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Waffenbrüder 19. Staffel 2 - Alte Feindschaft

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Angst / P18 / MaleSlash
Aramis Athos D'Artagnan Graf Rochefort Porthos
17.09.2021
11.02.2022
19
80.436
9
Alle Kapitel
102 Reviews
Dieses Kapitel
5 Reviews
 
10.12.2021 4.482
 
Hallo, Ihr Lieben!

Letzte Woche habe ich Euch mit einem wirklich fiesen Cliffhanger stehen gelassen. Damit Ihr wieder gut in die Szene eintauchen könnt, habe ich dieses Mal eine etwas längere Passage vom Ende des letzten Kapitels angefügt, nach der es dann nahtlos weitergeht.

Ich stelle heute für jeden von Euch einen Schoko-Nikolaus und dazu eine Schüssel Toffifee zu Kaffee und Weihnachts-Tee bereit.

Ohne weitere Vorrede nun spannende und vielleicht auch berührende Leseminuten wünscht

Ann

 

(...) Unter normalen Umständen hätte d’Artagnan darauf bestanden, seinen Kampf selbst zu führen – doch dies war etwas anderes. Die langjährige Geschichte dieser beiden Männer verlangte, dass Athos es eigenhändig zu Ende brachte. Und so stand der junge Gascogner schweigend Schulter an Schulter mit seinen Brüdern und beobachtete, wie de Grasse langsam ermüdete, wie seine Bewegungen unpräziser und schwerfälliger wurden, während Athos nun erst richtig begann: Mit einer schnellen, eleganten Schrittfolge trieb er de Grasse mehrere Meter zurück, während sein Degen in einer unberechenbaren Kombination von Schlägen auf seinen Gegner niederfuhr. Dessen Paraden wurden immer schwerfälliger – und mit einem Mal blitzte nackte Angst in seinen Augen auf.

Doch Athos gab nicht nach: Kein Pardon, keine Pause; mit kalter, effizienter Präzision war er kurz davor, seinen Gegner zu entwaffnen, als mehrere Dinge fast gleichzeitig geschahen: De Grasse schrie auf, weil Athos ihn am Handgelenk traf, so dass er seinen Degen fallen ließ, doch dann im letzten Moment, bevor der Musketier zustoßen konnte, unter dessen Arm wegtauchte. Athos folgte ihm mit einer blitzschnellen Drehung, bereit für den letzten, vernichtenden Schlag – und sah nicht, dass sich mit einem Mal Gustave in seinem Rücken befand.

„Athos!“ Der Warnruf gellte noch, als d’Artagnan sich schon in Bewegung setzte, während direkt neben ihm ein Schuss fiel – eine Sekunde zu spät: Von Aramis’ Kugel gefällt stürzte Gustave nieder, doch sein Messer steckte unter Athos’ rechtem Rippenbogen in dessen Flanke. Völlig überrascht, noch im Drehmoment begriffen und durch den Stoß nach vorne geworfen stürzte er auf die Knie – genau vor de Grasse, der in wildem Triumph seinen Dolch hob.

 

- Kapitel 13: Auf Messers Schneide -


D’Artagnan hatte keine Zeit, zu denken, Furcht zu empfinden oder Entsetzen – sein Instinkt trieb ihn, ohne das geringste Zögern zu handeln, um jeden Preis den Mann zu schützen, der ihm mehr als sein Leben bedeutete.

De Grasse war in seinem Siegestaumel so auf seinen verhassten Feind konzentriert, dass er den Gascogner erst wahrnahm, als dieser mit einem gewagten Sprung über den hilflos vor ihm knienden Athos hinwegsetzte. Ungläubig riss Vichy die Augen auf, starrte für Sekundenbruchteile in die in tödlicher Wut blitzenden Augen des Gascogners – als d’Artagnan auch schon seinen Degen aus der Wucht des Sprungs heraus bis zum Heft in de Grasses Kehle stieß.

Er war doch nur ein dummer Bauernbengel...

Mit einem gurgelnden Laut ging der Comte zu Boden, starrte mit vor Überraschung weitaufgerissenen Augen den jungen Musketier an, während seine Hände an seinen durchbohrten Hals fuhren und hilflos zuckten. Schließlich blieb er reglos liegen.

Ohne auch nur noch einen einzigen Gedanken an den besiegten Feind zu verschwenden, rollte D’Artagnan sich ab, war augenblicklich wieder auf den Beinen und mit einem zweiten, angsterfüllten „Athos!“ zeitgleich mit Aramis an der Seite seines verletzten Gefährten.

Mit irritierter Benommenheit sah der Ältere seine beiden Brüder an und griff nach dem Dolch in seiner Seite.

„Nicht!“, befahl Aramis alarmiert, fing Athos’ Hand ein, während d’Artagnan sich vor ihm auf die Knie fallen ließ, seinen Kopf in beiden Hände nahm und eindringlich flehte: „Lass das Aramis machen! Sieh mich an...“

Der Blick aus den graugrünen Augen wirkte seltsam abwesend, als er der Aufforderung nachkam, fast ein wenig verwundert, als er ansetzte zu erklären: „Alles gut, d’Art...“

„Still! Nicht sprechen!“, beschwor d’Artagnan ihn, während Aramis in fliegender Hast das lederne Wams von unten her aufschnitt, dann das Hemd aus Athos’ Hosenbund zog und ebenso mit diesem verfuhr, bis er die Stelle freigelegt hatte, an der das Messer aus dem Körper seines Freundes ragte.

„Wie schlimm?“, grollte Porthos, der mit einem Mal ebenfalls neben d’Artagnan kniete.

„Kaum Blut!“, murmelte Aramis zwischen zusammengebissenen Zähnen, und d’Artagnan sah ihn hoffnungsvoll an. „Das ist doch gut?“, verlangte er zu wissen, doch Aramis schwieg, riss stattdessen den unteren Rand des sowieso ruinierten Hemdes in Streifen, die er eilig zusammenrollte und als Bandage so um das Heft des Messers schlag, dass sie einen Schutzring bildeten. „De Grasse und Gustave?“, fragte er angespannt, und Porthos entgegnete mit einer für ihn völlig ungewöhnlichen Kälte in der Stimme: „Tot!“

In dem Moment schwankte Athos, und d’Artagnan packte seine Schultern, um zu verhindern, dass er umkippte. „Hey, hey!“, forderte er scharf vor Sorge seine Aufmerksamkeit. „Bleib bei mir, in Ordnung?“

Athos nickte träge, murmelte dann: „So müde!“, und ließ den Kopf nach vorne gegen die Schulter seines Gefährten sinken. „`Mis!“, rief dieser alarmiert, und Aramis nickte grimmig, sah zu Porthos und erklärte harsch: „Wir müssen ihn schnellstmöglich ins Lager bringen, damit ich die Wunde versorgen kann...“

„Dürfen wir ihn bewegen?“, intervenierte Porthos angespannt.

„Es ist zu dunkel – hier kann ich nichts ausrichten!“, fuhr Aramis ihn barsch an. Erst jetzt wurde d’Artagnan bewusst, dass die Sonne im Untergehen begriffen war und es hier im Wald unter den Bäumen bereits dämmrig wurde.

Porthos nahm seinem Freund den scharfen Verweis nicht übel, sondern wandte sich Athos zu und richtete leise sein Wort an d’Artagnan: „Rutsch ein Stück zur Seite, damit ich ihn hochheben kann.“ Mit einem Mal fürchtete d’Artagnan, loszulassen; als hielte nur der enge Körperkontakt Athos am Leben, und er zögerte – bis Porthos sanft erklärte: „Schon gut, ich übernehme ihn...“

Aramis berührte Athos’ Stirn, tastete dann nach seinem Puls am Hals und erklärte leise, doch mit einer Eindringlichkeit, die die anderen beiden alarmierte: „Kalter Schweiß, schneller Puls – das ist der Schock. Er scheint innerlich zu bluten!“ Er wechselte einen knappen Blick mit Porthos, wendete sich dann an Athos und erklärte ihm so ruhig er konnte: „Porthos trägt dich ins Lager. Halte durch, mein Freund.“

Athos brummte lediglich zur Antwort.

Aramis nickte Porthos zu, und dieser sah d’Artagnan eindringlich an, bis er endlich ein Stück von Athos zurückwich, um dem Freund Platz zu machen. Augenblicklich schob der große Musketier seine Schulter so unter Arme und Brust des Verletzten, dass er das hervorstehende Messer nicht berührte, und stemmte sich behutsam mit dem Gewicht in die Höhe.

D’Artagnan erhob sich mit ihm, stützte Athos, damit dieser nicht abrutschte und lief dann ohne einen Blick zurück neben Porthos her durch den Wald, eine Hand beständig an Athos’ Schulter. Aramis flankierte sie schweigend auf der anderen Seite.

Unterwegs kamen ihnen - geführt von Furet - Roman, Thierry und ein paar weitere Kadetten entgegen, doch Porthos hielt nicht an, und d’Artagnan folgte ihm, überließ es Aramis, mit wenigen knappen Worten zu berichten, was vorgefallen war. Die Gardisten versprachen, sich um die Leichen zu kümmern, während Furet hart schluckte und einen bestürzten Blick auf seinen Kommandanten wagte, der erschreckend reglos auf der Schulter von Monsieur Porthos hing. Dann drehte er sich hastig um und rannte unbeachtet von den anderen davon. Aramis nickte unterdessen Roman knapp zu und schloss eilig wieder zu seinen Brüdern auf. Als sie fast beim Lager angekommen waren, warf er einen Blick auf Athos, der sich den ganzen Weg über nicht gerührt, nur ab und an leise aufgestöhnt hatte, erklärte dann angespannt: „Ich bereite alles vor; bringt ihn direkt zum Kommandanturzelt!“, und ohne eine Antwort abzuwarten, rannte er voraus.

Im Lager lief ihm bereits Lupien entgegen und fragte angespannt: „Der Kommandant?“ Aramis entdeckte Furet hinter seinem Freund, der offenbar bereits die Kameraden informiert hatte. Er musste flink wie ein Wiesel durch den Wald gerannt sein, und Aramis war zutiefst dankbar, dass er nun keine großen Erklärungen abgeben musste, sondern nach einem knappen Nicken auch schon anwies: „Heißes Wasser, Alkohol, Verbandszeug und Tücher, mit der wir die Blutung stoppen können – alles ins Kommandozelt. Der Tisch dort muss freigeräumt werden, und ich brauche Licht!“

„In Ordnung!“, erwiderte Lupien und ordnete an seine Freunde gewandt an: „Furet – das Wasser. Marcel – hole dir zwei Leute und bereite das Zelt vor – du hast Monsieur Aramis gehört!“ Beide sprinteten los, während Lupien neben Aramis hereilte, der zu seiner Satteltasche lief, um seine medizinische Ausrüstung zu holen.

„Was benötigt Ihr noch?“

Im Laufen wendete sich Aramis ihm zu und erwiderte schonungslos: „Im Moment nichts. Aber ich brauche gleich im Zelt deine Hilfe. Es wird blutig – schaffst du das?“

Lupien zögerte keine Sekunde, bevor er mit weit über sein Alter hinausgehendem Ernst versicherte: „Ich tue, was nötig ist!“

„Gut!“

Mehr gab es nicht zu sagen, und die beiden Heiler liefen zum Kommandanturzelt. Marcel hatte kurzen Prozess gemacht und die Habseligkeiten von de Grasse ohne viel Federlesens vom Tisch gefegt. Nun stand er wachsam da, bereit, Aramis’ weiteren Befehlen prompt zu folgen. Kurz dachte der Musketier, dass die jungen Männer hier Hervorragendes leisteten, ohne große Fragen, ohne Zögern taten, was getan werden musste, doch dann war schon Porthos mit dem Verwundeten heran, trat durch die von d’Artagnan beiseite gehaltene Zeltplane ins Innere.

„Hierher!“ Damit wies Aramis auf den freigeräumten Tisch, und Porthos legte seine kostbare Last behutsam ab. Gemeinsam mit d’Artagnan und Aramis drehte er Athos so, dass er auf dem Bauch lag; das Messer ragte Unheil verkündend aus seiner Seite. Doch noch erschreckender als die Verwundung war die Reglosigkeit ihres Freundes.

Aramis sah sich kurz um und kommandierte dann: „Alle raus, außer Lupien!“

Marcel, Furet und die anderen Kadetten, die Marcel zur Hilfe geholt hatte, sahen sich kurz an, taten dann aber, was der Musketier verlangte. Porthos und d’Artagnan dagegen blieben; für alle drei war dies eine Selbstverständlichkeit, deren es keiner weiteren Worte bedurfte. Und so beugte sich Aramis über die Verletzung und forderte an Porthos gewandt: „Licht!“ Der Freund griff sich eine der Laternen, die Marcel mitgebracht hatte und hielt sie so, dass Aramis mit Lupiens Hilfe die Wunde näher untersuchen konnte.

D’Artagnan stand derweil neben Athos’ Kopf, hatte seine Stirn an die Schläfe des Bewusstlosen gelegt und strich ihm unentwegt durchs Haar, während er beruhigende Nichtigkeiten murmelte.

Nach eingehender Untersuchung entschied Aramis: „Wir müssen es wagen und den Dolch entfernen. Lupien: Halte Tücher bereit, mit denen wir die Blutung stoppen können. D’Artagnan und Porthos – ihr müsst ihn festhalten. Ich weiß nicht, ob die Prozedur ihn aus der Bewusstlosigkeit reißt.“ D’Artagnans Miene war zu Stein erstarrt, als er den Kopf hob und knapp nickte. Doch der brennende Blick aus den vor Sorge nachtdunklen Augen ließ Aramis hart schlucken, und er versuchte, mit seinem Blick seinem jüngeren Bruder Zuversicht zu vermitteln.

Porthos unterbrach ihre stumme Zwiesprache, indem er an Lupien gewandt fragte: „Wer verkraftet den Anblick von Blut besser: Furet oder Marcel?“ Als Aramis ihn fragend ansah, erklärte er: „Wir brauchen jemanden, der die Laterne hält.“

„Furet“, erwiderte Lupien ohne Zögern. „Ich glaube, er hat in seinem Leben schon viele brutale Verletzungen gesehen.“

Porthos, der besser als jeder andere wusste, woher der Kadett stammte, nickte und rief auch schon: „Furet: Wir brauchen dich hier drinnen!“

Fast augenblicklich kam der Junge ins Zelt gelaufen, so, als habe er draußen auf der Lauer gelegen, was vielleicht sogar der Fall gewesen war.

„Komm her und halte die Laterne so, dass sie die Wunde gut beleuchtet“, befahl Porthos eindringlich. „Egal, was geschieht - du musst sie ganz ruhig halten, in Ordnung?“

„Natürlich!“, brummte der Kadett nur, und Porthos übergab ihm die Lampe, um sich so neben den Tisch zu stellen, dass er Athos’ Oberschenkel und Hüftbereich gut packen konnte. D’Artagnan tat dasselbe an den Schultern seines Freundes, lehnte sich zugleich mit seinem ganzen Oberkörper über dessen Rücken, so dass Athos zwischen ihnen stabilisiert wurde und Aramis sein schauriges Werk beginnen konnte.

Entgegen d’Artagnans Erwartung entfernte er das Messer nicht mit einem Ruck, sondern zog es behutsam und kontrolliert aus der Wunde, überwachte dabei sorgfältig den Blutfluss, der sich zunächst in Grenzen hielt. Bereits nach kurzer Zeit spannte sich Athos unter dem festen Griff seiner Brüder an, sein Atem ging schneller und schließlich stieß er einen gequälten Laut aus, den er sich in wachem Zustand niemals gestattet hätte und der allen Anwesenden in die Seele fuhr.

Mit einem erleichterten Keuchen warf Aramis den Dolch endlich beiseite, während Lupien ihm bereits ohne Aufforderung die Tücher anreichte, denn kaum hatte die Klinge den Körper verlassen, strömte das Blut nur so hervor und tränkte den Stoff in erschreckender Geschwindigkeit. Eine wie eine Ewigkeit erscheinende Weile arbeiteten Aramis und Lupien verbissen gegen die rote Flut – bis sie endlich Erfolg hatten und die Blutung langsam zum Stillstand kam.

D’Artagnan lockerte genau wie Porthos seinen Griff etwas und redete immer weiter mit seinem bewusstlosen Gefährten: „Ich bin hier, hörst du? Bleib bei uns! Halte durch! Wag es ja nicht... Bleib bei mir! Athos, komm schon! Alles wird gut, in Ordnung? Du musst nur durchhalten...“

Seine leises, eindringliches Murmeln und Aramis’ knappe Anweisungen waren lange Zeit das einzige, das neben Athos’ schmerzerfülltem Stöhnen zu hören war, während Aramis das schwierige Werk begann, die tiefe Wunde zu reinigen und dann bestmöglich zu nähen. Als er fertig war, lehnte er sich mit einem zitternden Seufzen zurück und schwankte leicht, so dass Porthos an seiner Seite ihn am Arm packte und ihm Halt gab.

Dankbar bedachte sein Freund ihn mit einem wackligen Lächeln und erklärte: „Schon in Ordnung. Ich habe getan, was ich konnte – jetzt liegt der Rest in Gottes Hand...“

„Und an Athos’ Willen, zu leben!“, ergänzte Porthos mit ungewöhnlicher Verletzlichkeit. Da sah d’Artagnan mit blitzenden Augen auf und versprach eindringlich: „Oh, das wird er! Er wagt es nicht...“ Im letzten Moment fiel ihm ein, dass sie nicht unter sich waren, und so korrigierte er den Satz: „... er wagt es nicht, uns im Stich zu lassen.“

Porthos und Aramis wechselten einen kurzen Blick, bevor Aramis sanft erwiderte: „Nein, das wird er nicht wagen!“

D’Artagnan schluckte hart, räusperte sich, um seiner Stimme Festigkeit zu verleihen und fragte dann: „Soll er hier auf dem Tisch liegen bleiben?“

Aramis schüttelte den Kopf. „Wir sollten ihn zum Bett hinübertragen, da hat er es für die Nacht bequemer“, entschied er. Gemeinsam griffen die drei behutsam den Verletzten und trugen ihn die wenigen Schritte zu dem Bett, in dem d’Artagnan den Nachmittag verbracht hatte. Es war breit genug, dass er neben Athos Platz gefunden hätte, doch noch waren Lupien und Furet anwesend, weshalb er sich lediglich mit dem Rücken an die Matratze gelehnt davor auf den Boden setzte. Aramis’ scharfem Auge entging nicht, dass er kreidebleich war und sich zum wiederholten Mal in einer unbewussten Geste über Stirn und Schläfen strich, wobei er das Gesicht verzog. Ganz offenbar waren die Kopfschmerzen zurück.

„Wasch dich erst einmal“, befahl ihm Porthos mit einem Mal sanft, riss ihn so aus seinen Gedanken, und Aramis nickte schließlich, während er sich nach Lupien umsah. Der Kadett wirkte wie erschlagen, starrte mit abwesendem Blick auf seine ebenfalls blutverschmierten Hände und schien erst jetzt zu realisieren, was er in der letzten halben Stunde ohne Zögern getan hatte. Die Macht der Erkenntnis, dass das Leben eines Menschen wortwörtlich in seinen Händen gelegen hatte und dass das Blut von seinem Kommandanten stammte, überkam ihn mit einem Schlag und er erschauerte. Aramis ahnte, was in dem jungen Mann vorging und erklärte möglichst leichthin: „Du und Furet habt hervorragende Arbeit geleistet. Tut mir einen letzten Gefallen und nehmt die blutigen Tücher und das schmutzige Wasser mit hinaus. Dann geht euch waschen und esst etwas. In Ordnung?“

Automatisch nickte Lupien, machte aber keine Anstalten, sich zu bewegen, sondern sah unsicher zu Athos hinüber. Furet trat zu seinem Freund, stieß ihn sacht an der Schulter an und murmelte: „Wir können im Augenblick nicht mehr tun.“ Und Aramis ergänzte: „Wir wachen bei dem Kommandanten, keine Sorge.“

Endlich löste der Kadett seinen Blick und ließ sich von Furet aus dem Zelt drängen. Bevor er es verließ, erklärte er an Aramis gewandt: „Wenn Ihr mich braucht, lasst mich holen – egal, wann.“

Trotz aller Sorge huschte ein kleines, warmes Lächeln über Aramis’ Gesicht, und er nickte. „Das mache ich“, versprach er, und dann verschwanden die Kadetten endgültig.

Aufseufzend wendete er sich seinen Brüdern zu und begegnete Porthos’ forschendem Blick.

„Es wird eine lange Nacht werden.“ Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Dennoch nickte Aramis.

„Ich bleibe bei ihm“, hörten sie da d’Artagnan. Keiner von ihnen hatte damit gerechnet, dass er ihnen überhaupt zugehört hatte, doch jetzt wandte er sich ihnen zu, ohne seine Hand von Athos’ Schulter zu nehmen. „Ihr könnt euch ausruhen.“

„Wir werden alle drei bei ihm wachen“, erwiderte Porthos in ruhigem Ton, der dennoch keinen Widerspruch duldete. „Doch vorher werde ich draußen nach dem Rechten sehen. Jemand sollte die Kadetten beruhigen, und ich will mit Roman sprechen, sobald er zurück ist. Ich schicke Marcel mit frischem Wasser, damit du dich ordentlich waschen kannst, `Mis, und er soll euch auch etwas zu essen bringen.“

Dankbar nickte Aramis, wohingegen d’Artagnan feststellte: „Ich hab keinen Hunger.“

„Das sehen wir dann“, erwiderte Aramis möglichst gleichmütig und fragte wie nebenbei: „Du hast wieder Kopfschmerzen?“ Doch auch wenn sein Tonfall leicht war, täuschte das d’Artagnan nicht darüber hinweg, dass sein Bruder erkannt hatte, wie es um ihn stand – und dass Aramis sich sorgte. Gerne hätte er ihm diese weitere Sorge erspart, doch er war zu erschöpft, und angesichts Athos’ Zustand war jetzt nicht die Zeit, etwas zu beschönigen. Deshalb antwortete er ehrlich: „Ja – aber es ist auszuhalten.“

„Du solltest dich trotzdem hinlegen“, erklärte Aramis und wie erwartet protestierte der Jüngere: „Ich bleibe bei Athos!“

Aramis seufzte leise und erklärte dann geduldig: „Du kannst dich neben ihn legen – das Bett ist mehr als groß genug für euch beide.“ Nach kurzem Zögern gestand d’Artagnan: „Ich habe auch schon daran gedacht – zumindest, sobald die Kadetten wieder weg sind. Aber – ich störe Athos doch nur.“

Es war Porthos, der mit einem beruhigenden Lächeln erwiderte: „Sicher nicht...“, und Aramis ergänzte: „Ich denke sogar, dass er ruhiger ist, wenn du bei ihm bist.“

„Er ist sowieso viel zu ruhig“, rutschte d’Artagnan seine größte Sorge heraus, und Aramis huschte kurz ein gequälter Ausdruck über das Gesicht, bevor er sich wieder im Griff hatte und so zuversichtlich wie möglich erklärte: „Er hat eine Menge Blut verloren. Du warst nach Vijomers Angriff ein paar Tage bewusstlos, erinnerst du dich? Es ist also durchaus kein schlechtes Zeichen...“ Dass d’Artagnan damals außer dem Blutverlust auch noch mit Wundfieber zu kämpfen gehabt hatte, erwähnte Aramis wohlweislich nicht. Es gab keinen Grund, auch bei Athos von dieser Komplikation auszugehen, auch wenn das natürlich nie auszuschließen war. Ihnen blieb nichts, als abzuwarten und zu beten...

Porthos räusperte sich, trat zu dem Jüngeren hinüber, drückte ihm die Schulter und erklärte mit dem Blick fest auf Athos gerichtet: „Er ist ein harter Bursche, ein Kämpfer. Und für dich wird er kämpfen, in Ordnung?“

Und als d’Artagnan langsam nickte, flehte Porthos stumm: ‚Lass mich nicht als Lügner dastehen, Athos! ‘ Dann drehte er sich um und verließ mit großen Schritten das Zelt, um den selbstgestellten Aufgaben nachzukommen.

Nur wenige Minuten später trat Marcel mit einem Eimer frischen Wassers ein. Sein Blick suchte sofort den Kommandanten, so dass Aramis ihn beruhigte: „Er ist stabil – er schläft sich nur gesund!“

Marcel nickte knapp, wandte trotzdem keinen Blick von Athos und den neben ihm am Boden kauernden d’Artagnan, der seiner Erschöpfung so weit nachgegeben hatte, dass er den Kopf auf die Matratze neben Athos gebettet mit geschlossenen Augen den flachen, aber doch regelmäßigen Atemzügen seines Freundes lauschte, ohne zu ahnen, dass Athos noch am Nachmittag dasselbe bei ihm gemacht hatte.

„Ich nehme den Eimer“, riss Aramis’ freundliche Stimme Marcel aus seinen Gedanken, zurück zu seinen Pflichten, und der Kadett erklärte eilig: „Gleich kommt Luc und bringt etwas zu essen für Euch und Monsieur d’Artagnan.“

„Danke“, erwiderte Aramis, und als Marcel keine Anstalten machte, das Zelt zu verlassen, fügte er geduldig hinzu: „Das wäre dann alles. Wegtreten, Kadett.“

Marcel verbeugte sich knapp und wandte sich endlich zum Gehen.

Als die Zeltplane hinter ihm zugefallen war, hörte Aramis zu seiner Überraschung d’Artagnan, der mit müder Stimme erklärte: „Er vergöttert Athos. Vielleicht sogar mehr als das, ich weiß es nicht...“

„Hm!“, summte Aramis nur, während er sich zunächst die Hände mit dem klaren Wasser wusch, dann das Hemd über den Kopf zog, um sich gründlich zu reinigen. Er würde sein frisches Hemd aus der Satteltasche benötigen. „Er macht sich Sorgen um seinen Kommandanten“, nahm er dann den Gesprächsfaden wieder auf. „Sie alle tun das.“ Und als d’Artagnan schwieg, ergänzte er nachdenklich: „Athos hat etwas an sich... Etwas, das die Männer dazu bringt, für ihn durchs Feuer zu gehen und ihm in die Hölle und zurück zu folgen...“

„Ich weiß“, hörte er d’Artagnan mit erstickter Stimme erwidern. „Ich weiß es besser als jeder andere, `Mis...“

„Wir alle drei wissen es“, erwiderte Aramis mit belegter Stimme und sah zu seinem jüngsten Bruder hinüber. Schmerz, Sorge und Erschöpfung lagen in d’Artagnans Blick, aber auch tiefe Dankbarkeit und inniges Einverständnis. Der Ältere nickte mit einem warmen, aufmunternden Lächeln und freute sich unbändig, als d’Artagnan es, wenn auch schwach, erwiderte. Dann wendete er sich dem Wassereimer wieder zu und wusch sich mit knappen, sparsamen Bewegungen zu Ende. Er hatte gerade nach einem Handtuch gegriffen, als es an den hölzernen Zeltpfosten klopfte.

„Ja?“, fragte er.

Es war Luc mit einem kleinen Kessel Eintopf und einem Laib Brot. Nachdem auch er sich versichert hatte, dass es Athos zumindest nicht schlechter ging, schickte Aramis schließlich auch ihn fort und verlangte dann sanft. „Das war’s, d’Artagnan – iss etwas, und dann kannst du dich hinlegen!“ Damit reichte er ihm eine Schüssel Eintopf und ein Stück Brot.

Ohne weiteren Protest nahm der junge Musketier die Schüssel entgegen und aß unter Aramis’ wachsamen Augen einen Teil. Als der Ältere zufrieden nickte, stellte d’Artagnan den Teller beiseite, zog sich mit müden Bewegungen die Stiefel von den Füßen und legte sich dann vorsichtig neben seinen nach wie vor bewusstlosen Freund.

Athos lag mit dem Kopf zu d’Artagnan gedreht auf dem Bauch – für ihn eine völlig ungewohnte Ruheposition, und d’Artagnan, der den dringenden Wunsch hatte, Kontakt zu ihm herzustellen, wusste doch zunächst nicht, wie. Eindringlich betrachtete er die viel zu reglose Gestalt, das immer noch angespannte Gesicht, die tiefe Falte über der Nasenwurzel – alles schmerzhaft vertraut - und dann wanderte seine Hand wie von selbst auf Athos’ Rücken, über die Stelle, wo sein Herz schlug – so, wie er es gewöhnlich auf der Brust seines Gefährten zu tun pflegte. Er spürte den langsamen und doch stetigen Herzschlag, fühlte das Heben und Senken, das die nach wie vor flache, aber doch ungehinderte Atmung verursachte, und sofort wurde er ruhiger.

Athos lebte...

Zwar verletzt, geschwächt und ohne Bewusstsein, aber er lebte, und das war mehr, als er noch vor einer Stunde mit Sicherheit hatte sagen können.

Behutsam, um keine weitere Pein zu verursachen, rutschte d’Artagnan etwas näher, so dass er Stirn und Nase an der Schulter des Freundes pressen konnte, während er zugleich die Hand sacht über den Rücken des Verletzten kreisen ließ, nur so weit, dass er den Puls des Herzschlags nie verlor. Erst allmählich verlangsamte sich die Bewegung, bis die Hand auf Athos’ Rücken zur Ruhe kam, weil d’Artagnan eingeschlafen war.

Erst jetzt trat Aramis heran, sah eine Weile auf seine Brüder herunter und kämpfte dabei gegen den Kloß in seiner Kehle an. Wie nahe war er heute daran gewesen, beide zu verlieren? Ein Gedanke, der ihm schier unerträglich war.

Da lag mit einem Mal eine Hand schwer auf seiner Schulter, doch obwohl er niemanden hatte hereinkommen hören, erschrak er nicht. Porthos’ tröstliche Nähe war ihm so vertraut, dass er nun lediglich seine eigene Hand über die auf seiner Schulter legte und sie sacht drückte.

„Sie sind für den Moment sicher, `Mis!“, raunte Porthos beruhigend. „Du hast für sie getan, was du konntest. Lass sie schlafen – und komm selbst zur Ruhe.“

Aramis wollte widersprechen, wollte Porthos klar machen, dass er wachen musste – und doch merkte er, dass er lediglich nickte.

„Sag mir nur eins“, bat er erschöpft, und auf Porthos’ fragenden Blick hin fuhr er leise fort: „Ist es vorbei?“

Porthos kannte ihn lange genug, um sofort zu verstehen, worauf sein Bruder hinauswollte. Und so antwortete er mit grimmiger Genugtuung: „Es ist vorbei, `Mis – d’Artagnan hat dem verdammten Bastard den Garaus gemacht. Roman hat beide Leichen mit zurückgebracht –de Grasse wird nie wieder jemandem etwas antun!“

Die abgrundtiefe Erleichterung im Blick seines Freundes berührte ihn tief, und um das zu überspielen, schlug er brummend vor: „Leg dich auf das zweite Lager.“ Damit wies er auf die Bettstatt am Boden, die einst Gustave gehört hatte und fügte hinzu: „Ich werde auf sie achten.“ Nun protestierte Aramis doch leise: „Du hast in der letzten Nacht genauso wenig Schlaf bekommen wie ich!“

„Schon!“, entgegne Porthos mit einem kleinen Lächeln. „Aber du musst ausgeruht sein, wenn einer von ihnen medizinische Hilfe benötigt – nicht ich.“

Aramis seufzte, denn er wusste, dass Porthos recht hatte. „Also gut!“, gab er deshalb nach. „Aber weck mich sofort, wenn sich etwas tut.“

Porthos sah ihn nur mit hochgezogener Augenbraue an, und Aramis lächelte entschuldigend, so dass sein Freund ihm eins seiner breiten Grinsen schenkte, das er so liebte und das ihm zu versprechen schien: Alles wird gut.

„Weißt du eigentlich, dass du mein Fels im Sturm bist?“, rutschte es ihm heraus, bevor er nachdenken konnte. Porthos’ Miene verzog sich zunächst überrascht, bevor sich sein Grinsen in ein warmes Lächeln verwandelte, das seine tiefbraunen Augen zum Leuchten brachte. Er trat einen Schritt näher an Aramis, öffnete die Arme und zog ihn in eine innige Umarmung. Ohne ein weiteres Wort standen sie eine Weile so, schenkten einander Stärke und Zuversicht, bis Porthos sich langsam löste und sanft verlangte: „Nun komm schon – leg dich hin.“

Und Aramis gab auf, kam der Bitte des Freundes nach. Er wusste, dass er sich auf Porthos verlassen konnte.

tbc...

 

De Grasse ist hinüber – endgültig. Kurz und schmerzvoll, von einem Bauernsohn überrannt. Es gab unter meinen lieben Review-Musketieren Überlegungen, wie de Grasse aus der Story ausscheiden soll – durch Athos oder durch d’Artagnan; beides hat seinen besonderen Reiz. Ich wusste zu dem Zeitpunkt schon, dass es sozusagen „Teamwork“ wird und bin natürlich sehr gespannt, wie die Idee ankommt.

Für mich ist es übrigens Premiere, dass ich mich eines Antagonisten „final“ entledige, dass ich ihn also tatsächlich sterben/töten lasse. Ich bin grundsätzlich für andere Wege, bin z.B. auch überzeugter Gegner der Todesstrafe – aber hier, in diesem Kontext, in dieser Welt und dieser Zeit fand ich diesen Weg den richtigen.

Der Gegenpol ist in diesem Kapitel die Sorge um Athos, die verzweifelten Bemühungen um sein Leben. Ein Part, der mir sehr am Herzen liegt.

Das Kapitel endet ruhig, aber gut geht es Athos noch nicht – also doch nochmal ein Cliffhanger...

Trotzdem wünsche ich nun ein besinnliches 3. Advents-Wochenende. Lasst Euch nicht vom Jahresend-Stress vereinnahmen!

LG

Ann

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