenen Soldaten ihren Kommandanten so leicht einer solchen Schandtat für schuldig hielten, dass sie nicht einmal die näheren Umstände hinterfragten. Er erinnerte sich wieder daran, was Marcel von Luc erfahren hatte und fragte sich, ob die Gardisten ebenfalls etwas ahnten. Trotzdem zögerte er, wog die Möglichkeiten ab, erklärte dann aber doch: „Heute Abend können wir nichts mehr tun. Es sollte in der Tat der Gardes Françaises obliegen, ihn heute Nacht zu bewachen. Kann ich mich darauf verlassen, dass er sicher verwahrt wird, so dass er niemandem mehr schaden kann?“

„Bei meiner Seele - das könnt Ihr!“, war es Thibault, der mit einem solchen Ingrimm sprach, dass Athos ihn verwundert ansah und nun doch fragte: „Was ist vorgefallen?“

Wieder wechselten die drei einen kurzen Blick, bevor Roman düster, aber trotzdem zurückhaltend antwortete: „Unsägliches, Monsieur. Bislang konnten wir nichts gegen ihn unternehmen – er ist unser Kommandant und dazu von hohem Stand. Doch wenn nun die Musketiere bezeugen könnten, von welchem Schlag er tatsächlich ist; wenn Ihr als Leutnant und Comte persönlich Monsieur des Essarts berichten würdet...“

Hoffnungsvoll sah er Athos an, und dieser nickte knapp. Zu mehr war er im Augenblick nicht imstande, denn die Schuld schnürte ihm erneut die Kehle zu. Hätte er damals nicht geschwiegen... Hätte er doch nur in all den Jahren bereits etwas unternommen und Vichy das Handwerk gelegt... Doch diese Gedanken waren müßig. Athos holte tief Luft und entschied: „Nun gut, meine Herren – ich überlasse ihn eurer Obhut. Verwahrt ihn gut. Ich werde morgen früh zu Euch kommen, um das weitere Vorgehen zu besprechen.“

Die drei Gardisten nickten, und Roman erklärte ingrimmig: „Ich kann Euch versichern, dass wir ihn gründlich bewachen werden.“ Er gab Thibault und Garnier mit dem Kopf ein Zeichen, und die beiden packten ihren Kommandanten, um ihn nicht eben feinfühlig zwischen sich zum Lager der Gardes zu ziehen. Roman und Athos nickten sich einvernehmlich zu, und der Musketier sah den vieren voll tiefer Erleichterung nach. Dieses Problem war für den Moment gelöst – und er konnte sich endlich um d’Artagnan kümmern.



Mit großen Schritten lief er aus dem Wald zurück zum Lager der Musketiere. Dort fand er mehrere der Kadetten leise miteinander redend vor, unter ihnen Marcel.

Er war es auch, der Athos als erster wahrnahm und ihm entgegenging, um beunruhigt zu fragen: „Kommandant – was ist geschehen? Monsieur d’Artagnan kam vorhin aus dem Wald, und er sah gar nicht gut aus. Sein Gesicht war voller Blut und...“

„Wo ist er?“, unterbrach Athos ihn kurzangebunden.

„In eurem Zelt, Sir!“, antwortete Marcel eingeschüchtert von Athos’ unerwartet harschem Ton.

„Gut“, erwiderte dieser etwas milder. „Bring mir eine Schüssel warmen Wassers und ein paar saubere Leinentücher. Außerdem sorg dafür, dass die Wachen verdoppelt werden. Niemand betritt oder verlässt heute Nacht das Lager ohne meine ausdrückliche Zustimmung, vor allem niemand von de Grasses Männern – hast du verstanden?“

„Jawohl, Monsieur!“, bestätigte Marcel voller Ernst. Der Junge war nicht dumm, sicher ahnte er, dass etwas geschehen sein musste, was mit Vichy in Verbindung stand. Athos überließ ihn seinen Aufgaben, hörte noch im Weggehen, wie der junge Bursche seine Befehle weitergab und öffnete schließlich die Plane seines Zeltes, um einzutreten.

D’Artagnan stand mitten im Raum und hatte ihm den Rücken zugedreht. Als er Athos eintreten hörte, wendete er sich nicht um, nur an seiner Hand, die wie Hilfe suchend die mittlere Zeltstange umspannte, traten die Knöchel weiß hervor. Athos blieb einen Schritt entfernt von ihm stehen, mit einem Mal unsicher, was er tun oder sagen sollte.

D’Artagnan hatte ihn wahrgenommen, und er zürnte ihm nach wie vor. Beides erkannte er ohne weiteres daran, wie der Jüngere unwillkürlich die Schultern in einer abwehrenden Haltung nach oben zog und sein ganzer Körper zu erstarren schien.

Schließlich seufzte Athos unhörbar und wagte einen Vorstoß, indem er mit ruhiger, möglichst gleichmütiger Stimme nachfragte: „Kann ich mir deine Verletzungen ansehen?“

Wenn es überhaupt möglich war, spannte sich d’Artagnan noch weiter an, bevor er herum fuhr und Athos mit zornblitzenden Augen anfunkelte.

„Neun Tage lang sprichst du kaum das Allernötigste mit mir, behandelst mich dabei voll kalter Herablassung und gehst mir ansonsten aus dem Weg – und jetzt kümmert es dich mit einem Mal, dass ich verletzt bin?“, versetzte er volle heißer Wut.

Der Anblick des geschundenen, bleichen Gesichts, des Blutergusses, der sich über das rechte Jochbein ausbreitete, aber noch mehr die blutige Wunde kurz unterhalb des Haaransatzes in der Nähe der linken Schläfe raubte Athos für einen Moment die Worte, und so war er beinahe froh, als es an dem Holzpfosten vor dem Zelteingang klopfte und Marcel rief: „Kommandant: Ich habe hier das heiße Wasser.“

Athos sammelte sich kurz, während d’Artagnan sich wieder wegdrehte und erneut die Zeltstütze umklammerte. „Komm herein“, wies er den Kadetten an, und als dieser eintrat, zeigte er stumm auf den Tisch, wo der Junge die dampfende Schüssel und die Leinentücher ablegte. Kurz warf er einen neugierigen Blick auf d’Artagnan, der aber nach wie vor einer Statue gleich still dastand, und als Athos sich hörbar räusperte und ihn dann streng ansah, fragte der Kadett hastig: „Kann ich sonst noch etwas für Euch tun, Sir?“

„Im Moment nicht“, beschied Athos ihm. „Sieh noch einmal nach den Wachen, sorge dafür, dass die anderen sich schlafen legen und warte am Feuer auf die Wachablösung.“ Trotz des klaren Befehls rührte der Junge sich nicht, sondern sah aus, als wolle er etwas erwidern. Athos war klar, dass Marcel sich Fragen stellte – und klug, wie er war, auch zu den richtigen Schlüssen kommen würde, nach allem, was er heute erlebt hatte. Doch darum konnte er sich jetzt nicht kümmern. So forderte er nur harsch: „Geh!“, und nickte dem Kadetten auffordernd zu. Marcel gab nach, deutete eine Verbeugung an, erklärte dann: „Gute Nacht, Kommandant; Monsieur d’Artagnan...“, drehte sich um und verließ das Zelt.

Die beiden Musketiere waren wieder allein.

D’Artagnan sah sich kurz um, als wolle er sich vergewissern, dass der Junge wirklich draußen war und ging dann mit erschreckend unsicheren Schritten hinüber zu dem Tisch mit der Wasserschüssel, genau wie Athos. Als der Gascogner selbst nach einem der Leinentücher greifen wollte, fing Athos sein Handgelenk ab und bat mit ruhiger Stimme: „Ich weiß, dass du wütend auf mich bist. Aber lass mich wenigstens die Wunden versorgen.“

Wütend... das war nicht einmal im Ansatz genug, um zu beschreiben, wie es gerade in d’Artagnan aussah, und so hätte er am liebsten erwidert, dass er sich gut um sich selbst kümmern könne, doch zu seinem Ärger hatte ihn der Schwindel fest im Griff, und nun begannen auch noch seine Hände zu zittern. Also nickte er nur knapp.

„Setz dich auf die Pritsche“, forderte Athos ihn auf, und als der Jüngere dem stumm nachkam, trug er die zum Reinigen notwendigen Utensilien zu ihm hinüber. Er nahm seitlich neben d’Artagnan Platz und begann behutsam, die Kopfwunde zunächst mit dem warmen Wasser zu säubern und dann mit etwas Wein auszuwaschen. D’Artagnan ließ die ganze Prozedur schweigend über sich ergehen, zeigte währenddessen nicht die leiseste Regung, blickte dabei starr die gegenüberliegende Zeltbahn an, und in Athos’ Magen ballte sich ein eisiger Klumpen zusammen.

Natürlich hatte er in den letzten Tagen d’Artagnans Befremden über seine Art des Umgangs mit ihm bemerkt, genau wie seine Versuche, doch zunächst noch mit ihm zu reden, zu erfahren, was der Grund für Athos’ Zurückhaltung ihm gegenüber war. Dann schien er es zu akzeptieren, tat weiter seinen Dienst und mied nun seinerseits Athos, der froh darüber gewesen war. De Grasse durfte nicht einmal ahnen, was zwischen ihnen war. Doch nun erkannte er, dass er in seinem Bestreben, den Comte von d’Artagnan abzulenken ganz offensichtlich nicht nur gescheitert war, sondern darüber hinaus unterschätzt hatte, wie sehr seine Zurückhaltung d’Artagnan verletzt hatte.

Seine Zurückhaltung? Wenn er jetzt, während er sich um die Wunden des Freundes kümmerte, darüber nachdachte, war das Wort reiner Hohn. Er hatte keine Zurückhaltung geübt – er war seinem Freund gegenüber voller Verachtung und Kälte gewesen; alles in dem Bestreben, de Grasse zu zeigen, wie wenig ihm an dem Gascogner lag.

Er hatte aus den richtigen Gründen das völlig Falsche getan – und somit den Vorfall heute Abend regelrecht provoziert...

Als er fertig war, stand er hastig auf, räumte die Schüssel und die nun blutbesudelten Lappen beiseite, wobei er den Blick des Jüngeren mied. Und mit einem Mal brach es voll dunkler Leidenschaft aus ihm heraus. „Ich habe dich gewarnt, d’Artagnan!“

D’Artagnans schockierter Blick traf seinen Rücken. „Willst du jetzt etwa behaupten, de Grasses Überfall heute Abend sei meine eigene Schuld?“, verlangte er erbittert zu wissen, und sofort fuhr Athos herum, sah ihn aufrichtig entsetzt an und versicherte hastig: „Nein, natürlich nicht, davon habe ich nicht gesprochen...“ Er senkte den Blick, hatte aber trotzdem noch d’Artagnans ungeduldige Verwirrung auf dessen Miene erkannt, und schon verlangte der Jüngere aufgebracht zu wissen: „Wovon zur Hölle sprichst du dann?“

„Ich habe es dir gesagt, vor langer Zeit“, erwiderte Athos etwas ruhiger, doch der mit einem Mal gequälte Unterton in seiner Stimme traf d’Artagnan gegen seinen Willen mitten ins Herz. „Ich bringe dir nichts als Leid und Schmerz. Ich hätte es gar nicht erst zulassen dürfen, dass du mehr für mich empfindest...“

D’Artagnans Gedanken rasten. Er ahnte, worauf Athos hinaus wollte. Er hatte geglaubt, all das läge hinter ihnen: Die Selbstzweifel, der Selbsthass seines Freundes, dessen Überzeugung, Glück stehe ihm nicht zu, und dass er denen, die er liebte, nur Unglück brächte... Doch er verstand nicht, wieso all diese dunklen Gedanken Athos gerade jetzt wieder einholten, was das mit seinem abweisenden, kalten Verhalten in den letzten Tagen oder gar de Grasses Überfall auf d’Artagnan am heutigen Abend zu tun hatte. Und das angestrengte Nachdenken verschlimmerten seine Kopfschmerzen, bis er schwarze Punkte vor seinen Augen tanzen sah. Mit einem gequälten Aufstöhnen, das er nicht unterdrücken konnte, umklammerte er mit beiden Händen seinen Schädel.

„Verstehst du jetzt?“, murmelte Athos resigniert.

„Ich verstehe gar nichts!“, fuhr d’Artagnan auf und starrte den anderen wütend an. „Wenn du mich nicht mehr willst, dann sag es. Aber spiel keine Spiele mit mir...“

„Es geht nicht darum, was ich will, d’Artagnan. Ich rede davon, was gut für dich wäre...“

„Und genau da waren wir schon einmal“, fauchte d’Artagnan voller Frustration und sprang, die Schmerzen ignorierend, erregt auf. „Als du mich in Constances Arme treiben wolltest. Habe ich mich damals so unklar ausgedrückt? Hast du nichts daraus...“ Er unterbrach sich, sog scharf die Luft durch die Zähne und hielt sich mit fest zusammengepressten Augenlidern erneut den Kopf, während er sichtlich schwankte. Sein Gesicht war mit einem Schlag kreidebleich und seine Knie drohten, nachzugeben. Fast augenblicklich war Athos bei ihm, umfasste seine Ellbogen und schob ihn zurück auf das Bett.

„Leg dich hin“, bat er beschwörend. „Du hast einen heftigen Schlag am Kopf abbekommen...“

„Zwei...“, murmelte d’Artagnan undeutlich, wehrte sich aber nicht dagegen sich hinzulegen, sondern schloss zutiefst erschöpft die Augen und schluckte hart gegen den plötzlichen Würgereiz. Er wollte noch so viel mehr sagen, wollte unbedingt ausnutzen, dass Athos endlich wieder mit ihm sprach, wollte seiner Wut und seiner Verzweiflung Luft machen – doch die Kopfschmerzen raubten ihm alle Kraft, schienen seinen Schädel von innen sprengen zu wollen, ließen keinen Raum mehr für einen klaren Gedanken, geschweige denn für ein Streitgespräch... Die Frustration darüber und die hämmernden Schmerzen schnürten ihm zu gleichen Teilen die Kehle zu und ließen Tränen in seinen Augen brennen...

Mit einem Mal war da ein feuchtes Tuch, dass sich wohltuend kühl auf seine Stirn und die Augenlider legte. Blind griff d’Artagnan nach der Hand, die es dort platziert hatte, und durch den Schmerz, den Schock brach seine emotionale Deckung vollends in sich zusammen, ließ ihn schutzlos, zutiefst verletzlich zurück, so dass er nur noch mit erschütternder Aufrichtigkeit heiser flehen konnte: „Stoß mich nicht immer wieder von dir, Athos... Ich brauche dich...“

Die Hand unter seinem Griff erstarrte, und d’Artagnan erwartete keine Antwort mehr. Doch da murmelte Athos fast unhörbar: „Und ich dich...“. Er räusperte sich und fügte etwas deutlicher und doch so sanft er konnte hinzu: „Entspann dich, d’Artagnan, du brauchst Ruhe – wir reden morgen.“ Damit wollte Athos seine Hand behutsam aus dem Griff des Jüngeren ziehen, doch d’Artagnan packte nur umso fester zu – eine stumme Bitte. Und so versprach Athos leise: „Ich bin hier. Und ich bleibe bei dir. Schlaf jetzt...“

Er spürte, wie der Griff um seine Hand sich lockerte, zog sie behutsam zurück, aber nur, um seine Finger sacht durch die feuchten Haare des Jüngeren gleiten zu lassen. Als d’Artagnans Gesichtszüge sich unter der sanften Berührung ein wenig entspannten, nahm er das feuchte Tuch von dessen Gesicht, tränkte es erneut mit kühlem Wasser, wrang es aus und legte es zurück auf die Stirn. Dann wanderten seine Finger wieder behutsam liebkosend durch d’Artagnans Haar.

„Besser?“, murmelte er, und d’Artagnan brummte erschöpft seine Zustimmung. Athos wiederholte die Prozedur mehrfach, und allmählich beruhigte sich der Atem des Jüngeren, bis er offenbar eingeschlafen war.

Athos sah ihn eine Weile lang einfach nur an. „Ich brauche dich mehr als die Luft zum Atmen...“, bekannte er schließlich nahezu lautlos. „Ich will nichts mehr, als dass du sicher bist – und habe doch genau das Falsche getan...“

tbc...

 

Irgendwie werden die Kapitel von Woche zu Woche länger... aber ich wollte heute unbedingt bis zu diesem Punkt kommen. Ich hoffe, Ihr verzeiht mir. Und immerhin gibt es dadurch auch keinen Cliffhanger :-)!

Ein Teil dieses Kapitels (Athos’ Auftauchen im Wald und die Szene im Kommandantenzelt) entstand als einer der ersten Teile dieser Geschichte, und deshalb bin ich natürlich besonders gespannt auf die heutigen Rückmeldungen.

Wer darüber hinaus nach all der Aufregung hier etwas mit wundervollem Fluff und viel Herz lesen möchte, dem kann ich nur wärmstens die aktuelle Geschichte von Anke empfehlen: „Eine sehr persönliche Staatsangelegenheit“:

https://www.fanfiktion.de/s/61703caa000013c71222c615/1/Eine-sehr-persoenliche-Staatsangelegenheit

Nun wünsche ich ein schönes Wochenende und eine ruhige Woche, bis nächsten Freitag,

Ann
Review schreiben
 Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast