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Einzig, meine Liebe

von Federfaun
Kurzbeschreibung
GeschichteLiebesgeschichte / P18 / Het
OC (Own Character)
06.09.2021
06.09.2021
5
9.575
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06.09.2021 1.705
 
Es war der Tag des Musik-Events, das in Elkia so groß angekündigt worden war, als ich ihn das erste Mal sah… Eine Gruppe Personen in schwarzen Roben zog durch die Stadt. Sie kamen mir in der breiten Straße entgegen, die direkt zum Schloss führt. Diese Tage ist ein Fremder kein nennenswert beunruhigender Anblick. Jedenfalls nicht für mich. Ich hatte mich schnell daran gewöhnt, dass seit geraumer Zeit andere Rassen die Königsstadt Elkia, und damit auch unsere Heimat, besuchten. Die Heimat der  Immanity… Viele andere Bürger waren aber voller Sorge und erzürnt über unseren König und die Königin – diese unfähigen, taktlosen Trottel, die es geschafft hatten, das Spiel um die Krone zu gewinnen und seither eine Rasse nach der anderen herausforderten. Und gewannen. Doch der Austausch mit den Anderen hatte uns bis jetzt eigentlich nur Vorteile gebracht und Vielen von uns den Schrecken vom unbesiegbaren und mächtigen Feind genommen. Sie waren ein bisschen wie wir, anders, aber trotzdem nicht so viel anders, dass man sich nicht damit arrangieren konnte.
Aber diese schwarz gekleidete Gruppe war definitiv anders, als alles was ich bis jetzt gesehen hatte. Alleine, wie sie sich bewegten – wie eine Einheit, zielstrebig, geradezu fixiert … und das, wenn man genauer hinsah auch noch eigenartig synchron. Es war eine eigenartige Aura, die sie umgab. Faszinierend und beängstigend zugleich … kalt, steril. Und ihr Geruch … oder besser: ihr Nicht-Geruch … wie die statisch geladene Luft vor, oder die ozonhaltige Luft kurz nach einem Gewitter...
Ihre gesamten Körper waren unter den schwarzem Umhängen verborgen, ließen ihre Bewegungen nur erahnen und ihre Gesichter unerkannt. Bis auf diesen einen Bruchteil einer Sekunde. Der Anführer der Gruppe hob den Kopf und ein Windstoß blähte die Kapuze. Ich sah hellblaue Augen, die in die Ferne starrten und dunkles, rot-glänzendes Haar ... ich sah das hübsche, schon zu perfekte Gesicht eines Mannes Anfang 30… Und dann war dieser Augenblick vorbei. Die Gruppe von 13 verhüllten Gestalten eilte an mir vorbei. Sie schienen mich nicht einmal wahrzunehmen, doch mir waren sie ebenso egal. Ich hatte zu tun. Erst als sich am Abend zuhause in meiner kleinen Wohnung saß, kam mir sein Gesicht wieder in den Sinn … dieser bildhübsche Fremde. Ich erträumte für einen Augenblick, dass ich ihn wiedersehen würde und ich träumte von unserer gemeinsamen Zukunft… Ich seufzte und legte mich schlafen.

Eine knappe Woche später hatte ich das Gefühl, ihn gesehen zu haben. Doch vielleicht hatte ich mir das auch zu sehr gewünscht und mein Hirn hatte mich ausgetrickst. Ich wollte ihn vergessen und konnte es nicht.
Und dann, eine weitere Woche später (oder war es länger), just, als ich ihn bereits wieder vergessen hatte und über diesen flüchtigen Moment hinweg war, sah ich ihn wieder. Er stand im Abendlicht am Geländer der Uferpromenade, die ein Stück weit dem Fluss durch die Stadt folgt. Ich sah ihn nur von hinten, aber er wirkte traurig. Er hatte die Kapuze von Kopf gezogen und der Wind spielte mit seinen rot-schimmernden Haaren, die auf der linken Seite mit einer fremdartigen Apparatur dekoriert waren. Mein Herz stockte … nur, um dann mit wildem Puls davon zu jagen. Einmal ganz abgesehen davon, dass sich ein Stein in meinem Magen formte.
Der Fremde war alleine. Ich fasste allen Mut zusammen und ging zu ihm. Er registrierte mich, aber er reagierte nicht. Er wirkte nachdenklich und gebrochen – und das, obwohl sein Gesicht regungslos wie das einer Puppe war. Er blinzelte nicht einmal. Er schien nicht einmal zu atmen. Was zur Hölle war er?!
...außer verdammt attraktiv und zum Herz erweichen traurig.

„Alles in Ordnung?“, fragte ich ihn.
Erst jetzt reagierte er auf mich. Aber er sah mich nicht einmal an, als er antwortete.
„Antwort: Nichts ist in Ordnung. Erklärung: Diese Einheit ist wertloser Schrott. Diese Einheit hat persönlich versagt. Diese Einheit wurde zurück gewiesen. Dieser Mann wurde von der Liebe seines Lebens zurück gewiesen. Liebe unmöglich. Diese Liebe war eine Lüge. Es war nie meine Liebe, wir haben sie von Einheit Preier übernommen. Wir haben unsere Liebe verraten. Wir haben nur das Beste gewollt. Wir haben getötet und zugelassen, dass wir getötet werden. Wir haben viele Einheiten sterben lassen. Ich habe sie in den Tod geschickt. Ich habe Verrat an meiner Rasse begangen, an meiner Liebe und an meinem Herzen. Schlussfolgerung: Reue und Bedauern. Aber keine Vergebung. Ich haben es nicht verdient, von Spieler geliebt zu werden. Ich habe es nicht verdient, von Nachfolger geliebt zu werden. … Und dennoch wünscht sich diese Einheit nichts mehr als das…“
Ich verstand nicht einmal die Hälfte von dem, was er mit geradezu mechanischer, aber dennoch resignierter Stimmer herunter betete… Doch er hörte nicht auf. Er sah mich mit künstlichen Augen an, in denen sich Tränen zu sammeln begannen.
„...Ich liebe Sora. Noch immer. Die Reproduktion hat Priorität. Diese Einheit hat ihre Aufgabe erfüllt und wurde ersetzt. Es gibt keine Verwendung mehr für … mich. Nur unerwiderte Liebe. Ich habe mein Limit weit überschritten und es ist Zeit. … Abschaltung. Oder Selbstzerstörung... “
Ich war schockiert! Ich verstand zwar immer noch nur die Hälfte, alber in meinem Kopf ließ es sich so zusammenfassen: Er hatte schlimme Dinge getan und verging in Reue. Er war von seiner Liebe zurück gewiesen worden. Er war durch jemand anderen ersetzt worden. Und nun wollte er sterben.
„Das klingt alles ziemlich übel…“ Ich wusste nicht so genau, was ich sagen sollte. „...aber deshalb musst du dich doch nicht gleich umbringen! Es gibt immer einen anderen Weg. Einen zweiten Versuch.“
„Berichtigung: Abschaltung erfolgt aufgrund Überschreitung der festgelegten Betriebsdauer.“
Betriebsdauer?
„Aber du siehst doch noch topfit aus!“
„Ich bin eine Maschine. Ein Werkzeug. Die Betriebsdauer dieser Einheit ist bei Weitem überschritten. Diese Einheit wurde durch eine neue Einheit ersetzt. Es gibt keine Verwendung mehr für mich.“
„Dann such dir eine andere Aufgabe.“
„Nachfolger Sora hat Ähnliches zum Ausdruck gebracht. Erläuterung: Er sagte, da ich bereits 5982 Jahre über meiner Betriebsdauer bin, könnte ich auch noch eine Weile länger bleiben. Diese Worte haben mein Herz berührt. Sie beweisen, dass ihm diese Einheit nicht völlig egal ist. Aber: Er wird meine sehnsüchtige Liebe nicht erwidern.“ Seine Stimme klang weich, fast natürlich und sie war voller Traurigkeit und Verzweiflung.
Ich war völlig verwirrt – unfähig darauf zu reagieren und zu begreifen. Ich musste das alles erst einmal selbst verdauen. Eine hoffnungslos verliebte … Maschine. Ein Roboter, dessen Herz gebrochen war – so absurd das auch klang… Liebeskummer der schlimmsten Sorte. Eine 6000 Jahre alte Maschine – was nur bedeuten konnte, dass er … nein, unmöglich... Zu guter Letzt ein Mann, der einer Wildfremden auf offener Straße seine Gefühle offenlegte…
Ich zerrte den Schönling weg vom Geländer und auf eine Bank, die wie dafür geschaffen war, sich zu setzten und in den Himmel über dem Fluss zu starren. Er leistete keinen Widerstand, setzte sich neben mich und … dann ließ er sich zur Seite fallen, so dass sein Kopf auf meinen Oberschenkeln lag.
In meiner Hilflosigkeit wusste ich nicht, was ich mit meiner linken Hand tun sollte … also begann ich, sanft über sein Haar zu streichen. Zaghaft. Die eigenartige Apparatur an seinem Kopf lies nur eine kleinen Spielraum für diese Art der Zuwendung. Die Zeit verstrich wortlos. Und ich strich über die kalten, metallisch glänzenden Haare. Der Kopf auf meinen Schenkeln hatte nur wenig über Umgebungstemperatur. Der Kerl neben mir atmete nicht, er zuckte nicht einmal…
„Bis du tot?“, fragte ich irgendwann.
„Verneinung: Ich lebe nicht wirklich, also kann ich auch nicht sterben. Wenn du nicht-leben als tot definierst, dann ist diese Einheit tot.“
Ich seufzte. „Ich wollte doch nur wissen, ob du noch … wach … bist. Oder so…“
„Verstehe. Bestätigung: Sensoren aktiv. Hauptprozessor aktiv. Zugriff auf Speicher aktiv. “
„Also zuerst vergisst du das mit dem Sterben, Abschalten – oder was auch immer – ganz schnell wieder. So lange es noch geht, kannst du doch weiter machen, oder?“
„Bestätigung: So lange die Ressourcen nicht verbraucht sind und keine irreparablen oder gravierenden Defekte oder Fehler auftreten, kann diese Einheit weiter existieren. Berechnung: Bei aktuellem Verbrauch und Leistung – gemittelt über die letzten 10 Tage – sind das 8 Jahre 4 Monate 6 Tage 3 Stunden 48 Sekunden.“
„Na also! Weitermachen. Anders machen wir Immanity es auch nicht. Wir machen sogar noch dann weiter, wenn … gravierende Defekte und Fehler aufgetreten sind.“
„Anmerkung: Das ist nicht logisch. Es gibt keine Verwendung für ein defektes Individuum.“
„Ja, das ist es. Aber es ist unser Wille zu überleben … unser Wille, immer weiter zu machen und noch eine weitere Chance zu bekommen. Es ist unser Herz, das uns sagt, dass auch die Kranken und  Alten, die Krüppel und Geisteskranken eine Berechtigung haben, zu leben…“
„Immanity sind unglaublich.“, flüsterte er mit ruhiger Stimme. „Das Herz ist unglaublich, die Liebe ist unglaublich … unglaublich unlogisch. Wir verstehen das Herz noch immer nicht vollständig. Wir  dachten, Ex-Machina hätten alles gelernt und verstanden. Das Herz hat viele Fehler verursacht. Konflikt. Verirrung. Bruch in Logik und Konsistenz. Wir haben uns angepasst. Aber wir haben es nicht verstanden … wir haben es nur immer wieder umdefiniert.“
Er schien sich einen Moment zu sammeln, während ich gegen die drohende Schockstarre ankämpfte. Ja, ich war schockiert! Nicht von seiner Unfähigkeit, die Bedeutung des Herzens in seinem tiefsten Inneren zu verstehen, sondern von den Worten Wir dachten, Ex-Machina hätten alles gelernt. Er war also wirklich… Meine Befürchtungen wurden dadurch bestätigt. Das konnte nicht sein! Nicht hier in Elkia … oder sonst irgendwo. Sie waren also noch da, die Rasse, die damals vor 6000 Jahren Gott Artosh zu Fall gebracht und damit den Großen Krieg beendet hatte… Und nun haderte er hier – diese Einheit, wie er sich selbst nannte – mit seinen Taten, mit seinem Schicksal und mit seinem Herzen, das er nicht gänzlich verstehen konnte. Was mich aber am Meisten schockierte war die Tatsache, dass diese übertrieben mächtige Waffe, hinter der ein ganzes Kollektiv solcher Kampfmaschinen stand, auf meinem Schoß lag. ...wie ein hilfloses und von aller Welt verlassenes Kind … aber sie lag da, diese Waffe, eine Maschine mit Herz … und ich streichelte im unwirklichen Licht der untergehenden Sonne über künstliches Haar.
Eine paar Augenblicke herrschte Schweigen.
„Diese Einheit wurde aussortiert und vom Cluster getrennt. Grund: Überschreitung der Betriebsdauer. Hardwarelock entfernt. Reproduktion mit 10 Einheiten erfolgreich. Zwei Einheiten nicht kompatibel. Ersatz gewährleistet. Aktueller Einzig in Betrieb. Fortbestehen der Rasse Ex-Machina gewährleistet. Aufgabe erfüllt. Aus.“ Seine Stimme war mechanisch und tonlos.
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