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Chemistry

Kurzbeschreibung
OneshotRomance, Freundschaft / P12 / MaleSlash
Blair Sandburg James Ellison
07.09.2021
07.09.2021
1
4.008
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07.09.2021 4.008
 
Kommentar
*kommt 20 Jahre zu spät ins Fandom mit ‘nem Latte Macchiato in der Hand*
What’s up? :D
Okay, also eigentlich (!) wollte ich nur den Sentinel/Guide-Trope recherchieren, der mir schon so oft auf AO3 begegnet ist, doch das führte dann dazu, dass ich mir einfach die komplette Serie reingezogen habe... und das Resultat habt ihr nun vor euch. xD
Dieses Ship ist einfach sehr wundervoll und gay und ganz ehrlich – als könnte ich der Kombination aus großem, hartem, super männlichem Cop (der ein echter Softie sein kann) und kleinem, smartem, elfenhaftem Twink (der insgeheim total badass ist) widerstehen.
Ich weiß noch nicht, ob ich noch mehr zu den beiden schreiben werde, aber das hier musste einfach raus. :D

Warnungen gelten für: Sexpollen (hah!) und die daraus resultierenden Consent-Probleme (über die sie aber danach auch reden)

Außerdem habe ich gewisse Begriffe im Englischen belassen, weil sie für mich natürlicher klangen, als in der deutschen Synchro. Inspiriert ist die FF von Folge 9 aus der 1. Staffel: "Attraction".



Chemistry


Blair gähnte, als er aus dem Flugzeug stieg.
Der mehr als 20-stündige Flug von La Paz zurück nach Cascade hatte ihm die letzten Kraftreserven geraubt, die er nach der Woche in Bolivien noch besessen hatte. Sein Rücken schmerzte vom langen Sitzen im Flugzeug und seine Augen brannten vor Müdigkeit. Blair hasste Langstreckenflüge; er war stets zu unruhig und angespannt im Flugzeug, als dass er sich fallenlassen und einschlafen konnte, wofür er vor allem seine Höhenangst verantwortlich machte.
Solange er festen Boden unter den Füßen hatte, konnte er überall schlafen, aber in einem kleinen, engen Metallkasten mehrere Kilometer über dem Erdboden? Keine Chance.
Blair gähnte erneut mehrmals hinter vorgehaltener Hand, während er im Ankunftsbereich auf sein Gepäck wartete. Schließlich erspähte er den großen, von der Sonne ausgeblichenen Lederkoffer und zog ihn vom Band.
Gott, er spürte die Erschöpfung bis in die Knochen, und alles, wonach er sich an diesem Abend noch sehnte, war sein Bett. Vielleicht auch noch eine kurze Mahlzeit, um nicht mit leerem Magen schlafen zu gehen, oder eine heiße Dusche. Doch höchste Priorität hatte eindeutig sein Bett.
Als er schließlich das Flughafengebäude verließ und in die kalte, verregnete Nacht hinaustrat, sah Blair sich umgehend nach einer Transportmöglichkeit um. Er dauerte nur einen kurzen Moment, bis er den Taxistand entdeckt hatte. Doch bevor er auch nur drei Schritte gemacht hatte, spürte er, wie sich eine Hand um seinen Unterarm schloss und ihn zurückhielt.
Gleichermaßen erschrocken wie genervt blieb er stehen und wandte sich dem Unbekannten zu, um ihm seine Meinung zu sagen. Er entspannte sich jedoch sofort wieder, als er in das Gesicht seines besten Freundes blickte.
„Hey, Jim“, begrüßte er ihn und lächelte. „Du hättest auch etwas sagen können.“
Jim zog eine Augenbraue hoch. „Ich habe mehrmals deinen Namen gerufen.“
„Tatsächlich?“ Blair schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, ich habe dich nicht gehört. Aber ich bin heute eh zu nichts mehr zu gebrauchen.“
Jims Mundwinkel zuckten. „So schlimm?“
„Schlimmer. Von meiner Höhenangst mal ganz abgesehen saß neben mir ein älteres Pärchen, das sich den ganzen Flug über wegen jeder Kleinigkeit gestritten hat.“ Blair seufzte. „Selbst die Kopfhörer haben irgendwann nicht mehr geholfen.“
„Mein Beileid“, kommentierte Jim in einem Tonfall, von dem Blair sich nie ganz sicher war, ob er es ernst meinte oder nicht.
Dann griff er nach Blairs Koffer. „Lass uns gehen. Mein Wagen steht im Parkhaus.“
Blair überlegte, ob er Jim mitteilen sollte, dass er seine Sachen auch allein tragen konnte, aber er war selbst dafür zu müde. Außerdem war er insgeheim dankbar dafür, dass Jim ihn abholte, obwohl er ihn nicht darum gebeten hatte – und das nicht nur, weil er damit die Kosten für das Taxi sparte.
Es war das erste Mal, seitdem er bei Jim eingezogen war, dass sie für einen längeren Zeitraum voneinander getrennt gewesen waren, und es rührte Blair ein wenig, dass Jim ihn offenbar ebenso vermisst hatte, wie Blair ihn, und dass er gekommen war, um ihn nach Hause zu bringen.
Es tat einfach gut zu wissen, dass es jemanden gab, dem er so viel bedeutete.
Mit einem Lächeln strich sich Blair eine nasse Strähne aus dem Gesicht und folgte Jim zum Auto.

Während der Rückfahrt driftete Jims Blick immer wieder zu ihm hinüber, doch er hielt sich mit Worten zurück.
„Wie war Bolivien?“, fragte  er schließlich, als Blair langsam begann, die Stille im Auto als unangenehm zu empfinden.
Dankbar für die Gesprächseröffnung stürzte sich Blair sofort auf das Thema.
„Einfach fantastisch!“, erwiderte er. „Mann, ich hätte locker noch weitere drei Wochen dort verbringen können. Es war wirklich wahnsinnig spannend, das tägliche Leben der indigenen Bevölkerung zu verfolgen! Wusstest du, dass es in Bolivien dutzende verschiedene, ethnische Gruppierungen gibt? Einige davon hatten noch nie wirklich Kontakt nach außen und leben seit Urzeiten völlig isoliert. Ich dachte immer, dass ihre gemeinsame Sprache Quechua ist – mit regionalen Unterschieden versteht sich – so wie es auch die Chopec gesprochen haben, bei denen du damals in Peru gelebt hast, aber wie sich herausgestellt hat, gibt es fast ebenso viele Sprachen dort, wie indigene Gruppierungen...“
Während Blair ausführlich auf seine Erlebnisse und Beobachtungen einging und sie mit enthusiastischen Gesten untermalte, legte sich ein entspannter Ausdruck auf Jims Gesicht. Er unterbrach Blair kein einziges Mal oder stellte Fragen zu seiner Erzählung, aber Blair wusste, dass er ihm trotzdem aufmerksam zuhörte.
„Das klingt alles sehr spannend, Chief“, sagte Jim, als sie schließlich in die Straße einbogen, in der sich ihre Wohnung befand, und das Auto direkt vor dem Haus parkte. „Soll ich dich besser gleich zur Universität fahren, damit du mit dem Schreiben anfangen kannst?“
Blair gähnte auf. Nach seinem kleinen Vortrag hatte sich die Müdigkeit mit doppelter Intensität zurückgemeldet und ihm fielen immer wieder die Augen zu.
„Bloß nicht“, murmelte er. „Wenn jetzt noch irgendwas zwischen mich und mein Bett kommt, werde ich selbst vor Mord nicht zurückschrecken.“
Jim lachte leise auf. „Du weißt schon, dass ich solche Äußerungen als Cop ernstnehmen muss, oder?“
„Super, dann kann ich mich ja gleich morgen Vormittag bei dir melden und dir mein Verbrechen gestehen.“ Blair rieb sich die Augen. „Die Betonung liegt allerdings auf morgen Vormittag.“
Mit erneutem Gähnen öffnete er die Beifahrertür. Himmel, er hatte keine Ahnung, wie er es die Stufen hinauf bis zur Loft schaffen sollte, wenn er schon im Auto fast einschlief.
Jim warf ihm einen Blick zu, als würde er seine Gedanken lesen und die Option in Betracht ziehen, Blair einfach in die Arme zu nehmen und in die Wohnung zu tragen. (Nicht, dass Blair etwas dagegen hätte, sich an die muskulöse Brust zu kuscheln, oh nein. Man durfte schließlich noch träumen.)
Doch dann stieg Jim aus dem Auto und warf schwungvoll die Fahrertür zu, bevor er Blairs Koffer von der Rückbank holte.
„Brauchst du Hilfe, Sandburg?“, fragte er mit halb zweifelndem, halb amüsiertem Blick, während Blair unbeholfen aus dem Auto kletterte und dabei fast über seine eigenen Füße stolperte.
Mit einem letzten Aufflackern von Stolz hob Blair abwehrend die Hand.
„Danke, aber ich schaffe das schon selbst“, erwiderte er und ging mit erhobenem Haupt an Jim vorbei, der ihm mit dem Koffer folgte.

Blair erinnerte sich im Nachhinein nur noch vage daran, wie er die Treppe zur Wohnung hinaufgestiegen war, doch er konnte sich entsinnen, dass Jim ihn mehrmals am Arm festhalten musste, damit sein Gesicht nicht mit der Wand kollidierte.
Er erinnerte sich außerdem mit überraschender Klarheit daran, wie er vor der Tür ihres Apartments an Jim gelehnt und den warmen Geruch seiner Lederjacke eingeatmet hatte, während sein Partner nach dem Wohnungsschlüssel suchte.
Alles, was danach geschehen war, war von seinem übermüdeten Gehirn jedoch komplett verdrängt worden, und als Blair das nächste Mal die Augen öffnete, fiel Sonnenschein durch die Fenster und er lag in seinem Bett.
„... verdammt“, murmelte er.
Dem hohen Stand der Sonne nach zu urteilen musste er bereits den halben Tag verschlafen haben.
Blair seufzte auf und rieb sich mit der Hand das Gesicht. Er hatte sich so viel vorgenommen, bevor am Montag wieder die Uni losging, und er spürte förmlich, wie ihm die Zeit davonlief.
Aufstehen, Dusche, Kaffee, dachte er. Komm schon, Sandburg, beweg deinen Arsch!
Seine Decke wollte ihn allerdings nicht gehen lassen.
Moment – seine Decke?
Blairs Augen weiteten sich, als er den Stoff anhob und feststellte, dass sich ein Arm von hinten um seinen Oberkörper geschlungen hatte. Ein ausgesprochen muskulöser, männlicher Arm.
„Okay“, sprach Blair in die morgendliche Stille hinein. „Was? Zum Teufel?“
Er drehte sich mühsam um – und sah in das Gesicht von Jim, der hinter ihm lag und allem Anschein nach schlief. Zum Glück in Unterhosen, wie Blair feststellte, als er die Decke erneut anhob und ihre  verschlungenen Beine erblickte. Langsam war er sich nicht mehr sicher, ob er wirklich schon wach war oder immer noch träumte.
Jim gab ein wortloses Murmeln von sich, als er Blairs rasenden Herzschlag unter seinen Fingerkuppen spürte, und öffnete dann die Augen.
Ein verträumter Ausdruck legte sich auf sein Gesicht, während er Blair ansah. Dann zog er ihn dichter an seinen Körper und vergrub die Nase in seinen langen Locken.
„Du riechst so gut“, raunte er mit vom Schlaf rauer Stimme.
Und das war der Punkt, an dem Blair begriff, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.
„Jim, was zur Hölle!?“, fragte er und entzog sich seiner Umarmung, bevor er aufstand und ans andere Ende seines Zimmers floh. „Was ist los mit dir?“
Nicht, dass er nicht schon seit Monaten davon träumte, morgens auf diese Weise zu erwachen, aber es wäre trotzdem nett gewesen, hätten sie vorher wenigstens darüber geredet.
„Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, erwiderte Jim und setzte sich ebenfalls auf, immer noch diesen un-Jim-haften, verträumt-distanzierten Ausdruck auf dem Gesicht, so als wäre er nicht ganz er selbst.
Oder auf Drogen, dachte Blair.
Und hätte sich im nächsten Moment am liebsten die Hand gegen die Stirn geklatscht.
Natürlich. Er hatte dieses Verhalten schon einmal bei Jim erlebt – bei Laura McCarthy. Damals hatten ihre Pheromone Jims sensible Sentinel-Sinne überladen und waren für sein unnatürliches Nähebedürfnis und seine gesteigerte Libido verantwortlich gewesen.
Doch Blairs Körperchemie konnte sich während seiner Reise nicht plötzlich grundlegend verändert haben, woher kam also Jims plötzliche Anhänglichkeit...?
„Blair, ist alles in Ordnung?“, fragte Jim und seine verklärte Miene wich allmählich einem Ausdruck aufrichtiger Sorge und Beunruhigung.
Okay. Der Drang zu körperlicher Nähe schien also nur dann zu bestehen, wenn Blair sich in seiner unmittelbaren Nähe aufhielt. Das war schon mal eine wichtige Beobachtung.
Duschen. Er sollte duschen. Blair wusste noch nicht, was es war, aber irgendetwas schien seit Bolivien an ihm zu haften, das Jim schwach machte, und er war es ihm schuldig, eine klare Grenze zu ziehen und sich von ihm fernzuhalten, bis der Geruch verflogen war und sie rational über die ganze Situation reden konnten.
„Komm wieder ins Bett.“
Blair wusste nicht, ob es an Jims Worten lag oder am hoffnungsvollen Ausdruck auf seinem Gesicht, doch dies war der Moment, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte.
Er stürmte aus seinem Zimmer und floh die Treppe hinauf ins Bad.

Blair verbrachte fast eine Stunde unter der Dusche.
Er schrubbte seinen ganzen Körper mit dem Schwamm, bis seine Haut krebsrot war, und wusch sich mehrfach die Haare mit verschiedenen Shampoos.
Er spielte sogar kurz mit dem Gedanken, sämtliche Kleidung zu verbrennen, die er auf der Reise getragen hatte, verwarf ihn jedoch schnell wieder. Er konnte es sich schlichtweg nicht leisten, sich von seinen Sachen zu trennen und neue zu kaufen, so gut bezahlte ihn die Universität dann doch nicht. Die Waschmaschine musste reichen.
In einen von Jims viel zu großen Bademänteln gehüllt verließ er schließlich das Bad und stieg die Treppe hinab.
„Jim?“, rief er zaghaft. „Bis du noch da?“
Doch es kam keine Antwort.
Dafür fand er einen Zettel auf dem Tisch.

Bin im Laden um die Ecke, um ein paar Sachen zu besorgen – und um endlich die Toilette zu benutzen. (Vielen Dank auch, Sandburg.)
Jim


Blair musste grinsen.
Das klang doch schon eher nach seinem Freund und Mitbewohner.
Er betrat sein Zimmer und zog sich zügig an, wobei er nur Sachen verwendete, die er noch in seinem Schrank gefunden hatte. Den Koffer voller schmutziger Wäsche in der Zimmerecke ignorierte er vorerst.
Er hatte kaum den letzten Knopf seines Hemdes geschlossen, als sich die Wohnungstür öffnete und Jim mit einer Einkaufstüte im Arm eintrat.
Seine Miene hatte alle Verträumtheit verloren und Blair fiel beim vertrauten Anblick seines grimmig-reservierten Gesichtsausdrucks ein Stein vom Herzen. Es sah aus, als wäre die Krise vorerst überstanden.
Sein Herz begann jedoch schneller zu klopfen, als Jims Blick auf ihn fiel und der andere Mann plötzlich mitten in der Bewegung innehielt. Jim schüttelte die Starre jedoch schnell wieder ab und stellte die Papiertüte auf die Küchenzeile, bevor er um den Tisch herumtrat und zielstrebig auf Blair zuschritt, wie ein Raubtier auf seine Beute.
„Jim, was hast du–“, begann Blair, wurde jedoch sofort unterbrochen.
„Bitte sei leise und halt still“, wies Jim ihn ruhig, aber mit Nachdruck an und fokussierte alle seine Sinne auf ihn.
Blair konnte nicht verhindern, dass ein Schauer über seinen Körper lief, doch er tat wie ihm geheißen war und blieb still stehen.
Jim trat so dicht an ihn heran, dass ihre Oberkörper sich fast berührten und legte seine Hände auf Blairs Schultern.
Seine Pupillen weiteten sich, bis der blaue Ring seiner Iris fast gänzlich verschwunden war.
Sein bohrender Blick schien bis auf den Grund von Blairs Seele zu dringen und all seine geheimen Wünsche und Bedürfnisse ans Tageslicht zu zerren. Blair war es nicht gewohnt, im Zentrum von Jims intensivem Fokus zu stehen, und er zwang sich, sein rasendes Herz zu beruhigen. Dann sah er, wie sich Jims Nasenflügel bewegten, als er den Kopf zu ihm herabneigte und tief Luft holte, um Blairs Geruch einzuatmen.
Erst an seiner Stirn, dann an seinen Wangen, seinen Lippen, seinem Hals... und zuletzt in seinen Haaren.
Es konnten nur wenige Minuten vergangen sein, als Jim schließlich aus seiner Trance erwachte und seine Pupillen langsam wieder schrumpften, doch Blair kamen es vor wie Jahre. Mit kurzem Kopfschütteln trat Jim einen Schritt zurück und ließ ihn dann los.
„Entschuldige bitte den Überfall“, sagte er mit grimmiger Miene. „Ich musste sicherstellen, dass nicht länger Gefahr besteht, dass ich erneut die Kontrolle verliere.“
Er wandte sich ab.
„Was auch immer an dir gehaftet hat – was auch immer mein unverzeihliches Verhalten letzte Nacht und heute Morgen verursacht hat – es ist nicht länger vorhanden.“
Er warf Blair über die Schultern einen humorlosen Blick zu. „Also keine Sorge, Chief. Du hast nichts mehr von mir zu befürchten.“
Blair sah ihn überrascht an.
Dann verschränkte er die Arme vor der Brust.
„Okay, lass mich zwei Dinge klarstellen“, sagte er mit fester Stimme. „Erstens: ich verzeihe dir. Du hast in dieser Situation ganz offenkundig gegen deinen Willen gehandelt, natürlich verzeihe ich dir. Und zweitens: ich hatte zu keinem Zeitpunkt Angst vor dir, Jim.“
„Das war ganz klar ein Fehler“, erwiderte sein Freund verbittert und drehte sich wieder zu ihm herum. „Hätte ich gespürt, dass du Angst hast, hätte ich vielleicht von dir abgelassen.“
Er fuhr sich mit einer Hand durch seine kurzgeschorenen Haare. „Mein Gott, Sandburg, es hätte nicht mehr viel gefehlt und ich hätte dich...“
Seine Stimme erstarb, doch sie wussten beide, was er hatte sagen wollen.
Und es brach Blair das Herz, dass Jim so unter dieser Situation litt – gerade weil er eindeutig keine Kontrolle über sie besessen hatte.
„Jim“, sagte er leise. „Du hättest mir niemals etwas antun können.“
Jim starrte ihn einen Moment lang fassungslos an. Dann blitzte plötzlich Wut in seinen Augen auf.
„Und wenn doch?“, rief er. „Wärst du einfach liegengeblieben und hättest es über dich ergehen lassen?“
Blair schluckte. Es gab keine einfache Antwort auf diese Frage.
„Ich hätte getan, was nötig ist, damit wir beide heil aus der Situation herauskommen“, entgegnete er ausweichend. „Und danach hätten wir darüber gesprochen.“
„Sicher“, meinte Jim mit einer Kälte, die Blair tief traf. „Als ob du danach noch in der Lage gewesen wärst, mir in die Augen zu sehen.“
Blair verdrehte die Augen und musste sich beherrschen, den störrischen Mann nicht am Kragen seines Pullovers zu packen und zu schütteln.
„Jim, du hast mir nichts getan“, sagte er eindringlich. „Und ich halte es nicht für sinnvoll, mich mit dir über fiktive Szenarien zu streiten.“
Er atmete tief durch und wandte sich dann ab.
„Viel wichtiger wäre es ehrlich gesagt, wenn wir herausfinden, was deinen Rausch verursacht hat“, wechselte er das Thema. „Wenn es wirklich spezielle Substanzen gibt, die dein Verhalten so gravierend beeinflussen können, müssen wir wissen, worum es sich dabei handelt, damit du sie in Zukunft meiden kannst. Stell dir vor, jemand versucht, sie aktiv gegen dich zu verwenden, um dich zu manipulieren! Das könnte in einer Katastrophe enden.“
Für eine Weile war es hinter ihm still, doch schließlich konnte er hören, wie Jim ein leises Seufzen von sich gab.
„Du hast Recht“, gab er zu. „Das ist ein Problem, das wir nicht ignorieren können. Am besten kümmern wir uns noch heute darum.“
„Gut“, sagte Blair erleichtert. „Sehr gut. Es freut mich, dass du das auch so siehst.“
Er drehte sich langsam wieder zu Jim herum und das schiefe, aber aufrichtige Lächeln auf dem Gesicht seines Freundes gab ihm Hoffnung.
„Aber vorher Brunch?“, fragte Jim.
Blair schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Sehr gerne.“

„Okay“, sagte Jim, als sie nach dem Essen abgeräumt hatten und einander gegenüber am Tisch saßen, „nur, dass ich das richtig verstehe: du willst, dass ich wie so ein Perverser an deiner dreckigen Wäsche aus dem Urlaub schnüffle?“
Blair unterdrückte den Drang, die Augen zu verdrehen.
„Erstens weißt du genau, wieso wir es tun, und zweitens gibt es keinen Grund, gleich abwertend zu werden, Mann. Hast du noch nie was von Kinks gehört? Manche Leute stehen darauf. Es ist weiter verbreitet, als du glaubst.“
„‚Manche Leute‘?“, hakte Jim nach und hob vielsagend eine Augenbraue. Blair spürte, wie seine Wangen warm wurden, als ihm klar wurde, was er da gerade gesagt hatte.
Er räusperte sich. „Kein Kommentar.“
Dann schob er ein Hemd über den Tisch, das er an seinem letzten Tag in Bolivien bei einer Wanderung durch die Natur getragen hatte.
„Lass uns hiermit anfangen“, sagte er. „Die Sachen, die ich auf der Rückreise anhatte, sind schon in der Waschmaschine, aber hier sollte der Geruch noch frisch sein.“
Jim starrte das Hemd einen Moment lang zweifelnd an, doch dann glättete sich seine Stirn und er streckte die Hand aus, um es Blair abzunehmen.
„Auf einer Skala von eins bis zehn: wie empfindlich ist dein Geruchssinn gerade?“, fuhr Blair fort.
Jim überlegte kurz. „Acht?“
Blair nickte. „Dann stell ihn auf drei runter. Wir können nicht riskieren, dass du versehentlich die volle Dosis einatmest und die Kontrolle verlierst.“
Jim sah ihn zweifelnd an, doch dann starrte er für einen Moment konzentriert in die Ferne, bis sich seine Miene erneut glättete und er den Blick wieder Blair zuwandte. „Ist erledigt.“
„Gut.“
Blair hielt unwillkürlich den Atem an.
„Dann leg los.“
Doch Jim hatte das Hemd kaum an seine Nase gehoben, als sich bereits seine Pupillen weiteten und sich die Härchen auf seinen Armen aufrichteten.
„Scheiße!“, fluchte Blair und griff mit beiden Händen über den Tisch, um seine Finger um Jims Handgelenke zu schließen und ihm Halt zu geben. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie bereits beim ersten Versuch einen solchen Volltreffer landen würden.
„Jim! Hey, Jim!“, rief er. „Schraub es runter, hörst du? Schraub deinen Geruchssinn noch weiter runter!“
Doch Jim war wie erstarrt und reagierte nicht. Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, in der Blair mit den Daumen sanft die Handgelenke seines Freundes massierte und mit wachsender Panik immer wieder seinen Namen rief, doch schließlich erwachte Jim aus seiner Trance und blinzelte mehrere Male.
„Da bist du ja endlich wieder! Mann, hast du mir einen Schrecken eingejagt“, stieß Blair erleichtert hervor und ließ seine Handgelenke wieder los. „Jim, schraub deinen Geruchssinn am besten auf eins runter, okay? Vielleicht beenden wir dieses Experiment lieber für heute.“
Doch der andere Mann ignorierte ihn. „Ich glaube, ich habe die Ursache entdeckt. Es sind Pollen, die du aus dem Dschungel eingeschleppt hast. Dein Hemd ist voll davon, so wie der Rest deiner Wäsche mittlerweile vermutlich auch.“
Jims Stimme klang seltsam gepresst. Kleine Schweißperlen liefen über seine Stirn und Schläfen, so als müsste er mit aller Macht gegen den Drang ankämpfen, sich auf Blair zu stürzen, um... mit ihm zu tun, wozu auch immer seine Sentinel-Instinkte ihn trieben, vermutete Blair.
„Jim...?“, fragte er besorgt.
„Bleib, wo du bist.“ Jim biss die Zähne zusammen. „Im Moment habe ich es im Griff.“
„Jim, bist du dir sicher?“ Blair biss sich nervös auf die Unterlippe. Es grenzte an ein Wunder, dass sein Freund noch immer kohärent war, gerade wenn er eine volle Dosis dieser Pollen abbekommen hatte. „Ich kann auch rausgehen, wenn es dir zu viel wird...“
„Bleib. Wo du. Bist!“, wiederholte Jim gereizt und Blair klappte augenblicklich den Mund zu.
Fast zehn Minuten verstrichen, in denen Jim seinen Blick hartnäckig auf die Tischplatte zwischen ihnen gerichtet hatte und flach ein- und wieder ausatmete, und Blair wagte es kaum, zu blinzeln – bis Jims Züge sich endlich wieder entspannten und er sich mit erschöpfter Miene zurücklehnte.
„Okay“, sagte er. „Ich habe es jetzt unter Kontrolle.“
Was hast du unter Kontrolle?“, wollte Blair wissen.
Dann wurde ihm mit einem Mal klar, was der andere Mann getan hatte, und seine Stimme überschlug sich fast vor Aufregung, als er fortfuhr: „Jim, das war überhaupt nicht der Plan! Der Plan war, dass du den Geruch identifizierst und wir gemeinsam überlegen, wie wir dich in Zukunft davon fernhalten können! Der Plan war nicht, ihn zu benutzen, um deine Urinstinkte zu konfrontieren und zu bezwingen!“
Doch Jim schenkte ihm nur ein kleines, müdes Lächeln.
„Ist das nicht der Grund, weshalb du hier bist?“, fragte er. „Damit du mir hilfst, diese Sache kontrollieren zu lernen?“
„Jim, niemand besitzt einen solchen Level an Selbstkontrolle, nicht einmal du!“
„Und doch sitze ich noch immer hier und habe nicht länger das Bedürfnis, über dich herzufallen“, stellte Jim nüchtern fest.
Und Blair glaubte ihm. Jim gehörte nicht zu den Menschen, die mit solchen Dingen scherzten.
Fassungslos schüttelte er den Kopf. Sein Freund überraschte ihn jeden Tag aufs Neue.
„Du knüpfst deine Sentinel-Instinkte an neue, selbstgewählte Handlungsmuster“, sagte er leise und warf Jim einen bewundernden Blick zu. „Du bist unglaublich, weißt du das?“
Er lachte auf. „Ich habe keine Ahnung, wie viel Sentinels es sonst noch auf diesem Planeten gibt, aber eines steht bereits jetzt fest: du bist der mit Abstand Dickköpfigste von allen.“
Jim sah ihn lange an, einen Ausdruck in seinen blauen Augen, den Blair nicht zu deuten wusste.
„Sandburg“, sagte er schließlich mit leiser Stimme. Und dann: „Blair.“
Eine leichte Gänsehaut lief über Blairs Arme. „Ja?“
„Ich...“ Jim zögerte für einen Augenblick. „Ich danke dir. Für deine Worte – und deine Hilfe.“
„Hey, keine Ursache.“ Blair zuckte mit den Schultern. „Wie du schon sagtest: darum bin ich schließlich hier.“
Ein schuldbewusster Ausdruck huschte über Jims Gesicht. „So hatte ich das nicht gemeint.“
„Hey, Mann, es ist schon okay“, winkte Blair ab. „Du bist mein Studienobjekt und ich bin deine Gebrauchsanleitung. Das war damals der Deal.“
Was nicht hieß, dass er nicht noch lange von der Erinnerung an den Tag zehren würde, an dem er in Jims Armen aufgewacht war. Das war... nett gewesen.
„Du bist mehr als das für mich, Chief“, widersprach Jim. „Ich hoffe, das weißt du.“
Blair starrte ihn an und sein Herz begann erneut heftig zu klopfen, dieses Mal vor Hoffnung und Nervosität.
„Ich hoffe, es sind nicht die Pollen, die gerade aus dir sprechen“, murmelte er.
Jim schüttelte den Kopf. „Ich habe es unter Kontrolle, versprochen.“
„Gut.“ Blair holte tief Luft.
Er schickte ein Stoßgebet an alle göttlichen Entitäten, die er kannte, dass er die Zeichen richtig gedeutet hatte, und beschloss, alles auf eine Karte zu setzen.
„Ich würde nämlich gerne noch öfter so erwachen, wie heute Morgen.“ Er schluckte. „Ganz ohne Pollen. Also... falls du nichts dagegen hast.“
Jim lächelte.
Wie sich herausstellen sollte, hatte er absolut keine Einwände.

 
 
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